Posts Tagged ‘Anonymität’

Unverbesserlich III

Nein, es vergeht in der Tat kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht irgendjemandes Persönlichkeitsrechte verletzt. (Der Verlag, in dem “Bild” erscheint, hat sich zwar u.a. verpflichtet, das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten und in der Regel keine Informationen in Wort und Bild zu veröffentlichen, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Darum, ob diese Selbstverpflichtung auch umgesetzt wird, kümmert sich verlagsintern aber offenbar niemand.) Nahezu täglich zeigt “Bild” beispielsweise Fotos, die unzulässigerweise eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen. Und immer wieder mag sich (insbesondere für Boulevardjournalisten) natürlich die Frage stellen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht doch überwiegt.

Aber es gibt Fälle, da ist diese Frage schon beantwortet.

So hatte der Presserat die “Bild”-Zeitung beispielsweise 2004 öffentlich gerügt, weil sie das Foto einer jungen Frau zeigte, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte “Bild” abermals das Foto einer Frau, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Der Presserat missbilligte das: “Bild” hätte “auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen” (wir berichteten).

Und heute?

Heute zeigt “Bild” wieder das Foto einer Frau, die verdächtigt wird, ihr neugeborenes Kindes getötet zu haben. Die Veröffentlichung unterscheidet sich nur insofern von den anderen beiden, vom Presserat beanstandeten, als “Bild” dort die Betroffenen ebenso halbherzig wie unzureichend anonymisiert hatte — wohingegen “Bild” sich heute sogar diese Mühe spart (siehe Ausriss, Unkenntlichmachung von uns).

Der zugehörige “Bild”-Artikel beginnt mit dem Wort:

"Warum?"

Im vergangenen Jahr hatte “Bild” die identifizierende Berichterstattung im Nachhinein u.a. damit zu rechtfertigen versucht, dass der Sachverhalt im Ort Stadtgespräch gewesen sei…

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Alle an den Pranger!

Wir haben den Eindruck, es ist schlimmer geworden. Als wolle die “Bild”-Zeitung immer seltener darauf verzichten, all das, was ihre eifrigen Reporter so anschleppen, auch herzuzeigen. Überall dort, wo wir die folgenden Abbildungen von “Bild”-Zeitungsseiten aus der vergangenen Woche mit roter Farbe übermalt haben, sind Menschen zu sehen, die (unter z.T. tragischen Umständen) Straftaten begangen haben oder begangen haben könnten.

Die Fotos, auf denen die Abgebildeten allesamt gut zu erkennen sind, wurden zum Teil von Paparazzi angefertigt oder aus privaten Fotoalben besorgt. Und wir wollen nicht ausschließen, dass es ein (womöglich weit verbreitetes) Bedürfnis gibt, solche Bilder zu sehen.

Aber: Es gibt nicht nur keine Notwendigkeit, all diese Menschen Millionen anderen Menschen in der Zeitung zu zeigen. Es käme Journalisten, die sich journalistischen Mindestanforderungen (wie sie beispielsweise der Pressekodex festschreibt) und dem Persönlichkeitsrecht verpflichtet fühlen, auch gar nicht in den Sinn, diese Fotos zeigen zu wollen.

Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich z.B. eine junge Frau, die gerade wegen des Verdachts, ihr eigenes Baby getötet zu haben, in Untersuchungshaft sitzt, juristisch gegen die Veröffentlichung eines Fotos von ihr zur Wehr setzt, für “Bild” ebenso überschaubar, wie es die aus einem eventuellen Gerichtsprozess resultierenden Schmerzensgeldforderungen sind.

(Und wenn sich niemand die Mühe macht, sich darüber beim Presserat zu beschweren, besteht nicht einmal die Möglichkeit, dass “Bild” dafür eine Presseratsrüge kassiert, die für “Bild” ohnehin quasi folgenlos bliebe.)

P.S.: Das Foto neben der Schlagzeile “Eltern jagen Killer ihres Sohnes” (oben rechts) zeigt einen Mann, der z.Zt. in Untersuchungshaft sitzt. Er soll vor über zwei Jahren im Streit einen Kollegen getötet haben. Doch was damals wirklich passierte, ist bis heute nicht geklärt. Außer für die “Bild”-Zeitung. Sie zeigt den Mann heute und nennt ihn schlicht:
"Der Täter"

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Heute anonym XV

Oder mal anders gefragt: Wie blöd muss man eigentlich sein, einen Artikel über die fünffache Kindstötung von Darry mit einem Foto zu bebildern, bei dem man sich die Mühe gemacht hat, die Eltern und eine weitere Frau unkenntlich zu machen, auf derselben Seite weiter unten aber dasselbe Foto ohne jede Verpixelung zu zeigen, verlinkt mit einem früheren Artikel, auf dem alle Beteiligten natürlich ebenfalls in schöner Klarheit zu erkennen sind?

(Rote Balken von uns.)

Mit Dank an Heitolseth und Daniel E.
 
 
 
 
 
 
 Nachtrag, 27.2.2008: Bild.de hat den “Archiv”-Verweis mit dem unverpixelten Foto am Ende des Artikels entfernt.

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Heute anonym XVI

Vor einem Monat erst hatten wir an dieser Stelle gefragt, wie blöd man eigentlich sein müsse, einen Artikel mit einem Foto zu bebildern, bei dem man sich die Mühe gemacht hat, die darauf abgebildeten Personen unkenntlich zu machen, auf derselben Seite weiter unten aber dasselbe Foto ohne jede Verpixelung zu zeigen, verlinkt mit einem früheren Artikel, auf dem alle Beteiligten natürlich ebenfalls in schöner Klarheit zu erkennen sind.

Nun, einen Monat später, gibt Bild.de eine eigenwillige Antwort: Blöd genug nämlich, um es wieder zu tun (siehe Ausriss, roter Balken von uns).

Mit Dank an Katrin E., Philipp S., Konstantin M., Michael M., Gerhard M., Ekkehard V., Oliver D., Marcus H., Marc A., Chrstoph H., Christian H., Michael S., Stefan W., Heiko und Martin.

Nachtrag, 12.32 Uhr: Bild.de hat prompt reagiert – und, ähm, kurzerhand auch die Verpixelung im Artikel entfernt.

Unverbesserlich IV

Der Presserat hat “Bild” für dergleichen schon gerügt und Vergleichbares missbilligt. “Bild” ist das offenbar schnurz. Und so steht auch heute eigentlich außer Frage, dass die Art und Weise, wie “Bild” über “die Baby-Werferin” berichtet (siehe Ausriss), der journalistischen Berufsethik widerspricht und die Persönlichkeitsrechte der Frau verletzt* – um so mehr, als “Bild” selbst berichtet, dass die Frau, die “Bild” beim Vornamen nennt und abbildet, psychisch krank und “nicht in U-Haft, sondern in eine psychiatrische Klinik” gebracht worden sei (siehe Kasten).

Aus dem Pressekodex

“Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”
(Ziffer 13, Richtlinie 13.1)

Und es ist mehr als fraglich, ob es die Sache irgendwie besser macht, wenn “Bild” über die großen Lettern “Das ist die Baby-Werferin” deutlich kleiner schreibt: “Junge Mutter aus Schöneberg auf dem Weg zum Haftrichter. Er glaubt:”

*) Was den kleinen schwarzen Balken über der Augenpartie der Frau anbelangt, hatte der Presserat die “Bild”-Redaktion bereits 2004 ausdrücklich daran erinnert, “dass Maßnahmen zur Anonymisierung einer Person auch wirksam sein müssen. So müssen Augenbalken soviel verdecken, dass eine Identifizierung über die nicht verdeckten Teile eines Gesichtes nicht möglich ist”.

Das Gegenteil von Anonymisieren

Schon oft haben wir hier darüber berichtet, dass die “Bild”-Zeitung wieder und wieder die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt, indem sie ihrem Millionenpublikum Fotos präsentiert, die – irgendwo aufgetrieben – kaum oder gar nicht anonymisiert (mutmaßliche) Täter und Opfer von Straftaten zeigen.

Dabei es ist ja nicht so, dass “Bild” nicht wüsste, dass und wie man anonymisieren muss. Im Gegenteil. Wir zeigen hier mal beispielhaft die gängigsten Versionen:

Neuerdings jedoch benutzt “Bild” beim Herzeigen von Menschen, für deren Herzeigen es keinerlei Notwendigkeit gibt, auch eine neue Art der Nachbearbeitung.

Aktueller Fall: Eine Frau soll vor knapp 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in der Tiefkühltruhe eingefroren haben. Ihr 18-jähriger Sohn habe die Babyleichen nun durch Zufall entdeckt. Da sei die Frau zur Polizei gegangen und festgenommen worden. Sie befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Aus Ermittlerkreisen heißt, die Tat sei “im Grunde aufgeklärt” – evtl. sogar verjährt.

Und “Bild” hat ein Foto der Frau. Seit gestern vormittag zeigt sie es online. Als Quelle wird der “Bild”-Fotograf Stefano Laura genannt. Nachdem er das Exklusiv-Foto offenbar bei Nachbarn/Freunden/Verwandten beschafft hatte (auch das gehört zu den Aufgaben von “Bild”-Fotografen), war die “Bild”-Redaktion am Zug, musste entscheiden, ob sie die Abgebildete bei der Veröffentlichung unkenntlich macht oder nicht. Und entschied mal wieder: nicht.

Irgendwann im Laufe des Tages jedoch kam jemand bei “Bild” auf die Idee, das Foto auf Bild.de doch noch einmal grafisch nachbearbeiten zu lassen. Das Ergebnis wollen wir nicht zeigen, nur die Methode:

Die Nachbearbeitung fand also offensichtlich nicht aus Menschlichkeit statt, sondern aus unternehmerischem Kalkül: Wer das Foto aus dem Online-Angebot von “Bild” klaut benutzt, zeigt auch gleich die Quelle.

Immerhin: Wir haben verstanden und empfehlen daher allen, die unbedingt private Fotos von sich online stellen wollen, dies:

Mit Dank an die Hinweisgeber – und Philipp Neuhaus fürs Symbolfoto.

P.S.: Die gedruckte “Bild” zeigt das Foto der Frau auf der Titelseite und noch einmal groß im Artikel.

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Heute anonym XVII

Es ist kein schöner Artikel, den die “Bild”-Reporter Oliver Löhr und Christian Stenzel da an Pfingsten geschrieben haben, nachdem auf einer Flugschau in Eisenach ein Pilot mit seinem Flugzeug aus bislang ungeklärter Ursache beim Start von der Bahn abgekommen war und mehrere Menschen z.T. tödlich verletzt hatte.

“Großes Unverständnis”

Opferjurist Thomas Kämmer (…): “Die Situation des Piloten ist in keiner Weise mit dem unermesslichen Leid der Angehörigen vergleichbar, weshalb der Brief auf großes Unverständnis stößt.”

Ingrid O. (14) überlebte das Unglück. Sie ist die Zwillingsschwester der getöteten Lisa: “Ich verstehe gar nicht, was der will. Der hat meine Schwester in den Tod geflogen.”

Auf Bild.de zitieren die “Bild”-Reporter Hinterbliebene und einen sie betreuenden Juristen (siehe Kasten), wie sie sich über einen Brief äußern, den der Pilot an die Angehörigen geschrieben habe — “hastig auf weißem Krankenhauspapier”.

Nun wissen wir nicht, ob der schwer verletzte Mann (die “Bild”-Reporter nennen ihn “Todespilot” und anonymisiert “Jan L.”) seinen Brief tatsächlich “hastig” geschrieben hat. “Hastig” war man wohl eher bei Bild.de, wo am Ende des veröffentlichten Briefes von “Jan L.” sein vollständiger Name zu lesen ist:

Mit Dank an Robert und die anderen Hinweisgeber.

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Anonyme Anonymisierungsgestörte

Die Frau Dr. Carla Thiele, Sexualtherapeutin und Internistin, die seit einigen Wochen bei “Bild am Sonntag” eine “Sex-Sprechstunde” anbietet, scheint eine Nette zu sein. Wenn ihr ein Zwanzigjähriger schreibt und um Hilfe bei seinen Erektionsstörungen bittet, dann gibt sie nicht nur gute Tipps, sondern ist auch so aufmerksam, in ihrer Antwort seinen Namen abzukürzen — muss ja nicht der ganze Betrieb und die Nachbarschaft wissen von seinem Problem.

Noch größer wäre unsere Bewunderung für Dr. Carla Thiele natürlich, wenn sie es irgendwie schaffen könnte, der “Bild am Sonntag” beizubringen, den vollen Vor- und Zunamen dann nicht unmittelbar darüber im Anschreiben zu veröffentlichen:

Aber an wen wendet man sich bei Anonymisierungsstörungen?

Mit Dank an Felix!

Heute anonym XIX

  • Finden Sie eigentlich, dass die Medien das Persönlichkeitsrecht von Angeklagten achten sollten?
  • Oder ist es Ihnen eher egal, wenn über einen mutmaßlichen Straftäter, der zur Tatzeit noch minderjährig war, mit Foto und ohne Unkenntlichmachung berichtet wird?

Bei Bild.de hat man gestern Abend unter einem Text über die beiden mutmaßlichen “U-Bahn-Schläger” Serkan A. und Spyridon L. eine Lösung gefunden, beide Leser-Typen zufrieden zu stellen, wie dieser Screenshot zeigt:

Mit Dank an Boris H. auch für den Screenshot.

6 vor 9

1. “Der PR fehlt ein Link”
(georgholzer.at)
Georg Holzer erklärt, wie er mit unerwünschter und unangebrachter PR umgeht: “Jeder Absender, der mir ab jetzt irrelevante Aussendungen schickt, landet im Spam-Filter.” Nicht davon betroffen sind Informationen, die man ein für alle mal mit einem leicht aufzufindenden Unsubscribe-Link abbestellen kann. “Ist so eine Kleinigkeit im Sinne eines guten Miteinanders von Journalismus und PR zu viel verlangt? Ich glaub nicht.”

2. “N24 simuliert die eigenen Zuschauer”
(medienpiraten.tv, Peer Schader)
Peer Schader hat einen starken Verdacht, dass nicht alle Teilnehmer der N24-Sendung “Debatte 2.0″ echt sind.

3. “Schall und Rauch”
(flashfrog.wordpress.com)
Flashfrog bringt etwas Klarheit in die Begriffe “Realname”, “Pseudonym” und “Anonymität”.

4. “Was erlaube´ DFL!”
(freitag.de, Katrin Schuster)
“Fußballspiele sind besser vor medialem Missbrauch geschützt als jeder Mensch.”

5. “Der journalistische Schein”
(blog.handelsblatt.de/indiskretion, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer fragt sich, was für ein Mehrwert ein Korrespondent bietet, der in einer dem Ereignis nahe gelegenen Stadt Nachrichtenkanäle guckt.

6. “Auch Basler Zeitung will keine Links”
(blogdessennamenmansichnichtmerkenkann.com, ugugu)
Schon drei Wochen nach tagesanzeiger.ch hat nun auch baz.ch den Absatz, dass man “vorgängig eine ausdrückliche, schriftliche Bewilligung” benötigt, um einen Link auf ihr Internetangebot zu setzen, herausgenommen. Ohne die Intervention von Bloggern wären die Bedingungen vermutlich noch immer unverändert.

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