Archiv für Januar, 2014

Unwort, Daily Mirror, Prokon

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Nachdenken hilft auch”
(deutschlandfunk.de, Peter Zudeick)
Die Wahl des Unworts des Jahres renne “meistens offene Türen ein, zumindest beim denkenden Teil der Bevölkerung”: “Vielleicht gibt es ja Menschen, die derlei Sprachmüll benutzen, weil er halt gang und gäbe ist. Journalisten zum Beispiel, die nachplappern, was so geplappert wird, weil sie nicht verstanden haben, was ihr Beruf ist: Nämlich höchst reflektiert mit ihrem Material, mit ihrem Hand- respektive Mundwerkzeug umzugehen.”

2. “‘Der FC Bayern wird mich niemals haben!'”
(11freunde.de, Andreas Bock)
Fußball: Andreas Bock fragt telefonisch beim “Daily Mirror” nach, ob ein dort veröffentlichtes Zitat von Marco Reus tatsächlich der Wahrheit entspricht. Daraufhin wird die Verbindung unterbrochen.

3. “Prokon bläst zum Gegenangriff auf die Medien”
(ndr.de, Video, 6:08 Minuten)
Das von Insolvenz bedrohte Unternehmen Prokon und seine Anleger (einige davon organisiert unter Freunde-von-prokon.de) kritisieren die Journalisten für ihre Berichterstattung. Doch diese sehen keinen Grund, nicht zu berichten: “Unvollständige Zahlen, keine Antworten auf kritische Fragen. Stattdessen: Angriffe.”

4. “SPIEGEL macht blöd. Warum auch positive Computerspiel-Artikel nicht besser sind als ihr Ruf”
(videogametourism.at, Christian Huberts)
Christian Huberts schreibt zur aktuellen “Spiegel”-Titelgeschichte: “Nicht die Computerspielkultur selbst steht im Fokus, sondern ihre Schnittpunkte mit der bildungsbürgerlichen Komfortzone. Game-Berichterstattung im Print-Journalismus, das ist ewige Annäherung an das Zumutbare, ohne je mit diesem obszönen Gegenstand in Berührung zu kommen, der angeblich unsere Zeit vernichtet und nicht mit offensichtlichem Nutzwert entschädigt.”

5. “Bitte vergib mir, Sascha!”
(ueberschaubarerelevanz.wordpress.com)
Muriel liest “Wir brauchen einen neuen Glauben an die Politik!” (faz.net, Evgeny Morozov), die Replik auf den Text von Sascha Lobo.

6. “Mit Stricken zum Nobelpreis”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas)

Mensch ärgere dich

Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen, hat neulich auf seiner Facebook-Seite zum Neujahrsempfang der Stadt eingeladen. Normalerweise muss man sich bei der Stadt dafür anmelden. Aber Palmer akzeptierte als Anmeldung auch ein schlichtes “ich komme” auf seiner Facebookseite.

Das klingt spontan nicht nach dem Material, aus dem großen Aufreger sind, nicht einmal in der schwäbischen Provinz. Mit ein bisschen Mühe kann man aber einen draus machen, oder besser: ohne jede Mühe.

So sah das Ergebnis in der “Bild” vom vergangenen Montag aus:

PALMER: Ärger wegen seiner Facebook-Einladung

Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer (41) hat mal wieder Ärger wegen seiner Internetaktivitäten. Im November stellte er Falschparker an den Facebook-Pranger, jetzt lädt er auf seiner privaten Seite zu städtischen Veranstaltungen ein. (…)

Verboten, sagt ein Medienrechtler. Auf seiner privaten Facebook-Seite dürfe er das nicht. Deshalb hat jetzt sogar die Kommunalaufsicht eine Stellungnahme von der Stadtverwaltung verlangt.

Den Namen des Medienrechtlers nennt “Bild” nicht. Genauso wenig wie die Quelle, aus der sie nicht nur dessen Urteil, sondern auch alle weiteren Informationen in ihrem Text abgeschrieben hat, bis hin zur Schlusspointe, dass Palmer die Karten angeblich nur über eine offizielle, städtische Facebook-Seite anbieten dürfe, dafür aber das Geld fehle. Das alles stand zwei Tage vorher im “Schwäbischen Tagblatt”.

Was dort nicht stand und mangels eigener Recherche auch zwei Tage später in der “Bild”-Zeitung fehlte: Das Regierungspräsidium hat zwar nach dem Anruf der “Tagblatt”-Journalistin den Fall prüfen lassen. Es ist aber längst zu einem Ergebnis gekommen. Bereits am Freitag vergangener Woche entschied es, dass kein Rechtsvorstoß vorliegt. Der Pressesprecher der Behörde teilte uns auf Anfrage mit: Die Stadt Tübingen habe versichert, dass die Leute, die sich über die Facebook-Seite Palmers anmelden, nicht bevorzugt werden, sondern ihre Anmeldungen nur im offiziellen Verfahren der Stadt mit berücksichtigt werden.

Palmers “Ärger” bestand also im Wesentlichen aus, dass die “Bild”-Zeitung ihm recherchefrei unterstellte, “Ärger” zu haben.

Mit Dank an Sandra M.!

Call-a-Journalist, Kinderreporter, Tiere

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Sozialbetrüger’ oder ‘Neue Nachbarn’?”
(blog.geh-deinen-weg.org, Clara Herdeanu)
Die Linguistin Clara Herdeanu fällt bei der Lektüre von Bild.de “die vielen negativ konnotierten – d.h. wertenden – Wörter auf, die für den Sachverhalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Akteursgruppe der Rumänen und Bulgaren verwendet werden”: “Es wird somit durch sprachliche Mittel versucht, negative Deutungen über die neuen Zuwanderer im Diskurs dominant zu setzen. Von hier ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, diese negativen Deutungen auf die aus Rumänien und Bulgarien stammenden Menschen zu übertragen und sie somit an sich als negativ zu beurteilen.”

2. “Logo-Kinderreporter fragen die Chefs von Bild, Zeit und FAZ”
(youtube.com, Video, 6:19 Minuten)
Kai Diekmann (Bild), Giovanni di Lorenzo (Zeit) und Frank Schirrmacher (FAZ) geben Kinderreportern Auskunft.

3. “In eigener Sache: Call-a-Journalist: Ihr ruft, wir berichten!”
(hh-mittendrin.de, Dominik Brueck)
Die App “Call-a-Journalist” ruft den Reporter an den Ort des Geschehens. Siehe dazu auch dieses Interview mit Dominik Brueck (lokalblogger.de, Video, 24 Minuten).

4. “Wie schlimm ist Wissenschafts-PR im Journalismus-Pelz?”
(wissenskueche.de, Brynja Adam-Radmanic)
Brynja Adam-Radmanic stellt Wissenschafts-PR und Journalismus einander gegenüber und zieht folgendes Fazit: “Im Kerngebiet des Erklärens von wissenschaftlichen Inhalten und Methoden liefern Pressemitteilungen oft hochwertige Information. In allen Gebieten, die darüber hinaus gehen, kann und darf Wissenschafts-PR den Journalismus aber niemals ersetzen.”

5. “EXPOSING ONLINE FAKES AND FRAUDS OF THE CRYPTOZOOLOGICAL KIND – A SHUKERNATURE TOP TEN LISTING”
(karlshuker.blogspot.de, englisch)
Zoologe Karl Shuker überprüft die Herkunft und den Wahrheitsgehalt von Bildern, die ungewöhnliche Tiere zeigen, so eine Eule in Regenbogenfarben oder eine siebenköpfige Kobra.

6. “Neue Narrative”
(friedemannkarig.de)
Friedemann Karig erinnert an die Haltung der Bevölkerung in der Überwachungsdebatte: “40% der Deutschen finden staatliche Überwachung explizit gut. Nur 47% fühlen sich dadurch eingeschränkt. 48% haben ‘nichts zu verbergen’. 76% sehen keine ‘persönlichen Nachteile’ darin. Unter den 13 wichtigsten politischen Problemen taucht Überwachung nicht auf.” Und fragt: “Was ist die große, wirkmächtige Killer-Geschichte, die wir gegen Überwachung erzählen müssen?”

Für immer hässlich

Mit einer “unglaublichen” Geschichte wartet heute das Österreichische Boulevardblatt “Heute” auf:

Kids zu hässlich: Mann klagt Ehefrau. Über diese Geschichte staunt die Internet-Community: Der Chinese Jian Feng zeigte seine Gattin wegen Ehebruchs an. Der Grund: Seine Kinder seien hässlich, er und seine Ehefrau aber schön. Doch ein DNA-Test bestätigte Feng als Papa! Die Frau gestand: Sie hatte sich für über 100.000 Euro operieren lassen - die Kinder schauen aus wie sie vor der OP. Nun klagt Feng wegen Betrugs. Die Gattin hätte ihm das alles sagen müssen. Unglaublich - aber wahr?

Journalisten hätten ihre Leser vielleicht nicht unbedingt mit dieser Frage allein gelassen, sondern hätten vielleicht wenigstens den Namen “Jian Feng” bei Google eingegeben — und dann vielleicht so etwas gefunden:

Sie hätten festgestellt, dass die Geschichte schon seit fast zehn Jahren durch “die Internet-Community” geht und zuletzt im vergangenen November wiedergekäut wurde; dass – wenn irgendetwas Wahres an der Geschichte dran wäre – Jian Feng nicht “nun” klagen würde, sondern angeblich bereits 100.000 Euro zugesprochen bekommen hat; dass das Foto, das sie verwenden, offenbar das Werbemotiv eines Schönheitschirurgen ist. Und sie wären unter Umständen auf unseren Eintrag vom November 2012 gestoßen, in dem wir schon mal erklärt haben, warum die Geschichte von Jian Feng nicht stimmen kann.

Über diese Geschichte staunt die Internet-Community.

Mit Dank an Tobias S.

Feuilleton, Sascha Lobo, Silvestershows

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Best of Feuilleton 2013”
(umblaetterer.de)
Zum neunten Mal kürt “Der Umblätterer” die “10 angeblich™ besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres” (Vorwort dazu). Gekürt wurden Texte von Özlem Gezer, Andreas Puff-Trojan, Sascha Lobo, Wilfried Stroh, Simone Meier, Claudius Seidl, Liane Bednarz, Margarethe Mark, Peter Unfried und Joachim Lottmann.

2. “Fang den Pudding”
(ueberschaubarerelevanz.wordpress.com)
Muriel beschäftigt sich mit dem Artikel “Die digitale Kränkung des Menschen” (faz.net, Sascha Lobo): “Ich kaufe es ihm nicht ab, aber vielleicht ist es für Lobo ja wirklich so, dass er dachte, das Internet wäre getrennt von der restlichen Welt, und deshalb gäbe es da weder Regierungen noch Konzerne, und alle würden einträchtig an seiner Utopie basteln, doch zumindest für alle anderen dürfte klar gewesen sein, dass die Welt sich nicht von selbst verändert, weil es ein neues Kommunikationsmittel gibt.”

3. “Freiheit, die wir meinen”
(tagesspiegel.de, Claudia von Salzen)
“Dramatische Folgen” hätte die Vorratsdatenspeicherung für den Journalismus, schreibt Claudia von Salzen: “Welcher Informant würde sich noch einem Journalisten anvertrauen, wenn jeder Telefonanruf, jede E-Mail zu ihm zurückverfolgt werden kann? Das vertrauliche Gespräch wäre nur noch unter vier Augen möglich. Eigentlich müssten sich über diese Pläne viel mehr Journalisten empören.”

4. “Plasberg: ‘Diskussionen mit offenem Visier'”
(meedia.de, Marvin Schade)
Die ARD-Talkshow “hart aber fair” will zukünftig keine Kommentare von Pseudonymen zitieren. Frank Plasberg: “Mir ist klar, dass wir auch in Zukunft nicht kontrollieren können, ob der Beitrag-Schreiber Albert Schweitzer auch tatsächlich so heißt. Wenn ich aber Namen wie A.Donis oder Zuckerschnute28 lese, dann ist klar, da will jemand ganz offen sagen: Meine starke Meinung hört Ihr euch gefälligst an, meine Name geht euch aber nichts an.”

5. “Die Silvestershow als solche”
(fernsehkritik.tv, Video, etwa 10 Minuten)
Ein Blick auf damalige und heutige Silvestershows im Fernsehen sowie auf die nachgestellten Lokalversionen des Sketchs “Dinner for one” einiger Dritter Programme.

6. “Was interessiert mich mein …”
(stigma-videospiele.de, Rey Alp)
Digitale Spiele können Menschen glücklicher machen, titelt der “Spiegel” in seiner aktuellen Ausgabe, was Rey Alp an ältere Ausgaben erinnert: “(…) diese Mischung aus Narzissmus und Blasiertheit, mit der dieser Teaser auf die ‘Vorurteile’ eingeht, ist einfach unerträglich”.

Ich-Kolumnen, WamS vs. FAS, Frauke Ludowig

6 vor 9

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1. “In eigener Sache: rap.de-Chef in der Bild-Zeitung”
(rap.de, Oliver Marquart)
Oliver Marquart erklärt, warum er zugestimmt hat, dass Aussagen von ihm für einen “Bild”-Artikel verwendet werden dürfen. “Weil ich wenigstens den Versuch antreten wollte, eine Stimme der Vernunft in den Artikel miteinfließen zu lassen. Ich wollte unsere Kultur, Rap, HipHop, lieber offensiv gegen Angriffe von außen verteidigen anstatt den Kopf in den Sand zu stecken und mir zu sagen, das wird eh nichts.”

2. “‘Müde? – Ja, vielleicht verdammt!'”
(jungejournalisten.ch, Luzia Tschirky und Elia Blülle)
Mittels einer Umfrage bei den eigenen Mitgliedern (Ergebnisse) überprüft der Verband Junge Journalisten Schweiz Aussagen der abtretenden Direktorin der Journalistenschule MAZ, Sylvia Egli von Matt, in einem NZZ-Interview.

3. “Setze auf mehrere Produktlinien”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Constantin Seibt beschäftigt sich mit “Magazinjournalisten, die sich mit Ich-Kolumnen über Jahrzehnte” durchwursteln.

4. “fiene & die sonntagsfrage (wams vs. fas reloaded)”
(mywebwork.de, Daniel Fiene)
Daniel Fiene stellt die gestrigen Ausgaben von “Welt am Sonntag” und “Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung” einander gegenüber.

5. “Von Wunstorf auf den Boulevard: Frauke Ludowig wird 50”
(abendblatt.de, Laura Gitschier)
Frauke Ludowig wird 50: “‘Da ist schon eine gewisse Macht, und die braucht man natürlich auch, um Dinge zu bewegen, die man am Ende ja auch verantworten muss’, sagt Ludowig im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Wichtig sei es, dass man diese Macht nie überschätze und in keinem Fall missbrauche.”

6. “Zugespitzt”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)

Royal Air Farce

SCHOCK FÜR DIE ROYALS - Hubschrauber-Turbulenzen! Charles und Camilla in Gefahr

So berichteten gestern diverse Medien unter Berufung auf die dpa und eine britische Nachrichtenagentur.

Zusammengefasst ist Folgendes passiert: Charles und Camilla waren im vergangenen Mai auf dem Weg zu einem Kulturfestival, als es plötzlich technische Probleme gab und der Hubschrauber vorzeitig landen musste. Das war’s. Der Pilot musste nicht “Mayday” funken, es ist keinem was passiert. (Charles und Camilla waren übrigens tatsächlich mit an Bord, was bei solchen Meldungen ja keine Selbstverständlichkeit ist.)

Mit Sicherheit falsch ist aber, dass die Sache erst jetzt, acht Monate später, an die Öffentlichkeit gekommen sei, wie Express.de und Bild.de behaupten. Zwar ist erst gestern das Gutachten der britischen Verkehrsbehörde “AAIB” erschienen (PDF, S. 32), die das Geschehen untersucht hat, doch bekannt ist die Notlandung schon seit Mai.

Bereits kurz nach dem Zwischenfall hatten sowohl britische als auch deutsche Medien darüber berichtet — wenn auch zum Teil mit etwas, sagen wir, großzügiger Auslegung der Tatsachen:

DIE QUEEN UNTER SCHOCK - Charles & Camilla - Nur knapp entkamen sie der TODES-HÖLLE!

Schumacher, Hitzlsperger, Klobürste

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Bitte lassen Sie unsere Familie in Ruhe’: So reagieren deutsche Medien auf Corinna Schumachers Appell”
(horizont.net, Ingo Rentz)
Nach dem Appell Corinna Schumachers an die Medien die Klinik und ihre Familie in Ruhe zu lassen, hat sich Horizont bei verschiedenen Medien umgehört. Einhellige Auffassung: Es gibt eigentlich gar kein Problem: “‘Selbstverständlich respektieren wir den Wunsch von Corinna Schumacher’, erklärt auch ‘Bild’-Sportchef Walter M. Straten. Gleichwohl will das Vor-Ort-Team der Zeitung, das nach Angaben von Axel Springer derzeit aus einem Text-Reporter und einem Fotografen besteht, selbst entscheiden, ‘ob und wann sie die für alle zugängliche Lobby der Klinik betreten’, wie eine Unternehmenssprecherin erläutert.” Die taz nimmt in ihrem Hausblog Stellung.

2. “Nach dem Hitzlsperger-Hype: Versuch einer self-destroying prophecy”
(vocer.org, Johannes Kram)
Nach der fast ausschließlich positiven Resonanz kurz nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsperger, versucht Johannes Kram die Gegenreaktion vorwegzunehmen: “Mut hat etwas mit Risiko zu tun. Doch ein solches Risiko hat es nicht gegeben. Im Gegenteil. Jeder Journalist, der etwas anderes als ‘super’ geschrieben hätte, wäre medial gesteinigt worden.” Damit hat er den Tonfall getroffen, den der Chefredakteur des “kicker” und Jasper Von Altenbockum auf faz.net anschlagen.

3. “Ein Ritterschlag für Quacksalber”
(faz.net, Martina Lenzen-Schulte)
Hersteller homöopathischer Mittel bekommen Rückenwind durch klinische Studien. Das liegt an der Natur der Studien: “Randomisiert-kontrollierte Studien sind zwar das methodisch Beste, was klinische Prüfverfahren zu bieten haben. Sie sind indes fehleranfällig und als Methode nicht davor gefeit, Ergebnisse zu produzieren, die auch dort Wirksamkeit attestieren, wo vielleicht keine ist.” Vor kurzem erläuterte Christoph Drösser ein ähnliches Problem bei der Berichterstattung über statistische signifikante Ergebnisse von Studien.

4. “Wieso? Weshalb? Darum!”
(taz.de, Anna Klöpper)
Die Nachrichtensendung des ZDF “logo!” wird 25 Jahre alt. “Bliebe bei all der Jubiläumstrunkenheit schließlich die Frage: Warum ist man eigentlich nach einem Vierteljahrhundert Lob, Ehr und Preis (darunter der Deutsche Fernsehpreis 2010 in der Kategorie Information) immer noch alleine auf dem Kindernachrichtenmarkt, der mangels Wettbewerber gar keiner ist?” SuperRTL winkt ab.

5. “Schwarzer Block und weiße Bürste”
(zapp.blog.ndr.de, Fiete Stegers)
Ein Haushaltsartikel wird zum vermeintlichen Widerstandssymbol: “‘Hatte hinter mir im Budni schon wieder 6 Jungs mit Klobürsten’, schreibt ein User. Angeblich seien sie in anderen Supermärkten des Viertels schon vergriffen. Ein Blog erklärt die Klobürste bereits ‘zum Symbol des Widerstands gegen das Gefahrengebiet’.”

6. “Wie Sky Home die TV-Konkurrenz auf Abstand hält”
(wuv.de, Petra Schwegler)
Während sich die Berichterstattung über gewölbte Bildschirme auf der CES trotz Ideenlosigkeit der Hersteller überschlägt, zeigt Pay-TV-Anbieter Sky wo die Reise hingeht: Dessn Kunden bekommen automatisch eine elektronische Programmzeitschrift angezeigt, die alle anderen Sender ausspart.

Coming-Out, Gehörlose, Liveticker

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Solange wir uns outen müssen, sind wir nicht frei.”
(spektrallinie.de, Jan Schnorrenberg)
Das Coming-Out des Ex-Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger in der Wochenzeitung “Die Zeit”, erntet viel medialen Respekt. Doch das Problem ist nicht beseitigt — in einer Petition fürchten 60000 Zeichner eine “Ideologie des Regenbogens” an baden-württembergischen Schulen. Jan Schnorrenberger kommentiert: “Jedes Outing fordert die Annahme, homosexuelle Menschen seien anders, heraus. Denn Sichtbarkeit, und eben auch nach außen getragenes Selbstbewusstsein gibt uns ein Stück Deutungshoheit über uns zurück.”

2. “Türke sein is schlimmer in Deutschland dank mal nach”:
(mishaanouk.com, Misha Anouk)
Nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsperger findet Misha Anouk auf der Facebook-Seite der “Bild” nur wenige homophobe Kommentare. Als dann aber ein Kommentator mit türkischem Namen Hassbotschaften verbreitet, ist die zivilisatorische Decke abgetragen und einige Facebook-Nutzer antworten mit zutiefst rassistischen Kommentaren.

3. “Hut ab vor diesen Kindern!’ – Gegendarstellung zu einem UNMÖGLICHEN Artikel”
(taubenschlag.de)
Die “Bild der Frau” wollte eine Geschichte veröffentlichen über eine Familie mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern. Mathias Schäfer willigt ein, ist vom Ergebnis aber entsetzt, da die Zeitschrift den Eindruck vermittelt, die Eltern seien von ihren Kindern abhängig. “Wir als Eltern tragen die ganze Zeit die Verantwortung für unsere Kinder, bis sie volljährig sind oder selbstständig ein Leben führen können. Wenn die Kinder früh Verantwortung für ihre Eltern tragen müssten, dann wäre das nach deutschem Recht ein Fall für das Jugendamt, wegen der möglichen Kindeswohlgefährdung.”

4. “Ihr wollt es doch auch”
(taz.de, Jürn Kruse)
Der taz-Medienredakteur widmet sich der Frage, warum so viele Medien in atemlosen Livetickern auch nach dem Appell seiner Frau immer weiter über Schumacher berichten. “Es geht häufig nicht um neue Nachrichten, sondern darum, den Zuschauern zu vermitteln: ‘Wir sind da, wenn etwas passiert. Bei uns verpasst ihr nichts.’ Auch wenn das natürlich Quatsch ist, eben weil nichts passiert.”

5. “Journalisten im Fokus der Salafisten oder Salafisten im Fokus des Journalismus?”
(vocer.org, Christof Voigt)
Der Reporter Christof Voigt berichtet von seinen Erfahrungen im Kontakt mit Salafisten, über die er für den WDR berichtete: “Während des gesamten “Dialogs” sind mein Kameramann und ich von Menschen umringt, sie halten mir Handys ins Gesicht, filmen und fotografieren, wollen ganz offensichtlich einschüchtern.”

6. “Wunschlisten, Wunschdenken und die Wirklichkeit”
(zeit.de, Kathrin Passig)
Der Unterschied zwischen vorgeblichen Vorlieben und tatsächlichem Verhalten wird durch Plattformen wie Goodreads, Netflix und OkCupid immer besser erfasst. “Die Haushalte sind voll mit Staub ansetzenden Brotbackmaschinen, Keimzuchttöpfen, Saftpressen, Fonduesets und Hometrainern, die davon erzählen, was man bestimmt schon bald für ein durchtrainierter, gesunder und gastfreundlicher Mensch sein wird.” Trotzdem hält Kathrin Passig die ambitionierten Pläne nicht für falsch.

Bild.de  etc.

Corinna Schumacher an der Kliniktür

Vermutlich sind viele der Medienmenschen, die auch am zehnten Tag nach dem Ski-Unfall von Michael Schumacher immer noch vor dessen Krankenhaus rumlungern oder in ihren Redaktionen darauf warten, den nächsten Gerüchtefetzen in einem Twitter- und Ticker-Spektakel abzufeiern, der Auffassung, einfach nur ihren Job zu machen. Dass sie nur ihren Job machen, wenn sie auf ihrer Jagd nach Was-auch-immer die Klinik-Abläufe stören, wenn sie jede Bewegung am Krankenhaus-Eingang mit Blitzlichtgewitter quittieren, die Angehörigen unter ihren Mikrofonen begraben und permanent neue Prognosen und Diagnosen in die Welt setzen, von denen sie irgendwo gehört haben wollen.

Vielleicht tun sie das, vielleicht machen sie nur ihren Job. Fraglich ist nur, ob der noch so viel mit Journalismus zu tun hat, wenn der Deutsche Journalisten-Verband “die Kolleginnen und Kollegen” zur Zurückhaltung aufrufen muss; wenn die Klinik “eindringlich” darum bitten muss, “das Arztgeheimnis zu respektieren und sich ausschließlich an die Informationen des zuständigen Ärzteteams oder Managements zu halten”. Und wenn Corinna Schumacher die Medien regelrecht anflehen muss, sie doch endlich in Ruhe zu lassen.

Wie auch immer man es nennen soll, was die Medien da gerade veranstalten, die Leute von Bild.de sind auf jeden Fall mit Vollgas mittendrin. Natürlich.

Den Appell von Corinna Schumacher (“Verlassen Sie die Klinik”) haben sie gestern zynischerweise in ihrem Schumacher-Live-Ticker veröffentlicht — dort, wo in den vergangenen Tagen neben Spekulationen, Gerüchten und der Feststellung, dass es “keine Neuigkeiten” gebe, vor allem solche Meldungen präsentiert wurden:

11.14 Uhr - Corinna-Ankunft am Krankenhaus - Auch am Donnerstag wacht Corinna wieder am Bett von Michael Schumacher. Die Ehefrau kam morgens am Klinikum in Grenoble an.

18.20 Uhr - Ralf Schumacher zurück im Krankenhaus - Ralf Schumacher ist nach Grenoble zurückgekehrt. Ralf wacht am Bett seines Bruders, ist bei ihm.

21.54 Uhr - Ralf Schumacher verlässt die Klinik - Ralf Schumacher hat die Klinik in Grenoble nach seinem Besuch wieder verlassen. Michaels Bruder wirkt mitgenommen.

21.57 Uhr - Corinna an der Kliniktür - Corinna Schumacher hat die Klinik in Grenoble verlassen. An ihrer Seite: Jean Todt (r.).

09.46 Uhr - Ralf und Rolf Schumacher wieder in der Klinik - Schumi kann auch an seinem Geburtstag auf seine Liebsten zählen. Vater Rolf und Bruder Ralf bei ihrer Ankunft im Krankenhaus in Grenoble.

10.02 Uhr - Auch Corinna Schumacher ist in der Klinik eingetroffen

13.42 Uhr - Bruder Ralf verlässt die Klinik - Mit bedrückter Miene verlässt Ralf Schumacher die Klinik in Grenoble, steigt kurze Zeit später in ein Auto. Er bangt weiter um seinen Bruder Michael Schumacher, der seit Sonntag im künstlichen Koma liegt.

11.03 Uhr - Corinna Schumacher kommt an Klinik an - Schumis Ehefrau Corinna ist um 9.49 Uhr wieder an der Uni-Klinik in Grenoble angekommen, wird ihrem Mann auch heute beistehen.

15.23 Uhr - Papa Rolf bringt Pizza - Schumis Vater Rolf kümmert sich um die Familie: Um 15.04 Uhr bringt er neun Pizzas zu den Wartenden in die Klinik.

18.50 Uhr - Corinna verlässt die Klinik - Auch heute war Corinna wieder den ganzen Tag bei ihrem Michael. Am Abend verlässt sie die Klinik wieder.

12.44 Uhr - Vater und Bruder in der Klinik - Um 9.46 Uhr treffen Ralf und Rolf Schumacher in der Klinik von Grenoble an. Wie die letzten Tage auch, werden sie an Schumis Seite sein.

18.50 Uhr - Corinna verlässt die Klinik - Corinna Schumacher verlässt um 18.18 Uhr die Klinik in Grenoble. Auch heute war sie wieder bei ihrem Michael.

Die gestrige “Corinna an der Kliniktür”-Meldung ist allerdings ausgeblieben. Auch heute gibt es bisher keine Fotos von fliehenden Angehörigen.

Gestern Abend hat die Klinik ein Absperrgitter aufgebaut.

Mit Dank auch an Patrik.

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