Archiv für Oktober 28th, 2009

“taz” mahnt Diekmann wegen Penissache ab

Das mit dem Recht ist eine seltsame Sache: Es gilt für alle.

Wenn ein Mann vor Gericht zieht und einer Zeitung verbieten lässt, eine lustige erfundene Geschichte über, sagen wir: eine missglückte Penisverlängerungsoperation in einer Spezialklinik in Miami zu veröffentlichen, weil sie seine “Intimsphäre” und “Ehre” verletze, dann darf er diese Geschichte auch selbst nicht verbreiten.

Aus dem Urteil des Landgerichts Berlin von 2002:

“In der Bild-Zeitung werden – wie der Kammer aus ihrer täglichen Arbeit bekannt ist – häufig persönlichkeitsrechtsverletzende Beiträge veröffentlicht. Oftmals verletzen die Beiträge sogar die Intimsphäre der Betroffenen. (…) Als Chefredakteur hätte [Diekmann] ohne weiteres die Möglichkeit, diese Rechtsverletzungen zu unterbinden (…). In manchen Fällen wird der Kläger sogar Initiator der Rechtsverletzungen sein. Die Kammer hält dafür, dass derjenige, der – wie der Kläger – bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung anderer sucht, weniger schwer durch die Verletzung seines eigenen Persönlichkeitsrechtes belastet wird. Denn er hat sich mit Wissen und Wollen in das Geschäft der Persönlichkeitsrechtsverletzungen begeben (…).”

Seit 2002 droht der “taz” eine hohe Geldstrafe, wenn sie den Artikel “Sex-Schock! Penis kaputt?” von Gerhard Henschel verbreitet. “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der damals den Humor noch nicht als Waffe für sich entdeckt hatte, hatte gegen die Satire geklagt. Seine Forderung nach 30.000 Schmerzensgeld lehnte das Landgericht Berlin damals zwar mit einer inzwischen legendären Begründung ab, die heute noch so aktuell ist wie damals, weshalb wir sie gerne hier rechts wieder zitieren. Aber das Gericht verbot den Artikel.

Im Blograusch machte Diekmann das Stück, das er erfolgreich weggeklagt hatte, nun selbst wieder öffentlich: In dem unter seinem Namen geführten Blog der Axel-Springer-AG veröffentlichte er den Artikel ungekürzt und lesbar im Original-Layout.

Johannes Eisenberg, damals und heute Anwalt der “taz”, hat Diekmann und Axel Springer deshalb abgemahnt. Er fordert von Diekmann eine Erklärung, dass er aus den Rechten aus dem damaligen Urteil “keine Ansprüche mehr gegen die taz ableiten und auf das dort ausgesprochene Unterlassungsgebot verzichten und Einwände gegen die künftige Verbreitung dieses Textes durch die Mandantin nicht mehr erheben” werde.

Mit der ungenehmigten Veröffentlichung des “taz”-Artikels scheint Diekmann aber auch wieder einmal gegen das Urheberrecht zu verstoßen — entsprechende Schritte im Namen seiner Mandanten behält Eisenberg sich ausdrücklich vor und fügt hinzu:

Ihr Verhalten zeigt, in welch unerhörtem Maße Sie Rechte Dritter verletzen.

Gegenüber dem Mediendienst turi2 hatte Diekmann am Montag erklärt, Hausjuristen dürften vor der Veröffentlichung keinen Blick auf seine Einträge werfen. Inwiefern das einen Vorteil darstellt, ist nicht ganz klar.

PS: Diekmann sagte zum Start seines Blogs, er habe “viel vom Bildblog gelernt”. Den Eindruck haben wir nicht.

Mit Dank an den “Blogwart” der taz!

Nachtrag, 29. Oktober. Kai Diekmann nennt Eisenberg eine “Spaßbremse” und sein Vorgehen “originell”; die “taz” wiederum verweist auf die “rechtlichen Tatsachen”: “Und die gebieten nun einmal, dass man sich als Autor nicht ungefragt mit fremden Federn schmückt — schon gar nicht, wenn man ihrem Urheber diesen Schmuck zuvor verbieten ließ…”

Merkels “Ketten-Panne” völlig panne

Lieber “Express”,

es ist ja schön, dass Ihr bei Angela Merkels Wahl zur Bundeskanzlerin mit offenen Augen durch den Bundestag gegangen seid, aber man kann’s auch übertreiben, oder?

Kanzlerin-Wahl. Schwarz-gold-rot: Merkels kleine Ketten-Panne [...] Ups, da stimmt doch was nicht... Sie trug eine schwarz-gold-rote Kette um den Hals.

Berlin – Sie trug einen schwarzen Blazer und eine schwarz-gold-rote Kette (siehe Foto) um den Hals: Eine kleine Farbenpanne oder ein Modegag? Richtig wäre natürlich schwarz-rot-gold!

Nun ist schon mal fraglich, ob man bei Ketten von “richtig” und falsch sprechen sollte. Aber selbst wenn wir mal annähmen, dass dem so wäre:

schwarz-gold-rot/gold-rot-schwarz

Fällt Euch was auf? Frau Merkel hatte die “richtige” Kette an — nur spiegelverkehrt (was beim Ankleiden vor einem Spiegel ja mal passieren kann) und leicht verrutscht.

Die entscheidende Frage lautet also nicht: “Farbenpanne oder Modegag?”, sondern “Was ist schlimmer? Eure Blindheit — oder die Tatsache, dass Ihr das überhaupt berichtenswert fandet?”

PS: Sollte Frau Merkel die Kette jetzt aber trotzdem abstoßen wollen, könnte sie diese natürlich bestens an den belgischen Ministerpräsidenten verkaufen …

Mit Dank an Dirk M.

Nachtrag/Korrektur 18:15 Uhr:
Lieber “Express”,
vielen Dank für Eure E-Mail und das Foto, das Ihr mitgeschickt habt:

Plastik-schwarz-gold

Damit hatten wir ehrlich gesagt nicht gerechnet, dass das Muster gar nicht durchgängig ist.

“We stand corrected”, wie man im Englischen sagt, und bitten um Verzeihung, dass wir Euch Blindheit unterstellt haben.

Andererseits wäre die Frage, ob Blindheit oder Aufschreiben schlimmer sind, damit dann womöglich beantwortet …

Die dümmste anzunehmende Verwechslung

Vor dem Bonner Landgericht begann gestern der Prozess gegen eine 16-jährige Schülerin, die im Juni einen Amoklauf an ihrem Gymnasium im nahe gelegenen Sankt Augustin verüben wollte, aber in letzter Minute gestoppt wurde.

Die “Westdeutsche Zeitung” begann ihre Prozess-Berichterstattung, für die gleich zwei Autoren verantwortlich zeichnen, mit einem überraschenden Satz:

Die 16-jährige Blondine scheint so gar nicht dem Täterprofil eines Amokläufers zu entsprechen.

Überraschend ist daran weniger, dass 16-jährige Blondinen nicht unbedingt dem “Täterprofil eines Amokläufers” entsprechen (das sind ja immer nur verpickelte Jungs, die den ganzen Tag Computer spielen und Pornos gucken), sondern dass die Angeklagte gar nicht blond ist.

Die “Blondine”, von der die “Westdeutsche Zeitung” schreibt, ist nämlich gar nicht die mutmaßliche Täterin, sondern das Opfer. Sie hatte die Angeklagte bei deren Vorbereitungen überrascht und war von ihr schwer verletzt worden.

Weil der Prozess unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet (ein Vorgang, den ein Gerichtssprecher im Hinblick auf das Alter der mutmaßlichen Täterin als “zwingend” bezeichnete), gibt es keine aktuellen Fotos der Angeklagten. Dass dpa deshalb nur Fotos des leeren Gerichtssaals und der anonymisierten Zeugin im Angebot hatte, schien manchen Redaktionen allerdings nicht aufzufallen.

So untertitelte die “Westdeutsche Zeitung” – passend zu ihrem Einleitungssatz – ein Foto der Zeugin wie folgt:

Die 16-Jährige soll versucht haben, einen Lehrer niederzustechen. (Foto: dpa)

Auch “Welt Online” vergriff sich böse beim Versuch, eine Bildunterschrift für ein Foto des Opfers zu finden:

Die Angeklagte im Prozess wegen der vereitelten Amoklaufs von Sankt Augustin

Auch wenn beide Fotos von dpa stammen: An der Deutschen Presseagentur hat’s nicht gelegen — die hat uns gegenüber bestätigt, dass alle Bildbeschreibungen unmissverständlich mit der Formulierung “Anna P. (…) am Dienstag (27.10.2009) im Landgericht in Bonn – sie hatte die Amokläuferin auf der Toilette überrascht.” beginnen.

Sowohl bei wz-newsline.de als auch bei welt.de wiesen alsbald mehrere Kommentatoren auf die dümmstmögliche Verwechslung hin, doch in beiden Fällen dauerte es länger, bis die Fotos entfernt wurden.

Immerhin erklärten beide Onlinemedien in den Kommentaren, dass sie einen Fehler gemacht hatten, und entschuldigten sich dafür. (Dass bei der “Westdeutschen Zeitung” auch der Artikelanfang zunächst ganz anders ausgesehen hatte und klammheimlich korrigiert worden war, erwähnte die dortige Redaktion allerdings nicht.)

Der erste Hinweis auf das falsche Foto wurde bei “Welt Online” gestern Abend um 17:56 Uhr gegeben, eine halbe Stunde, nachdem der Artikel online gegangen war.

Heute gegen 12:20 Uhr wurde der Fehler korrigiert — wie es sich für ein Onlinemedium gehört nach einem telefonischen Hinweis:

Ein Anruf bei der Redaktion bringt was! - Binnen Minuten ist das kritische Bild aus dem Netz genommen.

PS: Und so sieht das bei Bild.de aus:

Prozessbeginn: Amok-Mädchen legt Geständnis ab

Mit Dank an Andreas S.

Nachtrag, 29. Oktober: Die “Westdeutsche Zeitung” brachte heute auf Seite 3 ihrer Printausgabe folgende Korrektur:

KORREKT: In dem Bericht über den Prozess um den geplanten Amoklauf an einem Gymnasium in Sankt Augustin ist uns gestern ein bedauerlicher Fehler unterlaufen: Das Bild mit der unkenntlich gemachten Person zeigt nicht die mutmaßliche Täterin (16), sondern das Opfer. Die 17-Jährige hatte die Angeklagte bei der Vorbereitung zum Amoklauf überrascht. Nach Überzeugung der Anklage wollte die 16-Jährige ihre Mitschülerin töten, stach mit einem Schwert auf sie ein und schnitt ihr dabei einen Daumen ab. Der 17-Jährigen gelang es dennoch, einen Lehrer zu alarmieren. Sie hat damit ein mögliches Massaker verhindert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Mit Dank an Thorsten L.

Lammert, GEZ, Auflagen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Return to Sender”
(kaidiekmann.de)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann dementiert die Vorwürfe, “Bild” habe ohne Erlaubnis Inhalte des Magazins “Lettre International” online gestellt: “Lieber Herr Berberich: Da müssen Sie etwas übersehen haben. Denn natürlich haben wir das Interview nicht geklaut, sondern uns vorher die Erlaubnis zur Veröffentlichung geholt.” Als “Beweis” für eine Erlaubnis stellt Diekmann ein von der Zeitschrift verschicktes Fax online.

2. “Es geht auch ohne Leistungsschutzrechte”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
“Lettre International” ist allerdings gar nicht der Meinung von Kai Diekmann (siehe Link 1). Man “sei man von der Bild-Zeitung mehrmals angerufen und nach einer Erlaubnis zum Onlinestellen gefragt worden, habe das aber stets explizit verboten.”

3. Norbert Lammert im Bundestag
(bundestag.de, vorläufiges Protokoll)
Norbert Lammert, Präsident des deutschen Bundestages, macht das Parlament darauf aufmerksam, dass “eine Übertragung der Konstituierung dieses Deutschen Bundestages im Hauptprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nicht stattfindet”. Stattdessen seien “Schaumküsse”, “Alisa – Folge deinem Herzen” und “Bianca – Wege zum Glück” zu sehen. “Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass ein gebührenpflichtiges Fernsehen, das dieses üppig dotierte Privileg allein seinem besonderen Informationsauftrag verdankt, auch an einem Tag wie heute mit einer souveränen Sturheit der Unterhaltung Vorrang vor der Information einräumt.”

4. “Rosarot ist die Hoffnung”
(faz.net, Hanno Charisius und Georg Rüschemeyer)
Die “Frankfurter Allgemeine” arbeitet das “gewaltige Echo” auf, das der Film “Heilung unerwünscht” von Klaus Martens erzeugt hat.

5. “Der GEZ-Gebühr droht das Aus”
(handelsblatt.com, Hans-Peter Siebenhaar)
“Die Ministerpräsidenten der Bundesländer wollen eine grundlegende Reform der Finanzierung von ARD und ZDF diskutieren, im Raum steht eine pauschale Haushaltsabgabe anstelle der geräteabhängigen Gebühr.”

6. “A Graphic History of Newspaper Circulation Over the Last Two Decades”
(theawl.com)
Die wochentägliche Auflage einiger US-Zeitungen von 1990 – 2009 im grafischen Vergleich.