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Verwirrung garantiert

Man kennt das: Fernseher, Autos, Mobiltelefone und vor allem Geschirrspüler gehen gerne dann kaputt, wenn die Garantiezeit gerade um ist.

Doch nicht alles, was der Laie als “Garantie” bezeichnet, ist auch im juristischen Sinne eine Garantie. Dort unterscheidet man nämlich zwischen der gesetzlichen Gewährleistung, nach der ein Kunde – vereinfacht gesprochen – einen Anspruch darauf hat, dass ein neu erworbenes Gerät auch funktioniert, und der Garantie, die ein Verkäufer oder Hersteller einräumt und deren Leistungen über die der gesetzlichen Gewährleistung hinausgehen. Die Gewährleistung gilt in Deutschland zwei Jahre, eine Garantie so lang, wie sie der Verkäufer oder Hersteller beim Kauf einräumt.

Diese Unterschiede sind auch für den Laien von Bedeutung, wenn er etwa ein Produkt von Apple erworben hat. Der Unterhaltungselektronikhersteller rät zum Kauf seines “AppleCare Protection Plan”, der die “einjährige Hardwaregarantie ab Kaufdatum” je nach Produkt auf zwei bzw. drei Jahre verlängert. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ist der Ansicht, dass Apple absichtlich nicht deutlich genug über die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche des Käufers gegenüber dem Händler aufkläre, um zum Kauf von “AppleCare” zu animieren, und hat Apple deswegen im Frühjahr abgemahnt.

Diese Unterschiede sind aber auch für Journalisten von Bedeutung, wenn sie etwa über den Brief schreiben wollen, den die EU-Justizkommissarin Viviane Reding an die nationalen Verbraucherschutzminister geschrieben hat und in dem sie Apples Vorgehen beim Verkauf von “Apple Care” ebenfalls kritisiert.

Der “Spiegel” schreibt dazu in seiner aktuellen Ausgabe:

“Es scheint, dass Apple-Verkäufer es versäumten, den Verbrauchern klare, wahrheitsgemäße und vollständige Informationen über die ihnen nach EU-Recht zustehende gesetzliche Garantie zu geben”, heißt es in einem Brief der zuständigen EU-Justizkommissarin Viviane Reding an die Verbraucherschutzminister aller 27 EU-Mitgliedsstaaten. […] Apple habe, schreibt Reding, prominent für seine eigene kommerzielle Gewährleistung geworben, “es aber versäumt darauf hinzuweisen, dass die Verbraucher nach EU-Recht einen automatischen und kostenlosen Anspruch auf eine zweijährige Garantie haben”.

Das ist, wie Sie gerade gelernt haben, falsch. Die Begriffe “Garantie” und “Gewährleistung” sind genau vertauscht.

Schuld daran ist womöglich die englische Sprache, in der Frau Reding ihren Brief an die verschiedenen Minister geschrieben hat. In dem Schreiben, das uns ebenfalls vorliegt, heißt es nämlich:

It appeared […] that, in order to make their own commercial warranties look more attractive, Apple retailers failed to provide consumers with clear, truthful and complete information on the legal guarantee from which they freely benefit under EU law.

Und an einer anderen Stelle:

Apple prominently advertised that its products come with a one year manufacturer warranty, but failed to clearly indicate the consumers’ automatic and free-of-cost entitlement to a minimum 2-year guarantee under EU-law.

Ja, fuck! Was im Englischen “commercial warranties” sind, sind im Deutschen also “kommerzielle Garantien”, und eine “(legal) guarantee” entspricht der “(gesetzlichen) Gewährleistung”.

Das muss man vielleicht nicht mal als Englischlehrer wissen. Aber als “Spiegel”-Journalist, der darüber schreibt, wäre es natürlich hilfreich.

Oder als Journalist, der die fehlerhaften “Spiegel”-Angaben für die Discounter-Agentur dapd übernimmt. Oder für Bild.de. Oder für “Focus Online”.

Die Deutsche Presse-Agentur dpa, der das Schreiben ebenfalls vorliegt, schreibt korrekt von dem “gesetzlichen zweijährigen Gewährleistungsanspruch”, übersetzt einen Satz aber auch mindestens unsauber:

“Es scheint, dass Apple-Verkäufer es versäumten, Verbrauchern klare, wahrhaftige und komplette Informationen zu geben über die Garantie, die ihnen nach EU-Recht zusteht.”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

dapd, dpa  etc.

Das Phantom der Opfer

Die Sommerferien sind vorbei und ich begrüße Sie ganz herzlich zur ersten Stunde unseres Englisch-Leistungskurses! Es sind noch zwei Jahre bis zum Abitur, deswegen wollen wir es heute erst mal etwas ruhiger angehen lassen – hart wird’s noch früh genug – und gucken zum Einstieg erst mal ein Video:

Sie haben es natürlich schon gemerkt (bis auf den Kollegen da am Fenster, der schon – HALLO! – eingeschlafen war): Wir haben das Video nicht nur zum Vergnügen gesehen. Zum einen machen wir gleich ein paar kleine Übersetzungsübungen, zum anderen werden wir uns in diesem Herbst zunächst intensiv mit dem Thema “Wahlkampf in den USA” beschäftigen. Also, wer hat den Mann erkannt?

Richtig, Mitt Romney war das, der republikanische Präsidentschaftskandidat und Herausforderer von Barack Obama.

Und jetzt lesen wir gemeinsam diesen Text von der Deutschen Presse-Agentur dpa, wenn Sie den mal eben rumgeben, danke!

Dann lesen wir doch mal:

Der republikanische Präsidentenkandidat Mitt Romney hat sich in einem heimlich aufgenommenen Video abfällig über Wähler des demokratischen Präsidenten Barack Obama geäußert. Romney beschrieb 47 Prozent der Obama-Wähler als Abzocker, die keine Einkommenssteuer zahlten und glaubten, sie seien Opfer und die Regierung müsse für sie sorgen.

Wem ist was aufgefallen? Ja, Sie da in dem Ringelpulli!

Genau, dpa schreibt, Romney beschreibe 47 Prozent der Obama-Wähler als Abzocker. Da fragt man sich natürlich, was mit den anderen 53 Prozent ist, nicht wahr? In Wirklichkeit hat er ja aber gesagt:

There are 47 percent of the people who will vote for the president no matter what. All right, there are 47 percent who are with him, who are dependent upon government, who believe that they are victims, who believe the government has a responsibility to care for them, who believe that they are entitled to health care, to food, to housing, to you-name-it. That that’s an entitlement. And the government should give it to them. And they will vote for this president no matter what…These are people who pay no income tax.

Der einzelne Satz ist ein bisschen schwer zu verstehen, aber es wird dann schnell klar, dass es um 47 Prozent aller Wähler geht. Also, Romney meint: 47 Prozent stimmen eh für Obama. Er sagt dann später, er muss die fünf bis zehn Prozent in der Mitte überzeugen, die vorher noch nicht festgelegt sind.

Ich hab hier auch noch einen Text von der Nachrichtenagentur dapd, ich les den grad mal vor:

Mitt Romney hat sich im US-Präsidentschaftswahlkampf mal wieder selbst ein Bein gestellt. Vor wohlhabenden Spendern bezeichnete der republikanische Präsidentschaftskandidat Anhänger von Amtsinhaber Barack Obama als Opfer. Fast die Hälfte aller Amerikaner glaubten, sie seien Opfer und hätten Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Wem fällt was auf? Ja, Sie hier vorne? Genau: Im zweiten Satz heißt es, Romney bezeichne die Leute als “Opfer”, im dritten heißt es – richtig – er sagt, sie sähen sich selber als welche. Die Überschrift der Meldung lautet: “Romney bezeichnet Obama-Anhänger als Opfer”, die der dpa-Meldung lautet: “Romney bezeichnet Obama-Wähler als Abzocker und Opfer”.

Und das ist ja wohl ein Unterschied, ob ich sage “Du Opfer” (sagt man das noch unter jungen Leuten?) oder “Ooooch, der Arme: sieht sich als Opfer”. Man könnte sagen: Mitt Romney spricht diesen Menschen ab, sich rechtmäßig als Opfer fühlen zu dürfen.

Und jetzt gucken Sie sich mal an, was die deutschen Online-Medien so schreiben:

“Spiegel Online”:

“Die Welt:”
Romney beschimpft Wähler von Obama als "Opfer"

“Focus Online”:
Mitt Romney schmäht Obama-Wähler als "Opfer"

stern.de:
Romney verhöhnt Obama-Wähler als "Opfer"

“RP Online”:
Romney nennt Obama-Wähler "Opfer"

So, das war’s für die erste Stunde. Wir machen fünf Minuten Pause und dann fangen wir richtig an. Damit Sie nach dem Abi was Vernünftiges studieren können und nicht Journalist werden müssen.

Mit Dank auch an Wolfgang.

Nachtrag, 17.10 Uhr: dpa hat eine Berichtigung des Artikels verschickt:

## Berichtigung
– Im zweiten Satz wurde klargestellt, dass Romney alle Obama-Wähler meinte. Es heißt richtig “die 47 Prozent Obama-Wähler”, nicht: “47 Prozent der Obama-Wähler”)
– In der Überschrift wurden die Worte “und Opfer” gestrichen

Burda, Kate Middleton, Aufwachteller

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen”
(stefan-niggemeier.de, Wolfgang Blau)
Stefan Niggemeier dokumentiert eine Rede des Chefredakteurs von “Zeit Online”, Wolfgang Blau: “Wer glaubt, die letzten zehn Jahre seien transfomativ und herausfordernd gewesen, sollte sich darauf einstellen, dass mit der jetzt einsetzenden Nutzungsverlagerung ins mobile Netz noch viel dramatischere Entwicklungen, Umsatz– und Auflageneinbußen bevorstehen als in den letzten Jahren. Das Urheberrecht wird das nicht aufhalten können. Und: Würde Google nicht existieren, ginge es den Verlagen keinen Deut besser.”

2. “Mit Sex und iPhone: Wie der Burda-Verlag Google News austrickst”
(xoomix.de, Bernd Kling)
Berichte von Focus.de sind bei den bei Google News zu findenden Berichten über das iPhone 5 an vorderster Stelle zu finden: “Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass die Burda-Publikation ihre beiden News im Wechsel tagelang immer wieder mit neuem Datum und Zeitpunkt bei Google News einlieferte. Wohl wissend, dass Googles Algorithmen bei News die Aktualität besonders stark gewichten und diese zunächst am angegebenen Zeitpunkt der Veröffentlichung festmachen.”

3. “‘Cover’: Lies mich, klick & kauf mich”
(diepresse.com, Regina Pöll)
Die Zeitschrift “Cover”, ein neues Produkt des Verlags Hubert Burda Media.

4. “Coming-out der Verkäufer”
(carta.info, Jürgen Drommert)
Jürgen Drommert kommentiert Statements aus den Verkaufsabteilungen von Gruner+Jahr und Axel Springer.

5. “The Kate Middleton topless photos are the grossest invasion of privacy”
(newstatesman.com, Steven Baxter, englisch)
Die der französischen Ausgabe von “Closer” veröffentlichten Nacktfotos von Kate Middleton: “Imagine walking around with a normal pocket camera, asking to take photos of someone on the beach. You wouldn’t. Because you’d feel like a pervert. Because you would be. Add on a long lens and a hide, though, and suddenly this behaviour somehow becomes acceptable – acceptable enough for a magazine to pay for your dirty photos.”

6. “Experiment Aufwachteller”
(dasnuf.de)
Das Nuf probiert einen Tipp aus “Brigitte Mom” aus, den Aufwachteller.

Licht aus, Spott an

Es war wohl die “Süddeutsche Zeitung”, der es als erstes aufgefallen ist:

Ein Söder zum Ausschalten.

Über den bayerischen Finanzminister Markus Söder schrieb die Zeitung:

Die neueste Gemeinheit kommt allerdings von unerwarteter Seite – genauer: von einer hinteren Seite im aktuellen Ikea-Katalog. Dort wird ein Armleuchter “Söder” zum Preis von 89 Euro feilgeboten, der Teil einer ganzen “Söder-Serie” ist, zu der auch mehrere Wand- und Hängelampen in verschiedenen Designs gehören.

Nach einer ausführlichen Durchsicht des Angebots kann man sagen: Eine große Leuchte ist dieser Söder nicht. Den Herstellerangaben zufolge verbreitet er lediglich ein “weiches Stimmungslicht”, und dem Käufer wird die Verwendung des Leuchtmittels “Sparsam” empfohlen. Selbst damit bringt Söder es laut Katalog nur zur “Energieeffizienzklasse C auf einer Skala von A (sehr effizient) bis G (weniger effizient)”.

Es war nur ein kleiner Text im Regionalteil, aber natürlich genau die Sorte Meldung, die weite Kreise ziehen würde. Sehr weite Kreise:

“Augsburger Allgemeine”:
Armleuchter Söder - Jetzt neu im Ikea-Katalog. Markus Söder kann mächtig austeilen. Der CSU-Mann kann aber auch einstecken. Das muss er nun.

nordbayern.de:
Ein "Armleuchter" namens Söder. Ikea verkauft siebenarmigen Lampe mit dem Namen des bayerischen Finanzministers.

“Welt Online”:
Söder offiziell zum Armleuchter erklärt

“Focus Online”:
Bayerisch-schwedische Erleuchtung: Söder hängt bei Ikea rum

“RP Online”:
Neuheit des schwedischen Einrichtungshauses: Bei Ikea ist Söder eine sparsame Leuchte

tagesschau.de:
Schlusslicht: Ein Armleuchter namens "Söder"

“B.Z.”:
Ein Armleuchter namens Söder

tagesspiegel.de:
Namensgleichheit bei Ikea: Söder ist ein Armleuchter

“Bild”:
Verlierer: Bayerns Finanzminister Markus Söder (45, CSU) hat einen neuen Namens-Kollegen: Im neuesten Katalog des schwedischen Möbelriesen Ikea gibts einen Armleuchter, Name Söder (schwedisch für Süden), Energieeffizienzklasse C, Entsorgungstipp inklusive. BILD meint: Markus Süden!

Bild.de:
Ikea verkauft Armleuchter "Söder"

Außerdem berichteten noch die “Junge Welt”, die “Rheinische Post”, die “taz”, die “Welt kompakt”, der Kölner “Express”, der “Berliner Kurier”, die “Berliner Morgenpost”, der “Tagesspiegel”, die “Welt” und verschiedene kleine Medien über die Lampe mit dem lustigen Namen.

Die Geschichte hätte eigentlich schon vor einem halben Jahr derartige Kreise ziehen können, als die “Abendzeitung” aus München erstmals über “Söder” berichtet hatte (was diese übrigens nicht davon abhielt, jetzt noch einmal darüber zu schreiben).

Aber die “Abendzeitung” hatte damals die Chance zur naheliegenden Pointe verstreichen lassen, die die “Süddeutsche Zeitung” jetzt genutzt hat.

Eigentlich ist “Söder” nämlich gar kein “Armleuchter”:

Mit Dank an Martin K.

Wo ein Willis ist, ist auch eine Story

Wer sich im Internet irgendwo anmeldet, bekommt häufig einen Text vorgelegt, der ausgedruckt in etwa die Ausmaße des Telefonbuchs von Chicago aufweisen würde. Solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind in der Regel so lang und sprachlich so ermüdend, dass es gut sein kann, dass man einem Anbieter sein Erstgeborenes abtritt oder der Zerstörung des Planeten Merkur zustimmt, wenn man blindlings einfach auf “OK” klickt.

Der Schauspieler Bruce Willis hat aber, wenn man Medienberichten trauen darf, offenbar irgendwie die Geschäftsbedingungen des iTunes Store, dem Musikportal des Unterhaltungsgeräteherstellers Apple, durchgearbeitet und dabei festgestellt, dass er seinen Töchtern im Falle seines Ablebens gar nicht seine digitale Musiksammlung vererben könnte. Seitdem ist er auf einer Mission, um für die Freiheit der iTunes-Nutzer und gegen Apple zu kämpfen.

Man darf diesen Medienberichten natürlich nicht trauen, auch wenn stern.de ein bisschen naiv referiert:

Das berichten übereinstimmend die britischen Boulevardzeitungen “The Sun” und “Daily Mail”.

Die “Sun” und die “Daily Mail” sind als Quellen ungefähr so seriös wie der Freund des Schwagers einer Arbeitskollegin oder das nordkoreanische Staatsfernsehen.

Die “Daily Mail” schrieb zum Beispiel am Sonntag:

Bruce Willis sieht man eigentlich eher, wenn er Explosionen entkommt und Terroristen bekämpft, um die Welt zu retten.

Sein letzte Kampf allerdings führt ihn in die deutlich leisere Welt des Gerichtssaals — obwohl er sich immer noch einem beeindruckenden Gegner stellt.

Es heißt, der Hollywood-Actionheld überlege, juristisch gegen den Technologiegiganten Apple vorzugehen, weil er seinen Töchtern seine digitale Musiksammlung hinterlassen möchte.

(Übersetzung von uns.)

Das klingt so vage, dass die “Daily Mail” das Gleiche vermutlich über jede andere Person hätte schreiben können, ohne dass sie dabei unkonkreter hätte werden müssen.

Die “Daily Mail” schreibt von verschiedenen Plänen, mit denen Willis “angeblich” sein Vorhaben umsetzen will. Aber woher sie ihre angeblichen Informationen hat, das schreibt sie nicht.

Das einzige wörtliche Zitat im Artikel stammt dann auch gar nicht von Bruce Willis:

Anwalt Chris Walton sagte: “Viele Leute werden überrascht sein, wenn sie erfahren dass all die Lieder und Bücher, die sie über die Jahre gekauft haben, ihnen tatsächlich gar nicht gehören. Es ist ganz natürlich, dass man sie an eine nahestehende Person weitergeben will.”

(Übersetzung von uns.)

Diesen Chris Walton zitiert auch die “Sun”. Außerdem hat sie herausgefunden, dass Willis’ Downloads “Berichten zufolge Klassiker von den Beatles bis zu Led Zeppelin enthalten”.

An dieser Stelle hätte man stutzig werden und sich fragen können, warum die Musiksammlung eines 57-Jährigen eigentlich so viele Downloads mit der Musik seiner Jugend enthalten soll — das dürfte Willis doch noch alles auf Vinyl oder CD haben.

Aber warum nachdenken, wenn “Sun” und “Daily Mail” übereinstimmend über den Fall schreiben?

Bild.de:
WEIL ER SEINE MUSIKSAMMLUNG VERERBEN MÖCHTE: Bruce Willis legt sich mit Apple an

krone.at:
Bruce Willis fordert mehr Rechte an Musiksammlung

oe24.at:
Bruce Willis will iTunes von Apple verklagen

kurier.at:
Bruce Willis will Apple wegen iTunes klagen

heute.at:
Wegen iTunes: Bruce Willis will Apple verklagen

20min.ch:
Verklagt Bruce Willis Apple — wegen iTunes?

“Focus Online”:
Rechtsstreit um iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis will Apple verklagen

“Focus Online” hatte es sogar geschafft, sich nicht auf “Sun” und/oder “Daily Mail” zu berufen, sondern auf das Trashmeldungaufbereitungsportal pressetext.com, wo sie den britischen Anwalt, den die “Daily Mail” (etwas undeutlich) als Experten befragt hatte, gleich zu “Willis’ Rechtsanwalt” gemacht hatten.

Dann passierte gestern etwas Unvorhergesehenes: Ein Twitter-User gab Bruce Willis’ Ehefrau Emma einen Rat, wie er seinen Töchtern ganz leicht den Zugang zu den iTunes-Songs sichern konnte — und Emma antwortete schlicht, die ganze Geschichte sei gar nicht wahr:

Einige Medien wie stern.de, 20min.ch und zdnet.de aktualisierten daraufhin ihre Artikel, andere wie “Focus Online” veröffentlichten einfach einen weiteren Artikel zur Frage, was eigentlich nach dem Tod mit der iTunes-Bibliothek passiert.

Wiederum andere Medien wie “Welt Online” veröffentlichten nach dem Dementi heute einfach irgendwelche feuilletonistischen Aufsätze, als sei nichts geschehen:

Warum Bruce Willis Apple verklagen will: Der Actionstar will seine Musiksammlung einmal vererben. Doch nach seinem Tode gehören die Dateien wieder Apple. Nun erwägt Bruce Willis eine Klage. Sein Tun ist von erhabener Sinnlosigkeit.

Am Nachmittag brachte “Welt Online” dann dieses “Update”:

Update: Inzwischen hat sich die Ehefrau von Bruce Willis, Emma Heming-Willis, bei Twitter zu Wort gemeldet und die Meldung, Bruce Willis würde Apple verklagen wollen, wörtlich als “nicht wahre Geschichte” bezeichnet.

“Inzwischen” im Sinne von “gestern”.

Charles Arthur hat die Geschichte der offensichtlichen Falschmeldung für das Technikblog des “Guardian” aufgeschrieben und hat eine gleichermaßen alberne wie plausible Erklärung:

Lasset also die Suche für den Ursprung dieser Geschichte beginnen. Es gibt einen Artikel vom 23. August auf Marketwatch, der eine seltsame Ähnlichkeit aufweist — aber es gibt dort keine Erwähnung einer Anfechtungsklage. Es geht nur um Nachlässe und Testamente (“Estates and Wills”).

Was uns zum erschaudernden Innehalten bringt: könnte es sein, dass jemand die Erwähnung von “Estates and Wills” sah und dachte, es seien “estates and Willis”?

(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 18.10 Uhr: Am späten Nachmittag, als die Geschichte so richtig schön “durch” war, legte die “Financial Times Deutschland” in ihrem Internetauftritt nach:

iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis trickst Apple aus

Der Text erzählt die bekannte Mär, nach der Bruce Willis Apple verklagen wolle, und endet mit diesem bemerkenswerten Absatz:

Seine Ehefrau Emma Heming ließ auf Twitter zwar dementieren, Willis selbst wolle Apple verklagen. Ein User schlug ihr daraufhin eine denkbar simple Lösung vor: “Sag Bruce doch einfach”, schreibt RichieD, “er soll seinen Töchter seine iTunes Passwörter geben. Dann wird er ewig leben.”

Ein “doch” folgt auf das “zwar” nicht mehr.

Mit Dank an Stefan G.

Bild.de, dpa  etc.

Den Schuss nicht gehört (2)

Heute Nacht hatten wir über die Exklusiv-Meldung deutscher Online-Medien berichtet, nach denen sich Osama bin Laden vergangenes Jahr beim Sturm auf sein Anwesen in Pakistan selbst erschossen haben soll.

Die betroffenen Medien haben darauf unterschiedlich reagiert:

“Spiegel Online” überarbeitete den kompletten Artikel und versah ihn mit einem Hinweis:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde die Darstellung des US-Soldaten fälschlich so interpretiert, dass Osama Bin Laden Selbstmord begangen haben soll. Der Autor lässt offen, wer die Schüsse abgegeben hat. Bin Laden war, wie Bissonette schreibt, jedoch unbewaffnet – er kann sich nicht selbst erschossen haben. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

Stern.de hat seinen Artikel komplett ausgetauscht, geht darauf aber nicht näher ein, und auch “Focus Online” hat Überschrift und Artikel behutsam an die Fakten und die deutsche Sprache angepasst.

Selbst bei Bild.de haben sie ihren Artikel bearbeitet:

Aus dem offensichtlich sinnlosen Satz

Außer den Kugeln mit denen Osama bin Laden sich offenbar selbst richtete, als er hörte wie die Soldaten die Villa stürmten, hatte er keinerlei Munition bei sich.

wurde

Außer der Kugel mit der Osama bin Laden sich vermutlich selbst richtete, soll sich keine weitere Munition im Raum befunden haben.

Ansonsten bliebt Bild.de bei der Darstellung.

* * *

Das waren aber auch nicht alle deutschsprachigen Medien, die von einem möglichen Selbstmord bin Ladens schwadronierten. Die folgende Auflistung ist womöglich lückenhaft:

“B.Z.”:

Hat Osama bin Laden Selbstmord begangen?

Washington – Terror-Chef Osama bin Laden soll schon tot gewesen sein, als die US-Spezialeinheit im Mai 2011 seine Villa stürmte. Das behauptet ein ehemaliger Elitesoldat, der an diesem Einsatz beteiligt war. Bin Laden habe sich selbst in den Kopf geschossen.

“Berliner Kurier”:

Bin Laden Selbstmord?
Washington – Osama Bin Laden soll bereits tot gewesen sein, als die Navy Seals im Mai 2011 in sein Zimmer im pakistanischen Abbottabad stürmten. Das behauptet der Ex-Elitesoldat Matt Bissonnette in seinem Buch “No Easy Day” (KURIER berichtete).

“Kleine Zeitung”:

“Blick”:

Enthüllungsbuch: Hat Osama Selbstmord begangen?

tagesspiegel.de, immerhin:

Als Resultat einer falschen Übersetzung herausgestellt haben sich unterdessen Meldungen mehrerer deutscher Online-Medien, auch des Tagesspiegels, der Autor habe über einen Selbstmord Bin Ladens spekuliert. Tatsächlich ist die Rede davon, Bin Laden sei schon tödlich verletzt gewesen, bevor die Soldaten sein Schlafzimmer betraten – dies beruht jedoch nicht, wie zwischenzeitlich fälschlicherweise für möglich gehalten, auf Spekulationen über einen Selbstmord, sondern auf der Behauptung, dass Bin Laden nicht erst im Schlafzimmer, sondern schon im Flur von Kugeln getroffen worden sei.

* * *

Die Deutsche Presse-Agentur dpa hatte zwar nicht von einem Selbstmord bin Ladens geschrieben (das machten manche Medien einfach selbst), gestern aber immerhin behauptet:

Angeblicher Augenzeuge bestreitet US-Angaben über Bin-Laden-Tötung

Washington (dpa) – Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zur Tötung des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

Nun lässt der Artikel bei der “Huffington Post” tatsächlich einen gewissen Interpretationsspielraum, aber man darf wohl annehmen, dass das Onlinemagazin es etwas mehr hervorgehoben hätte, wenn bin Laden tatsächlich “nicht von US-Soldaten getötet worden” wäre.

Die dpa wiederholte diese Version heute Morgen noch zwei Mal:

dpa, 5:00 Uhr:

Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

dpa, 5:04 Uhr:

OSAMA BIN LADEN Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zum Tod des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Autor des in wenigen Tagen erscheinenden Buches schreibt, der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden.

Nach unserer Anfrage verschickte die dpa eine korrigierte Fassung der Meldung:

Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zur Tötung des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Al-Kaida-Chef sei bereits tödlich getroffen worden, bevor Mitglieder eines Sonderkommandos den Raum betreten hätten, heißt es laut Internetportal «Huffington Post» in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

Versehen ist diese Berichtigung mit folgendem Hinweis:

Stellt in Bin-Laden-Meldung im zweiten Satz klar, dass aus den Auszügen in der “Huffington Post” nicht genau hervorgeht, wer der Todesschütze war.

Ja, die Meldung “stellt klar”, dass unklar sei, wer der Todesschütze sei. Schreibt die Agentur die heute Morgen noch kategorisch erklärt hatte, bin Laden sei nach Aussage des Autors “nicht von US-Soldaten getötet worden”.

Die Passagen in der “Huffington Post” waren tatsächlich nicht sonderlich klar, doch zum Glück verfügt die “Washington Post” offenbar ebenfalls über ein Exemplar des Buchs und über etwas gradlinigere Autoren:

Osama bin Laden versteckte sich für mindestens 15 Minuten in seinem Schlafzimmer, als Navy Seals sich den Weg durch seine pakistanisches Anlage kämpften, und unternahm keinen Versuch, sich selbst zu bewaffnen, bevor ein US-Kommando auf ihn schoss, als er aus seiner Tür herausschaute. Das geht aus dem ersten Bericht hervor, der von einem Teilnehmer des inzwischen berühmt gewordenen Überraschungsangriffs am 2. Mai 2011 veröffentlicht wurde.

(Übersetzung von uns.)

Mit diesem Bericht im Rücken traute sich nun auch dpa ein bisschen weiter und schrieb in der neuesten Meldung, dass “das Kommando” auf Bin Laden geschossen habe.

Den Schuss nicht gehört

Als US-Präsident Barack Obama am Abend des 1. Mai 2011 vor die Weltpresse trat, um zu verkünden, dass das amerikanische Militär den Terroristenführer Osama bin Laden in Pakistan aufgetan und getötet habe, war in Deutschland gerade tiefste Nacht. Wahrscheinlich weiß noch jeder Mensch, wo er war, als er am Morgen die Nachricht hörte.

Es war 13.05 Uhr und damit eine deutlich zivilere Zeit, als Bild.de gestern eine Nachricht veröffentlichte, die eigentlich für ähnlichen Donnerhall in der Welt hätte sorgen müssen:

DIE LETZTEN MINUTEN DES TERROR-TEUFELS: Navy Seal enthüllt: Osama war schon tot, als wir kamen. DER ERSTE ELITE-SOLDAT PACKT AUS, ERKLÄRT WIE DER AL-QAIDA-CHEF SICH VERMUTLICH SELBST IN DEN KOPF GESCHOSSEN HATTE UND, DASS ER NICHT MAL AN VERTEIDIGUNG GEDACHT HATTE

Osama bin Laden, so Bild.de, habe “offenbar” bzw. “vermutlich” Selbstmord begangen. Bild.de zitierte das Internetmagazin “Huffington Post”, die ihrerseits aus einem Buch zitiert hatte, das von einem der Navy SEALs geschrieben wurde, der bei der Erstürmung von bin Ladens Residenz dabei gewesen war.

Bild.de erklärt:

Bin Laden habe bereits eine Kugel im Kopf gehabt als die Soldaten kamen, schreibt der Ex-Seal aus Alaska darin. Es sei ein Mythos, dass er den Soldaten noch in die Augen gesehen habe, bevor er starb.

“Wir waren weniger als fünf Schritte davon entfernt, oben anzukommen, als ich gedämpfte Schüsse hörte”, zitiert die Zeitung aus dem Buch. Und weiter: “Blut und Gehirn quollen aus der Seite seines Schädels.” Bin Ladens Körper habe noch gezuckt, die Soldaten richteten ihre Laser auf seine Brust und feuerten mehrere Male ab.

Und fährt fort:

Und noch ein wichtiges Detail merkt er an: Außer den Kugeln mit denen Osama bin Laden sich offenbar selbst richtete, als er hörte wie die Soldaten die Villa stürmten, hatte er keinerlei Munition bei sich.

Spätestens an dieser Stelle hätte irgendjemand bei Bild.de stutzig werden können: bin Laden soll sich mit mehreren Kugeln erschossen haben? Das wäre durchaus außergewöhnlich.

Eigentlich hätte aber schon vorher jemandem auffallen müssen, dass im Originalartikel bei der “Huffington Post” nichts darauf hindeutet, dass bin Laden Selbstmord begangen haben könnte.

Allerdings ist die Passage, die Bild.de übersetzt hat, auch ein bisschen uneindeutig:

As the SEALS ascended a narrow staircase, the team’s point man saw a man poke his head from a doorway, wrote a SEAL using the pseudonym Mark Owen (whose real identity has since been revealed by Fox News) in “No Easy Day,” a copy of which was obtained at a bookstore by The Huffington Post.

“We were less than five steps from getting to the top when I heard suppressed shots. BOP. BOP,” writes Owen. “I couldn’t tell from my position if the rounds hit the target or not. The man disappeared into the dark room.”

Team members took their time entering the room, where they saw the women wailing over Bin Laden, who wore a white sleeveless T-shirt, loose tan pants and a tan tunic, according to the book.

Despite numerous reports that bin Laden had a weapon and resisted when Navy SEALs entered the room, he was unarmed, writes Owen. He had been fatally wounded before they had entered the room.

Der Soldat schreibt aber, dass bin Laden “unbewaffnet” (“unarmed”) gewesen sei, was einen Selbstmord durch Erschießen mindestens verkompliziert haben dürfte.

Die Nachrichtenagentur AP verstand diese Sätze dann auch gründlich anders als Bild.de:

Bissonnette schrieb, dass die SEALs bin Laden am oberen Ende eines abgedunkelten Flurs entdeckten und ihm in den Kopf schossen, obwohl sie nicht sehen konnten, ob er bewaffnet war. Regierungsbeamte hatten beschrieben, dass die SEALs erst auf bin Laden geschossen hätten, als dieser sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hätte, weil sie annahmen, er könnte nach einer Waffe greifen.

(Übersetzung von uns.)

Auch die deutschen Agenturen schrieben nichts von einem Selbstmord — weil offenkundig bisher niemand von einem Selbstmord gesprochen hatte.

Dann zog “Spiegel Online” am späten Nachmittag nach:

Navy-Seals-Einsatz: Bin Laden soll sich angeblich selbst getötet haben

Auch “Spiegel Online” beruft sich auf die “Huffington Post” und leitet aus deren Artikel ab:

Bevor die US-Soldaten den Qaida-Chef erwischen konnten, hatte er sich dem Bericht zufolge selbst gerichtet.

Nein. In der Schilderung der “Huffington Post” steht an keiner Stelle, dass sich bin Laden selbst erschossen habe. Schon um es aus den Schilderungen dort interpretieren zu können, muss man sich ziemliche Mühe geben.

Doch “Spiegel Online” verfolgt diese Spur weiter — und wird dabei unfreiwillig komisch:

Die Erzählweise, Bin Laden habe sich selbst getötet, ist neu in der Reihe von Verschwörungstheorien und Geschichten, die zwischen den USA und Pakistan kursieren.

Die ganze Absurdität der von “Spiegel Online” geschilderten Begebenheiten hat ein Leser in einem Kommentar so zusammengefasst:

Schenkt man dem Bericht Glauben, hat Bin Laden sich selbst mit einem Kopfschuss getötet, obwohl er unbewaffnet war, als man ihn fand, und eine Waffe auch erst später in seinem ordentlich aufgeräumten Zimmer gefunden werden konnte. Er scheint also trotz schwerster Kopfverletzungen noch ans Aufräumen gedacht zu haben.

Obwohl kein namhaftes Medium die Version einer Selbsttötung verbreitete, zog am späten Abend auch stern.de mit den beiden größten deutschen Onlinemedien nach:

Angeblicher Augenzeuge: Bin Laden soll sich selbst getötet haben

In der Interpretation von stern.de war bin Laden offenbar schon angeschossen, als die SEALs sein Haus stürmten:

Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.

Nach Angaben des Weißen Hauses hatte sich Bin Laden bei der Erstürmung seines Hauses “widersetzt” und sei darauf von US-Soldaten mit Schüssen in die Brust und in den Kopf getötet worden. Der Autor des Buches, das Anfang September auf den Markt kommen soll, schildert die Geschehnisse anders. “Blut und Gehirnmasse floss aus der Seite seines Schädels”, als sie Bin Laden entdeckten, heißt es laut der “Huffington Post” in dem Buch “No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden” (Deutsch: Kein leichter Tag: Ein Bericht aus erster Hand über den Einsatz, bei dem Osama bin Laden getötet wurde).

Unentwirrbar falsch ist die Geschichte bei focus.de, wo Leser unter anderem mit diesem Rätsel konfrontiert werden:

Der El Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden […].

Die gedruckte “Bild” fragt heute ein bisschen zurückhaltender auf Seite 2:

Die Redakteure von Deutschlands führenden Online-Medien (plus stern.de und “Focus Online”) werden sich wohl noch lange daran erinnern, wo sie waren, als sie Osama bin Laden sich selbst töten ließen.

Mit Dank an Dennis K., Frank M., Peter und Manuel W.

Hinweis/Korrektur: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir im ersten Absatz behauptet, “die US Army” habe Osama bin Laden erschossen. Die Navy SEALs gehören (wie der Name schon sagt) aber zur US Navy.
Bild, dpa  

Mond ist nicht ihr Hobby

Neil Armstrong ist tot, der erste radfahrende Trompeter auf dem Mond.

Verzeihung, das war Unfug. Aber Neil Armstrong ist tot, der erste Mann auf dem Mond. NBC hatte ihn in einer Überschrift im Internet kurzzeitig “Neil Young” genannt, was schon ziemlich peinlich war, denn Neil Young ist ein Musiker. Immerhin heißt aber eines seiner Alben “Harvest Moon”.

Kommen wir aber zu den deutschen Medien: Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) eröffnete einen ihrer Nachrufe in der Nacht zum Sonntag mit folgendem Satz:

Er hinterließ den ersten Fußabdruck der Menschheit auf einem anderen Planeten: Der Astronaut Neil Armstrong ist tot.

Das war Quatsch, denn bis heute hat kein Mensch einen anderen Planeten als die Erde betreten — der Mond ist nämlich keiner, sondern ein Trabant (was, Achtung, liebe Journalisten, in diesem Fall kein Auto ist). dpa hat das am Sonntagmittag auch bemerkt und aus dem “Planeten” einen “Himmelskörper” gemacht. Der Fehler steht aber noch unter anderem bei stern.de, “Focus Online” und der Münchner “Abendzeitung”.

Im gleichen Artikel steht dieser Satz:

Seinen ersten Raumflug absolvierte Armstrong am 12. März 1966 als Kommandant der US-Raumfähre “Gemini 9”.

Er steht in insgesamt 13 dpa-Meldungen und unter anderem bei “Spiegel Online”, “Zeit Online”, sueddeutsche.de, FAZ.net, n-tv.de und n24.de, aber es ist falsch. Armstrong war an Bord der “Gemini 8” und das war keine “Raumfähre” (also ein “wiederverwendbares Transportfahrzeug für die Raumfahrt”, wie die Wikipedia es schlicht erklärt), sondern eine Raumkapsel.

Interessanterweise gibt es einen dpa-Text, in dem es richtig heißt:

Die Wolken reichten aber nicht, Armstrong wollte noch höher hinaus: 1962 akzeptierte ihn die Nasa als Astronauten, 1966 vollbrachte er als Chefpilot von “Gemini 8” das Andocken an ein unbemanntes Raumfahrzeug im Orbit – das erste Rendezvous im All.

Und dann war da noch “Bild”:

Wenn ihr den Mond seht, winkt ihm zu!

“Wer sich fragt, wie er Neil eine Ehre erweisen kann: Das nächste Mal, wenn ihr an einer sternenklaren Nacht draußen seid und der Mond auf euch herunter strahlt, denkt an Neil
 Armstrong und winkt ihm zu.” (die Familie von Neil Armstrong auf der Internetseite der Nasa)

Kann man schönere Worte wählen, um sich von dem Mann zu verabschieden, der die Menschheit auf den Mond brachte?

Nun, man kann diese schönen Worte zumindest richtig übersetzen.

Geschrieben hatte Armstrongs Familie nämlich:

For those who may ask what they can do to honor Neil, we have a simple request. Honor his example of service, accomplishment and modesty, and the next time you walk outside on a clear night and see the moon smiling down at you, think of Neil Armstrong and give him a wink.

Und “to give somebody a wink” heißt “jemandem zuzwinkern”. Das muss auch irgendjemand in der Redaktion bemerkt haben, auf Bild.de wurde der Artikel nämlich inzwischen unauffällig korrigiert.

Mit Dank an Michael, Jendrik T. und T.L.

Lena — Liebe meines Lebens

Seit Lena Meyer-Landrut bei “Unser Star für Oslo” angetreten ist, interessieren sich die deutschen Boulevardmedien für das Privatleben der jungen Frau. Mit dem Gewinn der Castingshow und der (schließlich erfolgreichen) Teilnahme beim Eurovision Song Contest stieg das Interesse immer mehr: Reporter durchstreiften ihre Heimatstadt Hannover und fanden: nichts. RTL entdeckte im eigenen Archiv einen Ausschnitt der kurzlebigen Scripted-Reality-Soap “Helfen Sie mir”, in der Lena als Laiendarstellerin mitgespielt hatte. Private Fragen in Interviews und auf Pressekonferenzen wollte Frau Meyer-Landrut zunächst gar nicht beantworten.

Einen Grand-Prix-Sieg, eine weitere ESC-Teilnahme und zwei Alben später ist Lena Meyer-Landrut “wieder da” — als sei sie in den letzten zweieinhalb Jahren je wirklich weg gewesen. Am 12. Oktober erscheint ihr drittes Album “Stardust”, für das sie zur Zeit die Werbetrommel rührt.

Bei der Albumpräsentation in Berlin (ähnliche Veranstaltungen hatte es zuvor schon in Köln und Hamburg gegeben) erfuhr die “B.Z.” Erstaunliches:

Ihr Herz hat auch eine Heimat gefunden: “Ich habe mich in Köln verliebt”, so Lena zur B.Z. Nicht nur in die Stadt: “Weil da der Mensch ist, den ich liebe. Wo ich das Glück habe, dass ich ihn lieben darf.”

Da ist sie wieder, die einmalig Süße! Lena in love. Doch Details dazu kommen ihr nicht über die Schmoll-Lippen. Dafür findet sich auf Lenas linkem Oberarm eine Art Beziehungs-Botschaft. Neben der Ritterlilie prangt nun ein zweites Tattoo mit dem Schriftzug: “to love and to be loved” (lieben und geliebt werden). Ach wie schön, ein kleiner Satellit schwebt im siebten Himmel.

Fangen wir hinten an: Das Tattoo, das “nun” auf ihrem Oberarm prangt, war da schon vor acht Monaten, wie etwa Bild.de damals ganz aufgeregt notierte.

Und das mit der Liebe ist auch keine ganz so spektakuläre Neuerung, wie Boulevardjournalisten wüssten, wenn sie im vergangenen Oktober die ARD-Sendung “Inas Nacht” gesehen hätten, die im August 2011 aufgezeichnet worden war:

Ina Müller: Was magst Du denn generell an Männern? Hast Du ‘nen Typen Mann, wo Du sagst: “Oh, den find ich ganz toll”?
Lena Meyer-Landrut: Also, meinen Freund find ich ganz toll …
Müller: Du hast ‘nen Freund?!
Meyer-Landrut: Mmmm-hhhh.
Müller: Das find ich ja toll! Da hätte ich jetzt gar nicht gefragt, weil ich dachte, das würdest Du nie erzählen.
Meyer-Landrut: Tja …
Müller: Und mit dem bist Du schon lange zusammen …
Meyer-Landrut: Joa …

Dass Frau Meyer-Landrut einen Freund hat, war damals – neben den weit verbreiteten Informationen, dass sie ihr Klo selber putze und keinen Schnaps vertrage – sogar bei einschlägigen Medien wie bunte.de, “Bild” Hannover und stern.de nachzulesen gewesen. Aber man kann es natürlich noch mal aufschreiben und als “neue Liebe” verkaufen, wie es beispielsweise “Express”, “RP Online” und “Focus Online” getan haben.

Und damit kommen wir zu dapd, nach eigener Auswertung der Realität bekanntlich Deutschland fehlerfreiste Nachrichtenagentur. Die interpretierte das Geraune der “B.Z.” so:

Grand-Prix-Sternchen Lena Meyer-Landrut ist glücklich und verliebt. “Ich habe mich in Köln verliebt”, sagte die Sängerin der “BZ am Sonntag”. Aber nicht nur die Rheinmetropole habe das Herz der 21-Jährigen erobert, sondern auch ein Mann. “Weil da ein Mensch ist, den ich liebe. Wo ich das Glück habe, dass ich ihn lieben darf”, sagte die Sängerin.

Wer der neue Mann in ihrem Leben ist, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Erst vor wenigen Wochen war Lena von ihrer Heimatstadt Hannover nach Köln gezogen, wo sie nun mit ihrem Freund lebt.

(Nachzulesen etwa im “Westen”.)

Dass Frau Meyer-Landrut “erst vor wenigen Wochen” nach Köln gezogen sein soll, kommt etwa für die Menschen überraschend, die im August 2010 diese Meldung gelesen haben:

Lena Meyer-Landrut, Gewinnerin des Eurovision Song-Contest 2010 in Oslo, hat jetzt ein Appartement in Köln, damit sie nicht immer von ihrer Heimatstadt Hannover aus pendeln muss. Das sagte sie der Online-Ausgabe der “Frankfurter Neuen Presse”. In Köln ist Stefan Raabs Produktionsfirma Brainpool, die Lena managt.

Wobei diese Nachricht auch mit Vorsicht zu genießen ist. Der Urheber damals nämlich: dapd.

Spätestens vor einem Jahr war Lena dann aber doch in Köln angekommen, weil sie sich für ein Studium (“‘Sprachen und Kulturen Afrikas’ und Philosophie”) an der dortigen Universität eingeschrieben hatte, was damals ebenso medial ventiliert wurde wie vor einem Monat der Umstand, dass sie besagtes Studium wieder geschmissen hatte. Aber natürlich konnte sie auch im Juni 2012 noch mal nach Köln ziehen (“zu ihrem Freund”!), wenn man es denn noch mal aufschreiben konnte.

Jedenfalls hat dapd aus den Nicht-Neuigkeiten “neue Liebe, neues Tattoo” auch noch ein Video gebaut, das irgendwelche armen Cutter aus Archivmaterial zusammenschnibbeln mussten. Mit dabei ist ein Foto mit Tattoo beim Deutschen Filmpreis (April 2012, “neues Tattoo”) und diese Aussage:

Im Oktober soll Lenas drittes Album erscheinen und eine große Tournee ist auch geplant. Der Kartenverkauf läuft Medienberichten zufolge aber eher schleppend an.

Dass sich die Karten für Lenas Tournee so schlecht verkaufen, dürfte allerdings auch daran liegen, dass man sie noch gar nicht kaufen kann: Die Tourdaten sind noch nicht bekannt gegeben, der Vorverkauf noch nicht mal angelaufen.

Insofern ist der nachfolgende Satz noch dümmer, als er es sowieso schon wäre:

Ob die Nachricht von einer neuen Liebe also nur eine PR-Masche ist, bleibt offen.

Ja, die “neue Liebe” ist eine Masche. Aber eine von desinteressierten Möchtegernjournalisten, die versuchen, sich aus bereits wieder vergessenen und deshalb für neu gehaltenen alten Tatsachen und falschen Annahmen eine Geschichte zusammenbasteln.

Bei stern.de ist das dapd-Video inzwischen wieder weg, bei “Welt Online” aber zum Beispiel noch verfügbar — und das, obwohl es seit heute Mittag sogar eine korrigierte Fassung gibt, aus der der “schleppende” Vorverkauf verschwunden ist.

Mit Dank auch an Lars, Peter G. und Andreas K.

Nachtrag, 16. August: sueddeutsche.de hat die zweite Fassung des dapd-Videos aus dem Netz genommen, bei “Welt Online” läuft immer noch die erste.

Der BKA-Nazi-Lösch-Skandal, der keiner war

Es sei ein “beispielloser Vorgang”, da war sich die “Bild am Sonntag” sicher: Ein Beamter der Bundespolizei, der bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU für das BKA Handydaten ausgelesen hatte, soll diese “am 8. Dezember vergangenen Jahres nach Dienstschluss” “heimlich” und “systematisch” vernichtet haben.

So stand es am 12. Februar in der Zeitung:

Bundespolizist Jens B. sollte nach der Auswertung der Handys die Daten ans BKA übergeben und dann auf seinem Computer umgehend löschen. “Bitte löschen, wenn ich dir zurück melde, dass ich die DVD lesen kann”, schrieb BKA-Mitarbeiterin Alexandra-Maria F. am 7. Dezember an Jens B.

Was auf den ersten Blick wie Routine wirkt, ist in Wahrheit ein beispielloser Vorgang: Die BKA-Ermittlerin F. forderte den Polizeibeamten Jens B. zu Vernichtung von Beweismitteln und damit zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht auf. Denn die Bundespolizei muss sämtliche Ermittlungsergebnisse mindestens bis zum Abschluss des jeweiligen Gerichtsverfahrens aufbewahren, weil die Beamten wichtige Zeugen werden könnten. Dann müssen sie genau belegen, woher die von ihnen beschafften Daten stammen.

“Bild am Sonntag” war so besorgt über den Vorgang, dass sie sogar einen echten Sicherheitsexperten zu dem Thema befragt haben:

“Für die zielgerichtete Vernichtung von Beweismitteln durch eine Polizeibehörde in einem laufenden Ermittlungsverfahren, noch dazu auf Wunsch des BKA, kann es keine harmlose Erklärung geben”, betont ein Sicherheitsexperte gegenüber BILD am SONNTAG. Der dubiose Vorgang “riecht nach Beweisunterdrückung durch das BKA”.

Derlei “Experten” waren es dann auch, die “Bild am Sonntag” dazu bewogen, das ganz große Fass der Verschwörungstheorie aufzumachen:

Doch welches Geheimnis bergen die Handydaten? Polizeiexperten halten eine mögliche Erklärung, dass das BKA Informanten im Umfeld der Neonazi-Bande schützen will. Führen die Spuren der auf den Handys gespeicherten Telefonnummern, Text- und Bildnachrichten direkt ins BKA?

Immerhin: Auch beim BKA hatte “Bild am Sonntag” nachgefragt — und dann doch eine eher harmlose Erklärung erhalten:

Und was sagt das BKA zur Datenlöschung? Dazu erklärt ein BKA-Sprecher etwas umständlich: “Um in diesem sensiblen Verfahren eine Dislozierung der vorhandenen Asservate in verschiedenen Behörden zu vermeiden, wurde seitens BKA die Bundespolizei gebeten, als Kopie vorhandene Handydaten zu vernichten.” Unter Dislozierung versteht man eine Verteilung an unterschiedlichen Orten.

“Bild am Sonntag” hielt die Erklärung offenbar für wenig plausibel.

In seinem Kommentar ging Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur der “Bild am Sonntag” dann auch vom Schlimmsten aus:

Der Bundespolizeibeamte B. mag gedacht haben, er tue den Kollegen vom BKA nur einen kleinen Gefallen, als er die Daten aus dem Handy eines mutmaßlichen Helfers der Zwickauer Terroristen in einer Datenbank löschte.

In Wahrheit war das möglicherweise ein Schlag gegen Prinzipien unserer Verfassung. Als Lehre aus der Nazizeit wurde in der Bundesrepublik ein Rechtsstaat etabliert wie nur in wenigen Staaten weltweit. Rechtsstaatlichkeit ist so etwas wie die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.

Mit den Prinzipien des Rechtsstaats aber ist es in keiner Weise zu vereinbaren, dass Polizisten Beweismittel manipulieren oder gar zerstören, wie hier offenkundig geschehen. Denn solche Daten erhalten möglicherweise Hinweise auf oder Beweise für bislang nicht aufgeklärte Verbrechen.

Zweifel an der Version seiner Zeitung äußerte er eher pro forma:

Sollte das BKA tatsächlich in manipulativer Absicht die Löschung der Daten bei der Bundespolizei veranlasst haben, dann haben wir es mit einem neuen Skandal in den mit Pannen und Fehlern reich gesegneten Ermittlungen gegen die Zwickauer Terrorzelle zu tun.

Andere Medien berichteten noch am gleichen Tag darüber, dass das BKA “offenbar” Ermittlungsdaten habe löschen lassen.

Am darauffolgenden Tag war die Geschichte in “Bild” schon deutlich kleiner. Die Überschrift lautete auch nicht mehr “Warum ließ das BKA wichtige Nazi-Ermittlungsdaten heimlich löschen?” sondern “Löschte BKA Ermittlungsdaten?”:

Berlin -Das BKA hat im Fall des Zwickauer Neonazi-Trios bei der Bundespolizei Ermittlungsdaten, u. a. Handydaten des mutmaßlichen Terror-Unterstützers Andre E., löschen lassen, berichtet die BILD am SONNTAG. Das BKA hat den Bericht bereits zurückgewiesen.

Die “taz” schrieb dazu einen Tag nach der “BamS”:

Das BKA hat ungewöhnlich heftig auf den Bericht reagiert. Der Vorwurf, man habe Beweismittel vernichtet und unterdrückt sei “absurd”, teilte die Behörde mit. “Alle in der Berichterstattung der Bild am Sonntag vorgenommenen Mutmaßungen und getroffenen Schlussfolgerungen sind unzutreffend.”

Die Version des Bundeskriminalamts geht so: Die Bundespolizei habe im Rahmen einer Amtshilfe die Daten auf dem Handy des mutmaßlichen Terrorunterstützers André E. ausgelesen. Eine anwesende BKA-Mitarbeiterin habe diese anschließend samt Telefon mitgenommen. Schließlich sei die Bundespolizei dann gebeten worden, ihre Kopie der Daten zu löschen: um die Daten “an einer Stelle zu konzentrieren”.

Die Daten seien auch nach wie vor “vollständig und unverändert” vorhanden und stünden der Bundesanwaltschaft für die Ermittlungen zur Verfügung. “Das BKA schützt weder Neonazis noch Informanten aus der rechten Szene”, teilte BKA-Chef Jörg Ziercke mit.

Immerhin soll aber das Bundesinnenministerium eine umfassende Erklärung von der BKA-Amtsleitung zu dem Vorgang angefordert haben.

Es wäre allerdings auch nicht das erste Mal, dass die Springer-Presse im Zusammenhang mit der rechtsextremen Terrorzelle “Nationalsozialistischer Untergrund” etwas hochzieht, das sich beim Genaueren hinschauen als halbwahr oder ganz falsch herausstellte.

Und so war es dann wohl auch diesmal wieder: Der beschuldigte Bundespolizeibeamte ging gegen die Berichterstattung vor und erwirkte eine Einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer AG. Im April veröffentlichte “Bild am Sonntag” zwei Gegendarstellungen des Mannes.

Am 7. August entschied dann das Landgericht Berlin, dass “Bild am Sonntag” und Bild.de nicht weiter behaupten dürfen:

  • dass die BKA-Beamtin den Bundespolizisten zur Vernichtung von Beweismitteln und damit zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht aufgefordert habe,
  • dass der Bundespolizist Handydaten gelöscht habe (ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass diese Daten auch nach der Löschung noch bei der Bundespolizei vorhanden waren),
  • dass der Bundespolizist nach Dienstschluss heimlich Handydaten gelöscht habe,
  • dass der Bundespolizist Beweismittel manipuliert oder gar zerstört habe.

Die beanstandeten Artikel sind bei Bild.de und aus dem Zeitungsarchiv verschwunden.

Die Geschichte dieses “beispiellosen Vorgangs” taucht diese Woche als Randepisode in einem “Focus”-Artikel über die Zustände bei der Bundespolizei auf und geht dort so:

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Innenministerium und Bundespolizei ist, wurde Anfang 2012 deutlich, im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Terrorzelle NSU: Heinz-Dieter M., Abteilungsleiter im Potsdamer Präsidium, hatte gegenüber einem ranghohen Beamten des Ministeriums offiziell den Verdacht geäußert, das Bundeskriminalamt (BKA) könne einen Informanten “im Umfeld des Trios” geführt haben – ein schwerer Vorwurf.

Hintergrund der wüsten Spekulation, die später auch in der Öffentlichkeit kursierte: Jens B. von der Bundespolizei hatte auf Bitten des BKA Handy-Daten eines NSU-Verdächtigen gelöscht. Weil M. in die Aktion nicht eingebunden war, witterte er eine Verschwörung. Die Bundesanwaltschaft vernahm ihn als Zeugen.

Am Ende stellte sich heraus, dass die Bundespolizei lediglich eine Kopie der sensiblen Daten gelöscht hatte, das Original lag beim BKA. So war es nur den wilden Fantasien eines hohen Polizisten zu verdanken, dass das BKA zu Unrecht in den Verdacht geriet, Neonazis zu schützen.

“Wilde Fantasien” — genau das richtige für “Bild am Sonntag”.

Mit Dank an Frank und Martin.

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