Archiv für April 27th, 2012

Bild  

Heißen alle gleich

Axel Springer, Gründer des nach ihm benannten Verlags, würde nächste Woche 100 Jahre alt. “Bild” ehrt den Mann, der – obwohl 1985 verstorben – im Impressum noch immer als Verleger geführt wird, derzeit unter anderem mit einer Fotoserie.

Mehr noch:

Zu seinem 100. Geburtstag am 2. Mai versucht BILD in einer Serie mit ungewöhnlichen Fotos aus seinem Leben den Verleger und Visionär zu erklären.

Heute ist in dieser Fotosammlung, die fast eine ganze Seite einnimmt, unter anderem dieses Bild zu sehen:

1972 - Als würde er tanzen:
Springer (damals 60) auf Patmos/ Griechenland. Bei einem Segeltörn durch die Ägäis hatte er die Insel für sich entdeckt und dort drei Jahre später ein Haus gebaut. Auf Patmos empfing Johannes der Täufer einst die Offenbarung und schrieb das letzte Buch des Neuen Testaments.

Das wäre dem “Verleger und Visionär”, der seinen Verlag als “Zeitungshaus, das sich christlichen Werten verpflichtet fühlt” beschrieb, sicher sauer aufgestoßen.

Zwar schrieb ein Mann namens Johannes die Offenbarung laut Selbstaussage auf Patmos, aber dieser war nicht als “der Täufer” bekannt: Johannes der Täufer wurde noch zu Lebzeiten Christi (oder kurz danach) geköpft, die Offenbarung wurde einige Zeit später von einem anderen Johannes verfasst.

Mit Dank an Christoph V. und Der Stein.

Vom Feuilleton verurteilt (2)

Die Menschen, die angeklagt waren, den fünfjährigen Pascal aus Saarbrücken vergewaltigt und ermordet zu haben, sind rechtskräftig freigesprochen worden. Für die renommierte “Süddeutsche Zeitung” waren sie dennoch schuldig. Am 19. März bezeichnete sie in der Rezension eines Theaterstücks die Angeklagten als “Täter”, die nur aufgrund ihrer mangelnden geistigen Fähigkeiten davon gekommen seien.

Am selben Tag fragten wir bei der “Süddeutschen Zeitung” nach, ob sie nicht der Ansicht sei, eine mindestens irreführende, wenn nicht gar falsche Beschreibung des tatsächlichen Sachverhalts abgegeben zu haben. Wir erhielten keine Antwort.

Am folgenden Tag veröffentlichten wir einen Eintrag zum Thema.

Zwei Tage später brachte die “Süddeutsche Zeitung” folgende Korrektur:

In “Pornographie des Grauens” vom 19. März auf Seite 11 wurde in der Rezension der Uraufführung des Theaterstücks “Du hast gewackelt” von Franz Xaver Kroetz am Residenztheater München behauptet, die Angeklagten im Prozess um die Vorgänge in der Tosa-Klause und das Verschwinden des Jungen Pascal seien “Täter” und es habe im Prozess “keinen Schuldspruch” gegeben. Das ist falsch. Richtig ist, dass die Angeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden, mithin auch nicht als “Täter” bezeichnet werden können.

Wir haben diese Korrektur damals nicht bemerkt.

Die renommierte “Süddeutsche Zeitung” versteckt ihre Korrekturen weit hinten im Blatt, auf einer Seite namens “Forum”, zwischen Leserbriefen und dem Wetter. Der Artikel mit der nachträglichen Schuldigsprechung der Freigesprochenen, den sie hier unauffällig korrigierte, war der Aufmacher des Feuilletons gewesen.

Eine Antwort auf unsere Anfrage haben wir nie bekommen.

Und in ihrem Online-Auftritt macht die renommierte “Süddeutsche Zeitung” die Freigesprochenen bis heute unverändert zu Tätern.

Nachtrag, 16:00 Uhr. Süddeutsche.de hat den Artikel jetzt transparent korrigiert.

Andreas Türck, Empörungsdebatten, Merlin

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Ich werde das Geschrei nie vergessen'”
(einestages.spiegel.de, Christian Gödecke und Danny Kringiel)
Andreas Türck erinnert sich, wie die Nachmittags-Talkshows der 1990er-Jahre produziert wurden: “Pro Tag wurden in Hamburg drei Sendungen aufgezeichnet, an drei Tagen hintereinander in der Woche. Auf dem Gelände standen drei Studios nebeneinander, in dem einen produzierte Schwartzkopff TV ‘Sonja’, im nächsten ‘Pilawa’ und im dritten meine Sendung – das Ganze mit einer einzigen Regie, das ging zack, zack! Irgendwann musste man nur noch das Thema wissen, der Rest wiederholte sich.”

2. “Empörungsdebatten – ein Höchstmass an Aufmerksamkeit bei geringstem Einsatz in der Sache”
(nzz.ch, Miriam Meckel)
Miriam Meckel analysiert einige kürzlich in den deutschen Medien geführte Debatten: “Aufmerksamkeit ist die neue Währung der Empörungskultur. Sie entsteht im Tausch von Reiz gegen Reaktion.” Patrick Breitenbach ergänzt: “Nicht die Bürger im Netz sind nun die großen Lautsprecher, es sind in der Regel weiterhin die etablierten, reichweitenstarken Medien” (blog.karlshochschule.de). Siehe dazu auch die Shitstorm-Skala (feinheit.ch).

3. “Die ganze Wahrheit über das Nowitzki-Interview”
(david-nienhaus.de)
David Nienhaus muss sich bei einem Telefoninterview im Konferenzmodus mit Dirk Nowitzki die Fragen der “Bunte” anhören.

4. “Nicht so ein fauler Zauber wie BILD: MERLIN war Springers bestes Blatt (zum 100sten)”
(blog.dummy-magazin.de)
Die Redaktion von “Dummy” liest “Merlin”, eine esoterische Zeitschrift aus dem Axel-Springer-Verlag von 1948: “Leider ging MERLIN nach nur drei Ausgaben den Weg alles Irdischen.”

5. “The Daily Mail and Everything After”
(marawilsonwritesstuff.com, englisch)
US-Schauspielerin Mara Wilson macht Bekanntschaft mit der Arbeitsweise der britischen “Daily Mail”: “I had read articles in the Daily Mail before, so I knew what to expect: something cheap and sensationalist. What I did not expect was an article composed almost entirely of out-of-context quotes from my blog. There were no citations and there was no link to the original post on my site.”

6. “Nach ständigen Nazi-Vergleichen: Piratenpartei resettet Mitglieder und behebt Fehler im Parteiprogramm”
(eine-zeitung.net, Satire)