Archiv für Dezember 11th, 2009

Blöde aller Länder, vereinigt euch!

Wenn eine Boulevardzeitung bei einer Boulevardzeitung abschreibt, die ihre Informationen aus einer Boulevardzeitung entnimmt, kann dabei nur Grütze herauskommen — Grütze, die inzwischen einen Großteil der Journalismus-Ersatz-Portale im Internet ausmacht.

So schreibt der Online-Ausleger von “Bild” unter Berufung auf den “Daily Mirror” (und der wiederum unter Berufung auf ein Blog der spanischen “20 Minutos”) über den Sänger der rumänischen Popband Jukebox, der bei einem Auftritt im rumänische Fernsehen sein Mikrofon falsch herum gehalten hat.

“Wie blöd ist das denn?”, fragt Bild.de und findet den Auftritt “einfach nur mega-peinlich”.

Ja ja, die Rumänen. Nur: Der Sänger kann nach mehr als 1000 Live-Konzerten mit Mikrofonen umgehen und hat sich einfach einen Spaß erlaubt, wie er der rumänischen Presse (leider auf rumänisch) erklärt hat. Das übrigens nicht zum ersten Mal: Bereits einige Wochen vor seinem Auftritt in der Sendung “Stele sub lupa” hielt er sich in einer Show des Fernsehsenders TVR1 das falsche Mikrofonende an den Mund.

Das “20 Minutos”-Blog hat inzwischen erkannt, dass seine Einschätzung des Auftritts vermutlich falsch war.

Und jetzt könnte man natürlich fragen: “Wie blöd ist Bild.de denn?” und den Daily Mirror einfach nur mega-peinlich finden … aber lassen wir das.

Den Sänger jedenfalls freut es: Nachdem unter anderem MSN sowie die “Sun” auf den Zug aufgesprungen sind, wurde sein Video schon über 700.000 Mal angeklickt.

Mit Dank an Andreas N.!

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Chaotsein oder Nichtchaotsein?

Gestern berichtete die “Bild” über zwei Berliner Jugendliche, die seit sieben Monaten in U-Haft sitzen, weil sie eine Brandflasche gegen Polizisten geschleudert haben sollen. Der Prozess gegen die beiden Schüler ist umstritten; sogar “Bild” fragte Anfang September:

Doch stehen die Falschen als Mai-Randalierer vor Gericht?

Gestern zeigte die “Bild” wieder ungewohnte Zweifel an der Schuld der Angeklagten:

Die Indizien sind dünn, die Verteidigung sicher: Es liegt eine Verwechslung vor.

Um aber keine Zweifel an der poltiischen Positionierung der Zeitung aufkommen zu lassen, erhielt der Artikel sicherheitshalber folgende Überschrift:

Gnade für Mai-Chaoten

Was immerhin eine gewisse Konsequenz hat, denn auch vor drei Wochen hatte “Bild” die Schuld der Täter in der Schlagzeile schon festgestellt:

Mai-Randalierer vor Gericht

“Bild”-Routine halt.

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Mit Rummenigge im Irrland

Die Beziehung zwischen Karl-Heinz Rummenigge und “Bild” war auch schon mal besser. Vielleicht liegt es daran, dass die Zeitung dem Vorstandsvorsitzenden von Bayern München vorgeworfen hat, sich zu irren. Vielleicht aber auch bloß daran, dass sie sich geirrt hat.

Am 9. November berichtete “Bild” in großer Aufmachung über einen “Aufstand bei Bayern”. Rummenigge hatte angekündigt, Philipp Lahm wegen eines kritischen Interviews zu einer Geldstrafe zu verurteilen, “wie es sie in dieser Höhe beim FC Bayern München noch nie gegeben hat”.

Aufstand bei Bayern

“Bild” verwies auf selbst erfundene recherchierte Zahlen, wonach Lahm “maximal 25.000 Euro” und Luca Toni 15.000 Euro zahlen müssen, “Bild” schlaumeierte, dass Oliver Kahn ebenfalls schon mit einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 Euro belegt worden sei, und folgerte:

Rummenigge irrt bei der Höhe der Strafe.*

Rummenigge aber widersprach den “BILD-Informationen” über Lahm und Toni und setzte eine Gegendarstellung durch, die gestern in “Bild” erschien:

Richtig ist, dass beide Spieler wesentlich höhere Geldstrafen zahlen müssen.

Der “Bild”-Bericht zum angeblichen “Aufstand bei Bayern” resultierte aber noch in einer weiteren Gegendarstellung von Karl-Heinz-Rummenigge. Zu einem angeblichen Gespräch des Bayern-Trainers mit dem Stürmer Luca Toni stellte er fest:

Der mich betreffende Teil dieser Behauptung ist unwahr. Ich war bei diesem Gespräch nicht dabei, weder als Vermittler noch als Dolmetscher.

Die “Bild”-Redaktion war offensichtlich auch nicht dabei und fügte in dieser Gegendarstellung, die bereits am 16. November erschien, hinzu:

Karl-Heinz Rummenigge hat recht.

*) aus unbekannten Gründen steht dieser Satz nur in der Online-Version des Artikels.

Deutschlands Nachrichtenmedium Nummer 1

Wenn es im “Bild”-Universum heißt, dass etwas zum 1. Mal oder “erstmals” passiert, dann handelt der dazugehörige Artikel in der Regel von irgendetwas, das zum zweiten bis sechsmilliardensten Mal stattfindet.

Wenn “Bild” also heute über Comeback-Gerüchte von Michael Schumacher fragt:

Dann lautet die Antwort natürlich: “Nein!”, egal ob Schumacher nochmal antritt oder nicht.

Giuseppe Farina, der erste Formel-1-Weltmeister überhaupt, gewann seinen Titel knapp zwei Monate vor seinem 44. Geburtstag im Herbst 1950, Jack Brabham gewann seinen dritten WM-Titel im Alter von 40 Jahren und Juan Manuel Fangio, bis zu Schumachers fünftem Titel Rekord-Weltmeister in der Formel 1, holte seinen ersten WM-Titel 1951 im Alter von 40 Jahren und 4 Monaten.

Aber gut, da haben die “Bild”-Leute nur drei Personen übersehen — deutlich weniger als im Artikel über die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Herta Müller:

Nach Günter Grass 1999 und der Österreicherin Elfriede Jelinek 2004 wurde damit der bedeutendste Literaturpreis der Welt zum dritten Mal an einen Autor aus dem deutschsprachigen Raum vergeben.

Dass “Bild” den letzten deutschsprachigen Preisträger vor Grass unter den Teppich kehren will, ist verständlich: Hatte Heinrich Böll doch in seinem Roman “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” einigermaßen unverhohlen mit den Methoden der Zeitung abgerechnet und in seinen Vorbemerkungen geschrieben:

Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.

Aber selbst wenn man Böll wegließe, blieben noch semi-prominente Preisträger übrig wie Hermann Hesse, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann oder Theodor Mommsen, der 1902 mit dem zweiten Nobelpreis für Literatur überhaupt ausgezeichnet wurde. Beim Zusammenzählen kommt man leicht auf mehr als zehn deutschsprachige Preisträger.

Mit Dank an Matthias H. und und Ellen L.

Nachtrag, 15.20 Uhr: Bild.de hat sich bei den Nobelpreisträgern “korrigiert”:

Herta Müller ist Deutschlands 10. Literatur-Nobelpreisträger(in).

Ihre Vorgänger waren: Theodor Mommsen (1902), Rudolf Eucken (1908), Paul Heyse (1910), Gerhart Hauptmann (1912), Thomas Mann (1929), Hermann Hesse (1946), Nelly Sachs (1966), Heinrich Böll (1972) und Günter Grass (1999).

Bei Hermann Hesse hat Bild.de uns möglicherweise falsch verstanden: Der war zwar deutschsprachig und wurde auch in Deutschland geboren, gilt dem Nobel-Komitee aber als Schweizer. Auch Nelly Sachs wurde in Deutschland geboren, wird aber im offiziellen Preisträger-Archiv als Schwedin geführt.

Der Schumacher-Text ist noch unverändert.

2. Nachtrag, 16.20 Uhr: Puh, es waren gar nicht wir, die Bild.de verwirrt haben! Die Korrektur ist einfach eine Liste der deutschen Preisträger, die aus der Printausgabe übernommen wurde:

Herta Müller ist Deutschlands 10. Literatur-Nobelpreisträger(in). Ihre Vorgänger waren: Theodor Mommsen (1902), Rudolf Eucken (1908), Paul Heyse (1910), Gerhart Hauptmann (1912), Thomas Mann (1929), Hermann Hesse (1946), Nelly Sachs (1966), Heinrich Böll (1972) und Günter Grass (1999).

Mit Dank an Daniel W.

Brender, Buhrow, Simpsons

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie gaga ist ‘Bild’ Bremen denn?”
(taz.de, Benno Schirrmeister)
“Eine halbe Seite muss die Bremer Lokalausgabe der Bild für eine Gegendarstellung räumen – in 100-Punkt-Schrift, also 3,5 Zentimeter großen Buchstaben.”

2. “Selbstkontrolle: Der Presserat lebt wieder”
(diepresse.com)
Österreich hat wieder einen Presserat: “Der ‘Verein der Selbstkontrolle der österreichischen Presse’ soll künftig zwei Senate mit je sechs Journalistenmitgliedern stellen, ein siebentes rechtskundiges Mitglied hat den Vorsitz.”

3. Interview mit Michael Sohn
(zeit.de, Julia Mayer)
AP-Fotograf Michael Sohn: “Inzwischen habe ich das Gefühl, dass auch vermeintliche Paparazzi-Fotos inszeniert sind. Zum Beispiel die Bilder der Politiker, die während der Opelverhandlungen oben am Fenster des Kanzleramts standen. Damit schien man den Eindruck erwecken zu wollen: Wir arbeiten bis tief in die Nacht für euch.”

4. “Aufregung um Brender bleibt wohl ohne Folgen”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath glaubt, dass der Fall Brender mit der Wahl von Peter Frey zum neuen ZDF-Chefredakteur “höchstwahrscheinlich und bedauernswerterweise beendet” ist. “Im Grunde also ist deshalb bei allen Beteiligten die antrainierte Empörung über die politische Konkurrenz deutlich größer als die Empörung über die Organisationsstruktur des ZDF.”

5. Interview mit Tom Buhrow
(cafeterra.de, Sabrina Gundert)
Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow sagt, was ein Journalist haben muss: “Leidenschaft. Neugier. Liebe zur Sprache. (…) Weiterhin ist Sorgfalt bedeutsam. Es geht nicht darum, irgendwas in den Medien zu sehen, was einen fasziniert, und dann einfach mal was darüber zu schreiben. Gründliche Recherche muss sein.”

6. “Newspaper Headlines from The Simpsons”
(youtube.com, Video, 8:15 Minuten, englisch)
Eine Sammlung von Zeitungsschlagzeilen bei den Simpsons.