1. Parkland-Überlebender zwingt Werbekunden zum Boykott von Fox News (sueddeutsche.de, Julian Dörr)
Ein amerikanischer Teenager hat mit nur einem Tweet einen erfolgreichen Boykott gegen „Fox News“, einen der größten TV-Sender der USA ausgelöst. Die konservative Moderatorin und glühende Trump-Unterstützerin Laura Ingraham hatte den Schüler, der sich für strengere Waffengesetze in den USA einsetzt, auf Twitter attackiert. Daraufhin twitterte der Schüler die Namen von zwölf Werbekunden der Talkshow. Mit Erfolg: Schon nach wenigen Stunden meldeten sich die ersten Firmen und kündigten an, dass sie ihre Werbeanzeigen zurückziehen würden.
2. Post verkauft Daten an Parteien (tagesschau.de)
Nach einem „BamS“-Bericht verkauft die Post seit 2005 die Daten ihrer Kunden an Parteien. 2017 seien Kundeninformationen an FDP und CDU gegangen. Die Parteien hätten straßengenaue Analysen bestellt, hilfreich für Haustürwahlkampf und Direktwerbung. Alle Beteiligten wollen sich rechtlich korrekt verhalten haben. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar verlangt die Neubewertung von “Microtargeting im Offline- oder Online-Sektor zum Zweck der Wahlwerbung“ und sieht Kollisionen mit dem Grundgesetz. Weiterer Lesetipp: Deutsche Post weist Kritik an Datenweitergabe zurück (zeit.de).
3. Ist Radio tot? Futurist Ben Hammersley glaubt es zumindest (radioszene.de, James Cridland)
„Futurist“ Ben Hammersley schreibt für Medien wie „Guardian“ und „Wired“. In diesem Jahr sprach er auf den Radiodays Europe in Wien. Wie es sich für einen Futuristen gehört, hatte er eine verstörende Botschaft im Gepäck („Radio ist tot“) und zog Parallelen zu Kodak, wo man nicht bemerkt hätte, wie schnell sich die Welt verändert.
4. Die Kommerzialisierung der Gifs (irights.info, David Pachali)
Das GIF-Format ist für Computerverhältnisse uralt und müsste sich schon längst überlebt haben. Doch das Gegenteil ist der Fall: In sozialen Netzwerken und Messengern erfreuen sich die kleinen Bewegtbilder-Sequenzen größter Beliebtheit. Nun hat Google eine der größten GIF-Datenbanken aufgekauft. Der wirtschaftliche Hintergrund: Die unscheinbaren Grafikschnipsel ermöglichen einen Einblick in die Gefühlswelt der Nutzer. Das biete Werbepartnern neue Möglichkeiten, potenzielle Kunden in der passenden Stimmungslage anzusprechen.
6. Krebs ist scheiße (futurezone.de, Philipp Rall)
Mehrere tausend Mitglieder einer Bilder-Community äußern ihren Unmut über einen Journalisten, indem sie mit dem Hinweis „Krebs ist scheiße!“ Geld an die DKMS und andere Organisationen überweisen. Wie kam es dazu? Nachtrag 13:58 Uhr: Eine Leserin kritisiert die Berichterstattung und weist uns auf einen Beitrag des betroffenen Security-Journalisten hin, der 2016 Ziel eines massiven DDoS-Angriffs war.
Eigentlich wollten wir es erstmal gut sein lassen — jetzt müssen wir aber doch noch mal über Julian Reichelt und sein Verhalten bei Twitter sprechen. Am Donnerstag hat der “Bild”-Chef einen Tweet verbreitet von einem Account namens “Onkel Jakob”:
Nur kurz zum Hintergrund: Vergangene Woche verkündete die “Bild”-Zeitung auf ihrer Titelseite eine “Messer-Angst in Deutschland”. Die AfD hatte bereits eine Tage zuvor behauptet, dass eine “Messerepidemie” grassiere. Die ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing und Gabor Halasz haben sich die amtlichen Zahlen mal genauer angeguckt und geschrieben, dass es ihrer Ansicht nach keine “Messerepidemie” in Deutschland gebe:
Die AfD warnt vor einer “Messer-Epidemie”. Die “Bild” berichtet von einer Zunahme solcher Delikte von bis zu 300 Prozent. Doch vorliegende Zahlen zeigen ein differenziertes Bild.
Die “Faktenfinder” mussten ihren Text an einer Stelle korrigieren. Es wurden deswegen einzelne Tweets gelöscht. Alles etwas durcheinander. Dazu gab es mehrere Diskussionen bei Twitter, unter anderem zwischen Julian Reichelt und Gabor Halasz.
Und es gab eben diesen Tweet von “Onkel Jakob”, den Reichelt offenbar so interessant fand, dass er ihn — mit einer Nachfrage an Patrick Gensing versehen — an seine knapp 56.000 Follower verbreitete.
Wir hatten Anfang des Monats hier im BILDblog ja davon berichtet, dass Julian Reichelt einen Tweet des rechten Hetz-Accounts “Dora zwitschert” verbreitet hat. Während man nur anhand des Tweets, um den es damals ging, nicht direkt erkennen konnte, in welch bräunlichen Gewässern der Absender fischt und wie grässlich es sonst auf dem Kanal zugeht, sieht es im aktuellen Fall ganz anders aus: “Onkel Jakob” (vielleicht nur zufällig ein Anagramm des längst gesperrten Hetz-Accounts “Kolja Bonke”) bezeichnet Patrick Gensing als “Linksextremisten” und die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik”. Das ist schon bemerkenswert: Der Chefredakteur von Deutschlands größter Tageszeitung verbreitet auf Twitter das unsägliche “Lügenpresse”-Geschrei, das man sonst von “Pegida”-Märschen kennt.
Doch es passt zur großen Widersprüchlichkeit von Julian Reichelt: Ständig regt ersich auf, wenn ihm und seiner Redaktion eine “Lüge” vorgeworfen wird (und das oft zu Recht — denn zur Lüge gehört die Absicht zu lügen; bei “Bild” und Bild.de entsteht ein Großteil der Fehler allerdings aus reiner Schlampig- und Unfähigkeit). Bezeichnet aber ein sehr rechter Twitter-Account einfach mal die gesamte “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik”, hat Julian Reichelt damit offensichtlich kein Problem. Er widerspricht nicht. Er ordnet nicht ein. Er verbreitet es einfach weiter.
Was wäre wohl los, wenn Patrick Gensing den Tweet eines anonymen linken Hetz-Accounts verbreiten würde, in dem Reichelt als “Rechtsextremist” bezeichnet wird und “Bild” als “Lügenfabrik”?
Dass der “Bild”-Chef erst einen Tweet von “Dora zwitschert” retweetet und nur wenige Tage später einen von “Onkel Jakob” zeigt auch auf erschreckende Weise, in welcher Szene er sich (zumindest digital) zu bewegen scheint: in einer, in der Verleumdung und Fremdenhass und Hetze ganz normal ist. In der ohne Ende gezündelt wird. In der üble Kampagnen gegen Einzelpersonen gestartet werden. Und noch mal: Julian Reichelt verantwortet die Inhalte der größten Zeitung Deutschlands.
Der Account “Onkel Jakob” wurde von Twitter inzwischen übrigens komplett gesperrt.
Nach dem Verdächtigen wurde seit gestern per Öffentlichkeitsfahndung gesucht. Zahlreiche Medien zeigten das Gesicht des Mannes, der zwei Jungen missbraucht, Aufnahmen von ihnen gemacht und diese Kinderpornographie in Foren verbreitet haben soll. Die Bitte des BKA, die Fotos, die den Verdächtigen zeigen, nun zu löschen, erscheint logisch: Die Fahndung ist abgeschlossen, der Verdächtige geschnappt — warum also weiter sein Gesicht zeigen?
Ja, Mitarbeiter von Bild.de, warum also weiter sein Gesicht zeigen?
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
In dem Artikel zur Festnahme des Gesuchten, den die Redaktion heute morgen auf ihrer Startseite anteaserte, hat sie auch den Tweet des BKA eingebettet, in dem die Behörde um die Löschung der Fotos bittet. Dieser Artikel startet so:
Etwas weiter unten im Text folgt dann der BKA-Tweet:
Ein paar Stunden später hat Bild.de einen weiteren Text zu der Festnahme gebracht — wieder mit dem BKA-Tweet, wieder mit einem unverpixelten Foto des Verdächtigen. Und wieder hat die Redaktion den Beitrag prominent auf der Startseite verlinkt:
Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, warum Bild.de das Gesicht des Mannes ohne jegliche Unkentlichmachung zeigt und ob der Redaktion die Bitte des Bundeskriminalamts egal ist. Bisher haben wir keine Antwort erhalten.
Dass es auch anders geht, zeigen die “Springer”-Kollegen der “B.Z.”: Auf deren Website ist ebenfalls ein Artikel zu der Festnahme erschienen, auch sie haben den BKA-Tweet eingebettet — und über das Gesicht des Verdächtigen immerhin einen großen schwarzen Balken gelegt.
1. Wie der MDR der AfD und Moskau zugleich half (tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Die Konstellation ist schon ganz interessant: Ein AfD-Politiker schimpft beim vom russischen Staat finanzierten TV-Sender “RT” über den Islam, alles ermöglicht durch die technische Hilfe des öffentlich-rechtlichen MDR. Matthias Meisner fragt: “Musste das sein?” Der MDR antwortet bei Twitter: Ja, das musste sein, “das handhaben wir bei allen Mitgliedern der EBU — der Europäischen Rundfunkunion, in der auch Russia Today International Mitglied ist — gleichermaßen.” Nur: “RT” ist gar nicht Mitglied in der “EBU”.
2. Heino schenkt Heimatministerin Platte mit SS-Liedern (sueddeutsche.de, Christian Wernicke)
Das war ein bemerkenswertes Geschenk, das Schlagersänger Heino Nordrhein-Westfalens Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) zum “NRW-Heimatkongress” mitgebracht hatte: eine Schallplatte von 1981 mit dem Titel “Die schönsten deutschen Heimat- und Vaterlandslieder”. Nur einer der 24 von Heino gesungenen Songs habe überhaupt einen Bezug zum Bundesland, schreibt Christian Wernicke: “Vieles hingegen klang schrecklich großdeutsch. “Wenn alle untreu werden” ist ein Gassenhauer aus dem “Liederbuch der SS”. Und mit “Flamme empor” und “Der Gott, der Eisen wachsen ließ” intonierte Heino da noch weitere Melodien, die einst die Nazi-Schergen gesungen hatten.”
3. Emotionen statt Fakten (deutschlandfunk.de, Stefan Fries)
Man sieht sie inzwischen unter oder inmitten von vielen Artikeln: Online-Umfragen von Redaktionen, bei denen man einen Regler nach links oder rechts schieben und so beispielsweise kundtun kann, dass man die Zeitumstellung super oder total blöd findet. Das Problem dabei: Diese Umfrage sind ziemlich anfällig für Manipulationen — es reicht oft schon, einen Cookie zu löschen, um mehrfach abstimmen zu können. Jetzt hat sich auch der Presserat mit den manipulierbaren Online-Umfragen beschäftigt, wie Stefan Fries berichtet.
4. Die Blockchain-Technologie: Anwendungsbeispiele und Potenziale im Journalismus (fachjournalist.de, Florian Regensburger)
Viele Digital-Experten und Krypto-Fans sehen in der Blockchain-Technologie, die auch die Grundlage von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum bildet, eine Lösung zahlreicher Probleme: beispielsweise bei Wahlen, bei Abschlüssen von Verträgen, bei Urheberrechtsfragen. Kann die Blockchain auch die Probleme lösen, mit denen sich der (digitale) Journalismus rumschlägt? Florian Regensburger hat sich einige bereits existierende mediale Anwendungsbeispiele auf Blockchain-Basis angeschaut.
5. Ich, ich, ich – aber wie viel Joko steckt in Jokos Zeitschrift? (dwdl.de, Alexander Krei)
Seit gestern gibt es ein neues Magazin bei “Gruner + Jahr”, es heißt “JWD. Joko Winterscheidts Druckerzeugnis”. Genauso wie bei “Barbara” (Barbara Schöneberger) ist das Heft um eine prominente Person herum aufgebaut: in diesem Fall um — Überraschung! — Moderator Joko Winterscheidt. Alexander Krei hat “JWD.” gelesen und wirkt recht angetan. Weiterer Lesetipp: Im Interview mit der “Zeit” hat Winterscheidt nicht nur, aber auch über sein neues Magazin gesprochen.
6. Tageszeitung im Abo? Wie sich das 2018 anfühlt (blog.franziskript.de, Franziska Bluhm)
“Seit sieben Jahren waren wir ohne, nun läuft seit ungefähr zehn Tagen in unserem Haushalt ein Experiment: Wir haben eine Tageszeitung.” Das schreibt die experimentierfreudige Franziska Bluhm. Ihr erstes Fazit fällt gemischt, mit Hang zum Negativen aus.
1. Offene Fragen sind noch keine falschen Behauptungen (lto.de)
“Günther Jauch – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?” titelte die „Woche der Frau“. Der Fernsehmoderator setzte sich dagegen zunächst erfolgreich mit einer Gegendarstellung zur Wehr, unterlag nun aber vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Argumentation des Gerichts, stark verkürzt: Es müsse erlaubt sein, Fragen zu stellen. Fragen, die offen für verschiedene Antworten seien, könnten keinen Gegendarstellungsanspruch auslösen.
2. Klartext: Ode an die Ignoranz (heise.de, Clemens Gleich)
Clemens Gleich plädiert in seiner unterhaltsamen „Ode an die Ignoranz“ für mediale Abschottung und den Griff zum Ausschalter: „Unser Problem liegt längst nicht mehr darin, dass wir Wichtiges verpassen, im Gegenteil: Wir können das Unwichtige nicht lassen. (…) Bis wir die Technik und unsere angeborenen Verhaltensweisen wieder in eine brauchbare Balance gebracht haben, hilft uns nur die Axt der Abschottung.“
3. Facebook sperrt Britain First (zeit.de)
Die Chefs der rechtsextremen und islamfeindlichen britischen Organisation „Britain First“ sitzen seit vergangener Woche wegen Hassverbrechen in Haft. Nun hat auch Facebook die Seite von „Britain First“ gesperrt. Sie hatte zuletzt zwei Millionen Likes.
4. Sprache: Es geht nicht um das „Mitgemeintsein“ von Frauen (antjeschrupp.com)
Antje Schrupp fragt sich, warum sich unsere Kultur so vehement gegen eine Veränderung von Sprache wehrt, die Frauen sichtbar macht. „Während Frauen aufgrund des generischen Maskulinums von klein auf üben (müssen), zu unterscheiden, ob sie gemeint sind oder nicht, werden Männer daran gewöhnt, dass sie immer gemeint sind, dass es prinzipiell immer um sie geht, es sei denn, es ist ausdrücklich von Frauen die Rede.“
5. Eine Gesellschaft braucht Fiktion (taz.de, Stefan Stuckmann)
Sollen öffentlich-rechtliche Sender auch Fiktion und Unterhaltung produzieren oder sich auf Information und Nachrichten beschränken? Drehbuchautor Stefan Stuckmann ist ein unbedingter Anhänger des Fiktionalen. Oftmals würden Serien Diskurse stärker prägen als nichtfiktionale Stücke: „Serien wie „Girls“ oder „Sex and the City“ haben mehr getan für das sexuelle Selbstbewusstsein junger Frauen als jede Doku über Frauenrechte. In den USA war es kein Essay, kein Leitartikel, sondern das Musical „Hamilton“, dem die populäre Neudefinition des amerikanischen Gründungsmythos als Immigrantengeschichte gelang. Und die Serie „Black Mirror“ macht die Schattenseiten der Digitalisierung besser erfahrbar als jedes Erklärstück über russische Twitterbots.“
6. Die Drecksarbeit wird an Freiwillige outgesourct (spiegel.de, Patrick Beuth)
YouTube will verschwörungstheoretischen Videos “Wikipedia”-Links beifügen, quasi als inhaltliches Gegengewicht. Patrick Beuth hält dies für „einen Versuch, die Drecksarbeit auszulagern. In diesem Fall an die freiwilligen Wikipedia-Autoren, die ganz sicher nicht darum gebeten haben, als unbezahltes Korrektiv für eine Plattform herzuhalten, die mit extremen Inhalten extrem viel Geld verdient.“
Wir müssen noch mal über den Twitter-Account @DoraGezwitscher sprechen, den “Bild”-Chef Julian Reichelt vergangene Woche retweetet hat. Das Schlimme war gar nicht, dass Reichelt Inhalte eines Accounts verbreitet, der immer wieder lügt, hetzt, desinformiert und Stimmung gegen Ausländer macht. Das kann im Twittertempo mal passieren. Erschreckend war, wie Reichelt auf die Kritik daran reagierte: Am Ende forderte er Beweise, dass hinter @DoraGezwitscher ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” steckt — kleiner geht es bei ihm nicht, bevor er zugeben könnte, dass es sich um einen ganz üblen Twitteraccount handelt.
Ob die Person (oder die Gruppe) hinter @DoraGezwitscher rechtsextrem, rechtsradikal oder Teil eines organisierten Netzwerks ist, können wir auch nicht sagen. Wir wollen Julian Reichelt aber doch noch einmal zeigen, was für eklige Inhalte in diesem Kanal auftauchen. Alle Beispiel in diesem Beitrag stammen aus 2018.
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Der schreckliche Tod der 14-jährigen Keira in Berlin war auch bei @DoraGezwitscher Thema. Dort war zu lesen:
Doch Keira hörte nicht auf ihn. Gegen 15 Uhr schickte sie ihrem Kumpel noch ein Selfie von sich und ihrem Date per Snapchat. “Das muss auf ihrem Heimweg gewesen sein. Der Weg von der Straßenbahn zu ihrer Wohnung”, sagt er.
Bei Snapchat werden Fotos nicht gespeichert. “Wenn ich gewusst hätte, was passiert, hätte ich einen Screenshot gemacht”, so der Bekannte. Er kannte den Jugendlichen nicht. “Er trug einen blauen Kapuzenpulli mit Nike-Aufschrift, war einen Kopf größer als Keira, hatte kurze dunkelblonde Haare und trug eine Brille ohne Rahmen”, erinnert er sich.
Das Zitat, das @DoraGezwitscher veröffentlicht hat, gibt es aber tatsächlich. Es stammt nicht von Bild.de, sondern von “Anonymous News”, einer grässlichen Hetzer-Seite mit aktuellen Artikeln wie “Spiel und Spaß in Auschwitz: Fußball und Bordellbesuche — Das andere Leben der KZ-Häftlinge”, “Kulturelle Bereicherung: Wie Muslime durch traditionellen Inzest unsere Gesellschaft belasten” oder “BRD-Gesinnungsjustiz: Deutscher erhält 10 Jahre für Silvester-Böller — IS-Mörder 22 Monate Bewährung” (mit dem “Böller”-Deutschen sind die Mitglieder der rechtsterroristischen “Gruppe Freital” gemeint).
Sie sehen, Julian Reichelt: Bei @DoraGezwitscher handelt es sich um einen Account, der auf Hetz-Portale zurückgreift, der Lügen verbreitet und mit diesen Lügen Stimmung gegen Ausländer machen will.
@DoraGezwitscher hat den Tweet inzwischen gelöscht.
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Ein weiteres großes Feindbild von @DoraGezwitscher: der öffentlich-rechtliche Rundfunk, speziell “Tagesschau” und “Tagesthemen”. Der Account twitterte unter anderem diese vermeintliche Enthüllung (ein paar Tage später noch einmal in ganz ähnlicher Form):
In dem 49-Sekunden-Video ist ein etwas kruder Zusammenschnitt eines “Tagesthemen”-Kommentars von Alois Theisen vom 10. November 2016 zu sehen. Mit Hilfe von Einblendungen behauptet @DoraGezwitscher, dass es “Zensur in der ARD Mediathek” gäbe. Theisen sagt in diesem Zusammenschnitt:
Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.
Dann erscheint eine “Tagesthemen”-Tafel, Theisen ist kurz nicht mehr zu hören und spricht dann weiter:
… biger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Das soll laut Einblendung die “zensierte Version” gewesen sein. Direkt im Anschluss kommt laut @DoraGezwitscher Theisens “Originalkommentar”:
Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Die ARD soll also wohl den Teil “Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger” rausgeschnitten haben.
Die “Tagesthemen”-Ausgabe von damals ist bei tagesschau.de noch online abrufbar. Moderatorin Pinar Atalay kündigt den Kommentar (ab Minute 14:43) mit den Worten an: “Donald Trump und den Siegeszug des Populismus kommentiert jetzt Alois Theisen vom ‘Hessischen Rundfunk'”. Und Theisen sagt dann:
Leben wir tatsächlich im Zeitalter der Lüge, wie man den vornehmer klingenden Begriff der Ära des Postfaktischen übersetzen könnte? Ich denke, es ist nur der hilflose und untaugliche Versuch, die sich häufenden unerwarteten Wahlentscheidungen zu erklären. Warum sollten sich Wähler heute leichter belügen lassen als früher? Verfügen wir nicht über mehr Informationsquellen als je zuvor? Und noch nie wurden Aussagen von Politikern so häufig und von verschiedenen Seiten überprüft wie heute.
Nein, Lügen gab es in der Politik wie im Privaten zu allen Zeiten. Wer anderes behauptet, verklärt nur die angeblich gute alte Zeit. Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Die politischen Verhältnisse entwickeln sich vielleicht anders, als es manche Meinungsmacher gerne hätten. Aber womöglich leben sie selbst im Zeitalter des Postfaktischen, sehen und verstehen die entscheidenden Fakten nicht, unter denen die Wähler leben und arbeiten. Und auch nicht ihre Sorgen, Ängste und manchmal auch Panik vor dem rasanten Wandel in der Welt.
Mit Ängsten und Stimmungen wurde auch schon immer Politik gemacht, mit der vor der Atomenergie zum Beispiel. Was dort billig war, sollte auf der anderen Seite nicht falsch sein. Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.
Keinerlei Zensur, alles noch drin.
Der Tweet von @DoraGezwitscher ist das, was man völlig zurecht “Fake News” nennen kann: eine bewusste Lüge, um eine Agenda zu verfolgen.
Meine Meinung: Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.
Die Tweets von @DoraGezwitscher sind zwar keine Satire, aber die Person hinter dem Account “versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.”
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@DoraGezwitscher schießt mit unlauteren Mitteln nicht nur gegen Gruppen und TV-Sendungen, sondern auch gegen Einzelpersonen.
Schaut man sich das 14-sekündige Video an, sieht man, dass nicht Sookee sagt “Schieß auf AfD-Wähler mit Hohlmantelgeschossen”, sondern der von ihr interviewte MC Bogy, der damit einen seiner Texte zitiert.
Erstens: Stegers war früher beim ARD-“Faktenfinder”, wie man auch in dem Screenshot von @DoraGezwitscher lesen kann. Und zweitens: Das “Danke, liebe Antifa” ist keine Liebesbekundung an die “Antifa”, sondern das Zitat eines “Tagesspiegel”-Artikels, der exakt mit diesen Worten überschrieben ist.
Und noch ein Beispiel, das zeigt, wie verzweifelt @DoraGezwitscher nach Schmutz sucht, den man auf Mitarbeiter des ARD-“Faktenfinders” werfen kann:
Bei dem Text, den Patrick Gensing getwittert hat, handelt es sich um eine Passage aus einem Song der Band “Rantanplan”. Und noch viel wichtiger: “Spacken” hat nichts mit “spastisch behinderten Menschen” zu tun, wie @DoraGezwitscher behauptet. Es bedeutet “dumme Menschen”.
Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher verdreht, verbiegt, verschweigt Kontexte, desinformiert.
Den Tweet zu Patrick Gensing hat @DoraGezwitscher inzwischen gelöscht.
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@DoraGezwitscher bezeichnet Deniz Yücel als Rassisten:
Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher beteiligt sich an der stramm rechten Stimmungsmache gegen Ihren Kollegen bei “Springer”.
Ein Blick auf Julian Reichelts Twitter-Account ist ja immer ein schauriges Erlebnis. Aber in den vergangenen zwei Tagen war es dort besonders schaurig.
Alles fing an mit einem Retweet Reichelts:
Vielleicht erstmal zu “Feine Sahne Fischfilet”. Die Punkband hat viele Fans, aber auch viele Feinde. Sie tauchte wegen ihrer “explizit anti-staatlichen Haltung” im Verfassungsschutzbericht 2011 des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf. Sie leistet aber auch wichtige Arbeit gegen Rechtsextremismus und nationalistische Tendenzen im Osten des Landes. Die Bandmitglieder organisieren Konzerte und Kundgebungen in Kleinstädten und Dörfern. Sie stellen sich sehr engagiert dem Rechtsruck in Mecklenburg-Vorpommern entgegen.
Patrick Gensing, der beim “Faktenfinder” der “Tagesschau” Lügen und Fälschungen nachrecherchiert, findet die Musik von “Feine Sahne Fischfilet” offenbar gut. Jedenfalls twitterte er in der Vergangenheit häufiger Fotos von Konzerten der Band. Für seine Arbeit beim “Faktenfinder”, bei der er immer wieder auch Falschmeldungen aus der rechten Ecke enttarnt, wird Gensing regelmäßig und massiv mit Schmutz beworfen.
Dieser Schmutz kommt unter anderem von dem Account, den “Bild”-Chef Julian Reichelt retweetet hat. @DoraGezwitscher sucht sich für seine Kampagne gern alte Tweets von Patrick Gensing raus (im aktuellen Fall eben aus dem Februar 2016) und schießt damit gegen den Journalisten. Nun hieß der Account @DoraGezwitscher nicht immer @DoraGezwitscher, sondern wohl auch mal @DoraBromberger. Unter dem Namen der von den Nazis ermordeten jüdischen Malerin Dora Bromberger verbreitete der Account unter anderem Lügen über die “Oktoberfest Bilanz der Polizei München”, um damit Stimmung gegen Ausländer zu machen. Mit einem gefälschten Foto machte er die Vorsitzende der “Jungen Union” Hamburg zur Antifa-Steinewerferin. Solche Tweets waren eher Regel als Ausnahme.
Inzwischen gibt es dasselbe rechte Hetz-Programm eben unter dem Namen @DoraGezwitscher (um es noch komplizierter zu machen: Es gibt noch einen inhaltlich wie optisch sehr, sehr ähnlichen Account mit dem Namen @DorasZwitschern). Dort ärgert sich der anonyme Autor beispielsweise darüber, dass ein AfD-Politiker aufgrund seines Schimpfworts “Merkelnutte” als “Schande für den Bundestag” bezeichnet wird. Für die Tweets bekommt @DoraGezwitscher viel Applaus von Rechts und noch weiter Rechts.
Julian Reichelt verbreitet also einen Tweet dieses Accounts gegen Patrick Gensing und verschafft ihm damit beachtliche zusätzliche Reichweite. Nun kann es ja mal passieren, dass man bei Twitter einen Beitrag entdeckt, der einem ganz gut in den Kram passt, ihn schnell retweetet — und schon ist man Multiplikator für jemanden, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben möchte. Die entscheidende Frage ist dann, wie man mit dieser Situation umgeht. Reichelt zeigt ganz eindrucksvoll, wie man es auf gar keinen Fall machen sollte und wie man sich immer weiter reinreitet. Angesprochen auf die Ausrichtung von @DoraGezwitscher, schreibt der “Bild”-Chef:
Das muss man auch erstmal schaffen: Anderen Leuten “Gesinnungsfuror” vorwerfen und im selben Tweet von einer Person verlangen, dass sie jetzt doch mal bitte ihren Musikgeschmack erklären soll (für das inzwischen eingestellte “Bild”-Jugendportal “BYou” ist “Feine Sahne Fischfilet” übrigens eine Band, die sich “für mehr Menschlichkeit und Solidarität” einsetzt).
Es folgte dann ein Hin und Her zwischen Reichelt und seinen Kritikern. Interessant war dabei die Taktik des “Bild”-Chefs: Er legte die Messlatte, ab wann das nun wirklich zu weit geht, was bei @DoraGezwitscher passiert, immer ein Stückchen höher. Während Leute ihn anfangs darauf hinwiesen, dass es sich um einen bekannten rechtspopulistischen Account handelt, und ihm dafür Belege lieferten, wollte Reichelt Beweise, dass @DoraGezwitscher rechtsextrem ist. Später wollte er Beweise, dass hinter @DoraGezwitscher ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” steckt. Es reicht Julian Reichelt offenbar nicht, dass @DoraGezwitscher (beziehungsweise früher @DoraBromberger) auf übelste Weise und mit falschen Fakten gegen Ausländer hetzt. Es muss bei ihm schon ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” sein, damit er sagt: “Ja, stimmt, war nicht die beste Idee.” Julian Reichelt hat den Retweet inzwischen still und leise gelöscht, er folgt dem Account @DoraGezwitscher nun allerdings.
Wie man so eine Situation auch handhaben kann, zeigt einer von Reichelts Vorgängern bei “Bild”: Kai Diekmann. Als der vor zweieinhalb Jahren — ob nun absichtlich oder aus Versehen — dem Twitter-Account der sehr rechten “Jungen Freiheit” gefolgt ist, reagierte er auf die Kritik daran so:
1. #ausFAZwirdTAZ (taz.de, Heide Oestreich)
“DDR 4.0”, “Gleichschaltung”, “linke totalitäre Diskursregeln” — seit gestern schlägt der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” viel Wut entgegen. Der Grund: Die Redaktion hat bekanntgegeben, dass sie einige hauseigene Blogs einstelle, darunter auch das von Rainer Meyer alias “Don Alphonso”. Heide Oestreich über das “FAZ”-Ende Meyers, der “die Marktlücke eines elitären Rechtspopulismus für sich” entdeckte: “Die treue Leserschaft (18.000 Follower auf Twitter) sieht da sofort die linke Erziehungsdiktatur am Werk: #AusFAZwirdTAZ hieß der flugs erfundene Hashtag, der sich alsbald mit Abo-Kündigungsdrohungen füllte”. Kurt Sagatz schreibt beim “Tagesspiegel”, dass weder inhaltliche Gründe noch schlechte Abrufzahlen zur Trennung von “Don Alphonso” geführt hätten.
2. Mass shootings covered LIVE (abc.net.au, Paul Barry, englisch, Video, 5:15 Minuten)
Beim Amoklauf vor drei Wochen an einer Schule im US-Bundesstaat Florida konnte man sie wieder beobachten: Journalisten, die Schüler via Social Media fragen, ob sie mal eben anrufen könnten, noch während diese Schüler sich im Klassenzimmer vor dem Schützen versteckten. Das Medienmagazin “Media Watch” des australischen Senders ABC ist der Frage nachgegangen: “Are reporters putting victims in danger as they chase the story over social media?”
3. Vier Minister? Wie sich die „Süddeutsche“ von der CSU blenden ließ (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
“EIL : CSU schickt vier Minister nach Berlin”, twitterte die Redaktion der “Süddeutschen Zeitung” vorgestern. “Das schien ein ziemlicher Coup zu sein für die CSU — und ein ziemlicher Scoop für die ‘Süddeutsche Zeitung'”, schreibt Stefan Niggemeier. Bloß: Es stimmt gar nicht stimmt. Tatsächlich sind es drei CSU-Minister (Horst Seehofer für Inneres, Andreas Scheuer für das Ressort Verkehr und Gerd Müller als Entwicklungshilfeminister). Dazu kommt Dorothee Bär, die Staatssekretärin im Bundeskanzleramt wird. Weiterer Lesetipp zu Bär: der frühere Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, über “Dorothee Bärs eigenartiges Datenschutzverständnis”.
4. Abschiebung: Was wirklich passiert — Teil 1 (bmi.gv.at, Reinhard Leprich)
Ein Lese-Tipp, aber sicher keine Empfehlung: Das österreichische Innenministerium, FPÖ-geführt, will sich offenbar nicht mehr auf Journalisten verlassen und schreibt nun selbst Reportagen. Reinhard Leprich aus der Kommunikationsabteilung hat “eine Luftabschiebung in den Kosovo und nach Moldawien” begleitet. Und festgestellt: Das gefällt allen voll super, jeder ist happy, eine tolle Sache, so eine Abschiebung. Laut Innenminister Herbert Kickl handelt es sich um “eine spannende Reportage”. Wir finden eher: erstaunlich erschreckende Abschiebe-Romantik.
5. Not Heidis Girl: Wie Youtube eine Kampagne gegen Sexismus ausbremste (netzpolitik.org, Ingo Dachwitz & Alexander Fanta)
Die Organisation “Pinkstinks” startet ihre Anti-Germany’s-next-Topmodel-Kampagne “Not Heidis Girl”, zu der auch ein Youtube-Video gehört. RTL zeigt einen Ausschnitt dieses Videos in einer Sendung. Youtubes Filtersystem “Content ID” gleicht ab, schreibt RTL das geistige Eigentum zu und sperrt das Originalvideo. “Pinkstinks” ist verständlicherweise stinkig und vermutet starke Reichweitenverluste. netzpolitik.org über einen “neuen Fall von algorithmischem Overblocking”.
6. Wir haben “Bad Banks” mit einem Banker geguckt (vice.com, Lisa Ludwig)
Die Serie “Bad Banks” (aktuell in den Mediatheken von ZDF und “Arte” zu finden) ist ein großer Erfolg: viele Zuschauer, lobende Kritiker, beschlossene Fortsetzung. “Doch wie realistisch ist das Banker-Drama? Arbeiten im Frankfurter Bankenviertel wirklich lauter Soziopathen mit Kokainproblem?”, fragt Lisa Ludwig. Sie hat sich “Bad Banks” mit einem Experten aus dem Finanzsektor angeschaut. Und der urteilt: “‘Die Serie ist erstaunlich akkurat'”. (Unser Tipp wegen Spoilergefahr: erst die Serie gucken, dann den Text lesen.)
Am Donnerstag schrieb “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner an die “Eishockey-Männer”. Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft hatte bei den Olympischen Spielen in Südkorea gerade das Team aus Schweden geschlagen, später noch die Favoriten aus Kanada und dann im Finale gegen die “Olympischen Athleten aus Russland” verloren:
Man könnte sich jetzt aufregen. Man könnte fragen, warum irgendjemand bestimmen können sollte, wer “richtiger Mann” ist und wer nicht. Man könnte schreiben, dass sowohl zähneausschlagende “Eishockey-Männer” als auch “Männer, die sich für Theater, Ballett oder Malerei interessieren” “richtige Männer” sind. Und warum die “parfümierten Arschlöcher”? Es fehlt eigentlich nur, dass Wagner was von “Schwuchteln” schreibt.
Statt uns aufzuregen, wollen wir Franz Josef Wagner zeigen, dass es Männer gibt, “richtige Männer”, die sich für Kunst und Eishockey interessieren. Joachim Ringelnatz zum Beispiel. Der Schriftsteller, Kabarettist und Maler veröffentlichte 1932 dieses Gedicht über “Eis-Hockey”:
Eis-Hockey
Wenn die Hockeyhölzer hackeln,
Wenn die Schlittschuhschnörkel schnackeln
Und die Gummischeibe schnellt
Mir ans Kinn anstatt zum Ziele,
Dann empfinde ich die Spiele
Einer sportlich reifen Welt.
Mehrmals, wie in früheren Wintern,
Setzen zwei sich auf den Hintern,
Was an sich mir sehr gefällt.
Doch ich habe einen Schnupfen
Und kein Taschentuch zum Tupfen.
Auch zerbrach mir mein Monokel.
Und der Kampf bleibt unentschieden.
Also geh ich unzufrieden
Heim. Und hab von dem Gehockel
Nur den fraglichen Gewinn:
Eine Beule links am Kinn.
Hinter mir klingt etwas froh
Etwa so:
“Dem Verband Zentralafrikanischer Eishockeyspieler drei Hurras!”
Hurra! Hurra! Hurra!
Bei der von vielenTiefpunktengeprägten “Bild”-Berichterstattung zu den G20-Ausschreitungen gibt es seit drei Tagen einen neuen Tiefpunkt: Nun (vor)verurteilen die “Bild”-Richter schon jemanden, bei dem einiges dafür spricht, dass er unschuldig ist, und stellen ihn an den Pranger.
Derzeit läuft in Hamburg der Prozess gegen den 30-jährigen Dimitri K.:
Als G20-Chaoten am 7. Juli einen Supermarkt im Schanzenviertel plünderten (Schaden: 1,7 Mio. Euro), soll er mittendrin gewesen sein. Anklage: besonders schwerer Landfriedensbruch.
K. sagt, er sei nicht vor Ort gewesen. Stattdessen sei er am fraglichen Tag mit Schmerzen zu Hause geblieben, schließlich hätten ihn am Vortag Polizisten angegriffen. Die Verlobte von K. bezeugte dessen Aussage.
Doch, so die “Bild”-Medien …
Doch ein verknackter G20-Plünderer identifizierte ihn. Sven B. (19) ist sich sicher: K. war dabei. Die Hals-Tattoos erkenne er wieder, hundertprozentig!
Für den Prozess zwar unerheblich, für die “Bild”-Redaktion aber bemerkenswert: Dimitri K. hat nicht nur ein Hals-Tattoo. Unter seinem rechten Auge hat er das Wort “Fuck” tätowiert und unter dem linken das Wort “Cops”. Was jetzt schon nach einer Folge “Richterin Barbara Salesch” klingt, wird noch besser:
Als der Angeklagte dann aber seine linke Hand zeigte, war plötzlich alles anders. Statt des von B. beschriebenen “187”-Tattoos stehen dort arabische Schriftzeichen. Irritiert änderte der Zeuge seine Aussage: “Ich bin mir sicher, dass er es nicht ist.”
Fassen wir mal zusammen: Ein Angeklagter, der ein Alibi für die Tatzeit zu haben scheint. Ein Zeuge, der den Angeklagten erst schwer belastet und dann komplett umkippt. Eine Tätowierung, die den Angeklagten belasten könnte, die es aber gar nicht gibt. Es sieht aktuell nicht gerade so aus, dass Dimitri K. während des G20-Gipfels “einen Supermarkt im Schanzenviertel” geplündert hat.
Und was machen die “Bild”-Medien? Trotz dieser Entwicklung im Prozess zeigen sie K. vor drei Tagen bei Bild.de unverpixelt ganz oben auf der Startseite und nennen ihn “G20-Plünderer” …
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
… und drucken vorgestern in der Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung das Foto des angeblichen “Plünderers” ebenfalls ohne jegliche Unkenntlichmachung:
Persönlichkeitsrechte eines möglicherweise Unschuldigen? Sind der “Bild”-Redaktion doch egal. Und sowieso: Unschuldsvermutung? Ist der “Bild”-Redaktion doch egal. Julian Reichelt und sein Team treten elementare Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens mit den Füßen. Für sie, die sich als Deutschlands oberste Ankläger und Richter sehen, reicht es offenbar, dass jemand angeklagt ist, um diese Person einem Millionenpublikum als Verbrecher zu präsentieren.