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Das wird man ja wohl noch zeigen dürfen!

Die “Bild”-Medien trommeln heute mal wieder kräftig in eigener Sache.

“Das bringt nur BILD”, so lautet der Slogan der großen PR-Kampagne, deren ganzer Wahnsinn sich schon an diesem Video erahnen lässt:

Die Kampagne findet, wie der Axel-Springer-Verlag verkündet:

auf allen analogen und digitalen Kanälen statt. Sie beinhaltet Print- und Online-Motive, Out-of-Home-Plakate und -Kurzvideos, einen Kino- und TV-Spot sowie verschiedene Funk-Spots.

Und auf redaktioneller Ebene das hier:

Eine (nicht ganz neue) Aktion, mit der das Blatt heute viel Aufmerksamkeit erregt hat. „Bild“ schreibt:

Wir wollen damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind. Und dass es sich lohnt, jeden Tag um das beste Foto zu kämpfen!

Denn Fotos können beweisen, was Mächtige verstecken wollen. Sie wecken Emotionen in uns. Sie zeigen schöne Momente, aber auch grausame. Sie lassen uns mit anderen Menschen mitfühlen. (…)

Darum steht BILD immer wieder für die Veröffentlichung umstrittener Fotos ein – oft gegen harte Widerstände. Die Welt muss die Wahrheit sehen, um sich zu verändern.

So etwas sagen die Menschen von „Bild“ gern, wenn es um die „Veröffentlichung umstrittener Fotos“ geht. Man müsse die Wahrheit „ungeschönt“ zeigen, man müsse die Geschichten und Gesichter der Opfer (und Täter) abbilden, um „die Tragik“ eines Ereignisses „fassbar“ zu machen.

In den meisten Fällen geht es dann aber nicht um solche Fotos, die „Bild“ in dem Artikel als Beispiele anführt — das des Mädchens, das im Vietnamkrieg vor einer Napalm-Wolke flieht und das des ertrunkenen Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum, bei denen es tatsächlich nachvollziehbare Gründe für eine Veröffentlichung gibt –, sondern um Fotos, die nicht als Symbolbilder um die Welt gegangen sind. Fotos, auf denen Menschen hilflos sind oder trauern oder sterben, Fotos von Menschen, die Schlimmes getan haben oder die nur zufällig Teil eines tragischen Geschehens wurden, über das die „Bild“-Zeitung unbedingt unverpixelt berichten muss.

Solche Fotos:

Oder solche:

Oder solche:

So sieht der Umgang mit „umstrittenen Fotos“ bei der „Bild“-Zeitung tagtäglich aus: „Mutig“ und „ungeschönt“, trotz all der „harten Widerstände“ durch den politisch korrekten Verpixelungswahn dieser Gutjournalisten. Alles im Sinne der „Wahrheit“. Und letztlich im Sinne der „Schwachen“, wie „Bild“-Online-Chef Julian Reichelt erklärt:

Diese BILD-Ausgabe ohne Fotos ist eine Verneigung vor der Kraft der Fotos. Ohne Fotos wäre die Welt noch ignoranter, wären die Schwachen verloren, unsichtbar. Ohne Fotos blieben viele Verbrechen nicht nur ungesühnt – sie würden nicht einmal erinnert. Fotos sind der Aufschrei der Welt.

Und wer meint, die „Bild“-Zeitung mache die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens zum zweiten Mal zu Opfern, wenn sie irgendwo private Fotos von ihnen auftreibt oder Fotos, auf denen sie blutüberströmt auf der Straße liegen, und diese dann groß und unverpixelt und ohne Erlaubnis abdruckt, der irrt natürlich gewaltig:

Immer wieder – auch jetzt – hören wir die Forderung, Fotos gar nicht oder nur verpixelt zu zeigen, weil sie menschliches Leid zu drastisch dokumentieren, weil sie Menschen „ihre Würde nehmen“ würden.

Dieses Argument übersieht immer wieder den wichtigsten Punkt: Nicht das Foto stellt die würdelose Situation her, sondern der Krieg oder die Ignoranz der Politik oder unsere Feigheit davor einzuschreiten. Das Foto dokumentiert bloß die Welt. Die Welt ist nicht verpixelt. Wir haben kein Recht darauf, es uns leicht zu machen, wenn Unrecht geschieht. Wir müssen uns zwingen hinzusehen. Der Schmerz, den wir beim Anblick von Leid empfinden, hat nicht das leiseste Recht, sich gleichzumachen oder auch nur zu vergleichen mit dem Schmerz der Abgebildeten.

Der Gedanke, dass auch die Abgebildeten Rechte haben, das Recht am eigenen Bild zum Beispiel, und dass eine Verletzung dieser Rechte ebenfalls Schmerz auslösen kann, ist Julian Reichelt bei seiner Argumentation wohl nicht gekommen, aber er hat ja auch schon genug damit zu tun, sich ständig um die Angehörigen der Abgebildeten zu sorgen:

Das twitterte der Bild.de-Chef vor ein paar Wochen, kurz nachdem die Leiche eines entführten und ermordeten Mädchens entdeckt worden war.

Und weil Reichelt und sein Team den Angehörigen mit einer möglichst unverpixelten Berichterstattung ja im Grunde nur helfen, dokumentieren sie seither akribisch die grausamen Details des Verbrechens, zeigen die Fotos, auf denen das Mädchen in einem Leichensack weggetragen wird, veröffentlichten ihre Todesanzeige und mehrere Fotos von ihrer Beerdigung, fotografierten ihr Grab aus verschiedenen Perspektiven und präsentieren konsequent in jedem Artikel mindestens ein Bild von ihr ohne jede Unkenntlichmachung, „mutig“ und „ungeschönt“ eben, denn es geht ja um die Wahrheit und darum, das Leid „fassbar“ zu machen.

Fotos von Verbrechensopfern, von Leichen, von Menschen, die ums Überleben kämpfen, die von Geiselnehmern oder Vergewaltigern erniedrigt werden, all das zeigt die Zeitung, aber schließlich ist sie ja auch der Chor des Lebens!

So wie es in der griechischen Tragödie des Chors bedarf, der das, was der Zuschauer sieht, beweint, braucht das Leben, braucht das Land jemanden, der es beklagt und besingt.

BILD ist dieser Chor.

… trällert Alexander von Schönburg heute in seinem Beitrag zur „Bild“-Eigen-PR-Kampagne, in dem er vor allem den „einzigartigen Erfolg“ von “Bild” besingt.

BILD zielt nicht nur auf den Verstand, sondern tiefer. Aufs Herz.

Insofern hat BILD die Kernidee seines Gründers doch bewahrt. Er schuf eine Zeitung, die unmittelbarer mit dem Leser kommuniziert.

Ein Beispiel:

Jede Zeitung der Welt druckte das Foto von Willy Brandts historischem Kniefall 1970 in Warschau. Aber nur in BILD wurde beschrieben, wie ihm Tränen in die Augen schossen.

Gut, und in der “Süddeutschen Zeitung”.

Ein Alleinstellungsmerkmal gab’s damals aber dennoch: Nur der damalige Chefredakteur von „Bild“ polterte kurz nach dem Kniefall:


Aber das erwähnt Alexander von Schönburg in seiner „Bild“-Hymne natürlich genauso wenig wie die spätere Verwendung des Kniefall-Fotos durch “Bild” – und hebt stattdessen zum großen, schleimigen Finale an:

Durch ihre Zeilen gibt BILD den Fotos emotionale Kraft. Aber ohne diese Fotos ist BILD nicht mehr BILD.

BILD ist täglich erlebte Geschichte. Weil sie Geschichte fühlbar macht.

Und weil Mitfühlen so ziemlich das Menschlichste ist, dessen wir fähig sind, ist BILD eben in allererster Linie vor allem das – menschlich.

Aus der Veröffentlichung von Leichenfotos einen Beleg für die eigene “Menschlichkeit” zu basteln — stimmt: Das bringt tatsächlich nicht jeder.

Mit Dank an alle Hinweisgeber!

Siehe auch: Die Bild zeigt keine Fotos — wie schön! (Jonas Jansen auf medium.com)

Franz Josef Wagner und die Nazi-Scheiße in der “Bild”-Zeitung

Das „Lieber“ hat er sich am Dienstag lieber verkniffen:

Post von Wagner - Betrifft: Hitlers Gold-Zug

Der gepanzerte Nazi-Zug soll in einem polnischen Stollen-System stehen, voller Kunstschätze. Mag sein, mag nicht sein.

Mag eher nicht sein, aber egal. Auf jeden Fall stößt Franz Josef Wagner diese ganze Sache ziemlich übel auf.

Was mich anwidert, ist, dass Hitler eine Art Marke geworden ist. (…) Was mich nervt, ist seine unverminderte Gegenwart. Hitler-Filme, Zeichnungen von ihm werden in Auktionshäusern feilgeboten, Filme, „Der Untergang“, Bücher, „Er ist wieder da“.

Seine Ur-Enkelsind wieder da, sie werfen Brandbomben auf Flüchtlingsheime.

Mit dem Gold-Zug ist Hitler wieder da. Das Finstere, das Abscheuliche.

Und dann gibt es doch tatsächlich noch Medien, die diesem finsteren, abscheulichen Hitler-Schatz-Nazi-Gold-Zug allen Ernstes eine Bühne bieten:

Selbst die „Süddeutsche Zeitung“ schlagzeilt auf Seite 1: „Gerüchte um einen Zug voller Nazi-Schätze“.

Also wirklich, „Süddeutsche Zeitung“!

[Titelseite der Süddeutschen Zeitung, ganz oben steht in einer dezenten, grünen Zeile: 'Tunnelblick: Gerüchte um einen Zug voller Nazi-Schätze']
(Falls Sie nicht auf Anhieb fündig werden: ganz oben, die grüne Zeile.)

Gut, dass sich wenigstens Wagners Heimblatt bei dieser Geschichte zurückhält.

Polen bestätigt Sensations-Fund - Hitlers geheimer Gold-Zug!
Nazi-Zug versetzt Experten in Goldrausch
Sensationsfund in Tunnel bei Breslau - Die Suche nach Hitlers Gold-Zug
Juwelen, Gold, Bernsteinzimmer? - Das Geheimnis um den Nazi-Zug von Polen
Gold-Zug in Polen - Diese Nazi-Schätze wurden in Verstecken gefunden
Goldschatz in Polen vermutet - Russland fordert Anteil am Nazi-Zug
Suche nach Goldschatz in Polen - Zeigen Satelliten-Bilder, wo der Nazu-zug steckt? - Historikerin brachte BILD-Reporter auf die Spur
Geteilte Böschung mit auffälligem Bewuchs - Führt diese Furche zu Hitlers Gold-Zug?
Hobbysucher im Goldrausch - So gefährlich ist die Jagd nach dem Nazi-Zug - Minister warnt vor Sprengfallen ++ Anwohner fürchten um ihre Häuser
Der Mann, der das geheimnis lüften kann - Ich habe die Spur zu Hitlers Gold-Zug gefunden
Wem gehören die Schätze aus dem Nazi-Zug?
BILD vor Ort - Was passiert mit Hitlers Gold-Zug?
Ist hier Hitlers Gold-Zug-versteckt? - Nazi-Zug versetzt Experten in Goldrausch - Was steckt alles in Hitlers Zug? - Wem gehören die Schätze aus dem Nazi-Zug? - Mythos Nazi-Schätze - Ich habe die Spur zu Hitlers Gold-Zug gefunden - BILD beantwortet die wichtigsten Fragen zum Schatz-Rätsel

Die Schatzsuche nach dem Nazi-Gold ist für mich wie in Scheiße suchen.

… schreibt Wagner noch. Wäre immerhin geklärt, womit die “Bild”-Zeitung ihre Seiten füllt.

Derailing, Gehirnwäsche, eBay-Geburtstag

1. Derailing im Netz: Wie Diskussionen in eine völlig andere Richtung gelenkt werden
(t3n.de, Andreas Weck)
Als Antwort auf einen Text über Rechtsextremismus bekommt man einen Artikel präsentiert, der davon handelt, dass Linksextremismus auch gefährlich ist. Das ist “Derailing”, zu Deutsch “Entgleisung” — ein Verhalten, das die Diskussion von Anfang an vom eigentlich Thema weg lenkt. Andreas Weck stellt einige Fälle von Derailing vor und gibt Tipps, wie man mit dieser perfiden Taktik am besten umgeht, ohne sich auf überflüssige Diskussionen mit bewusst provozierenden Trollen einzulassen.

2. Urheberrecht auf Memes? Getty Images, der „Socially Awkward Penguin“ und eine Lösung aus dem Markenrecht
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Die Seite “Getdigital” verwendete das bekannte Meme des “Socially Awkward Penguin” — und kassierte dafür eine Abmahnung von Getty Images, weil der darin enthaltene Pinguin urheberrechtlich geschützt ist. Anhand von vier Gründen erklärt Leonhard Dobusch, warum es absurd ist, dass Memes abgemahnt werden können und wünscht sich dafür eine Sonderregelung im Immaterialgüterrecht.

3. This Is How Fox News Brainwashes Its Viewers
(autostraddle.com, Heather Hogan, englisch)
Zwölf Jahre hintereinander sei “Fox News” nun das “most watched cable news network” in den USA, schreibt Heather Hogan. Und schon immer gehöre es zur Agenda des Senders, seine Zuschauer einer systematischen Gehirnwäsche zu unterziehen: “Once they’ve settled on the outcome they want, Fox News shapes its narrative and sets in motion its brainwashing cycle.”

4. Verschmähte Liebe
(ejo-online.eu, Michael Haller)
Der Medienwissenschaftler Michael Haller schaut “den jungen Leuten gern mal über die Schulter” und sieht, wie sie sich “durch Mitteilungen auf Facebook klicken, Nachrichten auf WhatsApp schreiben, über Bilder- und Videogalerien wischen oder ihr Game spielen.” Zeitung liest kaum jemand. Um herauszufinden, woran das liegen könnte, hat er an der Hamburg Media School das Forschungsprojekt “Was wird aus den Digital Natives?” initiiert und insbesondere die Bedeutung von Lokalzeitungen für die “Generation Smartphone” untersucht. Sein Fazit: Eigentlich schätzten auch Digital Natives den klassischen Zeitungsjournalismus, “[d]och leider scheinen sich die Zeitungsmacher für das Lebensgefühl und die Sichtweisen der Jungen nicht zu interessieren.”

5. “Der Begriff ‘Asylant’ ist ganz klar verbrannt”
(sueddeutsche.de, Karin Janker)
“Political Correctness ist zu einem Kampfbegriff geworden, um Menschen lächerlich zu machen, die andere nicht unnötig verletzen wollen”, entgegnet der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch Menschen, die bedachte Wortwahl als “Gutmenschentum” abtun. Im Interview erklärt er, warum Begriffe wie “Asylkritiker”, “Flüchtlingswelle” und “Asylant” problematisch sind. Passend dazu hat Hannah Beitzer ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen der Flüchtlingsdebatte erstellt und nimmt “besorgte Bürger” aufs Korn, die vor “Asylmissbrauch” warnen.

6. 3… 2… 1… Meins: 20 Jahre eBay
(heise.de, Ralf Bülow)
Heute hat eBay Geburtstag. Gefeiert haben deutsche Medien aber schon gestern – weil das Geburtsdatum falsch in der Wikipedia stand, schreibt Ralf Bülow. “Ebenfalls nicht richtig ist der Mythos, [eBay-Gründer] Omidyar habe damit seine Verlobte unterstützen wollen, die Spenderfiguren für PEZ-Bonbons sammelte. Das stellt eBay in der offiziellen Chronologie richtig. Der erste Artikel, der über eBay verkauft wurde, war ein Laserpointer. Der Käufer zahlte zur Überraschung Omidyars 14,83 US-Dollar, obwohl das Gerät als defekt beschrieben war.”

In allen vier Ecken soll Unsinn drin stecken

Die Fußballer des SV Schwerborn spielen und trainieren auf einem merkwürdigen Platz, laut “Bild” und Bild.de befindet sich in dem Erfurter Ortsteil sogar:

Während die Torlinien mit 68,8 Metern gleich lang sind, unterscheiden sich die Seitenlinien des Spielfelds um ganze 13 Meter! Die eine Seite misst 99,3 Meter, die andere 112,3 Meter.

“Was ist denn hier schiefgelaufen?”, fragen die “Bild”-Medien und stellen fest: “Hier stimmt doch was nicht”. Das Verrückteste aber, das die beiden Autorinnen — die noch einmal selbst vor Ort per Geodreieck nachgemessen haben (im Ernst) — herausgefunden haben:

Erstaunlich: Obwohl die Seiten unterschiedlich lang sind, verstoßen sie nicht gegen die Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)! Die geben vor, dass das Spielfeld zwischen 90 und 120 Meter lang und 45 bis 90 Meter breit sein soll.

Leider haben die beiden Expertinnen da aber eine ganz grundsätzliche Regel des DFB (PDF) übersehen:

Das Spielfeld ist rechteckig und wird mit Linien gekennzeichnet.

Und rechteckig kann ein Fußballplatz nur dann sein, wenn die zwei Tor- und die zwei Seitenlinien jeweils gleich lang sind.

Mit Dank an Jannik R.

Wenn die Polizisten zweimal räumen

Heute morgen haben ungarische Polizisten den Budapester Ostbahnhof geräumt. Flüchtlinge, die zum großen Teil von dort mit der Bahn über Österreich nach Deutschland fahren wollen, sitzen momentan in der ungarischen Hauptstadt fest.

Bild.de berichtete über die Polizeiaktion im und am Bahnhof — und kündigte das Ganze heute Vormittag so auf der Startseite an:

(Klicken für größere Version.)

Ungarische Polizisten, denen Kameraobjektive aus dem Hals wachsen, Beamte ohne Gesichter oder mit Doppelgänger. Ganz offensichtlich hat Bild.de an dem Foto der Agentur “Reuters” rumgedoktort.

Diese Bildmanipulation dürfte für die Flüchtlinge keine negativen Folgen haben; wenn überhaupt wird hier das Polizeiaufgebot dramatischer dargestellt, als es in diesem Moment tatsächlich war. Vor allem die ungarische Polizei hätte also wohl Grund zur Beschwerde. Aber mal unabhängig von Vor- oder Nachteilen: Mit einer möglichst objektiven Abbildung der wirklichen Situation am Budapester Ostbahnhof hat das Vorgehen von Bild.de nichts zu tun.

Mit viel Wohlwollen könnte man diese Bildfälschung auf das extreme Querformat schieben, das die Redaktion für ihre Vorschaufotos benötigt. Das erklärt aber lange nicht, warum das Bild.de-Team auch noch an anderer Stelle Pixel verschoben hat: Vergleicht man das Originalfoto von “Reuters” (in verlinkten Fall lediglich an der oberen und der unteren Kante leicht beschnitten) mit der Version von Bild.de, sieht man, dass die Lok im Original viel weiter links steht. Eine ganze Reihe von Flüchtlingen, die oberhalb des Mannes im blauen T-Shirt stehen, der im nächsten Moment in die Hände zu klatschen scheint, wurde rausretuschiert.

Mit Dank an Christian!

Nachtrag, 2. September: Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt hat sich für den “Fehler” entschuldigt:

Auf unsere Nachfrage …

… hat er allerdings nicht mehr reagiert.

Brandstifter im Löscheinsatz

Also gut, reden wir noch einmal über die Flüchtlings-Berichterstattung der „Bild“-Zeitung.

Tatsächlich beziehen die „Bild“-Medien seit einigen Tagen ganz klar Position – für Flüchtlinge und gegen Hetze.

So nennt „Bild“ die rassistischen Übergriffe und Hass-Parolen betont „eine Schande für unser Land“; bezeichnet die rechten Idioten unverblümt als „rechte Idioten“; verdeutlicht immer wieder, wie schlecht es vielen Flüchtlingen ergangen ist und immer noch ergeht; zeigt Möglichkeiten auf, wie man persönlich helfen kann; begleitete Flüchtlinge über mehrere Tage auf ihrem harten Weg nach Deutschland.

In der Titelgeschichte von gestern „entlarvt“ die Zeitung „die sieben größten Lügen über Asylbewerber“, zum Beispiel: „Flüchtlinge sind besonders häufig kriminell“ oder „Flüchtlinge kriegen mehr Geld als Hartz-IVler“.

… und zeigt nebenbei, dass sie durchaus in der Lage ist, ihre reißerischen Boulevardmethoden auch für gute Zwecke einzusetzen. Angekündigt wird die Geschichte nämlich so:

Das ist ziemlich clever, denn die düstere Aufmachung lockt wohl am ehesten diejenigen, die sich dahinter eine Bestätigung ihrer Vorurteile erhoffen – aber dann genau das Gegenteil vorfinden.

Gegen all das können und wollen wir auch überhaupt nichts sagen. Nur muss man bedenken, dass die Berichterstattung bis vor Kurzem noch völlig anders aussah. Und dass die „Bild“-Zeitung genau die Vorurteile, die sie heute „entlarvt“, in den vergangenen Jahren immer und immer wieder mit voller Absicht befeuert hat.

Als „Bild“ das letzte Mal „Die Wahrheit“ versprach …

… hatte das Blatt Statistiken verzerrt, Zitate falsch wiedergegeben und wichtige Fakten verschwiegen, um rumänische und bulgarische Armutsflüchtlinge krimineller wirken zu lassen, als sie in Wahrheit waren.

Ohnehin das Thema Ausländer und Kriminalität:

Oder das Thema Ausländer und Hartz IV:

Auch hier hatte „Bild“ entlastende Fakten einfach unter den Tisch fallen lassen, um sich diese „bittere Wahrheit“ zu konstruieren.

Das Blatt führte seine Leser in die Irre, nahm Hetzer in Schutz, ließ Hetzer gewähren, verdrehte die Wahrheit, dachte sich allerlei schlimme Theorien und Szenarien aus und bereitete damit die Kerbe, in die der Rassistenmob heute so wütend reinhackt.

Nochmal: Man kann die „Bild“-Zeitung natürlich dafür loben, dass sie jetzt mithilft, die rechten Geister zu bekämpfen. Man sollte aber immer im Hinterkopf behalten, dass sie jahrelang dabei mitgeholfen hat, sie zu rufen.

Im Auftrag Ihrer Majestät, Heidenau, Ultra-Berichterstattung

1. Wie das “vermutlich” bei Heidenau in die Überschrift kam
(kress.de, Froben Homburger)
dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger erklärt, wie die Überschrift mit den “vermutlich Rechten” entstand, und warum er die Häme in den Sozialen Netzwerken für ungerecht hält. Auf FAZ.net unterstützt Michael Hanfeld diesen Eindruck und lobt die Sorgfalt der dpa: “Je genauer die Deutsche Presse-Agentur formuliert, so scheint es, desto heftiger, oberflächlicher, tumber wird sie kritisiert – von rechts oder von links. Das darf die Nachrichtenagentur ruhig als Auszeichnung verstehen.”

2. Heidenau in den Köpfen der sz.de
(nice-bastard.blogspot.de, Dorin Popa)
In der Dienstagsausgabe der “Süddeutschen Zeitung” findet man einen Kommentar von Constanze von Bullion. Es geht um das Ost-West-Gefälle in der finanziellen Ausstattung von Kitas und Ganztagsschulen, die Überschrift lautet “Es gäbe jetzt Geld dafür”. Online stand über dem Artikel zunächst: “Geld für Kinder statt Flüchtlinge”. Im Text selbst ist von Flüchtlingen jedoch gar nicht die Rede. Nach heftiger Kritik auf Twitter änderte die SZ schließlich den Titel. Dorin Popa vermutet darin Klickschinderei oder die “innere Überzeugung eines, wie sagt man heute so schön, Asylkritikers” in der Onlineredaktion.

3. Ultra-Berichterstattung: Hysterie nach Drehbuch
(effzeh.com, David Schmitz)
Nachdem das Stadionverbot für die Kölner Ultra-Gruppe “Boyz” aufgehoben worden war, gab es bei dem letzten Spiel gegen den VfL Wolfsburg eine Schlägerei vor dem Spiel – mit Beteiligung von “Boyz”-Mitgliedern. Was die “Bild”-Zeitung zum Anlass nimmt, den Dialog des 1. FC Köln mit seiner Fangruppe zu kritisieren, weil die “Boyz” schließlich nur auf Gewalt aus seien. Diese Verurteilung des gesamten Fanclubs stört David Schmitz: “Schließlich – das wird gerne vergessen in der aktuellen Berichterstattung – hieß die Aufhebung der Stadionverbote vor allem, dass Fans, denen offenbar keine Straftaten nachgewiesen werden konnten, wieder ihre Bürgerrechte wahrnehmen und ins Stadion gehen dürfen. Es ist also weniger eine Gnade, als eine juristische Richtigstellung.”

4. Der Kandidat des Königs
(operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Matthias Pauqué möchte Oberbürgermeister von Bonn werden. Der parteilose Kandidat tritt im Namen einer bizarren Bewegung an, die unter anderem die “Abschaffung gemeingefährlicher Organisationen (IWF, Weltbank, CIA und andere)” fordert und ein neues Parlament einführen will. Unterstützt wird Pauqué auch von Peter Fitzek, der sich selbst zum “König von Deutschland” ernannt und auf einem alten Krankenhausgelände einen eigenen Staat ausgerufen hat. Von all dem ist im Kandidaten-Porträt, das der “Bonner General-Anzeiger” veröffentlicht hat, aber nichts zu lesen — offenbar hatte sich die Redaktion einfach auf die Pressemitteilung der Verschwörungstruppe verlassen.

5. Deutschlands vielleicht kleinste Zeitung
(sueddeutsche.de, Olaf Przybilla)
Die Ostheimer Zeitung ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Wer dem Chefredakteur etwas zuschickt, wird gedruckt, so sind die Regeln. Das klingt nach einem seltsamen Verständnis von Journalismus – bis man einen Blick ins Impressum wirft: “Inhaber: Volker Gunzenheimer. Lokalchef: Volker Gunzenheimer. Anzeigenchef: Nein, offiziell nicht Volker Gunzenheimer, das macht sein Sohn. Was das Impressum verschweigt, vermutlich aus Bescheidenheit: Auch der Chefreporter, der einzig festangestellte Fotograf, der Chefdrucker und der Chef vom Dienst hören auf den Namen Volker Gunzenheimer.”

6. 14 lieblos ausgewählte Bilder mit schwachsinnigem Text für Sie zum Klicken und Teilen
(der-postillon.com)

Heidenau, Leserinnen, Youtuber

1. Was Medien aus #Heidenau lernen können
(marckrueger.tumblr.com, Marc Krüger)
Am Freitagabend eskalierte die rechtsradikale Gewalt in Heidenau. Bei Twitter war der Hashtag #Heidenau Trending Topic, in den klassischen Medien tauchte das Thema bis Samstag dagegen kaum auf. Ein Grund: Die Nachrichtenagenturen berichteten erst spätabends – und die sind für viele Journalisten auch im Jahr 2015 noch die wichtigste Quelle. Ist das noch zeitgemäß? Nein, glaubt Marc Krüger: “Agenturhörigkeit und das absolute Vertrauen in die Vollkommenheit der Texte sind mittlerweile ebenso fehl am (Nachrichten)Platz wie das Glorifizieren von Twitter als einzig wahre Quelle […] Nachrichten sind auch nicht nur dann wichtig, wenn Agenturen sie als ‘Eil’ kennzeichnen.”

2. Hereinspaziert, klicken und liken!
(medienwoche.ch, Ronnie Grob)
Im zweiten Teil der Serie über die Veränderungen des Journalismus durch das Internet macht sich Ronnie Grob Gedanken über die Finanzierung von Netzinhalten. Wer heutzutage Geld verdienen wolle, sei “dazu gezwungen, viele Leser zu vielen Interaktionen zu bringen, und das passiert nicht mit ausgewogenem, vernünftigem Journalismus. Sondern mit Emotionen, Sex, Kriminalität, Satire, Gerüchten, Überzeichnungen, Halb- und Unwahrheiten. Das Träumen von einer anderen Welt ist zwar nach wie vor erlaubt, doch die Realität des ‘Journalismus’ online sieht so schlimm aus wie Focus.de oder Huffingtonpost.de. Portale, die für einen Klick oder ein Like wohl auch ihre Großmutter verkaufen würden.”

3. Wenn sich Männer nicht mitgemeint fühlen
(blogs.taz.de, Lalon Sander)
Viele Medien verwenden ganz selbstverständlich das generische Maskulinum. Wenn sie von “Lesern” sprechen, sollen sich die Leserinnen natürlich mitgemeint fühlen. Aber was passiert, wenn man das Ganze umdreht? Lalon Sander hat das bei der “taz” ausprobiert und in einem Artikel über E-Mail-Verschlüsselung von Absenderinnen und Empfängerinnen geschrieben. Die Reaktionen der Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern zeigen: Drei Buchstaben können für ganz schön viel Empörung sorgen.

4. Letters: Mario Vargas Llosa Responds
(nytimes.com, Mario Vargas Llosa)
Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa beschwert sich in einem Leserbrief, dass in einer Buchrezension der “New York Times” mehrere Falschinformationen über ihn stehen: Weder habe er einen Twitter-Account, noch exklusive Fotos über eine neue Liebesbeziehung an ein Magazin verkauft. “I am flabbergasted to learn that this kind of gossip can work its way into a respectable publication such as the Book Review.”

5. Nehmt Youtuber ernst!
(tagesspiegel.de, Tim Klimeš)
Tim Klimeš ärgert sich über die Häme und die “ablehnenden Anspannung”, mit der viele klassische Medien Youtubern begegnen. “Wenn ich mich nun an meinen Schreibtisch setze, einen Text schreibe, mit dem ich nicht einmal versuche zu verstehen, wie solche Videos erfolgreich werden können, wenn ich stattdessen einen Eimer Häme über dieser neuen Kultur ausküble, dann gewinne ich vielleicht ein paar Fans auf Twitter und werde in einem Branchendienst zitiert. Was ich verliere, ist die Glaubwürdigkeit bei denjenigen, die meine Berichterstattung in den nächsten Jahren noch für voll nehmen sollen.”

6. “vermutlich Rechte”
(twitter.com/morgenpost)
Dass sie achtsam mit Sprache umgehen, wird besonders von denen erwartet, die damit arbeiten. Wie zuvor bereits “Spiegel Online” mit der “Asylgegner”-Bezeichnung hat sich nun die Nachrichtenagentur dpa mit ihrer Überschrift “Randale zwischen Linken und vermutlich Rechten” scharfe Kritik eingefangen. Dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger erklärt, warum der Text so verschickt wurde.

Michael Jeannée, Drohnen, Kaffee gegen Krebs

1. Die Stille vor dem Schuss
(nzz.at, Barbara Kaufmann)
Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Zeitung “Falter”, hat gemeinsam mit der “Vice” über ein Video berichtet, das Polizeigewalt zeigt. Nun wird er als “Polizistenhasser” verunglimpft: “Kronen Zeitung-Kolumnist Michael Jeannée schießt scharf gegen Klenk, und seine Zeilen lassen andere schießen.” Denn das greift der FPÖ-Politiker Strache auf, unter dessen Facebook-Post Morddrohungen gegen den Journalisten auftauchen. Und der Politiker gibt dem bedrohten Journalisten selbst die Schuld an der Bedrohung. Barbara Kaufmann beklagt nun die ohrenbetäubende Stille: “Die Stille vor dem Schuss ist eine trügerische. Wenn sie vorüber ist, wird man nicht sagen können, man hätte nichts gehört.”

2. Amnesty will gegen Jeannée vorgehen
(derstandard.at, Oliver Mark)
Der bereits zuvor erwähnte Kronen-Kolumnist Michael Jeannée (eine Art Franz-Josef Wagner Österreichs) hat derzeit nicht nur mit dem “Falter” und dem Presserat, sondern auch mit Amnesty International Ärger. Denn die Menschenrechtsorganisation will den jüngsten Ausritt des Kolumnisten “nicht einfach hinnehmen”, wie Generalsekretär Heinz Patzelt dem “Standard” sagte. Jeannée machte sich über Amnesty-Mitarbeiter lustig, die zur Flüchtlingsunterkunft Traiskirchen gereist sind. Der Kolumnist leugnete die kritischen Zustände und verunglimpfte die Amnesty-Berichterstatter, schreibt Oliver Mark. Dagegen wehrt sich die Organisation nun.

3. Kaffee schützt vor erneutem Darmkrebs – oder auch nicht
(medien-doktor.de, Marcus Anhäuser)
Marcus Anhäuser hat in der “Rheinischen Post” gelesen, dass “vier Tassen Kaffee vor Darmkrebs-Rückfall schützen”. Allein: Das behaupten die Wissenschaftler gar nicht, die die Studie erstellt haben, auf die sich zuerst die AFP und dann die RP beziehen. Schließlich handelt es sich nur um eine Beobachtungsstudie über einen Zeitraum von sechs Monaten, die nach Aussage der Forscher keinen Kausalitätsschluss zulässt. Korrekterweise müsste es zum darmkrebsheilenden Kaffee also heißen: “Kann sein oder kann nicht sein.”

4. „Laßt uns doch mal eine Drohne einsetzen!“
(get.torial.com, Max Ruppert)
“Copter-Blogger” Max Ruppert erklärt, was Journalisten beachten sollten, wenn sie eine Drohne einsetzen wollen.

5. 10 neue Podcasts, die du dir anhören solltest
(t3n.de, Luca Caracciolo)
Luca Caracciolo stellt zehn Podcasts vor, “bei denen ein genauerer Blick lohnt”.

6. Feinderklärungen in den Medien
(taz.de, Rudolf Walther)
Wolfgang Storz hat für die Otto-Brenner-Stiftung eine “Recherche-Studie” über rechte Medien-Netzwerke erstellt. Das “Querfront-Netzwerk” rund um Jürgen Elsässer (“Compact”) und Ken Jebsen (“Ken.fm”) sowie dem Kopp-Verlag “versteht sich als jenseits von links und rechts, wirbt für die aktuelle Politik des Kremls und für die AfD, agitiert gegen die EU, Israel und die Westorientierung der BRD und warnt vor dem ‘moralisch-kulturellen Zerfall’ der Demokratie infolge der Zuwanderung von Muslimen.” Storz sieht darin eine große Gefahr und befürchtet “eine Demontage von qualifizierter Öffentlichkeit und Demokratie”.

Amazon und der Griff ins Klo

Die “New York Times” hat ein halbes Jahr lang recherchiert, mit welchen teils erschreckenden Methoden die Menschen beim Versandhändler Amazon zu immer neuen Höchstleistungen angetrieben werden sollen. Der lange Bericht sorgte international für Aufmerksamkeit und Diskussionen.

Auch bei “Bild” waren sie schockiert über den “Job-Terror”, den sie zusammenfassten mit den Worten:

“Tränen, Rauswürfe und ein Knopf gegen zu lange Klo-Pausen”.

Job-Terror bei Amazon - Tränen, Rauswürfe und ein Knopf gegen zu lange Klo-Pausen

Und wie kämpft Amazon laut “Bild” gegen zu lange Klo-Pausen? Unter anderem so:

 Um keine Zeit am Klo zu vergeuden, wurde ein Knopf installiert, mit dem eine Rolle Klopapier direkt angefordert werden kann – um das oft langwierige Aufstöbern des Reinigungspersonal vermeiden zu können.

Bah. Wie gemein! Perfide! Sowas trauen die sich bei Amazon?

Äh, nun. In Wahrheit ist es einfach so, dass das Unternehmen gerade damit experimentiert, ein Gerät zu verkaufen, das man sich zu Hause hinlegen kann, und wenn man merkt, dass das Klopapier zur Neige geht, kann man draufdrücken, dann wird schnell eine neue Ladung vorbeigebracht.

Hat mit den Arbeitsbedingungen bei Amazon gar nichts zu tun. Steht auch so in der “New York Times”, sogar mit Link:

Even as the company tests delivery by drone and ways to restock toilet paper at the push of a bathroom button, it is conducting a little-known experiment in how far it can push white-collar workers, redrawing the boundaries of what is acceptable.

Aber halt leider auf Englisch.

Mit welchen Methoden die “Bild”-Zeitung ihre Leute zu journalistischen Höchstleistungen antreibt, ist nicht bekannt.

Mit Dank an Christoph T. und Holger von T.!

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