Franck Ribéry, Fußballer beim FC Bayern München, hat im Familienurlaub in Dubai ein Steak gegessen, das mit Gold umhüllt war, und ein Foto davon in den Sozialen Medien gepostet, was zu heftigen Vorwürfen und Anfeindungen gegen ihn führte, und was ihn wiederum dazu verleitete, unter anderem zu antworten: “F*ckt eure Mütter, eure Großmütter und auch euren Stammbaum.”
Nun ja.
Seit den Beleidigungen durch Ribéry fordert Matthias Brügelmann, Chefredakteur des “Bild”-“Sport-Kompetenzcenters” (ja, das heißt wirklich so), vehement dessenRauswurf — was aber nicht gefruchtet hat, denn der FC Bayern München sprach lediglich eine Geldstrafe aus.
Nun mag Franck Ribérys Hang zu Beschimpfungen und vergoldeten Steaks vielfältige Gründe haben. Seine Religion dürfte dabei allerdings nicht von Bedeutung sein. Bei Bild.de bringen sie sie heute dennoch auf der Startseite ins Spiel:
Hinter der Bezahlschranke steht dann auch nichts weiter, was Goldsteak und/oder Mütter-Beleidigung mit der Religion verbindet, aber man kann den Islam ja mal in den negativen Zusammenhang bringen. Das hat schließlich im vergangenen Jahr bei “Bild” schon prima funktioniert.
Gleich zu Beginn des “Bild plus”-Artikels erzählt die Redaktion übrigens von der islamfeindlichen Hetze, der die Familie Ribéry derzeit ausgesetzt ist:
Nachdem Ribéry gestern von den Bayern eine Geldstrafe aufgebrummt bekam, meldete sich seine Frau wieder zu Wort. Bei Instagram postete sie Beleidigungen, die sie selbst im Netz erhalten hatte.
Ein “Bayern-Fan” hatte geschrieben: “Verschwinde aus Deutschland, verdammte islamische Schlampe.”
Bei Bild.de haben sie mit ihrer heutigen Dachzeile wieder mal etwas dafür getan, dass solche Nachrichten so bald nicht aufhören.
Mit Dank an noir, Sven B. und @migrokosmos für die Hinweise!
Bevor wir uns gleich für ein paar Tage in unsere schalldichte Höhle zurückziehen, in der uns keine “Bild”-Titelseiten und keine Tweets von Julian Reichelt erreichen und in der die Internetverbindung zu schwach ist, um Bild.de aufzurufen, möchten wir Euch allen noch schnell fürs Lesen danken und Euch und Euren Familien frohe Weihnachten, ein paar schöne, entspannte Tage und einen guten Start ins neue Jahr wünschen!
Ein großes Dankeschön geht an alle, die uns mit Hinweisen versorgt haben. Wir haben es wieder nicht geschafft, allen nachzugehen und alles aufzuschreiben, haben uns aber große Mühe gegeben, dass es möglichst viele sind.
Und natürlich möchten wir auch all jenen danken, die uns in den vergangenen zwölf Monaten finanziell unterstützt haben! Wer von Euch noch nicht dabei ist, aber gern dabei sein möchte, kann mal hier nachschauen, wie das geht (Spoiler: ganz einfach und auf vielfältige Weise!). Jetzt aber erstmal ein ganz herzlicher Dank an all diese tollen Menschen:
Aaron S., Achim B., Achim F., Achim K., Achim S., Adrian T., Albert M., Albrecht W., Alena M., Alex G., Alex K., Alex M., Alexander A., Alexander B., Alexander G., Alexander H., Alexander K., Alexander R., Alexander S., Alexander W., Alexandra K., Alexis B., Alfons A., Alfons S., Alina R., Amac G., Amy S., Andre F., Andre H., Andre J., Andre S., André W., Andrea d. L., Andrea H., Andrea K., Andrea P., Andrea S., Andreas B., Andreas C., Andreas E., Andreas F., Andreas G., Andreas H., Andreas K., Andreas L., Andreas M., Andreas N., Andreas P., Andreas R. B., Andreas R., Andreas S., Andreas W., Andree H., Andres F., Andres S., Andy S., Anette P., Angela Yvonne K., Angelika K., Anita R., Anita Z., Anja C., Anja R., Anja S., Anja W., Anke K., Anke N., Anke W., Anna B., Anna M., Anna S., Anna-Lena S., Anne S., Annemarie S., Annette B., Annette F., Annette K., Annika H., Annika S., Antje L., Anton S., Anton T., Antonia T., Arch H., Armin L., Arne C., Arne L., Arne T., Artur K., Astrid P., Athanasios M., Axel S., Axel-R. O., Aydin A., Barbara L., Barbara S., Bärbel W., Bastian G., Bastian L., Ben F., Ben H., Benedict S., Benedikt K., Benedikt S., Benjamin B., Benjamin E., Benjamin F., Benjamin G., Benjamin J., Benjamin M., Benjamin P., Benjamin R., Benjamin W., Benno A., Berenike L., Berit J., Bernd F., Bernd M., Bernd Ö., Bernd R., Bernhard F. S., Bernhard K., Bert R., Berthold H., Bettina K., Bettina T., Bianca B., Bjoern E., Bjoern S., Bjoern T., Bjorn H. D., Björn H., Björn K., Bla B., Bo G., Bobby R., Bodo S., Bodo W., Brian P., Britta S., Buddy C., C. K., Carl H., Carline M., Carlo B., Carlo S., Carsten B., Carsten K., Carsten L., Carsten P., Carsten R., Carsten S., Chantal F., Chris E., Chris M., Chris T., Christian B., Christian F., Christian G., Christian H.-B., Christian H., christian H., Christian L., Christian M., Christian N., Christian O., Christian R., Christian S., Christian W., Christian Z., Christiane V., Christin N., Christina P., Christine G., Christine H., Christine T., Christoph A., Christoph D., Christoph E., Christoph J., Christoph K., Christoph Kurt M., Christoph M., Christoph P., Christoph S., Christophe K., Chrstn B., Claas P., Claudia Z., Claudius S., Clemens B., Clemens H., Clemens L., Colin S., Conner W., Constantin P., Constantin R., Constantin S., Cornelia F., Cornelius L., D. V. 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Wobei “Plötzlich” in diesem Fall bedeutet: Die “Bild”-Redaktion hat einen Fehler gemacht, und der große Mist, den sie verbreitet hat, fliegt den Mitarbeitern gerade um die Ohren. Dieses “Plötzlich” ist eine Art Korrektur im Gewand eines weiteren Vorwurfs.
Es geht um die Weihnachtskarte — oder besser: die Weihnachtskarten — von Annette Widmann-Mauz, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung. Am späten Dienstagabend schreiben Franz Solms-Laubach und Filipp Piatov bei Bild.de:
Das ganze Land wünscht zurzeit “Fröhliche Weihnachten” auf Karten, doch ausgerechnet die Integrationsbeauftragte kriegt das nicht hin.
Auf der Weihnachtskarte, die Integrationsministerin Annette Widmann-Mauz (52, CDU) mit ihrer Pressestelle verschickt, sind zwar Weihnachtsmann-Mützen, Baumschmuck und Engel mit Heiligenschein zu sehen, es fehlt aber das wichtige Wort: Weihnachten!
Stattdessen steht dort: “Egal woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.”
Am Mittwoch reicht die “Bild”-Zeitung ihren aussichtsreichen Beitrag zum Wettbewerb “Wer erschafft den größten Elefanten aus der kleinsten Mücke?” ein:
… schreibt die Redaktion auf der Titelseite. Und auf Seite 2:
Die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration soll also Weihnachten “abgeschafft”, sich “vor dem Wort Weihnachten” gedrückt, “unser christliches Fundament” verschwiegen haben. Blöd nur, dass eine weitere aktuelle Grußkarte von Annette Widmann-Mauz existiert. Und darin stehen Dinge wie “ein friedvolles Weihnachtsfest und ein gesegnetes Jahr 2019” oder “Öffnen wir unsere Herzen für das Geheimnis der Heiligen Nacht”. Dazu der Spruch des Theologen Angelus Silesius: “Das Licht der Herrlichkeit scheint mitten in der Nacht. Wer kann es sehen? Ein Herz, das Augen hat und wacht.” Alles sehr, sehr christlich.
Während die Karte, bei der Solms-Laubach und Piatov und “Bild” das Abendland untergehen sehen, in einer Auflage von 100 Exemplaren an Journalistinnen und Journalisten und Redaktionen gegangenen und von Widmann-Mauz’ Presseteam verschickt worden sein soll, soll die andere Karte in einer Auflage von 1000 Exemplaren an Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, Freunde in der CDU, Kirchen, Religionsgemeinschaften gegangen sein.
“Bild” lag also heftig daneben. Doch anstatt einfach zu sagen: “Wir lagen daneben”, schreibt die Redaktion, dass “plötzlich” eine “zweite Weihnachtskarte von Widmann-Mauz aufgetaucht” sei, und zündet die nächste Stufe. “Bild” gestern:
So macht man Menschen fertig.
Im Hauptartikel — dieses Mal interessanterweise ohne Autorennamen — geht es unter anderem um Widmann-Mauz’ Studienabbruch und ihr angebliches Versagen als Integrationspolitikerin. Die Redaktion wirft ihr vor, “dass sie es auch nach acht Monaten im Amt noch nicht geschafft habe, ein Freitagsgebet in einer Moschee zu besuchen.” Was wäre wohl in “Bild” los, wenn Annette Widmann-Mauz in diesen acht Monaten dreimal in der Moschee, aber nicht so oft im Gottesdienst gewesen wäre?
Der kleine Kasten unten rechts auf der Seite (“Die zweite Karte der Staatsministerin”) ist die Art, wie die “Bild”-Mitarbeiter zeigen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Und dazu gehört auch, dass sie noch einmal auf Annette Widmann-Mauz einschlagen: “Parteiintern christlich, nach außen beliebig — ein bemerkenswerter Widerspruch.”
Vermutlich hätte aber auch eine größere Korrektur nicht mehr viel gebracht. Bei Bild.de durften die Leserinnen und Leser bereits über die berufliche Zukunft der Integrationsbeauftragten abstimmen. In den Sozialen Netzwerken haben die Hetzer, denen “Bild” das nächste Opfer zum Fraß vorgeworfen hat, Widmann-Mauz längst beleidigt und beschimpft. Die AfD, Erika Steinbach und all die anderen ganz Rechten konnten auf ein neues Thema aufspringen und taten das auch zahlreich. CDU-Politikerinnen und -Politiker haben sich von “Bild” zu kritischen Äußerungen bringen lassen. “Integrationsexperte” Ahmad Mansour durfte auch noch was sagen.
Und “Bild” hatte das nächste Kapitel in der traditionellenJahresend–Erzählung, dass in Deutschland Weihnachten abgeschafft werde.
Für die Fehler, die die Redaktion dabei gemacht hat, musste sie nicht mal um Entschuldigung bitten. Sie hat einfach noch einen draufgesetzt.
Georg Streiter, der früher selbst bei “Bild” gearbeitet hat und später stellvertretender Regierungssprecher war, hat bei Facebook einen sehr lesenswerten Beitrag zur “Bild”-Berichterstattung über Annette Widmann-Mauz veröffentlicht.* Er schreibt darin unter anderem:
Wer — wie ich — lange Jahre bei Boulevard-Zeitungen gearbeitet hat, kennt auch die Kniffe, mit denen man immer halbwegs überleben kann, auch wenn man gerade ins Klo gegriffen hat. Eine Rettungs-Regel z.B. lautet: wenn Du falsch berichtet hast, lass die Korrektur aussehen wie eine neue Enthüllung. Die veredelte Variante: zünde zusätzlich ein großes Feuerwerk, das ablenkt. Ein Musterbeispiel dafür ist die versuchte Hinrichtung der Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Annette Widmann-Mauz (CDU), durch die “Bild”-Zeitung.
Er habe “arge Probleme”, so Streiter, “mit dem fanatischen Kurs, den der aktuelle Chefredakteur fährt.”
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
*Nachtrag, 27. Dezember: Der Facebook-Post von Georg Streiter ist inzwischen nicht mehr für jeden lesbar. Streiter hatte uns gegenüber bereits angekündigt, dass er seinen Text zu gegebener Zeit wieder auf “privat” stellen werde.
In dem Film “The Mule” (dt.: Der Maulwurf) spielt Eastwood einen auf den ersten Blick harmlosen alten Mann.
Harmlos mag er sein, der alte Mann, und das vielleicht auch nur auf den ersten Blick. Aber ein “Maulwurf” ist er damit sicher nicht. Denn “The Mule” heißt korrekt übersetzt “Das Maultier” beziehungsweise “Das Muli” und, wenn man möchte, vielleicht auch noch “Der Dickkopf”. Aber nicht “Der Maulwurf”. Der wiederum heißt im Englischen mole.
Nachtrag, 15:29 Uhr: Da es in dem neuen Film von Clint Eastwood auch um den Schmuggel von Drogen geht — Bild.de: “In der Eingangsszene des Trailers lenkt er einen Polizeibeamten mit einer Geschichte über Pekannüsse ab. Die hat er nämlich auch im Kofferraum — direkt neben der Tasche mit den geschmuggelten Drogen!” — kommt in diesem Fall noch eine weitere Übersetzung für “The Mule” in Frage: “Schmuggler” oder “Drogenkurrier”.
Bei zwei Gruppen bringen die “Bild”-Medien besonders gern falsche Zahlen in Umlauf oder reißen richtige Zahlen aus dem Zusammenhang: bei Geflüchteten/Asylbewerbern und bei Hartz-IV-Empfängern. Daher sollte man bei so einem Artikel — heute erschienen auf der “Bild”-Titelseite — doppelt misstrauisch sein:
“Bild” schreibt:
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gelobt. “Ich bin selbst überrascht, dass das so schnell geht”, sagte Kramer der “Augsburger Allgemeinen”. BILD checkte die Fakten. So steht es um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt:
► Von 1,6 Mio. Migranten aus den Haupt-Fluchtländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) sind aktuell 360 000 beschäftigt (Sept. 2018). Das sind 41 % mehr als vor einem Jahr!
► Aber: Zwei von drei Migranten aus den Flüchtlingsländern (63,7 %) beziehen Hartz IV.
Die Verbindung aus “So steht es um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt” und “Zwei von drei Migranten aus den Flüchtlingsländern (…) beziehen Hartz IV” ist mindestens irreführend: Es stimmt zwar, dass 63,7 Prozent dieser Personengruppe Hartz IV bezieht (womit auch die Überschrift auf der “Bild”-Titelseite, für sich genommen, richtig ist) — allerdings sind dort auch Kleinkinder und Greise eingerechnet, die noch nicht oder nicht mehr arbeiten können. Die Zahl bezieht sich also auf alle “Migranten aus den Flüchtlingsländern”, egal wie alt.
Nimmt man hingegen, wie die Bundesagentur für Arbeit es macht (Excel-Tabelle, siehe Tabelle “T-Quoten”, Spalte “Arbeitslosenquote mit eingeschränkter Bezugsgröße”), nur die 15- bis 65-Jährigen, ergibt sich eine Arbeitslosenquote von 36 Prozent im September 2018 (zum Vergleich: im September 2017 lag sie noch bei 44,8 Prozent). Das ist immer noch deutlich höher als der Durchschnitt in Deutschland, aber eben auch deutlich niedriger als die 63,7 Prozent.
Im Artikel bei Bild.de war interessanterweise Platz für die Arbeitslosenquote der 15- bis 65-Jährigen. Auf der Bild.de-Startseite allerdings hat die Redaktion Erwerbsfähige und Gesamtbevölkerung wieder durcheinandergeworfen:
Eine Stadt in Trauer. Ein Verein unter Schock. Eine Familie in Fassungslosigkeit.
Das schreiben “Bild” und Bild.de zum Tod von Herbert Gentner, der am frühen Samstagabend, kurz nach Abpfiff der Bundesligapartie zwischen dem VfB Stuttgart und Hertha BSC, noch im Stadion starb. Herbert Gentner war der Vater von VfB-Kapitän Christian Gentner.
“Eine Familie in Fassungslosigkeit”, analysiert die “Bild”-Redaktion also. Sie will das eigene Handeln aber ganz offensichtlich nicht anpassen und die Familie Gentner nicht in Ruhe trauern, etwas Fassung zurückgewinnen lassen. Stattdessen will sie Klicks abgreifen, Abos verkaufen und Auflage machen. Sie will Geld verdienen mit dem Tod eines Menschen. Denn seit Samstag feuern die “Bild”-Medien wie am Fließband Artikel zu dem Thema raus. Eine Auswahl.
Bild.de berichtete — wie andere Medien auch — recht schnell über den tragischen Vorfall im Stadion des VfB Stuttgart. Noch am späten Samstagabend folgte diese Schlagzeile:
“Bild am Sonntag” hatte das Thema auf der Titelseite und groß im Blatt:
Im Laufe des Sonntags legte Bild.de nach. Die Redaktion begann mit ihren Spekulationen zur Todesursache:
Die Antwort auf den Klickköder hat das Bild.de-Team hinter die Bezahlschranke gepackt.
Gestern am Abend die nächste “Bild plus”-Story:
(Unkenntlichmachung durch uns. Der Krankenwagen ist laut “Bild”-Redaktion leer.)
Heute macht dann auch die “Bild”-Zeitung mit. Der Tod von Herbert Gentner, die angebliche Todesursache und der Ablauf am frühen Samstagabend im Stadion sind die große Titelgeschichte:
Im Blatt fast eine komplette Seite:
Zitate im Text belegen, dass die “Bild”-Schnüffeleien im privaten Umfeld von Herbert Gentner bereits begonnen haben; “Bild”-Reporter haben sich schon mit dem zweiten Vorsitzenden des örtlichen Fußballvereins unterhalten und “Vertraute” des Verstorbenen aufgetrieben.
“Bild” schreibt, dass “Bild” “DIE WICHTIGSTEN FRAGEN” beantworte. Die entscheidende haben sich die “Bild”-Mitarbeiter aber offenbar nicht gestellt: “Was zur Hölle machen wir hier eigentlich?”
Nehmen wir für einen Moment mal an, dass das, was am Dienstag in “Bild” stand, stimmte. Dann hätte die Geschichte vom Bremer Vater, der mit seiner Tochter nicht ins Schwimmbad darf, “weil Muslime im Bad sind” (BILDblog berichtete), eine neue Wendung:
Jetzt stellt es sich anders da: Der Schwimmtermin sei ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. muslimische Frauen, in den die Gruppe von Tim F. ausnahmsweise reinrutschte — Männer tatsächlich unerwünscht!
Und es ist schon ein ausgesprochen interessanter Fokus, den sie an dieser Stelle gewählt haben: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. muslimische Frauen”. Sie hätten nämlich genauso gut schreiben können: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. katholische Frauen”. Oder: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. jüdische Frauen”. Oder: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. Frauen, die nicht religiös sind”. Oder einfach: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für Frauen”. Denn der Termin, den “Bild” meint, ist ein Frauenbadetag. Davon gibt es monatlich zwei in dem betreffenden Bremer Schwimmbad: jeden zweiten Samstag im Monat ohne Kinder, jeden letzten Samstag im Monat mit Kindern. Für alle Frauen, egal ob religiös, egal welche Religion.
Die Bremen-Redaktion der “Bild”-Zeitung hätte also irgendwas titeln können wie “Wegen Frauenbadetag — Vater darf mit Tochter nicht ins Schwimmbad”. Vermutlich hätte dann selbst der wütendste “Bild”-Leser verstanden, dass es nicht völlig überraschend ist, dass ein Mann nicht zum Frauendbadetag darf. Stattdessen titelte die Redaktion aber:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Wenn Frauenbadetag ist, zu dem auch (aber nicht nur!) Musliminnen gehen können, und ein Mann dadurch nicht ins Schwimmbad darf, sind laut “Bild”-Redaktion also die Musliminnen schuld.
Ja, das ist erst der Anfang, wir sind bald fremd im eigenem Land
Wie tief will Deutschland eigentlich noch sinken…
Nun müssen wir allerdings einmal zurück an den Anfang. Wir haben ja schon angedeutet, dass mit dem “Bild”-Text etwas nicht stimmen könnte. Und: Es stimmt etwas mit dem “Bild”-Text nicht. Ein Frauenbadetag spielt in dem Fall, anders als von “Bild” behauptet, überhaupt keine Rolle.
Der Sprecher der Bremer Sozialbehörde, der auch im Artikel der “Bild”-Medien zu Wort kommt, sagte uns auf Nachfrage, dass eine unglückliche Entscheidung der Mutter-Kind-Gruppe, die Tim F. mit seiner Tochter besucht, und zu der auch muslimische Frauen gehören, zum Ausschluss des Mannes beim Schwimmbadbesuch geführt habe: Die Frauen hätten sich gewünscht, dass nur Frauen mit zum Schwimmen kommen.
Der Vater selbst sei bei der Planung des Ausflugs nicht dabei gewesen und habe daher auch nichts dazu sagen können. Es sei bedauerlich, dass diese Entscheidung über den Kopf des Mannes hinweg gefallen sei und man ihn vor vollendete Tatsachen gestellt habe.
Er habe auch dem “Bild”-Reporter mitgeteilt, dass ein Frauenbadetag nicht der Grund für den Ausschluss des Mannes gewesen sei, so der Sprecher der Sozialbehörde. Warum dieser das dann trotzdem geschrieben hat, könne er sich auch nicht erklären.
Gut, “Nach BILD-Enthüllung” wäre es nur dann, wenn man eine Entdeckung der Stasi-Unterlagenbehörde in Dresden, über die die “Bild”-Medien gestern berichteten, wirklich als “BILD-Enthüllung” sieht. Aber von solchen Details wollen sie sich in der “Bild”-Redaktion nicht bremsen lassen:
Russlands Präsident Wladimir Putin und sein geheimer Stasi-Ausweis!
Die Entdeckung von BILD ging um die Welt.
Die “Washington Post”, die Londoner “Times” und selbst russische Medien berichteten über die bisher unbekannten Dokumente, die der einstige KGB-Offizier “Major Wladimir Putin” von den Spitzeln der DDR-Stasi 1985 ausgestellt bekam.
28 Jahre nach DDR-Ende dachte selbst die Stasi-Unterlagenbehörde (BStU), alle Geheimnisse zu kennen. Doch jetzt entdeckte Dokumente belegen: der einstige KGB-Offizier und heutige Kremlchef Wladimir Putin (66) war bis zum Fall der Mauer auch Mitarbeiter des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes!
Auf der gestrigen Titelseite geht es erstmal nur um Putins “Stasi-Ausweis”:
Zwei Seiten später ist der heutige Präsident Russland bereits “Stasi-Mann” gewesen:
Und im Text von Helfricht dann eben “Mitarbeiter des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes!”
An der Folgerung, der nun aufgetauchte Ausweis belege, dass Wladimir Putin Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen ist, haben manche Leute allerdings erhebliche Zweifel. Zum Beispiel die Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde, die ja immerhin “Putins geheimen Stasi-Ausweis” entdeckt haben. Noch gestern Abend veröffentlichten sie eine entsprechende Mitteilung, in der unter anderem steht:
Wer als Verbindungsoffizier des russischen Geheimdienstes KGB seinen Dienst in der DDR versah, wurde mit einem Hausausweis der zuständigen MfS-Dienststelle ausgestattet. Dies trifft auch auf den MfS-Hausausweis von Wladimir Putin zu, der in Dresden von 1985-1990 seinen Dienst als ein dem KGB-Verbindungsoffizier untergeordneter Offizier verrichtete. (…)
In den Bezirken der DDR erhielten die KGB-Vertreter damit Zugang zu den Bezirksverwaltungen des MfS. Das war auch der Fall bei Wladimir Putin, der damals für die KGB-Dienststelle im Bezirk Dresden tätig war und aus diesem Grund einen Hausausweis von der MfS-Bezirksverwaltung bekam. Nach bisherigem Forschungsstand ist die Ausstellung eines Hausausweises auf der oben beschriebenen Basis kein Hinweis darauf, dass Wladimir Putin für das MfS gearbeitet hat. Der Ausweis war Teil der Ausstattung für die Erledigung der Aufgaben des KGB in der Zusammenarbeit mit dem MfS. Welche Aufgaben zu erledigen waren, sind dem Hausausweis nicht zu entnehmen und auch in der Existenz eines solchen Ausweises nicht zu erkennen.
Und Konrad Felber, der die Stasi-Unterlagenbehörde in Dresden leitet, und den “Bild” als Entdecker des Ausweises präsentiert, sagt auch noch mal: “Das heißt aber nicht automatisch, dass Putin für die Stasi gearbeitet hat”.
Der “Bild”-Sport-Chefkolumnist schrieb am Samstag:
Die 2. Liga hat beschlossen, ihr Montagsspiel, das seit 1993 zur Tradition geworden ist, wieder abzuschaffen.
Zurückzuführen ist dies auf massive Proteste der Fans in der Kurve, die Montagsspiele grundsätzlich ablehnen. Und kritisieren, dass die Anhänger der Auswärtsmannschaft aus logistischen Gründen benachteiligt werden.
Ich mag diese Spiele am Montagabend. Ich schaue sie mir zu Hause auf dem Sofa oder in einer Sky-Kneipe an. Aber ich bin wegen der Abschaffung nicht gefragt worden. Und deshalb fühle ich mich nur noch als Fan 2. Klasse.
Hach ja, so ein gemütlicher Fernsehabend auf der Couch. Was beklagen sich die rund 2000 Anhängerinnen und Anhänger des FC St.Pauli beispielsweise eigentlich, die gestern bei wenigen Grad im Stadion in Bochum standen, nachdem sie tagsüber, an einem Montag, 350 Kilometer aus Hamburg bis in den Ruhrpott gefahren sind und bevor sie spätabends 350 Kilometer wieder zurück nach Hamburg fahren mussten, um es heute zur Arbeit zu schaffen?
Nun kann man gegen Alfred Draxlers Gefühlswelt erstmal nichts sagen. Aber gegen seine abenteuerliche Argumentation:
Dabei sind wir doch eindeutig in der Mehrheit. Das Spiel HSV gegen Köln haben an einem Montagabend bei Sky 505 000 Zuschauer gesehen. Die gesamte 2. Liga bringt es bei neun Partien pro Spieltag durchschnittlich “nur” auf 175 000 Stadionbesucher.
Weil viele Fußballfans am Montagabend den Fernseher einschalten, wenn dort die 2. Liga läuft, soll das automatisch bedeuten, dass sie es befürworten, dass die Spiele am Montagabend stattfinden? Es bräuchte mal eine Umfrage, in der Fans — ob nun Kurvensteher oder Draxlers Sofa-Kompagnons — sagen könnten, was sie von den Montagsspielen halten …
Moment, die gibt’s ja! Der Verein FC PlayFair!, der “kicker” und das Deutsche Institut für Sportmarketing haben im Februar dieses Jahres die Ergebnisse einer gemeinsamen Umfrage präsentiert. Und die waren eindeutig: Das Spiel am Montagabend um 20:30 Uhr lehnen 91,4 Prozent der 186.254 Fans, die teilgenommen haben, ab. Die restlichen 8,6 Prozent bilden Alfred Draxlers “eindeutige” “Mehrheit”.
Mit Dank an Patrick B. für den Hinweis!
Nachtrag, 16:46 Uhr: Die von uns verlinkte Umfrage von FC PlayFair!, “kicker” und dem Deutschen Institut für Sportmarketing bezieht sich auf die Anstoßzeiten in der 1. Fußball-Bundesliga. Es ist sicher nicht auszuschließen, dass unter den 186.254 Teilnehmern auch Anhänger von Vereinen der 2. Bundesliga waren. Die Montagsspiele in der 2. Bundesliga starten ebenfalls um 20:30 Uhr.
In Alfred Draxlers Text geht es außerdem auch um die beschlossene Abschaffung der Montagsspiele in der 1. Bundesliga.
Die Sache ist eigentlich schon dämlich genug: Ein Vater, der mit seiner zweijährigen Tochter regelmäßig einen Mutter-Kind-Treff besucht, wird gebeten, nicht zum Schwimmausflug mitzukommen. Die Kursleiterin spricht ihm vorher auf die Mailbox:
“Ich wollte dir Bescheid geben: Wir sind ja am Mittwoch alles Frauen. Und es sind auch muslimische Frauen dabei. Deswegen wäre es gut, wenn deine Frau kommen würde. Du kannst dann leider nicht kommen. (…) Ich hoffe auf dein Verständnis!”
Wie gesagt: dämlich genug. Sogar so dämlich, dass die für den Mutter-Kind-Treff zuständige Bremer Sozialbehörde gegenüber “Bild”, wo auch das Transkript der Mailboxaufnahme erschienen ist, sagt:
“Wir wollen mehr Väter in den Eltern-Kind-Gruppen. Wir wollen auch, dass Väter häufiger in die Elternzeit gehen. Sie sollen natürlich mit muslimischen Eltern gemeinsam am Kinderschwimmen teilnehmen. Was dort praktiziert wurde, ist grundsätzlich nicht die Linie unseres Hauses.”
Also: Eine falsche Reaktion einer Mitarbeiterin, mit der der Sprecher der Sozialbehörde über diesen Fehler reden wolle. Soll alles so nicht wieder vorkommen.
In der Bremen-Ausgabe der “Bild”-Zeitung hyperventilieren sie diesen einmaligen Fehler einer Person zu einem generellen Schwimmverbot für Vater und Tochter, “weil Muslime im Bad sind”:
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)
“Jetzt darf Papa mit der Tochter hier nicht mehr schwimmen” ist schlicht falsch. Natürlich — und zum Glück — kann niemand Tim F. verbieten, mit seiner Tochter in das Bremer Schwimmbad zu gehen, ob nun Muslime dort im Becken sind oder nicht. “Weil Muslime im Bad sind” ist mindestens heftig verbogen. Dass Tim F. am fraglichen Tag nicht am Schwimmausflug teilnehmen sollte, bezog sich nicht darauf, dass allgemein auch Muslime im Schwimmbad waren, sondern speziell auf die Zusammensetzung der Mutter-Kind-Gruppe. Das macht den Fehler der Kursleiterin und die Angelegenheit für Vater und Tochter nicht besser, aber die “Bild”-Dachzeile falscher.
Die Antwort der Bremer Sozialbehörde und all die anderen Relativierungen können hingegen nur zahlende Kunden lesen.
Die Aufregung, die die “Bild”-Medien erzeugen, findet selbstverständlich Widerhall in den Sozialen Netzwerken: Muslime, die Personen mit deutschen Vornamen vermeintlich das Schwimmen unmöglich machen — da springen “AfD Rosenheim Kreisverband”, “Anno 1273 Oberlungwitzer Patrioten”, “Völker dieser Welt erheben sich !!”, “AfD – Kreisverband Rottweil/Tuttlingen” und ähnliche Kandidaten gerne auf.
Und auch auf der Facebookseite von “Bild” ist ordentlich was los. Der Post zum Artikel wurde über 5200 Mal geliket, mehr als 1200 Mal geteilt und knapp 1600 Mal kommentiert. Dass Dachzeile und Überschrift bei Bild.de sowie die Überschrift, die auf der “Bild”-Facebookseite angezeigt wird (“Muslimische Frauen wollen ihn nicht: Vater darf mit Tochter (2) nicht mehr zum Schwimmen”), für ziemliche Verwirrung sorgen, wem nun was alles scheinbar von welcher Gruppe verboten werde, hat offenbar auch die “Bild”-Redaktion gemerkt. Sie kommentiert selbst:
Mit Dank an Ingmar D. und Christian M. für die Hinweise!