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Zwei “Bild”-Autoren auf falscher Wackelrecherche

Man kann sich völlig korrekt verhalten, nichts falsch machen, den Gesetzen entsprechend handeln – und dennoch landet man am Pranger der “Bild”-Redaktion.

Am vergangenen Montag in der Bundesausgabe der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Radfahrerin, was machst du da mit den Kindern?
(Gesichter der Kinder und der Mutter von “Bild” verpixelt, weitere Verpixelung durch uns.)

Und auch Bild.de berichtete:

Screenshot Bild.de - Irrer Transport mitten in Frankfurt - Drei Kinder auf Muttis Wackelrad

Zum “irren Öko-Eltern-Taxi” schreiben die zwei Autoren:

Mit drei kleinen Kindern auf dem Gepäckträger strampelt diese Mutter wackelig auf dem Drahtesel über die Eschersheimer Landstraße, eine der am stärksten befahrenen Verkehrsschlagadern in Frankfurts Stadtteil Nordend.

Bei “Bild” fühlen sie sich sogar, igittigitt, ans Ausland erinnert:

Es sind Bilder, die man sonst nur aus Thailand oder Indien kennt: völlig überladene Fahrräder. Dort stapeln sie aber meist Waren und nicht kleine Kinder.

Hier sitzen drei Kinder hinter der Fahrerin in einem Rohr-Rahmen. Erlaubt ist dieser neue Fahrradtyp zum Kindertransport. Für 1-2, so zeigen es Hersteller auf ihren Internetseiten.

Diese Behauptung ist schlicht falsch. Bei dem Fahrrad auf dem Foto handelt es sich um ein Lastenrad der Firma Yuba, Modell “Mundo LUX”. Das hat laut Herstellerangaben “Platz für bis zu zwei Teenager oder drei Kinder”. Der von den “Bild”-Autoren erwähnte “Rohr-Rahmen” ist eine offizielle Erweiterung mit dem Namen “Monkey Bars”. Auch dazu schreibt der Hersteller: “Das Kindergeländer ist für bis zu drei Kinder konzipiert”. Also: alles in Ordnung “auf dem Drahtesel”.

Das sieht das “Bild”-Duo anders:

Die Straßenverkehrsordnung kennt so einen Fall gar nicht! Ist es schon völlig verboten, ein Kind ohne Kindersitz auf dem Gepäckträger mitzunehmen, aber gleich drei – dafür fehlte den Gesetzgebern die Vorstellung.

Auch das stimmt nicht. In der Straßenverkehrs-Ordnung gibt es sehr wohl eine Stelle, die die Mitnahme von Kindern auf einem Fahrrad beziehungsweise Lastenrad regelt. In Paragraph 21, Absatz 3 findet man zwei Voraussetzung: Die Person, die das Rad fährt, muss mindestens 16 Jahre alt sein, und das Rad muss “zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet” sein:

Auf Fahrrädern dürfen Personen von mindestens 16 Jahre alten Personen nur mitgenommen werden, wenn die Fahrräder auch zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet sind. Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr dürfen auf Fahrrädern von mindestens 16 Jahre alten Personen mitgenommen werden, wenn für die Kinder besondere Sitze vorhanden sind und durch Radverkleidungen oder gleich wirksame Vorrichtungen dafür gesorgt ist, dass die Füße der Kinder nicht in die Speichen geraten können.

Ganz am Ende ihres Artikels haben die “Bild”-Autoren auch noch einen sehr “Bild”-typischen Vorschlag für die “Öko-Eltern-Taxi”-Mutter, die sie fälschlicherweise an den Pranger stellen:

Für solche Transporte gibt es übrigens ein anderes und völlig legales Fortbewegungsmittel: ein Auto.

Mit Dank an Thomas B. für den Hinweis!

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“Bild” zeigt private WhatsApp-Nachrichten eines Kindes, dessen Geschwister gerade getötet wurden

In einer Wohnung in Solingen hat die Polizei vorgestern die Leichen von fünf Kindern gefunden. Laut Staatsanwaltschaft sollen sie betäubt und erstickt worden sein. Als Verdächtige gilt die Mutter der fünf Geschwister, gegen sie wurde ein Haftbefehl erlassen. Ein sechstes Kind, ein ElfJähriger, soll zur vermuteten Tatzeit in der Schule gewesen sein. Der Junge lebt.

Viele Medien berichten über den Fall. Manche seriös und nachrichtlich, andere geschmacklos und boulevardesk. Besonders eklig ist das Vorgehen der “Bild”-Medien. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, private WhatsApp-Nachrichten des ElfJährigen publik zu machen, die dieser verfasst haben soll, nachdem er vom Tod seiner fünf Brüder und Schwestern erfahren hat.

Ein paar unserer Beobachtungen zur “Bild”-Berichterstattung.

Noch am Donnerstagabend zeigt Bild.de ein unverpixeltes Foto der Mutter auf der Startseite. Dazu die Schlagzeile: “Drama in Solingen (NRW) – Sie soll ihre fünf Kinder getötet haben”. Inzwischen wird die Frau nur noch mit einem schmalen schwarzen Balken über den Augen gezeigt.

Am nächsten Morgen ist auf der “Bild”-Titelseite von “soll” oder einem Verdacht schon nichts mehr zu lesen. Stattdessen der Urteilsspruch der “Bild”-Richter:

Ausriss Bild-Titelseite - Drama in Solingen - Mutter (27) tötet ihre fünf Kinder

Auch auf der heutigen Seite 1 der “Bild”-Zeitung steht bereits alles fest:

Ausriss Bild-Titelseite - Von ihrer eigenen Mutter (27) betäubt und erstickt - Das Todes-Drama um die fünf Kinder von Solingen
(Augenbalken von “Bild”, weitere Unkenntlichmachung durch uns.)

Im Blatt heißt es: “Sie deckte den Frühstückstisch, dann erstickte sie ihre Kinder”.

Doch zurück zum Freitag. Am Vormittag ferndiagnostiziert im Studio von “Bild TV” ein Profiler die Motive der Mutter und erzählt vom “typischen Profil solcher Täterinnen”. Reporterinnen und Reporter von “Bild” sind in Solingen vor Ort, stürzen sich auf Nachbarinnen oder Bekannte der Familie. Manche von ihnen sind ziemlich redselig.

Am Freitagabend dann der bisherige Tiefpunkt der grässlichen “Bild”-Berichterstattung:

Screenshot Bild.de - Freund Name von uns unkenntlich gemacht telefonierte mit dem Sohn, der überlebte
(Diese und alle folgenden Unkenntlichmachungen im Beitrag durch uns.)

Die Verdächtige soll sich nach der Tat mit ihrem elfjährigen Sohn getroffen, ihm vom Tod der Geschwister erzählt und ihn zur Großmutter geschickt haben. Auf dem Weg dorthin soll der Junge mehreren Freundinnen und Freunden bei WhatsApp geschrieben beziehungsweise Sprachnachrichten geschickt haben. Einen dieser Freunde hat sich “Bild” geschnappt. Die Redaktion lässt den Jungen, der gerade mal zwölf Jahre alt ist, erzählen, was ihm sein Kumpel alles anvertraut hat:

In BILD schildert […], was er über die tödliche Tragödie in der Familie seines besten Freundes […] weiß.

Die “Bild”-Redaktion benutzt ein Kind, um an private Aussagen eines anderen Kindes zu kommen. Ihr scheint dabei völlig egal zu sein, in was für einer grausamen Situation sich der Elfjährige befindet. Rücksichtslos veröffentlicht sie Zitate aus dem Telefonat der zwei Jungen. Sie zeigt auch einen Screenshot der WhatsApp-Unterhaltung der beiden – die Nachrichten des Elfjährigen seien “ein Schmerzensschrei und Hilferuf, wie sie schrecklicher nicht sein können.” Das alles passiert offenbar mit Einwilligung der Mutter des Zwölfjährigen. Die “Bild”-Redaktion schreibt extra, als wüsste sie genau, wie verwerflich ihr Vorgehen wirkt:

[…] ist 12 Jahre alt und bekam die erschütternde WhatsApp-Nachricht. Bei dem Interview mit BILD war die ganze Zeit seine Mutter anwesend

Als würde die Anwesenheit der Mutter das alles rechtfertigen; als würde eine Redaktion jegliche Verantwortung abgeben, nur weil sie jemanden gefunden hat, der bereit ist, intimste Nachrichten eines vermutlich traumatisierten, verzweifelten Kindes, das gerade alle fünf Geschwister verloren hat, öffentlich zu machen. Wie menschenverachtend kann eine ganze Redaktion sein? Sitzt dort wirklich niemand, der oder die in so einer Situation protestiert: “Nee, Leute, das können wir nun wirklich nicht machen”?

Stattdessen nutzt die “Bild”-Redaktion die schreckliche Situation des Kindes auch noch, um ein bisschen Geld zu verdienen: Sie hat den Artikel mit den WhatsApp-Nachrichten und den Details zum Telefonat hinter die “Bild plus”-Bezahlschranke gestellt. In der “Bild”-Leserschaft scheint es leider genug Leute zu geben, die richtig scharf auf solchen Stoff sind:

Screenshot Bild.de - Top Bild-plus-Artikel - Platz 1: Mutter tötete fünf ihrer Kinder - Name telefonierte mit dem Sohn, der überlebte

Nachtrag, 13:52 Uhr: Die Berichterstattung von RTL und RTL.de ist leider kein Stück besser. Online sind Fotos der Mutter ohne irgendeine Unkenntlichmachung zu sehen. Auch RTL, seit rund eineinhalb Jahren inhaltlich von der ehemaligen “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch verantwortet, hat Reporterteams in Solingen vor Ort. Eine Reporterin hat ebenfalls mit dem Zwölfjährigen ein Interview geführt, in dem dieser von den privaten Nachrichten seines elfjährigen Freundes erzählt. Diese Nachrichten werden bei RTL.de auch zitiert. Der Zwölfjährige ist unverpixelt zu sehen, sein vollständiger Name wird eingeblendet. Es gibt allerdings einen Unterschied zur Berichterstattung bei Bild.de: Bei RTL sagt der Zwölfjährige, dass er zwar bei dem Elfjährigen angerufen habe, aber eine andere Person den Anruf angenommen habe – er also gar nicht mit seinem Freund am Telefon gesprochen habe. Das würde der Bild.de-Schlagzeile “Freund […] telefonierte mit dem Sohn, der überlebte” und einigen Behauptungen im dazugehörigen Artikel widersprechen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Kein Schutz für den Angeklagten, kein Schutz für die Opfer

Vor dem Landgericht Wiesbaden läuft derzeit ein Prozess gegen einen Mann, dem unter anderem schwerer sexueller Missbrauch von vier Kindern vorgeworfen wird. Die “Bild”-Zeitung berichtet heute groß in ihrer Bundesausgabe über das Verfahren und druckt dazu zwei Fotos: Das eine zeigt den Angeklagten, der sich das Gesicht mit einem Briefumschlag verdeckt, im Gerichtssaal. Das andere, eine ältere Aufnahme, zeigt ihn am Schreibtisch sitzend, das Gesicht klar erkennbar. “Bild” hat nichts verpixelt:

Ausriss Bild-Zeitung - Ein Opfer war erst elf Monate alt - Familienvater soll eigene Töchter missbraucht haben
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Auch bei Bild.de ist das Schreibtisch-Foto unverpixelt zu sehen.

Die fehlende Unkenntlichmachung ist natürlich kein Versehen, kein Flüchtigkeitsfehler, sondern genau so von der “Bild”-Redaktion gewollt. Sie hat es noch nie sonderlich interessiert, dass ein Angeklagter kein verurteilter Täter ist, und dass in Deutschland die Unschuldsvermutung gilt (und selbst eine eventuelle Verurteilung bedeutet nicht automatisch, dass man das Gesicht des Mannes einfach zeigen darf).

Neben dem Schutz des Angeklagten kommt in diesem Fall aber noch, zumindest indirekt, ein weiterer Aspekt hinzu, den “Bild” missachtet: der Schutz der Opfer. In der “Bild”-Überschrift ist nicht zu überlesen, dass es sich bei den Opfern um die Töchter des Angeklagten handele. Wer den Angeklagten kennt und dank der “Bild”-Redaktion auf dem Foto erkennt, weiß direkt, um wen es sich bei den Opfern handeln muss. Da bringt es auch nichts, dass im Artikel bei Bild.de die Vornamen der Opfer von der Redaktion geändert wurden.

Der Prozess in Wiesbaden findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – auf Antrag der Nebenklage und zum Schutz der Opfer. Der “Spiegel” schreibt: “Zu groß sei die Gefahr, dass sich eine Veröffentlichung negativ auf die weitere Entwicklung der Kinder auswirken könnte, sagte die Vorsitzende Richterin Annette Honnef.”

Mit Dank an @MartinTheRookie, @Wooloo_Mooloo und @Diag72 für die Hinweise!

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Kurz-Bilder, Bolsonaro-System, Sobessernicht-Interview mit Meuthen

1. Warum Sebastian Kurz beim EU-Gipfel auf den Fotos in Österreichs Medien so gut aussieht
(moment.at, Tom Schaffer)
Wenn der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Fotos eine gute Figur abgibt, liege dies oft an seinem Mitarbeiter, dem Fotografen Arno Melicharek, der seinen Chef und Auftraggeber geschickt in Szene setze. Und daran, dass Agenturen und Redaktionen die Bilder des Kanzleramts-Fotografen nur allzu gern übernähmen, weil es Geld und Aufwand spare: “Wohlgemerkt ist all das kein Fehler von Melicharek, sondern einer von weiten Teilen der österreichischen Medienlandschaft. Die hat nicht nur keine journalistischen FotografInnen mitgeschickt, keine vor Ort beauftragt und viel zu oft auch keine anderen Bilder von anderen Agenturen übernommen, sondern uns dann auch noch (einmal mehr) PR-Fotos als unabhängige Berichterstattung verkauft.”

2. “Bild”, “Welt” und “FAZ” brechen ein, “Zeit” mit Rekord
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Print-Auflagenentwicklung im zweiten Quartal dieses Jahres verlief einmal mehr unerfreulich für viele Verlage: Zum generellen Abwärtstrend sei bei manchen Titeln der coronabedingte Wegfall der “Bordexemplare” hinzugekommen, die kostenfrei auf Flügen verteilt werden. Beim “Focus” seien allein durch den “Bordexemplar”-Effekt über 65.000 Exemplare, nun ja, abhanden gekommen, was das gewaltige Auflagen-Minus von 30,5 Prozent zumindest teilweise erkläre. Auch die Auflagen von “Bild”, “Welt” und “FAZ” seien eingebrochen, während die “Zeit” einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt habe.

3. Mehr als aus der Zeit gefallen
(deutschlandfunkkultur.de, Timo Grampes, Audio: 6:51 Minuten)
Bei Deutschlandfunk Kultur geht es um den ersten Kinofilm des Komikers Otto Waalkes aus dem Jahr 1985. “Otto – Der Film” wirke “mehr als aus der Zeit gefallen” und enthalte Szenen, die von vielen als rassistisch empfunden würden. Der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins erklärt, warum das so sei: “Rassismus soll und muss thematisiert werden. Er darf gerne auch persifliert werden, denn er ist ja nicht nur tödlich und gewaltvoll, sondern auch extrem lächerlich.” Dies müsse jedoch passieren, ohne den Rassismus “einfach nur plump zu wiederholen”.

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4. Prozessauftakt gegen Stephan B. – Die Verantwortung der Medien
(mdr.de, Roland Jäger)
Gestern hat der Prozess gegen Stephan B. begonnen, der am ersten Prozesstag unter anderem den Anschlag auf eine Synagoge in Halle gestanden hat. Während andere Angeklagte die öffentliche Aufmerksamkeit eher scheuen, wolle der von rechtsextremen Gedanken getriebene B. mit vollem Namen genannt werden und dürfe gern unverpixelt gezeigt werden. Auf diese Selbstinszenierung und politische Vermarktung der Tat sollten sich die Medien nicht einlassen, findet Roland Jäger vom MDR: “Weil er diese Theorien und Einstellungen nach wie vor versucht weiterzutragen, dauert das Attentat an. Es liegt in der Verantwortung von uns Prozessberichterstattern, den Opfern und Betroffenen gerecht zu werden – und die Ansichten des Angeklagten nicht weiterzuverbreiten. Nur so kann das Attentat wirklich enden.”

5. RSF-Quartalsbericht: Hetze und Desinformation
(reporter-ohne-grenzen.de)
Dass Brasilien in der Rangliste der Pressefreiheit lediglich auf Platz 107 von 180 Staaten steht, hat laut Reporter ohne Grenzen mit dem sogenannten Bolsonaro-System zu tun: “Während Brasilien so schwer von der Corona-Krise getroffen ist wie kaum ein anderes Land der Welt, sehen sich Journalistinnen und Journalisten mit einer beispiellosen Welle des Hasses konfrontiert. Anfang des Jahres hetzte vor allem Präsident Jair Bolsonaro selbst gegen Medienschaffende, in den vergangenen drei Monaten taten sich vor allem seine Familie, seine engsten Regierungsmitglieder und seine treue Online-Anhängerschaft hervor.”

6. Sommerinterview mit Jörg Meuthen: So besser nicht
(ndr.de, Sebastian Friedrich)
“Das Sommerinterview mit Jörg Meuthen ist ein Lehrstück, wie man besser nicht mit einem AfD-Politiker spricht”, so Sebastian Friedrichs Urteil über das 25-minütige Gespräch der ARD mit dem Bundessprecher der AfD. Der Interviewer habe es Meuthen zu leicht gemacht, zu wenig nachgefasst und ihm altbekannte Zitate von Parteikollegen vorgelegt, die ihn zu wenig herausgefordert hätten.

Pixelproblem, Wonach riecht die “taz”?, Schafft die Pressestellen ab

1. Wenn der Schein trügt
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Unter Verweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hieß es in vielen Meldungen, dass Fotografinnen und Fotografen Personenfotos bei der Weitergabe an Redaktionen nicht verpixeln müssten. Ganz so einfach sei es jedoch nicht, stellt der Jurist Felix W. Zimmermann fest: “Das BVerfG hat im Beschluss zwar postuliert, dass Journalisten grundsätzlich Bildmaterial nicht verpixeln müssen. Doch entgegen des selbst aufgestellten Grundsatzes zeigt die Begründung der Entscheidung, dass freie Journalisten nur dann auf der sicheren Seite sind, wenn sie Personenfotos verpixelt weitergeben. Denn der Grundsatz wird an strenge Voraussetzungen geknüpft. Hält der Journalist sie nicht ein, macht er sich strafbar. Im Beschluss liegt daher keine Stärkung der Pressefreiheit, sondern eine Erschwerung des freien Informationsaustausches von Journalisten.”

2. Angriff auf Kamerateam: Jetzt steht auch RTL in der Kritik
(rnd.de)
Vergangenen Dienstag wurde ein TV-Team des Senders RTL in Köln angegriffen. Nun sei ein Video aufgetaucht, das den Konflikt zeige, aber auch kritikwürdige Äußerungen des RTL-Teams dokumentiere. Der Privatsender hat sich dazu in einer Pressemitteilung geäußert: “Ein Szeneaussteiger, der für die Filmaufnahmen ebenfalls im Auto des Drehteams sitzt, ist dabei zu hören, wie er pauschal herabwürdigende Aussagen gegenüber der Minderheit der Sinti und Roma macht. Diese Äußerungen sind inakzeptabel, die Redaktion distanziert sich aufs Schärfste davon und drückt ihr tiefes Bedauern aus.”

3. Das Plattformgrundgesetz
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Das geplante “Digitale-Dienste-Gesetz” der EU sei dazu geeignet, die digitale Welt für immer zu verändern, so Alexander Fanta. Ein erster Entwurf des “Plattformgrundgesetzes” werde Ende des Jahres erwartet. Es gehe darum, die Marktmacht von Plattformkonzernen wie Google und Amazon zu beschränken und eine europaweite Vereinheitlichung der Spielregeln durchzuführen. Das Gesetz ziele auch auf Facebook. Eine europaweite Aufsichtsstruktur solle sicherstellen, dass die Plattformen ihre rechtlichen Verpflichtungen bei Datenschutz, Inhaltemoderation und anderen Fragen einhalten.

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4. Vom Lückenfüller zur Design-Ikone
(sueddeutsche.de, Oliver Klasen)
“Süddeutsche”-Redakteur Oliver Klasen huldigt einer ikonographischen Instanz des linearen Fernsehens von gestern: dem Testbild. Ein Experte vom Institut für Rundfunktechnik erklärt, warum die Sender derartige Bildtafeln ursprünglich einführten: “Das Testbild war ein Platzhalter, mit dem der Fernsehservicetechniker die Funktionsfähigkeit überprüfen konnte. Das war wichtig in Zeiten, in denen nur zwei Stunden pro Tag gesendet wurde und man über weite Strecken kein richtiges Programm hatte.”

5. Best of Informationsfreiheit: Schafft die Pressestellen ab!
(heise.de, Arne Semsrott)
Arne Semsrott von der Transparenzinitiative “FragDenStaat” hat sich den Frust über das seiner Meinung nach wenig konstruktive Verhalten behördlicher Pressestellen von der Seele geschrieben: “Wer heutzutage bei einer Pressestelle eines Bundesministeriums anruft, verschenkt Zeit. Kaum eine Anfrage wird von den Beamten direkt am Telefon beantwortet, stattdessen muss man Fragen nochmals per Mail zuschicken. Antworten kommen danach oft zu spät, sind zu vage und bieten in der Regel keinen echten Mehrwert.” Semsrotts Vorschlag: “Wem an einer fundierten und sachlichen gesellschaftlichen Debatte gelegen ist, sollte sich dafür einsetzen, dass die Social-Media-Manager der deutschen Behörden mit Bots ersetzt werden. Die können dann regelmäßig Behördeninfos vertwittern, fertig, aus.”

6. Wonach riecht die taz?
(instagram.com, Benjamin von Stuckrad-Barre, Video: 7:30 Minuten)
“Die Luft riecht nach Entscheidung, nach Arbeit und Hotel. Wonach riecht die taz?” Benjamin von Stuckrad-Barre hat zusammen mit Karolina Deubele einen Film über die “taz” gedreht und auf seinem Instagram-Kanal veröffentlicht.

Pflicht zum Pixeln, Polizeiliches Twittern, Scheuers Wahrheiten

1. Die Pflicht zum Pixeln liegt bei der Redaktion
(sueddeutsche.de, Wolfgang Janisch)
Das Bundesverfassungsgericht hat die Strafe gegen einen Fotografen wegen fehlender Verpixelung aufgehoben. Die Unkenntlichmachung liege nicht in seiner Verantwortung, sondern sei Aufgabe der Redaktion. Die Kammer habe klargestellt, “dass es Pressefotografen und Journalisten möglich sein muss, ohne Furcht vor Strafe unverpixeltes Bildmaterial an Redaktionen zu liefern. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch eine spätere Veröffentlichung besteht auch dann nicht, wenn die Zulieferer die Veröffentlichung aktiv anstreben.” Das sei jedoch kein Freibrief für Bildjournalisten, so der justizpolitische “SZ”-Korrespondent Wolfgang Janisch: “Fotografen müssen den Redaktionen sehr wohl die konkreten Umstände einer Aufnahme offenlegen, jedenfalls dann, wenn dies entscheidend für den Schutz der Betroffenen sein kann. Denn dass der Gang vor den Strafrichter für Fotografen völlig ausgeschlossen wäre – das hat das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt.”

2. Scheuers “taktisches Verhältnis zur Wahrheit”
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 4:30 Minuten)
Der “Spiegel”-Journalist Gerald Traufetter kommentiert das Verhalten des Bundesverkehrsministeriums im Umgang mit Medienanfragen. Traufetter wirft Verkehrsminister Andreas Scheuer ein “taktisches Verhältnis zur Wahrheit” vor. Dem NDR und WDR vorliegende E-Mails aus dem Ministerium würden zeigen, dass Scheuers Kommunikationsabteilung eine Anfrage des “Spiegel” “torpedieren” wollte. Anscheinend eine besondere Ausprägung des dort vorherrschenden “strategischen Medienmanagements”, zu dem offenbar auch gehört, Interviews zur PR-Arbeit zu verweigern.

3. Boykott-Organisatoren erkennen bei Facebook keinen Willen zur Veränderung
(spiegel.de)
Facebook wird immer wieder vorgeworfen, zu wenig gegen Hass und Hetze zu unternehmen – eine Kritik, die schließlich zu einem weltweiten Werbeboykott führte. Dem Sozialen Netzwerk liegt mittlerweile der Bericht einer zweijährigen externen Untersuchung vor, der angeblich zu Veränderungen führen soll. Die Organisatoren des Werbeboykotts zeigten sich jedoch nach Gesprächen mit der Facebook-Spitze pessimistisch, was den tatsächlichen Veränderungswillen des Konzerns anbelangt.
Weiterer Lesehinweis: Das Aufständchen gegen Facebook (spiegel.de, Patrick Beuth).

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4. Corona-Ausfallfonds für Filmproduktionen
(mmm.verdi.de)
Zur Absicherung von Filmproduktionen hat die Bundesregierung ein Corona-Hilfspaket aufgelegt, einen mit 50 Millionen Euro ausgestatteten Fonds. Nun zieht das Land Nordrhein-Westfalen nach und kündigt die Bereitstellung von 10 Millionen Euro an. Diese Gelder sollen vor allem kleineren und mittleren Produktionsunternehmen helfen, die wegen fehlender Ausfallversicherungen oft vor einer Rückkehr zum Normalbetrieb zurückschrecken würden.

5. Die zehn besten Tipps fürs Bloggen
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Vielleicht ist es nicht mehr der ganz große Hype, dennoch wird in Deutschland oft und gerne gebloggt. Blogger Christof Herrmann hat dem “Fachjournalist” seine zehn Tipps fürs Bloggen verraten. Dabei geht es um Themen wie Inhalte, Technik, Zielgruppe und Vernetzung, aber auch um den menschlichen Aspekt: “Worauf ich achte, wenn ich selbst einen Blog lese: Auf jeden Fall ist mir wichtig, dass eine persönliche Komponente dabei ist, eine wirkliche Person ihre Erfahrungen mit einbringt.”

6. Warum Polizeibehörden nicht beliebig twittern dürfen
(netzpolitik.org, Friedrich Schmitt)
Der Jurist Friedrich Schmitt kommentiert die gelegentlich etwas flapsige Kommunikation von Polizeibehörden beispielsweise auf Twitter. Polizeiliche Social-Media-Arbeit müsse nicht in erster Linie “locker” oder “lustig” sein, sondern vor allem rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen, die Grundrechte achten und mit der Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung vereinbar sein. “Die Öffentlichkeitsarbeit ist zwar das Recht und die Pflicht aller staatlichen Stellen. (…) Dabei darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass es sich bei der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit um die Ausübung hoheitlicher Gewalt handelt, die nur in den Grenzen des (Verfassungs-)Rechts zulässig ist und sich deshalb nicht ‘frei’ auf Twitter und Co. entfalten kann.”

Wenigstens werden diesmal keine Witwen geschüttelt

20 Millionen Euro soll der Axel-Springer-Verlag derzeit in den Versuch stecken, “Bild” auch als (Live-)Video-Plattform zu etablieren. Das kann schon aus rein inhaltlicher Sicht kein wohltätiges Projekt sein und das soll es sicher auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht sein – Springer will mit “Bild TV” Geld verdienen.

Das soll vor allem durch Werbung reinkommen. Seit ein paar Wochen kann man beobachten, wie das beim “Bild”-Fernsehen aussieht: In der Fußball-Talk-Sendung “Reif ist live” mit Marcel Reif ist seit einigen Folgen auf ganz geschickte und natürliche Weise eine Produktplatzierung eingebunden. Nicht mit dem Holzhammer – das würde ja stören und kaum wirken -, sondern feinfühlig, wie man es von “Bild” gewohnt ist. Aber seht selbst:

In einem Prospekt (PDF) präsentiert der Springer-Vermarkter Media Impact die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen Firmen in “Reif ist live” werben können. Auch dabei: “PRODUCT PLACEMENT”. Wie viel Müllermilch dafür bezahlt hat, dass der Chefredakteur des “Bild”-“Sport-Kompetenzcenters” Matthias Brügelmann die Flaschen schüttelt, als hätte er schon immer mal einen Sex on the Beach mit einem Augenzwinkern servieren wollen, oder der “Bild”-Sportchef Walter M. Straten verzweifelt nach Überleitungen sucht, die ihn nicht komplett wie einen Werbeheini aussehen lassen, erfährt man dort leider nicht.

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Aber kommt dieses Bauerntheater bei den “Bild”-Zuschauerinnen und -Zuschauern an? Lohnt sich das eifrige Werbeschütteln? Die Reaktionen unter den entsprechenden “Reif ist live”-Youtube-Videos lauten:

Wegen dieser beschissenen Werbung werde ich mir nie wieder auch nur 1 einzige Flasche Müller Milch kaufen.

Und auf einmal schüttelt er sich die müllermilch, ich Dreh ab

Dieses geschüttel während einer Fragestellung .. unmöglich

Reif Ehrenmann rührt Müllermilch nicht an

Ihr macht euch mit dieser Müllermilch lächerlich!!

Hahahaha der schüttelt die Müller Milch und legt sie wieder hin hahahah

Böse Zungen behaupten, der Bild-Sportmodertor geht nach jeder Talkshow erst einmal brechen.

Sorry, das ist so affig und zum Fremdschämen… geschüttelt, nicht gerührt. Wie fremdgesteuert muss hier geschüttelt werden… :-)

Also ich mochte Müller Milch aber jetzt würde ich das nicht mehr kaufen das nenne ich mal Werbung

Oh je ist das schlecht mit der Müllermilch, Leute lasst es einfach weg bitte und versucht nicht noch Werbeeinnahmen zu generieren.

Die Müller Milch Werbung ist einfach peinlich.

Diese unfassbar dumme Werbung ist soooooooooo peinlich und zum fremdschämen. Einfach nur lächerlich.

Diese Werbung nervt ungemein

Wie Horny die Müllermilch geschüttelt wird.

Verstehe ja, dass man Werbung macht um Geld zu verdienen aber das war schon sehr aufgesetzt und wirkte unangenehm unnatürlich.

Bild, einfach nur peinlich, wie immer !!! Warum hält er die Flasche nicht einfach debil grinsend direkt in die Kamera. Dann weiss auch der letzte wie seriöser Journalismus funktioniert !!

… wir könnten hier noch lange weitermachen.

Mit Dank an J. A. für den Hinweis!

Bei Mordverdacht macht “Bild” einen Deutschen wieder zum Flüchtling

Wann ist man eigentlich Deutscher? Also so richtig deutsch, akzeptiert sogar von der “Bild”-Redaktion? Braucht man dafür einen deutschen Namen, deutsche Vorfahren, ein irgendwie geartetes deutsches Aussehen? Muss man in Deutschland geboren sein? Oder reicht die deutsche Staatsbürgerschaft?

In Leipzig soll ein Mann seine Ex-Freundin getötet haben. Der 30-Jährige ist Deutscher mit deutschem Pass und lebt seit knapp 25 Jahren in Deutschland. Als 6-Jähriger flüchteten er und seine Familie aus Afghanistan, was bei dieser Geschichte eigentlich keine Rolle spielen sollte. “Bild” und Bild.de sehen das offenbar anders. Denn wenn man möglicherweise zum Straftäter geworden ist, dann kann man noch so lange schon in Deutschland leben und einen noch so deutschen Pass haben. Dann ist man direkt: einstiger “Vorzeigeflüchtling”, wie die “Bild”-Redaktion in einem Facebook-Teaser schreibt.

Mehrere Tage berichteten die “Bild”-Medien in der vergangenen Woche über den Fall. In ihrer Leipzig-Ausgabe titelte die “Bild”-Zeitung am Mittwoch:

Ausriss Bild-Zeitung - Myriams Killer war mal ein Musterbeispiel gelungener Integration

Man kann nur mutmaßen, was der Leserschaft eine solche Überschrift sagen soll — hängen bleibt aber irgendein Zusammenhang zwischen Migration und Gewaltverbrechen. Und dann noch nicht mal von irgendeinem sowieso schon kriminellen Dahergelaufenen verübt, sondern von einem “Musterbeispiel gelungener Integration”. Wenn jetzt die sogar schon …

Die Onlineversion des Artikels wurde über 4000 Mal bei Facebook geteilt, von AfD-Politikern und -Ortsverbänden, von der NPD, von “Pegida”, von Facebookgruppen mit Namen wie “Büdingen wehrt sich — Asylflut stoppen”, “Klartext für Deutschland — FREI statt bunt” und “Aufbruch deutscher Patrioten”. Sie alle stürzen sich auf die Bezeichnungen “Vorzeigeflüchtling” und “Musterbeispiel gelungener Integration”. Die “Bild”-Redaktion weiß sehr genau, für wen sie schreibt.

Den viel passenderen größeren Zusammenhang lässt sie hingegen außen vor: Gewalt gegen Frauen. Der Tod der Frau in Leipzig reiht sich ein in die zahlreichen Frauenmorde, die hierzulande und überall auf der Welt eine traurige Alltäglichkeit haben. Wegen Fällen wie diesem gab es in letzter Zeit Debatten zu verharmlosenden Bezeichnungen in Medien wie “Beziehungsdrama”: Gewalttaten in Beziehungen sollen nicht mehr als einzelne “Tragödien” beschrieben werden, sondern als strukturelles Problem. Die dpa kündigte beispielsweise an, künftig auf Begriffe wie “Familientragödie” verzichten zu wollen.

Anders Bild.de. Als die genauen Hintergründe der Tat in Leipzig noch nicht bekannt waren, titelte die Redaktion:

War der Mordversuch eine Beziehungstat?

Kolumnistin Katja Thorwarth schrieb vergangenes Jahr in der “Frankfurter Rundschau” darüber, “warum Mord keine ‘Beziehungstat’ ist”. Solche Überlegungen scheinen an “Bild” spurlos vorbeizugehen.

Das gilt auch für Überlegungen zu Persönlichkeitsrechten: Regelmäßig veröffentlichen die “Bild”-Medien unverpixelte Fotos von Tatopfern und von bisher nicht verurteilten Tatverdächtigen. Die Unschuldsvermutung ist der Redaktion eher lästig. Und so lässt “Bild” auch diese Gelegenheit nicht aus und zeigt sowohl ein Foto der Getöteten als auch eines des mutmaßlichen Täters ohne jegliche Unkenntlichmachung.

Das Foto der Getöteten hat “Bild” vom Facebook-Account der Frau:

Screenshot Bild.de - Foto: Facebook

Dabei hatte der Deutsche Presserat schon vergangenen Dezember festgestellt:

Facebookeintrag kein Freibrief für Verwendung von Opferfotos

Konkret ging es damals um einen Fall, bei dem Bild.de ein Foto einer getöteten Frau von Facebook gezogen und veröffentlicht hatte — für den Presserat ein Verstoß gegen den Opferschutz. Der Ehemann des Opfers sei in den Sozialen Netzwerken zwar offen mit dem Tod seiner Frau umgegangen, so das Gremium, trotzdem hätte die “Bild”-Redaktion eine Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder einholen müssen:

Die Veröffentlichung von Fotos und Angaben zu Opfern durch die Angehörigen in sozialen Netzwerken ist nicht gleichzusetzen mit einer Zustimmung zu einer identifizierenden Darstellung in den Medien.

Gab es für die “Bild”-Berichterstattung aus Leipzig so eine Zustimmung? “Bild”-Sprecher Christian Senft wollte sich dazu nicht äußern: Man kommentiere, “wie üblich”, keine redaktionellen Entscheidungen. Nach unserer Anfrage hat die Redaktion die Fotos des Opfers bei Bild.de verpixelt.

Mit Dank an Maria T. und anonym für die Hinweise!

Nachtrag, 23:24 Uhr: Mit dem Herauskramen der Bezeichnung “Vorzeigeflüchtling” ist die “Bild”-Redaktion nicht allein. Auch Sächsische.de bezeichnet den Tatverdächtigen in einem später erschienenen Artikel so.

Mit Dank an @doestrei für den Hinweis!

Nachtrag, 21. April: Auch die “Leipziger Volkszeitung” berichtet von dem Fall und schreibt über den Tatverdächtigen, er sei ein “Musterbeispiel gelungener Integration” gewesen.

“Tag24” bekommt es hin, den Mord an der Frau sprachlich auf ganz besondere Weise zu verharmlosen: Die Redaktion schreibt vom “dramatischen Höhepunkt einer toxischen Liebe im Sozialarbeiter-Milieu”.

Mit Dank an @RASSISMUSTOETET für den Hinweis!

Heute anonym XXVII

Redaktionen bekommen es ja bekanntermaßen nicht immer hin, eine Anonymisierung von Personen, über die sie berichten, nicht nur anzufangen, sondern auch konsequent durchzuziehen. Das gilt leider auch für Mopo.de:

Screenshot Mopo.de - Horst N. (55) ist ... - Dazu zeigt die Redaktion eine Foto des uniformierten Polizisten, auf dem das Namensschild des Mannes zu erkennen ist
(Verpixelungen durch uns.)

Wäre es nicht vielleicht eine gute Idee, auch das Schild mit dem Nachnamen des Mannes unkenntlich zu machen, wenn man den Nachnamen des Mannes in der Bildunterschrift schon extra abkürzt? Sollte die Redaktion möglicherweise, wenn sie sowieso schon dabei ist, dann nicht auch die öffentliche Position des Polizisten, die ziemlich flott Rückschlüsse auf seinen Namen zulässt, aus dem Beitrag streichen (folgt in der Bildunterschrift nach “Horst N. (55) ist”)? Und wie wäre es, auch gleich noch das Gesicht zu verpixeln, das bisher nicht verpixelt ist, sollte das Ziel des abgekürzten Nachnamens tatsächlich Anonymität gewesen sein?

Mit Dank an @yeboah17 für den Hinweis!

Nachtrag, 15:03 Uhr: Vielleicht waren wir mit unserem Vorwurf etwas vorschnell: Der Artikel ist Teil einer “Mopo”-Serie über “Hamburgs Helden in der Corona-Krise”. Zum Konzept dieser Serie scheint zu gehören, dass die Nachnamen der interviewten Personen immer abgekürzt werden — ob nun beim Busfahrer, beim Chefarzt oder bei der Friseurin. Alle diese Personen sind im Foto (unverpixelt) zu sehen. Im Gegensatz zum Polizisten ist bei den anderen allerdings nie ein Namensschild mit dem vollen Nachnamen erkennbar.

Dass wir zu doof waren, dieses Konzept zu verstehen — dafür möchten wir um Entschuldigung bitten. Die Diskrepanz zwischen Bildunterschrift mit abgekürztem Nachnamen und Bild mit vollem Nachnamen im Falle des Polizisten halten wir aber immer noch für eine merkwürdige Lösung.

Mit Dank an @noplacetohide für den Hinweis!

“Bild” zeigt ohne Rücksicht Fotos getöteter Kinder

In Dresden läuft derzeit ein Prozess gegen einen Mann, der seine beiden Kinder getötet haben soll. Die “Bild”-Medien berichten seit mehreren Wochen über Fall und haben für den Angeklagten, der bei der Tat Bauschaum verwendet haben soll, auch schon eine boulevardtaugliche Bezeichnung gefunden: Es handele sich um “den mutmaßlichen Bauschaum-Killer”.

Ebenfalls “Bild”- und boulevardtypisch zeigt die Redaktion wiederholt Fotos der Kinder, die getötet wurden, ohne jegliche Unkenntlichmachung. Als Quelle gibt sie an: “Foto: Privat”.

Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Mutter (oder der Vater) einer Veröffentlichung der unverpixelten Kinderfotos zugestimmt hat. Bisher haben wir keine Antwort erhalten. Wir wollten von Senft auch wissen, woher die “Bild”-Medien die Fotos haben. Darauf gab es ebenfalls keine Antwort.

Im Artikel zum dritten Prozesstag berichtet Bild.de über die Aussage der Mutter vor Gericht. Auch in diesem Beitrag zeigt die Redaktion wieder unverpixelte Fotos der Kinder. Außerdem veröffentlicht sie ein Foto der Frau “auf dem Weg ins Gericht”, aufgenommen von einem “Bild”-Fotografen, ungeachtet der Tatsache, dass die Frau versucht, sich mit einem Schal vor Aufnahmen zu schützen. Am Ende des Textes erfährt man über sie:

M[.] ist schwer traumatisiert, befindet sich in Therapie.

Wir haben bei Christian Senft nachgefragt, ob die “Bild”-Redaktion abgewägt hat, die Fotos der getöteten Kinder aus Rücksicht auf die Mutter, die laut Bild.de “schwer traumatisiert” sei und sich “in Therapie” befinde, nicht zu veröffentlichen. Der “Bild”-Sprecher hat darauf nicht geantwortet.

Gestern erschien der neueste Artikel zum Thema, sowohl bei Bild.de als auch in der Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung. Die Redaktion verknüpft darin den einen Fall mit einem anderen, bei dem ebenfalls zwei Kinder getötet wurden, und der Vater bereits verurteilt wurde. Die Kinder und die Mütter hatten sich, auf der Flucht vor den Vätern, in einem Frauenhaus kennengelernt und angefreundet:

Ausriss Bild-Zeitung - S. und M. und M. und L. - Alle tot! Warum die vier Freunde von ihren Vätern ermordet wurden
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Auch hier haben wir bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob der Redaktion eine Erlaubnis vorliegt, die Fotos der zwei anderen Kinder ohne Unkenntlichmachung zu drucken. Eine Antwort haben wir nicht bekommen. Als Fotocredit ist einmal der Name des bereits erwähnten “Bild”-Fotografen angegeben und: “FACEBOOK”.

Die vermeintliche Antwort auf die Frage in der Unterzeile, “warum die vier Freunde von ihren Vätern ermordet wurden”, liefert der Text direkt im ersten Satz:

Die schrecklichen Doppelmorde von Dresden — Väter töteten ihr Liebstes, weil die Mutter der Kleinen sie verlassen hatte.

Damit übernimmt “Bild” eins zu eins die Perspektive des bereits verurteilten beziehungsweise des mutmaßlichen Täters.

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