Archiv für November 3rd, 2009

Woran sich ein “Bild”-Chefredakteur aufgeilt

Kai Diekmann freut sich. Gerade mal eine Woche ist sein Blog (BILDblog berichtete) alt und hat schon große Erfolge vorzuweisen, wie Diekmann sich selbst im Interview erzählt:

Kai, Du bist jetzt seit fast einer Woche Blogger. Was ist Dein Fazit?

Dass selbst die kühnsten Hoffnungen übertroffen werden können. Seit Montag bin ich von Jony Eisenberg verklagt worden, Alice Schwarzer hat mich als Sexisten beschimpft, die taz konnte dank mir ihre Klickzahlen verbessern und ich habe ganz, ganz viele neue neue Freunde gewonnen. Mein Blog ist schon jetzt einer der erfolgreichsten Deutschlands, sagen mir meine Techniker. Ich muss sagen: Alles in allem also ein wirklich guter Start!

Nun würde man vielleicht denken, dass einer wie Diekmann von einer wie Schwarzer schon so oft als “Sexist” bezeichnet worden wäre, dass das bei ihm keine Erektion mehr auslösen könnte. Aber Diekmann ist so aus dem Häuschen über das, äh, Lob?, dass er heute schon wieder auf den entsprechenden Tweet von @AliceSchwarzer verweist:

Alice Schwarzer: Die halbnackten Vorzimmer-"Miezen" des Sexisten Kai Diekmann. http://twitpic.com/ncfob

Bisschen blöd ist halt nur, wenn man beim Ego-Googlen nicht nach rechts und links guckt. Wenn Diekmann nicht nur in dem virtuellen Spiegel geschaut hätte, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass diese “Alice Schwarzer” merkwürdige Sachen vor sich hintwittert.

Keine Überraschung also: Der Twitter-Account “AliceSchwarzer” ist (mal wieder) ein Fake-Account, wie uns das Büro von Alice Schwarzer auf Anfrage bestätigte.

Und wir merken wieder einmal: Diese Rechercheschwäche, an der “Bild” leidet, das scheint Chefsache zu sein.

(Dabei hätte Diekmann gewarnt sein können.)

Rückblicke, Grosse-Bley, Journalistenpreise

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wir erinnern uns zu Tode”
(perlentaucher.de/blog, Thierry Chervel)
Thierry Chervel, und der muss es wissen, denn er liest täglich ausführlich darin, über den aktuellen Zustand der Kulturteile: “Unsere Feuilletons – aber ist es im Fernsehen so viel anders? – bestehen aus Rückblicken. Der Jahrestag ist der cache-sexe der Ideenlosigkeit.”

2. “Memo an alle Blick-Ressortleiter”
(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)
Roger Schawinski schreibt einen Brief, in dem er sich als Ralph Grosse-Bley ausgibt, der Anfang 2009 von “Bild” zu “Blick” geholt wurde und dort de facto als Chefredakteur waltet: “Bewegt eure Ärsche und beweist, dass dieses Land genauso verrottet, verdorben und kaputt wie das von Bild täglich präsentierte Deutschland ist, auch wenn wir hier noch ein klein wenig mehr nachhelfen müssen.”

3. “Wie virale Werbung in die Medien eindringt”
(nzz.ch, Tobias Feld)
“Das Internetvideo einer tanzenden Hochzeitsgesellschaft wurde im Sommer millionenfach angeklickt. Die Medien berichteten darüber. Dabei war das Video Teil einer Werbestrategie.”

4. “Das Holzbein einer Humpeldemokratie”
(unsereuni.at, Christian Eisner)
“‘Presse’ und ‘Kronen Zeitung’ nehmen tagtäglich Stellung zu den Studierendenprotesten. Die Art und Weise wie beide Medien das tun erinnert stark an deren Berichterstattung in den 60er Jahren. Im Vordergrund stehen Sach- und Personenschäden, die Einzelereignisse darstellen. Die gesamte Bewegung und ihre Botschaften werden hingegen wenig thematisiert. Es wird immer nur von utopischen Forderungen gesprochen.”

5. “Journalistenpreise in Deutschland”
(dradio.de, Ulrike Köppchen, Audio, 28:21 Minuten)
Eine Bestandesaufnahme der schätzungsweise 300 Journalistenpreise in Deutschland. Bei vielen sei zu vermuten, dass es “weniger um Förderung des Qualitätsjournalismus geht als um preiswerte PR für bestimmte Produkte und Anliegen”.

6. “Leitlinien des Sportjournalismus”
(jensweinreich.de)
Der Verband Deutscher Sportjournalisten VDS löst einen “Ehrenkodex” von 1995 mit neuen “Leitlinien des Sportjournalismus” ab und schreibt darüber in der Monatszeitschrift “Sportjournalist”. Jens Weinreich dazu: “Ich muss allerdings sagen, dass die hübschen Leitlinien im selben Heft konterkariert werden, u.a. auf Seite 26, wo die Aufnahme von Dirk Thärichen in den VDS verkündet wird.”

Die Axe des Blöden

Um die Pointe gleich vorwegzunehmen: Die Quelle für die Geschichte, die seit ein paar Tagen um die Welt geht und natürlich auch von deutschen Boulevardzeitungen begeistert aufgenommen wurde, ist eine Seite namens “Faking News”. “Fake” ist englisch und heißt soviel wie “Fälschung”. Und für alle, die zweifeln, ob den Meldungen einer Seite, die schon in ihrem Titel darauf hinweist, dass ihre Nachrichten nur erfunden sind, nicht vielleicht doch zu trauen ist, steht unten auf der Seite noch der Hinweis, dass die Artikel nur fiktiv sind und Leser die “Nachrichten” nicht mit richtigen Nachrichten verwechseln sollten.

Es hat alles nichts geholfen. Die erfundene “Faking News”-Geschichte über den Mann, der die Hersteller von “Axe” verklagte, weil er trotz reichlichen Gebrauchs des Deos keine Frau zu sich niederduften konnte und sich der in der Werbung beschworene “Axe-Effekt” partout nicht einstellen wollte, ging um die Welt.

“Faking News” berichtete, dass der 26-jährige Vaibhav Bedi mit all seinen gebrauchten, ungebrauchten und halb gebrauchten Sprays, Sticks und Rollern, After Shaves, Shampoos und Geltuben ins Gericht getapert sei und von dem Anwalt, der ihn nun vertritt, zuerst für einen Deoverkäufer gehalten wurde. “Faking News” meldete, dass Vaibhav Bedi beteuere, alle Anweisungen auf den Packungen genau befolgt und zum Beispiel mit einem Lineal sichergestellt zu haben, dass der Abstand zwischen Spraydose und Achsel nie weniger als 15 Zentimeter betragen habe. “Faking News” schrieb, dass ein bekannter Anwalt es für riskant halte, wenn Unilever, die Firma hinter der Marke “Axe”, Bedis Misserfolg bei Frauen vor Gericht mit seiner hoffnungslosen Unattraktivität und Dummheit zu erklären versuche, weil gerade die tollsten Frauen oft die grässlichsten Männer heirateten. Und “Faking News” schilderte, dass Bedis versucht habe, die Putzfrau nach Auftrag aller “Axe”-Produkte mit seiner Nacktheit zu beeindrucken, woraufhin sie ihn mit dem Besen attackiert habe.

Nichts davon konnte Journalisten in aller Welt abhalten, diese Geschichte zu glauben und weiter zu verbreiten.

Am vergangenen Sonntag berichteten “Bild am Sonntag”, der “Berliner Kurier” und die “Hamburger Morgenpost”, Vaibhav Bedi habe Unilever wegen irreführender “Axe”-Werbung auf 30 000 Euro Schadensersatz verklagt. Auch Medien wie “dnews”, “Die Krone” und “Österreich” glaubten den Witz. Unter dem entsprechenden Artikel der Online-Ausgabe der “Hamburger Morgenpost”, die sogar mit einem Foto des fiktiven Klägers beeindruckt, stehen schon seit Stunden Leserkommentare, die darauf hinweisen, dass es sich um ein Fake handelt — aber Leser sind bekanntlich keine Journalisten, können also nicht recherchieren und sind insofern natürlich unglaubwürdig.

“Faking News” hat am Montag nun noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man eine Satireseite sei und die Meldung nur erfunden habe. Die Online-Ausgabe des “Express” hat ihre Meldung — natürlich ohne Erklärung oder Berichtigung — gelöscht.

Im Artikel der “Hamburger Morgenpost” findet sich übrigens der schöne Satz:

Anscheinend haben manche Menschen einen unerschütterlichen Glauben an Werbebotschaften.

Ja, das auch.

Mit Dank an Rouven R.!

Nachtrag, 3. November. Die “Hamburger Morgenpost” hat den Artikel online gelöscht. Das Foto von dem fiktiven Kläger, mit dem die “Morgenpost” die Geschichte illustrierte, stammt aus Facebook.