Archiv für April 5th, 2008

“Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach?”

Es sind aufregende Tage für “Bild”-Reporter Sebastian Rösener und seine Kollegen aus Bremen. Nicht nur die Polizei, auch “Bild” sucht diejenigen, die vor zwei Wochen durch den Wurf eines Holzklotzes von einer Autobahnbrücke eine Frau töteten. Einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise der “Bild”-Leute gibt der folgende Bericht, den uns Manuela, eine Mutter, geschickt hat:

Tja, das “Hilfe, ich bin in ‘Bild'” habe ich ein klitzekleines bisschen zu spät gelesen… da hatte sich “Hallo, hier ist Sebastian…” schon wieder bei meiner Tochter gemeldet.

Gegriffen hat er sich das Mädel am Tag nach dem Holzklotzwurf auf der A29, als sie mit unseren Hunden unterwegs war — wir wohnen dort. Nicht auf der A 29, aber daneben und ungefähr 500 Meter Fluglinie vom ursprünglichen Einschlagsort entfernt…

Marie kam nach Hause an dem Tag: “Ich muss unbedingt sofort Fynn anrufen…” Ich habe gefragt, wieso, und sie erzählte mir, dass Reporter sie ausgequetscht hatten. Erst wusste sie nicht mal, von welcher Zeitung (oder mochte mir das nicht sagen, kann auch sein). War aber schon zu spät, weil sie nämlich auf Jens [Name von uns geändert] hingewiesen hatte. Nach einer Erklärung, was ich davon halte und dass gerade die Blödzeitung nicht grad zur Aufklärung beiträgt, hat sie das auch schnell verstanden, Fynn wurde nicht angerufen.

Am nächsten Tag hat Marie (15 und blond) die Zeitung gekauft und sich den Artikel durchgelesen… Fand sie erst nicht schlimm, aber als ich ihr dann ein paar Sachen erklärt habe, hat sie es so langsam begriffen, das da ziemlich viel verkehrt läuft.

Jens, mittlerweile auch Telefonopfer von “Sebastian von der ‘Bild’-Zeitung”, hat recht schnell die Nase voll gehabt und beschlossen, nichts mehr mit “Bild” zu tun haben zu wollen.

Tja, dann kam das Fahndungsfoto raus — und sofort klingelte abends um kurz vor zehn nicht nur das Handy meiner Tochter, nein, auch Jens wurde wieder belästigt. “Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach? Dann würde ich vorbei kommen und dir das Bild zeigen!” Jens gab an, Kopfschmerzen zu haben, und so wurde ihm das Fahndungsbild am Telefon geschildert. Jens hat aber dazu nichts mehr gesagt.

Als Marie von “Sebastian” angerufen wurde, hat sie ihn an mich verwiesen und mir das Handy gegeben. Und es war echt ein klasse Gespräch, ich wusste gar nicht, das Reporter so dermaßen arme Socken sein können, zu blöd, um zu kapieren, dass die Aufklärung der Straftat eine Sache der Polizei ist und sachdienliche Hinweise viel besser bei Herrn Weiß oder Herrn Krüder, dem Kontaktpolizisten von Maries Schule aufgehoben sind. Dann wollte man mir sachliche und faire Berichterstattung weis machen — und mit Herrn Wagner nichts zu tun haben. “Der sitzt in Berlin, mit dem haben wir nichts zu tun, WIR sind sachlich und objektiv!” Soso, warum dann die gezielte Wortwahl im Artikel, konnte er mir auch nicht erklären. Dumm gelaufen.

Ob ich denn die letzten Tage die “Bild”-Zeitung gekauft hätte — nein habe ich nicht. “Wie schade! Da hätten Sie mal sehen können, wie sachlich wir berichtet haben!” Jupp…

Gestern musste ich dann Marie wegen Kopfschmerzen von der Schule abholen, und nachdem ich wegen eines Fernsehteams vor der Schule quasi eine Vollbremsung hingelegt habe, um denen nicht durchs Bild zu fahren, stand an der Bushaltestelle ein rotbrauner alter Kombi, Ford oder so mit Bremer Kennzeichen. Meine Tochter: “Das sind die ‘Bild’-Reporter!”, und man sah auch einige sehr glückliche Mädels mit irgendwelchen Blättern vom Auto weggehen…

Hm, irgendwie war ich etwas schusselig, ich hätte den Wagen fotografieren sollen. Da der sicherlich nicht das letzte Mal dort auftaucht, werde ich Marie und friends bitten, das zu tun. Die nächste Schülerzeitung kommt bestimmt — und dann könnte man ja in “Bild”-Manier über die “Bild” berichten… ich schreibe auch gerne einen Gastkommentar…

Nein?

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Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Und wer zieht blank fürs Imperfekt?

Im vergangenen Jahr klagte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann in der evangelischen Zeitschrift “Chrismon” über den Niedergang der deutschen Sprache. Der “Variantenreichtum des Deutschen” sei dahin — “und damit auch Nuancierungen, Redefiguren, Subtext”. Die “voranschreitende Analphabetisierung der deutschen Gesellschaft” führe dazu, dass “selbst einfachste Kommentare oder Meldungen” missverstanden würden — was seine Zeitung vor “grundsätzliche Darstellungsfragen” stelle.

Nun wissen wir nicht, ob dieser Artikel von gestern aus dem Online-Angebot von “Bild”, dessen “Content-Vorstand” Diekmann ist, schon eine Antwort auf diese “grundsätzlichen Darstellungsfragen” ist. Oder eher ein Beleg für den Anteil von “Bild” an der angeblichen Analphabetisierung. Jedenfalls verzichtet er weitgehend auf die in der deutschen Sprache vorhandenen Nuancierungsmöglichkeiten, um den Zeitpunkt und die Abfolge von Ereignisses deutlich zu machen. Er geht so:

Diese Berliner Promis demonstrieren nackt

Nippel-Attacke gestern vor der britischen Botschaft in Berlin: Aktivisten einer Tierschutzorganisation demonstrierten nackt gegen die Bärenjagd (BILD.de berichtete). Auch Berliner Promis setzen sich für den Schutz von Tieren ein — und zwar mit vollem Körpereinsatz!

Für die Organisation Peta (…) ziehen unter anderem die Schauspieler von “GZSZ”, Sänger Ben und viele andere Stars und Sternchen aus der Hauptstadt blank! (…)

Testfrage: Wann haben sich die “GZSZ”-Darsteller, Ben und die anderen (“Diese Berliner lassen nackte Haut sprechen”) ausgezogen? Vor, während oder nach der “Nippel-Attacke” vom Donnerstag?

Falsch.

Katie Pfleghar tat es vor drei Monaten, Bela B. und Catherine Flemming im August 2005, die “GZSZ”-Leute im April 2003 — und Ben schon im November 2002.

Aber wenn die Bild.de-Leser das missverstanden haben, liegt es sicher an ihnen und ihrem Analphabetismus.

Mit Dank an Florian S.!