Archiv für September 13th, 2012

Bild  

Unfassbar! (2)

Wir wissen nicht, was “Bild”-Redakteure an der Stelle, an der bei anderen Menschen ein Herz schlägt, tragen — vielleicht ein Stück Kohle, vielleicht aber auch irgendein spezielles Organ, das ihnen hilft Empörung zu heucheln, wie heute auf Seite 3:

 Unfassbar! Hartz-IV-Empfängerin kippt Wasserflaschen aus... ... die sie für ihre Essens-Bons bekommen hat, um vom Pfand Alkohol und Zigaretten zu kaufen

Reporter Nils Mertens (Steuerzahler) ist empört:

Dieses Foto empört jeden Steuerzahler! BILD erzählt die Geschichte dazu:

Kurz bevor ein BILD-Leser das Foto machte, holte sich die obdachlose Frau beim Jobcenter Lebensmittelgutscheine ab.

Laut “Bild” bekommt die Frau dafür jedoch weder Tabak noch Alkohol und wendet daher einen Trick an:

Mit den Bons kauft sie 113 Flaschen Mineralwasser (je 19 Cent plus 25 Cent Pfand). In einem Einkaufswagen schiebt sie die Flaschen nach draußen – und schüttet den Inhalt in den Rinnstein.
Mit den leeren Flaschen kehrt sie in den Supermarkt zurück um sich das Pfand (28,25 Euro) in bar abzuholen. Mit dem Geld will sie Alkohol und Zigaretten kaufen. Doch der Filialleiter schickt sie samt Flaschen weg, erteilt Hausverbot.

Wegen sage und schreibe 50 Euro (!) zieht “Bild” also auf einer dreiviertel Seite über eine Person her, die wohl zu den Ärmsten der Armen gehört, zeigt ein Foto der Dame, auf dem sie klar zu identifizieren ist, und stellt sie dann auch noch in Blockwartmanier zur Rede:

BILD fand die Sozialhilfeempfängerin, stellte sie zur Rede: “Ich lebe seit drei Jahren auf der Straße”, sagt Kerstin S. (43), die mit ihren beiden Hunden Chicco (18) und Berry (10) unterwegs ist. “In meinem Leben ist wohl einiges schiefgegangen. Ich habe mich ans Jobcenter gewendet, weil ich mein Portemonnaie verloren hatte.”

Selbst den Kommentatoren auf Bild.de war das zu viel. Während manch einer auf die Dreistigkeit von Kerstin S. schimpft, finden sich auch überraschend viele Kommentare, die in etwa diesen Tenor haben:

“BILD fand die Sozialhilfeempfängerin, stellte sie zur Rede: ”
Das ist wohl kaum die Aufgabe einer Boulevardzeitung… also manchmal nimmt sich diese Zeitung etwas zu viel raus.

Immer auf die kleinsten, Gratuliere Bild.de.

Keine Angst liebe BILD Leser, diese Gutscheine bekommt man nicht
geschenkt! Sie werden vom nächsten ALG abgezogen!!
Alles nur die übliche primitive Hetze gegen Arbeitslose! Statt Solidarität
wird die Bevölkerung absichtlich gegeneinander ausgespielt!!
BILD ist natürlich ganz vorne dabei!!

Woher weiß Bild das alles so genau? Ist wieder etwas vorgesehen wofür man die Bürger gegen Hartz IV Opfer aufbringen muss?
Im Übrigen sind auch Hartz IV Opfer Steuerzahler. Oder sind diese z. B. von der MwSt. ausgenommen?

Ich frage mich was die BILD mit diesem Artikel bezweckt. Soll hier etwas Hass geschürt werden?

Wie moralisch verkommen muss man eigentlich sein, um sich über solch eine arme Seele und eine vermeindliche ‘Zweckentfremdung’ von knapp 50,- Euro zu empören zu können, derweil man die größten Abzocker, Steuerhinterzieher und windigen Geschäftemacher hoch in den grünen Klee schreibt? Weshalb hat sich BILD nicht einfach den Platz für diesen Beitrag gespart und statt dessen für eine Werbeanzeige genutzt, deren Erlös man hätte der armen Frau spenden können? Darüber hätten sie dann berichten können. Aber so: Pfui! Sich derart am Leid anderer zu weiden ist einfach nur schäbig.

Sich derart am Leid anderer zu weiden, mag schäbig sein, aber es ist sicherlich einträglicher als das Entleeren von Wasserflaschen.

Mit Dank an Claudia D.

Olé, wir fahr’n in Puff nach Berlin

Am 17. August war es im Berliner Vergnügungslokal “Artemis” zu einer Schießerei gekommen. Jetzt wurde ein Tatverdächtiger verhaftet.

Der Bericht dazu in der Berliner “Bild”-Ausgabe sieht so aus:

Festnahme nach Schüssen im Saunaclub "Artemis". Wilmersdorf - Vier "Artemis"-Gäste hatten sich nach Zahlungs-Streitigkeiten den Weg nach draußen freigeschossen. Drei Sicherheitskräfte wurden verletzt. Das war am 17. August. Gestern wurde ein Tatverdächtiger (36, aus Russland) an der Kastanienallee (Prenzlauer Berg) festgenommen.

Bei Bild.de ist er ein bisschen länger: Der Leser erfährt, dass die “B.Z.” gemeldet hatte, Spezialkräfte des Landeskriminalamtes hätten den Tatverdächtigen “aus seiner Wohnung im Stadtteil Prenzlauer Berg” geholt, dass sich der Mann “zusammen mit drei anderen Männern” am 17. August “in dem bekannten Etablissement mit den Liebesdamen vergnügt” habe, dass er sich über den zu hohen Preis beschwert und mit einer umgebauten Schreckschusspistole auf den Wachdienst geschossen habe, dass drei Sicherheitsleute ins Krankenhaus mussten.

Der Text geht weiter:

Der Club liegt am Autobahndreieck Funkturm der A100 in Berlin. Auf 4000 Quadratmeter gibt es hier “erotische Wellness pur”. Benannt nach der griechischen Göttin der Jagd verwöhnen pro Schicht rund 60 Mädchen ihre Freier.

Hier gibt es feste Regeln: Eintritt 80 Euro, wer betrunken ist, darf nicht rein. Im Club selbst dürfen maximal drei alkoholische Getränke (Whisky oder Wodka) verzehrt werden – ausgenommen Champagner. Nicht-alkoholische Getränke sind im Preis enthalten.

Der Besucher sollte duschen, bekommt einen Bademantel – und kann sich dann ins Vergnügen stürzen: Es gibt zwei Kinos, einen Pool, Sauna und Haman, Tanz-Shows an der Stange und Table-Dance. Außerdem Frühstück- und Abendbüffets.

Das “Artemis” hat 361 Tage im Jahr geöffnet, von 11 Uhr bis 5 Uhr morgens, nur am 24., 25. und 31. Dezember, sowie am 1. Januar ist es geschlossen.

Für den Satz “Reservierung unter … , Kreditkartenzahlung möglich” war dann offenbar kein Platz mehr.

Mit Dank an Volker K.

Branchenklick, Neonazistinnen, Einhornkacke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Helden oder Opfer – Behinderten-Klischees”
(ndr.de, Video, 5:04 Minuten)
Sat.1 gibt auf Anfrage bekannt, die Sendung “Die große Welt der kleinen Menschen” sei in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Kleinwüchsige Menschen entstanden – doch dort weiß man nichts von einer Zusammenarbeit. Siehe dazu auch “Die komische Welt von Sat.1. Oder: Kleine Menschen, große Scheiße” (leidmedien.de, Ninia LaGrande).

2. “Als Burda mal einen Kopierer verkaufte”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz kommentiert “die Beseitigung eines Interessenskonflikts”, den Verkauf von Nachrichten.de durch die Hubert Burda Media: “So wahnsinnig vielfältig und leistungsfähig und damit für den Informationsfluss im Netz unverzichtbar, wie die Befürworter der geschützten Leistung gerne sagen, sind die Verlage womöglich gar nicht. Im Fall iPhone 5 jedenfalls haben weite Teile der deutschen Verlagslandschaft im Wesentlichen eine Leistung erbracht, die aus dem fehlerfreien Kopieren einer Meldung in ein CMS besteht. Und mal weitergedacht – und Google hätte all diese hübschen Meldung nicht indexiert: Was genau bitte würde uns fehlen?”

3. “82.000-Euro-Klage wegen Blog-Post”
(blog.limesoda.at, Philipp Pfaller)
Philipp Pfaller gewinnt einen Rechtsstreit gegen die Branchenklick GmbH: “Ich als Beklagter hatte eigentlich nichts zu gewinnen. Im nun eingetretenen besten Ausgang musste ich nichts zahlen. Trotzdem bin ich stolz, wenigstens einen kritischen Artikel vor der Löschung bewahrt und damit vielleicht einen Präzedenzfall für mutige BloggerInnen geschaffen zu haben.”

4. “Wenn der Hitlergruß zu sehen ist, gehen unsere Filme am besten weg”
(planet-interview.de, Natascha Mahle)
Andrea Röpke, freie Journalistin mit Schwerpunkt Rechtsextremismus, im Interview: “Ja, in den Medien und auch der breiten Öffentlichkeit wird immer davon ausgegangen, dass Frauen in die Szene nur reinrutschen, weil sie die Freundin eines Rechten sind und sie auch fast nichts über dessen Ansichten wissen. Es fällt uns schwer, einzugestehen, dass Frauen fanatisch sein können, dass sie die Strategien der Nazis ganz bewusst mittragen und mit dieser Einstellung sogar in sensiblen Bereichen wie Schulen und Kindergärten arbeiten. Unter dem Deckmantel der lieben, weichen, sozialen Frau, den die Öffentlichkeit bereitwillig gibt, breiten sich die Neonazistinnen ungeniert aus.”

5. “Erkennen Sie die Erkennungs-Melodie?”
(stefan-niggemeier.de)
Während das Redesign des Tagesschau-Intros durch eine falsche “Bild”-Titelgeschichte (“ARD entsorgt tagesschau-Melodie”, BILDblog berichtete) in den Medien großes Echo hervorrief, blieb die letzte grundsätzliche Änderung der Melodie weitgehend unbemerkt.

6. “Einhornkacke”
(volkerstruebing.wordpress.com)
Volker Strübing hat eine Schreibblockade: “Ich öffne Textverarbeitung oder Notizbuch und, schwupps, laufen tausend Männchen durch meinen Kopf und brüllen durcheinander.”