Archiv für September 5th, 2012

Mit Hehlerei kennt Ralph Grosse-Bley sich aus

Heute auf Facebook: Ralph Grosse-Bley, Chefredakteur der Schweizer Boulevardzeitung “Blick”, ist stolz:

Raufende Chinesen, die den Kapitän von Flug LX 196 Zürich–Peking zur Umkehr zwingen: Das BLICK-Exklusiv-Video, das den älteren der beiden Chinesen leicht verletzt und schwer betrunken an Bord des Airbus A340 zeigt, war gestern der absolute Renner auf Blick.ch (siehe hier: http://bit.ly/TeVxG9)

Die Mini-DV-Kassette mit den Filmaufnahmen hatten BLICK-Reporter im Rahmen unfangreicher Recherchen am Montag von einem Schweizer erhalten, der mit an Bord war.

Gut, “der absolute Renner” dürfte das Video gewesen sein, weil die Leser unter der Überschrift “Schlägerei im Swiss-Airbus: Was wirklich geschah — Passagier filmte Chinesen, Augenzeugin spricht” vermutlich ein Video von einer ordentlichen Schlägerei erwartet hatten und nicht eines von Menschen, die nach einer Schlägerei (oder wonach auch immer, das geht aus dem Video nicht hervor) irgendwo rumstehen.

Aber darum soll es hier nicht gehen.

Ralph Grosse-Bley ist nämlich auch empört:

Im Lauf des Dienstags tauchte das Video dann auch auf der Website von 20 Minuten auf – mit einem Quellenhinweis auf eine zweifelhafte britische Website.

Wie geht das? Diese Website funktioniert ähnlich wie Youtube: Jeder kann aufschalten, was er will, zum Beispiel auch, was er gerade irgendwo im Internet geklaut hat. Etwa das exklusive BLICK-Video aus dem Swiss-Airbus.

Die Macher von “20 minuten.ch” finden das geklaute Video rein zufällig auf der britischen Website – und schon ist es bei ihnen online, mit Hinweis auf die zweifelhafte Website. Natürlich wissen sie, woher das Video in Wahrheit stammt, aber das spielt keine Rolle in der Online-ist-allesgratis-Philosophie.

Es sind Hehler, keine Journalisten. Hehler machen Geschäfte mit geklauter Ware. Journalisten recherchieren selbst.

Ja, diese verdammte Online-ist-allesgratis-Philosophie. Da kann Ralph Grosse-Bley sicherlich so einiges drüber berichten.

Zum Beispiel die Geschichte von Charley, dem Küken:

Youtube-Hit: Küken Charley geht mit seinem Besitzer joggen. Das Enten-Küken Charley begleitet seinen Besitzer auf Schritt und Tritt. Sogar beim Joggen ist es dabei. Das Video ist vom April 2010, wurde aber erst jetzt zum Youtube-Hit.

Das Video wurde zum YouTube-Hit und die Journalisten von blick.ch haben es offensichtlich bei YouTube heruntergeladen, mit ihrem Logo versehen und auf dem eigenen Server hochgeladen.

Oder dieses Video von einem Torwart-Tor aus der 2. Schweizer Liga:

Sonntagsschuss in der 2. Liga: Das Goalie-Goal des Jahres kommt aus der Schweiz. Gelegentlich lohnt es sich, auch einen Sonntagsausflug in die unteren Fussball-Ligen der Schweiz zu machen.

Das ist ist “ein Hit” auf YouTube, “hat schon über 140’000 Klicks eingeheimst” — und läuft jetzt mit der Originalmusik und dem Logo von footmag.ch, nur ergänzt um das Logo von blick.ch auf blick.ch.

Oder der betrunkene russische Baggerfahrer:

Russland: Betrunkener Baggerfahrer rammt 7 Autos. Etwas zu tief ins Glas geschaut hat dieser Baggerfahrer in Russland. Und das wird ihn wohl teuer zu stehen kommen.

Montag auf YouTube, heute bei blick.ch.

Oder dieser Beinahe-Unfall, bei dem offenbar sogar egal ist, wo er stattfand:

Brilliantes Ausweichmanöver: Lastwagen verhindert Horror-Crash

Vorher schon im Internet zu sehen gewesen.

Oder, ganz aktuell, die Schülerin, die ihren Lehrer tritt:

Volltreffer: Schülerin wehrt sich gegen aggressiven Lehrer. Eine Schülerin wird vor versammelter Klasse von ihrem Lehrer beschimpft und beleidigt. Als er sie auch noch mit dem Finger stupst reicht es ihr. Sie tritt entschlossen zu - und trifft!

Das Video macht seit gestern auf LiveLeak und YouTube die Runde und ist heute schon bei blick.ch zu sehen.

Ja, dieses Internet. Jeder kann “aufschalten”, was er will, zum Beispiel auch, was er gerade irgendwo im Internet geklaut hat.

Mit Dank an André H.

Neue Presse, Talkshows, iPhones

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zu viel Boulevard?”
(journalist.de, Jan Söfjer)
“Mit anspruchsvollem Boulevard” will die “Neue Presse” in Hannover “Bild” Marktanteile abluchsen. “Die Neue Presse wurde grundlegend verändert: große Schlagzeilen, größere Bilder, eine zweite Seite mit Meinung und Analyse statt Auslandsnachrichten.”

2. “Drama, Scherben, Wunderheilung – Klischees der Behinderung in Film und Fernsehen”
(leidmedien.de, Laura Gehlhaar)
“In der bekanntesten Seifenoper Deutschlands Gute Zeiten, schlechte Zeiten ‘landet’ im Durchschnitt alle vier Jahre ein männlicher Schauspieler durch irgendwelche Unfälle im Rollstuhl. Blass geschminkt und mit hängender Visage wird dann der große Frust gespielt. Nach absehbarer Zeit erfolgt dann endlich die Wunderheilung. Der Leihrollstuhl kann zurückgegeben werden. Der Serienalltag kann weitergehen.”

3. “The Good, the Bad and the Ugly”
(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)
Roger Schawinski sieht in den meisten Talkshows heute “bloss eine weitere Form von Reality-Fernsehen, bei der inhaltlich massiv eingegriffen wird”. “Da komponieren grosse Redaktionen Sendungsabläufe, die scheinbar spontan entstehen. Zwar werden damit verblüffende Diskurse oder Abläufe verhindert. Aber das nimmt man locker in Kauf. Wichtiger ist, dass der Moderator alles im Griff hat und das Erkenntnis- und Klamaukniveau mithilfe der zusätzlichen Redaktionsstimme im Ohr subtil steuern kann.”

4. “Sex mit der Chefetage: Wie man professionell Artikel verkauft”
(blog.tagesanzeiger.ch/deadline, Constantin Seibt)
Constantin Seibt gibt Tipps, wie man als freier Journalist Artikel an Redaktionen verkauft. “So etwa herrscht in Wochenzeitungen gern am Montag Verzweiflung. Die Diensthabenden haben die Wochenendleere im Kopf und die halbleere Zeitung vor Augen. In Tageszeitungen sind der Freitag und der Montag die grossen Kaufrauschtage: Freitags müssen gleich zwei Nummern geplant werden, Samstag und Montag. Und am Montag herrscht dann Sorge und Ebbe.”

5. “WDR-Magazin Markt und @-yet GmbH stellen iPhone-Sicherheit in Frage”
(macnotes.de, Alexander Trust)
Alexander Trust zweifelt, dass neue iPhones so manipuliert werden können, wie das in einem Beitrag der WDR-Sendung “Markt” gezeigt wird. “Die Frage bleibt, ob der Journalist Reifferscheid und der WDR hier auf die ‘Plausibilitäts-Keule’ von @-yet hereingefallen sind, die ihnen auf Kosten der GEZ-Gebührenzahler – ich bin einer -, ein X für ein U vorgemacht haben.”

6. “Dear Websites”
(makeuseof.com, englisch)