Autoren-Archiv

ZDF  

ZDF zeigt Hinrichtung von Menschen

Wer am vergangenen Dienstag “Frontal 21” geguckt oder gegen 21:07 Uhr zufällig ins ZDF gezappt hat, konnte sehen, wie zwei Frauen hingerichtet wurden. In einem Beitrag des Fernsehmagazins über die Türkei ging es unter anderem um die “Grauen Wölfe”, die Mitglieder der rechtsextremen “Milliyetçi Hareket Partisi”. Die Sprecherin des ZDF-Beitrags sagte:

Diese Bilder aus den Kurdengebieten verbreiten die Grauen Wölfe über die sozialen Medien selbst.

Menschenrechtsverletzungen. Wie auch in diesem Handy-Video. Experten halten diese Aufnahmen für authentisch: Männer in der Uniform türkischer Soldaten richten zwei kurdische Kämpferinnen hin. “Tamam, okay, das reicht”, sagt der Soldat und geht.

Dazu zeigte “Frontal 21” erst Fotos von verletzten oder getöteten Menschen, neben denen Personen in Uniformen stehen. Die Gesichter der Opfer hatte die Redaktion unkenntlich gemacht. Das ist alles noch im Rahmen. Dann folgte aber das 18 Sekunden lange “Handy-Video”, “Quelle: Twitter”. Man kann sehen, wie eine Frau in ein Erdloch geworfen wird, drei Männer in Uniformen schießen mit ihren Maschinengewehren in das Loch. Gleichzeitig, im Vordergrund der Video-Aufnahmen, schießt ein weiterer Mann in Uniform einer auf dem Boden knienden Frau mit seinem Maschinengewehr in den Kopf.

Diese menschenverachtenden Aufnahmen sind zum Glück nicht gestochen scharf. Es handelt sich eben um etwas wackelige Handy-Aufnahmen. Sie reichen aber aus, um genug zu erkennen: das Zerfetzen des Kopfes, das Zusammensacken des Körpers, das Blut auf dem Boden. Immerhin sind die Gesichter der Frauen nicht zu sehen, auch wenn die “Frontal 21”-Redaktion nichts verpixelt hat. Sie hat das Video, das die “Grauen Wölfe” vermutlich zu Propaganda-Zwecken bei Twitter verbreiten, eins zu eins übernommen.

Jeder, also auch Kinder und Jugendliche, können sich diese ziemlich würdelosen Aufnahmen aktuell rund um die Uhr in der ZDF-Mediathek angucken. Es gibt keine Zugangsbeschränkung.

(Wir haben uns bewusst dazu entschieden, weder den Beitrag in der ZDF-Mediathek zu verlinken noch Screenshots des Videos zu veröffentlichen.)

Mit Dank an @Schmier_Fink für den Hinweis!

Nachtrag, 16:57 Uhr: Das ZDF hat reagiert — die gesamte “Frontal 21”-Sendung ist nun erst ab 22 Uhr in der Mediathek abrufbar. *

*Nachtrag, 18:58 Uhr: Die “Frontal 21”-Redaktion hat die Folge vom vergangenen Dienstag kurzzeitig aus der Mediathek genommen, um die kritisierte Stelle zu bearbeiten. Nun sind die Opfer der Hinrichtung komplett unkenntlich gemacht. Der Beitrag ist in der Mediathek wieder abrufbar. In einer Stellungnahme hat das Team auf die Kritik an dem Türkei-Beitrag reagiert:

“Frontal 21” berichtete in der Sendung am Dienstag, 21. März 2017, über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. In dem Beitrag “Türken gegen Erdogan — Machtkampf auf deutschen Straßen” war zu sehen, wie Männer in türkischen Uniformen zwei mutmaßliche kurdische Kämpferinnen erschießen. Die Redaktion “Frontal 21” hatte sich entschieden, die 18-sekündigen Aufnahmen zu zeigen, um das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen zu veranschaulichen und zu verdeutlichen, mit welcher Brutalität in der Türkei der Kampf gegen Kurden geführt wird. Die Identität der Opfer war auf dem Video nicht erkennbar. Nach Ausstrahlung des Beitrags wurde das Video mit folgendem Warnhinweis in die ZDFmediathek eingestellt: “Achtung: Dieser Beitrag enthält Bilder, die Zuschauer schockieren könnten, da sie eine Erschießungsszene zeigen.” Zuschauer äußerten sich aber dennoch kritisch. Die Redaktion “Frontal 21” nimmt diese Kritik ernst und hat sich entschlossen, die Aufnahmen der Opfer zusätzlich unkenntlich zu machen. Die Redaktion bedauert, wenn die gezeigten Bilder Zuschauer verstört haben.

Julian Reichelt veröffentlicht E-Mails anderer Leute

Hier sehen wir, was passiert, wenn man es wagt, sich mit “Bild” anzulegen.

Die Journalistin Petra Sorge hat es gewagt. Sie schrieb einen Artikel, in dem es auch um Kritik an der Berichterstattung des Boulevardblatts geht. Daraufhin verfasste “Bild”-Oberchef Julian Reichelt zahlreiche Tweets über Sorge, er veröffentlichte E-Mails von ihr, eine Kampagne ging los. Es sieht aus wie ein Versuch, Leute abzuschrecken, die kritisch über “Bild” berichten wollen.

Um diese Passage geht es:

Und dann ist da die Sache mit der angeblichen Ex-Freundin seines Sohnes, der Stewardess Maria W. Bild druckte im März 2015 ein Interview mit ihr, wonach Andreas Lubitz angekündigt haben soll: „Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.“ Maria W. habe sich wegen seiner Probleme von ihm getrennt: „Er ist in Gesprächen plötzlich ausgerastet und schrie mich an. Ich hatte Angst. Er hat sich einmal sogar für längere Zeit im Badezimmer eingesperrt.“ Das Interview schien genau jenes Puzzleteilchen zu liefern, das noch fehlte zum Bild eines Wahnsinnigen. Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: „Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.“ Der Springer-Verlag hingegen teilt mit, es gebe keinen Anlass, den Artikel online zu korrigieren. Die Aussagen des Staatsanwalts seien “rein spekulativ”, seine Behörde habe die Bild dazu niemals kontaktiert, erklärte ein Pressesprecher.

Der Absatz stammt aus einem Text der “Zeit”, aktuelle Ausgabe. Petra Sorge schreibt dort über Günter Lubitz. Dessen Sohn, Andreas Lubitz, hat als Co-Pilot ein Flugzeug in den französischen Alpen bewusst zum Absturz gebracht. Insgesamt starben 150 Menschen. Über Sorges Text hatten wir am Donnerstag bereits etwas gebloggt.

Auf die oben zitierte Passage hat sich gestern “Bild”-Chefchef Reichelt eingeschossen. Über mehrere Tweets verteilt richtete er sich an Petra Sorge und die “Zeit”:

Die drei Screenshots, die Reichelt Tweet Nummer eins angehängt hat, sind: eine Stellungnahme des “Springer”-Verlags auf eine Anfrage von Petra Sorge und zwei Mails, die Sorge während ihrer Recherche an den Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa geschickt hatte. Kumpa ist zuständig für die Ermittlungen im Fall Lubitz. Julian Reichelt veröffentlicht also nicht-öffentliche, vertrauliche E-Mails einer Journalistin eines anderen Mediums, die nicht an ihn gerichtet waren und die er sich irgendwie beschafft hat.

Petra Sorge ärgerte sich, ebenfalls bei Twitter, über die “massive Indiskretion” Reichelts:

Bei der Frage, durch wen Reichelt an die Mails gekommen ist, die Sorge an Staatsanwalt Kumpa geschickt hat, scheidet sie als mögliche Kandidatin also schon mal aus. Nach dem Ausschlussprinzip bleiben dann nicht mehr viele Personen übrig, die die Nachrichten weitergeleitet haben können.

Abgesehen von Julian Reichelts ausgesprochen fragwürdiger Methode, fremde E-Mails zu veröffentlichen, sind die Vorwürfe, die er erhebt, recht merkwürdig. Da ist etwa seine Faszination für Petra Sorges Versuch, etwas möglichst genau zu recherchieren, damit sie es im Indikativ schreiben kann. Ein solcher Versuch ist Reichelt anscheinend so fremd, dass er ihn extra noch einmal herausstellt.

Auch der Vorwurf, dass Petra Sorge eine “Springer”-Stellungnahme weggelassen habe, ist süß. Die längere “Zeit”-Passage am Anfang dieses Blogposts zeigt schließlich, dass die Position des Verlags zur Aussage von Staatsanwalt Kumpa immerhin mehrere Zeilen Platz bekommen hat.

Im Laufe der gestrigen Twitter-Diskussion, nachdem sich auch “Zeit”-Journalist Holger Stark eingeschaltet hatte, wurde etwas klarer, was Julian Reichelt meint, wenn er schreibt, Petra Sorge habe “unsere Stellungnahme dazu” weggelassen: Er hätte es wohl gern gesehen, dass die “Zeit” eine ganz bestimmte Passage daraus zitiert. Dass Medien außerhalb der “Bild”-Gruppe ohne seine Einwilligung entscheiden dürfen, was sie zitieren (und was nicht) — damit muss Julian Reichelt wohl zurechtkommen.

Interessant ist, dass er in seinem Ursprungstweet noch die Position von Günter Lubitz erwähnt, verbunden mit dem Vorwurf an Petra Sorge, dass sie “weggelassen” habe, dass “Herr Lubitz schlicht falsche Tatsachen behauptet hat.” In einer der Mails von Sorge, die Reichelt veröffentlich hat, schreibt sie:

(…) und nun hat mir Herr Lubitz bezüglich des BILD-Interviews gesagt:

“Diese angebliche ‘Freundin’ ist eine Erfindung.” Er sagt, das hätten auch Sie (“der Düsseldorfer Staatsanwalt Kumpa”) ihm im Beisein von Zeugen bestätigt.

Das Lubitz-Zitat aus der E-Mail stammt aus der Recherche zum “Zeit”-Artikel. Schaut man sich den letztlich gedruckten Text noch einmal an, sieht man, dass diese Aussage von Günter Lubitz dort gar nicht vorkommt. Warum also aufschreiben, dass dieser möglicherweise irgendwann mal “falsche Tatsachen behauptet hat”, die für die Geschichte aber gar keine Rolle spielen? Nirgends im Artikel gibt es den Vorwurf, dass “Bild” die Frau erfunden habe. Es wird lediglich der Staatsanwalt zitiert, der der Meinung ist, dass die Geschichte der Frau nicht stimme:

Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.”

Sorge schreibt auch nirgends, dass wahr sei, was Staatsanwalt Christoph Kumpa sagt. Stattdessen darf ein “Springer”-Sprecher direkt im Anschluss widersprechen. Petra Sorge bildet also zwei verschiedene Meinungen zu einem Aspekt ab. Anstatt den Absender der Nachricht, die ihm nicht passt, anzugreifen, attackiert Julian Reichelt lieber die Überbringerin.

Und damit war noch längst nicht Schluss. In 23 weiteren Tweets (Stand: Sonntag, 21:56 Uhr) legte der “Bild”-Chef nach. Er erwähnte noch einmal, dass Sorge das “Springer”-Statement “verschwiegen” habe. Er veröffentlichte eine weitere E-Mail von Petra Sorge. Zwischendurch war er sprachlos und schrieb darüber. Er erwähnte ein weiteres Mal, dass Sorge das “Springer”-Statement “verschwiegen” habe. Er veröffentlichte noch eine E-Mail von Petra Sorge. Er konstruierte einen “Interessenkonflikt!”, weil Tim van Beveren, der das Gutachten für die Familie Lubitz erstellt hat, und Petra Sorge mal im derselben Stadt waren Petra Sorge mal in einem Artikel auf seiner Website verteidigt hat. Er grub einen anderthalb Jahre alten Tweet von Sorge aus. Er kam noch einmal darauf zurück, dass Sorge das “Springer”-Statement “verschwiegen” habe. Viele dieser und seiner anderen Tweets wurden von verschiedenen “Bild”-Regionalredaktionen retweetet. Und auch der “Bild”-Hauptaccount schickte eine Vielzahl von Reichelts Nachrichten über Petra Sorge an seine 1,58 Millionen Follower. Kampagnenjournalismus funktioniert auch bei Twitter.

Im Trüben fischen

Am Ende kann die Onlineredaktion der “Hamburger Morgenpost” sagen: “Na also, lagen wir doch richtig.” Und schon wirkt es gar nicht mehr so schlimm, wie die “Mopo”-Mitarbeiter vor zwei Tagen über den möglichen Tod eines Menschen spekuliert haben.

Donnerstagmorgen entdeckte der Schiffsführer einer Fähre im Hamburger Hafen einen leblosen Körper. Die Polizei barg die Wasserleiche, untersuchte ihr Gebiss und stellte fest, dass es sich um den seit elf Wochen vermissten Timo K. handelt. Gestern präsentierten die Beamten die Obduktionsergebnisse, es gab Gewissheit. Überregional hatten Medien seit Januar über K.s Verschwinden und die Suche nach ihm berichtet, nicht nur, aber auch weil er beim Fußballverein HSV arbeitete.

Bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des Leichenfunds begann bei mopo.de die Spekulation, ob es sich um Timo K. handeln könnte. Die Redaktion schlagzeilte am Donnerstagvormittag:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Artikel durch uns.)

Zu diesem Zeitpunkt stand noch nichts fest. Es gab Vermutungen, schließlich wurde K. ganz in der Nähe zum letzten Mal gesehen. Doch es gab auch Informationen, die gegen diese Vermutungen sprachen. “MOPO-Informationen”:

Nach ersten MOPO-Informationen sei allerdings unwahrscheinlich, dass es sich bei der Wasserleiche um K[.] handle. Kleidung und Erscheinungsbild würden laut Feuerwehrsprecher nicht zu dem Vermissten passen.

Diese Passage stammt aus demselben Artikel, der in der Überschrift noch rätselt, ob “der Tote der verschwundene HSV-Manager” ist. Die Redaktion widersprach sich selbst.

Gut anderthalb Stunden später berichtete auch “Focus Online” über den Fund im Hamburger Hafen. Dort wussten die Mitarbeiter zwar genauso wenig wie ihre “Mopo”-Kollegen, wählten für die Optik aber ein Foto von K. und brachten so seinen möglichen Tod ins Spiel:

Nach ersten Untersuchungen hatte die Polizei dann doch Hinweise gefunden, dass es sich bei der Wasserleiche um K. handeln könnte, dessen Personalausweis zum Beispiel. Bei mopo.de gab es nach Mutmaßüberschrift und Widerlegung im Text die nächste Wendung:

Die Onlineredaktion des “Hamburger Abendblatts” schrieb zwar, dass sich die Polizei nur “nahezu sicher” sei — für die Tatsachenbehauptung, dass man die “Leiche von Timo K[.] gefunden” habe, reichte das aber offenbar:

Inzwischen ist sich die Polizei also komplett sicher, dass es sich bei der Wasserleiche um Timo K. handelt. Die Medien lagen mit ihren Anfangsspekulationen richtig, ohne dass sie dafür eindeutige Anhaltspunkte hatten. Bei ihren redaktionellen Entscheidungen, ob sie eine vermisste Person mit dem Fund einer Wasserleiche in Verbindung bringen, obwohl noch nichts feststeht, scheint die mögliche Wirkung auf die Familie des Vermissten, auf dessen Freunde und Kollegen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Hauptsache eine gut klickende Titelzeile.

Vor einigen Wochen gab es bei Bild.de diese Schlagzeile:

Am Ende stellte sich raus: Es stand nicht mal fest, ob das gesichtete Objekt überhaupt eine Wasserleiche war.

Mit Dank an Matthias H., Günther T. und @dermobby für die Hinweise!

“Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist”

Morgen jährt sich zum zweiten Mal der Absturz des “Germanwings”-Flugs 4U9525. 150 Menschen sind damals in den französischen Alpen ums Leben gekommen, darunter auch Co-Pilot Andreas Lubitz, der die Maschine bewusst zum Absturz gebracht haben soll. Während viele der Hinterbliebenen sich treffen und gemeinsam trauern werden, werden Lubitz’ Eltern in Berlin bei einer eigens organisierten Pressekonferenz sitzen. Sie wollen ein Gutachten präsentieren, in dem es um Zweifel an den offiziellen Ermittlungen zur Absturzursache gehen soll.

In der “Zeit” von heute ist ein lesenswertes Stück von Petra Sorge zum Thema erschienen (hier eine Zusammenfassung von “Zeit Online”). Sie hat sich mit Günter Lubitz, dem Vater von Andreas, getroffen und mit ihm über verschiedene Gutachten, Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft, seine Motivation gesprochen:


Der Text handelt auch von der Berichterstattung rund um den “Germanwings”-Absturz. Es geht um ein brennendes Grab, um herumschleichende Reporter, um möglicherweise erfundene Interviewaussagen. Es geht vor allem um die “Springer”-Blätter “Bild” und “Welt am Sonntag”.

***

Da ist zum Beispiel der “Bild”-Bericht über das Grab von Andreas Lubitz. In der Print-Ausgabe und online hatten die “Bild”-Redaktionen Ende Juni 2015 groß auf der Titel- beziehungsweise Startseite über die Beerdigung des “Germanwings”-Co-Piloten berichtet …


… und dabei auch dessen Grab, niedergelegte Kränze, letzte Grüße von Freunden gezeigt.

Petra Sorge schreibt in ihrem “Zeit”-Artikel:

Kurz nach der Beerdigung von Andreas Lubitz gelangte ein Reporter auf den Friedhof. Er fotografierte das Grab: Kränze, die letzte Widmung der Familie. Bild veröffentlichte das Foto. Kurze zeit später setzte jemand das Grab in Brand. Der Brandstifter wurde nie gefunden.

Wegen der Veröffentlichung des Fotos folgte ein Gerichtsverfahren, das noch immer nicht endgültig entschieden ist. Inzwischen liegt der Fall beim Bundesgerichtshof:

Das Kammergericht Berlin untersagte den Abdruck des Fotos schließlich, mit der Begründung, die Berichterstattung stelle “einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte” der Kläger dar. Der Springer-Verlag hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Über die Frage von Pietät, Persönlichkeitsrecht und Grenzen der Pressefreiheit muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.

Nun kann man über einen direkten Zusammenhang von Bericht und Feuer nur mutmaßen. Die Tatsache aber, dass “Bild” und Bild.de trotz des Brandes und der möglichen Gefahr einer weiteren Brandstiftung im vergangenen August wieder mit großen Fotos über das Grab von Andreas Lubitz und den neuen Grabstein dort berichtet haben, wird vor diesem Hintergrund noch ekliger als es eh schon ist.

***

Direkt im Anschluss schreibt Petra Sorge:

Günter Lubitz hat lange überlegt, ob er mit der ZEIT sprechen soll. Mehrmals stand das Treffen auf der Kippe, besonders nachdem im Februar zwei Journalisten nahe dem Haus waren und danach behauptet hatten, die Familie habe sich erstmals öffentlich geäußert. Diese aus dem Zusammenhang gerissene “Äußerung” stammte aus einem Antwortschreiben, mit dem Günter Lubitz schon im November 2016 auf die Bitte um ein Interview reagiert hatte.

Bei den “zwei Journalisten” dürfte es sich um Mitarbeiter der “Welt am Sonntag” handeln. Die Wochenzeitung hatte vor gut einem Monat, am 26. Februar, vier Seiten über den “Germanwings”-Absturz veröffentlicht. In dem langen Text findet sich auch diese Passage:

Erstmals überhaupt haben sich die Eltern nun zu Wort gemeldet. Auf Anfrage der “Welt am Sonntag” schrieben sie: “Zum Absturz des Germanwings-Fluges 9525 ergeben sich auch für uns noch viele unbeantwortete Fragen, merkwürdige Sachverhalte und Zweifel am bisher kommunizierten Unfallhergang. Wir sind momentan selber noch am Recherchieren.” Zu dem “völlig falsch gezeichneten Bild” ihres Sohnes wollen sie sich momentan aber noch nicht äußern.

Ein “Unfallhergang”? Ein “völlig falsch gezeichnetes Bild” ihres Sohnes?

Aus einer E-Mail-Absage auf eine Interview-Anfrage vom November 2016 macht die “Welt am Sonntag” im Februar 2017 also die exklusive Nachricht, dass Lubitz’ Eltern sich “erstmals überhaupt” geäußert hätten.

“Bild” und Bild.de griffen das Thema direkt auf:


Franz Josef Wagner schrieb einen Brief an die Eltern von Andreas Lubitz.

***

Der dritte Abschnitt im “Zeit”-Artikel zur Berichterstattung über die “Germanwings”-Katastrophe ist der brisanteste. Es geht um ein Interview von “Bild”-Reporter John Puthenpurackal aus dem März 2015:



Die Aussagen der angeblichen “Ex-Freundin” über Lubitz’ angebliche Ausraster und seine angeblichen Ankündigungen waren nur wenige Tage nach dem Unglück entscheidende Bausteine bei der medialen Konstruktion eines Psychogramms.

“Bild” schreibt in dem Artikel:

Die Stewardess Maria W. (26) war eine zeitlang die Freundin von Todes-Pilot Andreas Lubitz (27).

Fünf Monate lang flogen sie im vergangenen Jahr zusammen durch Europa und übernachteten heimlich gemeinsam in Hotels.

BILD-Reporter John Puthenpurackal hat ihre Identität überprüft. Er ließ sich u.a. ein Foto zeigen, das die Stewardess und den Amok-Piloten bei einem Flug in derselben Crew zeigt.

Wir haben den Namen auf ihren Wunsch geändert, sie so fotografiert, dass sie nicht erkannt werden kann. In BILD spricht jetzt die Frau, die diesem Mann sehr, sehr nah war.

Trotz Identitätsprüfung durch Reporter Puthenpurackal und Foto-zeigen-lassen glaubt Staatsanwalt Christoph Kumpa laut “Zeit” inzwischen, dass die Aussagen in dem “Bild”-Artikel erfunden seien. Petra Sorge schreibt:

Und dann ist da die Sache mit der angeblichen Ex-Freundin seines Sohnes, der Stewardess Maria W. Bild druckte im März 2015 ein Interview mit ihr, wonach Andreas Lubitz angekündigt haben soll: “Eines Tages werde ich etwas tun, was das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten.” Maria W. habe sich wegen seiner Probleme von ihm getrennt: “Er ist in Gesprächen plötzlich ausgerastet und schrie mich an. Ich hatte Angst. Er hat sich einmal sogar für längere Zeit im Badezimmer eingesperrt.” Das Interview schien genau jenes Puzzleteilchen zu liefern, das noch fehlte zum Bild eines Wahnsinnigen. Als die Staatsanwaltschaft einen Zeugenaufruf startete, meldete sich aber keine Maria W. Staatsanwalt Kumpa erklärt jetzt auf ZEIT-Anfrage: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.”

“Bild” wehrt sich im “Zeit”-Artikel gegen diesen Vorwurf.

“Schwäbische Zeitung” verzichtet aufs Ermitteln

Oft ist der Ablauf so: Bei einem Verbrechen gibt es eine oder mehrere tatverdächtige Personen, dann ermitteln die zuständigen Behörden und am Ende steht hoffentlich fest, wer Täter oder Täterin, Krimineller oder Kriminelle ist. Das Ermitteln ist ein wesentlicher Bestandteil.

Gestern Abend hat Ekkehard Falk, Polizeipräsident von Konstanz, dem Gemeinderat Sigmaringen die Kriminalitätsstatistik der Stadt präsentiert. Darunter auch diese Zahlen, wie das Online-Portal der “Schwäbischen Zeitung” schreibt:

Die Polizei ermittelte im vergangenen Jahr knapp 950 Tatverdächtige. 426 von ihnen sind Ausländer, 292 Flüchtlinge.

Tatverdächtige. Nicht Täter.

Welche Überschrift passt da dann so gar nicht, schwäbische.de?

Aufs Ermitteln verzichtet die “Schwäbische Zeitung” offenbar.

Mit Dank an Martin B. für den Hinweis!

Nachtrag, 17:09 Uhr: Die “Schwäbische Zeitung” hat reagiert, die Überschrift lautet nun: “Jeder dritte Tatverdächtige ist ein Flüchtling”.

Darf man Sie beschimpfen?

Bild.de war mal wieder mutig. “BILD FRAGT FRAGEN, DIE SICH KEINER ZU STELLEN TRAUT” steht seit gestern über einem Artikel, und damit ist nicht etwa die “Bild”-Witwenschüttler-Frage “Haben Sie ein Foto Ihres gerade verstorbenen Kindes für uns?” gemeint.

Es geht um Fragen an einen Mann mit Trisomie 21, also dem dreifachen Vorhandensein des Chromosoms 21, häufig auch Down-Syndrom genannt. Zum gestrigen “Tag des Down-Syndroms” hat Bild.de Sebastian Urbanski, einen Schauspieler mit Down-Syndrom, interviewt und ihm fragen gestellt, “die man sonst nicht zu stellen wagt”. Gleich zu Beginn zum Beispiel diese hier:

Darf man Mongo oder Downi sagen?

Urbanski: “Beides ist nicht okay. Mongo ist eine echte Beschimpfung. Auch Downi ist eine Beleidigung, obwohl manche Leute finden, das ist nett. Ich bin ein Mensch mit Down-Syndrom, so soll man es auch sagen.”

Unter der Voraussetzung, dass Urbanski vorher zugestimmt hat, dass in dem Interview alles und ohne Umschweife zum Thema angesprochen werden kann, finden wir die Frage zumindest in Ordnung, auch wenn sie das üble Schimpfwort “Mongo” beinhaltet. Die Kombination aus Frage und Antwort hat immerhin einen aufklärerischen Ansatz.

Die — auch und gerade für Journalisten — sehr lesenswerte Seite Leidmedien.de klärt in ihrem Glossar “Begriffe über Behinderung von A bis Z” ganz ähnlich über die Beleidigung “Mongo” auf:

Auch “Mongo” und “mongoloid” ist veraltet und diskriminierend: zum einen behindertenfeindlich gegenüber Menschen mit Trisomie 21 / Down-Syndrom; zum anderen rassistisch, da es eine Anspielung auf die angeblich “asiatische” Augenform von Menschen mit Trisomie 21 ist.

Nun mag die Frageform von Bild.de direkter und knalliger sein. Es handelt sich aber eben auch um Boulevardjournalismus.

Was wir hingegen völlig daneben finden, ist die Art, mit der die Redaktion den Artikel auf ihrer Startseite angeteasert hat:

Bild.de hat also im Interview von Sebastian Urbanski erfahren, dass “Mongo” eine schlimme Beleidigung ist. Und zieht daraus nicht die Konsequenz, dass diese in der Überschrift nichts verloren hat? Wenn diese direkten Fragen, die sich sonst “keiner zu stellen traut”, einen Sinn haben sollen, dann doch nur, wenn man die Antworten auch zur Kenntnis nimmt — zum Beispiel beim Präsentieren des Artikels.

Die Bild.de-Redaktion aber reproduziert und verbreitet lediglich das Schimpfwort “Mongo” auf ihrer Startseite, ohne irgendeinen Kontext zu bieten. Das ist nicht mehr mutig, sondern nur noch ein billiger Klickfänger ohne Anstand, und hat mit Aufklärung nichts zu tun.

Zum Vergleich ein anderer Fall: Natürlich ist es in Ordnung, wenn das Team von “Hyperbole” in seiner Videoserie “Frag ein Klischee” eine Afro-Deutsche fragt, was sie davon halte, wenn Leute das Wort “Neger” benutzen. Schließlich gibt es immer noch reichlich Menschen, die die Verwendung des Begriffs ganz normal finden (gleiches gilt auch für das Wort “Mongo”). Diese Aufklärung ist wichtig. Es ist aber etwas völlig anderes, wenn man das Video irgendwo mit “Darf man Negerin zu Ihnen sagen?” bewirbt, ohne die wichtige ablehnende Antwort dazu zu liefern.

Was im Fall von Bild.de dazukommt und besonders grässlich ist: Es handelt sich um einen kostenpflichtigen “Bild plus”-Artikel. Das Schimpfwort “Mongo” sehen also Millionen Menschen, die täglich bei Bild.de vorbeischauen. Die Antwort, dass dessen Verwendung überhaupt nicht okay ist, erreicht nur die paar Hunderttausend, die “Bild plus” abonniert haben.

Mit Dank an @WaywardKitten93, @SusannahWinter und Mark P. für die Hinweise!

Nido  

“Nido” lacht so richtig gern mit Kindern über Dicke

Es gibt Dinge, die man unternehmen kann und die einem dann auch Spaß machen können. Aber “erst so richtig Spaß machen” sie, wenn man sie mit Kindern unternimmt. Meint die Redaktion des Elternhefts “Nido” zumindest in ihrer aktuellen Ausgabe:

Da wäre zum Beispiel “Ketchup essen” oder “Zöpfe flechten” oder “Rutschen”. Oder:

Genau, wer macht das nicht gern: Mal so richtig schön mit den Kindern eine Runde ablästern? Über Dicke zum Beispiel.

Lästern hat einen schlechten Ruf. Macht mit dem Kind aber trotzdem Spaß. Und verbindet. Neulich stehe ich mit meiner Tochter in der Apotheke, neben uns eine sehr korpulente Frau. Wir sehen uns an, grinsen und reden danach minutenlang darüber, dass sie sehr, sehr dick war. Und dass wir froh sind, keine Dicken zu sein.

Da kann man auch nur froh sein. Denn sonst stehen beim nächsten Besuch in der Apotheke noch Vater und Tochter neben einem und … nun ja, lassen wir das.

Der “Nido”-Vater-Tochter-Tipp stammt von einem anonymen Autor, der zwar weiß, dass das mit dem Lästern ja schon schlimm ist, wegen der “Menschenwürde und so”, aber irgendwie auch doch nicht:

Zusammen lästern ist super. Ich weiß schon, das macht man nicht, verletzt die Menschenwürde und so. Aber das stimmt nicht. Die anderen Menschen sind ja nicht dabei. Die Wahrheit ist, dass es das Band zwischen meiner Tochter und mir stärkt. Ich glaube, jede gute Beziehung braucht einen gemeinsamen Feind. (…) Lästern wir zusammen, dann sind wir ein Stamm, und das ist mehr als eine Familie, weil es irgendwie tiefer geht. Wir grenzen uns schließlich ab.

Und wenn der “gemeinsame Feind”, gegen den man sich abgrenzen kann, dann Deutschlands Dicke sind, ist das doch toll. Die findet man schließlich überall. Zum Beispiel auf dem Schulhof, wo man zusammen mit seinen Freundinnen das Mädchen aus der Parallelklasse so richtig schön hänseln kann, weil es ja, grinsgrins, “sehr, sehr dick” ist.

Klar kann man jetzt sagen, dass das alles vielleicht auch ein bisschen witzig gemeint ist und dass alle Eltern, die nicht wollen, dass ihr Kind ein mobbendes, sich abgrenzendes Arschloch mit vielen Feindbildern wird, den Tipp schon nicht befolgen werden. Aber man kann das auch richtig daneben finden, wie die Twitter-Userin @Okaybritta, die gestern bei “Nido” nachfragte: “Echt jetzt? Bodyshaming? Ihr? 2017?”

Die “Nido”-Redaktion hat inzwischen geantwortet:

Bodyshaming? “Nicht mit uns!” Abgrenzung? “Igitt!” Einen Text drucken, der Bodyshaming und Abgrenzung bejubelt, und Über-Dicke-lästern zu den “33 Dingen” zählen, “die mit Kindern erst so richtig Spaß machen”? Klar, “ganz einfach, weil es ehrlich ist.” Dieses “Wir sind doch nur ehrlich!” ist auch nicht mehr weit entfernt vom notorischen “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!”

“tz” macht der sichersten Großstadt Deutschlands Angst

128.141 Straftaten hat die Polizei München im vergangenen Jahr registriert. Das seien zwölf Prozent weniger als ein Jahr zuvor, sagte Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä gestern bei seiner Präsentation der neuesten Kriminalstatistik. München sei damit zum 41. Mal die sicherste Millionenstadt Deutschlands.

Die “Süddeutsche Zeitung” macht ihren München-Teil heute so auf:

Die Münchner Boulevardzeitung “tz” berichtet auf ihrer Titelseite heute ebenfalls über die neue Kriminalstatistik, setzt dabei aber einen etwas anderen Schwerpunkt:

Beide Schlagzeilen — mit ihrem jeweils gewählten Ausschnitt der Statistik — stimmen. Denn tatsächlich nimmt nicht in jedem Bereich die Zahl der Delikte ab. 2016 gab es in der Stadt und dem Landkreis München mehr Sexual- und Gewaltverbrechen und mehr Einbrüche als ein Jahr zuvor. Diesen Aspekt hat sich die “tz” für ihre Titelschlagzeile gegriffen.

Bei der “Süddeutsche Zeitung” gibt es diese Infos auch bereits in der Unterzeile:

Im Text jubelt die “SZ”-Redaktion nicht nur über die Sicherheitsspitzenposition in Deutschland. Sie schreibt auch, dass aus dem Zwölf-Prozent-Rückgang schnell ein Sechs-Prozent-Zuwachs im Vergleich zu 2015 wird, wenn man bei beiden Jahren die illegalen Einreisen von Asylbewerbern herausrechnet:

Jede illegale Einreise schlägt sich in der Statistik als Straftat nieder. Inzwischen kommen nur noch etwa fünf Asylbewerber pro Tag neu in der Stadt an, es waren mal Tausende.

Rechnet man die Einreiseverstöße heraus, landet man bei 110 399 Straftaten. Das sind zwar immerhin sechs Prozent mehr als im Vorjahr, im langjährigen Vergleich ist es aber dennoch ein guter Wert. 2007 waren es rund 121 000 Straftaten, 1997 sogar 125 000. Obwohl die Bevölkerungszahl seitdem stark zugenommen hat, ist die Zahl der Delikte kontinuierlich gesunken.

Diese differenzierte Betrachtung der Zahlen, für die auf einer Boulevard-Titelseite natürlich kein Platz ist, widerspricht dann doch der Angst-und-Panik-Schlagzeile der “tz”.

Gefunden bei @alex_ruehle.

Der “Wochenblick” sieht exklusiv den “Volks-Austausch in Deutschland”

Der “Wochenblick” hat mal wieder was rausgefunden. Es gebe “ein geheimes Papier der deutschen Bundesregierung”, berichtet die wöchentlich erscheinende Zeitung aus Oberösterreich, “welches die Masseneinwanderung nach Deutschland feiert.” Die Redaktion zitiert anonyme “Kritiker”, die sagen sollen, “dass dieses Strategiepapier ‘den Volks-Austausch in Deutschland dokumentieren’ würde”. Schlagzeile bei wochenblick.at:

Diese Infos hat das “Wochenblick”-Team aus “britischen Medien”, genauer: aus einem Artikel von express.co.uk vom 11. Februar, denn:

Man muss es heute schon aus britischen Medien erfahren

“Die Medien hierzulande” hätten schließlich noch gar nicht …

Die Medien hierzulande haben noch gar nicht über das Strategiepapier berichtet, welches Anfang Februar zur internen Verwendung verbreitet worden sein dürfte. Im Dokument heißt es gar wörtlich: “Aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht erscheint auch eine höhere dauerhafte Zuwanderung von 300 000 möglich.”

Was haben wir hier also? “Ein geheimes Papier” der Bundesregierung, das den “‘Volks-Austausch in Deutschland dokumentieren'” soll, und alle deutschsprachigen Medien würden mal wieder beim Schweigekartell mitmachen.

So viel schon mal jetzt: Das ist gleich mehrfacher Blödsinn.

Dennoch — oder gerade deswegen — drehte der “Wochenblick”-Artikel in den vergangenen Tagen eine ordentliche Online-Runde: Die rechten Blogger von “Politically Incorrect” übernahmen die Geschichte eins zu eins, allein auf der Facebook-Seite des “Wochenblicks” wurde der Text über 1600 Mal geteilt:

Viele Anti-Asyl-Gegen-Merkel-Hier-kein-Flüchtlingsheim-Seiten verbreiteten den Beitrag ebenfalls bei Facebook:








Den “Wochenblick” gibt es noch gar nicht so lange, vor knapp einem Jahr wurde die Zeitung gegründet. Seitdem hat die Redaktion, die “Berichterstattung ohne Scheuklappen” verspricht, es aber locker geschafft, richtig Mist zu bauen. Sie war zum Beispiel eine der treibenden Kräfte bei der Verbreitung über Falschmeldungen zur Silvesternacht in Dortmund.

Beim aktuellen Artikel über die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung sind gleich mehrere Punkte falsch. So handelt es sich ganz gewiss nicht um “ein geheimes Papier”, auch wenn die “Wochenblick”-Redaktion sich große Mühe gibt, ihrer Geschichte Exklusivität zu verleihen:

Die sogenannte “Demografiebilanz” des Bundesinnenministeriums, auf die sich der “Wochenblick” bezieht, ist seit Februar für jeden im Internet abrufbar (PDF). Darin auch der zitierte Satz: “Aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht erscheint auch eine höhere dauerhafte Zuwanderung von 300 000 möglich.”

Der Vorwurf, dass die Medien in Deutschland und/oder Österreich “gar nicht über das Strategiepapier berichtet” hätten, den ja auch einige Facebook-Seiten übernommen haben, ist Lüge Nummer zwei. Sie haben über die “Demografiebilanz” berichtet. Viele sogar. “RP Online” zum Beispiel:

Welt.de:

n-tv.de:

Die “Huffington Post”:

Oder die “B.Z.”:

Und alle bereits am 1. Februar. Der “Wochenblick” liegt mit seinem Artikel also nicht nur doppelt daneben, sondern ist mit seinem Märchen auch ziemlich spät dran.

Mit Dank an Christoph für den Hinweis!

Kalter Kaffee & paste

In der “Bild”-Zeitung von heute findet man eine ganze Seite über die Türkei und Präsident Recep Tayyip Erdogan:

Einer der sieben Artikel fragt “WER IST WER IM ERDOCLAN?” und gibt ein paar kurze Informationen über Erdogans Ehefrau, seine Kinder und Vertraute. Bei Bild.de ist der Text in einer ausführlicheren Version erschienen. Auch dort die Frage:

Wer gehört zu seinem engsten Kreis? BILD erklärt den Erdogan-Clan

Ein Abschnitt befasst sich mit der ältesten Tochter des türkischen Präsidenten, Esra Erdogan, und ihrem Ehemann Berat Albayrak:

Esra Erdogan (35) und Berat Albayrak (39)

Ein enger Vertrauter Erdogans ist sein Schwiegersohn und gleichzeitig Energieminister.

Albayrak ist seit 2004 mit der ältesten Erdogan-Tochter Esra verheiratet, gilt als glühender Verehrer seines Schwiegervaters.

Esra Erdogan sitzt neben ihrem Bruder Necmettin Bilal Erdogan im Vorstand der dubiosen Türgev-Stiftung. Ihr Mann könnte nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden.

Nun ist Ahmet Davutoglu schon längst als Ministerpräsident der Türkei zurückgetreten, seit dem 22. Mai 2016 ist er nicht mehr im Amt. Sein Nachfolger steht seit dem gleichen Tag fest: Binali Yildirim. Berat Albayrak, der Ehemann von Esra Erdogan, kann also gar nicht mehr “nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden.”

Der Fehler von Bild.de ist ziemlich einfach zu erklären: Faulheit. Das Portal veröffentlichte am 7. Mai vergangenen Jahres bereits einen Artikel mit der Überschrift “Erdogans schillernder Clan”. Darin diese Passage über Esra Erdogan und Berat Albayrak:

Sie sitzt neben ihrem Bruder im Vorstand der dubiosen Türgev-Stiftung.

Ihr Mann könnte nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden.

Die Bild.de-Kopierer haben ganze Absätze aus dem alten Artikel übernommen, sie teilweise neu zusammengesetzt, dabei aber nicht überprüft, ob die Informationen noch aktuell sind.

Mit Dank an Savas D. für den Hinweis!

Blättern:  1 ... 82 83 84 ... 111