Archiv für April 30th, 2012

Bundeszentrale für politisches Halbwissen

Neulich haben wir in einem Artikel darauf hingewiesen, dass im Wahl-O-Mat für die kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen fälschlicherweise vom Solidaritätszuschlag statt vom Solidarpakt die Rede ist. Darauf reagierte die dafür verantwortliche “Bundeszentrale für politische Bildung” so:

Auf ihrer Facebookseite äußert sich die Bundeszentrale noch ausführlicher:

Die Thesen des Wahl-O-Mat entstehen in einer Redaktionssitzung (…). Wir haben mit der Redaktion gesprochen, die uns die Sache so erläutert hat:

“In der Tat bezieht sich die These nicht auf den Solidaritätszuschlag als Instrument. Da aber die Ergänzungsabgabe “Solidaritätszuschlag” auch eingeführt worden ist, um den “Aufbau Ost” zu finanzieren, steht er in der öffentlichen Debatte immer wieder stellvertretend für die besondere Unterstützung der ostdeutschen Bundesländer. Damit wird aber möglicherweise die Unterscheidung zwischen dem eigentlichen “Solidaritätszuschlag” und dem “Solidaritätspakt” (sic!) verdeckt, eine Unschärfe, die freilich auch in der politischen Diskussion zu finden ist (…). Wir sind uns über die Schwäche der These bewusst, haben lange darüber diskutiert, ob wir sie trotzdem aufnehmen sollten. Trotz ihrer Unschärfe spricht die These eine grundlegende Fragestellung an, die in den vergangenen Monaten insbesondere mit Verweis auf die Lage der Städte im Ruhrgebiet Schlagzeilen gemacht hat. Deswegen war es wichtig, das Thema mit einer These abzudecken. Die Parteien haben verstanden, welche Kontroverse angesprochen wird, und verweisen in ihren Begründungen auf den Solidarpakt.”

Ernsthaft? Weil Politiker es oft falsch sagen und weil der Solidaritätszuschlag irgendwann einmal für den Aufbau Ost eingeführt worden ist, kann einfach alles, was mit dem Aufbau Ost zu tun hat, Solidaritätszuschlag genannt werden?

Und die bpb legt sogar noch nach:

Und noch als kleine Ergänzung hierzu: Die genauen Erläuterungen von Solidarpakt (http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Solidarpakt&suchen=Suchen) und Solidaritätszuschlag (http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Solidarit%C3%A4tszuschlag&suchen=Suchen) findet man selbstverständlich bei der bpb!

Dumm nur, dass die “genaue Erläuterung” des Solidaritätszuschlags auf bpb.de auch einen dicken Fehler enthält:

Um die ungleichen Lebensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern nach der Wiedervereinigung anzugleichen (…), wurde vom 1. 1. 1995 an ein Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer von allen Steuerzahlern erhoben. Von der zu zahlenden Steuer wurden zuerst 7,5 % zusätzlich einbehalten, seit 1. 1. 1998 beträgt der “Soli” 5,5 %. Dieser Zuschlagssatz ist nicht befristet und wurde den neuen Bundesländern im Solidarpakt II bis 2019 zugesagt. Das Aufkommen (2008 rund 11 Mrd. Euro) steht dem Bund zu.

Noch einmal (seufz!): Solidaritätszuschlag und Solidarpakt sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel. Bis 2019 wurden den ostdeutschen Bundesländern im Solidarpakt II Hilfen im Zuge des Länderfinanzausgleiches zugesichert. Kein Cent davon stammt direkt aus den Einnahmen durch den Solidaritätszuschlag, denn “das Aufkommen steht” ja eben “dem Bund zu”. Zwar hat die “Bundeszentrale für politische Bildung” diese Fehlinformation aus der 4. Auflage des Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag, aber der wird wiederum als Lizenzausgabe von der “Bundeszentrale für politische Bildung” verlegt.

Ein weiterer Kommentator auf der Facebookseite von bpb fasst die ganze Misere sehr treffend zusammen:

Was ich nach wie vor nicht verstehe: Wenn die Redaktion das Problem lang und breit diskutiert hat und sich darüber bewusst war, dass es eigentlich um die Mittel aus dem Solidarpakt geht und nicht um den Solidaritätszuschlag: Warum konnte man dann nicht einfach auch “Mittel aus dem Solidarpakt” statt “Solidaritätszuschlag” schreiben? Dann wäre es korrekt und v.a. auch weniger verwirrend, angesichts der Tatsache, dass die Parteien dann auf einmal vom “Solidarpakt” sprechen und nicht vom “Solidaritätszuschlag”. Dass diese “Unschärfe” (man könnte auch sagen: dieser Fehler) auch in der politischen Diskussion zu finden ist, kann doch nicht wirklich ein ernst gemeintes Argument dafür sein, dass die BpB diesen Fehler dann einfach übernimmt und ihm damit durch ihre eigene Glaubwürdigkeit noch weitere Autorität verleiht. Die BpB ist doch eigentlich genau dafür da, die Bürger auf solche falschen Unschärfen aufmerksam zu machen. Genau das nennt man ja politische Bildung. Jedenfalls steht als Aufgabenbeschreibung auf der BpB-Homepage u.a. auch: “Die Aufgabe der Bundeszentrale für politischen Bildung/bpb ist es, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern.” Und dieser Förderung wäre sicherlich mehr gedient, wenn man die oben diskutierte These anders (=korrekt) formuliert hätte.

Eine Antwort von der Bundeszentrale hat er allerdings keine mehr bekommen.

Das ist ja die Höhe!

Der heutige 30. April ist ein besonderer Tag für New York City: Das “One World Trade Center”, das die beiden Zwillingstürme ersetzt, die am 11. September 2001 zerstört wurden, soll die Marke von 381 Metern erreichen — und damit das Empire State Building als höchstes Gebäude der Stadt ablösen.

Bild.de erklärt dazu:

Doch der “Freedom-Tower” auf der größen [sic!] Baustelle Manhattans hat noch viel mehr vor: In den nächsten Jahren soll er das höchste Gebäude der USA werden, dann sogar das höchste der Welt.

Äääääääh … nein!

Das Gebäude soll, in Anspielung an das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, 1776 Fuß hoch werden, das entspricht 541,32 Metern. Der Burj Khalifa in Dubai ist mit 828 Metern dann doch noch mal um 1,8 Kölner Dome höher. Daran ändern auch die unterschiedlichen Zählweisen von Gebäudehöhen wenig.

Die Wikipedia hält allerdings zwei Alternativformulierungen für Bild.de bereit:

Das 541,3 Meter hohe Gebäude wird bei seiner Fertigstellung das höchste Gebäude in New York und den Vereinigten Staaten sein, sowie eines der höchsten der Welt. […]

Das One World Trade Center wird den Taipei 101 in Taipeh (508 Meter; offiziell bis 2010 das höchste Gebäude der Erde) nach seiner Vollendung als höchstes nur für Bürozwecke genutztes Gebäude der Welt übertreffen.

Mit Dank an Anonym.

Nachtrag, 16.15 Uhr: Bild.de hat den Satz auf “In den nächsten Jahren soll er das höchste Gebäude der USA werden” zusammengekürzt.

Hupen im Stadtverkehr

Kaum wird es draußen endlich wärmer, passieren solche Geschichten:

Nackte Frau auf Motorrad: Sie bekam ein Knöllchen für oben ohne Helm. Fahren oben ohne ist keine Ordnungswidrigkeit. Fahren ganz oben ohne schon. Auch in Rumänien herrscht Helmpflicht auf dem Motorrad. Und daher erhielt diese leichtsinnige Frau von der Polizei in Constanta in Südost-Rumänien ein saftiges Knöllchen. Sofort bezahlen konnte sie die Strafe vermutlich nicht. Fassen Sie mal einer nackten Frau in die Tasche . . .

Laut Fotocredit hat “Bild am Sonntag” diese Geschichte von “Central European News”, einer in Wien ansässigen Möchtegern-Nachrichtenagentur, die sich auf den Verkauf von Trash-Nachrichten aus dem zentraleuropäischen Raum nach Großbritannien spezialisiert hat.

Und in Großbritannien lief die Geschichte von der nackten Motorradfahrerin aus Rumänien letzte Woche schon ganz gut.

Der “Daily Mirror” hatte gar ein paar zusätzliche Insiderinformationen:

“Der Beamte war ein Verkehrspolizist und der einzige Verstoß, den sie begangen hat, war, keinen Helm zu tragen”, erklärte ein Zeuge heute den rumänischen Medien.

“Also gab er ihr eine Verwarnung und einen Strafzettel und wies sie und ihren Begleiter an, fortzufahren”, hieß es weiter.

(Übersetzung von uns.)

Alles an dieser Geschichte ist zweifelhaft: Die Fotos sind mitnichten von letzter Woche, sondern stehen mindestens seit dem 31. Oktober 2007 online — hochgeladen von einem Fotografen, der sich auf das Ablichten von nackten Frauen in der Öffentlichkeit spezialisiert zu haben scheint.

Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass die Bilder tatsächlich im rumänischen Constanta entstanden sind: Straßen- und Nummernschilder sind eindeutig aus Tschechien.

All solche Details sind – mal wieder – egal, solange es nur um Brüste geht. Das größere Rätsel ist, warum sich Medien ernsthaft auf Central European News als Quelle verlassen:

Mit Dank an Pascal S. und Alexander K.

Günter Wallraff, Friede Springer, DDVG

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das waren freundliche Herren”
(zeit.de, Evelyn Finger und Annabel Wahba)
Evelyn Finger und Annabel Wahba befragen Günter Wallraff, der zuletzt für das “Zeit Magazin” undercover unterwegs war, kritisch zu seiner Vergangenheit: “Es wird jetzt so getan, als hätte ich zwischen 1968 und 1971 ein nie verjährendes Kapitalverbrechen begangen. Die Akten werden immer wieder aufgewärmt, mit dem Ziel, meine Arbeit zu diskreditieren und mich menschlich als Drecksau erscheinen zu lassen.”

2. “Ich wollte es dem Herrn Kirch beweisen”
(welt.de, Andrea Seibel)
Ein ausführliches Interview mit Friede Springer, der Witwe von Axel Springer: “Einmal meinte ich, ich sei ein Produkt von ihm, das ist missverständlich, es klingt, als hätte ich keinen eigenen Willen. Heute sage ich: Er hat mich ausgebildet, ich bin dank ihm gewachsen.”

3. “Wir stehen zur FR”
(fr-online.de, Joachim Frank)
Barbara Hendricks, Generaltreuhänderin der SPD-Medienholding DDVG, die mit 40 Prozent an der “Frankfurter Rundschau” beteiligt ist, feiert ihren 60. Geburtstag: “Alle Welt erachtet den Einfluss privater Verleger auf ihre Zeitungen für völlig normal, hielte es aber gleichsam für Teufelswerk, wenn eine demokratisch verfasste Partei dies täte.”

4. “Die Fehler der anderen – von Hightech und Huren”
(wissenschaftkommuniziert.wordpress.com, Reiner Korbmann)
Wurde der MP3-Player in München entwickelt, wie in der “Süddeutschen Zeitung” zu lesen ist? “Weder wurde der MP3-Player hier entwickelt, noch der Softwarestandard MP3. MP3 stammt – immerhin fast richtig – aus einem Fraunhofer-Institut, aber dem Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen.”

5. “Spannungen zwischen Piraten und Journalisten”
(welt.de)
Journalisten am Bundesparteitag der Piratenpartei in Neumünster: “Für Empörung sorgte ein TV-Team, das als Requisit für seine Sendung ein Spielzeug-Piratenschiffchen mitgebracht hatte, auf dem unter anderem rechtsextreme Losungen angebracht waren.”

6. “Das Testament des Axel Cäsar Springer”
(spiegel.de, Michael Jürgs)
Was Axel Springer an seinem 100. Geburtstag gesagt hätte, wenn er noch leben würde. Siehe dazu auch “Die Rückkehr des Axel Caesar Springer” (taz.de, Arno Frank).