Archiv für April, 2012

Die ultimative Chart-Show

Fast ein Jahr nach dem Tod von Osama Bin Laden hat das FBI den Terroristen von der berühmt-berüchtigten Liste der “Ten Most Wanted” genommen. Damit die zehn meistgesuchten Verbrecher wieder zehn sind, muss natürlich einer nachrücken: In diesem Fall der frühere Privatschullehrer und Zeltlager-Betreuer Eric Justin Toth, der wegen des Besitzes und der Produktion von Kinderpornographie gesucht wird.

Und weil Toth auf der Übersichtsseite an erster Stelle genannt wird, ist für Bild.de klar:

Nummer 1 auf der FBI-Fahndungsliste: Kinderschänder löst Bin Laden als "most wanted" ab.

Er nutzte seine Stellung als Lehrer schamlos aus und verging sich an den Wehrlosesten der Gesellschaft: Kinderschänder Eric Justin Toth (30) ist der meist gesuchte Verbrecher der USA. Das FBI hat den Lehrer knapp ein Jahr nach dem Tod von Osama bin Laden auf Platz 1 der Fahndungsliste gesetzt.

Und auch wenn diese zehn Namen und Gesichter natürlich eine willkommene Vorlage für eine zehnteilige Klickstrecke von “Nummer 1” bis “Nummer 10” abgeben, so hat Bild.de auf der Website des FBI ein winziges Detail übersehen:

Are members of the “Ten Most Wanted Fugitives” list ranked?

No.

Nein, die Mitglieder der Liste sind in keiner Rangfolge sortiert.

Eine kleine, inoffizielle Rangfolge könnte man natürlich dennoch ableiten: Die Belohnung für Victor Manuel Gerena, “Nummer 9” auf der Bild.de-Liste, ist mit einer Million US-Dollar angegeben, die von Toth und sieben weiteren Gesuchten jeweils mit 100.000. (James J. Bulger, die “Nummer 10”, ist bereits in Haft. Für ihn standen bis zu zwei Millionen Dollar Belohnung aus. Osama Bin Laden ist mit einer ausgeschriebenen Belohnung von 25 Millionen Dollar der inoffiziell “meist-meistgesuchte” Verbrecher in der Geschichte des FBI.)

Zwar haben das mit der Rangfolge auch einzelne amerikanische Medien falsch verstanden und die Formulierung von “Spiegel Online”, “Kinderporno-Produzent löst Bin Laden ab”, ist auch ein bisschen irreführend, aber so falsch wie bei Bild.de ist die Geschichte bei keinem deutschen Nachrichtenportal. Bisher.

Mit Dank an Matthias M.

Nachtrag, 23.20 Uhr: Bild.de hat sich korrigiert und dem Artikel folgende Erklärung hinzugefügt:

Korrektur: BILD.de hatte irrtümlich berichtet, Eric Justin Toth sei der meistgesuchte Verbrecher der USA und habe Osama bin Laden als Nummer 1 der Fahndungsliste abgelöst. Mehrere BILD.de-Leser haben zwischenzeitlich jedoch darauf hingewiesen, dass die Verbrecher auf der FBI-Fahndungsliste nicht nach einer bestimmten Rangfolge sortiert sind. Wir danken unseren Lesern für diesen Hinweis.

2. Nachtrag, 12. April: Die gedruckte “Bild” von heute macht die gleichen Fehler wie Bild.de gestern. Sie schreibt:

Ganz oben steht jetzt der Kinderporno-Produzent mit dem Milchgesicht.

Unter einem Foto von Toth steht:

Grundschullehrer Eric Justin Toth (30) ist die neue Nr. 1 auf der FBI-Fahndungs-Liste.

Ein Mann für jede Tonart

Am Samstag ist bei “Deutschland sucht den Superstar” der Kandidat Joey Heindle ausgeschieden, den “Bild” wegen seiner mangelnden stimmlichen Qualitäten seit Wochen begleitet und “Krächz-Joey” nennt — somit steht er endlich ganz der medialen Zweitverwertung zur Verfügung:

"Deutschland sucht den Superstar": Plattenvertrag für Krächz-Joey von "DSDS"

Und so soll das mit der “Karriere” weitergehen:

Musikproduzent Marco Delgardo (u. a. “Roxette”, “Shaggy”) will ihm einen Plattenvertrag geben!

“Joey hat gezeigt, dass er Ausdauer hat”, so Delgardo zu BILD. “Außerdem ist seine Krächzstimme ein Markenzeichen. So einen Wiedererkennungswert braucht man, um Erfolg zu haben.”

Und auch wenn kaum jemand sonst Marco Delgardo kennt — für “Bild” und Bild.de ist er kein Unbekannter:

  • Als die Jacob Sisters im Januar 2005 mit einem “Gedächtnis-Song” auf Rudolph Moshammer beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest antreten wollten (“Toter Mosi zum Grand-Prix”), äußerte sich Delgardo “zuversichtlich” in “Bild”: “So eine Wahnsinns-Show läßt sich die ARD bestimmt nicht entgehen.”
  • Als die Band Texas Lightning im März 2006 zum Eurovision Song Contest geschickt wurde, erhob “Musikproduzent Marco Delgardo (37, 183 Goldene, 54 Platin-Schallplatten)” in der Zeitung “schwere Vorwürfe” gegen die Musiker: Ihr Song “No No Never” sei “geklaut”. (Wenn überhaupt, dann nicht von ihm, aber was macht das schon?)
  • Im Februar 2010 war Delgardo zur Stelle, um “Deutschlands frechstem Arbeitslosen” Arno Dübel einen Plattenvertrag anzubieten. “Bild” zitierte ihn mit den Worten: “Mit uns kann Arno, ohne viel zu arbeiten, jede Menge Geld verdienen.”
  • Drei Monate später traten erneut die Jacob Sisters auf den Plan, die gemeinsam mit Marco Delgardo Arno Dübel beim Singen unterstützen sollten.
  • Kurz vor Weihnachten 2010 war “Bild” zur Stelle, als Dübel auf Mallorca von einer “deutschen Rentnerin” angegriffen wurde (“Sie brüllt ihn an: “Du Schwein verprasst hier mein Geld!” Dann tritt und schlägt sie zu!”) und Musikproduzent “Marco Delgardo (produzierte für ‘Savage Garden’ und ‘Roxette’)” Dübel trösten musste. Eine sich anbahnende Romanze zwischen Dübel und der “Kellnerin Katja” begleitete “Bild” in den nächsten Tagen bis zum tränenreichen Ende, stets kommentiert von seinem Produzenten und Manager Marco Delgardo.
  • Kurz darauf konnte “Bild” ein großes Joint Venture der beiden Delgardo-Spezialgebiete Song Contest und Arno Dübel verkünden: “Deutschlands frechster Arbeitsloser, Arno Dübel (54, seit 36 Jahren auf Stütze, ‘Wer arbeitet, ist doch dumm’), soll für Österreich in Düsseldorf beim Eurovision Song Contest antreten”. Es kam letztlich anders.
  • Als Arno Dübels Single “Ich bin doch lieb” im Januar 2011 Videopremiere feierte, fand die wenig überraschend auf Bild.de statt.
  • Nur eine Woche später beschäftigten Dübel und sein Manager plötzlich “sogar die Kanzlerin”, weil spanische Behörden sich angeblich über die Verwendung des Arbeitsamt-Logos auf Dübels Plattencover beschwert hatten. “Bild” zitierte Delgardo mit den Worten: “Offenbar eine plumpe Fälschung, mit der Arno Dübel und ich in Misskredit gebracht werden sollen.”
  • Im Juli 2011 verkündete Delgardo in “Bild”, dass er Arno Dübel “wegen andauernder Vertragsverletzung” verklage.
  • Einen Monat später versteigerte Delgardo die Rechte an der Marke “Arno Dübel” auf eBay, was “Bild” mit gleich drei Artikeln öffentlichkeitswirksam begleitete.
  • Und erst vor drei Wochen berichtete “Bild”, dass Delgardo nun “wie sein Schützling” von Hartz IV leben müsse, weil Dübel ihn in die Armut getrieben habe.

Obwohl Marco Delgardo nach eigenen Angaben “als Songwriter, Produzent und Künstler (No Face)” “rund 120 Millionen Tonträger” verkauft hat und “183 Gold- und 54 Platin-Auszeichnungen” erhielt, gibt es vergleichsweise wenige Informationen über sein Schaffen, die über das Zitieren der immer gleichen behaupteten Fakten und Künstler (Savage Garden, Roxette, Shaggy, Atomic Kitten) hinausgehen.*

Doch nichts davon hat andere Internetbefüllungsportale davon abgehalten, die “Bild”-Story vom Plattenvertrag für Joey Heindle unreflektiert weiter zu verbreiten. Neben diversen Klatschseiten sind darunter auch die österreichischen Plattformen news.at und oe24.at,
die “Augsburger Allgemeine” und “Focus Online”.

Bei “RP Online”, das so gerne Bild.de wäre, sind aus dem Angebot eines Plattenvertrags gleich knallharte Fakten geworden:

Wie die “Bild”-Zeitung berichtet, hat der 18-Jährige bereits einen Plattenvertrag in der Tasche.

* Nachtrag/Korrektur, 4. Februar 2013: Die wenigen Informationen, die sich zum Namen Marco Delgardo finden lassen, hängen offenbar damit zusammen, dass Delgardo viele seiner Arbeiten unter Pseudonym veröffentlicht hat.

Studiozuschauer, Breivik, Zuhause

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Bild’-Anzeige: ‘Pseudo-originelle Beschuldigung'”
(handelszeitung.ch, Christian Bütikofer)
Rechtsanwalt David Gibor zeigt “Bild”-Verantwortliche an. Zuvor hatten diese Strafanzeige gegen die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga eingereicht: “Die ‘Bild’-Verantwortlichen machen damit deutlich, dass sie nie davon ausgingen, dass Frau Sommaruga eine der angezeigten Straftaten begangen habe. Wer jedoch eine unschuldige Person bei einer Behörde absichtlich beschuldigt, begeht eine falsche Anschuldigung nach Schweizer Recht und eine falsche Verdächtigung nach deutschem Recht.”

2. “Dauergast im TV-Studio”
(tagesspiegel.de, Nik Afanasjew)
Schon rund 1500 Sendungen hat Steffen Bothe als Studiozuschauer miterlebt: “Als es ins Studio geht, erträgt Bothe den ihm zugewiesenen Platz in der letzten Reihe mit stoischer Ruhe. Stammzuschauer müssen oft nach hinten, damit im Fernsehen nicht immer die gleichen Menschen zu sehen sind.”

3. “Die Rudelmentalität der Medien”
(taz.de, Reinhard Wolff)
Nächste Woche beginnt der Prozess gegen Anders Behring Breivik: “Die PR-Regie des Massenmörders sei bislang ‘teuflisch gut aufgegangen’, konstatiert die Osloer Wochenzeitung Ny Tid. Von den Fotoposen bis zu all seinen Erklärungen: Die meisten Medien sähen kein Problem, alles unkritisch weiterzureichen.”

4. “A Lie Races Across Twitter Before the Truth Can Boot Up”
(nytimes.com, Jeremy W. Peters, englisch)
US-Politikerin Nikki Haley werde angeklagt, schreibt ein Blog. Via Twitter verbreitet sich die Falschmeldung schnell.

5. “Unser Zuhause ist das Internet”
(spiegel.de, Günter Hack)
“Die tobenden Verkäufer aus den fensterlosen Kaufhäusern können sich nicht vorstellen, dass das Netz, anders als alle anderen Verbreitungsmedien, nicht ganz und gar ihnen gehört und ihnen nie gehören wird. Sie können sich erst recht nicht vorstellen, dass das Netz überhaupt kein Medium ist. Noch ferner liegt ihnen der Gedanke, dass das Kontakt-High unter den Usern besseres Entertainment liefern könnte als sie selbst, dabei filmen ihre eigenen Teams nur noch das Netz ab, entnehmen ihm laufend Texte, Daten und Ideen.”

6. “Taking German Chauvinists Down a Peg”
(andrewhammel.typepad.com, englisch)
Vergleiche zwischen den USA und Deutschland: “The point of this informal, highly unserious list is just to provoke reflection and provide talking-points to wrong-foot German chauvinists, not make anybody feel bad.”

Krebs schon wieder geheilt

Neben Hitler gibt es bei Bild.de ja auch noch das Thema Krebs, das immer für eine Schlagzeile gut ist. Und während es in der heutigen Printausgabe noch relativ vorsichtig “Bald Impfung gegen Krebs möglich?” heißt, erklärt Bild.de die Krankheit Krebs quasi für besiegt:

Durchbruch in der Forschung Wissenschaftler entwickeln Impfstoff gegen Krebs

Im eigentlichen Artikel schwingt dann doch schon deutlich mehr Konjunktiv mit. Da heißt es, die Forscher “wollen (…) einen universellen Impfstoff gegen die tödliche Krankheit entwickelt haben”. Es ist von “ersten Tests” die Rede und am Ende heißt es:

Nun hoffen die Wissenschafter, mit größeren Studien beweisen zu können, dass ihr Wirkstoff jede Krebsart bekämpfen kann. Sie glauben, mit dem neu geschaffenen Impfstoff könnte nicht nur das Immunsystem gestärkt, sondern es könnten auch kleine, früh entdeckte Tumore bekämpft werden. Außerdem soll die Injektion Streuung und Rückfall vorbeugen. Als Impfstoff für gesunde Menschen zur Vorbeugung von Krebs sei “ImMucin” aber nicht entwickelt worden.

Allerdings wäre die Diagnose Krebs mit dem neuen Schutzstoff kein Todesurteil mehr. Die Mediziner hoffen, dass er in sechs Jahren auf den Markt kommen könnte. Bis dahin soll geforscht werden.

[Hervorhebungen von uns.]

Die Überschrift ist somit ein Paradebeispiel für das, was in Ziffer 14 des Pressekodex gemeint ist:

Ziffer 14  –  Medizin-Berichterstattung
Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.

Doch genau das passiert in schöner Regelmäßigkeit auf Bild.de, wie diese Beispiele aus den letzten Jahren illustrieren (weitgehend chronologisch ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Bayer: Durchbruch bei Krebsforschung Tumore werden ausgehungert

Lungenkrebs Erste Pille stoppt Tumor

US-Konzern zahlt für sein Patent 380 Mio. Euro Hat dieser Deutsche das Mittel gegen Krebs gefunden?

Neue Hoffnung für kranke Kinder Wundermittel Honig im Kampf gegen Krebs

Forscher entwickeln Impfung gegen Krebs

Anti-Krebs-Pille Forscher finden Wirkstoff gegen Tumore

Dresdner Heilpraktiker Iwailo Schmidt (42) Paracelsus-Alchemie gegen Krebs gefunden? Heilmittel des Mittelalter-Arztes entschlüsselt

Anti-Krebs-Medikament Forscher entwickeln Pille gegen Tumore

"Tumor-Bombe" ohne Nebenwirkungen Können Krokusse bald Krebszellen zerstören?

Wissenschaftler prüfen heilende Wirkung Ist grüner Tee die künftige Waffe gegen Krebs?

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Urheberrecht, Warm-Upper, Kaninchenzüchter

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die komplette Selbstdemontage des Handelsblatt”
(neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß schreibt zur “Handelsblatt”-Titelgeschichte “Mein K©pf gehört mir”, siehe dazu auch die Texte von Thomas Knüwer oder Dirk von Gehlen. Zwei Fälle des aktuellen deutschen Urheberrechts sind in den Artikeln “Strafantrag gegen Kafka-Kopierer” (nzz.ch, Joachim Güntner) und “Die Rainer-Werner-Faßbinder-Foundation. Ein weiteres Zötchen zum Urheberrecht” (albannikolaiherbst.twoday.net) beschrieben.

2. “Wer wird Millionär Bewerbung: Wege und Umwege zu Günther Jauch”
(niedblog.de)
Der Weg zur RTL-Sendung “Wer wird Millionär?” führt über das Bezahlen von einem Euro und über die Beantwortung von privaten Fragen: “Anschließend ging es gute 55 Minuten über mein Leben. Was mir denn so eingefallen sei hinsichtlich der Email und den Stories über mein Leben, wie es so im Zusammenleben mit meiner Freundin sei, ob wir uns oft streiten, ob es morgens Probleme gäbe oder sie Eigenarten hätte, mit denen ich nicht klarkomme.”

3. “Der Zuschauer darf nicht merken, dass er arbeitet”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Ein Interview mit Warm-Upper Christian Oberfuchshuber: “Bei Volksmusik-Sendungen stelle ich oft fest, dass das Publikum mit Krücken vor der Halle steht, später dann aber im Studio genauso ausrastet wie ein Publikum bei der Comet-Verleihung von VIVA. Es ist vielleicht nicht so laut, aber mindestens genauso euphorisch.”

4. “Sven Voss und die Frage ‘Wozu eigentlich ZDF-Sportstudio?'”
(faz-community.faz.net, Jürgen Kaube)
Jürgen Kaube fragt sich, warum die ZDF-Sendung “Das aktuelle Sportstudio” “unersetzlich” sein soll.

5. “Kaninchen werden blind geboren”
(taz.de, Martin Reichert)
“Diese Geschichte handelt davon, dass Journalisten ihr Handwerk häufig bei Lokalzeitungen lernen und dort dazu verdonnert werden, über Ehrungen langjähriger Mitglieder von Kaninchenzüchtervereinen zu berichten, bevor sie – sagen wir – zum Spiegel gehen oder zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung.”

6. “Ein offener Brief”
(wortfeld.de)
Ein Offener-Brief-Generator. Mit Grassifizier-Funktion.

Roboterjournalismus, Syrien, Pepsch

6 vor 9

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1. “Texte in null Komma nichts”
(faz.net, Evgeny Morozov)
Roboterjournalismus: Forbes “stützt sich auf die junge Firma Narrative Science, mit deren Hilfe automatisch Artikel über die voraussichtliche Entwicklung von Unternehmenszahlen generiert werden. Man gibt ein paar statistische Daten ein, und im Handumdrehen liefert die Software gut lesbare Artikel.”

2. “3…2…1… meins!”
(fernsehkritik.tv, Fernsehkritiker)
“TV Psychologin verschenkt Behandlung für übergewichtigen Teeny!” Die Castingagentur manitwo sucht Opfer für Reality-Sendungen mithilfe von Kleinanzeigen auf eBay, Kategorie: “zu verschenken”.

3. “‘Um Syrien tobt eine Schlacht der Bilder'”
(theeuropean.de, Florian Guckelsberger)
Der Journalist und Fotograf Marcel Mettelsiefen warnt davor, sich als Berichterstatter im Syrien-Konflikt emotional auf eine Seite zu schlagen: “Wenn wir nach Syrien gehen, begeben wir uns in die Hände von Menschen, die uns eine bestimmte — ihre — Realität sehen lassen wollen. In einer solchen Situation ist es schwer, neutral zu bleiben — allein die Entscheidung einer illegalen Einreise zu den Rebellen ist an sich schon politischer Aktivismus.”

4. “q.e.d.”
(katrinschuster.de, Katrin Schuster)
Nachdem sich der Schriftsteller Ralf Bönt über eine Kritik an seinem Buch “Das entehrte Geschlecht” geärgert hat, druckt die “Berliner Zeitung” Raum eine Art Gegendarstellung in Form eines Interviews. Der Ressortleiter Harald Jähner unterstellt seiner Autorin Katrin Schuster gleich am Anfang, sie habe zwei Passagen aus Bönts “Manifest” “sinnentstellend zitiert”.

5. “It’s time for Azerbaijan to earn some points for Human Rights”
(youtube.com, Video, 1:45, englisch)
Aserbaidschan will sich mit der Ausrichtung des Eurovision Song Contest als modernes Land präsentieren — Amnesty International gibt ihm null Punkte für Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

6. “Nachrichten vom Niedergang der politischen Karikatur XXIII”
(taz.de, Jakob Hein)
Über eine Karikatur in der “Süddeutschen Zeitung” vom “verlässlich verheerenden ‘Pepsch'”: “Gezeigt werden Merkel und Rösler, die mit Vorschlaghämmern in der Hand eine große Photovoltaikanlage hinterlassen, in die sie das Wort ‘Subventionen’ gehämmert zu haben scheinen. Zwei Männer stehen fassungslos, auf dem Koffer des einen das Wort ‘Insolvenz’. (…) Was ist in dem Köfferchen mit der Aufschrift ‘Insolvenz’ drin? Wer sind die beiden Männer und warum steht nichts auf ihnen? Wird das pepsche Augenlicht im Alter zu schwach, um auf alle Figuren seiner ‘Karikaturen’ was draufzuschreiben?”

Klaus Wowereit schimpft

Sebastian Deliga ist der Mann, der sich für Bild.de Fernsehsendungen ansehen muss. Das muss eine große Herausforderung für ihn sein, denn Deliga wirkt beim Lesen wie ein Mann, den schon harmloseste Situationen belasten.

Vor drei Wochen musste er über “Günther Jauch” schreiben und sah dort jede Menge “Attacken” auf den Moderator, die sich bei genauerem Hinsehen bestenfalls als kleine Frotzeleien bezeichnen ließen (BILDblog berichtete).

Diesmal sollte Deliga die Montagsausgabe von “Gottschalk live” besprechen, was nun wirklich nichts ist, was irgendjemand gerne machen könnte. Und dann ging es dort auch wieder so hoch her!

"Gottschalk live": Wowereit: Läster-Attacke gegen Polit-Piraten

Deliga schreibt:

In seiner ARD-Show “Gottschalk live” begrüßte Entertainer Thomas Gottschalk Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zum Vorabend-Talk – und entlockte dem SPD-Politiker interessante Aussagen.

Denn Wowereit war gut drauf – und ätzte bei Gottschalk kräftig gegen die Piratenpartei.

Gottschalk hatte Wowereit einen Clip der politischen Geschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, vorgespielt, die sagte, man brauche keine Parteien (“weder die Piraten, noch irgendjemanden sonst”) und Parlamente mehr, wenn jeder mitbestimmen könne. Wowereit griff Weisbands Aussage auf und bemerkte süffisant: Eine “Partei, die gerade angefangen hat, dass die sich gleich selbst abwickelt”, sei vielleicht “die erste Erkenntnis, dass man sie nicht brauche.

Sebastian Deliga fährt fort:

Dann lederte Wowereit richtig los.

Wowereit: Die Grünen hätten schon bei ihrer Gründung “mehr Substanz” gehabt als die Piraten heute. Das sehe man auch an den Talkshow-Auftritten der Piraten: “Die haben zu vielen Dingen gar keine Meinung.” Da würden auch keine Ausreden helfen, schimpft Wowereit.

Meine Damen und Herren: Klaus Wowereit schimpft!

Zuvor hatte Wowereit erklärt, man müsse die Piraten ernst nehmen: “Ich finde, es gibt gar keinen Grund, sie jetzt irgendwie zu ignorieren oder ins Lächerliche zu ziehen: Sie kriegen aus dem Stand heraus jetzt acht, neun Prozent.”

Das lässt Sebastian Deliga genauso unerwähnt wie den Anfang der Sendung: Wowereit hatte sich dort über die aktuelle “Rüpel”-Kampagne des “Berliner Kuriers” lustig gemacht (“Also, dieses Foto, was da gezeigt ist, ob das nun wirklich ein Realitätsfoto ist oder das gestellt ist, dass möcht’ ich auch noch mal gerne wissen!”), er hatte am Beispiel Guido Westerwelles über die “erbarmungslose” Öffentlichkeit gesprochen, in der Personen erst hochgeschrieben würden und dann “am nächsten Tag einfach nichts mehr wert” seien, und er erzählte von zwei jungen Männern, die ihn fotografiert hätten, um das Foto anschließend “einer Zeitung” zum Verkauf anzubieten.

Mit Dank an Tobias.

Fischer, Maurer, ftd.de

6 vor 9

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1. “Gericht kassiert Freispruch für Ex-‘Bild’-Reporter ein”
(sueddeutsche.de)
Das Oberlandesgericht München hat den Freispruch für einen früheren “Bild”-Reporter aufgehoben, weil die Urteilsbegründung des Landgerichts lückenhaft und widersprüchlich sei. Der Mann war vorgeworfen worden, den Schauspieler Ottfried Fischer mit einem Sexvideo zu einem Interview genötigt zu haben. Dazu passend: Ein Porträt über Fischer aus dem “Süddeutsche Zeitung Magazin” vom 16. März.

2. “Mein Plattenladen heißt Herunterladen”
(d-trick.de/blog, Dietrich Brüggemann)
Der Regisseur Dietrich Brüggemann meldet sich in der aktuell mal wieder besonders heftig geführten Debatte zum Thema Urheberrecht und Internet zu Wort. Dabei zeichnet er eine kleine mediale Autobiographie und ruft in die “tobende Schlacht”: “Regt euch ab, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Filesharing ist mittlerweile eine riskante Sportart, Kino.to und Megaupload sind tot, andere werden folgen. Künstler haben eine lebhafte Phantasie, und Nerds neigen ohnehin zur Paranoia, daher die Hysterie auf beiden Seiten der Debatte. Chillt mal drauf. Kommt runter.” (Weitere Debattenbeiträge zur Bezahlung von Urhebern und der Wertschätzung von Künstlern gibt’s von Malte Welding und Sascha Lobo.)

3. “Das nächste Kapitel”
(taz.de, Felix Dachsel)
Im November 1976 hörten Kölner “Bild”-Redakteure die Telefongespräche von Günter Wallraff ab. Nun bemühen sich “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und die Axel Springer AG gemeinsam mit Wallraff um eine Aufarbeitung.

4. “Die Satansbräute vom Saarland”
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
“Eine Medienposse in drei Akten”: Cicero.de hat im Internet nach Spuren von Jasmin Maurer, Vorsitzende der Piratenpartei im Saarland, gesucht — und dabei womöglich die falsche Person gefunden.

5. “FTD.de: Qualität im (Online-)Journalismus, die Zweite”
(juiced.de, Juicedaniel)
Eine Marketing-Agentur bot für Links auf ihre Seite eine Erwähnung im “Gründermarktplatz” auf der Website der “Financial Times Deutschland” an. Nachdem juiced.de in der Sache recherchiert hatte, nahm ftd.de den “Gründermarktplatz” erst mal offline.

6. “Wie man einen Beitrag baut”
(youtube.com, Video, 120sekundenYT)
Martin Giesler hat den prototypischen Beitrag für eine Magazin- oder Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen produziert.

Ihr EUmel! (3)

Den Unterschied zwischen Europäischer Union (EU) und Europarat haben wir schon ein paar Mal zu erklären versucht, wenn es um den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ging, der ein Organ des Europarats ist und kein “EU-Gericht”.

Die Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (GRECO) hat gestern einen Bericht veröffentlicht, in dem sie bemängelt, dass die deutschen Regeln bei der Korruptionsbekämpfung und den Parteifinanzen noch weit von den europäischen Vorgaben entfernt sind.

Die Deutsche Presseagentur (dpa, wir werden diese ganzen Abkürzungen irgendwann abfragen) hat dazu gestern eine kleine Meldung veröffentlicht, die sie einigermaßen klar mit “Europarat kritisiert Berlin wegen Korruption und Parteifinanzen” überschrieb.

n-tv.de hat diese Meldung gestern beinahe unbearbeitet übernommen. Die Redakteure haben zwei Wörter geändert, einmal “Geco” statt “GRECO” geschrieben und sich eine eigene Überschrift und einen Vorspann ausgedacht:

Mögliche Bestechung und Spenden: EU moniert Korruption in Berlin. 20 Empfehlungen gibt es vom Europarat zur Bekämpfung von Korruption. Deutschland ignoriert bislang mehr als drei Viertel davon, sagen die EU-Experten. Bestechlichkeit von Abgeordneten sei nur eingeschränkt strafbar, auch die Regelungen zur Parteienfinanzierung über Spenden seien "unzureichend".

Mit Dank an Alex B.

Nachtrag, 4. April: n-tv.de hat den Artikel überarbeitet.

Antonia Rados, Vertrauensindex, Kopieren

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Er war dreckig, er war gewalttätig”
(spiegel.de, Arno Frank)
Arno Frank kritisiert die boulevardeske Machart der RTL-Reportage “Das Doppelleben des Diktators – Antonia Rados auf den Spuren des Vergewaltigers Muammar al-Gaddafi”: “Es gibt keinen Grund, an ihren Recherchen zu zweifeln – aber viele Gründe, sich über ihre Methoden zu wundern. Ebenso wahllos wie Gaddafis Schergen auf offener Straße ihre Opfer entführten, filmt Rados auf offener Straße die Gesichter völlig unbeteiligter junger Mädchen ab. Die könnte ein Opfer gewesen sein – und die auch! Darunter liegt dann wahlweise melodramatisches Klaviergeklimper oder bedrohliche Musik wie aus einem Horrorfilm.”

2. “GPRA-Vertrauensindex Q1/2012: 81 Prozent der Deutschen vertrauen den regionalen Tageszeitungen – BILD-Zeitung im Vertrauensranking weit abgeschlagen”
(gpra.de)
Der Verband führender PR-Agenturen Deutschlands (GPRA) hat eine Erhebung zum Vertrauen der Deutschen in verschiedene Zeitungen und Magazine durchführen lassen. GPRA-Präsident Alexander Güttler kommentiert die Rolle von “Bild” im Kontext der Wulff-Affäre so: “Die Selbstwahrnehmung der ‘Bild’-Zeitung unterscheidet sich deutlich von der Realität. Sie besitzt keineswegs eine auf Vertrauen basierende Legitimation, über Moral und Gerechtigkeit in unserem Land zu urteilen.”

3. “Konsequent: Ich fordere die Löschung des politischen Kabarett aufgrund fehlender Relevanz”
(vereinfacher.wordpress.com, Benjamin Heilmann)
Eine Replik auf den gestern in “6vor9” verlinkten Kommentar zum politischen Kabarett “Der Pauker-Prophet Georg Schramm”

4. “Statt Teer und Federn: Druckerschwärze und Papier”
(oldenburger-lokalteil.de)
Die “Nordwest-Zeitung” empört sich im Falle des in Emden unschuldig verhafteten 17-Jährigen darüber, dass im Internet schnell private Details über den vermeintlichen Täter kursierten. Dabei ging die “NWZ” selbst auch nicht sorgfältiger vor.

5. “Eine kurze Geschichte vom Kopieren und Kapieren”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Wolfgang Messer zeigt in einem historischen Exkurs, dass bei der Debatte um die Zukunft des Urheberrechts im Internet eigentlich nicht um das Urheberrecht oder das Internet an sich geht, sondern um die Kopier- und Verfügbarkeit von Daten und wie man mit den technischen Möglichkeiten umgeht.

6. “Chaos ist, was IHR draus macht.”
(hennesihmsein.blogspot.de)
Eine Abrechnung mit dem Verhalten einiger Journalisten, die voreilig über die Entlassung von Köln-Trainer Stale Solbakken berichteten.

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