Archiv für September, 2016

Linke Nummer mit der/die ComputerIn

Ja, bei “Bild” gab es heute auf der Titelseite mal wieder eine richtig schöne Möglichkeit, sich aufzuregen. Bild.de lieferte der Stammleserschaft bereits gestern Abend die Vorlage zum Blutdruckhochschrauben und Empören über den “GENDER-GAGA”:

In beiden Artikeln geht um die Linksfraktion in Flensburg. Die haben nämlich am vergangenen Mittwoch einen Vorschlag gemacht, der seitdem für ziemlich viel Rummel sorgt. “Bild”-Mann Ralf Schuler schreibt dazu:

Irre Gender-Posse im Flensburger Rathaus!

Die Linke beantragt im Gleichstellungsausschuss, Arbeitsgeräte künftig geschlechtsneutral zu benennen. Beispiel: der/die BleistiftanspitzerIn, der/die StaubsaugerIn.

Begründung: Es sei in einer “sozial gerechten und antidiskriminerenden Gesellschaft nicht hinzunehmen”, dass häufig nur der männliche Artikel (der) benutzt würde. Am Mittwoch wird der Antrag beraten.

In einem Kommentar legt Schuler noch mal nach:

Es gibt diese Idee der Flensburger Linksfraktion tatsächlich. Genau genommen handelt es sich allerdings nicht um einen Antrag, sondern um einen Ergänzungsantrag (PDF). Und dieser feine Unterschied ist in dieser Geschichte nicht unwesentlich. Denn die Linken-Fraktionsvorsitzende Gabriele Ritter sagt, dass das mit der genderneutralen Bezeichnung für Arbeitsgeräte nie ernst gemeint war, sondern lediglich eine satirische Reaktion auf einen Antrag der freien Wählergemeinschaft “Wir in Flensburg”. Die hatte einen Tag vor dem Ergänzungsantrag der Linksfraktion den Vorschlag (PDF) eingebracht, “Ratsfrauen” in Zukunft “Ratsdamen” zu nennen, weil das doch viel besser zum männlichen Pendant “Ratsherren” passe. Gabriele Ritter und ihr Team fanden das so bescheuert, dass sie nicht anders wussten, als mit ihrem völlig abwegigen Ergänzungsantrag zu reagieren und den “Ratsdamen”-Vorschlag der Wählergemeinschaft ad absurdum zu führen.

Bei Bild.de erwähnt Ralf Schuler diese Abfolge von Antrag und Ergänzungsantrag am Ende seines Textes, auf der “Bild”-Titelseite steht davon hingegen kein Wort. Dafür aber dieser letzte, kurze Absatz:

Die Linke ruderte gestern zurück, will den Antrag nun als Satire verstanden wissen.

Das ist schlicht falsch. Denn die Flensburger Linksfraktion stellte bereits am 22. September, also einen Tag nach ihrem Ergänzungsantrag, klar, dass die Sache mit der/die ScannerIn und der/die ComputerIn und der/die BleistiftanspitzerIn nicht ernst gemeint war:

DIE LINKE wird den Antrag der WiF ablehnen und empfiehlt dies übrigens auch für den eigenen Ergänzungsantrag, der durch die Neuschaffung von Begriffen wie “der/die ScannerIn”, “der/die AbfalleimerIn” oder “der/die StaubsaugerIn” bestenfalls für Lachanfälle in den 13 Etagen des Rathauses sorgen sollte.

Das hätte auch Ralf Schuler mit anderthalb Minuten Recherche rausfinden können, wenn er mal auf die Website der Linksfraktion in Flensburg geschaut hätte. Oder wenn er den Artikel von Lars Wienand gelesen hätte, der für die “Funke Mediengruppe” schon vor drei Tagen über den Fall schrieb und klarstellte, dass es sich um einen Witz handelt. Oder wenn er den ebenfalls drei Tage alten Artikel des rechten Blatts “Junge Freiheit” (den verlinken wir natürlich nicht) entdeckt hätte …

… unter dem recht schnell stand:

AKTUALISIERUNG: Die Linke im Flensburger Rat teilte auf ihrer Internetseite mit, sie selbst werde gegen den von ihr eingebrachten Antrag stimmen. Die Beschlußvorlage, die sich auch in der offiziellen Dokumentendatenbank des Rats der Stadt Flensburg findet, habe “bestenfalls für Lachanfälle in den 13 Etagen des Rathauses sorgen” sollen.

Aber Schuler machte all das nicht. Stattdessen echauffierte er sich über den “GENDER-GAGA IN FLENSBURG” — und der machte schell Medienkarriere. “Spiegel Online” übernahm die Geschichte zum Beispiel:

Und selbst bis nach Österreich und in die Schweiz hat es die Meldung geschafft, zu oe24.at beziehungsweise 20min.ch:


Die Folgen ihres kleinen Witzes seien heftig gewesen, sagte uns Linken-Fraktionschefin Gabriele Ritter am Telefon. Es habe freundliche Reaktionen gegeben von Leuten, die das alles verstanden hätten. Es habe kritische Reaktionen gegeben. Auf die habe sie geantwortet. Und es habe böse Reaktionen gegeben. In einer dieser bösen Reaktionen schrieb der Autor, dass Gabriele Ritter sich einen Pistolenlauf in den Mund stecken solle.

Mit Dank an Peter U. für den Hinweis!

heute-show, Zeitungshommage, #men4equality

1. Wirkungen und Nebenwirkungen der “heute-show”
(tagesspiegel.de, Bernd Gäbler)
Bernd Gäbler hat für die Otto Brenner Stiftung die Studie „Quatsch oder Aufklärung? Witz und Politik in heute-show und Co“ verfasst. Im “Tagesspiegel” berichtet er über Wirkungen und Nebenwirkungen von Satiresendungen und geht der Frage nach, ob Formate wie „heute-show“ oder “extra 3” die Politikverdrossenheit fördern würden. (Ein Vorwurf, den der konservative Publizist Hugo Müller-Vogg und der Politikpsychologe Thomas Kliche unlängst erhoben hätten.) Gäbler kann diesem Generalverdacht nichts abgewinnen und sieht die Formate eher als politische Appetitmacher: “Sie ersetzen nicht den Journalismus, schon gar nicht sind sie der bessere Journalismus, aber sie fußen auf dessen Arbeit, ergänzen diese und spitzen zu. Im besten Fall sind sie eine vergnügliche Einstiegsdroge für politisches Interesse. Sie laden geradezu ein zu einer vertiefenden Weiterführung.”

2. Darüber redet man lieber nicht
(nzz.ch, Otfried Jarren)
Die Medienbranche und die Qualitätsfrage – kein einfaches Thema, wenn es nach Otfried Jaren geht, der eine Verweigerungshaltung der Medien diagnostiziert. Dies Verhalten räche sich: Die von der Medienbranche verweigerte Debatte um Publizistik, Journalismus und Qualität werde nun an anderen Orten sowie von Laien und mit anderen Argumenten geführt. Die Massenmedien würden auf den Social-Media-Prüfstand kommen. “Die Gesellschaft wird sich weiter ausdifferenzieren und noch mobiler werden. Damit steigt der Informations- und Kommunikations-, Bewertungs- und Orientierungsbedarf kontinuierlich weiter an – eine Chance für publizistische Medien. Das Zeitalter der Massenmedien, zumal der Massenproduktion, aber ist vorbei.”

3. Im Dialog: Michael Hirz im Gespräch mit Mathias Döpfner 23.09.2016
(youtube.com, Michael Hirz, Video, 29:07 Min.)
Wenn es um die Zukunft des Journalismus geht, gibt sich Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, optimistisch. In der “Phoenix”-Sendung “Im Dialog” spricht Döpfner über den Umbau des Verlagshauses Springer zu einem Digitalkonzern, die Chancen des Internets und den Journalismus als Geschäft.

4. Zeitungsleser: das Aussterben einer Gattung
(infosperber.ch, Jürg Müller-Muralt )
Michael Angele, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Der Freitag“, hat mit dem Buch “Der letzte Zeitungsleser” eine Hommage an die Zeitung vorgelegt. In seiner Rezension bezeichnet Jürg Müller-Muralt das Buch als “klugen, leicht wehmütigen Abgesang auf die Zeitung”. Mit seinem Büchlein habe Angele, wenn es denn einmal soweit sein sollte, der Lebensform Zeitung schon heute ein schönes Denkmal gesetzt.

5. Problemfall Männer-Events – und warum Männer Teil des Problems sind
(digitaletanzformation.wordpress.com, Robert Franken)
Veranstaltungen und Podien, auf denen lediglich Männer mit Männern sprechen, seien einseitig, unvollständig und nicht repräsentativ – und daher langweilig und irrelevant. Deshalb haben 25 Erstunterzeichner aus der Medienbranche öffentlich gemacht, dass sie künftig nicht mehr an reinen Männerpodien teilnehmen werden. Robert Franken für die Initiative (#men4equality): “Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir sind nicht als „Weiße Ritter“ unterwegs, die mehr Frauen auf Podien bringen wollen, jedenfalls ist das nicht unser vorrangiges Ziel. Frauen können das schließlich gut ohne uns. Wir sehen diesen Effekt daher eher als „Kollateralnutzen“. Uns geht es vor allem darum, dass Diskussionsrunden und Panels, an denen ausschließlich Männer teilnehmen, aus unserer Sicht schon vom Prinzip her uninteressant sind und deshalb von uns nicht besucht werden.”

6. Symbolstrecke des Grauens Teil 6: Pubertät
(fr-online.de)
In der “Symbolstrecke des Grauens” geht es diesmal um ausgesucht platte, unpassende und absurde Symbolfotos zum Thema Pubertät.

“Die Moral der Moralapostel”

Vorletzten Freitag hat der Deutsche Presserat mal wieder Rügen verteilt. Mit dabei: “Bild am Sonntag”. Heute hat das Blatt darauf reagiert, mit einem “Kommentar in eigener Sache”:

“Bild am Sonntag” hatte, genauso wie Bild.de, Fotos der teilweise noch minderjährigen Opfer des Amoklaufs in München veröffentlicht. Die Fotos dürften zum großen Teil von den Profilen der Betroffenen in Sozialen Netzwerken stammen. Katrin Saft, Vorsitzende eines der Beschwerdeausschüsse des Presserats, sagte dazu in der Entscheidung des Gremiums:

Nicht alles, was in sozialen Netzwerken verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden. Die eigene Darstellung, z. B. in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine Medienöffentlichkeit.

Immerhin: “Bild am Sonntag” hat mit dem Kommentar auf die Entscheidung des Presserats reagiert — und das an prominenter Stelle (direkt auf Seite 2). Sonst verstecken die “Bild”-Medien die gegen sie ausgesprochenen Rügen auch mal ganz gern zwischen “Traum-Busen” und vermissten Kängurus. Was der stellvertretende Chefredakteur Tom Drechsler schreibt, lässt einen aber doch etwas rat- und fassungslos zurück.

Da wäre zum Beispiel der Umgang mit dem Begriff der “Person der Zeitgeschichte”. Ein beliebtes Argument, wenn es um die Frage geht, über wen man identifizierend berichten darf: Wenn eine Tat ein so großes Ausmaß hat wie beispielsweise in München, dann kann man durchaus von einem zeitgeschichtlichen Ereignis sprechen. Die Persönlichkeitsrechte der Personen, die daran aktiv beteiligt sind, müssen dann eher vor dem öffentlichen Informationsinteresse zurücktreten. Drechsler erklärt in seinem Kommentar aber nicht nur den Täter von München zur Person der Zeitgeschichte, sondern auch dessen Opfer:

Wir haben nach dem Amoklauf von München acht der Opfer gezeigt. Ganz bewusst, denn erstens machte die Dimension der Tat — eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte — die Opfer zu Personen der Zeitgeschichte und zweitens hatte der Täter gezielt Jagd auf Jugendliche mit Migrationshintergrund gemacht.

Dass Tom Drechsler die Argumentation des Presserats anscheinend nicht so ganz verstanden hat, zeigt sein nächstes Argument. Während es dem Presserat darum ging, dass “Bild am Sonntag” Fotos von jungen Menschen aus den Sozialen Netzwerken zusammengesucht hat, die diese Personen nie dort eingestellt hatten, um damit irgendwann mal auf der Titelseite eines Boulevardblatts zu landen, zielt Drechsler auf den Fotoinhalt — nette Fotos wird man ja wohl noch zeigen dürfen:

BamS hat keine Leichenfotos gedruckt. BamS hat acht fröhliche junge Menschen gezeigt, deren Leben von einem 18 Jahren alten Attentäter auf grausamste Weise beendet wurden. BamS hat die Opfer so gezeigt, wie ihre Angehörigen und Freunde sie kannten, sie liebten. Würdelos? Nein, würdevoll!

Um eine ästhetische Bewertung der Fotos ging es bei der Rüge allerdings nie, sondern ganz grundsätzlich um das Zusammenklauben und das hunderttausendfache Vervielfältigen von privaten Bildern.

Dass all das, was sein Team gemacht hat, gar nicht so schlimm ist, versucht Drechsler mit einem Vergleich zu belegen:

Die “New York Times” hat vor Kurzem Dutzende Fotos von Terroropfern aus der ganzen Welt gedruckt: The human toll of Terror. Ihre Geschichten zeigen, dass jeder zum Opfer werden kann.

Bei “The Human Toll of Terror” handelt es sich um ein großes Projekt der “New York Times” aus dem Juli dieses Jahres. 29 Redakteure, Reporter und Stringer haben versucht, die persönlichen Geschichten von 247 Terroropfern von verschiedenen Anschlägen auf der ganzen Welt nachzurecherchieren. Bei 222 haben sie es geschafft. Sie haben dafür mit Freunden, Angehörigen, Arbeitskollegen gesprochen, Querverbindungen zwischen einzelnen Opfern hergestellt, Fotos besorgt. In einem Werkstattbericht erzählt die Redakteurin Jodi Rudoren von der Arbeit, und es wird schnell klar, dass der Aufwand immens gewesen sein muss. Das Ergebnis ist ein ziemlich besonderes Stück Journalismus.

Dass Tom Drechsler nun dieses Beispiel heranzieht, um das Vorgehen seiner Redaktion im Fall des Amoklaufs von München zu rechtfertigen, zeugt von ziemlicher Chuzpe. Der wahrscheinlich frappierendste Unterschied ist, dass die “New York Times”-Mitarbeiter intensive Gespräche mit Angehörigen geführt haben, um an Fotos der Opfer zu kommen, während die “Bild am Sonntag”-Mitarbeiter sich mutmaßlich dafür durch Facebook geklickt haben.

Der Pressekodex sagt klar: “Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben”. Der Vater eines der Opfer von München hatte mit der Redaktion gesprochen. Ihn hatte das Blatt auch am Sonntag nach dem Amoklauf mit einem Foto des Sohnes in der Hand groß abgedruckt. Der Mann dürfte sein Okay gegeben haben; gegen die Berichterstattung ist erstmal nichts einzuwenden. Beim Großteil der anderen Getöteten dürfte eine solche Zustimmung von Angehörigen allerdings nicht vorgelegen haben. Und dennoch nutzt Drechsler sie für seine Verteidigungsschrift:

Ist diese Zurschaustellung etwa moralisch bedenklich? Die Angehörigen der Opfer waren es jedenfalls nicht, die sich beim Presserat beschwert haben.

Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass man im Moment tiefster Trauer nicht als erstes an eine Beschwerde beim Presserat denkt, vorausgesetzt man weiß überhaupt von seiner Existenz.

An einer Stelle seines Kommentars schreibt Tom Drechsler dann noch:

Was unterscheidet die Tat von München von Terror? Der Täter, ein schiitisch geprägter Deutsch-Iraner, tötete aus rassistischen Motiven gezielt Sunniten. Es ist absurd, da von Amok zu sprechen.

Und zwar so absurd, dass er es vor zwei Monaten noch selbst getan hat:

Weggucker beim Schlagzeilenschreiben


Danke an Christian L.

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Danke an Jonas P.

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(Der “König von Würzburg” — Zweiter Bürgermeister Adolf Bauer — ist CSU-Mitglied.)
Danke an Sebastian S.

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Danke an Oliver B.

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Danke an Svea R.

Für Sie geklickt (10)

Unsere AntiClickbaitTaskforce ist wieder durchs gesamte Internet gezogen, um zu überprüfen, was hinter den großen Versprechen in Schlagzeilen und Teasern tatsächlich steckt. Der Vorteil für Sie: Durch unsere Zusammenfassungen sparen Sie Lebenszeit und die eine oder andere Gehirnzelle.

Heute: die vergangenen Tage bei der “Huffington Post”.

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“Entschuldigung?”

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Seine eigene Mutter, die sich für eine TV-Serie als junge Frau verkleidet hat.

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Versuchen, den Türsteher zu bestechen.

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Er gibt sich als Freundin der Braut aus und schreibt in einer “WhatsApp”-Gruppe mit den anderen Junggeselinnenabschiedteilnehmerinnen. Dann fliegt sein Schwindel auf.

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Dem sogenannten “Kotzhügel”.

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Neun Euro.

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1. Immer an der selben Stelle beginnen.
2. Unkonzentriert sein.
3. Zahnseide vergessen.
4. Kreisbewegungen.
5. Eine zu alte Zahnbürste verwenden.

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Drei Stunden vorher nichts mehr essen.

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Die Haare auf dem Vorderkopf sollen ausfallen.

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Mannheim.

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Dass er erstmal einen Mann heiraten solle, wenn er denke, dass man seine sexuelle Orientierung so einfach ändern könne. Sie ist nämlich seit sieben Jahren mit ihrer Ehefrau verheiratet.

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In dem Umschlag war eine 60 Zentimeter lange Königspython.

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Er nahm es auf den Arm und ging den Gang im Flugzeug ein wenig auf und ab.

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Sich mit dem Labrador anzufreunden.

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Mehrere brasilianische Wanderspinnen.

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Ameisen.

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In ihren Brillengläsern spiegelt sich ihr Computermonitor, auf dem eine Website mit Sexspielzeug zu sehen ist.

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“Großes fettes Mädchen”, dachte die Mutter. Nach einiger Aufregung stellt sich aber raus: Stimmt gar nicht — in Wirklichkeit stand dort “Großes fites Mädchen”.

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1. Gesättigte Fettsäuren.
2. Multimedia-Multitasking.
3. Google.
4. Zu viel Zucker.
5. Expertendenken.
6. Schlechter Schlaf.
7. “Huffington Post” lesen. Körperliche Anstrengung.

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Riesige Kürbisse.

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Grüne Verpackung — rote Verpackung. Sonst nix.

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Bitte. Keine Ursache.

Besondere Aufmerksamkeit

Seit einiger Zeit bemüht sich auch Bild.de, jene Ratschläge umzusetzen, die Psychologen Medien im Umgang mit Suiziden gemacht haben.

Unter Artikeln, in denen es um Selbsttötungen geht, prangt jetzt immer ein Kasten:

BILD berichtet in der Regel nicht über Selbsttötungen, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben – außer, Suizide erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit.
Wenn Sie selbst depressiv sind, Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de).
Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Nun kann man mitunter diskutieren, was das so für “Umstände” sein können, die “besondere Aufmerksamkeit” hervorrufen, auf einen aktuellen Fall trifft dies aber sicherlich zu: In Italien hat sich eine junge Frau das Leben genommen, die seit über einem Jahr Online-Mobbing ausgesetzt war. Tiziana C. hatte ein Video, das sie beim Sex zeigt, angeblich an ihren Ex-Freund geschickt (die Medienberichte variieren, was die Adressaten des beziehungsweise der Videos angeht), danach war es im Internet zu sehen und die Frau wurde beleidigt. Die Frage “Machst Du ein Video? Sehr gut!”, die Tiziana C. im Video stellt, entwickelte sich in Italien zu einem regelrechten Mem. Obwohl sie ihren Namen geändert und Gerichtsprozesse zur Löschung des Videos gewonnen hatte (für die sie die Gerichtskosten von 20.000 Euro selbst tragen musste), verblieb das Video online und die bösartigen Kommentare hörten nicht auf.

Wie Medien über Suizide berichten sollten, um Nachahmungstaten zu vermeiden:

  • Sie sollten jede Bewertung von Suiziden als heroisch, romantisch oder tragisch vermeiden, um möglichen Nachahmern keine post-mortalen Gratifikationen in Form von Anerkennung, Verehrung oder Mitleid in Aussicht zu stellen.
  • Sie sollten weder den Namen der Suizidenten noch sein Alter und sein Geschlecht angeben, um eine Zielgruppen-Identifizierung auszuschließen.
  • Sie sollten die Suizidmethode und – besonders bei spektakulären Fällen – den Ort des Suizides nicht erwähnen, um die konkrete Imitation unmöglich zu machen.
  • Sie sollten vor allem keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides andeuten, um so jede Identifikations-Möglichkeit und Motivations-Brücke mit den entsprechenden Lebensumständen und Problemen des Suizidenten vermeiden.

(Quelle: psychosoziale-gesundheit.net)

Dieser dramatische Fall, der die Aufmerksamkeit auf das Thema Online-Mobbing lenkt und zu dem sich sogar der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi geäußert hat, beschäftigt in Italien gerade die Medien, und auch in Großbritannien sind es nicht nur die üblichen Boulevardmedien, die darüber berichten, sondern auch die BBC.

In der Tonalität und Aufmachung variieren die Berichterstattungen allerdings: Während die BBC Bilder von der Beerdigung der Frau zeigt, die in Italien ebenfalls ein großes Medienecho erzeugt hat, bedienen sich die Boulevardseiten freimütig bei einem Instagram-Account, der zwar den Namen von Tiziana C. trägt, bei dem man aber berechtigte Zweifel an der Authentizität anmelden könnte: Erstens wurden alle zehn Fotos auf dem Account innerhalb von drei Tage hochgeladen (und das, kurz nachdem das Video viral gegangen war). Und zweitens zeigen fast alle Bilder die junge Frau in knapper Kleidung und aufreizenden Posen. Im Fall einer Frau, die Opfer von Rache-Pornografie geworden ist, könnte man als Journalist zumindest mal innehalten und sich fragen, ob man da nicht gerade auf eine weitere unautorisierte Veröffentlichung privater Aufnahmen gestoßen ist, an deren Verbreitung man sich jetzt nicht unbedingt beteiligen sollte.

In einem Artikel von vergangener Woche zeigt auch Bild.de diese Instagram-Fotos, mit Bildunterschriften wie “eine schöne, lebenslustige junge Frau” und — etwas weniger neutral — “Rassig: Tiziana liebte sexy Posen”. (Die “Sun” war gleich zu blöd, die Chronologie der Ereignisse halbwegs zu sortieren, und schreibt: “Fun-loving … snaps Tiziana posted before sex-tape hell”.) Stern.de verzichtet auf solche Charakterisierungen, verwendet für seinen Artikel aber ebenfalls Fotos von besagtem Instagram-Account (immerhin die bekleidetsten). Wir haben bei beiden Webseiten nachgefragt, ob sich die Redaktion sicher sein könne, dass Tiziana C. die Fotos selbst veröffentlicht habe. Eine Antwort haben wir bisher nicht erhalten.

Überschrieben ist der Artikel bei Bild.de übrigens so:

Das tragische Schicksal von Tiziana: Selbstmord, weil ihr Ex Sex-Tape online stellte

In den Empfehlungen der Psychologen zur Suizid-Berichterstattung heißt es, Journalisten sollten auf “vereinfachende, verkürzende, letztlich also beschönigende Erklärungsmuster” verzichten. Das hat bei Bild.de nicht ganz geklappt.

Mit Dank an @JimmyRuppa für den Hinweis!

Alternativpreis, AfD-Symbiose, Wirtschafts-Podcast

1. “Cumhuriyet” und “Weißhelme” geehrt
(tagesschau.de)
Der Alternative Nobelpreis geht diese Jahr an vier Preisträger: Die syrische Organisation “Weißhelme”, die türkische Zeitung “Cumhuriyet”, die russische Menschenrechtsaktivistin Gannuschkina und die ägyptische Feministin Mozn Hassan mit ihrer Organisation “Nazra” für feministische Studien. Die “Tagesschau” stellt die Preisträger und ihre Verdienste vor.
Deniz Yücel beschäftigt sich in einem Meinungsbeitrag in der “Welt” speziell mit der Vergabe des Alternativen Nobelpreises an die türkische Zeitung „Cumhuriyet“. Yücel stellt eine Besonderheit heraus: “Doch eines unterscheidet die „Cumhuriyet“ von den übrigen Preisträgern: Diese haben es nicht mit Regimen zu tun, die zu den engen Verbündeten des Westens zählen. Zu ihnen gehört die Türkei schon, erst recht seit dem Flüchtlingsdeal. Der Preis für die Zeitung ist daher nicht nur ein verdienter Tadel für Erdogan, sondern ebenso für Europa.”

2. “Die besten Geschichten gibt es nur noch gegen Geld”
(futurezone.at, Patrick Dax)
Mathias Müller von Blumencron, Digitalchef der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (FAZ), hat sich mit “Futurezone” über kostenpflichtige Angebote im Internet, Werbeblocker und Facebooks Vorstoß ins Nachrichtengeschäft unterhalten. Und natürlich die Zukunft der Zeitung als solche.

3. Repression in ungekanntem Ausmaß
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” (ROG) hat einen ausführlichen Länderbericht zur Situation in der Türkei veröffentlicht, in dem untersucht wird, welche Folgen der nach dem Putschversuch vom 15. Juli verhängte Ausnahmezustand für die Pressefreiheit hat. Zwei Monate nach der Verhängung des Ausnahmezustands habe die Repression gegen Journalisten in der Türkei ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Rund 100 Journalisten seien im Gefängnis, rund 100 Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender seien geschlossen, die Reisepässe vieler Journalisten annulliert worden.

4. Die Zukunft des Journalismus reloaded
(de.ejo-online.eu, Tina Bettels-Schwabbauer)
Die leitende Redakteurin der deutschen Journalismus-Seite “EJO” Tina Bettels-Schwabbauer hat sich das neue Buch von Christian Jakubetz angesehen. In „Universalcode 2020“ beschreibt Jakubetz, wie der Journalismus von morgen aussehen wird und gibt viele handwerkliche Tipps. Vor allem der praktische Teil des Buchs hat es der Rezensentin angetan. Davon würden besonders Berufseinsteiger und Altgediente mit Berührungsängsten vor dem Digitalen profitieren.

5. “Ein symbiotisches Verhältnis”
(mediendienst-integration.de)
Kai Hafez ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt und beschäftigt sich unter anderem mit Theorien der Auslandsberichtserstattung und kulturvergleichender Medienethik. Im “Mediendienst”-Interview spricht Hafez darüber, warum die AfD medial erfolgreich ist und warum Engagierte in der Flüchtlingshilfe eher selten in den Medien vorkommen. Die “Alternative für Deutschland” (AfD) und die Medien würden voneinander profitierten. Hafez warnt: “Viele Journalisten bemerken gar nicht, was sie da tun. Faktisch bedienen sie rechte Neigungen, und wenn diese Früchte tragen, erschrecken die Medien und warnen vor der AfD. Davon profitiert die Partei bisher – es ist ein Teufelskreis der rechtspopulistischen Öffentlichkeitsbildung.”

6. „Der talentierte Mr. Vossen“
(freitag.de, Sebastian Grundke)
Sebastian Grundke empfiehlt die Geschichte um den Fall des Aktienhändlers und mutmaßlichen Betrügers Felix Vossen, die als siebenteiliger dokumentarisch-literarischer Podcast aufbereitet wurde. Grundke ist begeistert von der Arbeitsweise des für Recherche und Stück verantwortlichen Reporters Christoph Heinzle: “Dazu greift Heinzle auf eine eher literarische Erzählweise zurück, montiert Interviewschnipsel und Notizen aus seinem Reisetagebuch oder nutzt Cliffhanger am Ende jeder Folge. Dabei bricht Heinzle auch mit klassischen journalistischen Gepflogenheiten, zum Beispiel wenn er zum Ich-Erzähler seiner monatelangen Spurensuche wird. Das Ergebnis ist jedoch meisterhaft.”

“Wir helfen” – beim rechten Verwirrspiel

Anfang des Monats, am 5. September, feierten die “Bild”-Redaktionen ein Jubiläum: “Ein Jahr ‘Wir helfen'”. Was als Reaktion auf die positive Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den ankommenden Geflüchteten im Spätsommer 2015 begann und schnell zur “Bild”Werbekampagne mit prominenter Unterstützung aus Showbusiness, Politik und Fußballbundesliga wurde, fand nach einigen Monaten überhaupt nicht mehr statt. Die “Wir helfen”-Badges verschwanden aus den Twitter-Profilbildern der “Bild”-Mitarbeiter, der Ton in der Berichterstattung über Geflüchtete und Asylbewerber und Migranten wurde wieder rauer.

Heute kann man gut sehen, dass “Bild” zu alten Mustern zurückgekehrt ist. Auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe steht es riesengroß:

Der Artikel von Zahlenverdreher Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach basiert auf Daten der Bundesregierung, die damit auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet hatte. Zusammengefasst sagt der Artikel: In Deutschland leben — Stand Ende Juni 2016 — 549.209 abgelehnte Asylbewerber. 406.065 davon sind seit mehr als sechs Jahren hier. Von den knapp 549.209 abgelehnten Asylbewerbern haben 46,6 Prozent ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Von diesen Zahlen unabhängig leben 168.212 Ausländer mit einer Duldung in Deutschland. Die Gründe dafür, dass sie nicht abgeschoben werden, sind sehr unterschiedlich: Manche haben keinen Pass (37.020), bei anderen ist die Situation im Heimatland zu unsicher (10.620), wieder andere können nicht ausreisen, weil hier gegen sie aktuell ein Strafverfahren läuft (440).

Schaut man sich die 60-seitige Antwort der Bundesregierung (PDF) mal genauer an, wird einem recht schnell klar, dass eine differenzierte Betrachtung der Zahlen zwingend nötig ist, um dem Thema gerecht zu werden. Denn hinter den 549.209 abgelehnten Asylbewerbern stecken Hunderttausende persönliche Schicksale und Geschichten, die völlig unterschiedlich sind. Das schafft der “Bild”-Artikel in weiten Teilen nicht.

Ein Beispiel: Zu den 549.209 abgelehnten Asylbewerbern zählt die Statistik auch 12.727 Polen. Die haben ihre Asylanträge natürlich nicht vor ein paar Monaten gestellt, sondern zu einer Zeit, in der Polen noch kein Mitglied der Europäischen Union war. Heute können diese 12.727 Menschen als EU-Bürger völlig legal hier leben. Ihr abgelehnter Asylantrag von damals hat heute keine Relevanz mehr, an eine Abschiebung ist nicht zu denken. Über diese Fälle verliert der “Bild”-Artikel kein Wort.

Ein anderes Beispiel: Ein großer Teil der 549.209 abgelehnten Asylbewerber lebt nicht nur seit “mehr als 6 Jahren” in Deutschland, wie “Bild” schreibt, sondern teilweise seit Jahrzehnten. Ihre Asylanträge stammen mitunter aus den 1980er-Jahren (4150). 170.166 von ihnen haben ihren Asylantrag noch im vergangenen Jahrtausend gestellt. Sie leben also schon über 16 Jahre in Deutschland. Auch darauf gehen die “Bild”-Autoren nicht detailliert ein.

Der “Bild”-Text erwähnt zwar die 46,6 Prozent abgelehnter Asylbewerber, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen. Was er aber nicht erwähnt: Daneben gibt es auch noch 34,8 Prozent mit einem befristeten Aufenthaltsrecht. Das heißt: 81,4 Prozent beziehungsweise 447.056 der 549.209 in Deutschland lebenden abgelehnten Asylbewerber haben ein Bleiberecht. Sie halten sich völlig legal in Deutschland auf und können rein rechtlich nicht abgeschoben werden. Unter den restlichen 102.153 abgelehnten Asylbewerbern (18,6 Prozent) gibt es einige mit einer Duldung, weil sie sich mitten in einer Ausbildung befinden oder krank sind oder einen Angehörigen pflegen und so weiter. Auch sie können aufgrund ihrer derzeitigen Situation nicht abgeschoben werden. Und so bleiben nicht mehr viele abgelehnte Asylbewerber übrig, die derzeit als “ausreisepflichtig” gelten. In der Statistik der Bundesregierung ist von 52.870 “ausreisepflichtigen Personen ohne Duldung” die Rede, allerdings müssen nicht alle von ihnen abgelehnte Asylbewerber sein. Trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl schreibt “Bild” vom “Neuen Irrsinn bei der Abschiebung”.

Was an dem “Irrsinn” so richtig “neu” sein soll, ist ebenfalls nicht ganz klar. Die Linksfraktion stellt ihre Kleine Anfrage jedes Jahr aufs Neue an die Bundesregierung. Vergangenes Jahr — Stand Ende Juni 2015, also vor der großen Zuwanderung durch Geflüchtete — lebten 538.057 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland (PDF). Das sind gerade mal 11.152 weniger als 2016.

Dass die Abschiebungen aus Deutschland in den vergangenen Jahren stetig angestiegen sind, erwähnen Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach nicht. 2012 waren es knapp 8000 Menschen, die abgeschoben wurden, 2013 knapp 10.000, 2014 knapp 11.000, 2015 knapp 21.000. “Bild” nennt lediglich die Zahl aus diesem Jahr — ohne Vergleichswerte, dafür im Zusammenhang mit den abgelehnten Asylbewerbern:

Exakt 13 134 Ausländer haben die deutschten Behörden von Januar bis Ende Juli abgeschoben. Aber Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber leben weiterhin in Deutschland!

Die “Bild”-Titelgeschichte drehte heute eine ordentliche Runde in der deutschen Medienlandschaft. Eine ganze Reihe von Redaktionen griffen die Geschichte auf …


(faz.net)

(“Focus Online”)

(“RP Online”)

… wohl auch, weil die “dpa” und andere Agenturen früh morgens eine Meldung dazu herausgaben. Inzwischen hat die “dpa” zwei deutlich differenziertere Stücke veröffentlicht. Die meisten Redaktionen haben die erste kurze Meldung durch einen der längeren Texte ersetzt.

Und auch von Politikern und Polizeigewerkschaftern gab es Reaktionen. Zum Abschluss des “Bild”-Artikels durfte sich Redaktionsliebling Rainer Wendt, Chef der “Deutschen Polizeigewerkschaft”, äußern (“Es gibt eine regelrechte Abschiebeverhinderungsindustrie. Das muss sich dringend ändern.”). Und auch CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich durfte was sagen (“Wer zulässt, dass abgelehnte Asylbewerber dem Staat derart auf der Nase herumtanzen, zerstört das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates.”).

Im Büro der Linken-Politikerin Ulla Jelpke hat die “Bild”-Zeitung natürlich kein Statement für ihren Artikel eingeholt. Dabei ist die Bundestagsabgeordnete federführend bei der jährlichen Kleinen Anfrage der Linksfraktion, auf die sich “Bild” stützt. Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach hätten Jelpke zum Beispiel hiermit zitieren können:

Seit Jahren ist aufgrund regelmäßiger Anfragen der Linksfraktion bekannt, wie viele Geflüchtete in Deutschland mit welchem Status leben. Dass auch viele abgelehnte Asylsuchende gute Gründe für einen Verbleib in Deutschland haben können und später eine befristete oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, ist deshalb nichts Neues. Zum Beispiel können humanitäre oder medizinische Abschiebungshindernisse vorliegen. Unter den Abgelehnten sind auch Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan, Syrien oder den Irak, die aus guten Gründen nicht abgeschoben werden. Nicht wenige Ablehnungen werden durch Verwaltungsgerichte aufgehoben. Das zu skandalisieren zeigt, wie verroht und vergiftet die Asyldebatte mittlerweile geführt wird.

Wie gefährlich der unsaubere Umgang mit Zahlen in der Flüchtlings-, Asyl- und Abschiebungsdebatte durch “Bild” sein kann, zeigt die Reaktion der AfD. Bundesvorstandsmitglied Georg Pazderski schrieb mit Bezug auf den Artikel in einer Presseerklärung:

Mehr als eine halbe Million abgelehnte Asylbewerber leben weiterhin unrechtmäßig in Deutschland, die große Mehrheit davon schon seit über sechs Jahren. Viele besitzen noch nicht einmal einen Pass.

Dass das “unrechtmäßig” inhaltlich völlig falsch ist, dringt wohl kaum bis zu den johlenden AfD-Anhängern durch. “Wir helfen”, “Bild”? Ja, den Rechtspopulisten bei ihrem Verwirrspiel.

Im Innern der Zeitung titelt “Bild” übrigens:

Noch einen “fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen” dazu gedacht — und schon ist man gefährlich nah am Populismus eines Andreas Scheuer.

“Bild” zeigt private Fotos von getöteten Menschen

Am vergangenen Sonntag entdeckte die Polizei in einer Bonner Wohnung zwei Leichen. Es handelte sich um eine 48-Jährige und ihren 11-jährigen Sohn. Der Lebensgefährten der Frau und Vater des Kindes, der anfangs nirgendwo zu finden war, wurde zum Verdächtigen.

“Bild” und Bild.de berichteten am Dienstag bundesweit über den Fall und die Suche der Polizei:

In dem Artikel ist auch ein unverpixeltes Foto des Gesuchten zu sehen, was zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Sinn machte, weil er eben zur Fahndung ausgeschrieben war. Was viel problematischer ist: Die “Bild”-Medien zeigten auch ein privates Foto der getöteten Frau, ebenfalls ohne irgendeine Verpixelung:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es in Richtlinie 8.2:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Und als wäre das Zeigen der Frau nicht schon rücksichtslos genug, veröffentlichten “Bild” und Bild.de auch noch ein privates Foto des 11-jährigen Jungen:

Noch einmal ein Blick in den Pressekodex, dieses Mal Richtlinie 8.3:

Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Außerdem schreiben die Redaktionen über eine schwere Krankheit des Jungen.

Der Verdächtige wurde inzwischen gefasst. Ein Passant erkannte ihn, wohl auch aufgrund der Berichterstattung in den Medien. Gestern dann der nächste große Bericht, dieses Mal in der Köln-Ausgabe der “Bild”-Zeitung; bei Bild.de gab es ebenfalls einen Artikel über die neuen Geschehnisse:

In einem ersten Verhör soll der Mann zugegeben haben, seiner früheren Freundin zwar 15.000 Euro gestohlen zu haben, er bestreitet allerdings, etwas mit ihrem Tod und dem seines Sohnes zu tun zu haben. Die Reporter von “Bild” und Bild.de haben in der Zwischenzeit ein weiteres Foto der Frau und des Kindes aufgetrieben, das sie ihrer Leserschaft unbedingt präsentieren wollen:

Woher die “Bild”-Leute all die Fotos haben, verraten sie lieber nicht. In den Fotocredits heißt es wie immer in solchen Fällen: “Fotos: PRIVAT”. Das könnten sie endlich mal wörtlich nehmen.

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