Archiv für Juli 23rd, 2008

Allgemein  

Bild.de hält Dragandabic.com für Karadzics Website

"http://dragandabic.com Karadzic als Guru Dr. Dragan Dabic / Die Lügen-Homepage des Massenmörders"

Aber auch wenn Bild.de etwas anderes behauptet und drei Bild.de-Autoren ebenso ausführlich wie empört aus dem kargen Inhalt der Internetseite Dragandabic.com zitieren:

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Dragandabic.com nicht “die Lügen-Homepage des Massenmörders”.

Erstellt wurde die Website offensichtlich erst gestern – am Tag nachdem der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic festgenommen worden ist. Und in den “Eigenschaften” eines Fotos auf Dragandabic.com findet sich folgender Text:

Übersetzung:

“Dieses Videobild aus dem Fernsehen in Kikinda zeigt den ehemaligen Kriegsführer der bosnischen Serben Radovan Karadzic, rechts, wie er unter seiner falschen Identität als Dragan Dabic am 28. Januar 2008 an einer vom Magazin ‘Zdrav Zivot’ (Gesundes Leben) unterstützten Konferenz im serbischen Kikinda teilnimmt. Kadadzic wurde nach offiziellen Angaben am Montagabend, dem 21. Juli 2008, in einem Belgrader Vorort festgenommen. Ein Richter ordnete seine Überführung zum U.N.-Kriegsgerichtshof im niederländischen Den Haag an, wo er sich wegen Völkermordes verantworten muss, sagte der Staatsanwalt für Kriegsverbrechen Vladimir Vukcevic. (…)”

Der Text ist identisch mit der Bildbeschreibung eines gestern veröffentlichten AP-Fotos.

This video frame grab image taken from Kikinda Television shows former Bosnian Serb wartime leader Radovan Karadzic, right, attending a conference sponsored by “Healthy Life” magazine under the false identity of Dragan Dabic on January 28, 2008 in Kikinda, Serbia. Karadzic was arrested Monday night July 21, 2008 in a Belgrade suburb, officials said. A judge has ordered his transfer to the U.N. war crimes tribunal in The Hague, Netherlands, to face genocide charges, war crimes prosecutor Vladimir Vukcevic said. The woman on the left is unidentified. (AP Photo/Kikinda Television via APTN)

Tja. Dabei müsste Bild.de sich mit Lügen-Homepages doch eigentlich bestens auskennen.

P.S.: Karadzics Website findet man übrigens hier — oder auf Karadzics Visitenkarte als “D.D. [Dragan Dabic] David”…

Mit Dank an Christian Z., ix, Reiner, Pekka R., Thomas B., Nils und vor allem Frank M.

Nachtrag, 19 Uhr: Nachdem Bild.de heute gegen 13 Uhr groß über die angebliche “Lügen-Homepage” berichtet hatte, berichteten u.a. auch die Nachrichtenagenturen AFP (14.11 Uhr), dpa (15.13 Uhr) und Reuters (15.44 Uhr). Andere Nachrichtenseiten übernahmen die Meldungen. Anders als Reuters versandte AFP allerdings um 17.17 Uhr einen “dringenden Hinweis”, wonach “Zweifel an der Echtheit der Seite aufgekommen” seien und es sich “möglicherweise (…) um eine Fälschung” handele, weswegen man die Ursprungsmeldung zurückziehe; dpa* zog um 17.19 Uhr nach und schrieb: “Die als Quelle angegebene Internetseite www.dragandabic.com wurde erst am 22. Juli ins Netz gestellt und ist offensichtlich eine Fälschung.” Und beim WAZ-Portal derwesten.de findet sich dort, wo zuvor die Dragandabic-Meldung stand, der Hinweis: “Da es sich offenbar um eine Fälschung handelt, entschuldigen wir uns für den Fehler und haben den Artikel offline genommen.”

Ach ja: Auf Bild.de wurden inzwischen zwar die meisten Verlinkungen zum “Lügen-Homepage”-Text aus anderen Artikeln entfernt. Unverändert online ist er aber nach wie vor.

*) Bei dpa hat man zur Meldung zunächst schon kurz nach Veröffentlichung eine Korrektur herausgegeben. Korrigiert wurde darin jedoch nur ein Deppenapostroph in der Überschrift…

Nachtrag, 19.53 Uhr: Nach einem Hinweis von uns hat um 19.45 Uhr auch Reuters eine Korrektur nachgereicht, wonach es sich bei Dragandabic.com “nicht um die offizielle Seite von Karadzic handelte”.

Nachtrag, 24.7.2008, 15 Uhr: Auf unsere Nachfrage, ob Bild.de etwa dabei bleibe, dass es sich bei der “Lügen-Homepage” um Karadzics Homepage handele, erhielten wir bislang zwar keine Antwort. Aber der Artikel wurde offenbar aus dem Bild.de-Angebot entfernt.

Nachtrag, 31.7.2008: Laut “New York Times” behauptet jemand, der sich “Tristan Dare” und “Medienkünstler” nennt, Urheber der “Lügen-Homepage” (auf der sich zwischenzeitlich auch Google-Ads fanden) zu sein.

Nachtrag, 11.8.2008: Der Vollständigkeit halber sei vielleicht noch erwähnt, dass “Tristan Dare” sein dragandabic-Projekt inzwischen selbst erklärt und u.a. Bild.de als schlechtes Beispiel anführt. Bemerkenswert auch, was auf dragandabic.com bei den “10 beliebtesten alt-chinesischen Sprichwörtern, ausgesucht von Dr. Dabic persönlich” inzwischen an 10. Stelle steht.

Sterbehelfer wehrt sich in “Bild” gegen “Bild”

“Bild” druckt ja angeblich Gegendarstellungen, bei denen “das Recht der Gegendarstellung im Kern mißbraucht wird”, gerne. Noch lieber als Gegendarstellungen zu drucken, sucht “Bild” sie jedoch zu vermeiden – insbesondere dann, wenn durch sie das Recht der Gegendarstellung im Kern nicht mißbraucht würde.

Am 5. Juli hatte “Bild” in einem großen Artikel über Sterbehilfe in Deutschland auch ein wenig über Sterbehilfe in der Schweiz berichtet.

Genauer gesagt: “Bild” hatte implizit behauptet, die Schweizerische Sterbehilfe-Organisation Dignitas leiste “AKTIVE” Sterbehilfe. Und “Bild” hatte geschrieben, eine Krebspatientin aus Deutschland, die sich von Dignitas beim Sterben helfen ließ, sei “erst nach 38 Minuten Höllenqualen” gestorben und habe immer wieder geschrien “Ich verbrenne! Ich verbrenne!” Das ist gänzlich unbewiesen und wird vom Dignitas-Chef Ludwig A. Minelli seit langem bestritten (wir berichteten).

Heute druckt “Bild” (in einem Kasten neben einer Geschichte über Oswalt Kolles Einstellung zur Sterbehilfe) unter der Überschrift “Wann ist Sterbehilfe strafbar?” ein Interview mit Dignitas-Chef Ludwig A. Minelli.

Darin antwortet Minelli auf die “Bild”-Frage, “Was ist aktive Sterbehilfe, was passive Sterbehilfe?”:

“(…) Dignitas assistiert Menschen lediglich bei ihrem frei gewählten Suizid. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Mensch schmerzfrei und in Würde sterben kann. Deswegen wehren wir uns auch gegen Behauptungen, eine Krebspatientin habe beim von uns begleiteten Suizid geschrien, sie würde verbrennen. Bei uns ist jeder der bisher mehr als 900 Suizide völlig schmerzfrei und in Würde erfolgt.”

Das klingt nicht nur wie eine Richtigstellung des “Bild”-Artikels vom 5. Juli, im Prinzip ist es das auch.

Minelli sagt uns auf Anfrage:

“Wir haben nach der ‘Bild’-Berichterstattung unseren Anwalt in Berlin eingeschaltet. Der hat verlangt, dass sie richtiggestellt wird. ‘Bild’ hat daraufhin das Angebot gemacht, das als Interview in einem Kasten neben der Oswalt-Kolle-Geschichte zu machen. Damit war ich einverstanden.”

6 vor 9

Die renitenten Rezensenten
(sueddeutsche.de, Jonas Beckenkamp)
“Kritik unerwünscht: Wie die Musik- und Computerspieleindustrie Journalisten beeinflusst – zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit.”

Mr. Schleichwerbung
(gesundheit.blogger.de, Video, 8:03 Minuten)
“Im Auftrag der Boocompany habe ich mir den Gesundheitsexperten der ARD – für die Stammleser dieses Blogs kein Unbekannter – ein wenig näher angesehen.”

Kleingedrucktes entziffern mit Michael Opoczynski
(medienpiraten.tv, Peer Schader)
Michael Opoczynski, Redaktionsleiter der ZDF-Sendung “WISO”, kritisiert “irreführende Angaben auf Produktverpackungen”. Auf dem ?Wiso Sparbuch”, von “WISO” herausgegeben, kann man aber auch kaum was lesen.

“Blogs sind ein Zugang zur modernen Weltkultur”
(stuttgarter-zeitung.de, Cinthia Briseño)
Peter Glaser badet in der Informationsflut “wie Onkel Dagobert in seinem Geld. Ich habe einen Newsreader, der für mich täglich ein paar Tausende von Neuigkeiten aus ein paar Hunderten von Blogs bündelt. Das klingt vielleicht viel, aber ich habe mit der Zeit gelernt, sehr schnell in Folge kleine Entscheidungen zu treffen, was ich zur Kenntnis nehmen möchte und was nicht. Wir alle sind gerade dabei, das zu lernen.”

Nachrichten – aber so richtig falsch
(derwesten.de, Dirk Hautkapp)
“An Rhein und Ruhr. Jon Stewarts ‘Daily Show’ jetzt auch bei uns. US-Satire entwickelte sich zu politisch relevanter Sendereihe.”

Das Internet-Massaker
(de-bug.de, Anton Waldt)
Anton Waldt meint, das freie Internet von heute mache es nicht mehr lange: “Wenn das Spiel schlecht ausgeht, wird uns das Internet von heute in zehn Jahren ähnlich unglaublich, fantastisch und faszinierend vorkommen, wie die Tatsache, dass in den 70ern wildfremde Leute ohne Kondom Sex hatten.”