Posts Tagged ‘Anonymität’

Heute anonym IX

In Teilen ihrer Ausgabe berichtet “Bild” heute über “Uschi K.” und “Ursula K.” mit Sätzen wie:

“Ursula K. (64) ist …”
“… knöpfte sie Büffetkraft Uschi K. (58) die Ersparnisse ab.”
“… erzählt Frau K.”
“… lernte dabei Ursula K. kennen.”
“Ende Juli bat sie Uschi K. …”
“Als sie später Uschi Ks. Lebensgefährten aufsuchte …”
“Uschi K. hat per Quittung …”

Und so weiter. Mit anderen Worten: “Bild” hat die beiden Frauen im Text konsequent anonymisiert — zum Schutz ihrer Persönlichkeit, was sonst? Nur ist so eine Anonymisierung bekanntermaßen nichts wert, wenn man sie nicht durchhält und beispielsweise im selben Artikel ein “Beweisstück” mit den vollständigen Namen von “Ursula K.” und “Uschi K.” abbildet:

Mit Dank an Olav L. für Hinweis und Scan.

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Heute anonym IX

Vor einigen Tagen hatten wir der “Bild”-Zeitung einige Päckchen Verpixelungen geschenkt, damit sie es schafft, Menschen, die anonymisiert werden sollten, tatsächlich zu anonymisieren. Anscheinend ist unser Präsent noch nicht angekommen.

Aber eigentlich gibt es keinen Grund zum Scherzen. “Bild”-Düsseldorf berichtet heute groß über den Prozess gegen einen Fahrer, dessen Bus in Kevelaer mit einem LKW kollidierte — bei dem Unfall waren 30 Menschen verletzt und einer getötet worden. Das Gericht verurteilte den Fahrer zu einer Bewährungsstrafe.

“Bild” zeigt ein großes Foto von dem Mann und hat ihn darauf durch Verpixelungen anonymisiert. Eine Mühe, die sich die Zeitung hätte sparen können: Direkt darunter zeigt sie ihn auf einem weiteren Foto völlig unverfremdet.

Und wir wissen immer noch nicht, ob es bloße Unfähigkeit oder irgendein böses Kalkül ist, dass “Bild” so etwas immer wieder passiert. Wir wissen aber auch nicht, was beunruhigender wäre.

Vielen Dank an Sylvio D. für Hinweis und Scan!

Heute anonym X

Am Donnerstag veröffentlichte die Zentralstelle Kinderpornografie des Bundeskriminalamtes Fotos von einem jungen Mädchen, das vermutlich Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurde. Die Polizei hoffte, dass jemand das Kind erkennt. Die Sendung “Aktenzeichen XY” zeigte das Foto. “Bild” auch.

Tatsächlich hatte die Fahnung Erfolg, das Mädchen konnte aufgrund von Hinweisen identifiziert werden. “Bild” berichtet heute darüber, zeigt ein verpixeltes Foto des Mädchens und erklärt dies so:

BILD hat das Gesicht des Kindes auf Wunsch der Polizei unkenntlich gemacht.

Feine Sache. Wörtlich las sich der “Wunsch der Polizei” allerdings so:

Da mit der Identifizierung des Opfers der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien ersucht, bislang veröffentlichte Bilder nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Und einmal dürfen Sie raten, ob die “Bild”-Zeitung auch das unverpixelte Foto des Mädchens aus ihrem Internetportal entfernt hat.

Danke an Nils K., Gerald H., Mareike, Mike D. und Ulrich B.

Nachtrag, 14. Januar. Jetzt lautet die Antwort Ja.

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Heute anonym XI

Gestern berichtete die Aachener Regionalausgabe der “Bild”-Zeitung über einen jüngst verurteilten Sexualstraftäter in Düren. Im Vergleich zur Berichterstattung etwa der “Aachener Nachrichten” und der “Aachener Zeitung” finden sich darin jedoch mehrere Ungereimtheiten: So behauptete “Bild” beispielsweise pauschal, der Mann habe “fünf Jungen (…) in über 14 Fällen sexuell missbraucht” und sei “wegen schweren sexuellen Missbrauchs an fünf Kindern” verurteilt worden — wohingegen die Lokalzeitungen (übrigens vor knapp einer Woche!) berichtet hatten, er sei zwar “für insgesamt 14 Taten” bzw. “14 Taten von sexuellem Missbrauch und sexueller Nötigung” verurteilt worden, allerdings habe es sich nur “in einem Fall um schweren sexuellen Missbrauch gehandelt”.*

“Bild” zeigt zudem ein Flugblatt (“Warnung vor diesem Mann!!!! Er hat meine 6-jährige Tochter sexuell missbraucht!!!!”, siehe Ausriss), das eine Mutter der missbrauchten Kinder vor dem Prozess in der Nachbarschaft verteilt hatte. Und man mag darüber streiten, wie sachdienlich es ist, dieses Flugblatt abzubilden, obwohl ausgerechnet der auf dem Flugblatt geäußerte Vorwurf “vor Gericht nicht zweifelsfrei zu beweisen” gewesen sei, wie die “Bild”-Zeitung schreibt, die den Artikel trotzdem mit den Worten beginnt: “Er soll eine Sechsjährige missbraucht (…) haben.”

Unstrittig aber ist, dass sich die Kollegen der Aachener “Bild”-Redaktion offenbar alle Mühe gegeben haben, den Verurteilten unkenntlich zu machen: Im Text ist sein Name durchgängig abgekürzt, und das Foto des Mannes (immerhin) mit einem schwarzen Balken versehen.

Genutzt allerdings hat die ganze Mühe nichts: Denn zwar hat “Bild” auch das Foto auf dem abgebildeten Flugblatt unkenntlich gemacht, nicht aber (siehe Ausriss) den vollen Namen und die komplette Adresse des Verurteilten, die von der Mutter ebenfalls auf ihrem Flugblatt notiert worden waren…

Mit Dank an Martin M. für den Hinweis, den selbstlosen “Bild”-Zeitungskauf und den Scan!

*) Übrigens lagen die Lokalzeitungen offenbar zumindest näher an der Wahrheit als “Bild”. Wie uns das Landgericht Aachen auf Anfrage mitteilt, wurde der Mann für insgesamt 14 Fälle von sexuellem Missbrauch, versuchtem sexuellen Missbrauch und sexueller Nötigung verurteilt, darunter zwei Fälle von schwerem sexuellen Missbrauch.

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Unverbesserlich

Im September 2004 rügte der Presserat die “Bild”-Zeitung wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Unter der Überschrift “Sie ist die Mutter des toten Babys vom Gruselwald” hatte “Bild” zwei Monate zuvor über eine 15-Jährige berichtet, der vorgeworfen wurde, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Illustriert hatte “Bild” den Artikel mit einem Foto des Mädchens, das zwar gepixelt war, nach Ansicht des Presserats “jedoch trotzdem eine Identifizierung zuließ”.

Heute nun berichtet “Bild” im Raum Rhein-Neckar unter der Überschrift “Das Horror-Geständnis der Todes-Mutter” über eine 24-Jährige, der vorgeworfen wird, ihr neugeborenes Kind in einer Plastiktüte im Gebüsch vor einem Krankenhaus abgelegt zu haben, wo es kurz darauf verstarb. (Die Polizei fahndete deshalb in den vergangenen Tagen intensiv nach der mutmaßlichen Kindsmutter und veröffentlichte sogar ein von einer Überwachungskamera gemachtes — und vorgestern natürlich auch von “Bild” gezeigtes — Fahndungsfoto der Frau, die sich gestern schließlich selbst stellte.) “Bild” nennt heute jedoch nicht nur ihre Haarfarbe, Statur und Nationalität sowie Wohnort und Lebenssituation, sondern illustriert den Artikel zudem mit einem großen Paparazzifoto (“die Mutter verlässt gerade das Amtsgericht Lampertheim”), das zwar mit einem schwarzen Balken über den Augen versehen ist…

… doch bereits damals, im September 2004, hatte der Presserat die “Bild”-Redaktion ausdrücklich daran erinnert, “dass Maßnahmen zur Anonymisierung einer Person auch wirksam sein müssen. So müssen Augenbalken soviel verdecken, dass eine Identifizierung über die nicht verdeckten Teile eines Gesichtes nicht möglich ist”.

Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 8.3.2007: Die identifizierende Darstellung der “Todes-Mutter” hat für “Bild” offenbar Methode. Am 3. und 5. März sahen die entsprechenden “Bild”-Berichte, die weitere Details zum Lebensumfeld der Frau enthielten, so aus:

Mehr dazu hier.

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W. wie Wiederholungstäter

Daniela W. starb 2001 an Krebs. Doch weil Daniela W. letztlich doch nur als exemplarisches Schicksal im Zusammenhang mit einem ganz anderen Fall herhalten muss, erscheint es uns überaus einleuchtend, dass “Bild” sich gestern offenbar entschieden hatte, den Nachnamen von Daniela W. durch Abkürzung zu anonymisieren.

Weniger einleuchtend erscheint uns hingegen wieder einmal, dass es “Bild” nicht gelungen ist, den Nachnamen von Daniela W. auch auf dem großen Foto ihres Grabsteins unkenntlich zu machen.

Mit Dank an Simon H. für den Hinweis und Daniel F. für den Scan.

Deutschlands dümmste Anonymisierer

Den Mann, der im vergangenen Jahr in einer Drogerie mit Lotto-Annahmestelle die Herausgabe des Jackpots forderte, nennt “Bild” “Deutschlands dümmsten Lotto-Räuber”.

Die Besitzerin des überfallenen Ladens nennt “Bild” “Roswitha R.”.

Tja. Wie mag sie wohl mit Nachnamen heißen?

Danke an Manfred H. für den sachdienlichen Hinweis!

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Heute anonym XII

In Heilbronn ist am Mittwochnachmittag eine 22 Jahre alte Bereitschaftspolizistin erschossen und ihr 24 Jahre alter Kollege lebensgefährlich verletzt worden.

Und wenn wir nichts übersehen haben, hat sich die hiesige Presse unisono* entschieden, in ihren Berichten über den Fall zumindest die Nachnamen der Opfer zu anonymisieren. Selbst “Bild” nennt sie nur “Michelle K.” und “Martin A.” “Bild” hat sich sogar die Mühe gemacht, auf den abgebildeten Fotografien von “Martin A.” wenigstens die Augenpartie mit einem kleinen schwarzen Balken unkenntlich zu machen — aber in ihrem Eifer offenbar glatt übersehen, dass auf einem der Fotos (ein “Spaßbild”, wie “Bild” schreibt) der Nachname von “Martin A.” deutlich zu erkennen ist.

Mit Dank an Harald W. und Marc W. sowie Sebastian T. auch für den Scan.

*) Nachtrag, 17.19 Uhr (mit Dank an Boris B. und Alexander M.): Die “Heilbronner Stimme” und die “Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung” nennen den vollständigen Namen der getöteten Polizistin. Warum der Name von “Martin A.” in “Bild” einerseits konsequent abgekürzt und andererseits vollständig ausgeschrieben steht, erklärt das nicht.

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Heute anonym XIV

Déjà vu? Nun ja, Bild.de berichtet seit gestern über ein “Urteil im Prozess um den schlimmen Gammelfleisch-Skandal” — und nennt den verurteilten Fleisch-Händler anonymisierend “Alfons B.” Im selben Artikel aber veröffentlichte Bild.de ein Foto von B.s Ladens, auf dem nicht nur sein Nachname vollständig zu lesen war, sondern auch die komplette Adresse, Fax- und Telefonnummer (siehe Ausriss mit roten Balken von uns).

Etwa eine Stunde, nachdem wir Bild.de heute auf die Inkonsequenz beim Schutz der Persönlichkeit aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, erhielten wir zwar (wie üblich) keine Antwort. Aber (wie üblich) wurde die unterlassene Unkenntlichmachung anschließend nachgeholt: Bild.de hat das Foto vollständig aus dem Artikel entfernt.

Mit Dank an Christoph K. und andere.

Nachtrag, 9.6.2007 (mit Dank an Pegasus): Und was die mehrfache “Bild”-Bezeichnung “Gammelfleisch-Händler” für Alfons B. anbelangt, sei hier vielleicht noch darauf hingewiesen, was (anders als Bild.de) etwa der NDR über den Prozess zu berichten weiß:

Bei dem Urteil habe das Gammelfleisch nur eine geringe Rolle gespielt, teilte das Gericht mit. Kern seien die Betrugsvorwürfe gewesen. (…) Der Vorwurf der Anklage, der Händler habe auch rund fünf Tonnen verdorbenes Putenfleisch vermarktet, habe sich nicht nachweisen lassen. Der Mann werde deshalb in diesem Punkt frei gesprochen. (…) Es sei aber nicht nachzuweisen, dass das Fleisch zum Verzehr ungeeignet war.

Verpixelte Panik

Was haben diese drei gemeinsam? Wer sie kennt, erkennt sie sofort.

Soviel dazu. Und Schluss mit lustig.

Denn “Bild” berichtet heute in großer Aufmachung und mit vielen Fotos von einem “Amoklauf im Berliner Hauptbahnhof”:

Ein 26-jähriger Mann hat gestern dem Kellner eines Cafés zwei Stunden lang ein Messer an die Kehle gedrückt. (…) Der panische Blick der Geisel auf die scharfe Klinge lässt viele Augenzeugen erschaudern.

TODESANGST!

So steht’s im Pressekodex
 
(…) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden.

(…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.

(…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.

(…) Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

(Aus den Richtlinien 8.1 und 11.3)

Ein Großteil der Fotos, die den ganzseitigen Artikel illustrieren, dokumentiert das Beschriebene. Wir sehen: einen Mann mit einem Messer, der einen anderen Mann im Würgegriff hat. Und auf allen Fotos zeigt “Bild” den Mann mit dem Messer, ohne ihn irgendwie unkenntlich zu machen, was nicht schön, aber laut Pressekodex gerechtfertigt sein könnte (siehe Kasten) oder auch nicht (siehe Kasten). Schließlich hatte der Mann laut “Bild” “offenbar Kokain geschnupft” und wurde “in eine Psychoklinik eingewiesen”.

Aber die Anonymisierungspraxis in “Bild” ist ohnehin undurchschaubar. Und einfallsreich zugleich: mal Verpixelungen, mal kleine, mal größere schwarze Balken über der Augen- oder schwarze Kreise über der Gesichtspartie, mal vollständiges Weißen kompletter Silhouetten… Doch wer heute anonymisiert wird, muss schon morgen damit rechnen, dass “Bild” darauf verzichtet, und umgekehrt. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht Menschen zur Schau stellt (Opfer, Täter, Betroffene), obwohl berechtigte Zweifel bestehen, ob “Bild” das darf. Erfahrungsgemäß zeigt “Bild” lieber zu viel als zu wenig. Zudem gab es in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen “Bild”-Anonymisierungen vom Presserat als unzureichend beanstandet wurden.

Und den Mann im Würgegriff des Geiselnehmers am Berliner Hauptbahnhof (“Bild” nennt nicht nur seinen Beruf, sondern auch Vornamen, Alter und Arbeitsplatz) hat “Bild” auf den vielen Fotos, die ihn in “Todesangst” zeigen, unkenntlich gemacht — und zwar ziemlich genau so, wie wir das auf obigen Fotos demonstrieren.

Nachtrag, 23.11.2007: Auch heute zeigt “Bild” wieder Fotos der Geiselnahme — diesesmal jedoch ohne jegliche Unkenntlichmachung, die ja für gewöhnlich dem Schutz der Persönlichkeit des Abgebildeten dienen soll. Was das Opfer anbelangt, ist “Bild” deswegen heute (anders als gestern bei der weniger als halbherzigen Verpixelung seiner Augenpartie) wohl nichts vorzuwerfen, denn: “In BILD spricht er jetzt exklusiv über den Horror, über die wirren Gedanken des Täters, über die Liebe, die ihn stark machte.” Über den Täter wird inzwischen berichtet, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen, die eventuell durch Betäubungsmittel verstärkt worden waren, schuldunfähig gewesen und vom Ermittlungsrichter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Grund genug also, noch einmal aus dem Pressekodex zu zitieren: “Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”

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