1. The Würstchen of Wall Street (faz.net, Lars Jensen)
Sie mögen Politserien wie “House of Cards”? Dann ist dieser Artikel über den neuen Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses Anthony Scaramucci geradezu eine Pflichtlektüre. Angesichts der sich an allen Seiten auftuenden politischen und menschlichen Abgründe kann man “FAZ”-Autor Lars Jensen verstehen, wenn er sich an der einen oder anderen Stelle nur noch mit Sarkasmus zu helfen weiß: “Scaramucci kann ja nichts dafür, dass die Geschichte Hollywoods nur so wimmelt von Figuren, die aussehen wie er, die reden wie er und die irgendwann im Laufe des Films einen Widersacher durchsieben und in den Kofferraum stopfen.”
2. Vom Radio lernen … (taz.de, Stefan Stuckmann)
Warum werden anspruchsvolle Serien auf Netflix gefeiert, scheitern aber auf Sat.1 oder RTL? Vielleicht, weil das Medium Fernsehen für diese Serien nicht mehr das richtige ist, findet Stefan Stuckmann und entwickelt einige Gegenrezepte. So empfiehlt er den privaten TV-Machern die “Gegenteil-Strategie”, eine Verbreiterung des Angebots und die Kuratierung von Inhalten. Die Öffentlich-Rechtlichen könnten sich vergleichsweise leichter gegen die Streamingdienste zur Wehr setzen: “ARD und ZDF haben durch die Beitragsfinanzierung den Vorteil, dass sie, in ihrer idealen Gestalt und, wenn sie wollten, ohnehin eher Netflix entsprechen könnten als RTL.”
3. Das Wiki ist Teil einer Radikalisierung der Geschlechterdebatte im Internet (sueddeutsche.de, Kathleen Hildebrand)
Das Online-Portal “Agent*In” der Heinrich-Böll-Stiftung (eine parteinahe Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen) listet Gegner feministischer Positionen auf und erntet dafür einiges an Kritik. Es geht um die Prangerwirkung der “schwarzen Liste” und darum, dass viele der Einträge unzureichend unterfüttert seien. Außerdem trage die Seite zur Radikalisierung der Geschlechterdebatte bei: “Man kann das Wiki also nicht nur – wie es seine Macher tun – als Reaktion auf, sondern auch als Teil einer Dynamik sehen, in der sich Debatten über Geschlechterfragen in den vergangenen Jahren im Internet radikalisiert haben. Online-Foren, Kommentarsektionen und viele Wikis sind keine Orte differenzierter Argumentation und sachlicher Diskussion.”
4. Fake News von Fake-Autoren (faktenfinder.tagesschau.de, Srdjan Govedarica)
Die “Faktenfinder” der “Tagesschau” berichten von einem skurrilen Fall von Fake News in Serbien: Dort habe eine regierungsnahe in den vergangenen Monaten drei frauenfeindliche Meinungsbeiträge veröffentlicht. Die Autoren seien vermeintliche Experten aus dem Ausland mit wohlklingenden Titeln gewesen. Das Problem: Sie existieren nicht.
5. “Filterblasen sind wahrscheinlich Voraussetzung unseres Überlebens” (derstandard.at, Klaus Taschwer)
Der “Standard” hat sich mit dem IT-Rechtler Nikolaus Forgó über das postfaktische Zeitalter, alte und neue Filterblasen, problematische Gesetzesinitiativen gegen Hatespeech und Fake News sowie die Zukunft der Medien und der staatlichen Überwachung unterhalten.
6. Royale Nicht-Neuigkeiten (detektor.fm, Christian Bollert)
Moritz Tschermak verrät im Gespräch mit “detektor.fm”, warum man als weibliches Mitglied der britischen Königsfamilie im gebärfähigen Alter niemals, niemals, nie die Hand auf den Bauch legen sollte, sei es noch so zufällig… Transparenzhinweis: Moritz Tschermak ist nicht nur Spezialist für die sogenannte Regenbogenpresse, sondern auch Chef des BILDblogs.
1. Waffengleichheit geschützt (taz.de, Christian Rath)
Wenn es um Klagen gegen Medien geht, spielt das Landgericht Hamburg eine zentrale Rolle: Hier werden Persönlichkeitsrechte in der Abwägung mit der Pressefreiheit besonders hoch gewichtet. Da bei bundesweit erscheinenden Medien der Gerichtsstand frei gewählt werden kann, bemühen Kläger daher oft das klägerfreundliche Hamburger Gericht und seine Pressekammer. Wie sich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf diese Praxis ausüben kann, erklärt Christian Rath in der “taz”.
2. Gericht verbietet gefälschtes Schulz-Zitat (faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Die “Junge Union Bayern” musste nach einer einstweiligen Verfügung des Hamburger Landgerichts einen Facebookbeitrag löschen. Die Jugendorganisation von CDU/CSU hatte dem Kanzlerkandidaten der SPD Martin Schulz ein gefälschtes Zitat untergeschoben, über einen extra dafür angelegten Fakeaccount. CSU und Junge Union Bayern wurden durch den Gerichtsbeschluss verpflichtet, den fragwürdigen Tweet sofort zu löschen.
3. Stellungnahme: Neue deutsche Medienmacher kritisieren besorgten Wissenschaftler (mit Reaktion) (neuemedienmacher.de)
Das Netzwerk “Neue deutsche Medienmacher” versteht sich als “Interessenvertretung für Medienschaffende mit Migrationsgeschichte und tritt für eine ausgewogene Berichterstattung ein, die das Einwanderungsland Deutschland adäquat wiedergibt”. In einer Stellungnahme macht die Vereinigung ihrem Unmut über die Studie “Die “Flüchtlingskrise” in den Medien” Luft. Die Antwort des Studienleiters ist dem Beitrag angehängt.
4. Neues Gender-Wikipedia „Agent*In“ will auf eigenartige Weise Klischees bekämpfen (ze.tt, Milena Zwerenz)
Die Heinrich-Böll-Stiftung, die politische Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen, hat gemeinsam mit der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung die Broschüre “”Gender raus!” Zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik” veröffentlicht. Als Hilfestellung, wie man antifeministische Kommentare und Gender-Kritik abwehren kann. Eine gute Idee, findet Milena Zwerenz, doch das Ganze habe einen merkwürdigen Beigeschmack.
5. Fakten gegen Fakes: fünf Verifizierungs-Initiativen made in Germany (get.torial.com, Bernd Oswald)
Faktencheckerseiten haben gerade Hochkonjunktur. Bernd Oswald stellt fünf Verifizierungs-Initiativen vor: den “Faktenfinder” der “Tagesschau”, die BR-Verifikation, das sich noch im Betastadium befindliche Projekt “Truly Media”, den “ZDFcheck17” und “Correctivs” “Echtjetzt” (auf das neu hinzugekommene “Stimmtdas” haben wir in den letzten Tagen in den 6vor9 verwiesen).
6. “Finis Germania” und die SPIEGEL-Bestsellerliste (spiegel.de, Susanne Beyer)
Nach einem veritablen Shitstorm um das heimlich von der “Spiegel”-Bestsellerliste entfernte Buch “Finis Germania” sieht sich die stellvertretende Chefredakteurin des “Spiegel” nun genötigt, eine Stellungnahme abzugeben. Es ist ein Dokument, das auch der PR-Maschinerie eines Konzerns entsprungen sein könnte und weit entfernt vom Slogan des Nachrichtenmagazins “Keine Angst vor der Wahrheit”.
1. Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein… (welt.de, Deniz Yücel)
Der Türkei-Korrespondent der “Welt” Deniz Yücel befindet sich seit März 2017 in Einzelhaft. Seinen Anwälten hat er diktiert, was man so alles zum Thema Türkei schreiben müsste. Und das ist eine ziemliche Menge… Yücels Schlusssätze: “Als Journalist könnte ich mir in diesen Tagen keine interessantere und als Bürger dieses Landes keine sinnvollere Aufgabe vorstellen als diese. Ich sag’s ja: Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein. Journalismus ist schließlich kein Verbrechen.”
2. Der Anti-Troll (spiegel.de, Carline Mohr)
Carline Mohr stellt den Kommentierer “ekkwolf” vor. Dahinter steckt der 74-jährige Wolf Ekkehard Melzer, ein Überzeugungstäter, der den “Lügenpresse”-Rufern widersprechen will und ein “Anti-Troll”. Er kommentiere unter den Artikeln klassischer Medien wie “Sueddeutsche.de”, “spiegel.de”, “nzz.ch”, “Zeit.de” und auf sogenannten alternativen Nachrichtenseiten, wie “Tichys Einblick”, “Sputnik” oder “Epoch Times”. In den letzten zweieinhalb Jahren über 6.000 mal. Wer ist dieser Mensch und was treibt ihn an?
3. Der rechte, rechte Platz ist frei: „Spiegel“ löscht heimlich Skandalbuch aus Bestsellerliste (uebermedien.de, Mats Schönauer)
Ein Mitarbeiter des “Spiegel” hievt als Mitglied einer Jury ein rechtslastiges Buch trickreich auf eine Bestenliste. Die Sache fliegt auf, der Juror tritt zurück, das umstrittene Buch wird jedoch zum Bestseller. Nun wurde es im Stil einer heimlichen Löschaktion kommentarlos von der Bestsellerliste gestrichen. Mats Schönauer kommentiert den Vorgang, den er “beachtlich” nennt: “Hätte der „Spiegel“ das Buch wenigstens transparent entfernt, wäre ihm Kritik aus der rechten Ecke gewiss gewesen, doch zumindest hätte er sich in vielen anderen Ecken Glaubwürdigkeit bewahrt. So aber untergräbt er diese nicht nur selbst, sondern gießt auch weiteres Öl ins „Lügenpresse“-Feuer — und verschafft dem Buch einmal mehr Aufmerksamkeit.”
4. Korruption im Journalismus? (message-online.com, Volker Lilienthal)
“Message”, die “Internationale Zeitschrift für Journalismus” veröffentlicht eine Rede von Journalismus-Professor Volker Lilienthal über Korruption im Journalismus. Die Rede wurde zwar bereits zu Beginn des Jahres gehalten, hat ihre Aktualität jedoch nicht eingebüßt. Lilienthal versucht sich zunächst an einer Anamnese und stellt Ergebnisse einer Journalistenbefragung vor. Zum Schluss seines Vortrags schlägt er einen Katalog mit konkreten Maßnahmen zur Korruptionsprophylaxe vor.
5. Sag die Wahrheit (sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Faktenchecken sei im Wahljahr ein Modethema, schreibt Kathrin Hollmer in ihrer Einleitung und kommt gleich auf die jüngste Faktenchecker-Plattform zu sprechen. Die heißt “Stimmtdas” und überprüft mit einem Team von 15 Mitarbeitern Aussagen von Politikern. Die Seite wolle den Betreibern zufolge über die Bundestagswahl hinaus langfristig arbeiten. Bisher prüfte “Stimmtdas.org” sieben Aussagen von Angela Merkel, Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt, Frauke Petry, Gregor Gysi und zwei von Alice Weidel. Zwei bis drei Statements sollen in Zukunft pro Woche folgen.
6. Instagramming für Faule (zeit.de, Eike Kühl)
Sie wollen der Held der Landschaftsfotografie auf Instagram werden? Dann sollten sie sich anschauen, was zwei Google-Forscher gemacht haben. Statt aufwändig an entfernte Orte der Erde zu reisen und dort auf den richtigen Moment zum Drücken des Auslösers zu warten, haben sie Bilder aus Googles Street View ihren Algorithmen zum Fraß vorgeworfen. Die Ergebnisse seien so gut geworden, dass selbst professionelle Fotografen keinen Unterschied festgestellt hätten.
1. Großer Lauschangriff in Leipzig: Gespräche mit Journalisten abgehört (lvz.de)
Drei Jahre ließ die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft in Leipzig nach einer kriminellen Vereinigung in der linken Szene und beim Fußballklub “Chemie Leipzig” suchen. Bei dem “großen Lauschangriff” wurden annähernd 60.000 Gespräche und SMS von den Ermittlern registriert und ausgewertet. Die 24.000 Seiten mit Gesprächsprotokollen füllen 41 Aktenordner. Bei der letztlich erfolglosen Aktion sei auch auch die Pressefreiheit auf der Strecke geblieben: Wie die Generalstaatsanwaltschaft jetzt schriftlich bestätigt habe, hätten die Beamten auch monatelang Gespräche mit einem Journalisten der “Leipziger Volkszeitung” abgehört.
2. Fake? Egal! “Es geht um die Message” (faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Auf Twitter wird ein angebliches Bild der Antifa verbreitet. Darauf eine junge Frau mit einem Stein in der gehobenen Hand. Im Hintergrund ein mit Graffiti und Plakaten versehenes Gebäude. Dazu der Spruch “Flora bleibt! Besetzte Häuser erkämpfen und verteidigen!” und ein Logo mit der Aufschrift “Antifaschistische Aktion”. Der Tweet samt Bild wird von vielen geteilt, darunter auch von der “AfD”. Das Bild ist jedoch ein Fake. Bei der als angebliche Antifa-Kämpferin abgebildeten Person handelt es sich um die Vorsitzende der Jungen Union Hamburgs. Doch die “AfD” sieht es nicht so eng mit der Wahrheit: “Wenn die Message stimmt, ist uns eigentlich egal, woher das Ganze kommt oder wie es erstellt wurde. Dann ist es auch nicht so tragisch, dass es Fake ist.”
3. Zeigt nicht auf den dicken Mann! (causa.tagesspiegel.de, Heinrich Schmitz)
Seit Tagen trifft man in den sozialen Netzwerken auf das Foto eines Mannes mit beachtlicher Körperfülle, dessen schwarzes T-Shirt die Worte „Nationalstolz kann man nicht zerbrechen“ zeigt, aufgenommen beim Neonazi-Konzert in Themar. Spott und Häme ergießen sich über den Mann, der so gar nicht dem Idealbild der Herrenrasse entspricht. Rechtsanwalt und Kolumnist Heinrich Schmitz hält das Verbreiten des Bilds nicht nur für rechtlich bedenklich, sondern sieht darin auch eine “eklige Tendenz”.
4. Antifeminismus im heute-journal: Claus Kleber interviewt Maria Furtwängler (filmloewin.de)
Das feministische Frauenmagazin “Filmlöwin” beschäftigt sich mit dem Interview von “heute-journal”-Moderator Claus Kleber mit Maria Furtwängler. Thema des Gesprächs war das Geschlechterungleichgewicht bei Film und Fernsehen. Nachdem es bei “Spiegel Online” bereits einen kritischen Beitrag gab, analysiert die “Filmlöwin” Wortlaut und Sprache des Interviews und kommt zum Schluss: “In meinen Augen gibt es nämlich keinen besseren Beweis für den drängenden Handlungsbedarf als den Verlauf dieses Gesprächs, die polemische Rhetorik, die antifeministischen Scheinargumente und die Respektlosigkeit des Interviewers.”
5. Springer-Verlag macht Werbung für Yücels Gefängnis (deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Silke Burmester nimmt sich im “Deutschlandfunk” das Medium “Zeitungsbeilage” vor (speziell die türkische “Jubelbeilage” in “Zeit” und “FAZ” sowie das türkische “Reise-Extra” in der “Welt”). Sie hält diese Art von Beilagen für doppelt problematisch: “Zum einen weichen sie für uns Journalisten die Trennlinie zwischen Journalismus und PR auf, denn es sind oft dieselben Personen, die einerseits über die Themen berichten, andererseits die Jubeltexte schreiben. Zum anderen führen sie die von den Zeitungen angestrebte Haltung ad absurdum, wenn sie ihren Leserinnen und Lesern völlig frei von jeglicher Kritik etwa die Diktatoren-Staaten in den schönsten Farben darlegen.”
6. Nina George: (M)ein Brief an die Branche – und an Lufthansa und Amazon-Audible (buchmarkt.de, Nina George)
Versetzen Sie sich kurz in die Lage einer Schriftstellerin, die von der Lufthansa und dem Hörbuchanbieter “Audible” (einer hundertprozentigen “Amazon”-Tochter) angeschrieben wird: Über einen Zeitraum von einem halben Jahr will man den etwa 35 Millionen Flugpassagieren Ihr Hörbuch im Bord-Entertainment-System anbieten! Jubelnd wollen sie schon zum Sekt greifen, doch da sehen Sie, dass man Ihnen dafür eine Komplettpauschale von gerade mal Euro 150 anbietet. Genau das hat gerade die international bekannte Schriftstellerin Nina George erlebt. Pech für “Lufthansa” und “Audible”, dass Nina George nicht nur Präsidiumsmitglied des PEN-Zentrums Deutschland, VS-Bundesvorstandsmitglied, Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt und VG-Wort-Verwaltungsrätin ist, sondern eine im besten Sinne des Wortes streitlustige Person ist, die ein paar passende Worte dafür bereithält.
1. Ein Umstand mit Geschmäckle (taz.de, Silke Burmester)
Die Entwicklungen in der Türkei mit den zahlreichen Repressionen gegen Journalisten, Juristen und Andersdenkende haben dem Image des Landes naturgemäß geschadet. Türkische Wirtschaftsorganisationen klappern nun die Anzeigenabteilungen deutscher (und ausländischer) Medienhäuser ab und winken mit Geld für großformatige Imageanzeigen mit propagandistischem Einschlag. Im Falle der “Welt”, deren Korrespondent Deniz Yücel sich seit Februar in der Türkei in Haft befindet, besonders problematisch. Selbst wenn man sich auf eine Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung berufe: “Die Bigotterie, dass Verlage, die sich für Demokratie und Pressefreiheit einsetzen, die noch dazu für die Freilassung ihrer Mitarbeiter kämpfen, an den Imagebeilagen der undemokratischen Staaten verdienen, bleibt.” Ergänzung (11:32 Uhr): Beim “Deutschlandfunk” hat Silke Burmester noch mal zum Thema nachgelegt.
2. „Die Medien haben sich danach gesehnt, dass es jemand spannend macht“ (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Jetzt auch ohne Paywall lesbar: Das “Übermedien”-Interview mit dem legendären Wahlkampfberater Frank Stauss, der in den vergangenen 20 Jahren über 25 Wahlkämpfe begleitet hat: unter anderem für Klaus Wowereit, Kurt Beck, Gerhard Schröder, Malu Dreyer und Hannelore Kraft. Es geht über ein mögliches Comeback für Kanzlerkandidat Martin Schulz, den Bedeutungsverlust klassischer Medien — und wie die Befindlichkeit von Journalisten die Berichterstattung beeinflusst.
3. Gegen den medialen Jagdtrieb (deutschlandfunk.de, Burkhard Schäfers, Audio, 4:30 Minuten)
Der “Deutschlandfunk” berichtet in einem Hörbeitrag über einen Workshop der Deutschen Journalistenschule zum richtigen Umgang mit Betroffenen von Amokläufen und Terroranschlägen. Es ist bezeichnend, dass es dabei auch um Selbstverständlichkeiten des menschlichen Miteinanders geht. Workshopleiter Unger: “Es ist eine Ausnahmesituation, auch für den Berichterstatter. Wir sollten vorsichtig, aber auch natürlich mit den Menschen ins Gespräch kommen. Sich vorzustellen, wer man ist und was man gerne möchte. Und auch so zurückhaltend zu fragen, dass es immer noch eine Ausweichmöglichkeit für die Protagonisten gibt.”
4. Deutschland im Zerrspiegel (faktenfinder.tagesschau.de, Silvia Stöber)
Silvia Stöber beschäftigt sich mit der Deutschlandberichterstattung alternativer Medien aus Osteuropa. Es sei ein verzerrtes Bild, das dort vielmals gezeichnet werde. Mit Bezug auf die Geschichte würden diese Medien Ängste und Misstrauen schüren: “Sie berufen sich auf deutschsprachige Webseiten aus dem verschwörungstheoretischen Milieu, geben andere deutsche Medien falsch wieder oder stellen Online-Umfragen als repräsentative Meinung der Bevölkerung dar.” Als Reaktion hätte der Auswärtige Dienst der EU ein Strategisches Kommunikationsteam mit elf Mitarbeitern eingerichtet.
5. Missstände zudecken (sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Hat die Landespolizei in Schleswig-Holstein im Zuge der sogenannten “Rocker-Affäre” tatsächlich Journalisten der “Kieler Nachrichten” bespitzelt, um an Informationen über Whistleblower aus den eigenen Reihen zu gelangen? Die Redaktion ist davon überzeugt. Es bestehe zum Beispiel der Verdacht, die Polizei habe einen Peilsender am Auto von Chefredakteur Longardt angebracht, um dessen Fahrten zu Informanten verfolgen zu können.
6. Es war Schleichwerbung. Aber: Muss ja keiner wissen. (fair-radio.net, Sandra Müller)
Wenn die Radiomacher von “Fair Radio” irgendwo ein eklatantes Fehlverhalten eines Radiosenders entdecken, reichen sie schon mal Beschwerde bei der zuständigen Aufsichtsbehörde ein. So vor einem Jahr, als sie dem Radiosender “FFH” Schleichwerbung vorwarfen. Die gute Nachricht: Die zuständige Landesmedienanstalt Hessen (LPR) hat der Beschwerde stattgegeben. Die schlechte Nachricht: Das kam erst ein Jahr später raus und nur nach merhmaligem Nachfragen, denn der “aufsichtliche Hinweis” wird anscheinend wie ein Geheimnis gehütet: “Und niemand außer der Sender und die LPR-Verwaltung erfährt was davon. Nicht die Medienversammlung der Landemedienanstalt. Nicht die Öffentlichkeit. Nicht die Hörer.”
1. Die Wahrheit über den “Einwanderermob” von Schorndorf (vice.com, Matern Boeselager)
Wahrer Horrormeldungen waberten durch Netz und Medien: Bis zu 1.000 Asylbewerber hätten sich zusammengerottet, um ein deutsches Volksfest zu sprengen, deutsche Polizisten anzugreifen und deutsche Mädchen anzugrapschen. Aber was war wirklich passiert in Schorndorf, einem kleinen Ort in der Nähe von Stuttgart? Jedenfalls nicht annähernd so viel wie die übertriebenen Panikmeldungen denken lassen. Wobei wohl auch eine alarmistische Pressemitteilung der Polizei eine Rolle spielte: “Derjenige, der die Pressemitteilung geschrieben hat, war selbst nicht im Schlosspark und hat vorher womöglich nie direkt mit den Kollegen gesprochen, die im Einsatz waren. Und so wurde aus einer ungemütlichen Situation mit Flaschenwürfen und anderen verstreuten Delikten schließlich ein “Einwanderermob”, der ein deutsches Volksfest gesprengt hat.” Vice hat mit der Polizei gesprochen und Schülerinnen, die vor Ort waren. Weitere Lesetipps: Der Faktencheck von “Correctiv”: Was ist in Schorndorf passiert? und der Faktencheck der “Tagesschau”: Der kurze Weg von Schorndorf nach Köln
2. Stimmtdas.org (stimmtdas.org)
“Stimmdas” nennt sich eine neue unabhängige und nicht-kommerzielle Faktencheck-Plattform, bei der ein zehnköpfiges Kernteam und einige freie Autoren Aussagen von PolitikerInnen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Alle “Stimmtdas”-Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Finanziert wird das Ganze ausschließlich über Spenden und Unterstützung parteiunabhängiger Stiftungen. Die zu überprüfenden Aussagen sollen einen Gesprächswert haben und müssen überprüfbar sein. Am Ende steht dann eine von neun Bewertungen, die von “stimmt” bis “Scharlatanerie” reichen kann. Einige Beiträge sind bereits auf der Website vorhanden.
3. G20-Diskreditierung: »Wir sind gebrandmarkt, wir 32« (neues-deutschland.de, Elsa Koester)
Die “Neues Deutschland”-Redakteurin Elsa Koester schreibt über die Entziehung ihrer Akkreditierung für den G20-Gipfel in Hamburg durch das BKA. Beim Lesen ihres sehr persönlichen Beitrags, in dem es auch um Berufsverständnis und Haltung geht, wird klar: Hier geht es um mehr als eine “Formalie”, über die man schnell hinweggehen sollte. Koester sieht sich und die 31 anderen Kollegen gebrandmarkt. Sie schließt mit den Worten: “Diese Liste diskreditiert mich und meine journalistische Arbeit zu Unrecht. Ich werde sie nicht akzeptieren, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht.”
4. „Wir müssen das jetzt versuchen“. Ein Interview mit Lamya Kaddor. (fearlessdemocracy.org, Gerald Hensel)
Gerhard Hensel von “Fearless Democracy” hat sich mit der Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor unterhalten. Kaddor ist die Initiatorin des “Ramadan Friedensmarsch”, mit dem sich Muslime und Freunde für eine friedliche gemeinsame Umwelt und explizit gegen Terror wandten. Im Gespräch geht es unter anderem um das mediale Echo der Aktion und Hass und Häme im Netz.
5. Olympia doch bei ARD und ZDF? (taz.de, Jürn Kruse)
Nachdem sich das Medienunternehmen “Discovery” die europäischen Übertragungsrechte der nächsten Olympischen Spiele für einen Milliardenbetrag gesichert hat, sollen die öffentlich-rechtlichen Sender dem neuen Rechteinhaber 100 Millionen geboten haben. Die Verhandlungen scheiterten, worauf Olympiakritiker schon einwarfen, dass der Betrag dann Informations- und Nachrichtensendungen zugute kommen könnte. Nun sieht es so aus, als ob hinter den Kulissen weiter um Liveübertragungen und/oder Zusammenfassungen gefeilscht wird.
6. „Erdogan findet den Vergleich mit Diktatoren angebracht“ (jetzt.de, Nadja Schlüter)
Heute wird in der Galerie „Caricatura“ in Kassel die Ausstellung „Schluss mit lustig. Aktuelle Satire in der Türkei“ eröffnet. Die Ausstellung zeigt Werke von 50 türkischen Cartoonisten, die sich für Pressefreiheit positionieren. Zusammengestellt wurde die Sammlung von der deutschen Journalistin und Filmemacherin Sabine Küper-Büsch, die seit 25 Jahren in Istanbul lebt und deren Buch diese Woche erscheint.
1. Polizeigewalt beim G20-Gipfel? Nicht in der „Bild“-Zeitung! (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung zum G20-Gipfel untersucht. Dort sei ausgiebig über die Eskalation der Gewalt im Umfeld der Veranstaltung berichtet worden. Das Thema Polizeigewalt kam jedoch nur in einer homöopathischen Dosis vor. Und dies obwohl diverse Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte laufen und ein “Bild”-Chefreporter selbst getwittert hatte, dass die Polizei gezielt Journalisten angreife. Niggemeiers Fazit: “”Bild” lässt sich nicht auf eine Diskussion ein, wie groß das Ausmaß der Gewalt war, die von der Polizei ausging, und warum es trotzdem richtig ist, sich bei den meisten Polizisten für ihren Einsatz zu bedanken. Die “Bild”-Zeitung verschweigt die Vorwürfe und die Diskussion einfach komplett.”
2. NDR-Journalist fälschlich für “Reichsbürger” gehalten (tagesspiegel.de, Frank Jansen)
Zahlreichen Journalisten wurde beim G20-Gipfel ohne Angaben von Gründen die bereits erteilte Akkreditierung wieder entzogen, darunter auch einem Reporter des NDR. Nun erfuhr der “Tagesspiegel” aus Sicherheitskreisen, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt habe. Man hätte den Mann fälschlich für einen “Reichsbürger” gehalten. Bezüglich der anderen Fälle würden die Behörden weiter an ihrer Aussage festhalten, dass weder der türkische Geheimdienst “MIT” noch eine andere ausländische Behörde auf den Entzug der Akkreditierungen Einfluss gehabt habe.
Weiterer Lesetipp: Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” hat eine Chronologie der nachträglich entzogenen Akkreditierungen erstellt.
3. Keine Polizeigewalt? Herr Bürgermeister, das stimmt nicht. (stern.de, Hans-Jürgen Burkard)
Hans-Jürgen Burkard betreibt seit Jahrzehnten Fotojournalismus: Er hat rund 50 große “Stern”-Reportagen fotografiert und war als junger Fotograf schon bei den Protesten in Wackersdorf, Brokdorf und Kalkar dabei. Beim G20-Gipfel ist Burkard mehrfach Opfer polizeilicher Gewalt geworden. Ein Wasserwerfer habe ihn, obwohl gut als akkreditierter Journalist wahrnehmbar, gezielt aufs Korn genommen und “abgeschossen”, was ihn seine Ausrüstung gekostet habe (zwei Kameras und ein Objektiv). Der Vorfall ist dokumentiert, denn ein Kollege hat die Attacke fotografiert. Und dies sei nicht der einzige gezielte Angriff auf den Fotografen gewesen. Am Vorabend der Chaos-Nacht sei ihm aus kürzester Entfernung von einem Polizisten Tränengas ins Gesicht gesprüht worden, so dass er ins Krankenhaus musste.
4. Der G20 in Hamburg aus Sicht eines Polizisten (vionville.blogspot.de, Oliver von Dobrowolski)
Oliver von Dobrowolski ist Polizeibeamter und arbeitet neben seiner hauptamtlichen Beschäftigung bereits im zwölften Jahr auch als Konfliktmanager der Polizei Berlin. In einem persönlichen Blogpost, in dem er als Polizist, aber nicht für die Polizei spricht, arbeitet er die Geschehnisse um den G20-Gipfel auf und kommentiert den Einsatz der Polizei: “Was die Polizeitaktik anbetrifft, haben mittlerweile fast sämtliche Rechtswissenschaftler und Polizeiforscher mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen erklärt, dass das Vorgehen der Hamburger Polizeiführung nicht nachvollziehbar und hinsichtlich der Ausprägung schlicht falsch gewesen ist.”
5. G20 Doku (g20-doku.org)
Die Seite “G20-Doku” sammelt Fälle, die für die Redaktion wie rechtswidrige Polizeigewalt aussehen: “Wir sind eine Gruppe von Menschen, die gegen den G20-Gipfel in Hamburg protestiert haben. Wir sind alle der Ansicht, dass der G20-Gipfel eine völlig neue Dimension in Sachen Verletzung von Grundrechten und rechtswidriger Polizeigewalt darstellt. So etwas war in Deutschland in den letzten Jahren, auch beim G8-Gipfel in Heiligendamm, nicht zu beobachten. Besorgt um die Grundrechte und um den Zustand der Demokratie haben wir uns entschlossen, die unzähligen im Internet vorhandenen Materialien zu dokumentieren, zu kategorisieren und zu verschlagworten. Wir wollen damit das Ausmaß der Übergriffe zeigen und unseren Beitrag für die Aufklärungsarbeit rund um den G20-Gipfel zu leisten.”
Auch der “Faktenfinder” der “Tagesschau” versucht, die Vorgänge aufzuarbeiten, indem er nach Antworten auf die drängendsten Fragen sucht. Viele Fragen seien jedoch weiterhin offen. Außerdem würden manche Behördenauskünfte neue Fragen aufwerfen.
6. Während der G20-Proteste wurden weniger Polizisten verletzt, als die Polizei behauptet (buzzfeed.com, Marcus Engert)
Die Polizei sprach im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel von 476 verletzten Polizeibeamten, was von vielen Medien so auch an die Leser weitergegeben wurde. Marcus Engert hat bei den 16 Landespolizeibehörden und der Bundespolizei nachgefragt und kommt zu einem anderen Ergebnis: Es seien deutlich weniger Beamte während der Proteste verletzt worden, als bisher angenommen. Mehr als die Hälfte der Verletzungen seien schon vor den Protesten gemeldet worden und etliche Verletzungen seien nicht auf die Demonstranten zurückzuführen. Rafaehl Behr, Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, hätte bestätigt: “Die Verletzten-Zahl muss dringend relativiert und eingeordnet werden.”
1. Seit ich bei #G20 war, habe ich Angst (metronaut.de, Tim Lüddemann)
Tim Lüddemann ist ein demonstrationserprobter und erfahrener Journalist, der in den vergangenen Jahren schon allerhand erlebt hat. Doch noch nie hätte er sich im Nachgang seiner Arbeit so unwohl gefühlt, wie nach den G20-Protesten. Das läge auch am Verhalten der Polizei und des gesellschaftlichen Umgangs damit: “Ich bekomme Angst, wenn ich höre, wie die Parteienpolitik und die Zivilgesellschaft im Nachhinein über die Proteste sprechen. Die Gewalt und die Verfehlungen der Polizei werden gar nicht thematisiert. Stattdessen große Dankesbekundungen und Inschutznahme vor jeglicher Kritik. Die Polizei ist keine unfehlbare Kraft und in einem Rechtsstaat und in einer Demokratie sollte ihr Handeln kritisch begleitet werden. Nur in autoritären Regimen werden Sicherheitskräfte kritiklos gewürdigt und nicht hinterfragt.”
2. Streit um Akten in Privatarchiven (taz.de, Christian Rath)
Ein spannender Fall: Die Journalistin Gaby Weber recherchiert seit Jahren über die „Aktion Geschäftsfreund“. Dahinter steckt ein geheimer 630-Millionen-DM-Kredit, mit dem die Bundesrepublik in den 1960er Jahren das israelische Atomwaffenprogramm in der Wüste Negev finanzierte. Die Recherche gestaltet sich jedoch schwierig, denn die Akten dazu stehen nicht, wie vorgesehen, im Bundesarchiv, sondern wanderten nach dem Tod der beiden Drahtzieher der Aktion zur CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Historischen Institut der Deutschen Bank. Weil man sich dort wenig bis gar nicht auskunftsfreudig zeigt, hat Gaby Weber gegen die Bundesrepublik geklagt: Das Bundesarchiv möge auf Herausgabe der staatlichen Unterlagen bestehen. Das Verfassungsgericht macht ihr nun Hoffnung, auch wenn es wohl noch Jahre bis zu einer endgültigen Klärung dauern wird.
3. «Gut gemeinter Journalismus ist schlecht für die Welt» (handelszeitung.ch, Urs Paul Engeler)
Der Schweizer Journalist Urs Paul Engeler kann dem “Impact Journalism”, bei dem es um “positiven” lösungsorientierten Journalismus geht, nicht viel abgewinnen “Zuviel des Guten ist Kitsch. Denn das universelle «Gute», das für alle nur gut ist, gibt es gar nicht, weder individuell noch gesellschaftlich noch wirtschaftlich noch politisch. Real sind einzig (naturgemäß gegenläufige) Interessen, Wettbewerbe, ja Kämpfe. Was dem Schweizer Röntgenkonstrukteur oder dem Eschenzer Campingwirt nützt, schadet ihren Konkurrenten. Was dem israelischen Reporter gut erscheint, bekämpft sein palästinensischer Kollege.”
4. Wie sich Ungarns freie Presse gegen Orbán wehrt (de.ejo-online.eu, Andreas Neukam & Lukas Dirscherl)
Seit Viktor Orbán im Herbst 2010 in Ungarn regiert, sieht es schlecht aus um die Pressefreiheit. Wenige Monate nach seinem Wahlsieg richtete er eine staatliche Medienbehörde ein, die die Presse drangsalieren und gängeln kann. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind seitdem durch ein restriktives Mediengesetz quasi gleichgeschaltet. Bei privaten Medien setzt man auf eine andere Strategie und lässt sie oft von regierungsnahen Eigentümern aufkaufen. Die wenigen unerschrockenen unabhängigen Medienmacher und Journalisten müssen neue Wege finden, sich zu artikulieren.
5. Christian Jakubetz: “Wann man die Berichterstattung beenden und dafür gute Kumpels spielen sollte (kress.de, Christian Jakubetz)
In Fachkreisen ist bekannt, dass der ehemalige “Bild”-Chef Kai Diekmann und der jüngst verstorbene Ex-Bundeskanzler Kohl eng miteinander befreundet waren. Das wirft die allgemeine Frage auf, wie nah sich Politiker und Journalisten sein dürfen. Ein von Sympathie getragener Umgang sei möglich. Bei allem, was darüberhinausgehe, werde es schwierig, so der Publizist Christian Jakubetz: “Freundschaft allerdings macht Journalismus unmöglich. Wenn man also tatsächlich mit einem Politiker oder einem Wirtschaftsboss befreundet sein will, bleibt leider nichts anderes übrig: Berichterstattung beenden und dafür dann gute Kumpels spielen.”
6. “Ein Foul der Grünen” (faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker & Verena Stöckigt)
Die Grünen haben in den sozialen Medien von ihnen nachlayoutete FDP-Plakate mit untergeschobenen, falschen Zitaten veröffentlicht. Darüber entbrennt nun ein Streit. Die FDP spricht von einem Foul, ein Experte warnt vor Desinformation: “Wenn im Wahlkampf Positionen der Mitbewerber verzerrt dargestellt werden, ist das der Qualität des demokratischen Wettbewerbs nicht zuträglich.” Neben den ethischen Fragen, gibt es aber auch eine rechtliche Komponente. Die FDP wolle jedoch nicht rechtlich gegen die gefälschten Wahlplakate vorgehen.
2. „Rechtspopulistische Vereinnahmung des Berliner Kurier“: DuMont geht gegen AfD-nahen Deutschland Kurier vor (meedia.de)
Heute ist es so weit: Die AfD-nahe Wochenzeitung “Deutschland Kurier” erscheint mit einer Auflage von 300.000 Exemplaren auf dem Berliner Markt. Das Blatt wird vom rechtskonservativen “Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten” herausgegeben und hat bereits im Vorfeld für viel Gesprächsstoff gesorgt. Nun kommt ein neuer Aspekt hinzu: Das Logo der Rechts-Postille ähnelt auf frappierende Weise dem des “Berliner Kuriers”. Dort prüft man rechtliche Schritte.
3. Sieben Dinge, die ich in der rechten Facebook-Echokammer gelernt habe (sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
“SZ”-Autor Simon Hurtz startete 2015 ein Experiment: Auf Facebook legte er den Fake-Account “Tim” an. Tim interessiert sich für schnelle Autos, schläft in FC-Bayern-Bettwäsche und hat ein stark ausgeprägtes, rechtskonservatives Weltbild. Diesem Weltbild entsprechend liket er sich durch Facebook. Die Motivation: “Ich wollte keinen politischen Extremisten erschaffen, sondern einen möglichst realistischen Eindruck bekommen, wie Facebook für Menschen aussieht, mit denen ich außerhalb sozialer Medien kaum ins Gespräch komme.” Nach mehr als anderthalb Jahren fasst Simon Hurtz seine Erkenntnisse aus dem Versuch zusammen: “Facebook verwandelt tolerante Bürger nicht in Rassisten. Mir hat mein Experiment aber gezeigt, wie erschreckend einfach es ist, sich eine Echokammer zusammenzuklicken, in der Hass entsteht. Hier entwickeln Menschen ein “Wir da unten gegen die da oben”-Gefühl – und ich kann nachvollziehen, woher ihre Wut kommt.”
4. Von wann ist der Tweet? (faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann)
Twitter hat sich zu einem wichtigen Nachrichtenkanal entwickelt, der von vielen als Informationsquelle genutzt wird. Doch es gibt auch Falschmeldungen, die von den Medien ungeprüft verbreitet werden. Dabei oft besonders wichtig: Wann wurde ein Tweet verfasst? Wolfgang Wichmann vom “Faktenfinder”-Team der “Tagesschau” zeigt anhand von praktischen Beispielen, wie man bei der Verifikation vorgeht.
5. Ein bisschen Transparenz bei Facebook (tagesschau.de, Dennis Horn)
Facebook hat erstmals Journalisten in sein Berliner Löschzentrum eingeladen, das von der Bertelsmann-Tochter “Arvato” betrieben wird. Anscheinend wollte man der kritischen Berichterstattung der Vergangenheit Transparenz entgegensetzen. Doch so recht klappen wollte das mit der Transparenz nicht. Bei Fragen nach konkreten Zahlen, zum Beispiel zur Fehlerquote bei Löschentscheidungen oder zur Zahl der Mitarbeiter, die sich konkret um deutschsprachige Inhalte kümmern, hätte man sich weiter verschlossen gegeben.
6. Über die Kraft der 140 Zeichen (faz.net, Eric Posner)
Eric Posner ist Professor für Internationales Recht an der “University of Chicago Law School”. Und er scheint sich mit Twitter auszukennen, denn er hat 20 knackige Thesen über die “Kraft der 140 Zeichen” verfasst. Eine Frage bleibt jedoch offen: Hat er überhaupt einen Twitter-Account? Wir konnten ihn dort jedenfalls nicht aufspüren. Tipps willkommen!
7. Kommissar Reichelt und die „Bild“-Sheriffs üben Titelseiten-Selbstjustiz (bildblog.de, Moritz Tschermak)
Ausnahmsweise heute ein zusätzlicher Link aus dem eigenen Haus: Moritz Tschermak berichtet über den fragwürdigen “Bild”-Fahndungsaufruf (“Gesucht. Wer kennt diese G20-Verbrecher?”) und die Reaktionen von Polizei und Medien darauf. Mit umfangreicher Linkliste zu weiterführenden Artikeln.
Auch für Idioten gilt die Unschuldsvermutung. Auch Idioten müssen sich keine Vorverurteilung gefallen lassen. Auch Idioten sind nicht gleich “Verbrecher”, nur weil jemand ein Foto von ihnen gefunden hat, aus dem man ableiten könnte, dass sie eine Straftat begangen haben. Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte. Auch Idioten haben ein Recht am eigenen Bild.
Wir schreiben das so deutlich, weil die “Bild”-Redaktion das alles anders zu sehen scheint:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns. Bei “Bild” und Bild.de waren die Gesichter aller Personen zu erkennen.)
So sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. Die Fahndung nach den “G20-Verbrechern” erstreckte sich auch aufs Internet, prominent platziert bei Bild.de:
Insgesamt 18 Personen, die am vergangenen Wochenende irgendwas in Hamburg gemacht haben sollen, haben die “Bild”-Medien an den Pranger gestellt, mit vergrößerten Gesichtern und der Beschreibung von besonderen Merkmalen. Manche von ihnen sind beim Werfen eines Steins zu sehen, manche beim Tragen eines Steins. Eine Frau ist kurz davor, eine leere Cola-Flasche wegzuschleudern. Eine andere hat zwei volle Flaschen Kindersekt unter den Arm geklemmt. Was die Leute davor gemacht haben oder danach, wohin die Steine und Flaschen fliegen, die sie in den Händen halten, ob sie bei manchen überhaupt fliegen oder nicht doch wieder fallen gelassen werden — nichts davon ist bekannt, und nichts davon lösen “Bild” oder Bild.de auf.
Das alles ist gleich aus mehreren Gründen mindestens problematisch, teilweise wohl auch rechtswidrig. Es fängt an mit der Vorverurteilung durch die “Bild”-Medien. Bereits in der Titelzeile steht fest, dass es sich um “Verbrecher” handele (wobei schon das Wort “Verbrecher” falsch ist, weil es sich erst dann um ein Verbrechen handelt, wenn die Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr beträgt, etwa bei Mord oder schwerer Körperverletzung, nicht aber bei schwerem Landfriedensbruch — dort spricht man von einem Vergehen). Die Unschuldsvermutung, die für jeden Menschen gilt, gilt nicht bei “Bild”. Während man normalerweise erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung ein Straftäter ist, reicht für die Redaktion schon eine Momentaufnahme, um ein Urteil zu sprechen. Ein möglicher Kontext ist dabei völlig egal.
Und das ist dann auch schon das nächste Problem: Die “Bild”-Medien nehmen Rollen ein, die nichts mehr mit der normaler Berichterstatter zu tun haben. In guten Momenten werden Medien zur vierten Gewalt, weil sie die drei anderen Gewalten — Legislative, Exekutive und Judikative — überwachen. “Bild” reicht das offenbar nicht mehr. Stefan Niggemeier schreibt bei “Übermedien” dazu:
Die Zeitung übernimmt die Rolle des Fahnders, und sie maßt sich dabei gleichzeitig die Rolle des Richters an. Ihr Urteil über die Menschen, nach denen sie öffentlich fahnden lässt, ist schon gefällt, und ein Teil der Strafe in Form des öffentlichen Prangers schon vollstreckt.
Dass “Bild” überhaupt öffentlich nach Personen fahndet, sei “klar rechtswidrig”, sagt Dr. Marcel Leeser, Medienanwalt bei der Kölner Kanzlei “Höcker Rechtsanwälte”:
Öffentliche Fahndungsaufrufe müssen immer durch einen Richter angeordnet werden. Sie sind nur zulässig bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Nur in Notfällen dürfen auch Staatsanwaltschaft und Polizei die öffentliche Fahndung anordnen. Keinesfalls dürfen Private oder Medien im Alleingang Menschen zur Fahndung ausrufen.
Und dann gibt es noch das Recht am eigenen Bild. “Fotos von Demonstrationen oder der Begehung von Straftaten können zwar in vielen Fällen veröffentlicht werden”, sagt Leeser. Die Art und Weise, wie der “Bild”-Medien die Fotos präsentieren, mit Zoom auf die Gesichter, verletzte “aber eindeutig deren Recht am eigenen Bild.”
“Bild” und Bild.de tun den abgebildeten Personen Unrecht. Ohne dass je ermittelt wurde, was diese tatsächlich getan haben, stellen sie sie an den Pranger. Gerade erst am vergangenen Wochenende, ebenfalls aufgrund von Berichten über die Geschehnisse rund um den G20-Gipfel, konnte man sehen, wie das Missachten der Unschuldsvermutung nach hinten losgehen kann. Bild.de schrieb am Freitag über einen Böller, der vor einem Polizisten explodiert ist. Dazu veröffentlichte die Redaktion dieses im Original unverpixelte Foto:
Im Artikel steht dazu:
Auf einem der zahlreichen Randale-Bilder vom Freitag ist zu sehen, wie einer der Tausenden G20-Chaoten vor einem Beamten steht, der schwer verletzt in die Knie geht – der Mann hat dem Polizisten kurz zuvor einen Böller direkt ins Gesicht geworfen!
Das stimmt allerdings gar nicht. Der Mann, der auf dem Foto zu sehen ist, hat mit dem Böllerwurf nichts zu tun. Die Hamburger Polizei griff — auch wegen des Bild.de-Berichts — bei Twitter ein, weil man “einen Unschuldigen vor einer ‘Online-Hetzjagd’ schützen” wolle:
Bild.de fügte der Bildunterschrift später die Information hinzu, dass der Böller-Werfer nicht auf dem Foto zu sehen sei. Gelernt haben die “Bild”-Medien aus diesem Fall aber offenbar nichts, wie die Titelseiten von Montag eindrucksvoll zeigt.
Die “GESUCHT!”-Aktion hat bereits konkrete Folgen. Heute meldete “Bild” — sicher nicht ohne Stolz — auf der Titelseite: “GESTELLT!”, nachdem sich einer der Abgebildeten bei der Polizei gemeldet hat:
Max Hoppenstedt schreibt bei “Vice”, dass es auch erste Kopfgelder gibt, die von rechten Internetseiten ausgelobt wurden, auf Grundlage der bei der “Bild”-Fahndung gedruckten Fotos.
Stefan Koldehoff sieht beim “Deutschlandfunk” “die Unabhängigkeit der Presse” durch die “Bild”-Zeitung “massiv beschädigt”:
Ohne damit die Hamburger Gewalttäter auch nur ansatzweise verstehen und verteidigen zu wollen: Wer sich so verhält, wie es die “BILD-Zeitung” heute tut, bestärkt all jene, die in Medien ohnehin nur den verlängerten Arm des Staates – die angebliche “Staatspresse” — sehen. Und das kann ernsthaft niemand wollen. Die Unabhängigkeit der Presse hat “BILD” heute massiv beschädigt.
Und Medienanwalt Ralf Höcker weist im Interview mit “Meedia” darauf hin, dass die Vorverurteilung durch “Bild” und der mediale Pranger sich bei einem möglichen Strafverfahren gegen die abgebildeten Personen auf das Strafmaß auswirken könnte:
Mit ihrer journalistischen Amtsanmaßung machen die Chefredakteure Julian Reichelt und Tanit Koch es am Ende alles nur noch schlimmer. Sie tun möglicherweise Unschuldigen unrecht und sorgen gleichzeitig dafür, dass tatsächliche Täter mit einer geringeren Strafe davonkommen.
Trotz all dieser Bedenken findet “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch die Aktion ihrer Zeitung völlig in Ordnung. Sie beruft sich bei ihrem Urteil auf die “Vedachtsberichterstattung”:
Nun bedeutet “Verdachtsberichterstattung” eigentlich, dass man besonders zurückhaltend berichtet und extra kenntlich macht, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. “Bild” macht das exakte Gegenteil und spricht von “Verbrechern”. Entweder weiß Tanit Koch nicht, was “Verdachtsberichterstattung” bedeutet. Oder sie stellt sich extra blöd. Egal wie — es wäre recht traurig.