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2. Interview mit Stefan Aust (diepresse.com, Isabella Wallnöfer)
Ex-“Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust entwickelt für die WAZ-Gruppe “etwas im Magazinbereich”, “keine Frauenzeitschrift”. Enthüllungsgeschichten, so glaubt er, hätten oft etwas mit Zufall zu tun. “Wenn sich Journalisten großer Titel dann als investigativ bezeichnen, kommen sie mir manchmal vor wie der Schrankenwärter, der glaubt, der Zug kommt, weil er die Schranken heruntergelassen hat.”
3. Twitter-Manipulation zur Bundestagswahl (docs.google.com)
Die Diskordische Mediengruppe 09 bekennt sich zu Manipulationen auf Twitter zur Bundestagswahl 2009: “Wir haben die Veröffentlichung von Exit-Polls auf Twitter am Wahltag dominiert, manipuliert, ja sogar gefälscht was das Zeug hält.”
4. “Streik der Praktikanten” (taz.de, Anna Mauersberger)
Die “taz”-Praktikanten, die “die eigene Arbeitskraft für Nichts” hergeben, rufen in einer Beilage zum Streik auf (am 9. Oktober): “Und so sitzen der und die Prakti bis spät abends noch hörig vor ihrem Computer-auf-Zeit, verzichten auf Urlaubstage, feiern niemals krank – während die Chefs sich ins Fäustchen lachen.”
Der brasilianische Fußballstar Ronaldo sollte, wenn man einer jungen Damen namens Michele Umrazu glauben darf, erst gar keine Hoffnungen darauf setzen, dass ihn ein Vaterschaftstest entlasten könnte: Haare, Augen, Nase, alles an ihrem vierjährigen Sohn sei so wie bei dem Mann, den sie lange ein Phänomen nannten. Bei soviel Ähnlichkeit ist sie sich jetzt sicher: Der Vater kann nur Ronaldo sein.
Ronaldo? Fußballer? Da gibt´s in der Tat eine klitzekleine Verwechlungsgefahr: zwischen dem Brasilianer Ronaldo und dem Portugiesen Cristiano Ronaldo. FAZ.net hat sich angesichts dessen nicht so recht entscheiden können und einen Doppel-Ronaldo daraus gemacht: In der Überschrift ist von “Cristiano” die Rede, im ersten Satz vom “brasilianischen Fußballstar”. Bei der Bebilderung musste man sich dann doch entscheiden, Brasilianer, Portugiese — und wählte(siehe Bild 9): den Portugiesen…
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1. “Kaufgerüchte bei Nachrichtenagenturen” (taz.de, Daniel Bouhs)
“Neue Gefahr für Nachrichtenagentur dpa: Schon bald könnte sich der deutsche Dienst der AP zum Hauptkonkurrenten ddp gesellen.”
2. “Böses, böses Google!” (blog.persoenlich.com, Rolando Baron) Rolando Baron zieht einen Vergleich zwischen alten Medien und Priestern. Beide würden die Wahrheit konstruieren, Himmel und Hölle erklären “und ihre Weltsicht zur alleingültigen Weltsicht von ganzen Gesellschaften” machen. “Doch dann kam die Aufklärung, die Menschen entdeckten ihre eigene Vernunft, jagten die Priester von den Kanzeln und schlossen die Pforten der Gotteshäuser. Dabei spielte ein Martin Luther eine bedeutende Rolle – und ein gewisser Johannes Gutenberg.”
3. “Für die Verlage: SPD will Siegeszug des Web stoppen” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Die SPD-Medienkommission bringt Vorschläge zur Krise auf dem Zeitungsmarkt. Sie konstatiert, dass vor allem Jüngere “immer häufiger auf die Nutzung der Tageszeitung” verzichten und sich lieber im Internet rumtreiben. Was zur Frage führt: “Wie lässt sich dieser Trend stoppen, wenn er sich schon nicht umkehren lässt?”
5. “Kerners künstliche Aufregung über Twitter” (blog.hogenkamp.com, Peter Hogenkamp) Johannes B. Kerner diskutiert “mit einigen teilweise verrenteten Journalisten vom ZDF” über den Microblogging-Dienst Twitter. “Die kurze ‘Diskussion’ ist ein Armutszeugnis für den Berufsstand.” Nur einer, Wolf von Lojewski, sagt: “Was wären wir ohne Internet? Tolle Sache.”
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1. “Zuspruch für ein weinendes Mädchen” (sueddeutsche.de, U. Ritzer)
Die Medienjagd nach dem Amoklauf von Ansbach: “In bei Jugendlichen beliebten Chatrooms und Foren wanzten sich Boulevardreporter mit falschen Namen und als angeblich gleichaltrige Schülerreporter an Carolinum-Gymnasiasten an, erzählen Helene Hellmuth und Rahel Herzog. Aus geschützten Forenbereichen seien Bilder von Sandra und Georg R. herauskopiert und veröffentlicht worden.”
2. “Musikantenstadl – ARD bricht ab” (youtube.com, Video, 1:59 Minuten)
Die ARD-Sendung “Musikantenstadl” kündigt zum Schluß der Sendung eine “Sensation” an: Neun (9!) durch den Saal ziehende Blaskapellen. Die Übertragung wird aber (offenbar aus Zeitgründen) bereits nach zwei Blaskapellen abgebrochen. Einige Zuschauer guckten sich den Rest der Eurovisionssendung auf ORF2 an.
3. “Unser täglich Bernd gib uns heute” (print-würgt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris macht sich Gedanken zum Marktplatz Internet: “Journalisten sind dafür da, die Informationen der Welt unters Volk zu bringen. Genau: zu bringen. Dahin, wo das Volk ist. Man muss das nicht dumm tun, man darf es auch intellektuell tun, so wie man auf einem Markt eben jedes Angebot machen darf. Aber hier. Nicht vom Turm aus.”
4. “Unterwegs als digitaler Nomade – ein Selbstversuch” (blog.persoenlich.com, Norbert Neininger)
Noch vor einem Jahr behauptete Norbert Neininger, Präsidiumsmitglied des Verbandes Schweizer Presse: “Was Google macht, ist illegal.” Doch dann wollte er es genauer wissen: “In unserer Branche aber reden die Leute über Twitter, Facebook und die Blogs, ohne zu wissen, was ein Retweet, eine Facebook-Gruppe oder ein Blog-Feed ist. Und so habe ich mich – zum Entsetzen meiner Tochter und vom milden Lächeln ernsthafter Kollegen begleitet – ins volle Social- Media-Leben im Netz gestürzt und bin so manchem begegnet, den ich dort eigentlich nicht erwartet hätte.”
5. “Eine neue Form und neuer Inhalt” (nzz.ch, Dossier)
Die “Neue Zürcher Zeitung” erscheint heute in erneuerter Form: “Bis auf einige wenige gestalterische und inhaltliche Anpassungen ist es die erste umfassende Überarbeitung der Zeitung seit der Umstellung von der Fraktur- auf die Antiqua-Schrift 1946.”
6. “Verdacht auf Internet” (stefan-niggemeier.de, Herm)
Markus Herrmann zeichnet ausführlich den Verlauf einer Folge der RTL-Doku-Soap “Verdachtsfälle” nach.
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1. “Der Journalismus des Darmstädter Echo” (regioblog.de, Peter Löwenstein)
Ein Pressebeauftragter für die Piratenpartei schickt dem “Darmstädter Echo” eine Einladung zu einer Gründungsveranstaltung und erhält als Antwort einen Anruf, in dem er gebeten wird, “selbst produziertes Material” zu liefern, also “ein paar Textbausteine, die Abstimmungsergebnisse und auch ein paar Bilder”, da das Blatt offenbar keinen Reporter schicken will. Löwenstein sagt ab und bloggt lieber darüber.
2. “Spießer in den Cyberspace” (tagesspiegel.de, Markus Hesselmann)
Der Online-Chef des “Tagesspiegels” plädiert dafür, das Netz nicht den “Experten und Alpha-Bloggern” zu überlassen. “Die Debatte über das Internet muss raus aus dem digitalen Ghetto. Rein in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft.”
3. “Schleichwerbefall beim SWR” (kress.de)
Die Sportsendung “Flutlicht” berichtet am 30. August laut “Spiegel” von einem unter anderen von Haribo gesponserten Golf-Benefizturnier: “Der knapp zehnminütige Beitrag soll dabei wie ein Werbefilm dahergekommen sein: Das Goldbären-Maskottchen spielte Golf, es wurden Fußballspiele mit Gummibärchen nachgespielt, das Logo sei häufig im Hintergrund zu sehen gewesen.”
4. Kai Diekmann bei der “taz” (30jahre.taz.de, Sebastian Heiser)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann besucht als eines von 8826 Mitgliedern die Mitgliederversammlung der taz-Genossenschaft. Im roten Kapuzenpulli plädiert er für eine Bezahlung von Inhalten: “Ich halte es für richtig, für guten Journalismus auch gutes Geld zu verlangen.”
5. “Des Kaisers Kleider und der Kurtisanen Kostüme” (news.admin.ch, Ueli Maurer)
Der Schweizer Verteidigungsminister Ueli Maurer hält am Jahreskongress des Verbandes Schweizer Presse eine gepfefferte Rede: “Viele Medien nehmen den Informationsauftrag nicht ernst. So legen sie den Boden schlecht: Pfusch ist da an der Tagesordnung. Schnellschüsse und Kurzschlüsse, Sofort-Umfragen, Sofort-Erklärungen, Sofort-Geschichten füllen die online-Zeitungen, die Tageszeitungen, die Radio- und Fernsehprogramme. Aus dem Internet gegoogelt und schrill umformuliert, werden aus Nichts Schlagzeilen und aus Wenig Texte.”
6. “Schweinegrippenjournalismus” (youtube.com, Video, 4:34 Minuten)
Ein Ausschnitt aus der letzten Sendung von “Harald Schmidt” zeigt, wie sich Jan Böhmermann als Rüdiger Alt in die Nachrichten der Pro7/Sat.1-Gruppe und in einen Leitartikel der “WAZ” schmuggelte.
Internationale Nachrichtenagenturen haben gegenüber ihren nationalen Konkurrenten einen großen Vorteil: Anstatt für die Auslandsberichterstattung nur auf kleine Korrespondentenbüros und Partner-Agenturen zu setzen, haben sie das breite Wissen der ganzen Welt direkt zur Verfügung.
Und so verwundert es nicht, dass Associated Press (AP) am Wochenende seinen deutschen Kunden eine Story anbieten konnte, von denen dpa und Co. noch nichts mitbekommen hatten: der verbitterte Kampf zwischen US-Präsident Obama und Gegnern seiner Gesundheitsreform hatte eine neue, eine physische Ebene erreicht.
Am Samstag, um 23:15 Uhr meldete der deutsche Dienst der Nachrichtenagentur:
“Ich werde den Status quo nicht als Lösung akzeptieren — niemals!” sagte Obama am Samstag vor rund 15.000 Menschen in Minneapolis im US-Staat Minnesota. Zwischenrufer wies er zurecht und versuchte zu einem Zeitpunkt sogar, ihnen das Megafon zu entreißen.
Welche Sensation da über ihre Schreibtische ging, realisierten die AP-Redakteure wohl erst am Sonntag. Ein amtierender Regierungsschef im körperlichen Clinch mit dem Wähler? So etwas haben wir hierzulande schon lange nicht mehr gesehen.
Um 10:48 hoben sie die Auseinandersetzung zwischen Obama und den Zwischenrufern erstmals in die Überschrift:
Kampf um US-Gesundheitsreform immer härter /
Obama versucht Zwischenrufern Megafon zu entreißen — Gegner beleidigen Präsidenten mit Hitler-Bärtchen
Nicht weniger als drei weitere Meldungen schilderten die Auseinandersetzungen, ließen aber jegliches weitere Detail vermissen. Zwar gab es viele schöne Fotos von den Demonstranten in Washington und Obama in Minneapolis. Doch den Moment der sicherlich spektakulär anzusehenden Konfrontation hatten die versammelten Fotografen und Fernsehkameras versäumt.
Alleine: Ein Gerangel hat es nie gegeben, und die Zwischenrufe bei Obamas Rede zeichneten sich allenfalls durch gut orchestrierte Begeisterung aus. Die Konfrontation entstammte einfach der etwas blumigen Formlierungskunst des AP-Autoren Jim Kuhnhenn. Der schrieb im amerikanischen Original:
President Barack Obama assailed critics of his health care initiative Saturday, seeking to grab the megaphone from his opponents and boost momentum in his drive for congressional passage of his chief domestic priority.
(Deutsch etwa: Präsident Obama griff am Sonntag Samstag Kritiker seiner Gesundheitsreform-Initiative an und versuchte, seinen Gegnern das Megaphon zu entwinden und seinem wichtigsten innenpolitischen Projekt für die Abstimmung im US-Kongress neuen Schub zu verleihen.)
Das war zweifellos nur metaphorisch gemeint — die Megaphone der Kritiker waren schließlich über 1000 Meilen vom Präsidenten entfernt. Wenig später veröffentlichte AP in Amerika eine sprachlich entschärfte Version.
Den Kollegen in Übersee hat jedoch offenbar bisher niemand Bescheid gegeben.
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1. “Die Rieplsche Fata Morgana” (handelsblatt6.blogg.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer analysiert die Liebe vieler Medienmenschen zum “Rieplschen Gesetz” und meint: “Wenn Herr Riepls Dissertation der Rettungsring der Medienhäuser ist, dann ist die Empfehlung, einen Schwimmkurs zu belegen, nicht die schlechteste.”
2. “Warum Kassieren online so schwierig ist” (spiegel.de, Christian Stöcker)
“Google hat US-Zeitungsverlegern ein System vorgeschlagen, mit dem man für Journalismus im Internet Geld einziehen könnte. Solche Systeme gibt es längst, durchgesetzt haben sie sich aber nie. Reicht die Macht der Suchmaschinisten, auch das Bezahlen im Netz zu revolutionieren?”
4. “Mutprobe Nr. 6: Zu Besuch in der Redaktion” (sz-magazin.sueddeutsche.de, Axel Hacke)
Axel Hacke zieht eine verwegene Mutprobe durch – er besucht die Redaktion der “Süddeutschen Zeitung”.
5. “Der öffentliche Babybauch” (zeit.de, Ursula März)
In der Rubrik “Gesellschaftskritik” stellt Ursula März prominente Schwangere in Frage, die “ihr wachsendes Bäuchlein in allen Stadien in die Kameras halten”. Denn: “Was sagt eigentlich das Kind zu einem solchen Foto?”
Die Deutsche Presse-Agentur dpa meldete heute morgen um 9:38 Uhr:
Los Angeles (dpa) – In der kalifornischen Kleinstadt Bluewater soll es nach einem Bericht des örtlichen Senders vpk-tv zu einem Selbstmordanschlag gekommen sein. Es habe in einem Restaurant zwei Explosionen gegeben, berichtete der Sender. Die Polizei sei im Einsatz und habe das Restaurant evakuiert. Ob Menschen zu Schaden kamen, sei unklar. Das Restaurant wirkte auf ersten Bildern nicht zerstört. Die Täter wurden von dem Sender als arabisch-stämmig beschrieben.
Um 9:59 Uhr ergänzte die Nachrichtenagentur ihre Meldung mit:
Ein Sprecher der Feuerwehr in der Kleinstadt Bluewater an der Grenze zum Bundesstaat Arizona bestätigte der Deutschen Presse- Agentur dpa, dass es in einem Restaurant zwei Explosionen gegeben habe. Sie hätten sich gegen 2300 Uhr Ortszeit (0800 MESZ Donnerstag) ereignet.
Um dann um 10:06 Uhr alles zu dementieren:
Los Angeles (dpa) – TV-Berichte über einen Anschlag in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater scheinen falsch zu sein. Ein Polizeisprecher in Bluewater dementierte, dass es einen Anschlag gab. Vermutlich habe es sich um einen gefälschten Bericht gehandelt.
Passiert ist: gar nichts. Berichte über den Anschlag gibt es nach der Meldung durch die dpa: einige.
Gehen wir auf die Suche nach dem TV-Sender “vpk-tv”, der von der dpa als Quelle genannt wird. Wer auf Google oder Bing nach “vpk-tv” sucht, findet den Sender nicht. Vielleicht aber stösst er auf den Wikipedia-Eintrag KPVK-TV, der gestern, am 9. September 2009, angelegt wurde. Dort wiederum findet sich ein Link zur Website vpk-tv.com, wo gleich ein Video in Endlosschlaufe startet, das, was für ein Zufall, ein Selbstmordattentat in Bluewater, Kalifornien zum Thema hat.
In diesem Video tritt eine Nachrichtensprecherin auf, die einen aufgeregten Bericht ansagt, in dem Reporter, Polizisten, Opfer und sogar Täter vorkommen. Es wird erklärt, dass sich eine deutsche Gruppe von Rappern namens “Berlin Boys” in einem Video im Internet zur Tat bekannt hätten. Das Video gibt es tatsächlich, bereits seit gestern ist es auf MySpace und auch auf YouTube zu sehen.
Es fragt sich, warum denn ein “Sprecher der Feuerwehr in der Kleinstadt Bluewater an der Grenze zum Bundesstaat Arizona” der dpa bestätigte, dass es um 23 Uhr Lokalzeit zwei Explosionen gegeben habe. Auf der Website bluewatercity.com steht im Abschnitt “Public Safety” eine Telefonnummer der Feuerwehr (weit wichtiger und grösser darüber die “Mosquito & Vector Control”). Hat der dpa-Journalist diese angerufen?
Leider ist die Domain bluewatercity.com (whois.net) so echt wie vpk-tv.com (whois.net), nämlich gar nicht. Beide Websites wurden am 29. Juni 2009 registriert, lediglich die Adressen und die E-Mails unterscheiden sich, die Fax-Nummer ist sogar die Gleiche.
Doch auch ohne diese Indizien könnte man zum Schluss kommen, dass es diesen TV-Sender gar nicht gibt. Denn aus all diesen Quellen (inklusive den Videos der angeblichen Rapgruppe “Berlin Boys”) schreit ein Wort: Fälschung! Es gibt keine Quelle, die tatsächlich für ein einigermassen geübtes journalistisches Auge so aussieht, als wäre sie echt. Auf amerikanischen Nachrichtenseiten ist auch nichts dazu zu finden. In Deutschland hingegen verbreitet sich die Meldung noch immer, der dpa und ihren blinden Kopierern wegen. Als unter Dutzenden herausgepickte Beispiele sind welt.de, morgenpost.de, nordsee-zeitung.de, sz-online.de oder das wiesbadener-tagblatt.de zu nennen.
Auf Twitter produzieren die Nutzer @JFKindling (erste Twitter-Nutzung: 16. Juni 2009), @kimmieblu (erste Twitter-Nutzung: 26. Mai 2009) und @NormanKlein75 (erste Twitter-Nutzung: 23. Juni 2009) die Berichterstattung zum Stichwort #bluewater im Alleingang.
Um 10:48 Uhr, als allen schon klar ist, dass es sich bei der Meldung nur um eine virtuelle Realität handelt, kommt eine weitere dpa-Meldung:
Los Angeles (dpa) – Entwarnung in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater: Am späten Mittwochabend (Ortszeit) berichtete der örtliche Sender vpk-tv, es habe einen Selbstmordanschlag in dem Restaurant Artisan Diner gegeben. Die Täter seien arabisch-stämmig.
Nach einer Stunde stand fest, es war ein böser Scherz: Drei deutsche Rapper hätten sich Bombenattrappen umgebunden und seien in das Restaurant gestürmt, um Medienaufmerksamkeit zu erlangen. Die Behörden kündigten ein hartes Vorgehen gegen die Deutschen an, berichtete der Sender.
Ein Sprecher der örtlichen Polizei bestätigte der Deutschen Presse-Agentur dpa, dass die drei Männer festgenommen wurden. Details des Vorfalls seien weiterhin nicht ganz klar. Es habe jedenfalls keine echte Explosion gegeben.
(Achtung Redaktionen: Bei den drei deutschen Rapper soll es sich nach Angaben des Senders um die Berlin Boys handeln. Die weitere Berichterstattung läuft im Ressort Vermischtes)
Warum sich die dpa auch im dritten Bericht noch auf einen “örtlichen Sender” verlässt, den es offenkundig gar nicht gibt, ist ein Rätsel. Ebenso liegt noch im Dunklen, wer der dpa von der angeblichen Festnahme von drei Männern erzählte.
Vor zwei Tagen meldete die dpa, sie wolle sich künftig zunehmend für User Generated Content öffnen. Warum? Das ist doch, wie sich heute gezeigt hat, längst der Fall.
Nachtrag, 15:45 Uhr: Auf der Website vpk-tv.com wird das Spiel jetzt aufgelöst. Sie zeigt zwei “Making-of”-Videos und die beiden “Bluewater Attack”-Videos. Es handelt sich bei dem doppelten Fake (es gab in Bluewater weder einen Selbstmordanschlag, noch einen vorgetäuschten Selbstmordanschlag durch deutsche Rapper) um eine PR-Aktion zu dem Film “Shortcut To Hollywood”. In der Pressemitteilung dazu heisst es:
“VPK”, der Sender, von dem Sie jetzt gehört haben werden, existiert nicht. Die “Berlin Boys” mit ihrem Song “Hass” hat es nie gegeben. Es gibt auch keine Stadt “Bluewater”, und es gab auch nie einen Polizisten, Bürgermeister oder Feuerwehrmann, die dort am Telefon geantwortet haben. Es sind amerikanische Schauspieler mit komischen Mützen auf. Es gab keinen “Rainer Petersen” bei diesem erfundenen Sender aus einer erfundenen Stadt – nein, Rainer wird morgen aus Kreuzberg anrufen – aber geben tut es ihn deswegen noch lange nicht. Nichts davon gibt es. Selbst im Impressum des Senders steht in schlechtem Englisch, dass dies alles nicht existiert.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Internet-Manifest” (internet-manifest.de)
Die von verschiedenen Bloggern und Journalisten aufgestellten 17 Behauptungen, wie Journalismus heute funktioniert, polarisieren und werden ausgiebig in News und Blogs diskutiert.
2. “Zeitungen gehen Web-Satire auf den Leim” (spiegel.de, pat)
Die bengalische Boulevardzeitung “Manab Zamin” nimmt eine Satire von “The Onion” auf und verbreitet sie unter ihren Lesern als die Wahrheit. Neil Armstrong soll auf Basis einiger “Clips bei YouTube” zum Schluss gekommen sein, er sei “gar nicht auf dem Mond gelandet, sondern auf einer Bühne in New Mexiko”.
3. “Gran Canaria: TV zeigt Homo-Sex in Dünen” (queer.de, dk)
Der spanische TV-Sender Telecinco, mehrheitlich in Besitz von Mediaset (Silvio Berlusconi), filmte Touristen heimlich beim Sex im Freien und zeigte die Bilder am Samstagabend.
4. “Schlechter Journalismus und Facebook” (neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß analysiert einen Artikel über Facebook auf dem Newsnetz-Portal bazonline.ch. Ein Journalist habe mal wieder das “Ich-habe-eine-These-und-bastle-mir-dazu-anekdotische-Fakten-Spiel gespielt, und zwar in der beliebten Nicht-passende-Fakten-werden-angepasst-Edition.”
5. “Der Mantel des Schweigens beim WDR” (ruhrbarone.de, David Schraven und Marvin Oppong)
David Schraven und Marvin Oppong entdecken “beim WDR in Köln einen ähnlichen Fall” wie “in der Causa Heinze”. Doch im Gegensatz dazu “wurde dieser nicht in der Öffentlichkeit verhandelt, sondern in aller Stille bereinigt. Beim WDR mag man das Schweigen wohl.”
6. “Eine Zeitung für alle, voller Optimismus” (abendblatt.de, Claus Strunz)
Ein Leser vertritt die Meinung, dass “Eyecatcher, d. h. auflagensteigernde Überschriften” nicht “in eklatantem Widerspruch zur Realität bzw. zum Inhalt des eigentlichen Artikels” sein sollten. Claus Strunz, Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts”, antwortet: “Wir berichten fair, ehrlich und professionell. (…) Ihr Argument, wir überspitzten Überschriften zu sehr, um Auflagenerfolge zu erzielen, zielt ins Leere.”