Junge (14) getötet Beil war nicht die Tatwaffe
Am Ostersonntag starb in Duisburg (NRW) ein Junge (14) nach einer Auseinandersetzung im Problemviertel Marxloh (BILD berichtete). Die Obduktion ergab jetzt: Ein einzelner Messerstich in den Rücken tötete den Schüler — und nicht, wie zunächst angenommen, ein Schlag mit einem Beil. Der Stich hatte die Lunge des Opfers getroffen. Die mutmaßlichen Täter waren unerkannt geflüchtet, nach ihnen wird weiter gefahndet. Auch der Vater (40) des Jungen war verletzt worden.
Dass der Junge mit einem Messer umgebracht wurde und nicht mit einem Beil, ändert nichts daran, dass es sich um eine schreckliche Tat handelt. Das Beispiel zeigt aber einmal mehr, wie die “Bild”-Mitarbeiter Sensationsschlagzeilen produzieren, bevor überhaupt irgendetwas klar ist.
David Dao wurde in den vergangenen Tagen gleich zweimal zum Opfer. Erst zerrten ihn Sicherheitsleute gewaltsam aus einem Flugzeug, dann machten sich Medien über seine Vergangenheit her, ohne dass er selbst irgendeinen Anlass dazu gegeben hätte.
Dao, ein 69-jähriger Arzt aus Kentucky, hatte ein Ticket für den ausgebuchten “United”-Flug 3411, der am Sonntag von Chicago nach Louisville ging. Doch Dao flog nicht mit. “United” wollte eigenen Mitarbeitern Plätze im Flugzeug verschaffen, bat dafür mehrere ausgewählte Passagiere, die Maschine gegen eine Geldzahlung zu verlassen, darunter auch David Dao. Als der sich weigerte, wurden Sicherheitsleute handgreiflich. Handyvideos, auf denen Dao über den Gang des Flugzeugs geschleift wird, gingen um die Welt. Dao musste ins Krankenhaus, es gibt Aufnahmen von ihm, auf denen er aus dem Mund blutet. Ein riesiges PR-Desaster für “United Airlines”.
Doch anstatt sich weiter auf das unfassbare Verhalten der Airline zu konzentrieren, verschoben einige Medien, darunter auch deutsche, ihren Fokus: Auf einmal ging es auch um David Daos Vergangenheit, ein Gerichtsverfahren gegen ihn, den Verlust seiner Zulassung als Arzt.
Damit angefangen hatte die in Kentucky ansässige Zeitung “Louisville Courier-Journal”. Recht schnell nahmen größere Medien die Meldung von Daos früherer Verurteilung auf. In Europa dürfte das Onlineportal des britischen Knallblatts “Daily Mail” zu den Ersten gezählt haben.
Am vergangenen Dienstag stiegen auch Medien aus Deutschland, der Schweiz und Österreich in die Schmierenkampagne gegen ein eigentliches Opfer ein. Bild.de berichtete über Daos “dunkle Vergangenheit”:
Stern.de machte mit:
Das Schweizer Portal blick.ch veröffentlichte einen Artikel:
Genauso derstandard.at aus Österreich:
Allein schon in der Wahl des Themas, das nichts mit dem Vorfall an Bord der “United”-Maschine zu tun hat, steckt der Subtext: Ja, klar, das ist schon ganz schön heftig, was David Dao passiert ist. Aber ein lieber Kerl war er nun auch nicht gerade. Oder etwas stärker zugespitzt: Es hat vielleicht gar nicht mal den Falschen getroffen.
Die Medien, die David Daos “dunkle Vergangenheit” für berichtenswert halten, diskreditieren mit ihren Artikeln ein Opfer einer komplett unnötigen Gewaltanwendung, indem sie einen Fall rauskramen, der über zehn Jahre zurückliegt. Dao hat damals eine Strafe bekommen, die er abgesessen hat. Er ist als Arzt wieder zugelassen. Wäre er wegen Randalierens an Bord eines Flugzeugs verurteilt worden — okay, dann könnte man das in der Berichterstattung vielleicht erwähnen. Stünde er auf einer No-Fly-List — dito. Aber nichts dergleichen ist der Fall. David Dao wurde schlicht per Zufallsprinzip von “United” als einer der Passagiere ausgewählt, die im Flugzeug Platz machen sollten. Er wurde schlecht behandelt. Er hat die Situation am Sonntag nicht selber herbeigeführt. Jetzt muss er aushalten, dass ihn Zeitungen und Onlineportale weltweit diffamieren.
Zwischenzeitlich gab es sogar das Gerücht, dass die Medien beim Wühlen nach früheren Vergehen Informationen über den falschen David Dao veröffentlicht haben. Es gibt nämlich einen anderen Arzt namens David Dao aus New Orleans. Inzwischen scheint allerdings klar zu sein: Immerhin diesen Fehler haben die Redaktionen nicht begangen. Doch es bleibt dabei: Für die Berichterstattung über das Geschehen am vergangenen Sonntag ist es völlig irrelevant, ob David Dao früher etwas Schlimmes getan hat oder nicht — niemand verdient es, so behandelt zu werden.
Die Polizei fahndet aktuell bundesweit nach einem Mann, der in der Nähe von Hannover eine Frau umgebracht haben soll. Soll. Es handelt sich erst einmal nur um einen Tatverdächtigen, einen mutmaßlichen Mörder, endgültig bewiesen ist noch nichts. Und so schreiben die meisten Medien auch, dass die Fahndung nach dem “mutmaßlichen Täter” laufe oder dass ein “Verdächtiger noch flüchtig” sei.
Nur für Bild.de stand bereits gestern Abend fest: Der Gesuchte ist kein mutmaßlicher Mörder, er ist ein “Killer”. Die Tatsachenbehauptung prangte dick und fett auf der Startseite:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Da die Fahndung öffentlich ist, und die Polizei selbst ein Foto sowie den kompletten Namen des Mannes herausgegeben hat, ist nichts dagegen einzuwenden, dass auch Bild.de diese Informationen verbreitet. Dass die Redaktion aber jemanden zum “Killer” macht, bevor ein Gericht darüber entschieden hat, ob der Verdächtige schuldig ist, oder dieser ein Geständnis abgelegt hat, missachtet die Unschuldsvermutung. Wenn die Mitarbeiter von Bild.de das Gefühl haben, jemand hat ein Verbrechen begangen, dann sprechen sie ihr Urteil. Dass noch nichts bewiesen ist, scheint bei der Suche nach einer klickversprechenden Überschrift irrelevant zu sein.
Heute morgen veröffentlichte das Portal einen weiteren Artikel zu dem Fall. Inhaltlich ist er sehr ähnlich, es gibt kaum etwas Neues. Dieses Mal muss man allerdings ein “Bild plus”-Abo haben, um den Text lesen zu können.
In der zugehörigen Teasergrafik auf der Startseite ist Bild.de etwas vorsichtiger geworden — nun “soll” der Mann “gemordet” haben, hinter dem “Killer” steht ein Fragezeichen:
(Unkenntlichmachung des Mannes durch uns, Unkenntlichmachug der Frauen durch Bild.de.)
Sowohl für den Artikel von gestern Abend als auch für den von heute gilt übrigens: Einen Zusammenhang zwischen der Pilgerreise des Gesuchten und dem Mord nahe Hannover scheint es nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu geben.
Am Montagabend lief eine neue Folge “Hart aber fair”. Thema der Sendung: “Giftgas gegen syrische Kinder — werden wir schuldig durch Wegschauen?” Als Talk-Gast mit dabei: “Bild”-Chef-Chef Julian Reichelt. Und der muss, schaut man sich eine Nachbesprechung der Sendung an, einen richtigen guten Job gemacht haben. Denn Reichelt lieferte laut TV-Kritik “erst mal Fakten”. Später habe er einiges geradegerückt. Muss ein guter Mann sein, dieser Reichelt. Von wem stammt noch mal gleich das Doppel-Lob im “Hart aber fair”-Nachgang? Ach, hier: von Julian Reichelts eigenem Portal Bild.de.
Worauf der Bild.de-Autor in seiner Kritik nicht eingeht: Dass sein Chef sich im TV-Studio immer wieder so verhielt, wie sonst nur beiTwitter. Er unterbrach ständig andere Leute, musste von Moderator Frank Plasberg zur Räson gerufen werden, wurde persönlich, fand Aussagen anderer Studiogäste “dumm”.
Fast immer war Ulrich Scholz, ein früherer NATO-Planungsstabsoffizier, Ziel von Reichelts Angriffen — in einem Punkt durchaus zurecht: Scholz konstruierte eine Version des jüngsten Giftgasangriffs in Syrien, die stark an die des Kreml erinnerte, die wiederum in der Sendung durch einen Einspieler von der “Hart aber fair”-Redaktion widerlegt wurde. In einem anderen Punkt war Reichelts, nun ja, Kritik aber völlig unangebracht: Scholz sagte, dass der frühere US-Präsident Bill Clinton 1998 Raketen auf Afghanistan schießen ließ. Das war ein Punkt, bei dem Julian Reichelt mal wieder etwas geraderücken musste. Er sagte:
Ich finde es schon bezeichnend, bei allem, was Sie sagen, wie viele falsche Fakten da drin sind. Es gibt keinen Frieden zwischen Israel und Assad [Anmerkung: Scholz hatte sich zuvor versprochen und anstatt Sadat “Assad” gesagt]. Bill Clinton hat 1998 nicht Afghanistan, sondern den Sudan bombardiert.
Rumms! Endlich sorgt mal einer für Klarheit. Nur: Reichelts Zurechtweisung ist inhaltlich falsch. Die USA haben im August 1998 Ziele im Sudan und in Afghanistan bombardiert. Die “Operation Infinite Reach”, ein Vergeltungsschlag nach Bombenangriffen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania, ist gut dokumentiert.
Später in der Sendung, nachdem das “Hart aber fair”-Team die Sache recherchiert hatte, ergänzte auch Moderator Frank Plasberg, dass Ulrich Scholz mit seiner Aussage zu Bill Clinton Recht hatte. In die TV-Kritik bei Bild.de hat es Julian Reichelts Berichtigung mit falschen Fakten leider nicht geschafft.
Mit Dank an Wolf T. und Sascha W. für die Hinweise!
Vor dem Champions-League-Spiel des BVB gegen den AS Monaco gab es am Mannschaftsbus der Dortmunder Fußballer offenbar drei Explosionen.
Die Polizei Dortmund bat bei Twitter darum, “Gerüchte und Spekulationen” zu unterlassen:
Dabei richtete sich die Polizei nicht explizit an Medien. Aber warum soll diese Bitte nicht (und gerade auch) für Redaktionen gelten?
Und was machen die Mitarbeiter von Bild.de? Sie pfeifen auf die Bitte der Polizei und spekulieren:
In ihrem Artikel “Was steckt hinter dem Anschlag?” rät die Redaktion rum, wie es zu den Explosionen gekommen sein könnte (auf einen Link verzichten wir bewusst — wir wollen die Spekulationen von Bild.de ja nicht noch stärker weiterverbreiten als wir es durch unsere Zusammenfassung sowieso schon tun):
Dortmund unter Schock. Kurz vor Beginn der Champions-League-Partie gegen Monaco wurde der BVB-Mannschaftsbus angegriffen. BILD erklärt, was hinter der Attacke stecken könnte.
… ohne genauere Informationen dazu zu haben. Es sind schlicht Spekulationen: vielleicht sei etwas ferngezündet worden, was “für Erfahrung beim Bau und Auslösen von Sprengsätzen” spräche; vielleicht sei eine Lichtschranke “(wie zum Beispiel beim Anschlag auf Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen)” oder “eine Druckplatte auf der Straße” benutzt worden; vielleicht habe aber auch jemand “die Sprengsätze (zum Beispiel Granaten) von Hand auf den Bus” geworfen. Bild.de weiß nichts und schreibt viel.
Das Portal schließt aus der eigenen Rumraterei, dass viele der Punkte dafür sprächen, dass es sich um ein “Werk von Profis” handele. Das kann natürlich sein. Es kann aber auch ganz anders sein. Unter anderem deswegen bat die Polizei Dortmund, keine Spekulationen zu verbreiten oder — noch schlimmer — sie selbst in die Welt zu setzen. Aber seit wann interessiert die “Bild”-Medien schon, was die Polizei will?
Im Dezember vergangenen Jahres, Sie erinnern sich vielleicht, wollte die “Bild”-Zeitung eine “große Debatte um das Frauenbild von Flüchtlingen” anstoßen:
Natürlich haben viele Männer ein schiefes Frauenbild — egal ob Flüchtling, Deutscher oder wasauchimmer. Und die “Bild”-Medien arbeiten mit ihren unzähligen Brüste-Hintern-Schlüpferlos-Artikeln nicht gerade dagegen an. Deswegen wollen wir uns hier im BILDblog immer mal wieder das Frauenbild der “Bild”-Redaktionen anschauen.
Seit der letzten Ausgabe im Januar ist ein bisschen was zusammengekommen. Zum Beispiel dieses lustige Wortspiel in der Bildunterschrift aus der vergangenen Woche über Leila Lowfire und Sophia Thomalla:
Klar, warum nicht einfach mal Frauen mit größeren Brüsten oder tieferem Ausschnitt mit dem Wort “ficken” in Verbindung bringen? Was ziehen die sich auch so aufreizend an?!
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Bleiben wir bei Sophia Thomalla. Denn um sie handelt es sich bei dieser “fruchtigen Aussicht”:
Bild.de schreibt dazu:
Dann schauen wir mal, wir sehen: schöne Füße, wohlgeformte Beine, flacher Bauch, zwei Kokosnüsse — und zwei Zuckermelonen …
Melonen? Hat hier jemand “Melonen” gesagt?
Wenn man häufiger bei Bild.de vorbeischaut (was keine Empfehlung unsererseits sein soll), bekommt man das Gefühl, dass die Redakteure, die dort arbeiten, an keinem Bikini-Foto vorbeikommen. Wenn irgendwo eine halbwegs prominente Frau zwischen 15 (ja, 15!) und 40 Jahren (oder Liz Hurley) in Bademode auftaucht — zack, ein neuer Artikel bei Bild.de.
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Oder wenn irgendwo mal ein Millimeter eines Nippels zu sehen ist. Und wenn gerade keine Kokosnuss und auch keine Melone in der Nähe ist, dann geht es dieses Mal eben um “Hupen”:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Und auch sonst veröffentlich Bild.de gern Fotos, bei denen irgendwelche Paparazzi Frauen in den Ausschnitt oder unter den Rock fotografiert haben:
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Doch zurück ans Wasser. Denn dort kann man Frauen immer noch am besten auf ihr Äußeres reduzieren:
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Das Frauenbild der “Bild”-Medien begrenzt sich aber nicht nur auf plumpes Titten-Glotzen und Ärsche-Gucken. Es lässt Frauen neben Männern oft klein aussehen. Die Begleitung von Schauspieler Ryan Gosling bei der “Oscar”-Verleihung war für Bild.de nicht “seine Begleitung” oder gar einfach eine “Frau an seiner Seite”, sondern “die heiße Blondine von Ryan”:
Während Casper “Rap-Star” ist, ist Lisa Volz nicht eine Schauspielerin, sondern eine “Schönheit”:
Während Andreas Bourani “Sänger” ist, ist Toni Garrn nicht ein erfolgreiches Model, sondern “Single”:
Und während es völlig zurecht als Problem gesehen wird, wenn Flüchtlinge Frauen als reine Objekte betrachten, soll der Sexismus der “Bild”-Medien Journalismus sein.
1. Jagdsaison auf Journalisten (taz.de, Wolf-Dieter Vogel)
“Es gibt keine Garantien und keine Sicherheit für einen kritischen und ausgewogenen Journalismus”, schrieb Oscar A. Cantú Murguía und machte seine Zeitung dicht. Vor gut einer Woche war Schluss bei “Norte de Ciudad Juárez”, es ist schlicht zu gefährlich geworden für die Redaktion. Die Ermordung einer Autorin des Blattes auf offener Straße hat das erneut gezeigt. Wolf-Dieter Vogel über die Situation der Journalisten in Mexiko, wo laut “Reporter ohne Grenzen” — nach Syrien und Afghanistan — die meisten Pressevertreter “eines gewaltsamen Todes” stürben. Dazu auch, ebenfalls bei der “taz”: “Wo Journalisten gefährlich leben”, ein Erfahrungsbericht eines mexikanischen Journalisten.
2. Ist die Mafia jetzt der Gewinner? (faz.net, Andreas Rossmann)
Eine Journalistin (Petra Reski) nennt in einem Artikel über die Mafia den Namen eines italienischen Geschäftsmanns. Die Redaktion (“Der Freitag”) lässt den Namen in der Geschichte und druckt den Artikel. Der Geschäftsmann klagt. Der Verleger des Blattes (Jakob Augstein) sagt unter anderem, die Journalistin habe ihm und seinem Team den Text “untergejubelt”. Andreas Rossmann schreibt zu all dem: “Zuerst ließ der Verleger Jakob Augstein die Autorin Petra Reski in einem Rechtsstreit hängen. Nun tritt er sogar nach. Ein solches Beispiel darf im Journalismus nicht Schule machen.”
3. Wenn jemand anderes ganz andere Fragen stellt (fair-radio.net, Gero Bauer)
Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Gero Bauer wundert sich über das Vorgehen eines Karlsruher Lokalradios, das ein Interview mit ihm zwar vorher aufgezeichnet hatte, später aber so tat, als sei er live zugeschaltet: “Aber nicht nur das. Die Fragen der Moderatoren entsprachen leider nicht den Fragen, die mir die Praktikantin gestellt hatte, wodurch meine ‘Antworten’ ein bisschen den Eindruck erweckten, ich würde ausweichen beziehungsweise einfach nicht richtig zuhören.”
4. «Oft fehlt der Anstand» (srgd.ch, Hanspeter Huber)
Darf man Donald Trump im TV als “Arschloch” bezeichnen? Roger Blum ist Ombudsmann bei der “Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft”, die unter anderem auch die “SRF”-Radio- und Fernsehsender betreibt. Er nimmt Beschwerden der Zuschauer und Hörer entgegen (“Es gibt eine kleine Gruppe Beanstander, die in ihren E-Mails austeilt wie verrückt. Durchgehend ehrbeleidigend.”), verteilt Rügen und entscheidet, ob die Bezeichnung “Arschloch” bei Trump passend ist. Hier erzählt er von seiner Arbeit als Ombudsmann.
5. Mich für Stockfotos herzugeben, war der größte Fehler meines Lebens (vice.com, Niccolò Massariello)
Er wirbt für tschechische Rasierprodukte, für ein Buch über Monsterjäger, für eine australische Internetflatrate und noch vieles mehr — alles nur, weil Niccolò Massariello einmal Fotos von sich hat machen lassen, die als Stockfotos von jedem für wenig Geld gekauft und für Werbekampagnen genutzt werden können.
6. Teleprompter gegen Medien-Tourette (dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff mit einer Liebeserklärung an das Gerät, von dem TV-Moderatoren ihre Texte ablesen, den Teleprompter: “Ich liebe Prompter. Ich liebe aber fast noch mehr, wenn nach einem Personalwechsel die Prompter nicht ganz korrekt eingestellt sind. Dann sehen die Gestalten auf dem Bildschirm ein bisschen so aus, als schauten sie an mir vorbei. Ich habe mich in solchen Fällen schon mehrfach umgedreht, um zu schauen, ob hinter oder neben mir noch jemand hockt.”
In München hat vor knapp zwei Wochen ein Mann aus Somalia eine Frau und ihre zwei Töchter belästigt. Während einer Straßenbahnfahrt griff er sich in den Schritt, kreiste dabei die Hüften, machte recht eindeutige Bewegungen. Alles ziemlich obszön. Das Polizeipräsidium München gab dazu eine Pressemitteillung (Meldung 453) raus, in der unter anderem steht:
Am Samstag, 25.03.2017, gegen 16.50 Uhr, befuhr ein 27-jähriger Somali mit der Straßenbahn der Linie 17 vom Hauptbahnhof in Richtung Amalienburg. Dabei belästigte er eine 40-jährige Münchnerin und ihre beiden 8- und 12-jährigen Töchter durch ein deutlich obszönes Verhalten.
Er fasste sich unter anderem in den Schritt, ließ seine Hüften kreisen und deutete obszöne Bewegungen an. Erst auf eine deutliche Ansprache der 40-Jährigen hin, unterließ er sein Verhalten gegenüber den beiden Kindern.
Eine gute Woche später, am vergangenen Montag, hat das Portal “Epoch Times” die Geschichte aufgegriffen. Und auf einmal klingt der Vorgang ganz anders. Nun soll der Mann nicht sich selbst, sondern der Frau zwischen die Beine gegriffen haben:
Die alternative Version des Tathergangs dürfte nicht nur ein Flüchtigkeitsfehler sein, der durch unkonzentriertes Überschriftenschreiben entstanden ist. Denn auch im Text steht:
Ein 27-jähriger Mann aus Somalia griff vor den Augen ihrer Töchter (8, 12) einer Mutter mit der Hand in den Schritt. Dabei kreiste er seine Hüften und deutete obszöne Bewegungen an.
Keine Frage: Das Verhalten des Mannes war völlig daneben. Es ist aber durchaus ein Unterschied, ob man sich selbst oder jemand anderem zwischen die Beine fasst. Das, was die “Epoch Times” schreibt, stimmt nicht.
Das Portal greift gerne Meldungen über Flüchtlinge, Kriminalität und kriminelle Flüchtlinge auf. Es berichtet viel über die AfD. Aktuell sind auf der Startseite Artikel mit solchen Überschriften zu finden: “Klartext von Red Bull-Chef gegen offene Grenzen und Political Correctness”, “20 Prozent der Atteste falsch: Ärzte in Deutschland stellen Gefälligkeits-Gutachten zur Verhinderung von Abschiebungen aus”, “Grenzkontrollen des Schengenraumes schon wieder ausgesetzt — Mega-Staus und vier Stunden Wartezeiten”. Die Redaktion gehörte auch zu jenen, die im Februar der “Bild”-Zeitung den falschen Frankfurter “Sex-Mob” glaubten und das Gerücht weiterverbreiteten. Das Portal “Vox Populisti” bezeichnete die “Epoch Times” kürzlich als “Echokammer für rechten Sound”.
In den Sozialen Medien ist die Seite mit ihrer Themenauswahl ziemlich erfolgreich. Im Facebook-Ranking von “10000 Flies” schaffst es die “Epoch Times” immer wieder in die Top Ten aller deutschen Medien, noch vor tagesschau.de, vor “Zeit Online”, vor Süddeutsche.de.
Dieser Erfolg liegt auch an falschen Meldungen, wie die über den Mann aus Somalia, die beim entsprechenden Klientel reichlich Anklang finden und zahlreich geteilt werden:
Auch die Facebookseite “Wahrheiten & Meinungen, die Dir Mainstream-Medien z.T. verschweigen” teilte Anfang der Woche den Artikel der “Epoch Times”:
Natürlich “verschweigen” die “Mainstream-Medien” “Wahrheiten” wie diese. Sie stimmen schlicht nicht.
Der “Bild”-Zeitung ist heute eine geniale Verknüpfung gelungen: auf der einen Seite eines der Lieblingsthemen der vergangenen Wochen (Martin-Schulz-Kritik), auf der anderen eines der Lieblingsthemen der vergangenen Jahre (Griechenland-Kritik-Bashing). In dieser Geschichte hat die Redaktion beide zusammengebracht:
Fangen wir bei Martin Schulz an. Seit bekannt ist, dass Schulz als SPD-Kanzlerkandidat bei der kommenden Bundestagswahl antreten will, schaut die “Bild”-Redaktion ganz genau, was bei den Sozialdemokraten und ihrem neuen Spitzenmann so alles schiefläuft. Natürlich ist es journalistisch völlig richtig, einen neuen Kandidaten genauer zu beobachten. Und es gibt auch mal positive Geschichte über Schulz — gerade erst veröffentlichte “Bild” Auszüge aus seiner Biografie. Vor allem aber geht es in Berichten über ihn um Ärger, Fehler, Zweifel.
Die Redaktion thematisierte gleich die “erste Wahlkampf-Panne”:
Sie dokumentierte Kritik von Experten …
… oder politischen Gegnern:
Wenn Informationen von der SPD-Website verschwanden, schrieb “Bild” darüber:
Oder wenn es von irgendwo Rügenärger für Schulz gegeben hat:
Die “Bild”-Mitarbeiter zweifelten an Schulz’ Wahlkampfthema …
… schrieben über das schwache Abschneiden der SPD bei der Wahl im Saarland, als wäre es seine Niederlage, obwohl Martin Schulz dort gar nicht zur Wahl stand …
… und entdeckten selbst bei großen Erfolgen etwas Negatives:
Und wenn nicht mal der gute, alte Fußball …
… dabei helfen kann, die aktuell hohen SPD-Umfragewerte nach unten zu bugsieren, dann muss ein neues Thema her; eines, auf das der durchschnittliche “Bild”-Leser direkt mit Schaum vor dem Mund reagiert — die “Pleite-Griechen”:
Diese Griechen-SPD-Geschichte von heute wirkt ein wenig wie die Fortsetzung der SPD-Griechen-Geschichte von Montag, als “Bild” das sozialdemokratisch geführte Nordrhein-Westfalen mit Griechenland und all den damit verknüpften Problemen in Verbindung brachte:
Die neue These der schulzwilligen “Pleite-Griechen” basiert auf Aussagen von FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff (“‘Wer Schulz für die Wahl am meisten die Daumen drückt, ist klar: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras'”), CSU-Politiker Markus Söder (“Schließlich stehe Schulz ‘für Geldtransfers ohne Reformen zulasten des deutschen Steuerzahlers'”) sowie einem EU-Abgeordneten der griechischen Syriza, der lediglich sagt, dass es “mit einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken” beim Thema Griechenland “weniger um ständige Bestrafungen gehen” würde.
Aus den Aussagen zweier Deutscher und eines Griechen schließt “Bild” auf ein ganzes Volk und kramt dafür das grässlichen Wort “Pleite-Griechen” raus. Wie schon vor Jahren, als dieser Begriff bereits diffamierend und stigmatisierend und spaltend war, ist er auch heute noch diffamierend und stigmatisierend und spaltend.
Kein Schlagwort symbolisiert die “Bild”-Hetzkampagne gegen Griechenland und gegen die Griechen so sehr wie “Pleite-Griechen”. Als “Bild”-Reporter Paul Ronzheimer zum Beispiel im April 2010 durch Athen lief und mit Geldscheinen wedelte, verkündete “Bild” hämisch:
Als klar war, dass in Griechenland das Geld knapp wird, schlug “Bild” vor:
Als “Bild” von Angela Merkel eine Volksabstimmung über die Griechenlandhilfen forderte, schlug das Blatt schon mal zwei Antwortmöglichkeiten auf einem “Stimmzettel” vor: „JA, schmeißt ihnen weiter die Kohle hinterher!“ und „NEIN, keinen Cent mehr für die Pleite-Griechen, nehmt ihnen den Euro weg!“:
Das verallgemeinernde, verächtliche, populistische “Pleite-Griechen” wurde zur gängigen “Bild”-Vokabel:
Dank dieser jahrelangen Konditionierung der eigenen Leserschaft, bei der ein einfaches “Pleite-Griechen” direkt ein zorniges Grummeln in der Magengegend auslösen dürfte, kann “Bild” diese Wut nun mit nur einer Schlagzeile auf neue Feindbilder projizieren.
Nachtrag, 8. April: In ihrer heutigen Ausgabe macht “Bild” direkt weiter mit dem ätzenden “Pleite-Griechen”:
1. “Unzensuriert” kommt nach Deutschland: Wir haben der Hetzseite bei der Geburt zugeschaut (motherboard.vice.com, Theresa Locker)
Bisher hat die Website “Unzensuriert” in Österreich zu hauptsächlich österreichischen Themen gehetzt. Nun hat das FPÖ-nahe Portal einen deutschen Ableger gegründet, mit Themen, die hier in der Berichterstattung eine Rolle spielen. Theresa Locker hat den Deutschland-Start von “Unzensuriert” beobachtet: “Tatsächlich sind die neuen Inhalte sorgfältig auf den deutschen Markt zugeschnitten. Die Artikel auf der .de-Seite sind zuwanderungsfeindlich, islamophob, russland- und AfD-freundlich.” Dazu auch: Matthias Meisner beim “Tagesspiegel” mit “‘Die rechte Blase im Netz wächst'”.
2. Wirbel um Hayalis “Junge Freiheit”-Interview (ndr.de, Caroline Schmidt, Video, 8:11 Minuten)
Kann man, darf man, soll man einem mindestens rechten Blatt wie der “Jungen Freiheit” ein Interview geben? ZDF-“Morgenmagazin”-Moderatorin Dunja Hayali hat’s gemacht und ist dafür teils heftig kritisiert worden. Im NDR-Medienmagazin “Zapp” haben Jan Fleischhauer vom “Spiegel” und Heribert Prantl von der “Süddeutschen Zeitung” das Für (Fleischhauer) und Wider (Prantl) von Hayalis “Junge Freiheit”-Gespräch diskutiert.
3. Jenseits von Tabu und Sensation: Depressionen und Suizid in den Medien (fachjournalist.de, Elisabeth Gregull)
Der heutige Weltgesundheitstag hat das Motto “Depression — Let’s talk”. Aber wie können Medien über Depressionen und Suizide berichten, ohne dabei stereotype Bilder zu wählen oder zu stigmatisieren? Sie müssten schon schon bei der Wahl der richtigen Begrifflichkeiten anfangen, schreibt Elisabeth Gregull und bietet weitere Tipps sowie Links mit weiteren Tipps für Journalisten. Eines der Ziele dabei sei: Papageno-Effekt statt Werther-Effekt.
4. Ist das Vertrauen in die Medien wirklich gestiegen? (de.ejo-online.eu, Michael Haller)
Michael Haller ist verwirrt. Die einen (Medienwissenschaftler aus Würzburg) sagen: “Das Medienvertrauen ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr”. Die anderen (“Infratest”-Repräsentativerhebung) sagen fast zeitgleich: “Nur gut die Hälfte (52 Prozent) hält die Informationen in den deutschen Medien alles in allem für glaubwürdig”. Ja, was denn nun? Haller hat sich die verschiedenen Erhebungen, ihre Fragebogenformulierungen genauer angeschaut. Sein Fazit zur Jubelschlagzeile “Vertrauen in Medien so hoch wie lange nicht”: “Es handelt sich um Zufallsbefunde, die mal so, aber auch ganz anders ausfallen können.”
5. Von der Schülerzeitung entlarvt (faz.net, Veronika Hock)
Eigentlich wollten die Mitglieder der Schülerzeitung “The Booster Redux” ihrer künftigen Schulleiterin in einem Interview nur ein paar Fragen stellen. Eine Antwort zum Lebenslauf war allerdings so merkwürdig, dass die Schüler der Pittsburg High School weiter recherchierten. Mit Folgen: Die Schule im US-Bundesstaat Kansas muss die Stelle neu besetzen.
6. Eier aus Stahl: Max Giesinger und die deutsche Industriemusik (youtube.com, Neo Magazin Royale, Video, 22:11 Minuten)
Jan Böhmermann hat ein großes Ziel: Fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo sollen nächstes Jahr einen “Echo” gewinnen, für ihren Song “Menschen Leben Tanzen Welt”. Mit einem “kleinen Experiment” und einer neuen Folge “Eier aus Stahl” zeigt das “Neo Magazin Royale”, wie musikalisch beliebig, maxgiesingerhaft und werbegesteuert die deutsche Industriemusik Musikindustrie ist.