Archiv für April, 2008

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Quoten statt Voten
(medienheft.ch, Gerti Schön)
“Kurzatmige Nachrichten über aufgeblasene Bagatellen bestimmen die Berichterstattung über die Vorwahlen in den USA: Ob nun angebliche Heckenschützen in Bosnien, radikale Prediger oder “frustrierte Wähler” – kaum jemand, der nicht aufgeboten würde, um die Stimmung gegen die demokratischen Präsidentschaftskandidaten anzuheizen. Dabei geht es mehr um Quoten als um Voten.”

“Man muss lernen, anonym zu bleiben”
(zeit.de, Götz Hamann)
“Netzsurfer tragen selbst Verantwortung, sagt der oberste Datenschützer von Google. Peter Fleischer über die Spuren, die Nutzer hinterlassen – und über das, was der amerikanische Internetkonzern damit anstellt.”

Der Hakenkreuzzug
(spiegel.de, Ansberg Kneip)
“Wie Google Earth bei der Entnazifizierung der Welt hilft.”

“Gegen eine reine Mantellösung würde ich mich wehren”
(persoenlich.com, David Vonplon)
“Letzten Samstag ist der “Bund” in die Räumlichkeiten der “Berner Zeitung” am Dammweg gezogen. Folgt auf die geografische Zusammenlegung der Zeitungen auch eine redaktionelle? Laut “Bund”-Chefredaktor Artur K. Vogel sind solche Befürchtungen aus der Luft gegriffen: “Wir versuchen, uns klar von der ‘BZ’ abzugrenzen”, erklärt er im Interview mit “persoenlich.com” und übt scharfe Kritik an Medien, die anderslautende Berichte publizierten.”

Da geht was
(blick.ch, Lu Hai Rui)
“China ist ein ziemlich grosses Land, und in einem ziemlich grossen Land passieren ziemlich kuriose Dinge. In den vergangenen Wochen habe ich allerlei Zeitungsausschnitte für Sie gesammelt, liebe Leserinnen und Leser, und bin stolz, Ihnen nun die zehn verrücktesten Kurznachrichten des Frühlings präsentieren zu dürfen.”

Ein offener Brief vom Internet zum Tag des Geistigen Eigentums
(tim.geekheim.de)
Nach “den Kulturschaffenden” schreibt nun auch “das Internet” einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Was trickste Strunz mit Schröder?

Zunächst die Theorie:

Am vergangenen Sonntag nutzte Claus Strunz in seiner “Bild am Sonntag”-Kolumne “Der Chefredakteur antwortet” die Gelegenheit, dass ihn ein Leser auf eine vermeintliche Ungereimtheit in den vorangegangenen “BamS”-Ausgaben aufmerksam machte.

Während nämlich die “BamS” am 6. April “Was trickste Schröder mit Gaddafi?” gefragt habe, sei in der Ausgabe vom 13. April gestanden: “Tatsächlich gibt es bisher keine Beweise für eine persönliche Verwicklung Schröders in die Affäre.”

“BamS”-Chef Strunz antwortete:

Sie sprechen zu Recht einen Widerspruch in unserer politischen Berichterstattung an.

Nach allem, was man zum jetzigen Zeitpunkt wissen kann, haben wir einen Fehler gemacht. Gerhard Schröder ist nicht persönlich in die Affäre um deutsche Ausbildungshilfen für libysche Polizeibeamte verwickelt gewesen. (…)

Das haben wir am 13. April 2008 auch so berichtet und damit unsere Berichterstattung der Vorwoche korrigiert – prominent platziert im Politik-Aufmacher. So deutlich, dass Sie es natürlich sofort bemerkt haben. Denn wir wollen nichts, was wichtig ist, unseren Lesern vorenthalten – und sei es die Richtigstellung eigener Fehler. Das gehört zu unserem Selbstverständnis als größte Sonntagszeitung Deutschlands. (…)

Und nun zur Praxis:

Mit anderen Worten: Eine Woche nach der großen, aber offensichtlich falschen Schröder-Geschichte (nicht mehr online) stand in einem anderen Text:

  • “Riesen-Wirbel um den Bericht von BILD am SONNTAG (…)”
  • “Schröder (SPD) dementierte (…)”
  • “(…) bisher keine Beweise (…)”

Und wir sehen es deutlich, das Selbstverständnis als größte Sonntagszeitung Deutschlands! Bleibt nur noch eine Frage: Wenn doch die “Bild am Sonntag” ihre ursprüngliche Berichterstattung der Vorwoche korrigiert hat – prominent platziert und so deutlich, dass der Leser es natürlich sofort bemerkt, wie Strunz behauptet, warum dann stehen die Worte “Fehler”, “korrigiert” und “Richtigstellung” erst eine weitere Woche später in Strunz’ Leserbriefkastenonkelkolumne? Beziehungsweise: Warum steht auf Seite 4 derselben Ausgabe – prominent platziert – unter ein paar Polit-Meldungen dann noch dies:

Und apropos “wir wollen nichts, was wichtig ist, unseren Lesern vorenthalten”: Als die “Bild am Sonntag” vergangene Woche in Riesenlettern auf die Titelseite schrieb, dass der TÜV vor neuem Diesel warne, wollte der TÜV im Nachhinein von seiner Warnung nichts mehr wissen. Wer seither beim TÜV nachfragt, wird dort niemanden mehr finden, der offiziell vor neuem Diesel warnt, womit die “BamS”-Titelschlagzeile zwar keine Ente war, aber quasi im Moment ihres Erscheinens in sich zusammenfiel. In der “BamS” stand davon anschließend kein Wort.

Im Gegenteil: Unmittelbar neben Strunz’ Sonntagsrede findet sich zwar ein Ausriss der (unhaltbaren) TÜV-Schlagzeile und die (unhaltbar gewordene) Kernaussage: “Gegenüber BILD am SONNTAG warnt ein TÜV-Experte vor dem neuen Dieselkraftstoff, der einen höheren Biodieselanteil enthält” – allerdings bloß unter der schönen Überschrift: “BILD-am-SONNTAG-Leser wussten es zuerst!”

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Bierfreunde helfen einander
(taz.de, S. Grimberg und T. Landsberg)
“Lidl bemüht sich nach dem Spitzelskandal weiter um Schadensbegrenzung. Und nicht nur ‘Bild’ kämpft mit. Aus Krisen-PR wird Hofberichterstattung.” Siehe auch “Wir vertrauen Lidl – vertrauen Sie uns!”. Weiter unten im Bild-Text: “Informieren Sie sich bei www.lidl.de”.

Bedeutung der Zeitungen für die Demokratie
(bmi.bund.de, Wolfgang Schäuble)
Rede von Dr. Wolfgang Schäuble: “Ob wir in 20 oder 30 Jahren hochwertigen Journalismus und meinungsstarke Zeitungen in ihrer jetzigen Form noch haben werden, dürfte aber vor allem davon abhängen, ob und wie es Zeitungen gelingt, sich auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters einzustellen. Das Internet wirft die bewährten Geschäftsmodelle der Zeitungen über den Haufen und revolutioniert den Nachrichtenmarkt. Für junge Lesergruppen ist das Internet bereits zum neuen Leitmedium geworden.”

Pseudo-Leck als «gezielte PR-Aktion» für Tamedias Newsnetz
(klartext.ch/blog, Nick Lüthi)
Tamedia schaltet offenbar eine Website auf, nur um Blogger damit zu verwirren.

Schweizer Verlag: Sonderbares Geschäftsgebahren
(perfektionist.ch)
Eine grosse Schweizer Wochenzeitung, die zu einem grossen deutschen Verlag gehört, übernimmt einen offensichtlich an die falsche Adresse gesandten Werbeauftrag ungefragt ins Blatt und schickt eine Rechnung.

Schawinski wirft Konkurrenz Irreführung vor
(persoenlich.com, dvp)
“Tamedia offerierte Umfrageergebnisse dem ‘SonntagsBlick’ vorab.”

Reporter auf der Grenze zwischen Moral und Unmoral
(tagesanzeiger.ch, Eberhard Falcke)
“Truman Capote war ein brillanter Journalist. Seine Porträts und Reportagen sind jetzt in einem Band versammelt. Grossartige Lektüre.”

Allgemein  

Reine Willkür

Die “Bild”-Zeitung glaubt, dass die ARD-Talkshow “Anne Will” schlechte Quoten hat. Vielleicht will die “Bild”-Zeitung auch nur glauben machen, dass die ARD-Talkshow “Anne Will” schlechte Quoten hat. Denn um das zu belegen, sind einige Verrenkungen nötig. “Bild” schreibt heute:

Seit September 2007 moderiert Anne Will (42) jeden Sonntag um 21.45 Uhr ihre ARD-Polit-Talkshow. Doch die Quoten sind schwach, schon bei der zweiten Sendung schalteten nur noch 3,26 Millionen Zuschauer ein (Vorgängerin Sabine Christiansen holte fast 5 Mio.).

Aha: “Bild” vergleicht die zweite Sendung von Anne Will mit irgendeiner Sendung von “Sabine Christiansen”. Die Zeitung hätte nur die dritte Sendung von Anne Will nehmen müssen, um zu einem ganz anderen Ergebnis zu kommen: Da hatte “Anne Will” nämlich 5,86 Millionen Zuschauer.

Tatsache ist: Im Schnitt aller Sendungen hatte “Anne Will” bessere Quoten als “Sabine Christiansen” in ihrer letzten Saison.

Aber “Bild” hat noch einen anderen Vergleich:

Wills Quoten schwächeln, Plasberg begeistert hingegen mit seinem Talk [“Hart aber fair”] am späten Mittwochabend mit spannenden Gesprächen und tollen Gäste.

Wen Plasberg so begeistert, sagt “Bild” nicht, es ist auch schwer zu sagen. Die Zuschauer eher nicht — jedenfalls nicht, wenn man nach ihrem Einschaltverhalten urteilt. Anne Will hat deutlich höhere Zuschauerzahlen als Plasberg, und das nicht nur absolut gerechnet (wobei Anne Will der Sendeplatz am Sonntagabend zugute kommt, wenn ohnehin besonders viele Menschen fernsehen), sondern auch beim Marktanteil (dem Anteil derjenigen Zuschauer, die eine Sendung sehen, von allen, die zu der jeweiligen Zeit den Fernseher eingeschaltet haben).

Konkret:

Sendung Zuschauer  Marktanteil 
Anne Will 4,00 Mio. 13,8 %
Hart aber fair 3,24 Mio. 12,8 %
Sabine Christiansen*  3,78 Mio. 13,3 %

*) Saison 2006/2007

Und das ist noch nicht alles. “Bild” zitiert gleich zweimal aus einem Bericht des aktuellen “Focus”, der den Anlass für die “Bild”-Verrechnungen bildet:

  • [Anne] Will fühlt sich durch die Vorgehensweise vom Sender ungerecht behandelt. Dem “Focus” sagte sie: “Es geht nicht um konstruktive Kritik, sondern darum, mir zu schaden.”
  • Änderungspläne gibt es bei der ARD offenbar schon! Programmdirektor Günter Struve (68) zum “Focus”: “Es wird eine Lösung im Sommer geben, weil es sie geben muss!”

Das Will-Zitat stammt jedoch nicht aus dem “Focus”, sondern aus einem einen Monat alten “FAZ”-Interview — und so steht’s auch im “Focus” selbst (“… klagte sie der FAZ”).

Das Struve-Zitat indes stammt nicht nur nicht aus dem “Focus” (und steht so auch nicht da), sondern aus einer Pressekonferenz zur ARD-Hauptversammlung vor zwei Wochen — und betrifft im Kern sogar nicht einmal Anne Will. Struves “Lösung” bezog sich vielmehr auf die uneinheitlichen Anfangszeiten der “Tagesthemen”.

Und dass der ARD-Vorsitzende Fritz Raff den “Focus”-Bericht, auf den sich “Bild” beruft, scharf dementiert hat, fand “Bild” nicht einmal erwähnenswert.

“Gewonnen hat die Demokratie”, nicht “Bild”

Wir wollen nicht nachtreten. Aber wir wollen’s auch nicht unerwähnt lassen: Es ist in diesem Jahr bereits die zweite Niederlage der “Bild”-Zeitung.

Nachdem “Bild” vor drei Monaten erst, bei der hessischen Landtagswahl, die “Kriminelle Ausländer raus!”-Kampagne der hessischen CDU und ihres Vorsitzenden Roland Koch nach Kräften (und über die Grenzen des journalistisch Zumutbaren hinaus) unterstützt hatte, verlor die CDU zwölf Prozentpunkte.

Und gestern nun ist auch das Volksbegehren gegen die Einstellung des Flugbetrieb auf dem Berliner Flughafen Tempelhof gescheitert. Dabei hatten auch hier “Bild” und die anderen Springer-Zeitungen monatelang nach Kräften (und über die Grenzen des journalistisch Zumutbaren hinaus) versucht, ihren Lesern weiszumachen, dass sie am gestrigen Sonntag unbedingt für den Erhalt von Tempelhof als Flughafen stimmen sollen — und wollen. Aber genutzt hat es wieder nichts: Zwar stimmten 60,2 Prozent der Wähler mit “Ja”, doch weil es für einen Erfolg des Volksbegehrens nicht nur die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern auch mindestens ein Viertel aller Stimmberechtigten brauchte, waren es am Ende, bei einer Wahlbeteiligung von gerade mal 36,1 Prozent, doch zu wenig: statt 25 Prozent nur 21,7 Prozent — oder, um es mit der örtlichen “Bild” zu sagen:

Tolles Ergebnis des 1. Volksentscheids in der Hauptstadt! 530 231 Berliner haben gestern für den Erhalt des City Airports Tempelhof gestimmt! (…)

Ach ja: Die wahlentscheidende “21,7 Prozent”-Zahl sucht man in der heutigen “Bild” (Berlin-Brandenburg)* vergeblich. Sogar aus der offiziellen Tabelle des Statistischen Landesamts Berlin wurde sie von “Bild” rausgekürzt:

*) Anders als in Berlin-Brandenburg findet sich in anderen “Bild”-Ausgaben nur eine kleine Seite-1-Meldung, in der aber dafür die “21,7 Prozent” erwähnt werden.

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Merkel: Mehr für Schutz geistigen Eigentums tun
(bundeskanzlerin.de, Angela Merkel)
Angela Merkel: “Bestimmte Dinge können wir national alleine nicht lösen. Deshalb müssen wir dies im internationalen Rahmen machen, denn das Herunterladen von Computern ist eine Sache, vor der nationale Grenzen nicht schützen können.” (pdf-Datei, Video)

Schummel-Skandal bei RTL-Chartshow
(express.de, Christian Wiermer)
RTL zeigt einen fast fünf Jahre alten Auftritt von Chris de Burgh – und verkauft ihn als neu.

Wie bloggig sind die Zeitungen mittlerweile geworden?
(blog.metaroll.de, Benedikt Köhler)
Benedikt Köhler überprüft, wie weit klassische Blogfunktionen bereits Einzug gehalten haben in die Online-Portale von Tages- und Wochenzeitungen.

Wenn der Stinkefinger einknickt
(spiegel.de, Daniel Haas)
“Die Selbstzensur der amerikanischen Fotoagentur AP nimmt absurde Ausmaße an. Jetzt hat der Nachrichtendienst Bilder einer Musikpreis-Trophäe gelöscht, die eine obszöne Geste zeigen. Auch vor Rockstar-Fotos wird gewarnt – und vor Picasso-Gemälden.”

Das Kreuz mit der Leserschaft
(dradio.de, Thomas Klatt)
“Die christlich-konfessionelle Presse in Deutschland steckt in der Krise: Seit Jahren sinken die Leserzahlen kontinuierlich von 4,16 Millionen im Jahr 1997 auf heute unter 2,8 Millionen Leser. Als Folge werden Zeitungen eingestellt, so zum Beispiel bei der badischen Landeskirche zum Ende des Jahres. Doch es gibt eine Alternative: Cross-Media.”

The anxiety of the elites
(guardian.co.uk/commentisfree, James Murdoch)
“The regulator’s heavy-handed response to a media revolution is injurious to a free society.”

medienlese – der Wochenrückblick

Bei Spiegel Online, Heidemann mit Vertrag, Rock?n?Roll.

Das Blog Spreeblick.com machte uns freundlicherweise darauf aufmerksam, dass Konrad Lischka und Christian Stöcker von Spiegel Online einen Artikel von uns in “Argumentation und Beweisführung”, wie soll man sagen, weitergesponnen haben. Frédéric Valin schrieb: “Denn der SpOn-Artikel ergänzt den Artikel bei Medienlese nur, mit neu aufbereitetem Material und anderen Zitaten, stilistisch bedächtiger und, ja, ein klein bißchen langweiliger.” Danke für die Ehre, Spiegel Online. Ob wir nächstes Mal sogar verlinkt werden?
Read On…

1 Grund, nicht für Tempelhof zu stimmen

Dafür muss man sie dann doch bewundern: dass den Leuten von “Bild” nach Monaten fast täglicher, gelegentlich seitenfüllender Propaganda für den Erhalt des Flughafens Tempelhof immer noch etwas neues einfällt. Heute überrascht “Bild”-Berlin-Kolumnist Reimer Claussen mit der Analyse:

Wer Tempelhof schließt, frisst auch kleine Kinder

Halt, nicht ganz:

Wer Tempelhof schließt, würde auch das Stadtschloss noch einmal sprengen

Claussens “Argumentation” geht so:

(…) Wir haben in unserer Stadt einige Baudenkmäler, die den jeweiligen wechselnden Herrschern nicht unbedingt gefallen oder nicht in ihr politisches Konzept gepasst haben. Etwa die alten katholischen Kirchen, die manchem protestantischen König ein Dorn im Auge waren — aber es hat sich im alten Preußen durchgesetzt, die Gebetshäuser anderer zu tolerieren, sogar neue zuzulassen. (…)

Die St. Hedwigs- Kathedrale dürfen wir auch aus anderen Gründen heute noch bewundern: Weil es selbst in der DDR Entscheider gab, die gegen das sozialistische Prinzip solche Bauten verteidigten, sie sogar wieder aufbauten. Dazu gehört auch die Staatsoper Unter den Linden, die ein Prachtbau der preußischen Monarchen war — aus Sicht der SED-Diktatoren eigentlich ein Repräsentationsbau des verfemten Ex-Regimes wie das Stadtschloss, das ausradiert gehört.

Aber selbst diese Leute hatten ein Gespür dafür, dass man eine lebendige Geschichte braucht. Und dass man die maßgeblichen baulichen Faktoren einer Stadt nicht abreißen oder entfremden darf, weil man sonst der Stadt ein Stück ihrer gelebten Identität raubt. (…)

Das ist in seiner Perfidie schon geschickt, wie Claussen es schafft, über zig Zeilen vom Abriss von Gebäuden zu sprechen — und an der entscheidenden Stelle unauffällig “abreißen oder entfremden” zu schreiben. Denn niemand will den (unter Denkmalschutz stehenden) Flughafen Tempelhof abreißen. Es geht in dem Volksentscheid am kommenden Sonntag [pdf] allein um die Frage, ob er weiter als Flughafen genutzt werden soll.

Es ist leicht, das misszuverstehen — und die “Bild”-Zeitung tut im Kampf gegen die Schließung des Flughafens, dem sich die ganze Axel-Springer-AG verschrieben hat [pdf], alles dafür, dieses Missverständnis zu befördern. Am Dienstag bereits hatte “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner entsprechend an den Regierenden Bürgermeister geschrieben:

Wenn Sie Tempelhof schließen, dann wird Berlin wie das Gesicht einer Frau nach dem Facelifting sein. (…)

Es soll also nur noch Fotos geben von der Geschichte dieser Stadt.

Und in der ganzseitigen “Bild”-Übersicht “100 Gründe für den Flughafen der Herzen” findet sich sogar als Grund 76:

"Der zweite Teil des Luftbrücken-Denkmals in Frankfurt/M. würde ohne Tempelhof ziemlich einsam an der Autobahn stehen."

— als wolle Wowereit, der geschichtsvergessene Banause, nicht nur das Flughafen-Gebäude, sondern sogar das davorstehende Denkmal sprengen.

Andererseits: Wenn sich am Sonntag in Berlin wider Erwarten nicht die notwendige Mehrheit finden sollte, die sich unverbindlich für eine Fortsetzung des Flugbetriebes ausspricht, könnte das auch an “Bild” und diesen 100 Gründen diesen 100 Gründen gelegen haben. Die machen nämlich schon beim flüchtigen Blick den Eindruck, dass die Zahl der guten Argumente pro Tempelhof überschaubar sein könnte:

Es ist eine — selbst für “Bild”- und Springer-Verhältnisse — erstaunliche Massivität und Parteilichkeit, mit der die Zeitungen des Konzerns versuchen, die Berliner dazu zu bringen, beim Volksentscheid mit Ja zu stimmen. Außer der “Bild”-Titelgeschichte (!) mit den “100 Gründen” sah das allein in dieser Woche so aus:

BILDblog berichtete:

Das Wort “einseitig” ist fast ein Understatement, um die Absolutheit zu beschreiben, mit der die “Bild”-Zeitung jeden Widerspruch, jede unpassende Tatsache von ihren Seiten fernhält. Sie versucht in aller Regel nicht, die Argumente der Gegenseite zu entkräften oder zu entwerten; sie erwähnt sie sicherheitshalber gar nicht.

Die Information etwa, dass der Betrieb des Flughafens Tempelhof jährlich über zehn Millionen Euro Verlust macht (von denen die meisten der Steuerzahler tragen muss), scheint zuletzt 2003 im Blatt gestanden zu haben. Dass aktuell täglich nicht einmal 1000 Passagiere täglich den Flughafen nutzen, würde ein “Bild”-Leser nicht ahnen. Frühere “Bild”-Artikel, in denen es um Anwohner ging, die unter dem Fluglärm leiden, sind heute undenkbar (siehe Ausriss). Und während jeder vermeintliche “Umfaller” unter den Flughafen-Gegnern in der SPD oder Linke wortreich begleitet wird, scheint die “Bild”-Zeitung vergessen zu haben, dass die CDU, mit der sie sich heute gemeinsam als Tempelhof-Retter zu profilieren versucht, die Schließung selbst mitbeschlossen hat.

Nachtrag, 27.4.2008: Gestern gab die “Bild”-Zeitung in ihrer Berlin-Brandenburg-Ausgabe noch einmal alles:


Und in der heutigen “Bild am Sonntag” teilte auch Kolumnist Peter Hahne den “BamS”-Lesern mit, dass er heute “für den Erhalt des Flughafens” stimmen werde.

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“Was für ein Wort: Rundfunkänderungsstaatsvertrag!”
(merkur.de, Katharina Zeckau)
Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister hält “Fernsehen” und “Internet” für Begriffe des vergangenen Jahrhunderts.

Der Dompteur, der nicht peitschen will
(tagesanzeiger.ch, Jean-Martin Büttner)
Reto Brennwald, der Neue bei der “Arena”, will Konfrontationen und keine Rituale. Aber waren die Konfrontationen dieser Sendung nicht gerade das Ritual?

Der Triumph der grossen Zahl
(nzz.ch, S. B.)
10 Jahre Google: “Gemäss einer neuern Umfrage der österreichischen Marktforschungsfirma Marketagent.com gibt es einen grossen Prozentsatz von Internetnutzern, die nicht wissen, wie sie ohne Google im Internet etwas finden können; es soll Leute geben, die glauben, Google hätte das Internet erfunden.”

“Ich nehme das nicht persönlich”
(sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Der ehemalige ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner wurde vom Bundesnachrichtendienst ausspioniert. Im Interview mit sueddeutsche.de erklärt der 60-jährige Journalist, wie er sich als potentielles Spitzelopfer fühlt und wie der BND verändert werden sollte.

Journalisten im Fadenkreuz
(zoomer.de, Hannes Heine)
Immer wieder geraten Journalisten bei ihrer Recherche ins Visier von Ermittlern – auch im Inland. Die Überwachung von Afghanistan-Reportern durch den Bundesnachrichtendienst ist keine Einzelfall. Ein Überblick bekannt gewordene – und illegale – Abhör-Aktionen.

Sie sterben nach der Tagesschau
(freitag.de, Bov Bjerg)
Horoskopeschreiben ist wie Joggen: Der Kopf leert sich, und man macht einfach immer weiter. Bis das Gehirn seltsame Gedanken produziert.

Größenwahn

Zur aktuellen “Bild”-Werbekampagne (siehe hier) hätten wir noch Folgendes zu sagen:

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