Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung offenbar die Endlagerung ehemaliger karibischer Machthaber in Deutschland erlaubt:
Der Fehler ging auf das Konto der Deutschen Presse-Agentur dpa, inzwischen haben aber fast alle Online-Medien, die ihn zunächst übernommen hatten, “Castro” durch “Castor” ersetzt. Bis auf “Zeit Online”.
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2. “Boulevard der Schäbigkeiten” (spiegel.de, Frank Patalong)
Aussagen von Max Mosley und J. K. Rowling vor der Untersuchungskommission zum Abhörskandal der Boulevardzeitung “News of the World”. Und von Sienna Miller: “Sie erzählt, wie ihre intimsten Beziehungen belastet und in Frage gestellt wurden, als über Jahre Informationen in der Presse auftauchten, ‘von denen definitiv nur drei Personen wussten’. Es klingt, als könne sie es bis heute nicht fassen. Man spürt, dass sie über mehr als nur erschüttertes Vertrauen spricht, sie redet von intimen Beziehungen, die durch Verdächtigungen am Rande des Zusammenbruchs standen.”
3. “Medien sitzen Bigpoints ‘Umsatzrakete’ auf” (meedia.de, Henning Ohlsen)
Henning Ohlsen fragt beim Mediensprecher von Bigpoint nach, ob mit einer virtuellen Drohne tatsächlich “in 4 Tagen 2 Mio. Euro” umgesetzt wurde, wie zum Beispiel Krone.at schreibt: “Es gab zehn Drohnen, die durchschnittlich rund 100 Euro kosteten. Hubertz’ Rechnung im Gamesbrief-Bericht sei lediglich ein Planspiel gewesen, das falsch wiedergegeben worden sei.”
5. “Die neuen Gebrüder Grimm” (taz.de, Felix Dachsel)
Große Männerwochen bei der “Zeit”: “Erst bescheinigt Helmut Schmidt, der Herausgeber, Peer Steinbrück, dem SPD-Fast-Kanzler-Kandidaten, das volle Zeug zum Kanzler (Titelzeile: ‘Die Partie ist eröffnet’), jetzt nimmt der Chefredakteur des Hamburger Blatts dem Exminister die Beichte ab (Titelzeile: ‘Es war kein Betrug’).” Zur “Zeit” und Guttenberg siehe auch das Interview mit FAZ-Redakteur Jürgen Kaube (dradio.de, Frank Meyer)
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1. “‘Schwer verliebt’: Rhein-Zeitung engagiert sich” (ndr.de, Video, 6:44 Minuten)
Zapp spricht mit Sarah, Kandidatin der Sat.1-Sendung “Schwer verliebt” und Vera Müller, Redakteurin der “Rhein Zeitung”. In einer Stellungnahme bestreitet der Sender, dass Kandidaten “zu Handlungen und Aussagen gedrängt worden” seien: “Ein Drehbuch lag bei ‘Schwer verliebt’ nicht vor.”
3. “‘Dönermorde’ wird Unwort des Jahres” (meedia.de, Christine Lübbers) Patrick Gensing spricht im Interview mit Christine Lübbers darüber, wie Rechtsextreme in den Medien vorkommen: “Ich glaube, man würde es sich in keinem anderen wichtigen Gebiet erlauben, dass man über zehn Jahre nicht über Bildsprache nachdenkt. Natürlich gibt es noch Nazis, die Glatze tragen. Die sind aber mehr das Fußvolk, das nicht so ganz ernst genommen wird. Im organisierten Rechtsextremismus ist das Bild ein anderes.”
4. “Causa Kachelmann: Oberlandesgericht Köln gibt Bild.de recht” (horizont.net)
Das Oberlandesgericht Köln entscheidet im Rechtsstreit zwischen Jörg Kachelmann und Bild.de in zweiter Instanz zugunsten von Bild.de: “Aus Sicht der Richter war die Berichterstattung von Bild.de im Fall Kachelmann nicht zu beanstanden.”
5. “Wer hat das Skript geschrieben?” (faz.net, Hans Hütt) “Börse im Ersten” sei “keine Informationssendung, schon gar nicht für Aktienbesitzer in Deutschland”, schreibt Hans Hütt. “Wer das behauptet, hat die Komposition der Sendung nicht verstanden. Sie zelebriert eine Andacht. Jeder Lidschlag des Moderators, jedes Senken seines Haupts folgen einem liturgischen Skript.”
Leiden auch Sie unter den “knackig kalten” Temperaturen und kommen Sie kaum noch mit der Beseitigung des “vielen Schnees” nach? Nein? Dann leben Sie offenbar in einem anderen Deutschland als dem, für das Bild.de und mopo.de vor viereinhalb Wochen einen “Horror-Winter” bzw. “Arktis-Winter” angekündigt haben:
Unter Berufung auf den Wetterdienst donnerwetter.de behauptete Bild.de am 22. Oktober:
Er wird kommen. Mit Minusgraden und viel Schnee. Drei Monate lang. Und Ende November geht es schon los!
Bibber-Alarm: In vier Wochen beginnt der Horror-Winter!
(…) Der November startet wahrscheinlich noch sehr mild, so dass der Absturz der Temperaturen Mitte/Ende November recht heftig ausfällt. Wir erwarten dann sogar schon die ersten Schneefälle bis ins Flachland, sagen die Donnerwetter-Experten in ihrer Winter-Prognose.
Und mopo.de orakelte ähnlich dramatisch:
Minusgrade. Schnee. Glatteis. Und das für Monate! Der nahende Winter – wird er so schlimm wie im vergangenen Jahr? Droht uns gar ein echter Horror-Winter? Michael Klein von „Donnerwetter.de“ ist sich zumindest ziemlich sicher, dass es richtig kalt wird – und kündigt für November bereits das erste Schnee-Chaos an.
Bereits am 24. Oktober kommentierte Jörg Kachelmann die Vorhersagen von Bild.de und mopo.de in einem Video auf YouTube folgendermaßen:
Niemand weiß heute, wie der Winter wird. Was Sie da lesen ist alles Schwachsinn. Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Kann sein, dass ein kalter Winter kommt, muss aber nicht. (…) Das Wetter weiß es im Moment selbst noch nicht. Leider sind wir in der Meteorologie noch nicht so weit, das so weit im Voraus vorhersagen zu können. Es gibt (…) kein anderes Land, in dem dieser Stuss abgedruckt wird.
Ähnlich formulierte es der Leiter des Institutes für Wetter- und Klimakommunikation auf wetterspiegel.de, als vor einem Jahr ähnliche Prognosen über den Winter 2010/11 aufgestellt wurden:
Frank Böttcher, Leiter des Institutes für Wetter- und Klimakommunikation und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft in Norddeutschland, stellt klar: “Wir können heute seriös Wetterprognosen für ein paar Tage machen. Wie das Wetter in ein paar Wochen wird, wissen wir nicht.” (…) Mit dieser Art von Vorhersagen steigen nach Ansicht von Frank Böttcher diese unseriösen Propheten in die “Fußstapfen von Nostradamus” und verlassen den Boden wissenschaftlich gesicherter Prognosen. “Diese Kollegen bringen die Meteorologie in Verruf. Sie nutzen die Unkenntnis der Öffentlichkeit für große Schlagzeilen.”, so Böttcher.
Immerhin zeigt sich Bild.de flexibel. Nachdem dort noch vor einem Monat für Ende November Schneechaos angekündigt wurde, heißt es jetzt:
Die Berliner Band Die Ärzte hält nicht viel von der “Bild”-Zeitung. Sie hält auch nicht viel von der Leipziger Band Die Prinzen.
Aus diesem Dreieck ist jetzt eine Geschichte in der Leipziger Regionalausgabe von “Bild” entstanden:
Die Ärzte sind Deutschlands berühmteste Spaß-Punk-Kombo – doch bei den Prinzen hört für sie der Spaß auf!
Unglaublich, aber wahr: “Den die ärzte ihr offizieller Fanclub” (die Band schreibt sich bescheidenerweise selbst klein) muss das “offiziell” ab sofort streichen, heißt jetzt “Die Ärzte Fanclub” (5560 Mitglieder). Auslöser: Ein Interview mit Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel im Fanclub-Magazin “Prawda”!
Bei Bild.de ist die Überschrift sogar noch ein bisschen eskalativer:
Tatsächlich scheint das Interview in der Fanclub-Zeitschrift ein Katalysator für die Umbenennung gewesen zu sein:
Ärzte-Manager Axel Schulz auf der Fanclub-Homepage (www.daefc.de): “Nach außen wird durch den Zusatz ‘offiziell’ unkorrekterweise vermittelt, der Fanclub würde die Meinung der Band wiedergeben. (…) Höhepunkt war sicherlich das Interview mit Sebastian Krumbiegel.”
So weit das Zitat in “Bild”.
Aus dem, was Schulz noch so schrieb, lässt sich gut erkennen, wie unpassend die “Bild”-Schlagzeile mit der “Zensur” ist:
Wir können und wollen euch die Inhalte der PRAWDA und des Newsletters nicht vorgeben, geschweige denn alle Texte vor Abdruck prüfen. Der mündige Fan ist uns wichtig! Deshalb hat sich das Management, auch im Namen der Band, entschlossen, sich von dem Titel “offiziell” im Fanclub zu verabschieden. Wir sind der Ansicht, dass wir alle davon profitieren werden. Ihr gelangt so zu mehr Unabhängigkeit und werdet als eigenständiges Sprachrohr der Fans wahrgenommen. Auch der Vorwurf der Kritiklosigkeit durch eine vermeintlich zu große Nähe zum Management lässt sich so entkräften.
Und ganz so herzlos, wie “Bild” es darstellt, scheinen Band und Management auch nicht zu sein:
Zudem werden wir die Kosten der Namensumstellung übernehmen, und die versprochenen Ticketvergünstigungen wie bisher beibehalten, so dass aus der Namensänderung den Fans keine Nachteile entstehen.
Auch der Fanclub selbst ist mit der neuen Situation nicht unglücklich, befreit es den Club doch aus einem Dilemma:
Wir können uns eine Fanclubarbeit, bei der jede Kleinigkeit (insbesondere, wenn sie nicht direkt die Band betrifft) dem Management vorgelegt und abgesegnet werden muss, nicht vorstellen, und wir sind auch nicht der Meinung, dass das in eurem Interesse wäre. Das Management teilt in dieser Hinsicht unsere Meinung.
Von der Seite der Mitglieder wiederum hören wir immer wieder die Aussage, dass der Fanclub zu unkritisch berichtet und als reines Promoorgan des Managements fungiert.
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1. “Der Werther-Effekt schadet, der Papageno-Effekt nützt” (zeit.de, Parvin Sadigh)
Medienpsychologe Benedikt Till wünscht sich mehr Beachtung für die 2008 aus der Forschung abgeleiteten Medienrichtlinien zur Berichterstattung über Suizid (PDF-Datei auf suizidforschung.at). Verpflichtend sollen diese aber auf keinen Fall sein: “Die Pressefreiheit sollte nicht beschnitten werden.”
2. “Der Gute Mann von Axel Springer” (stefan-niggemeier.de)
Die Begeisterung von deutschen Medien über die Ankündigung von Mathias Döpfner, Vorgänge in den 1970er-Jahren bei “Bild” “minutiös zu ergründen und aufzuklären”. “Natürlich ist es begrüßenswert, wenn Springer jetzt tatsächlich die Vorgänge rund um Wallraffs Enthüllungen aufarbeiten will. Aber wäre es vom Vorstandsvorsitzenden wirklich zuviel verlangt, sich zumindest auf den Stand von 1979 zu bringen, bevor er öffentlich den Aufklärer gibt?”
4. “Blog aus Bremen: Fremdschämen” (derstandard.at, Peter Illetschko)
“Ein PR-Mann erzählt auf der ‘Wissenswerte’, dem Bremer Forum für Wissenschaftsjournalismus, über seine Erfahrungen mit einem Journalisten. Man habe ein Interview via Mail vereinbart. Nach wenigen Tagen kam ein wütender Anruf des Zeitungsmanns. Wo denn das Interview bliebe, wollte dieser wissen. ‘Aber sie haben ja noch keine Fragen geschickt!’ war die logische Antwort. Worauf der Journalist fragte: ‘Schreiben sie die Fragen denn nicht selber?'”
5. “Wissen, wie man richtig zitiert” (superblaa.blogspot.com, Mad Crawler)
Der “Blick am Abend” zitiert aus “Welt Online” – und schreibt darauf gleich mehrere Sätze 1:1 ab.
Der 13. Spieltag der Fußball-Bundesliga stand offensichtlich unter keinem guten Stern. Neben der medialen Überforderung in einem anderen Fall (BILDblog berichtete) gab es auch noch diese Schlagzeile, die so oder so ähnlichdurchvieleMedienging (hier: “Welt Online”):
Das Mitleid in den Leserkommentaren hält sich dabei in Grenzen. Auf “Welt Online” heißt es etwa:
Hooligan vs Hooligan, also nichts tragisches. Wer sich freiwillig und mutwillig in Gefahr begibt, muss halt mit den Konsequenzen rechnen. Gilt schließlich auch für jeden Straftäter.
Oder:
Hätte ruhig mehr als nur der Arm sein können, auf sowas kann man gut verzichten.
Wenigstens wird er wohl künftig Ruhe geben…zumindest eine Sorge weniger
Dass es sich bei dem verletzten Nürnberg-Fan überhaupt um einen Hooligan handeln soll, geht auf Berichte des bayrischen Landesdienstes von dpa und des Sportinformationsdienstes sid vom Sonntag zurück, deren Überschriften “Nürnberger Hooligan verliert Arm bei Schlägerei” bzw. “Schlägerei in Köln: Hooligan verliert Arm” lauteten. Im dpa-Bericht heißt es unter anderem:
Ein Nürnberger Fußball-Hooligan hat bei einer Schlägerei mit Mainzer Fans im Kölner Hauptbahnhof einen Arm verloren. (…) Das Opfer war der Polizei selbst als sogenannter “Gewalttäter Sport” bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben.
So eindeutig, wie dpa und sid sie darstellen, scheint die Sachlage jedoch nicht zu sein. Am Montag meldet sich die Nürnberger Ultraabspaltung “Banda di Amici” zu Wort und wehrt sich gegen die Bezeichnung des Verletzten als Hooligan:
Unser Gruppenmitglied (…) war weder einer der körperliche Gewalt gesucht hat, noch war er in irgendeiner Weise vorbestraft. Sein viel zitierter “Gewalttäter Sport” Eintrag stammt von den Vorfällen beim Derby Heimspiel im Februar 2010, wo er einen Freispruch erster Klasse erhielt.
Auch der Nürnberger Sport-Vorstand Martin Bader sagt in einem Interview auf fcn.de, dass der verletzte Clubfan seinen Informationen zufolge kein Hooligan ist. Und im Onlineauftritt des “Kölner Stadtanzeigers” heißt es:
Der Kölner Oberstaatsanwalt Alf Willwacher konnte Medienberichte nicht bestätigen, nach denen es sich bei dem Opfer um einen polizeibekannten Hooligan handeln soll.
In der “Allgemeinen Zeitung” und auf nordbayern.de, dem gemeinsamen Onlineauftritt der “Nürnberger Nachrichten” und der “Nürnberger Zeitung”, werden sogar ernsthafte Zweifel an der ursprünglichen Darstellung laut. So wird inzwischen auch ein Unfall nicht mehr ausgeschlossen:
Zeugen, die keiner Fangruppe angehören, gaben mittlerweile Hinweise darauf, dass es sich auch um einen Unfall gehandelt haben könnte. “Sie haben ausgesagt, dass der 19-Jährige über die Bahngleise gelaufen war und dabei vor den Zug gefallen sei”, sagte der ermittelnde Kölner Oberstaatsanwalt Alf Willwacher der Nürnberger Zeitung. Die Ermittlungen laufen nun in beide Richtungen.
Kein Wunder also, dass sich jetzt auch noch die “Rot-Schwarze Hilfe”, eine Art Hilfsorganisation für FCN-Fans, die mit Justiz oder Presse in Konflikt geraten sind, eingeschaltet hat. Sie schreibt:
Tatsache ist, dass der Geschädigte (Mitglied der RSH) noch nie strafrechtlich verurteilt wurde. Die Nürnberger Polizei hat ausdrücklich bestätigt, dass die Pressemeldung der Deutschen Presseagentur von gestern falsch ist.
Über den für den Fall zuständigen RSH-Anwalt wurde daher die Deutsche Presseagentur aufgefordert, die Meldung zu widerrufen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung noch am heutigen Tage abzugeben.
Die Deutsche Presseagentur bestätigte uns gegenüber den Eingang einer Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, wies die Vorwürfe jedoch zurück und flüchtete sich in Details:
1. Ja, wir sind durch einen Anwalt zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert worden.
2. Nein, wir haben keine solche Erklärung abgegeben und werden das nach derzeitigem Erkenntnisstand auch nicht tun.
3. Unsere Berichterstattung war nicht falsch, sondern jederzeit durch gute Quellen bei Polizeibehörden gedeckt.
(…)
Was die Verwendung des Begriffs “Hooligan” angeht (…): Wir schreiben in unserer Berichterstattung im Konjunktiv und unter Verweis auf die uns vorliegenden Polizeiquellen, der Betroffene sei “der Polizei als sogenannter ‘Gewalttäter Sport’ bekannt”. Wir behaupten nicht selbst, dass er ein solcher “Gewalttäter Sport” ist. Dass sein Mandant in der entsprechenden Datei als “Gewalttäter Sport” geführt wird, hat übrigens auch sein Anwalt uns gegenüber nicht bestritten – er erklärt lediglich, eine solche Eintragung in die Datei sei nicht gleichzusetzen mit der Behauptung, der Betroffene sei auch tatsächlich ein “Gewalttäter”. Aber, wie gesagt, dies hat die dpa ja auch nie behauptet.
Die dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH hat an ihrer Berichterstattung nichts zu widerrufen oder zu berichtigen.
Man muss wohl schon Jurist (oder dpa-Mitarbeiter) sein, um in den Sätzen “Ein Nürnberger Fußball-Hooligan hat bei einer Schlägerei (…) einen Arm verloren” und “Das Opfer war der Polizei selbst als sogenannter ‘Gewalttäter Sport’ bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben” die feine Nuancierung zu erkennen, dass es sich nur um einen “Hooligan” oder “Gewalttäter Sport” handeln könnte.
Unterdessen hat dapd schon längst eine neue Nachricht gemeldet. Die Überschrift lautet: “Verunglückter Fan kein Hooligan”
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.
Nachtrag, 27. Oktober: In einer Meldung vom Freitag geht jetzt auch dpa deutlich differenzierter mit dem Fall um. Unter anderem heißt es dort:
Der 19-Jährige wird nach Angaben des bayerischen Innenministeriums in der Datei “Gewalttäter Sport” geführt. Auf diese Liste kann man nach Polizei-Angaben auch kommen, ohne jemals selbst gewalttätig geworden zu sein. Es kann dafür ausreichen, dass jemand zu einer Gruppe gerechnet wird, aus der heraus Straftaten begangen werden. Das bayerische Innenministerium will keine Angaben dazu machen, weshalb der 19-Jährige in die Gewalttäter-Datei aufgenommen wurde.
Der junge Mann hat mittlerweile über seinen Anwalt Jahn-Rüdiger Albert bestreiten lassen, dass er Gewalttäter sei. “Mein Mandant ist keinHooligan und gehört auch keiner Hooligan-Gruppierung an”, versicherte Albert. Der 19-Jährige sei auch zu keinem Zeitpunkt verurteilt worden, weder wegen einer Gewalttat im Zusammenhang mit einem Fußballspiel noch wegen sonstiger Delikte.
Die Rot-Schwarze Hilfe nennt diese Zeilen einen “riesigen Erfolg” und sieht darin ein Einknicken der dpa.
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2. “Ein kurzer Leitfaden zu faulem EU-Journalismus” (opalkatze.wordpress.com)
Opalkatze übersetzt einen Beitrag mit 20 Tipps für faule Journalisten, die über die EU schreiben: “1. Sie sind nicht sicher, wie die EU funktioniert oder welche Institutionen es gibt? → Schreiben Sie einfach ‘Brüssel’.”
3. “gehaltvolle berichterstattung” (devianzen.de)
Devianzen widmet sich minutiös dem “Bericht aus Berlin” am 20. November (Video, 18:31 Minuten): “knapp 37% der sendzeit des ‘berichts aus berlin’ (inklusive an- und abspann!) verwendet man auf die frage zur neueinsetzung der vorratsdatenspeicherung.”
4. “Wir haben keine Fragen gestellt!” (migazin.de, Marjan Parvand)
Nicht nur der Polizei und dem Verfassungsschutz würde Selbstkritik im Fall der Morde an Kleinunternehmern gut stehen, sondern auch den Journalisten, meint Marjan Parvand: “Jahrelang haben wir uns mit dem zufrieden gegeben, was uns Polizei und Behörden als mögliche Tatmotive genannt haben. Jahrelang haben wir die Begrifflichkeiten der Behörden – ‘Dönermorde’ oder ‘Soko Bospurus’ – nicht nur hingenommen sondern uns derselben menschenverachtenden Sprache bedient. Wir haben uns gemein gemacht, und eines der höchsten Güter unseres Berufs aufgegeben: die Unabhängigkeit.”
Am Samstag wurde das Bundesligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und dem FSV Mainz 05 eine knappe Stunde vor Anpfiff abgesagt. In der ersten Eilmeldung, die dazu über die Ticker ging, schrieb der Sportinformationsdienst (sid):
“Der Schiedsrichter ist nicht eingetroffen”, sagte FC-Pressesprecher Tobias Schmidt: “In der Kürze der Zeit konnte kein Ersatzmann kommen. Wir können keine weiteren Angaben machen.” Das Spiel sollte von Babak Rafati (Hannover) geleitet werden.
In einer eilig einberufenen Pressekonferenz erklärte Kölns Sportdirektor Volker Finke, dass es “einen Unfall des Schiedsrichters” gegeben habe. Doch zu diesem Zeitpunkt war schon eine andere Version in Umlauf, auf den Draht gegeben von der Deutschen Presseagentur (dpa):
Nach dpa-Informationen soll Rafati einen Selbsttötungsversuch unternommen haben. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.
Das sind Sätze, deren Dimension sich einem nicht auf den ersten Blick erschließt. Wenn sich die “dpa-Informationen” als falsch herausgestellt hätten, wäre es ein mittelgroßes Desaster für die dpa gewesen: Ein paar Leute hätten sich bei Rafati und ein paar anderen Leuten entschuldigen müssen. Aber dieses Szenario wäre womöglich weniger verheerend gewesen, als das, was dann passierte.
In ihrer Radio-Fußballübertragung gingen die ARD-Anstalten früh auf das Gerücht ein, das sich bald als Fakt bestätigte. Der WDR vermeldete stolz, herausgefunden zu haben, in welchem Hotel Rafati mutmaßlich seinen Selbstmordversuch unternommen habe, und die Onlinemedien drehten auf. Die Nachrichtenagentur dapd stimmte erstaunlich spät mit ein, aber vielleicht hatte dort einfach niemand mitbekommen, was los war.
Babak Rafati hat überlebt, aber ein Selbstmordversuch ist und bleibt ein versuchter bzw. nicht gelungener Suizid. Um Nachahmungstaten (den sogenannten “Werther-Effekt”) möglichst gering zu halten, empfehlen Psychologen den Medien, bei der Berichterstattung über Suizide Folgendes zu beachten:
Sie sollten jede Bewertung von Suiziden als heroisch, romantisch oder tragisch vermeiden, um möglichen Nachahmern keine post-mortalen Gratifikationen in Form von Anerkennung, Verehrung oder Mitleid in Aussicht zu stellen.
Sie sollten weder den Namen der Suizidenten noch sein Alter und sein Geschlecht angeben, um eine Zielgruppen-Identifizierung auszuschließen.
Sie sollten die Suizidmethode und – besonders bei spektakulären Fällen – den Ort des Suizides nicht erwähnen, um die konkrete Imitation unmöglich zu machen.
Sie sollten vor allem keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides andeuten, um so jede Identifikations-Möglichkeit und Motivations-Brücke mit den entsprechenden Lebensumständen und Problemen des Suizidenten vermeiden.
Der sid jedenfalls eröffnete schon um 16.09 Uhr, keine Stunde, nachdem der erste Hinweis auf Rafatis Selbstmordversuch über den Ticker gegangen war, den munteren Spekulationsreigen: Die Reporter hatten jemanden gefunden, den sie mit den Worten zitieren konnten, “depressive Verhaltensverweisen” von Rafati seien ihm nicht bekannt.
“Spiegel Online” hatte zunächst so über Rafatis Ausfall für das Bundesligaspiel berichtet:
Offenbar ein Versehen, denn eine halbe Stunde sah der gleiche Artikel so aus:
DFB-Präsident Theo Zwanziger gab noch am Samstagnachmittag in Köln eine Pressekonferenz, in der er es schaffte, an den Satz “Ich würde Sie bitten, mir Einzelheiten zu ersparen” mit einer Kurzbeschreibung der Auffindesituation anzuschließen, die die Medien gerne weiter verbreiteten. Georg Fiedler, der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention kritisierte im Gespräch mit der dpa die Ausführungen Zwanzigers mit den Worten: “Ich glaube, man muss nicht sagen, wie es jemand gemacht hat”. Die dpa wiederum hielt es für eine gute Idee, Zwanziger in diesem Kontext noch mal zu zitieren.
“Spiegel TV” und “Kicker TV” bemängelten in einem gemeinsamen Videobeitrag “zweifelhafte Reaktionen”:
So gehören die Details der Situation, in der Rafati aufgefunden wurde, sicherlich zu seiner Privatsphäre, aber die Dramatik überforderte auch den DFB-Präsidenten.
So spricht der Off-Sprecher, dann spricht Theo Zwanziger und nennt die Details der Situation, in der Rafati aufgefunden wurde.
Der Totalausfall der Selbsterkenntnis geht weiter:
Ohne um die Motive oder Beweggründe Rafatis zu wissen, sind jede Menge Spekulationen im Umlauf — auch über die Rolle des Drucks auf Schiedsrichter, ohne dass jemand weiß, ob dieser Umstand im Fall Rafati zutrifft.
Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention, die die Berichterstattung der Medien als “im Großen und Ganzen angemessen” bezeichnet hatte, stellte angesichts der Spekulationen über Rafatis Beweggründe die Frage, “ob uns das überhaupt etwas angeht?”
Für Bild.de lautete die Antwort offenbar: Natürlich. Sie stellten einen Artikel aus der “Bild am Sonntag” unter dieser Überschrift online:
Reporter von “Bild” und “Berliner Kurier” hatten unterdessen Rafatis Vater ausfindig gemacht und befragen den Mann, der am Samstag beinahe seinen Sohn verloren hätte, zu aktuellen Entwicklungen und möglichen Beweggründen.
Bild.de spekuliert heute munter drauf los:
Sportliche Gründe? Zum 1. Januar sollte er den Status als Fifa-Schiedsrichter verlieren (und damit internationale Einsätze). Auch in der Bundesliga kam er immer seltener zum Zuge (erst 4 Spiele in dieser Saison). Das bedeutet für ihn auch finanzielle Einbußen.
Rafati hätte am Samstag, dem 13. Spieltag, sein fünftes Saisonspiel pfeifen sollen. Hochgerechnet auf die Saison wäre Rafati auf etwa 13 Einsätze gekommen — in der vergangenen Saison waren es neun.
Auch express.de beteiligt sich an den Spekulationen:
Kam der 41-Jährige am Ende mit dem Druck nicht mehr zurecht? Fakt ist: Auf Facebook gibt es eine Anti Rafati-Seite. Dort werden meist tief unter der Gürtellinie seine Leistungen auf dem Platz beurteilt. Derzeit diskutieren die User allerdings, ob sie den Schiedsrichter gemobbt hätten. Und ob man diese Seite nicht besser löschen sollte. Das ist bisher noch nicht geschehen.
Die Popularität dieser Facebook-Seite könnte natürlich auch auf express.de zurückgehen, wo die Reporter vor zehn Monaten geschrieben hatten:
Vor einer Woche riefen Nürnberg-Fans die Facebook-Seite “Anti Babak Rafati” ins Leben. Die hatte am Montag bereits über 1000 Anhänger – inzwischen auch viele aus Düsseldorf. Wer stoppt “Tomati” endlich?
“Bild” fragt heute “Wie krank macht die Bundesliga?” und stellt fest:
Immer mehr Akteure scheinen mit dem Druck nicht fertig zu werden.
“Bild” verweist in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf den Selbstmord von Nationaltorwart Robert Enke vor zwei Jahren und zitiert den Sportpsychologen Andreas Marlovits mit den Worten:
“Vor allem wenn es um negative Wertungen geht, also beispielsweise der schlechteste Schiedsrichter o. ä. gewählt wird und Personen ständig persönlich angegriffen werden, kann es gefährlich werden, weil es einen gewaltigen Druck erzeugt.”
In einer kurzen Phase der Selbstreflexion hatte sich Walter M. Straten, stellvertretender Sportchef von “Bild”, nach Enkes Tod mit den Worten zitieren lassen:
“Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.
In der gleichen Ausgabe, in der ein Psychologe vor dem “gewaltigen Druck” warnt, der durch negative Wertungen entsteht, bewertete “Bild” die Leistung der Spieler des SV Werder Bremen im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach heute so:
Wie Journalisten dem öffentlichen Interesse nachkommen können, ohne alles noch schlimmer zu machen, beweist sueddeutsche.de mit der knappen Meldung, dass Babak Rafati inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen sei.
Fast so lang wie der Artikel selbst ist diese Anmerkung:
Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbstmorde zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung im Fall Rafati gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.
Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber!
Nachtrag, 22. November: Die Nachrichtenagentur dapd hat uns mitgeteilt, dass ihre Redakteure – entgegen unserer Spekulationen – durchaus mitbekommen hätten, dass sich offenbar Schlimmes zugetragen hatte. Die Redaktion habe sich aber erst ganz sicher sein wollen, bevor sie darüber berichtete.
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1. “Das Fernsehen ist skrupelloser geworden” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath redet mit Stefan Niggemeier über Fernsehen in Deutschland: “Das ganze deutsche Fernsehen besteht aus Sendungen, die so sind, wie sie immer schon waren. Eine einzige Wiederholungsschleife.”
3. “Natürlich sind wir abhängig” (taz.de, Felix Dachsel)
Unabhängigkeit werde auch von den konventionellen Medien simuliert, sagt Journalist Christoph Scheuring, der Magazine für Unternehmen produziert. So sieht er das Feuilleton als ein “verwobenes Dickicht von persönlichen Beziehungen und Interessen und in Wahrheit eine einzige riesige PR-Maschine”: “Da werden Bücher gelobt, weil ein alter Freund darum bittet oder weil der Redakteur selbst für diesen Verlag schreibt oder schreiben möchte oder weil er mit dem Regisseur befreundet ist und so weiter. Auch Bücher, Filme, CDs sind zuerst Produkte, die jemand verkaufen will.”
4. “Außerhalb der Finsternis” (matthias-schumacher.com)
Schockmeldungen überall: “Schade, dass das ständige Aufblasen von Nichtigkeiten zu Skandalen, Schockmeldungen und Sensationen dazu geführt hat, dass viele die wirklich harten Schläge nicht mehr spüren. Wir sind Dickhäuter geworden, rosarot bebrillt, Skandale erkennen wir nur noch als solche, wenn’s einer fett drüberschreibt, ob darunter oder dahinter ein wirklicher Skandal steckt, spielt kaum noch eine Rolle.”
5. “Schlagzeilen – ‘Der Spiegel unter den Erotikmagazinen'” (kioskforscher.posterous.com, Markus Böhm)
Ein Interview mit Matthias Grimme, dem Verleger der BDSM-Zeitschrift Schlagzeilen: “In der Schlagzeilen-Redaktion hatten wir immer den Anspruch, das Heft so zu machen, dass wir es unseren Müttern zeigen können. Und dass die Mütter es dann – abgesehen vom Thema, mit dem sie nicht so viel anfangen können – irgendwie cool finden.”