Archiv für November 9th, 2009

Schweinegrippe: Arbeiten an der Hysterie

Die Schweinegrippe verkauft sich gut. In den vergangenen 27 Tagen haben “Bild” und “Bild am Sonntag” zwölfmal mit der Krankheit auf der Titelseite aufgemacht:

Um seriöse Information ging es dabei in den wenigsten Fällen. Wie “Bild” Panik schürt, um Auflage zu machen, lässt sich auch am heutigen Aufmacher zeigen:

Richtig ist, dass in Kassel am vergangenen Donnerstag ein 15-jähriges Mädchen gestorben ist, das mit dem H1N1-Virus infiziert war. Anders als “Bild” suggeriert, ist aber noch nicht ausgemacht, ob das “Killer-Virus” die Todesursache ist. Der Hessische Rundfunk berichtete gestern:

Das Mädchen sei an den Folgen einer Herzmuskelentzündung gestorben, teilte der behandelnde Oberarzt Thomas Fischer vom Klinikum in Kassel am Samstag mit. Diese Entzündung könne auch durch Grippeviren verursacht werden. Ob in dem Fall der verstorbenen Schülerin das H1N1-Virus für die Erkrankung verantwortlich sei, könne man noch nicht sagen.

Ein Sprecher der Stadt Kassel sagte, es gebe derzeit “keinen Hinweis darauf, dass die Schülerin an der Schweinegrippe gestorben ist”.

Auch aktuell ist die genaue Todesursache laut übereinstimmenden Agenturberichten noch ungeklärt. Möglicherweise habe die Herzerkrankung unabhängig von der Infektion zum Tod geführt, heißt es.

“Bild” aber will es besser, oder genauer: gar nicht wissen und spricht vom “Grippetod”.

PS: In Kassel ist nach dem Tod des Mädchens laut Gesundheitsamt eine “sehr, sehr große Hysterie” ausgebrochen.

(Mitarbeit: Ronnie Grob)

Symbolfoto zum Totlachen

Kurz gelacht - die Schmunzler der Woche: Tot und topfit
Sie sehen ganz richtig: Dieses Foto ist tatsächlich unter der Überschrift “Kurz gelacht – die Schmunzler der Woche” bei Stern.de abgebildet.

Zum Schmunzeln findet man bei Stern.de “ein [sic!] Probefahrt ganz besonderer Art” im Allgäu, deren Verlauf an “Alarm für Cobra 11” “erinnert”:

Der Ferrari fuhr auf eine Leitplanke auf und hob dadurch ab. Anschließend flog er über die Brücke eines Feldweges, streifte das Geländer und überschlug sich mehrfach.Der 40-jährige Verkäufer auf dem Beifahrersitz und der 45- jährige Fahrer wurden verletzt. An dem exklusiven Modell, von dem nur 499 Stück produziert werden sollen, entstand Totalschaden. Geschätzer Schaden: satte 300 000 Euro.

Diese Geschichte hat allerdings relativ wenig mit dem Foto daneben zu tun, wie Stern.de auch unumwunden zugibt:

Der Unfallwagen auf dem Bild wurde übrigens in Niedersachsen aufgenommen. Dort gab es bei Peine in dieser Woche ebenfalls einen Ferrari-Totalschaden

Über diesen “Ferrari-Totalschaden” in Niedersachsen, bei dem das Symbolfoto entstanden ist, berichten (übrigens) auch noch ein paar andere Medien — in diesem Auto kam nämlich der Volksmusikant Christian Dzida ums Leben.

Den Wagen, in dem er starb, zeigt Stern.de also unter der Überschrift:

Kurz gelacht - die Schmunzler der Woche: Tot und topfit

Mit Dank an Matthias H.

Nachtrag, 11. November: Offenbar seit gestern Nachmittag verwendet Stern.de ein anderes Symbolfoto und hat die Meldung mit einer Erklärung versehen:

link adr=”https://www.bildblog.de/13610/symbolfoto-zum-totlachen/”>Ja, an dieser Stelle hat bis vor kurzem ein anderes Symbolfoto gestanden. Auf ihm war der zertrümmerte Ferrari zu sehen, in dem Christian Dzida, ehemaliger Sänger und Keyboarder der “Zillertaler Schürzenjäger”, zutode gekommen ist. Wir bitten den Fehlgriff zu entschuldigen.

Bild  

Wenn Moslems töten

“Schöne Türkin vom Ehemann ermordet?” fragt die “Bild” heute.

Obwohl sie sich nicht sicher ist, dass Figen C. von ihrem Mann ermordet wurde, weiß sie bereits, warum er sie ermordete:

Bild vermutet Ehrenmord

Das Polizeipräsidium Südhessen erklärte auf Anfrage von BILDblog, zu den Motiven der Tat könnten noch keine Angaben gemacht werden. In der Vergangenheit habe es mehrere körperliche Übergriffe des Mannes auf seine Frau gegeben, die ihn verlassen wollte. Dass sie getötet wurde, weil sie “die westliche Lebensart mochte”, wie “Bild” schreibt, sei aber rein spekulativ. Deshalb könne auch nicht mit Sicherheit von einem “Ehrenmord” gesprochen werden.

Für “Bild” ist die Lage übersichtlicher: Wird eine Türkin von ihrem türkischen Ehemann ermordet, ist das ein Ehrenmord. Tötet ein deutscher Familienvater seine Frau, nennt man das eine Familientragödie.

Sweet Home Lammersdorf

Nein, diese Raubtiere. Halten sich einfach nicht an Ländergrenzen und sind aktuell mal wieder dabei, die deutschen Grenzen aufs Gröbste zu missachten.

Er hier, beispielsweise: Tigert schon die ganze Zeit irgendwo im deutsch-belgischen Grenzgebiet rum, nähert sich jetzt allmählich Aachen und wird immer öfter gesehen. Und dabei gefilmt. Bild.de fragt sich jetzt besorgt: “Sind das neue Bilder vom Panther?”, schreibt, dass immer häufiger Bilder auftauchen (wenngleich mit dem Zusatz: “Sind sie echt?”) und präsentiert die schwarze Gruselkatze dann dabei, wie sie sich Nähe von Lammersdorf heimtückisch einem Hirschen nähert:

Deutsch-Belgischer Hirsch bei Bild.de
…erst der noch nichts ahnende Hirsch.

Deutsch-Belgischer Panther bei Bild.de
…und dann: Raubkatze im Anmarsch.

Besorgniserregend, nicht wahr? Zumal man in den USA im Bundesstaat Alabama vor mindestens zweieinhalb Jahren Erfahrungen mit Raubkatzen und Hirschen gemacht hat, die verblüffend an den aktuellen Fall erinnern:

Amerikanischer Hirsch
…noch ahnt der Hirsch: nichts.

Amerikanischer Panther
…ehe dann: der Panther kommt.

Um also die Fragen von Bild.de zu beantworten: Echt sind die Bilder im Internet vielleicht schon (wobei auch in den USA heftig darüber diskutiert wurde, ob die abgebildete Großkatze wirklich ein Panther ist). Den deutsch-belgischen Panther zeigen sie allerdings sicher nicht.

Mit Dank an Sebastian G.

Netzeitung, Hirschmann, Hunziker

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das Ende der Netzeitung ist hausgemacht”
(medienrauschen.de, Thomas Gigold)
“Wenn wenn man einmal ehrlich ist, so war die Idee einer reinen Net(z)-Zeitung zwar irgendwie wunderbar, charmant und neu. Aber so richtig toll umgesetzt war sie nie. Bis auf eine Blog-Kolumne gab es kaum exklusive Geschichten, erst recht keine die medial dem Internet gerecht aufgearbeitet waren.”

2. “Falscher Lula plauderte im Radio über Olympia”
(spiegel.de)
“Ein Stimmenimitator hat als ‘Präsident Luiz Inácio Lula da Silva’ in mehreren Ländern Radiointerviews gegeben.” Einige Radiosender wurden aufgrund der Stimmlage und der zweifelhaften Qualität der Aufnahme misstrauisch, andere Radios sendeten das per E-Mail angebotene Gespräch.

3. “Die Hirschmann-Quellen”
(klartext.ch, Reto Schlatter)
Der Millionenerbe Carl Hirschmann wurde in Zürich in Untersuchungshaft genommen. Da sich die Staatsanwaltschaft nicht zu den Haftgründen äusserte, spekulieren die Schweizer Medien wild und nennen dabei allerlei Quellen.

4. “Wie bei der NZZ die Mauer fiel”
(welt.de, Roger Köppel)
Am 9. November 1989 war Roger Köppel in der Sportredaktion der NZZ tätig, wo er folgenden Dialog von Redakteurskollegen mithörte: “Schorsch, die Mauer ist gefallen!” – “Ich weiß.” – “Aber du kannst doch diesen epochalen Vorgang nicht als Ciceromeldung auf 20 Zeilen einspaltig auf der Frontseite drucken.” – “Ich habe extra den Schriftgrad um einen Punkt erhöht, um die Bedeutung zu betonen.”

5. Interview mit Georg Mascolo
(faz.net, Michael Hanfeld)
Georg Mascolo war am Abend des Mauerfalls in Berlin und entschied sich dazu, nicht weiter in einer Hotelbar zu diskutieren und an einen Grenzübergang zu fahren. “Die Bilder, die er am Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße machte, schrieben Geschichte.”

6. “die unerträgliche lachigkeit von ‘wetten dass?'”
(wirres.net, Video, 1:26 Minuten)
Michelle Hunziker, Moderatorin der Samstagabendshow “Wetten, dass..?”, sei zum “Giggel-Zombie” mutiert, schreibt welt.de. Ein Zusammenschnitt der Lacher der neusten Sendung.