Archiv für April, 2012

Shitstorm, Simpsons, Filmsynchronisation

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Erklärungsnot: Minister Friedrich und die ‘Bild'”
(ndr.de, Video, 5:31 Minuten)
Aufgrund einer kleinen Anfrage der Partei “Die Linke” musste das deutsche Innenministerium zugeben, dass seine Pressestelle “Bild” vorab die Studie “Lebenswelten junger Muslime in Deutschland” zukommen ließ (BILDblog berichtete). Diese Tatsache wurde zunächst abgestritten. In der Antwort auf die Anfrage heißt es: “Zur Vorbereitung eines Interviews (…) wurde der Redaktion vom Pressereferat des BMI ein Vorabexemplar übersandt, (…).” Siehe dazu auch “‘Bild’ wurde Islam-Studie doch vorab zugesteckt” (migazin.de).

2. “Versöhnen und spalten”
(taz.de, Felix Dachsel)
Das Verhältnis zwischen dem Axel-Springer-Verlag und Günter Wallraff betreffend fragt Felix Dachsel, ob es “Springer’sche Dialektik” sei, “die eine Hand zur Versöhnung ausstrecken und mit der anderen den Stahl schmieden, mit dem der Feind zur Strecke gebracht wird”.

3. “Shit im Spiegel”
(bloghalde.de, Matthias Schumacher)
Matthias Schumacher ist enttäuscht vom von drei “Spiegel-Online”-Journalisten produzierten Artikel “Shitstorm, nein danke!”: “Statt ausführlicher Erfahrungsberichte, Frage und Gegenfrage, folgt eine Fotostrecke mit einigen verhaltenen Zeilen gestandener Politiker und Politikerchen. Große Bilder, kleiner Absatz.”

4. “Lieber nicht über Neonazis schreiben”
(zeit.de, Christian Bangel)
Christian Bangel thematisiert die Beziehung zwischen Lokalredakteuren und Rechtsextremen: “Lokalredakteure haben ein Problem, das andere nicht haben. Sie leben mit den Objekten ihrer Berichterstattung Tür an Tür. Es ist einfach, Angela Merkel wegen ihrer Europapolitik zu kritisieren. Viel komplizierter ist es, den Bürgermeister einer Kleinstadt anzugreifen, weil er zu wenig gegen den Rechtsextremismus tut.”

5. “The Simpsons Tells Fox to Eat Its Shorts”
(slate.com, Forrest Wickman, Videos, englisch)
Ausschnitte, in denen die auf Fox ausgestrahlten “Simpsons” den eigenen Sender und Rupert Murdoch parodieren.

6. “Bebilderte Hörbücher: Die Unsitte der Filmsynchronisation in Deutschland”
(unique-online.de, David)
Filmsynchronisation ist nicht nur eine Möglichkeit der Zensur, es werden auch “differenzierte Dialoge systematisch stereotypisiert und sachliche Äußerungen emotionalisiert, romantisiert, verniedlicht oder gar ins Dämliche gezerrt”.

Bild  

Verschleppungstaktik

Auf ihrer Seite 2 muss “Bild” heute diese Gegendarstellung des Filmproduzenten David Groenewold drucken:

In BILD vom 8. Februar 2012 verbreiten Sie auf S. 2 über mich unter der Überschrift “Neuer Wirbel um Wulff-Urlaub” im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über einen gemeinsamen Sylt-Aufenthalt mit dem damaligen Ministerpräsidenten Wulff im Jahr 2007 Folgendes:

1. “Am Morgen des 20. Januar fordert er Mitarbeiter des Hotels auf, relevante Rechnungen und Belege aus dem gemeinsamen Kurzurlaub mit dem Ehepaar Wulff aus dem Jahr 2007 auszuhändigen. Ein Hotel-Manager übergibt Groenewold Anreiselisten, Meldescheine und Verzehrquittungen.”

Hierzu stelle ich fest:
Ich habe das Hotel lediglich um die Anfertigung von Kopien der Rechnungsbelege gebeten. Mir wurden auch weder Anreiselisten, Meldescheine noch Verzehrquittungen übergeben.

2. Weiter schreiben Sie:
“In bar will Wulff ( ) die von Groenewold übernommenen Hotelkosten auch bei einem ,Oktoberfest-Besuch’ im Jahr 2008 erstattet haben.”

Hierzu stelle ich fest:
Herr Wulff hat mir lediglich die von mir übernommenen Kosten für die Babysitterin in bar erstattet. Darüber hinaus habe ich lediglich den Aufpreis für ein größeres Zimmer während des gemeinsamen Oktoberfest-Besuchs übernommen, ohne dies Herrn Wulff mitzuteilen. Er hat den Betrag auch nicht in bar erstattet, sondern mir vor rund 3 Wochen überwiesen, nachdem er erstmals hiervon über die Medien erfahren hatte.

Berlin, 8.2.2012
Rechtsanwalt Christian-Oliver Moser für David Groenewold

Es bedurfte zweieinhalb Monate und einiger Gerichtsentscheidungen, damit “Bild” diese Gegendarstellung druckt. Die Zeitung mag das auch nicht unkommentiert stehen lassen und fügt hinzu:

Anmerkung der Redaktion:
Zum Abdruck dieser Gegendarstellung sind wir unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt gesetzlich verpflichtet. Wegen der Behauptung von Herrn Groenewold in dieser Gegendarstellung, er habe lediglich den Aufpreis für ein größeres Hotelzimmer während des gemeinsamen Oktoberfest-Besuches für Herrn Wulff übernommen, ohne dies Herrn Wulff mitzuteilen, ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Herrn Groenewold wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung.

Überhaupt wird die (immerhin sechsspaltige) Gegendarstellung heute ein bisschen konterkariert von einer etwas größeren Meldung:

Falsche eidesstattliche Versicherung? Staatsanwalt weitet Ermittlungen gegen Wulff-Freund David Groenewold aus

Doch nicht nur mit dem Abdruck der Gegendarstellung hat sich “Bild” denkbar viel Zeit gelassen, auch die Nachricht, dass die Staatsanwaltschaft “jetzt” die Ermittlungen gegen “Wulff-Freund Groenewold” ausgeweitet hat, war der Redaktion offenbar schon länger bekannt.

Bereits vor fast vier Wochen, am 29. März, hatte “Bild”-Reporter Nikolaus Harbusch eine E-Mail mit mehreren Fragen an Groenewolds Anwalt Christian-Oliver Moser geschickt. Darunter auch diese:

Ist Ihnen bekannt, dass die Staatsanwaltschaft nach Auswertung der Unterlagen und Aussagen das Ermittlungsverfahren gegen David Groenewold auf den Verdacht einer weiteren Straftat ausgedehnt hat?

Nachdem Moser erklärt hatte, im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren keine Stellungnahme abgeben zu können, passierte lange Zeit nichts, bis Harbusch die gleichen Fragen gestern noch einmal an den Anwalt schickte — und “Bild” heute groß verkündete, die Ermittlungen seien “jetzt” ausgeweitet worden.

“Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich sagte der dpa, die Staatsanwaltschaft Hannover habe die Ermittlungen erst zu Wochenanfang ausgeweitet. Von der Staatsanwaltschaft selbst bekam die Agentur die Auskunft, die Ausweitung der Ermittlungen sei der Zeitung am Montag bestätigt worden. Wann genau das Verfahren tatsächlich ausgeweitet wurde, konnte die Sprecherin nicht sagen.

Sehen alle gleich aus (5)

Der FC Chelsea ist nach einem Sieg (letzten Mittwoch) und einem Unentschieden (gestern) gegen den FC Barcelona ins Finale der Champions League eingezogen. Das würde gebührend gefeiert.

Aber wer feiert da eigentlich?

Umso größer war die Freude bei Fernando Torres und Didier Drogba.

Laut “Spiegel Online” zeigt dieses Bild “Fernando Torres und Didier Drogba”.

Sehen alle gleich aus

Das ist schon insofern unwahrscheinlich, als der spätere Torschütze Torres für Drogba eingewechselt wurde — und Drogba dann sicher nicht bis zum Abpfiff im Trikot ohne Jacke rumlaufen würde. Auch hat Drogba eine ganz andere Frisur.

Und so zeigt das Foto dann auch Ramires, den zweiten Chelsea-Torschützen des Abends — gut zu erkennen an seinem Tattoo auf dem linken Unterarm.

Mit Dank an Christian S.

Nachtrag, 14.02 Uhr: “Spiegel Online” hat die Bildunterschrift geradezu vorbildlich korrigiert:

Umso größer war die Freude bei den Torschützen Fernando Torres und Ramires (und nicht, wie zuvor fälschlicherweise geschrieben: Didier Drogba).

Uns wiederum haben ein paar Leser darauf hingewiesen, dass Didier Drogba tatsächlich auch nach dem Abpfiff noch im Trikot rumgelaufen ist — womit aber immer noch Haare, Tattoo und Gesicht zur Unterscheidung von Ramires bleiben.

sid  etc.

Zu viele Nullen

Für den Sportinformationsdienst sid ist es ein “‘Rentenvertrag’ der besonderen Art”, für 20min.ch ein “Vertrag bis übers Lebensende hinaus” und für Bild.de gleich “der verrückteste Vertrag der Fußball-Geschichte”.

Der isländische Fußball-Nationalspieler Gretar Steinsson hat einen “Rentenvertrag” der besonderen Art abgeschlossen. Weil sich im neuen Kontrakt mit dem englischen Erstligisten Bolton Wanderers eine Null zuviel eingeschlichen hat, bleibt der 30-Jährige bis zum Jahr 20.014 bei seinem Klub. Noch 18.002 Jahre.

Kurios, fürwahr. So kurios, dass man annehmen sollte, die britischen Medien machten groß mit dieser Geschichte auf. Doch es findet sich eigentlich nur eine einzige Quelle, aus der sid und die anderen Medien auch sämtliche Zitate für ihre Artikel zu haben scheinen: das Blog “Back of the Net” der britischen Fußballzeitschrift “FourFourTwo”.

“Back of the Net” ist laut Selbstbeschreibung “ein überraschend lustiges Fußballblog”, was ungefähr so viel bedeuten soll wie: ein Satireblog, in dem übertriebene und erfundene Geschichten drinstehen. Am Ende mancher Artikel schreibt die Redaktion sogar dazu, dass es sich nicht um ernsthafte Vorwürfe handle — aber leider nicht bei allen.

Gut, man hätte anhand der Zitate erahnen können, dass an dieser Geschichte was faul ist. So soll ein Verantwortlicher des Vereins gesagt haben:

“Wer hätte beispielsweise vor 18.000 Jahren gedacht, dass die Landbrücke zwischen Asien und Alaska heute nicht mehr existieren würde oder dass Menschen erfolgreich den Wolf domestizieren würden? Ich bin zuversichtlich, dass der Club über die nächsten 180 Jahrhunderte großes Kapital aus Gretars Erfahrung schlagen wird, besonders für die jüngeren Spieler.”

(Übersetzung von uns.)

Illustriert ist der Artikel übrigens mit diesem “Foto” vom Auswärtstrikot der Bolton Wanderers aus der Saison 20013/14:

Bolton

Und so läuft der Vertrag von Gretar Steinsson jetzt eben bis zum Jahr 20.014. Steinsson sollte damit in Rente gehen können, bevor die deutschsprachigen Medien den Witz verstanden haben.

Mit Dank an Herr Jemine.

Mario Basler, Spiegel, Hammer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Als ‘Klickhure’ missbraucht”
(taz.de, Pascal Beucker)
Pascal Beucker entdeckt eine von ihm gestaltete Persiflage eines SPD-Plakats auf Zeitungs-Websites. Während Handelsblatt.de sich entschuldigt und das eigene Vorgehen als groben Fehler einstuft, löscht Bild.de das Bild kommentarlos.

2. “Super Mario gibt Gas”
(badische-zeitung.de, Peter Disch)
Fußball: Peter Disch feiert den Nicht-Abstieg des SC Freiburg mit der Erinnerung daran, dass “Bild”-Kolumnist Mario Basler dem Club im Januar 2012 den sicheren Abstieg prophezeit hatte. Basler schrieb: “Über Freiburg schreibe ich heute vielleicht zum letzten Mal in meinem Leben. Die steigen ab – und kommen so schnell auch nicht wieder.”

3. “Das ist der ‘Dilettant'”
(stern.de, Lutz Kinkel)
Ist das Foto auf dem aktuellen “Spiegel”-Titel gestellt oder nicht? “‘Das ist ein gestelltes Foto. Der Fotograf hatte mich gebeten, die Nein-Karte nochmal hochzuhalten’, sagt Engels. Das hört sich plausibel an, zumal er der Einzige ist, der seinen Arm reckt, die anderen Teilnehmer im Hintergrund sitzen einfach nur an ihren Tischen. Der ‘Spiegel’ bestreitet jedoch, Einfluss genommen zu haben. Der Fotograf habe gar nicht mit Engels gesprochen, sagt ‘Spiegel’-Sprecher Hans-Ulrich Stoldt. Und den Piraten auch zu nichts animiert. Aussage gegen Aussage.”

4. “Gesunde Tote”
(scienceblogs.de/gesundheits-check, Joseph Kuhn)
Joseph Kuhn denkt nach über die Meldung “Männer im Alter gesünder als Frauen” im “Deutschen Ärzteblatt”.

5. “Bedrucktes Papier”
(boschblog.de)
Bosch schreibt einen Artikel für “Der Freitag” und sieht einen Satz hineinredigiert, den er gar nicht geschrieben hat: “Ein solch hysterischer Ausrufesatz ist niemals meinem Kopf entsprungen und durch meine Finger geflossen. In meinem Blog gäbe es so etwas nicht, ich distanziere mich von diesem Satz.”

6. “Wo der Hammer auf Holz trifft”
(fernsehlexikon.de, Michael)

Spiegel Online, Marcell D’Avis, Like-Button

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Reiz, zu verachten – instrumenteller Moralismus als Medien-Stil”
(sandoragaly.wordpress.com)
Sandor Ragaly denkt nach über den “instrumentellen Moralismus” von “Bild”: “Der instrumentelle Moralismus von BILD jedenfalls lügt – denn er gibt nur vor, moralisch intendiert zu sein und so wirken zu wollen, während er doch nur Mittel zum Zweck (von Einfluss und Verkaufszahlen) ist. Und: Er wirkt vermutlich nicht nur politisch. Die aggressive Substanz sickert in die Gesellschaft ganz allgemein hinein.”

2. “Alle Jahre wieder”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg über die Recherchen der “Welt am Sonntag” zur Vergangenheit von Günter Wallraff: “Wallraff ist von der Stasi als IM der Kategorie ‘A-Quelle’ geführt worden, was für ‘Abschöpfen’ steht, und kein Beleg dafür ist, dass die Abgeschöpften von ihrer Karteikarte wussten. Das ist auch nicht neu, genau so wenig, dass Wallraff stets jeglichen Stasi- und sonstigen geheimen Dienst dementiert hat.” Siehe dazu auch die Einschätzung von Hans Leyendecker (dradio.de, Michael Köhler): “Vieles was die Stasi geschrieben hat war so richtig auch nicht. Und wenn in Stasi-Unterlagen steht, Berger habe angeblich Teile dieses Buches geschrieben, so mag das wahr sein oder auch nicht.” Ab Mai soll Wallraff übrigens mit einer neuen Recherche bei RTL zu sehen sein (dwdl.de, Uwe Mantel).

3. “Ganz Sankt Pauli fragt die Polizei”
(publikative.org)
Die Berichterstattung der “Hamburger Morgenpost” über Demonstrationen von Fußballfans in Hamburg: “In Koproduktion mit der Hamburger Polizei haben Frenzel/Gaertner zweifellos das Glanzstück des Jahres abgeliefert: Jetzt greifen die ‘St. Pauli’-Chaoten schon ihre eigene Kneipe an. Später hätten sie dann die Polizei angegriffen, heißt es.”

4. “Daumen hoch!”
(jetzt.sueddeutsche.de, Nadja Schlüter)
Löst der Like-Button einen Zwang zum Konformismus aus? Nicht mehr, als im Offline-Leben auch, sagt Nadja Schlüter: “Wer sich über allzu sehr auf die Peer-Group zugeschnittene Statusmeldungen anderer beklagt, der sollte am besten abends mit Freunden in eine Bar gehen. Dort wird er seinen Freunden den Witz erzählen, von dem er glaubt, dass die meisten ihn lustig finden. Er wird ein Thema ansprechen, das ihn interessiert und von dem er glaubt, dass es die meisten anderen ebenfalls interessiert – und vor allem, dass die meisten dazu etwas zu sagen haben. Er passt sich an. Ohne sich oder seine eigene Meinung aufzugeben. Und ja, vielleicht sucht er auch Bestätigung, abends in der Bar und im Internet.”

5. “Der langsame ‘Tod’ des 1&1-Werbegesichts”
(meedia.de, Felix Disselhoff)
Marcell D’Avis, Leiter Kundenzufriedenheit bei 1&1, wird “im neuen TV-Spot in einer Reihe mit etlichen neuen Testimonials des Providers gezeigt”, womit nach Auskunft seines Arbeitgebers sein Wunsch, “ein wenig aus dem Rampenlicht herauszutreten, privater zu leben”, berücksichtigt wird. “Spiegel Online” dagegen schreibt: “Nun schafft die Firma die Werbefigur ab. Endlich.” Gegenüber Meedia.de erklärte 1&1, “dass D’Avis weiterhin in unveränderter Form für das Unternehmen tätig sei”.

6. “Stefan Kuzmany im Online-Spiegel seines Wissens über ‘Gottschalk Live'”
(funkkorrespondenz.kim-info.de)

Das sind nicht 22 Nanometer

Martin Eisenlauer gibt in “Bild am Sonntag” den “Tech-Freak”. Gestern schrieb er über die neuen Prozessoren für PCs und Notebooks, die der Chiphersteller Intel heute vorstellen will:

Die Chips bekommen die gleichen langweiligen Namen wie ihre Vorgänger, nämlich je nach Geschwindigkeit entweder i5 oder i7.

Doch die Namen sind das einzig lahme an den neuen CPUs. Sie nutzen erstmals dreidimensionale Bau-Strukturen, bei denen die einzelnen Leiterbahnen nur noch 22 Nanometer groß sind (ein Nanometer sind eine Million Millimeter). Damit erreichen sie rund 20 Prozent mehr Leistung und verbrauchen weniger Strom.

Wenn ein Nanometer “eine Million Millimeter” wären, wären das eintausend Meter — eine Größenordnung, die bisher als “Kilometer” bekannt war. Die einzelnen Leiterbahnen wären dann ungefähr so breit wie Manhattan lang.

Tatsächlich entspricht ein Nanometer einem Millionstel Millimeter. Die Umrechnung in Haare, Fußballfelder und das Saarland überlassen wir Ihnen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 17.04 Uhr: Ein aufmerksamer Leser hat uns darauf hingewiesen, dass der “Tech-Freak” auch bei anderen Aussagen daneben liegt. Es sind nicht die einzelnen Leiterbahnen, die nur noch 22 Nanometer groß bzw. klein sind, sondern die sogenannten Gates in den Transistoren. Auch die dreidimensionale Baustruktur betrifft nur die Transistoren und nicht die ganze CPU.

Tattoos, Günter Wallraff, Notwehr

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Stigma Tattoo: Pseudowissenschaftliche Vorurteilskonstruktion”
(novo-argumente.com, Tobias Prüwer)
Tobias Prüwer bezweifelt eine Studie, die “den Zusammenhang zwischen Tätowierungen, Piercings und Alkoholkonsum” untersuchte und zu einen Artikel auf Focus.de geführt hatte. Weiter geht es um eine ältere Studie über die “vorgeblich herausragenden sexuellen Aktivitäten von Tätowierten”. “Vielleicht sind Menschen, die sich Farbe in die Haut stechen lassen, einfach offener gegenüber anderen Aktivitäten, in denen der Körper eingesetzt wird? Eventuell haben Menschen mit mehr Sex eher Lust auf bunte Hautbilder? Gegebenfalls neigen Tätowierte zu Übertreibungen, wenn es um das alte Rein-Raus-Spiel geht?”

2. “In 80 Fehlern um die ‘Welt'”
(antimedien.de, Hektor Haarkötter)
Hektor Haarkötter studiert Zahlen und Statistiken in “Welt Aktuell”: “Weder erfährt man, wieviele Leute eigentlich befragt wurden (also die Stichprobe), noch auf welche Bezugsgruppe hier denn nun hochgerechnet werden soll (StatistikerInnen sprechen hier von der ‘Grundgesamtheit’): Alle Bundesbürger, alle Steuerzahler, alle Erwachsenen?”

3. “Kam Ali aus Ost-Berlin?”
(welt.de, Michael Behrendt und Dirk Banse)
Michael Behrendt und Dirk Banse setzen sich ausführlich mit der Vergangenheit von Günter Wallraff auseinander. Unter anderem geht es um eine Mitarbeit von Journalist Frank Berger am Bestseller “Ganz unten”, den “Stasi-Akten als mutmaßlichen Agenten des DDR-Geheimdienstes” ausweisen.

4. “Hasskommentare dürfen nicht publiziert werden”
(politblog.tagesanzeiger.ch, Johanne Gurfinkiel)
Johanne Gurfinkiel fordert, dass Leserkommentare “vor der Publikation gelesen und nicht mehr sofort veröffentlicht werden”: “Die Meinungsfreiheit darf nicht als Instrument für Hasspropaganda missbraucht werden. In diesem Sinne sind auch die Regeln in Bezug auf ein redigierendes Eingreifen vor der Veröffentlichung der Kommentare zu erstellen.”

5. “Notwehr gegen Paparazzo”
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Das Oberlandesgericht Hamburg beschließt: “Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, dass dem Angeklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben könnte.”

6. “Klaus erklärt: 50 Jahre BILD”
(youtube.com, Video, 1:55 Minuten)
Wie “Extra 3” 2002 den 50. Geburtstag von “Bild” feierte.

Hauptsache motzen

Die Journalistin Verena Mayer musste, als sie in der Zürcher Kronenhalle für 25 Franken einen kleinen Salat aß, mitansehen, wie am Nachbartisch die Rechnung beglichen wurde:

Sie betrug – ungelogen – 3489 Franken.

Das ist eines der Beispiele, mit denen sie im “Tagesspiegel”-Artikel “Das Leben ist schön teuer” klar zu machen versucht, wie teuer das Leben in Zürich ist.

Die Schweizer Boulevardzeitung “Blick am Abend” mochte das nicht auf sich sitzen lassen und konterte am Mittwoch mit einer Replik. Unter dem Titel “Gekommen um zu motzen” versuchen die Redakteure, Mayers Beispiele zu entkräften. Dafür nahmen sie sich fast eine Doppelseite Platz, die von einem Foto einer deutschen Flagge dominiert ist (PDF-Datei, Seiten 2 und 3):

Gekommen um zu motzen

In der Einführung zum Text heißt es:

Die deutsche Journalistin Verena Mayer lebt in Zürich und kritisiert im deutschen "Tagesspiegel" das teure Leben – wir relativieren.

Auch wenn die “motzenden” Deutschen mittlerweile zu den größten Gruppen von Ausländern in der Schweiz zählen: Verena Mayer ist Österreicherin, wie ein kurzes Anwerfen einer Suchmaschine in den ersten Resultaten verraten hätte. Immerhin, der “Tagesspiegel” ist tatsächlich aus Berlin.

dpa  

YouTube war das falsche Pferd

Heute hat das Landgericht Hamburg über eine Klage der Musikverwertungsgesellschaft GEMA gegen das Video-Portal YouTube entschieden. Das Urteil wurde mit Spannung erwartet, weil es grundlegende Bedeutung für das Urheberrecht im Internet haben könnte.

Entsprechend hatte die Deutsche Presseagentur dpa zwei verschiedene Eil-Meldungen vorbereitet, um – je nach Ausgang des Verfahrens – möglichst schnell “auf dem Draht” zu sein.

Und so verschickte die dpa um 13.40 Uhr diese Meldung:

Internet/Musik/Urheberrecht/Prozesse/Urteile/
(Eil)
Landgericht: YouTube muss Musiktitel nicht aus dem Netz nehmen

Hamburg (dpa) – Das Video-Portal YouTube darf entgegen einer Klage der Musik-Verwertungsgesellschaft Gema zwölf Musiktitel weiter in seinem Angebot bereitstellen. Dies entschied das Landgericht Hamburg am Freitag in erster Instanz. Dem Urteil wurde grundlegende Bedeutung für das Urheberrecht im Internet beigemessen.

… und hatte damit exakt aufs falsche Pferd gesetzt, wie die Agentur vier Minuten später selbst zugeben musste:

Internet/Musik/Urheberrecht/Prozesse/Urteile/
(Eil )
(Achtung)
Bitte verwenden Sie die Eil-Meldung nicht rpt nicht. Es wurde versehentlich eine vorbereitete unzutreffende Meldung gesendet. Sie erhalten in Kürze eine berichtigte Neufassung.

Eine weitere Minute später stellte dpa klar:

Internet/Musik/Urheberrecht/Prozesse/Urteile/
(Eil)
Landgericht: YouTube muss zwölf Musiktitel aus dem Netz nehmen

Hamburg (dpa) – Das Video-Portal YouTube muss zwölf von der Musik-Verwertungsgesellschaft Gema genannte Musiktitel aus seinem Angebot entfernen. Dies entschied das Landgericht Hamburg am Freitag in erster Instanz. Dem Urteil wurde grundlegende Bedeutung für das Urheberrecht im Internet beigemessen. Ob Revision eingelegt wird, war zunächst unklar.

Doch diese vier bis fünf Minuten reichten offenbar aus, um zumindest bei “Spiegel Online” das falsche Pferd ebenfalls zu satteln:

Gema-Prozess: YouTube darf Musiktitel im Netz lassen. Wegweisendes Urteil für Millionen Internetnutzer: Im Prozess der Gema gegen Youtube hat das Landgericht Hamburg für das Videoportal entschieden - zwölf strittige Musiktitel müssen nicht gelöscht werden. Der Richterspruch hat grundlegende Bedeutung für das Urheberrecht im Netz.

Aber auch dort ging alles recht schnell und so behauptet der Artikel inzwischen das Gegenteil — und wartet mit diesem Hinweis auf:

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, YouTube sei nicht verpflichtet worden, Titel zu löschen. Dies war die falsche Information einer Nachrichtenagentur. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 16.30 Uhr: Die dpa hatte noch mehr Pech: Tatsächlich hatte die Agentur um 13.39 Uhr zunächst die korrekte Eil-Meldung veröffentlicht, die aber noch den internen Vermerk “HOLD HOLD” (für “noch nicht senden”) in der Überschrift trug. Beim Versuch, diese “verwirrende” Version zu korrigieren, sei es dann zu dem “sehr ärgerlichen Fehler” mit der gänzlich falschen Meldung gekommen, wie uns die dpa-Pressestelle erklärte.

Unterdessen geht die Verwirrung um das Gerichtsurteil weiter: Um 13.56 Uhr verschickte die Nachrichtenagentur AFP eine Berichtigung ihrer elf Minuten alten Eilmeldung:

EILMELDUNG
Berichtigt: YouTube darf sieben Videos nicht mehr zeigen
+++ YouTube darf sieben (statt zwölf) Videos nicht mehr zeigen +++

Hamburg, 20. April (AFP) – Im Rechtsstreit mit der Internetplattform YouTube hat das Landgericht Hamburg der deutschen Musikrechte-Gesellschaft Gema zum Teil Recht gegeben. YouTube dürfe sieben Musikvideos in Deutschland nicht mehr zugänglich machen, entschied der Richter Heiner Steeneck am Freitag. Fünf Videos dürfen weiter gezeigt werden.

Das stimmt in dieser Form auch nicht: In den fünf Fällen, in denen das Gericht die Klage der GEMA abgewiesen hatte, geschah dies aus formalen Gründen, wie der NDR berichtet. Es habe keine Grundlage mehr für eine Löschung gegeben, da die Songs bereits bei YouTube entfernt und nicht erneut hochgeladen worden seien.

Blättern:  1 2 3 4 ... 6