Suchergebnisse für ‘rufmord’

Der Kokain-Skandal-Skandal

Am Nachmittag des 30. Juni klingelte bei Dieter Schroth, dem Lebensgefährten des Modedesigners Harald Glööckler, das Telefon. Der Anrufer war ein Reporter von der “Bild”-Zeitung. Er konfrontierte Schroth damit, dass Harald Glööckler in einen Kokain-Skandal verwickelt sei. Schroth reagierte verdutzt und erklärte, dass dies mit Sicherheit nicht stimme. Er bat den Anrufer, sich an die Presseagentur von Glööckler zu wenden. Doch das tat der Anrufer nicht. Er meldete sich überhaupt nicht mehr.

Stattdessen erschien am nächsten Morgen diese Titelgeschichte:

Harald Glööckler - KOKAIN-SKANDAL! Strafverfahren gegen Modezar

Nach BILD-Informationen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Modezar Harald Glööckler (48). Es geht um den Verdacht von Drogenbesitz – möglicherweise sogar Drogenhandel! […] Der Verdacht: Bei den Lieferungen soll es um mehr als zehn Gramm Kokain gegangen sein.

[…] Ein Zeuge hatte detailliert gesagt, wann und wo der Modedesigner das Kokain gekauft haben soll. […] Glööckler erklärte gestern über seinen Lebensgefährten Dieter Schroth, die Vorwürfe seien “an den Haaren herbeigezogen”.

Noch am selben Tag gab Harald Glööckler eine Pressekonferenz und dementierte die Vorwürfe. Spätestens jetzt stiegen neben den (Noch-)SpringerBlättern auch andere Medien in die Berichterstattung über den “Kokain-Skandal” ein. Und die “Bild”-Zeitung nutzte den von ihr selbst entfachten “Wirbel” gleich für eine weitere Titelgeschichte:So verkokst ist die Promi-Welt - Was hinter den Kulissen wirklich abgeht +++ Wie die Droge gehandelt wird +++ Warum Modezar Glööckler von Rufmord spricht

Fast eine komplette Seite widmete “Bild” dem Thema:hier erklärt Glööckler, dass er kein Köökser ist - Der Weg der Droge nach Deutschland - Wie glaubwürdig ist der Zeuge, der Glööckler belastet? - Kokain - die Droge der Stars - In BILD berichtet ein insider, was hinter den Kulissen wirklich abgeht. Er tut es anonym, er will ja weiter eingeladen werden

Auch am Tag darauf bekam es einen Platz im Blatt:Für 3,98 Euro könnte Glööckler seine Unschuld beweisen - [...] DAS LIESSE SICH GANZ EINFACH ÜBERPRÜFEN! Wer z.B. bei seinen Kindern aufklären will, ob Drogen konsumiert wurden, kann einen sogenannten "Drogenschnelltest" in der Apothkee kaufen. Das Ergebnis liegt in wenigen Minuten vor [...]

Bild.de zeigte unterdessen eine Infografik zu den beliebtesten Schmuggel-Routen, listete bekannte Koks-Skandale auf und fragte: “Ist das Glööckler-Imperium in Gefahr?”

Tagelang wurde der “Skandal” ausgeschlachtet. Er sei “DAS Gesprächsthema”, verkündete das Blatt am dritten Tag stolz. Womit es nicht ganz unrecht hatte: Insgesamt zählten Glööcklers Anwälte später etwa 3.000 Medienberichte zu dem Fall – jeder davon beruhte einzig auf den “Enthüllungen” der “Bild”-Zeitung. Denn die Staatsanwaltschaft schwieg.

Zwei Wochen später erklärte das Landgericht Köln die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de per einstweiliger Verfügung für unzulässig. Unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro wurde den Springer-Medien verboten, die wesentlichen Aussagen zum angeblichen “Kokain-Skandal” weiter zu veröffentlichen. Bild.de hielt sich daran und löschte alle betreffenden Artikel und Textpassagen.

Mit seiner Entscheidung folgte das Gericht einem Antrag von Glööcklers Anwälten. Die hatten argumentiert, die Berichterstattung sei “insgesamt rechtswidrig, weil sie gegen die höchstrichterlichen Grundsätze der sogenannten Verdachtsberichterstattung” verstoße.

In der Tat gelten in solchen Fällen besonders strenge Regeln für Journalisten. Um über angebliche Straftaten berichten zu dürfen, müssen zunächst ausreichende Verdachtsmomente vorliegen. Der Bundesgerichtshof verlangt daher einen “Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen.” Ein solcher Mindestbestand liegt zum Beispiel vor, wenn ein Haftbefehl erlassen worden ist oder die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat. Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genügt in der Regel jedoch nicht, um eine Berichterstattung zu rechtfertigen.

Im Fall Glööckler gab es weder einen Haftbefehl noch eine Anklage, sondern lediglich ein Ermittlungsverfahren, das auf einer anonymen Anzeige beruhte. Schon aus diesem Grund hätte die “Bild”-Zeitung nach Ansicht von Glööcklers Anwälten nicht über das Ermittlungsverfahren berichten dürfen. Dass sie es dennoch getan hat, sei eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Außerdem habe der Reporter dem Beschuldigten “keine hinreichende Möglichkeit” eingeräumt, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Der Reporter habe weder mit der Presseagentur noch mit dem Management noch mit Glööckler selbst gesprochen. Stattdessen habe man Glööcklers Lebensgefährten an einem Sonntagnachmittag mit den Vorwürfen überrumpelt, nicht mal 24 Stunden vor der geplanten Veröffentlichung. Der Reporter habe mit unterdrückter Nummer angerufen und Angaben gemacht, die sich im Nachhinein zum Teil als nachweislich falsch herausgestellt hätten.

Auch die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de sei “in wesentlichen Teilen unwahr”, heißt es im Antrag auf die einstweilige Verfügung:

So befindet sich in der gesamten Strafakte kein einziger Hinweis darauf, dass es um größere Mengen von “mehr als zehn Gramm Kokain” gehen […] soll. Ebenso falsch ist der mehrfach geäußerte Verdacht, dass es in dem Verfahren […] auch um Handel mit der Droge ging.

Tatsächlich zeigten sich selbst die Ermittlungsbehörden überrascht von den Erkenntnissen, über die die Reporter angeblich verfügten: In einem Vermerk schrieb die ermittelnde Kriminalkommissarin, es sei “unbekannt”, woher “die Informationen der BILD-Zeitung stammen”. In dem anonymen Anzeigenschreiben seien die “Angaben über die Menge, die Zeit sowie den Ort des Erwerbs” jedenfalls nicht enthalten.

In der vergangenen Woche stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Harald Glööckler mangels Tatverdacht schließlich ein.

Glööckler teilte am Montag mit, er wolle auch weiterhin gegen die Springer-Medien vorgehen. Der “angebliche Kokain-Skandal” sei “in Wirklichkeit ein Medien-Skandal”. Sein Anwalt Christian-Oliver Moser kündigte an, Schadenersatz in einer “historischen Höhe” zu fordern und “notfalls bis zur höchsten europäischen Instanz” zu gehen.

Es geht uns darum, die bewusst in Kauf genommene wirtschaftliche und soziale Vernichtung von Existenzen zugunsten der verkauften Auflage endlich gestoppt wird. Das funktioniert aber nur, wenn die wirtschaftlichen Folgen eines derartigen Rufmordes auch für einen der größten Verlage Europas tatsächlich spürbar sind.

Und schon jetzt zeigt die Ankündigung offenbar Wirkung: Die “Bild”-Zeitung berichtete gestern über die Einstellung des Verfahrens genauso prominent wie über dessen Eröffnung:

Harald Glööckler - Staatsanwalt fegt Koks-Verdacht vom Tisch!

PS: Die “Rheinische Post” hat vergangene Woche in der Düsseldorfer Print-Ausgabe und online eine Gegendarstellung veröffentlicht:

In der “Rheinischen Post” vom 08.07.2013, Seite 8, verbreiten Sie unter der Überschrift “Harald Glööckler lässt in Düsseldorf bitten” im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über meinen PR-Auftritt auf der Messe “Little Gallery” am 07.07.2013 über mich Folgendes:

“Glööckler (…) sprach von Verleumdung durch die ‘Bild’-Zeitung, der er in Düsseldorf vor der Veranstaltung ein Exklusiv-Interview gewährte.”

Hierzu stelle ich fest: Ich habe der “Bild” kein Interview gegeben.
Harald Glööckler

Facebook, E-Mails, Taubstumme

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Warum beschweren sich deutsche Verleger nicht schon längst über Facebook?”
(carta.info, Wolfgang Tischer)
Wolfgang Tischer fragt: Warum beklagen sich deutsche Zeitungsverleger über Google, aber nicht über Facebook?

2. “Taubstumme Rentner können NUR gebärden”
(taubenschlag.de, Bernd)
Taubenschlag, ein Portal für Gehörlose und Schwerhörige, widmet sich der gestrigen “Bild”-Titelschlagzeile “Taubstumme Rentner um 2000 Euro geprellt”.

3. “17 Tipps gegen die Mail-Flut”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo erklärt, wie man E-Mails so verfasst, “dass die Chance auf eine Rückmail minimiert wird”.

4. “Literaturkritik, rechtsdrehend”
(welt.de, Richard Kämmerlings)
Richard Kämmerlings befasst sich mit dem Nachfolge-Artikel von Georg Diez im “Spiegel”, “eine Art ‘Making-of’ seines versuchten ‘Rufmords’ an Christian Kracht, wie es der Verlag Kiepenheuer & Witsch genannt hat”. “Bezeichnend, dass Diez es in seiner wortreichen Replik nicht für nötig hält, auf das weitverbreitete ‘Unbehagen’ an seiner unseriösen Methode näher einzugehen. Als Freibrief genügt ihm die Erkenntnis, dass ‘Journalismus etwas anderes als Germanistik’ sei. Genaues Lesen, das Erkennen von Zitaten und Anspielungen, kurz all das, was als Handwerkszeug des Kritikers gilt, hält Diez offenbar für spießig, am Ende vielleicht selbst für ein Erbteil dumpfen rechten deutschen Denkens.”

5. “Radiosender muss 200.000 Euro wegen Falschmeldung an FC Barcelona zahlen”
(arena-info.com)
Ein Reporter von “Cadena Cope” hatte Spielern des Fußballclubs FC Barcelona Doping unterstellt. Ein Gericht verurteilte den Radiosender nun zur Sendung einer Gegendarstellung und zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von 200.000 Euro.

6. “How Science Reporting Works”
(smbc-comics.com, englisch)
(Quelle nachträglich korrigiert.)

Gerüchterstattung

Es ist schon ein Kreuz mit dem Twitter-Journalismus oder der “neuen Medienwelt”, wie sie Thomas Schuler heute auf der Medienseite der “Süddeutschen Zeitung” anhand von Gerüchten über den Gouverneur des US-Bundesstaats New York beschreibt:


Manchmal schicken Journalisten heute eine Frage über das Internet raus und nennen das Recherche. Erkundungen über die Stichhaltigkeit des Gerüchts, die eigentlich vor der Entscheidung über eine Veröffentlichung steht, machen das Gerücht bereits öffentlich.

Und weiter:

Alle greifen die Twitter-Frage von Koblin auf und rechtfertigen damit ihre Berichte. New York Post, Daily News, Talkradio, Huffingtonpost.com, AP, Reuters, die Online-Ausgabe der Washington Post - alle berichten. Sie nennen die Gerüchte Gerüchte, das schon. Aber sie verbreiten sie und sie befördern den Rufmord.

Doch man muss nicht nach Amerika schweifen, um diesen Medien-Mechanismus zu betrachten. Um zu sehen, wie die Berichterstattung Gerüchterstattung funktioniert, kann der Leser der “SZ” auch einfach zwei Seiten weiter blättern. Dort, mitten im Wirtschaftsteil, berichtet gerüchtet die “Süddeutsche” selbst. Über Kim Schmitz, den C-Prominenten der deutschen IT-Szene der 90er Jahre, gibt es nämlich neue Fakten Informationen. Nunja:

Der inzwischen 36-Jährige hat im Leben schon viele Rollen verkörpert: Einst ein vermeintlich genialer Hacker, dann ein scheinbar erfolgreicher Unternehmer, schließlich ein verurteilter Betrüger, und dann nur noch ein Phantom. Nun soll er wieder aufgetaucht sein. Das zumindest glaubt die neuseeländische Zeitung New Zealand Herald. Sie will den verschollenen "Kimble" gefunden haben, und zwar als Käufer einer der teuersten Villen des Inselstaates.

Das mag richtig sein oder auch nicht – mehr als einen anonymen Insider weiß auch der “New Zealand Herald” nicht zu zitieren. Dies ist freilich ein Informationsweg, der gerade in Sachen Kim Schmitz chronisch unzuverlässig ist. Aber die “Süddeutsche” hat nicht einfach nur Gerüchte abgeschrieben, sondern sogar recherchiert:

Seine längst stillgelegten Websites sind bis heute auf die Firma Kimpire Ltd mit Geschäftsadresse in der Metropole registriert. Kim Schmitz war dort am Montag weder telefonisch noch per E-Mail erreichbar.

Und so wird aus einem unbestätigten Gerücht ein – nunja – unbestätigtes Gerücht.

Warum sich deutsche Leser für den angeblichen Hauskauf 23000 Kilometer entfernt interessieren sollten, lässt die “Süddeutsche Zeitung” freilich offen – es ist schlichtweg ein willkommener Anlass, die uralten Kimble-Stories noch einmal zu erzählen.

Der Branchendienst “Meedia” versuchte bereits am Montag die Dringlichkeit dieser Fast-Informationen zu vermitteln. Nicht neue Fakten, sondern das gewaltige Medienecho ist Anlaß für die Berichterstattung:

New Economy-Hochstapler zurück in den Schlagzeilen

Das Wort “Schlagzeilen” ist freilich eine gewagte Interpretation der Sachlage, denn mehr als den einen Bericht einer neuseeländischen Zeitung hatte es bis dahin nicht gegeben.

Und der IT-Nachrichtendienst “Golem” fantasierte am Montag gar von einer öffentliche Verlautbarung des notorisch lauten Schmitz. Nicht ein anonymer Insider, Schmitz selbst habe sich sich in den Medien zurückgemeldet:

Kim Schmitz meldet sich zurück

Aber wen interessieren schon Details, schließlich ist die Medienspirale längst in Gang gesetzt: Aus Gerüchten sind Schlagzeilen geworden, die dann von weiteren Medien zitiert werden können. So zum Beispiel am Dienstagnachmittag von der Online-Ausgabe des österreichischen “Standard”, die den Artikel der “Süddeutschen” dankbar abschreibt aufgreift.

Obwohl die Geschichte damit durch die Hände von fünf Redaktionen gegangen ist, ist nicht einen Deut klarer, ob das Gerücht mehr als ein wildes Gerücht ist. Aber das ist egal. Denn wie es Alexander Becker bei Meedia formuliert:

Mittlerweile finden sich im Web so viele Gerüchte, Geschichten und Anekdoten über den vermeintlichen Hacker, dass sich Wahrheit und Fakten nur noch schwer trennen lassen. Damit hat der vermeintliche Kauf der Chrisco Mansion alles, was eine gute Schmitz-Story braucht. Fortsetzung folgt garantiert.

Nachtrag, 18.2.: Am Mittwoch hat auch die “Abendzeitung” das Gerücht aufgegriffen – die Münchner haben wenigstens pro forma eine E-Mail verschickt.

Und am Donnerstag hat schließlich auch Bild.de die Nicht-Nachricht entdeckt und präsentiert sie natürlich brandheiß und inaktuell. Obwohl die “Bild” Schmitz über Jahre unkritisch jede PR-Eskapade geglaubt hat, weiß die Redaktion jetzt nicht einmal von einem misslungenen Kontaktversuch mit dem “Prahlhans” zu berichten.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Die Rückkehr der “naturgeilen Nymphen”

Über drei Jahre ist es her, dass Christian Bommarius in der “Berliner Zeitung” mit der “Bild”-Zeitung abrechnete. In der Rezension einer anderen Abrechnung mit der “Bild”-Zeitung schrieb er:

Kein deutsches Medium versteht sich besser auf das Geschäft mit der Lüge, der Heuchelei, dem Rufmord und der Zuhälterei mittels “Bumskontakten” als die Bild-Zeitung. Der Blick des Voyeurs ist ihre Perspektive, die Umwidmung der Welt zur Jauchegrube ihr heiligstes Anliegen. (…) Kein Tag vergeht, an dem nicht ein Politiker, eingebettet zwischen “naturgeilen Nymphen” und “megaheißen Citymäusen”, eine Position einnimmt, allen voran Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Spätestens seit Papst Johannes Paul II. aus den Händen des “Bild”-Herausgebers und Chefredakteurs Kai Diekmann die “Volksbibel” empfing, ist auch der Pakt zwischen Hochaltar und Rinnstein besiegelt.

Kai Diekmann ist ein nachtragender Mensch, und als der Künstler Peter Lenk dem bigotten Tun des “Bild”-Chefredakteurs jetzt mit einem Relief am Redaktionsgebäude der “taz” ein Denkmal setzte, nutzte Diekmann die Gelegenheit, es Bommarius heimzuzahlen. Er münzte die Darstellung seiner eigenen Person auf den Kritiker, zeigte ein Foto von ihm und beschrieb ihn in seinem Blog so:

Christian Bommarius, Sexperte der Berliner Zeitung, der sich so gerne in einschlägigen Kleinanzeigen (“naturgeile Nymphen”, “megaheiße Citymäuse”) vertieft.

Laut einem Bericht der “Süddeutschen Zeitung” hat Bommarius beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen das unter Diekmanns Namen geführte Blog der Axel Springer AG erwirkt. Der dortige Eintrag ist entsprechend geändert. Auch zahlreiche weitere Behauptungen und Schmähungen haben die Gegner, an denen sich Diekmann in seinem Blog abarbeitet, ihm inzwischen erfolgreich untersagt.

6 vor 9

1. “Rufmord 2.0”
(polylog.tv, Frederik Fischer und Anna-Zoe Schmidt, Video, 5:45 Minuten)
Polylog.tv, Grimme Online Award Preisträger 2007, erklärt, wie man im Internet für 10 Euro im Monat “den Ruf im Abonnement” retten kann und stellt Blogger als grundsätzlich verantwortungslose Wesen dar.

2. Interview mit Fabien Baron
(welt.de, Adriano Sack)
“Er gestaltete die französische ‘Vogue’, Madonnas ‘Sex’-Buch und auch Kate Moss legte sich für ihn schon nackt auf ein Sofa: Der Art-Director Fabien Baron prägt seit 15 Jahren die Ästhetik von Werbung, Zeitschriften und Verpackungen. Nun soll er Andy Warhols legendäres Magazin ‘Interview’ wiederbeleben.”

3. “Drei Sausäcke auf einem Haufen”
(sueddeutsche.de, C. Kortmann)
Eine TV-Kritik über “Qualitäts-Quatsch”: “Vor allem Gottschalk amüsierte sich prächtig, als genieße es der Malibu-Halbrentner, im Fernsehen mal nicht mit aufwändig frisierten, aber rhetorisch bescheiden bemittelten Gestalten auf dem Sofa zu hocken.”

4. “Hecheln auf dem Parkett”
(freitag.de, Dietrich Leder)
“Das ist die große, bunte Aktien-Show, die alles grau und trostlos macht: ‘Börse im Ersten‘ in den Zeiten der Krise.”

5. “über musik schreiben ist wie zu architektur tanzen”
(indiestreber.de, matze)
Neue Musikmagazin-Test-Serie bei indiestreber.de. Erstes Testobjekt: Rolling Stone.

6. “The Gawker Guide To A Journalism Career”
(gawker.com, Hamilton Nolan)
“So, you want to be a journalist? Ha ha ha. Jeez. Your timing sucks.”

  

Die verlorene Ehre des Andreas Türck

Von Sabine Sasse*

*) Erschienen unter dem Titel “Die Justiz und die Medien — Die Berichterstattung im Prozess gegen den TV-Moderator Andreas Türck” in “Rufmord und Medienopfer” von Christian Schertz und Thomas Schuler (Hg.), Christoph Links Verlag, Berlin, 2007, 272 Seiten, Euro 19,90.
Leicht gekürzter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Am Ende gab es nur Verlierer: eine junge Frau, deren Privatleben über Wochen hinweg bis ins letzte Detail ausgeleuchtet und durch die Gazetten geschleift worden war und die nun als neurotisches, essgestörtes, psychisch labiles Mädchen mit einem Hang zu schnellem Sex und Drogen dastand; einen jungen Mann, der eine verheißungsvolle Zukunft als Moderator vor sich hatte, der beliebt und umschwärmt war und dem nun das Etikett “möglicher Vergewaltiger, arroganter Aufreißer und zynischer Frauenverachter” anhaftete und dessen Karriere ruiniert war; eine Presse, die mehr urteilte als berichtete, kübelweise Schmutz über die beiden ausgoss und ihnen den letzten Rest von Würde nahm; sowie eine Justiz, deren Motivation, diesen Fall zur Anklage zu bringen, bis heute im Dunkeln liegt.

“Ich muss ja jetzt mitmachen”

Es geht um den Prozess gegen Andreas Türck, der im Jahr 2005 angeklagt worden war, eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Türck, geboren 1968, hat von 1998 bis 2002 auf ProSieben den täglichen Nachmittagstalk Andreas Türck moderiert und danach auf demselben Sender die Chart-Show. Im Jahr 2000 hatten ihn die Leserinnen des Frauenmagazins Amica zum “Erotischsten TV-Entertainer Deutschlands” gewählt. In der Nacht vom 24. auf den 25. August 2002 soll er Katharina B., eine junge Bankangestellte, die er kurz zuvor in einer Bar kennengelernt hatte, auf der Frankfurter Honsell-Brücke unter Gewaltanwendung zum Oralverkehr gezwungen haben. Der Vorfall passierte in Gegenwart eines damaligen Freundes von Türck und einer Freundin von B., die in Sichtweite standen und zwar den Akt beobachten konnten, aber nichts von einer Gewaltanwendung bemerkten. Auch kurz nach dem Tête-à-Tête deutete nichts im Verhalten von B. auf eine Vergewaltigung hin. B. wirkte laut späteren Aussagen der Beteiligten aufgekratzt, Türck eher peinlich berührt. Danach trennte man sich.

Noch in derselben Nacht erzählte B. telefonisch einem Freund, sie sei von Türck vergewaltigt worden, was der allerdings nicht glaubte, weil Katharina B. — das sagte er später vor Gericht aus — erst zwei Wochen vorher behauptet hatte, von zwei Jugoslawen vergewaltigt worden zu sein, was sich später als Lüge erwies. Was die beiden nicht wussten, war, dass B.s Bekannter wegen des Verdachts des Drogenhandels von der Polizei abgehört wurde, die auf diesem Wege Kenntnis von der Vergewaltigung erhielt. Um den Einsatz gegen den Dealer nicht zu gefährden, unternahmen die Beamten jedoch erst einmal nichts. Erst ein halbes Jahr später, nachdem der Mann dingfest gemacht worden war, tauchten Polizisten am Arbeitsplatz von Katharina B., einer Bank, auf und setzten sie unter Druck, Anzeige gegen Türck zu erstatten. Sie weigerte sich erst, brach dann aber ein und tat, wie ihr geheißen. Der Psychologin, die vor Gericht als Sachverständige auftrat, soll sie gesagt haben: “Ich muss ja jetzt mitmachen, sonst habe ich selbst noch ein Strafverfahren am Hals.”1

Am 3. April 2003 morgens um halb acht stand die Polizei vor Türcks Wohnung. Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall. Türck beteuerte, dass er keinerlei Gewalt angewendet habe und die Initiative von Katharina B. ausgegangen sei.

Eine mediale Lawine

Über ein Jahr lang zogen sich die Ermittlungen hin, ohne dass irgendjemand Wind von der Sache bekam. Anfang 2004 zeichnete sich dann ab, dass der Prozess für die Staatsanwaltschaft nicht zu gewinnen war. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Sachverständigen-Gutachten hatte auf schwere Auffälligkeiten des angeblichen Vergewaltigungsopfers Katharina B. hingewiesen, die von massiver Einschränkung der Aussagezuverlässigkeit, einer “Neigung, sich sozial erwünscht zu präsentieren”, von Drogenkonsum, Essstörungen und psychischer Labilität bis hin zu schweren Wahrnehmungsstörungen reichten. Trotzdem hielt die Staatsanwaltschaft an der Eröffnung des Prozesses fest. Und dann geschah etwas Seltsames: Plötzlich, geradezu aus heiterem Himmel, erfuhren die Medien von den Ermittlungen. Aber es waren weder Bild noch der Spiegel oder die Süddeutsche Zeitung, die die Sache aufdeckten, sondern Maintower, ein Regionalmagazin im Dritten Programm des Hessischen Rundfunks, dessen Rubriken wie “Ich und mein Garten” oder “Neues von der IAA” nicht gerade auf ausgeklü­gelte investigative Recherchetätigkeiten schließen lassen.

“Bild”-Schlagzeilen über die Ermittlungen

“Staatsanwalt ermittelt gegen TV-Star Andreas Türck”
“Unfassbarer Verdacht gegen den TV-Star: Hat Andreas Türck eine junge Frau (27) gewürgt und vergewaltigt?”
(23.3.2004)

“TV-Verbot für Andreas Türck: Pro7 feuerte ihn! Er bestreitet die Tat! Anwalt räumt sexuellen Kontakt ein!”
“Vergewaltigungs-Drama: Bringt diese Frau Andreas Türck hinter Gitter?”
(24.3.2004)

“‘Ich gehe durch die Hölle’. Der Fall Andreas Türck. Der unfassbare Vergewaltigungs-Verdacht: in BILD spricht heute das Mädchen, das den TV-Star belastet”
“Vergewaltigungs-Drama Andreas Türck. Jetzt spricht das Mädchen”
(25.3.2004)

“Andreas Türck sucht Zuflucht bei seinen Eltern … wie erklärt er ihnen alles?”
“Juristen erwarten Anklage wegen Vergewaltigung schon im nächsten Monat”
(26.3.2004)

“Wer sind die geheimnisvollen Zeugen? Affäre Andreas Türck”
(27.3.2004)

“Fall Andreas Türck: Staatsanwälte bei ProSieben”
(29.4.2004)

“Was trieb Andreas Türck am Arbeitsplatz? Personalakten bei PRO 7 beschlagnahmt!”
(30.4.2004)


(27.5.2004)

Die Sendung am 22. März 2004, in der die Vorwürfe gegen Türck publik gemacht wurden, trat eine mediale Lawine los. Am nächsten Tag berichteten Zeitungen, Onlineplattformen, Radio- und Fernsehsender flächendeckend vom mutmaßlichen Vergewaltiger Türck, der eine junge Frau, die er gerade kennengelernt hatte, “brutal vor einer Gaststätte vergewaltigt” haben sollte. Bild phantasierte unter “Berufung auf die Polizei”, es bestehe der Verdacht, dass Türck die Frau “in einer Seitenstraße” zu Boden geworfen und vergewaltigt habe, und startete einen regelrechten Diffamierungsfeldzug gegen Türck, in dem auch gleich die unfreiwillige Nebenklägerin Katharina B. schwer beschädigt wurde. ProSieben ließ zwar verkünden, dass man an die Unschuld des Moderators glaube, beurlaubte ihn aber noch am selben Tag.

Wer die Redaktion informiert hat, ist bis heute ungeklärt. Die beiden damals mit dem Fall beauftragten HR-Reporter geben unter Hinweis auf Informantenschutz ihre Quelle erwartungsgemäß nicht preis. Auch die Staatsanwaltschaft bestritt auf telefonische Anfrage vehement, irgendwelche Hinweise an die Medien gegeben zu haben. Erstens, so die Begründung, wäre das ein schwerer Fall von Amtspflichtverletzung, und zweitens: Was hätte sie davon gehabt?

Nach Faktenlage eine ganze Menge. Denn ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung war ein möglicher Schaden für den Angeklagten Türck nicht durch den Prozess verursacht, sondern durch die Berichterstattung in den Medien. Ein schöner Nebeneffekt, der durchaus geeignet ist, das Land Hessen vor einem Schadensersatzanspruch des Angeklagten zu bewahren.

Auf ewig stigmatisiert

Bereits vor Beginn des Prozesses und auch während dessen konnte man immer wieder lesen, dass, egal wie das Urteil ausgeht, die Fernsehkarriere von Andreas Türck vorbei sei. So orakelte die Bunte: “Unabhängig davon, wie das Urteil (voraussichtlich am 8. September) ausfallen wird — seinen TV-Job hat er bereits 2003 verloren. Und selbst bei einem Freispruch wird ein Makel vermutlich ewig haften bleiben.” “Das Kopfkino der meisten Menschen ist darauf programmiert, sich negative Dinge zu merken, auch wenn sie unwahr sind”, weiß Psychologin Christine Baumanns. Und: “Andreas Türck ist selbst nach einem Freispruch auf ewig stigmatisiert. Man wird in Zukunft ganz genau beobachten, wie er sich zu Frauen verhält.”2 Und die Zeit schrieb: “Andreas Türck hat von jetzt an ein düsteres Kapitel in seiner öffentlichen Biografie. Was einmal in den Medien und den Archiven ist, das lässt sich nicht ungeschehen machen in einer Gesellschaft, in der das Private auf so viel Interesse unter Zuschauern und Lesern stößt.”3 Das ist wohl war. Googelt man Andreas Türck, findet man auf den ersten Seiten der 47 600 Einträge fast ausschließlich Meldungen und Berichte über die Anklage und den Prozess.

Obwohl Andreas Türck nur einer von vielen Daily-Talk-Moderatoren war, in deren Sendungen die Leute aufeinander losgingen und peinliche Dinge aus ihrem Privatleben enthüllten, und obwohl er diese Sendung schon längst nicht mehr moderierte, wurde er nicht nur der Vergewaltigung angeklagt, sondern stand auch gleich als Vertreter des gesamten sogenannten Unterschichtenfernsehens vor Gericht.

“Es ist nicht die Prominenz des Angeklagten allein, die den Fall zum Medienereignis gemacht hat, zum öffentlichen Porno, den die Boulevardpresse genüsslich vorführt”, schrieb Jörg Burger am 1. September 2005 in der Zeit. “Allen voran Bild weidet sich an kleinsten Details, mit Tatortskizzen und einer Sex-Akte Türck”. Darin schmähen ihn ehemalige Kollegen als gewaltbereiten Schnö­sel. Es ist seine Vergangenheit als einer, der in den Niederungen des “Affektfernsehens” wühlte, der dafür sorgte, dass Menschen sich anbrüllten, aufeinander losgingen. Der Saubermann als Sexverbrecher, der Richter über andere Menschen nun selbst als Angeklagter — aus diesem Rollentausch bezieht das Drama Attraktion.

Für Bild war er schuldig

Über mehr als vier Wochen hinweg konnten Türck und mit ihm elf Millionen Bild-Konsumenten täglich lesen, was für ein mieser, verachtenswerter Charakter er doch sei. Beobachteten Bild-Reporter, wie Türck beim Betreten des Gerichtssaals einen Blick auf den Block der Gerichtszeichnerin warf, wurde er sogleich der Eitelkeit bezichtigt, als einer, den selbst angesichts dieser ernsten Situation nichts brennender interessierte als die Frage, ob er gut getroffen sei. Egal, was Türck auch tat, wie er sich anzog, wie er schaute, ob er lächelte oder nicht: Für Bild war er schuldig, und wenn er auch kein Vergewaltiger war, so war er doch zumindest “ein Verachter”: ein Verachter von Frauen, einer, der es zugelassen hat, dass ihn nachts auf einer Frankfurter Brücke eine Zufallsbekanntschaft oral befriedigt. Wenn dafür schon keine jahrelange Gefängnisstrafe möglich ist, dann doch wenigstens gesellschaftliche Ächtung. Um das zu erreichen, haben Bild und Bild am Sonntag (BamS) ordentlich am Rad gedreht.

Bild sollte nie irgendein Boulevard-Blatt, sondern eine Volkszeitung sein”, erklärte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann am 15. September 2005 in der FAZ “Also Anwalt der Leser, Zuhörer, Ratgeber, Verteidiger, Helfer. Übersetzt heißt das: Bild sagt nicht nur, was passiert. Bild sagt auch, was die Republik fühlt. Die Schlagzeile ›Wir sind Papst‹ ist dafür ein Beispiel: Hier wurde die nationale Euphorie unbefangen auf den Punkt gebracht. Das ist unser Anliegen: zu dokumentieren, was die Menschen beschäftigt, was sie emotional umtreibt. Bild ist, um es mit einer Metapher aus der eher linken Ecke zu formulieren, die gedruckte Barrikade der Straße. Das ist ihre Macht.” Auf die Frage zur Berichterstattung über den Prozess gegen Andreas Türck antwortete Diekmann: “Dass wir nach der Eröffnung den Prozessverlauf mit allen be- und entlastenden Entwicklungen dokumentierten, ist bei einem Fernsehstar wie Türck so selbstverständlich wie bei O. J. Simpson oder Michael Jackson. Dafür sind Medien schließlich da.”

Die Berichterstattung von Bild und BamS ging über die reine Dokumentation jedoch weit hinaus. Es wurde Stimmung gemacht, besonders gegen Türck. Bild berichtete über den Prozess (Aktenzeichen AZ 6350JS207691/ 2003), vorwiegend groß bebildert auf der ersten Seite, unter anderem so: “Protokoll der Sex-Nacht” (4. 8.), “Sex im Drogenrausch? Sensationeller erster Tag im Prozess” (10.8.), “Die Sex-Akte Türck. Er braucht 6 Minuten, um eine Frau aufzureißen” (11. 8.), “Heute wird sie gefragt, ob sie Unterwäsche trug” (16. 8.), “Katharina (29) weinte gestern vor Gericht. So hat Türck mich vergewaltigt” (17. 8.), “Sie hat mir die Hose aufgeknöpft” (19. 8.), “Neuer Zeuge belastet das angebliche Opfer. Wollte SIE Türck aufreißen?” (24. 8.), “Neue Sex-Enthüllung. Wenige Tage nach Türck hatte sie schon wieder Sex” (26. 8.), “Hat sie sich alles nur eingebildet?” (31. 8.), “Gutachter glauben angeblichem Opfer nicht” (2. 9.), “Sieger Türck. Aber wird er jemals wieder glücklich?” (7. 9.).

“Mit offener Hose”

Damit bei Türck ein Gefühl von Glück gar nicht erst aufkommen konnte, veröffentlichte die BamS am 14. August 2005, als bereits erhebliche Zweifel an seiner Schuld bestanden und ein Freispruch mehr als möglich war, ein abstoßendes Pamphlet mit der Überschrift: “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht”. In dem arbeitet sich der Autor mit besorgniserregender Wut an dem TV-Moderator ab, “der vor Gericht plötzlich von seinem erbärmlichen Leben eingeholt wird”. In dem Text wird über Türcks “Krawallsendungen” hergezogen, in der Themen behandelt wurden wie “Andreas, meine Brüste machen dich verrückt!”, aber dasselbe Blatt lebt u. a. davon, dass nackte Mädchen lasziv ihre “Hupen” und “Möpse” darbieten und Semiprominente sich über ihr Sexleben und ihre Beziehungsprobleme auslassen.

Türck wird vorgehalten, dass er ein Mensch sei, der nur wenige Begabungen vorzuweisen habe, dessen Aktivitäten niemanden interessieren und dessen “Rückweg in die vorhersehbare Bedeutungslosigkeit” nur dadurch kurz gestoppt worden sei, dass er “etwas Unvorhersehbares tat”. Nur deshalb sitze er nicht im “Dschungelcamp”, “sondern als Angeklagter auf einem blauen Polsterstuhl im Saal 165 C des Frankfurter Landgerichts”, und niemand müsse also Mitleid mit ihm empfinden. Obwohl dem Berichterstatter zu diesem Zeitpunkt eigentlich hätte klar sein müssen, dass “am Ende dieses schäbigen kleinen Prozesses, der in einem schäbigen kleinen Saal stattfindet” (in Wirklichkeit war es der größte Gerichtssaal, den der Frankfurter Justizkomplex zu bieten hat), Türck mit höchster Wahrscheinlichkeit aufgrund widersprüchlicher Aussagen und mangelnder Beweise freigesprochen wird, ist der Mann für die BamS schuldig und verdient es nicht, jemals wieder auf die Beine oder eben “ins Licht” zu kommen. Und obwohl das alles “so schäbig, so klein” war, berichteten Bild und BamS an jedem Verhandlungstag und darüber hinaus in groß aufgemachten Artikeln über den Prozess und seine Beteiligten. Andreas Türck stand “gleichsam mit offener Hose vor der ganzen Nation”4, wie Gisela Friedrichsen im Spiegel treffend schrieb.

Die tragische Hauptperson

“Wir haben mit einer durchaus starken Berichterstattung gerechnet”, sagt Friederike Vilmar, Fachanwältin für Strafrecht und Nebenklagevertreterin,5 “aber das hat das, was wir erwartet haben, noch übertroffen. Auch in der Dauerhaftigkeit.” Frau B. sei durchaus auf den Medienansturm vorbereitet gewesen, sie sei “eine intelligente, arbeitende Mandantin. Natürlich kann man niemanden bewusst auf jede einzelne Situation vorbereiten, aber Frau B. war sich durchaus bewusst, was dort passieren kann.”

War sie das wirklich? Obwohl Andreas Türck im Mittelpunkt des Verfahrens stand und Anlass für das große Interesse war, war es im Endeffekt Katharina B., die zur tragischen Hauptperson mutierte. Jeden Tag war sie im Gerichtssaal und setzte sich den Blicken, den Fragen und den Kameras aus, was selbst die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock verwunderte. Während Türck auf Anraten seiner Verteidiger Dr. Susanne Wagner und Rüdiger Weidhaas konsequent schwieg, wurde vor allem ihr Leben ausgebreitet, von der Presse penibel dokumentiert und unters Volk gebracht: ihre sexuellen Ausschweifungen, ihr Hang zu Alkohol und Drogen, ihre Essstörungen, ihre Stimmungsschwankungen, ihre aufreizende Art Männern gegenüber, ihr Hang, Geschichten zu erfinden. Katharina B. wohnte nicht nur jeden Tag dem Prozess bei, sie lehnte sogar den Ausschluss der Öffentlichkeit ab, als es ihr die Vorsitzende Richterin anbot.

Detailliert bis zum Samenerguss

Bild gab die Vernehmung der Nebenklägerin im Wortlaut wieder, ihr Schluchzen und Weinen, den angeblichen Tathergang bis hin zu Fragen, ob sein Glied erigiert war und es zum Samenerguss kam. Für die Nebenklagevertreterin Friederike Vilmar war das “der Moment der Richtigstellung. Sie hatte überhaupt keine Chance mehr, weil die Presse vorher so viel Mist und Dreck geschrieben hat, dass sie dachte, dadurch vielleicht einiges korrigieren zu können. Schreiben tun sie sowieso. Dann sollen sie es auch hören”. Bild, die die Aussage als Wortlautprotokoll wiedergab, habe das dann auch “einigermaßen vernünftig dargestellt”. Ein Wortlautprotokoll sei ihr “allemal lieber, als wenn irgendeiner hingeht und etwas schreibt, was nicht so gesagt worden ist”. Sie glaubt aber auch, “dass die Medien ihren Teil dazu beigetragen haben, dass von Anfang an eine ganz klare Parteinahme in der Berichterstattung war, die uns sehr, sehr geschadet hat”.

Vor allem von der Berichterstattung der Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen war sie enttäuscht. “Da haben wir gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein.” Nach dem Prozess hat sie Chefredakteur Stefan Aust einen langen Brief geschrieben, in dem sie sich über die Art der Darstellung ihrer Mandantin, u. a. als “armes Hascherl”, verwahrte. Es habe sie verwundert, schrieb sie, dass bereits Frau Friedrichsens Artikel zum Prozessauftakt “eine klare Stellung gegen meine Mandantin und für Herrn Türck erkennen ließen. Diese Art der Verletzung des Neutralitätsgebots der Presse hatte ich von einer Spiegel-Mitarbeiterin, die sich selbst als Deutschlands bekannteste Gerichtsreporterin bezeichnet, nicht erwartet”.

In diesem Prozess nicht Partei zu ergreifen und sachlich zu bleiben, fiel jedoch auch anderen Medienvertretern schwer. Und so teilte sich die Berichterstattung frühzeitig in zwei Lager, in denen die Emotionen zeitweise so hochkochten, als gelte es, einen aus ihren Reihen zu verteidigen und den anderen möglichst bloßzustellen. Auffallend dabei ist, dass oft die weiblichen Reporter für Türck waren und Frau B. niedermachten, während sich einige männliche Kollegen -– wie Andreas Hauck in der BamS -– schützend vor Frau B. stellten und auf Türck eindroschen, als hätten sie noch eine persönliche Rechnung mit ihm offen.

Schämen für das eigene Geschlecht

Dieses interessante Verhalten erinnert an den Fall von Lisa Gier King, die 1999 angab, in einem Studentenwohnheim in Florida während einer Party, für die sie als Stripperin angeheuert worden war, vergewaltigt worden zu sein. Obwohl der gesamte, vier Stunden dauernde Abend mit zwei Kameras aufgezeichnet worden war (das Material wurde schließlich von dem US-Filmemacher Billy Corben zu dem Dokumentarfilm “Raw Deal – A Question of Consent” verarbeitet) und man alles sehen konnte, schieden sich am Ende die Geister darüber, ob das Gesehene eine Vergewaltigung war oder ob die Frau den Sex provoziert und freiwillig mitgemacht hatte. “Bei Vorführungen von ›Raw Deal‹ auf dem Sundance-Festival oder in Edinburgh war das Publikum jeweils tief gespalten: Die meisten Männer sagten hinterher, was sie gesehen hatten, sei eine Vergewaltigung gewesen. Die weiblichen Zuschauer fanden, Lisa Gier King habe sich alles selbst zuzuschreiben. Es ist, als würde jeder sich für die Rolle schämen, die sein Geschlecht in dem Stück spielt.”6

Nach zehn Verhandlungstagen sah sich die Staatsanwaltschaft — wie von Türcks Anwälten prophezeit — gezwungen, mangels Beweisen den Antrag auf Freispruch des Angeklagten Türck zu stellen. “Wir mussten ermitteln”, rechtfertigte sich Oberstaatsanwalt Hubert Harth daraufhin in Bild, “sonst hätten wir uns strafbar gemacht.” Und er wehrte sich mit einer entblößenden Erklärung gegen den Vorwurf, Türcks Prominenz könne ein Grund für die Anklage gewesen sein: “Ich kannte ihn überhaupt nicht. Und die anderen Kollegen sehen auch kein Unterschichts-TV.”

Von Anfang an keinerlei Beweise

Doch auch nach dem am 7. September angekündigten und am 9. September erfolgten Freispruch hatte Andreas Türck keinen Grund zum Jubeln. Während sich der Großteil der Medien zu diesem Zeitpunkt mit der Fragwürdigkeit des Prozesses beschäftigte und Kritik an Staatsanwaltschaft und Richterin übte, verging sich Bild unter einem durchsichtigen Deckmäntelchen der Empörung weiter an ihm. Das Blatt wies darauf hin, dass dieser Freispruch ja eigentlich nur ein Freispruch zweiter Klasse sei, weil man Türck die Vergewaltigung nicht beweisen könne — was beim Leser die Schlussfolgerung ermöglichte, er könne die Tat doch begangen haben. Marion Horn, damals Stellvertretende Chefredakteurin von Bild, schrieb einen seltsamen Kommentar, in dem sie Andreas Türck und Katharina B. als Opfer einer Justiz beklagte, “die diesen Prozess zuließ und vier Wochen lang ein schmutziges Gerichtsspektakel inszenierte”. Dann kommt ein interessantes Eingeständnis: “Von Anfang an war klar, dass die Staatsanwältin keinerlei Beweise hat. Von Anfang an war durch Gutachten bekannt, dass die Aussagen von Katharina B. nicht belastend sind. War die Staatsanwältin so naiv zu glauben, dass Türck im Prozess unter Tränen gestehen würde? Oder wollte sie berühmt werden? Der Türck-Prozess wirft ein miserables Licht auf unsere Justiz.”

Das Licht, das dieser Prozess auf Bild und BamS wirft, ist allerdings nicht besser, denn aus dem Kommentar wird deutlich, dass auch Bild offenbar frühzeitig klar war, dass gegen Türck wenig Glaubhaftes vorlag. Trotzdem brachte sie eine Titelgeschichte nach der anderen, in der er als möglicher Vergewaltiger angeprangert wurde. Marion Horn, die Türck als “abgehalfterten Ex-Moderator” bezeichnet, versteigt sich dann noch zu dem Satz: “Was aber das schlimmste ist: Frauen, denen sexuell Gewalt angetan wird (und das sind täglich 400!) werden sich in Zukunft fünfmal überlegen, ob sie dies zur Anzeige bringen.” Im Umkehrschluss könnte das heißen, dass ein Mann auch dann verurteilt werden sollte, wenn alles für seine Unschuld spricht, damit sich Frauen auch in Zukunft trauen, Vergewaltigungen anzuzeigen. Eine gefährliche Argumentation.

Auch in dem Bericht über das Prozessende im Innenteil des Blatts wird Türck weiter runtergemacht. Er habe “– soviel Schmutz bleibt hängen — eine Frau, die er gerade kennengelernt hat, irgendwie auf die Knie sinken und sich von ihr oral befriedigen lassen. Danach hat er sie an einer Tankstelle einfach abgesetzt. Kein Anstand, keine Achtung, die Frau als billiger Wegwerfartikel”.

Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner beschreibt die beiden abschließend als “Romeo und Julia durchgedreht”, “die sich wie Hunde nachts auf einer Brücke oral befriedigen”. Er findet, “dass die Liebe in dieser Nacht vergewaltigt wurde und die Liebe nicht zwischen den Beinen sitzt. Wie wollt ihr jemals lieben?”7 Eine Seite zuvor räkelt “Top-Modell Maria” ihren nackten Luxuskörper und bringt “Männer zum Weinen”. Ist das die Liebe, von der Wagner spricht? Lernt man hier den Anstand, den die Bild-Redaktion so vehement von Türck fordert?

Opfer von Medien und Justiz

Heribert Prantl, innenpolitischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung und ehemaliger Richter und Staatsanwalt, sagte in einem Interview mit SWF 3,8 dass Türck nicht hätte angeklagt werden dürfen und wenn doch, dass dieser Prozess in dem Fall nie hätte öffentlich verhandelt werden dürfen: “Diese Art des Voyeurismus, die Türcks Sendungen eigen war, jetzt in einem Strafprozess, einem öffentlichen Verfahren zu inszenieren, das geht zu weit. (…) Wenn das Strafverfahren diese Absicht ins Gegenteil verdreht, dass die Menschenwürde des echten oder angeblichen Opfers mit Füßen getreten wird und dann noch die Menschenwürde des Beschuldigten, in dem Fall des Moderators Andreas Türck, dann hat der Strafprozess nicht nur seinen Sinn nicht erreicht, sondern dann war er höchst schädlich.”

Andreas Türck und Katharina B. sind — und das macht den Fall so besonders — keine reinen Medienopfer. Sie sind ebenso Opfer einer Justiz, die mit allen Mitteln einen Prozess eröffnen wollte, der für sie von Anfang an nicht zu gewinnen war und den selbst die Nebenklägerin nicht wollte. Ohne die tendenziöse und vernichtende Berichterstattung der Boulevardpresse, allen voran Bild und Bild am Sonntag, wäre der Schaden für die beiden möglicherweise nicht ganz so groß geworden. So ist beides, die Art der Berichterstattung und die Pflichtwidrigkeit der Staatsanwaltschaft, kausal für die Katastrophe verantwortlich, die mit dem Prozess eingetreten ist.

“Mit den Folgen des Prozesses werden Katharina B. und Andreas Türck noch lange zu kämpfen haben”, vermutete auch Detlef Esslinger in der Südeutschen Zeitung.9 “Der Kammer wird auch klar gewesen sein, dass sie mit der Zulassung der Anklage die Karriere des Fernsehmoderators Türck zerstören würde. ProSieben nahm ihn sofort aus dem Programm, und vom Freispruch wird der Mann wenig haben, im Urteil der Öffentlichkeit wird er der Typ bleiben, der wegen Vergewaltigung vor Gericht stand. Warum ist nur dieses Verfahren jemals eröffnet worden?” Diese Frage wurde nie geklärt.

Katharina B. soll nach Aussagen ihrer Anwältin heute wieder ein normales Leben führen und auch noch immer bei der Bank beschäftigt sein. Andreas Türck zog sich nach dem Prozess aus der Öffentlichkeit zurück und lehnte Interviews zu seinem Fall und seiner beruflichen Zukunft konsequent ab. Im September 2007, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Urteil, tauchte er wieder auf und verkündete, gemeinsam mit der Mediaagentur “Pilot” den Ableger “Pilot Entertainment” gegründet zu haben, mit dem er in Zukunft “zielgruppengenaue Web-TV-Formate einschließlich der dazugehörigen Plattform” entwickeln und vermarkten wolle. Das Unternehmen erprobe seit einem Jahr Entertainment und Serviceformate, die den Anforderungen des Webs und Nutzerdialogs gerecht werden. “Meine Moderatorentätigkeit”, so Türck bei medienhandbuch.de am 29. September 2007, “steht dabei nicht an erster Stelle. Dennoch: Sag niemals nie.”

1) Bunte vom 1.9.2005
2) Bunte vom 25.8.2005
3) Zeit vom 8.9.2005
4) Spiegel vom 22.8.2005
5) Telefoninterview, geführt am 18.6.2007
6) Ansbert Kneip in: Der Spiegel, 13.9.2005
7) Alle Zitate aus Bild vom 8.9.2005
8) Südwestfunk, 3. Programm, 15.9.2005
9) Süddeutsche Zeitung vom 6.9.2005

Ein misslungener Selbstversuch


Christian Schertz, 41, ist Medienanwalt in Berlin. In den vergangenen Jahren setzte er in “Bild” und “BamS” u.a. Gegendarstellungen für Sabine Christiansen, Oliver Pocher, Nadja Auermann, Natalie Wörner, Katja Flint, Hannelore Hoger, Nora Tschirner, Karsten Speck, Sibel Kekilli, Cosma Shiva Hagen, Dieter Wedel, Günther Jauch und Alexandra Neldel durch. Schertz lehrt u.a. Medienrecht an der Potsdamer HFF und der FU Berlin — und stellt heute in Berlin gemeinsam mit Thomas Schuler das Buch “Rufmord und Medienopfer” vor.

Von Christian Schertz

Kein Zweifel: Auf BILDblog ist es angezeigt, sich kritisch mit “Bild” auseinanderzusetzen. Nur: Kritik kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet sinngemäß: “Die Kunst der Beurteilung”. Blattkritik — zu der ich von “Bild” noch nie eingeladen wurde — heißt also auch, Positives zu erwähnen. Daher mein Selbstversuch, die heutige “Bild”-Ausgabe nach Punkten zu durchforsten, die mir positiv auffallen, gewissermaßen als dialektischer Gegenentwurf zu BILDblog.

And here are the results:

Auf der Titelseite ist Nicolas Sarkozy “Verlierer” des Tages. “Bild” prangert zu Recht an, wie der französische Staatspräsident dem libyschen Staatschef Gaddafi (“Folter, Zensur und Menschen, die einfach verschwinden!”) fünf Tage einen roten Teppich ausrollt, um ihm ein Atomkraftwerk zu verkaufen.

Auf Seite 2 deckt Hugo Müller-Vogg in seinem Kommentar die Bigotterie christdemokratischer Politiker auf, die zumindest über Jahre ausschließlich das Lebensmodell “verheiratet mit Kindern” als Ideal gefeiert und vor allem dem Volk verkauft haben, dieses Modell aber immer seltener selbst leben nach dem Motto: “Wasser predigen und Wein trinken.” Müller-Vogg gelingt das Ganze auch noch, ohne bei den beschriebenen Fällen (Wulff, Oettinger, Pofalla) die Intimsphäre zu verletzen, da er lediglich öffentlich bekannte Fakten mitteilt und hieraus seine Schlüsse zieht. Hinzutritt, dass Frau Oettinger in einem Artikel neben dem Kommentar immerhin Fragen der “Bild” zu der Trennung, wenngleich abwiegelnd, beantwortet und damit selbst den heutigen Titel “Nach Ehe-Aus: Das sagt Frau Oettinger” ohne Not befördert hat. Wahrscheinlich war es wieder ein Überrumpelungsanruf, bei dem als presserechtliche Grundregel eigentlich gilt: Wenn man weitere Berichterstattung nicht befördern will, sagt man nichts, njet, kein Kommentar. Anders offenbar im Fall Oettinger.

Weiterhin fällt auf, dass die heutige “Bild” im Wesentlichen auch sonst ohne massive Eingriffe in die Privatsphäre auskommt. Lediglich ein “Abschuss” von Britney Spears, der sie beim Stehlen eines Feuerzeuges im Wert von 99 Cent an einer Tankstelle zeigt, lässt sich finden. Indes dürfte auch dieses Foto rechtlich nach der medialen Inszenierung von Frau Spears sogar zulässig sein.

Noch zu diesem Thema: Tatsächlich, ich kann es gar nicht glauben, ich finde kein Leser-Reporter-Foto! Jedenfalls in der Printausgabe. Mehrfach blättere ich die Zeitung durch. Ich finde keins.* Da wurde über Monate “das Phänomen Leser-Reporter” in den Feuilletons der überregionalen Tagespresse und den Medienmagazinen in Funk und Fernsehen diskutiert und angeprangert. Auch ich selbst war hieran beteiligt (“Massenweiser Aufruf zum Rechtsbruch”). Und dann stellt man fest, dass die “Bild”-Zeitung in ihrer Printausgabe jedenfalls eine tägliche Rubrik “Leser-Reporter” offensichtlich aufgegeben hat. Völlig unbemerkt. Nach dem Abklingen der Diskussion.

Vielleicht muss “Bild” ja auch die Privatsphäre von Menschen nicht mehr verletzen, da seit geraumer Zeit Prominente jeglicher Couleur zumeist unaufgefordert, jedenfalls ohne Not, sich zu dem aktuellen Zustand ihres Liebes- und Privatleben äußern. Während in der Vergangenheit viele Celebrities gut daran getan haben, ihre Privatsphäre zu schützen, häuft sich die Anzahl derjenigen, die mit O-Tönen wie: “Ja, es stimmt. Wir sind ein Paar.”; “Ja, es stimmt. Wir haben uns getrennt.” oder gleich in der Kombi “Ja, es stimmt. Ich habe mich getrennt und bin jetzt zusammen mit…” in die Öffentlichkeit gehen. BUNTE-Republik Deutschland.

Dennoch ist der Selbstversuch misslungen: Was die “Bild”-Zeitung heute auf Seite 2 mit dem offensichtlich traumatisierten Folter-Opfer Al-Masri macht (“Brandstifter und Schläger vor Gericht”) ist unfassbar, unentschuldbar, ein Nachtreten in Richtung Presserat und Betroffenen. Das Leben ist nicht fair.

*) Nachtrag zum misslungenen Selbstversuch, 16.47 Uhr: Jetzt habe ich sie doch gefunden, Leser-Reporter-Fotos auf Seite 12, insgesamt 5 Fotos von Frauen mit Rückentatoos. Dabei handelt es sich aber im Wortsinne nicht um Leser-Reporter-Fotos, sondern um Leser-Fotos — offensichtlich mit Einwilligung der Abgebildeten. In den Anfängen der Leser-Reporter-Fotos waren es noch vielfach Abschüsse von Prominenten ohne deren Zustimmung. Das erklärt auch, warum die Rubrik Leser-Reporter nicht mehr offensichtlich ins Auge fiel.

 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Klaus Vater.

6 vor 9

Vier Erben für ein Halleluja
(tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Wer darf die ?Süddeutsche Zeitung? kaufen? Ein Münchner Drama um eine Milliarde Euro.

Rufmord im Internet
(infoweek.ch, David Rosenthal)
Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, veröffentlichen auch geheime Informationen, und sie sind ein gefundenes Fressen für die Medien: Unzufriedene Mitarbeiter, welche über anonyme Blogs Stimmung gegen ihre Firma machen.

?Leben heißt lernen?
(merkur.de, Dieter Anschlag und Volker Nünning)
Werner Reuß, Leiter von Deutschlands einzigem Bildungskanal, über den grassierenden Wissensboom, die Zwänge des menschlichen Gehirns und geistreiches Fernsehen.

Lobbyisten-Boom in Bern
(blick.ch/sonntagsblick, Beat Kraushaar und Flurina Valsecchi)
Die Einflüsterer haben das Bundeshaus fest im Griff. Seit 2004 nahm die Zahl der Lobbyisten um mehr als ein Viertel zu, Tendenz steigend. Jetzt fürchten Politiker: «Unser Parlament wird manipulierbar!» (Die SonntagsBlick-Lobby-Liste, pdf, 66kb)

Neapel – Radio Mafia
(vice.typepad.com)
Ein von der italienischen Mafia betriebener Radiosender wurde nach einer Polizeirazzia lahm gelegt. Radio Camorra strahlte verschlüsselte Nachrichten an Gang-Mitglieder aus.

Lutz Seiler – Turksib (Auszug aus einem langen Prosatext)
(bachmannpreis.orf.at, Lutz Seiler)
Der Gewinnertext des diesjährigen Bachmann-Preises.

“Bild” ist treuer als Oliver Pocher II

Gestern erst hatten wir gewettet, dass “Bild” alsbald mit Neuigkeiten über Annina Ucatis aufwarten würde, die angeblich ehemalige “Geliebte von Oliver Pocher” (sie behauptet, mit Pocher vor sieben Jahren mal ausgegangen zu sein).

Und tatsächlich heißt es auf der heutigen “Bild”-Titelseite:

Gestern berichtete BILD über die Ex-Geliebte von Oliver Pocher (…).

Aber darüber, wie “Bild” heute berichtet, sind wir dann doch überrascht (siehe Ausriss): Mit der Schlagzeile “Jetzt schlägt Pochers Freundin zurück” und der Frage “Na, wer hat hier die überzeugenderen Argumente?” wirbt “Bild” für die aktuelle Ausgabe des Magazins “Maxim”. “Maxim” wird (wie “Bild”) vom Verlag Axel Springer herausgegeben und ist (laut “Bild”) “im Handel erhältlich” — seit gestern übrigens.

Allerdings ist das nicht alles, was es heute in der Ucatis-Sache nachzutragen gibt. Denn entgegen unserer ersten Annahme, dass sie erst 2003 als “Bingo-Fee” in “Bild” aufgetaucht sei, kennen sich Ucatis und “Bild” schon viel, viel länger:

“Bild”-Mitarbeiter Holger Bloehte*, dessen Name zuletzt im Januar 2007 über einem Ucatis-Artikel stand, hatte ihr nicht nur 1998 schon zu einem Job als “Super-Ische” in der “Harald Schmidt Show” verholfen (Quelle: “taz”, 1998), sondern Ucatis vor inzwischen fast zehn Jahren überhaupt erst für die Öffentlichkeit “entdeckt” (Quelle: “Hustler”, 2001). Und tatsächlich findet sich in der “Bild”-Zeitung vom 23. Juni 1997 ein Artikel Bloehtes über Ucatis. Er ähnelt demjenigen, der gestern in “Bild” erschien, insofern, als Ucatis damals behauptete, in einer “Bremer Promi-Disco” mal kurz mit Dieter Bohlen geredet zu haben.

*) Wenn Holger Bloehte (von “Bild” gelegentlich auch “Holger Bloethe” genannt) gerade nicht über Annina Ucatis schreibt, druckt “Bild” Geschichten von ihm, die Überschriften tragen wie “Asyl-Familie kassiert 50000 Euro Stütze und hortet einen Schatz” (2.12.2004), “Warum zahlt der Staat einem 3fachen Mörder das BWL-Studium?” (19.4.2006) oder “Dieser Dackel rettet diesem Dackel das Leben” (10.3.2006). BILDblog-Lesern könnte Bloehte zudem wegen eines Artikels im November 2006 bekannt sein, in dem er Helmut Pflugradt als “Skandal-Politiker” bezeichnete. “Bild” entschuldigte sich damals anschließend öffentlich bei Pflugradt dafür, ihm “Unrecht getan” zu haben.

Mit Dank auch an Max V.

6 vor 9

Versuchter Rufmord
(jungewelt.de, Thomas Wagner)
Das Politmagazin Die Weltwoche diffamiert den Soziologen Jean Ziegler als Kuckucksei der Schweizer Wissenschaft (hier, aber nur für Abonnenten).

Bush ist kein jämmerlicher Versager mehr
(spiegel.de, Frank Patalong)
Hunderttausende von Web-Neulingen haben sich darüber gewundert, geärgert oder amüsiert: Mehr als drei Jahre lang führte die Suchanfrage “miserable failure” unfehlbar zu George W. Bushs Biografie-Seite im Angebot des Weißen Hauses. Jetzt beendete Google den Spuk – und mehr als das.

“Die Autoren schreiben gerne und aus Leidenschaft für uns” (+)
(taz.de, Felix Lee)
Wie der kleine Weblog “Spreeblick” zum prämierten Kleinstunternehmen aufstieg.

Schweizer Wochensatire soll Junge anlocken
(persoenlich.com)
digestiv.tv mit den Medienpartnern Weltwoche und Keystone plant eine tägliche vierminütige Internetsatrire nach dem Vorbild von ehrensenf.de. Als Sprecherin soll ein bekanntes Gesicht auftreten. Ich tippe auf Melanie Winiger.

Sponto hat ein Identitätsproblem
(spiegel.de, Christian Stöcker)
Der SPIEGEL-ONLINE-Avatar hat in der virtuellen Welt “Second Life” erste Bekanntschaften gemacht: einen Avatar mit einer seltsamen Behinderung und einen Hyänenwolf. Außerdem kann Sponto inzwischen lachen – hat aber ein schwerwiegendes Identitätsproblem.

Schreiben für das Internet: 10 Tipps
(fudder.de, kus)
10 Tipps für journalistisches Schreiben im Internet aus dem Jahr 2000 (von hier).

Blättern:  1 2 3 4