Archiv für Juli 9th, 2008

Das Santenmännchen ist wieder da

Was bedeutet es eigentlich, wenn “RWI-Experte Manuel Frondel” in “Bild” sagt:

"Durch eine Verschiebung des Atomausstiegs um 20 Jahre könnten uns Kosten von 50 Milliarden Euro und mehr erspart bleiben."

Bedeutet das wirklich, dass mit einer “Milliarden-Ersparnis für Wirtschaft und Verbraucher” zu rechnen sei, wie “Bild” behauptet (und “Focus Online” weiterverbreitet)?

Nicht unbedingt. Wie der “Klima-Lügendetektor” berichtet, räume sogar “RWI-Experte” Frondel auf Nachfrage ein, dass “die Erzeugungskosten erstmal nichts mit dem Endpreis des Stroms zu tun” hätten. Die errechnete Ersparnis falle vielmehr bei den Stromkonzernen an und müsse von denen natürlich nicht an die Verbraucher weitergegeben werden – was Frondel “so auch nie gesagt” haben will, offenbar nicht mal zu “Bild”.

Die 7 “Bild”-Wahrheiten über unsere Kernkraft:

1. “Kernkraft ist sicher”

2. “Kernenergie gehört zum Energiemix der Zukunft”

3. “Kernkraft dämpft den Preisanstieg beim Strom”

4. “Der Ausstieg schadet dem Standort Deutschland”

5. “Kernkraft ist gut für den Klimaschutz”

6. “Das Problem mit dem Atomabfall ist ungelöst”

7. “Die Zustimmung zur Kernenergie wächst”

Der “Klima-Lügendetektor” schließt aber nicht mal aus, dass Frondel in seinem “Bild”-O-Ton mit “uns” ohnehin nicht “Wirtschaft und Verbraucher” (also uns) gemeint hat, sondern bloß seine unsere Energiewirtschaft.

Und die dürfte sich dann nicht nur über die via “Bild” in Aussicht gestellte “Milliarden-Ersparnis” freuen, sondern auch über den “Bild”-Artikel drumherum mit der Überschrift: “7 Wahrheiten über Kernkraft”. Immerhin sechs der sieben “Wahrheiten” fallen da für die Kernkraft überraschend positiv aus (siehe Kasten) – und achtens steht oben drüber als Autor: “Oliver Santen”.
 

“Bild” erklärt Mann für tot

Bei einem schweren Autounfall kamen vor etwa anderthalb Wochen bei Augsburg vier junge Menschen ums Leben (“Bild” berichtete). Dann wurden zwei der Leichen vertauscht, wodurch das falsche Unfallopfer eingeäschert wurde (“Bild” berichtete). Wie es zu der Verwechslung kam, ist bislang ungeklärt (“Bild” berichtete). Der gestrige “Bild”-Artikel endet mit dem lapidaren Satz:

"Derweil starb Rudolf K. (53), der herzkranke Vater des Unglücksfahrers Mathias (†25)."

Derweil schreibt die “Wertinger Zeitung”:

Und dann das: Gestern las der Vater des Unfallfahrers Mathias K. in Münchner Boulevardzeitungen von seinem eigenen Tod. Er war geschockt. Da stand: Er sei an einem Herzinfarkt gestorben. Angehörige aus ganz Deutschland riefen an und fragten besorgt, was denn passiert sei. (…)

Der Vater, der vor ziemlich genau einem Jahr einen Herzinfarkt gehabt habe, sei, als er die Nachricht von dem schrecklichen Unfall erfuhr, mit akuten Herzproblemen ins Klinikum gebracht worden. Inzwischen ist er aber wieder zuhause. “Wie kommen die Boulevard-Journalisten nur auf solch eine falsche Berichterstattung”, fragen sich Angehörige (…). “Was die Familie in den letzten Tagen mit der Regenbogenpresse mitmachen musste, grenzt an Terror.” So würden die Eltern nahezu rund um die Uhr mit Anrufen von Medienvertretern bombardiert.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Deutschlands schnellste Meinungsmache

Seit gestern kann man im Online-Angebot der “Bild”-Zeitung darüber abstimmen, ob man die “Urteile gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht” halte.

Wem diese Frage zu kompliziert ist, oder wer beispielsweise mit Begriffen wie Gerechtigkeit nicht so viel anfangen kann, dem bietet “Deutschlands schnellste Meinung” die Möglichkeit, die Frage gar nicht zu beantworten und sich für die Option “D” zu entscheiden. Eine Mehrheit der Leser (derzeit 47 Prozent) hat das getan:

"Halten Sie die Urteil gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht? Ausländische Straftäter immer ausweisen!"

Passend dazu fragt “Bild” heute:

"Wann werden die Schläger abgeschoben?"

Gut möglich, dass das genau die Frage ist, die “Bild”-Leser heute bewegt. Aber sie ist falsch gestellt – und die Antwort, die “Bild” gibt, auch deshalb wenig hilfreich:

Die Täter müssen einen Teil der Strafe in Deutschland absitzen, erklärt die zuständige Behörde. Mindestens die Hälfte, möglicherweise aber auch drei Viertel der Haft. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte erneut an, an der Abschiebung nach der Haft festzuhalten.

Das hatte Herrmann schon gestern gefordert – in “Bild”. Doch was “Bild” offenbar nicht wahrhaben will: Herrmann kann das überhaupt nicht entscheiden, sondern die “zuständige” Ausländerbehörde (gegen deren Entscheidung wiederum vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden kann). Und die müsste erstmal klären, ob die “Schläger” überhaupt ausgewiesen werden dürfen. Anders als “Bild” offenbar meint, ist das keineswegs sicher.

Zwar steht in Paragraph 53 Aufenthaltsgesetz, ein Ausländer “wird ausgewiesen”, wenn er zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Aber EU-Bürger genießen einen erhöhten Ausweisungsschutz (einer der Verurteilten ist Grieche). Und der Paragraph 56 schränkt die “zwingende Ausweisung” aus Paragraph 53 unter bestimmten Voraussetzungen ein. So zum Beispiel für Leute, die längere Zeit rechtmäßig in Deutschland leben oder “mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft” leben (der andere Verurteilte wurde in Deutschland geboren, ist mit einer Deutschen verlobt und hat ein Kind mit ihr). Gemäß Paragraph 56 Aufenthaltsgesetz genießt ein Ausländer in diesen Fällen einen “besonderen Ausweisungsschutz”:

Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen.

Bei Verurteilungen zu Haftstrafen von über drei Jahren liegen diese Gründe zwar “in der Regel” vor – aber eben nur “in der Regel”. Und das Bundesverfassungsgericht entschied im August 2007, dass es bei sogenannten “faktischen Inländern” (Ausländer, die seit vielen Jahren rechtmäßig in Deutschland leben) immer auf deren “individuelle Lebensumstände” ankommt.

Auch wenn die “Bild”-Zeitung und ihre Leser es offenbar gerne anders hätten, müsste die korrekte Frage auch nach der Verurteilung der beiden “U-Bahn-Schläger” noch immer lauten:

"Werden die Schläger abgeschoben?"

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Allgemein  

Das konnt’ ja echt keiner ahnen!

Aus der heutigen BILD-Zeitung: Berichtigung
Am 17. Juni veröffentlichte BILD die Meldung "Dorfbewohner schreddern Vergewaltiger". Quelle war die fast ganzseitige Berichterstattung der englischen Sonntagszeitung "Sunday Sports".* Nachrecherchen ergaben jetzt, dass der britische Artikel erfunden war.

*) [D]ie “Sunday Sport” ist weltweit bekannt und berüchtigt als Quasi-Parodie auf die Exzesse des Boulevardjournalismus.

Schlagzeilen wie “Hitler war eine Frau”, “Außerirdische haben unseren Sohn in ein Fischstäbchen verwandelt”, “Esel raubt Bank aus” sowie ausführliche Berichte über schlüpfrige Gerichtsfälle und Sex-Blödsinn haben mit dazu beigetragen, dass sich das Blatt am Kiosk hält (…).

Die Zeitung legt es darauf an, ihre Leser mit Geschichten über Prominenz, Sex und Abseitigkeiten zu schockieren, anzuregen und zu unterhalten. (…) Zu den wohl finstersten Geschichten zählen die über eine 394 Kilo schwere, deutsche Pornodarstellerin, einen Londoner Doppeldeckerbus, der im Eis der Antarktis entdeckt worden sei, einen auf dem Mond aufgetauchten Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg, eine auf dem Mars gefundene Elvis-Statue (…) sowie zahllose Entführungen durch Außerirdische. (…)
(Aus: “The Independent” vom 17.8.2006)

P.S.: “Bild” hatte in der ursprünglichen Meldung auf eine Quellenangabe verzichtet.

Selbst Justiz

Ein Foto von Serkan A., einem der beiden sogenannten “U-Bahn-Schläger”, die gestern zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, ist heute in vielen Zeitungen zu sehen. Es zeigt ihn, wie auch “Bild” schreibt, wie er aus dem schmalen Fensterschlitz eines Gefangenen-Transporters den Fotografen den Mittelfinger zeigt. Die Fotografen hatten bei der Gerichtsverhandlung u.a. auch (teilweise gegen deren offenkundigen Willen) Aufnahmen von seiner Mutter, seiner Schwester, seiner Verlobten und seiner sieben Monate alten Tochter gemacht.

Die “Bild”-Zeitung wertet diese Geste so:

So zeigt der U-Bahn-Schläger, was er von unserer Justiz hält

Und online schreibt “Bild” sogar, was die Geste angeblich zu bedeuten hat:

U-Bahn-Schläger verhöhnen deutsche Justiz

Vielleicht kann man viele Grenzüberschreitungen, die die “Bild”-Zeitung und ihre Reporter und Fotografen begehen, damit erklären: Dass sie sich ernsthaft für einen Teil unserer Justiz halten.

Mit Dank an Torsten K.!

6 vor 9

Auslandsberichterstattung: “Da wird es einem zu viel”
(tagesspiegel.de, Marlis Prinzing)
Ulrich Tilgner lobt schweizer und kritisiert deutsche Redaktionen: “Ich will keine Berichte liefern, die beliebig sind. Ich möchte sagen, was ich denke. Dafür stehe ich gerade und für sachliche Richtigkeit. Ich möchte keinem redaktionellen Druck nachgeben, der Konzessionen bedeutet, die ich nicht mehr eingehen mag. Diese Grenze ist beim ZDF an einigen Punkten verschwommen.”

Die Linkrevolution
(blog.kooptech.de, Christiane Schulzki-Haddouti)
Christiane Schulzki-Haddouti erklärt, wie das geht mit den Links im Text – was viele Journalisten nicht machen oder können. Aber: “Auch Blogger verlinken nicht (immer)” (neunetz.com, Marcel Weiß).

“Auf eine Charles-Dickens-artige Weise rührend”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
“Teile der Musikindustrie bemustern nur noch Journalisten, von denen ausschließlich positive Rezensionen zu erwarten sind.”

Fernsehen, sei umschlungen!
(sueddeutsche.de, Mario Sixtus)
“Für die meisten TV-Sender ist der Ausflug ins Internet ein Kulturschock. Man sieht’s. Können oder wollen die das nicht besser? Eine Tour d?Horizon durch das Netz der Möglichkeiten.”

Die T3N-Gründer im Interview
(itfrontal.de, Daniel Hinderink)
“Seit nunmehr drei Jahren veröffentlichen Martin Herr (MH), Jan Christe (JC) und Andreas Lenz (AL) das T3N-Magazin. Das Konzept ist auf die Open Source-Szene ausgerichtet und einige Zeitschriftenverlage beobachten diese Entwicklung bereits intensiv, denn das Magazin ist ein Erfolg.”

Zurück in der echten Welt – Second Life Magazin von Insolvenz eingeholt
(magaziniac.de, Evil)
“Und nun ging es doch ganz schnell. Die Gerüchte hatten sich in den letzten Tagen verdichtet und inzwischen ist die Gewissheit vorhanden.”