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Polizei als Nacktbild-Verbreiter, MDR-Reichsbürger Steimle, Twitter-Urteil

1. Für Likes tun wir alles, ihr Freund und Helfer
(dasnuf.de, Patricia Cammarata)
Vor einigen Tagen stoppte die brandenburgische Polizei einen Zweiradfahrer, der nur mit Helm und Sandalen bekleidet war. Die Beamten machten Fotos von dem Nackten, die sie auf Twitter für eine Mitmach-Aktion verwendeten: “Wie würden Sie dieses Bild betiteln?” Überhaupt nicht witzig, findet Patricia Cammarata: “Ich finde den Tweet in diesem Kontext, veröffentlicht von einer staatlichen Institution für moralisch höchst zweifelhaft und genauso zweifelhaft finde ich jede weitere Verbreitung, v.a. durch Stellen, die in irgendeiner Form neutrale Öffentlichkeit repräsentieren. Und die Verbreitung ist enorm. Ich habe den Tweet heute z.B. im Guardian verlinkt entdeckt. Glaubt ihr wirklich, dass dieser Herr, der sich morgens in Brandenburg entschieden hat, nackt auf seinen Roller zu steigen, mit dieser Öffentlichkeit gerechnet hat? Rechnen musste? Ihr zuckt mit den Schultern? Wie würdet ihr den Fall sehen, wenn es um euch selbst, euren Vater, euren Onkel oder sonst eine Person geht, der ihr nahe steht?”

2. Grenzen der Satire? Der MDR und Uwe Steimle
(ndr.de, Nadja Mitzkat)
Gegen Geflüchtete hetzen, das Reichsbürgermärchen von Deutschland als besetztem Land und Merkel als “Marionette” verbreiten und mit “Kraft durch Freunde”-T-Shirt provozieren. Für all dieses hat der MDR einen Mann: den Schauspieler und Kabarettisten Uwe Steimle. Seit Jahren gibt es begründete Kritik an den Äußerungen Steimles, doch der MDR hat eine geschickte Politik entwickelt, um an dem Mann festzuhalten: Man verteidigt ihn und distanziert sich gleichzeitig.

3. Fake News auf Staatskosten
(taz.de, Reinhard Wolff)
Die staatliche PR-Agentur in Norwegen hat sich eine zweifelhafte Idee einfallen lassen, um das Land ins Gespräch zu bringen. Angeblich würden die Bewohner einer Insel eine “zeitlose Zone” errichten. Mehr als 1000 Medien weltweit übernahmen die Meldung, schließlich handelt es sich bei der staatlichen Informationsagentur “Innovasjon Norge” eigentlich um eine seriöse Quelle.

4. Gerichtsurteil: Twitter muss Account von Dietrich Herrmann freischalten
(flurfunk-dresden.de, Peter Stawowy)
Twitter hat unlängst strittige Regeln eingeführt, um Wahlmanipulationen zu unterbinden, darunter fallen auch satirische Bemerkungen. Eines der Opfer des neuen Twitter-Hausrechts war der Grünen-Politiker Dietrich Herrmann, der für einen Tweet gesperrt wurde (Herrmann hatte einen oft gemachten Witz gepostet, in dem AfD-Wähler dazu aufgefordert werden, bei der Wahl die Unterschrift auf dem Wahlzettel nicht zu vergessen). Das Landgericht Dresden hat Twitter nun dazu verurteilt, den Account wieder freizugeben.

5. Finde es so witzig…
(twitter.com/ohhellokathrina, Kathrin Weßling)
Kathrin Weßling verschafft sich auf Twitter mit einem Stoßseufzer etwas Luft: “Finde es so witzig, wie einige Seiten in diesem Internet einfach fast ausschließlich von eingebetteten Tweets leben oder FB Screenshots, nix davon vergüten und sich schön die Taschen vollmachen. Und mit “witzig” meine ich asozial. Aber was rede ich von “Vergütung” — wenn es nicht mal Standard ist zu fragen, ob es okay ist, aus fremden Inhalten mit ein paar banalen Zwischenheadlines vermeintlich eigenen Content zu kreieren.” Der “6 vor 9”-Kurator schließt sich dem Seufzer aus aktuellem Erleben an. #PerlendesLokaljournalismus

6. “Katastrophe biblischen Ausmaßes für die deutsche Branche”
(golem.de, Peter Steinlechner)
Für Computerspieleentwickler waren 2019 noch staatliche Unterstützungen von 50 Millionen Euro vorgesehen. Viele Studios erwarteten für 2020 eine ähnliche Förderung, doch dies erscheint nach derzeitigem Stand sehr unwahrscheinlich.

Kopftuchklischees, Söders “Youtuber-Festival”, Rechte Debatten-Tricks

1. So verschieben Sie eine Debatte nach rechts
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo hat eine Polemik über rechte Kommunikation verfasst. In einer Anleitung in 20 Schritten geht er die entscheidenden Debatten-Tricks der extremen Rechten durch.

2. So organisieren sich Rechtsextreme seit Wochen in neuen Telegram-Gruppen
(buzzfeed.com, Pascale Mueller & Marcus Engert & Juliane Loeffler & Rolf Regner)
“BuzzFeed News Deutschland” liegen Unterlagen vor, wie sich rechtsextreme Personen in Chatgruppen austauschen, darunter “NPD-Politiker, bekannte Neonazi-Größen und organisierte Rechtsradikale mit Kontakten in die rechtsextreme Kampfsport- und Musikszene sowie zu einschlägigen, teils verbotenen Organisationen.” Dabei geht es um 250 Personen, die dort ihr radikales Gedankengut teilen.
Weitere Leseempfehlung: Wer zu Neonazis recherchiert, muss sehr mutig sein. “Vice” hat bei zwei dieser mutigen Personen nachgefragt, was sie antreibt und was sie bei der täglichen Arbeit erleben: Mordfall Lübcke: Diese Menschen machen die Arbeit, die der Verfassungsschutz nicht macht (vice.com, Matern Boeselager).

3. Wem gehört… The Missing Manual
(medium.com, Astrid Csuraji & Jakob Vicari)
Das Recherchekollektiv “Correctiv” hat mit seiner Aktion “Wem gehört Hamburg?” den Wohnungsmarkt ein Stückchen transparenter gemacht und ist dafür jüngst mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet worden. Daran anknüpfend haben Journalisten eine ähnliche Aktion für eine Stadt in Niedersachen ins Leben gerufen: “Wem gehört Lüneburg”. Im “Missing Manual” berichten sie über ihre Erfahrungen mit einem derartigen journalistischen Projekt.
Nachtrag: Mit “Wem gehört Lüneburg” knüpft die “Landeszeitung” nicht an die “Correctiv”-Aktion an — vielmehr führt sie das Projekt in Kooperation mit “Correctiv” durch.

4. Söder will “Youtuber-Festival” veranstalten
(sueddeutsche.de, David Steinitz)
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will ein “Youtuber-Festival” samt “Influencer-Preis” etablieren. Außerdem verlangt er eine Reform der deutschen Filmförderung, sprich mehr staatliche Unterstützung und Steuervorteile für Filmproduzenten.
Anmerkung des “6 vor 9”-Kurators: Siehe dazu auch Wikipedia: “Stupid German Money (engl.: dummes deutsches Geld) ist ein ursprünglich von der US-amerikanischen Filmwirtschaft geprägter Begriff für Gelder aus geschlossenen Medienfonds des deutschlandspezifischen grauen Kapitalmarkts. Diese Fonds wurden wegen hoher Abschreibungsmöglichkeiten als Steuersparmodell genutzt. Die Gelder flossen größtenteils in amerikanische Filmproduktionen.”

5. Maut-Verträge öffentlich machen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert den Bundesverkehrsminister auf, die Maut-Verträge Journalistinnen und Journalisten zur Einsicht zur Verfügung zu stellen: “Dass der Verkehrsminister auf das gerichtliche Verbot der Pkw-Maut mit Geheimniskrämerei reagiert, ist völlig unangemessen. Wenn es stimmt, dass ein zweistelliger Millionenbetrag aus Steuergeldern verbraten wurde, müssen Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit bekommen, darüber zu berichten.”

6. Falsche Ehre für Kopftuchklischees
(taz.de, Hilal Szegin)
“Eine befremdliche Entscheidung” nennt Hilal Szegin den Entschluss des Journalistinnenbunds, die Cartoonistin Franziska Becker für ihr Lebenswerk auszeichnen. Szegin stört sich vor allem an Stereotypen und Chiffren wie dem Kopftuch, das in einigen Becker-Cartoons auftaucht: “Aufgrund von Äußerlichkeiten werden einer Menschengruppe innere Einstellungen und Befähigungen zu- oder eben abgesprochen. Das führt zu weniger, nicht zu mehr Handlungsfreiheit von verschleierten Musliminnen. Und das ist weder einer Auszeichnung wert noch feministisch.”
Interessant ist die Reaktion der “Emma”-Redaktion auf die Kritik an ihrer Cartoonistin. Bei Twitter fragt sie: “Findet ihr diese Karikatur von Franziska Becker “islamfeindlich-rassistisch”?” Und dies wird von den allermeisten Lesern und Leserinnen absolut eindeutig bejaht. Die Linken-Politikern Anke Domscheit-Berg kommentiert fassungslos: “Ich kann kaum glauben, dass das eine ernstgemeinte Frage sein soll.”

Bild  

“Bild” senkt den Steuersatz drastisch falsch

Fabio De Masi macht etwas Besonderes: Der Linken-Politiker veröffentlicht jedes Jahr seinen Steuerbescheid. So ist für jeden einsehbar, wie viel De Masi verdient und wie viel Einkommensteuer er bezahlen muss. Auch für “Bild”-Mitarbeiter:

Ausriss Bild-Zeitung - Politiker stellt eigenen Steuererklärung ins Netz

Dieser Abgeordnete lässt beim Geld die Hosen runter: Fabio De Masi (39, Linke).

Als Finanzexperte sitzt er seit fast zwei Jahren im Bundestag, nun hat er seinen kompletten Steuerbescheid für 2017 ins Netz gestellt: Laut Finanzamt Hamburg-Altona verdiente De Masi 104 380 Euro und musste dafür 9391 Euro Einkommensteuer zahlen. Hinzu kamen für ihn 453,14 Euro Soli und 741,51 Euro Kirchensteuer (katholisch).

Für alle, die sich jetzt darüber wundern oder wütend sind, dass De Masi bei Einkünften von 104.380 Euro im Jahr nur 9391 Euro Einkommensteuer zahlen müsse: Nein, es gibt keinen besonderen Steuersatz für Politikerinnen und Politiker von unter 10 Prozent. Das Problem liegt woanders: “Bild” arbeitet hier im besten Fall extrem schlampig und im schlimmsten bewusst verzerrend.

Fabio De Masi sitzt erst seit der Wahl im September 2017 als Abgeordneter im Bundestag. Vorher war er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Die 104.380 Euro brutto sind eine Mischung aus Einkünften aus diesen beiden Posten, wobei das Einkommen aus seiner Tätigkeit als EU-Abgeordneter (85.350 Euro brutto) den viel größeren Teil ausmacht. Die 9391 Euro Einkommensteuer, die “Bild” erwähnt, tauchen tatsächlich in De Masis Steuerbescheid für 2017 (PDF) auf. Allerdings ist das der Wert, den De Masi noch zahlen muss, nachdem der Linken-Politiker bereits 18.751 Euro an EU-Steuer bezahlt hat. “Bild” nennt also die Bruttoeinkünfte für die Tätigkeit als Bundestags- und als EU-Abgeordneter, stellt diesen aber die Einkommensteuer ohne den EU-Teil gegenüber — was ein erstaunlicher Fehler ist, schließlich stand das alles klar und deutlich in De Masis Pressemitteilung, auf der der “Bild”-Text basiert.

Tatsächlich zahlte De Masi für sein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 86.649 Euro (ergibt sich nach Abzug von Spenden, Kinderfreibetrag, Kosten für die Krankenversicherung und so weiter von den Bruttoeinkünften in Höhe von 104.380 Euro) 28.142 Euro Einkommensteuer. Das entspricht in etwa 32,5 Prozent.

Das Hauptanliegen von Fabio De Masi hat es übrigens auch nicht in den “Bild”-Artikel geschafft:

Aus meinem Steuerbescheid für das Jahr 2017 wird sichtbar, dass Spitzenverdiener wie ich keineswegs über Gebühr belastet werden.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Skandal-Reise”: “Bild”-Reporter führt Leserschaft in die Irre

Wenn ein Grünen-Politiker und ein Linken-Politiker in Russland sind, und dann auch noch ein AfD-Politiker eine Rolle spielt, dauert es nicht lange, bis die “Bild”-Medien “SKANDAL” schreien:

Ausriss Bild-Zeitung - Skandal-Reise - AfD-Politiker führt Trittin und Gysi durch Moskau
Screenshot Bild.de - Skandal-Reise - AfD-Politiker führt Trittin und Gysi durch Moskau

Diese Artikel erschienen am Montagabend bei Bild.de und am Dienstag in der “Bild”-Zeitung. Und es ist bemerkenswert, wie großzügig “Bild”-Chefreporter Peter Tiede entscheidende Informationen weglässt, um auf diesen Spin zu kommen.

Erstmal: Es handelt sich nicht, wie man bei den Überschriften von “Bild” und Bild.de direkt denken könnte, um irgendeine Reise eines AfD-Politikers, der sich Jürgen Trittin und Gregor Gysi überraschend angeschlossen haben. Es geht um einen offiziellen Besuch der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe (zu der mehr Leute gehören als nur die drei). Peter Tiede schreibt dazu:

Sieben Bundestagsabgeordnet aller Fraktionen für fünf Tage auf Russland-Besuch — organisiert vom AfD-Abgeordneten Robby Schlund (52), einem bekennenden Kreml-Lobbyisten und Putin-Fan!

Es ist der erste Russland-Besuch der Deutsch-Russischen-Parlamentsgruppe seit der Bundestagswahl. Dank Schlunds Planung: Der Besuch der Deutschen ist trotz Krim-Besetzung und Ukraine-Krieg ein Propaganda-Erfolg für Kreml-Führer Wladimir Putin (66)! Die Abgeordneten sind seit Sonntagabend in Russland, offiziell begann die Reise am Montag.

Ganz vorn dabei neben Schlund: Grünen-Urgestein Jürgen Trittin (64) und Linke-Ikone Gregor Gysi (71).

Das Besuchsprogramm fasst Tiede so zusammen:

Nach BILD-Informationen plante Schlund die wesentlichen Termine — an der deutschen Botschaft vorbei — mit Kreml-Hilfe!

Geplanter Propaganda-Höhepunkt ist der Donnertag (sic):

► Vormittags: Besuch beim Kreml-Konzern Gazprom (Nord-Stream/Altkanzler Schröder) — inklusive Mittagessen auf Gazprom-Kosten!

► Nachmittags: Staats-TV-Holding “Rossija Sewodnja” (betreibt u. a. den deutschen Hetzsender “Sputnik”). Generaldirektor Kisseljow (“Europa atomar Auslöschen!”) steht unter EU-Sanktionen! Trotzdem gibt die Bundestags-Truppe ausgerechnet dort ihre Pressekonferenz!

Da fehlt nun wirklich einiges.

Erstmal ein paar nicht ganz unwichtige Informationen zu den bi- und multilateralen Parlamentariergruppen: Von denen gibt es aktuell 47. Die Abgeordnete können frei wählen, zu welchen sie gehören möchten. Und so kommen dann zum Beispiel zustande: eine Deutsch-Schweizerische Parlamentariergruppe, eine Deutsch-Pazifische, eine Deutsch-Brasilianische, eine Deutsch-Indisch. Und eben auch eine Deutsch-Russische. Dort ist der AfD-Abgeordnete Robby Schlund Vorsitzender, was aber nicht auf eine Wahl oder ähnliches zurückzuführen ist. Bei den Parlamentariergruppen bestimmt der Ältestenrat des Bundestages “unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen”, wer Vorsitzende oder Vorsitzender wird. Aus jeder andere Fraktion wird eine Stellvertreterin beziehungsweise ein Stellvertreter festgelegt.

Für die Grünen ist Jürgen Trittin bei der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe stellvertretender Vorsitzender. Als Antwort auf den Artikel von “Bild”-Reporter Tiede schreibt er, dass das Programm “von allen stellvertretenden Vorsitzenden und dem Vorsitzenden in Kenntnis der Wünsche der russischen Seite vorbereitet” worden sei:

Verschiedenste Programmpunkte wurden im Vorfeld sehr strittig besprochen. Gegen den expliziten Wunsch der russischen Seite und teilweise auch des Vorsitzenden wurden von den stellvertretenden Vorsitzenden aus CDU, SPD, FDP, Linken und Grünen gemeinsam durchgesetzt:

Gespräch mit den deutschen politischen Stiftungen vor Ort — darin eingebettet ein ausführliches Gespräch mit der kriminalisierten russischen Zivilgesellschaft und Menschrechtsorganisationen.

Gespräch mit Pawel Grudinin, erfolgreichster Gegenkandidat zu Putin bei der Präsidentschaftswahl 2016

Teilnahme am Pressefest der deutschen Botschaft, zu dem auf unseren Wunsch hin auch oppositionelle Medien wie Meduza und deren Reporter Iwan Golunow eingeladen werden (auch wenn seine Teilnahme aus bekannten Gründen eher unwahrscheinlich ist). Die Delegation will sich so einen Eindruck den Bedrohungen für Presse, Journalist*innen und Blogger*innen machen. (…)

Außerdem standen auf dem Programm u.a. Gespräch mit der russischen Delegation der russisch-deutschen Parlamentariergruppe, dem Auswärtigen Ausschuss der Duma, dem stellv. Russischen Außenminister Titow und der Besuch des VW-Werkes in Kaluga sowie auf expliziten Wunsch der russischen Seite ein Besuch bei der Moskauer Niederlassung von Gazprom auf dem Programm.

Abgesehen von dem Besuch bei Gazprom ist von all diesen Punkten bei “Bild” nichts zu lesen.

Zur Pressekonferenz, die auch Peter Tiede thematisiert, schreibt Jürgen Trittin:

Unser expliziter Wunsch, dass die Pressekonferenz bei der Nachrichtenagentur TASS stattfinden solle, wurde von der russischen Seite abgelehnt. Ein Besuch in den Redaktionsräumen von Russia Today wurde von uns abgelehnt. Die jetzt beim Medienhaus Rossija Segodnya geplante Pressekonferenz wird deshalb ohne Beteiligung der stellvertretenden Vorsitzenden stattfinden.

Und der Grünen-Politiker liefert auch noch die Antwort auf eine Frage, die “Bild” ihm nie gestellt hat:

Die von der BILD aufgeworfene Frage, warum wir überhaupt in einer Delegation unter dem formellen Vorsitz eines AfD-Abgeordneten nach Moskau reisen, hätte ich der Redaktion gerne beantwortet — allerdings hat sie nie gefragt.

Aber die Antwort ist klar: wären alle stellvertretenden Vorsitzenden bzw. weiteren Mitglieder der Parlamentariergruppe zu Hause geblieben, hätte die Reise des Vorsitzenden trotzdem stattgefunden. Allerdings ohne Treffen mit Stiftungen, unabhängige Medien und Opposition — und mit mindestens einem Auftritt bei Russia Today. Das zu verhindern war die klare Übereinkunft aller weiteren Mitglieder der Delegation.

So eine Antwort hätte Peter Tiede und der “Bild”-Redaktion aber natürlich die Geschichte kaputtgemacht.

Mit Dank an Theo für den Hinweis!

Nachtrag, 21. Juni: Bei der Pressekonferenz, die am Donnerstagnachmittag stattfand, waren mit Doris Barnett, Michael Georg Link und Gregor Gysi doch stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe dabei.

Merkels Zittern, GOA-Preisträger, Abgeknallte Drohne

1. Preise für die besten Seiten im Netz
(wdr.de, Susanne Schnabel)
Gestern ist in Köln der begehrte Grimme Online Award vergeben worden. Zu den Ausgezeichneten zählen unter anderem der “Krieg und Freitag”-Zeichner Tobias Vogel, das “Techniktagebuch”, die “Krautreporter” und “Wem gehört Hamburg”. Insgesamt gab es 1.200 Vorschläge und 28 Nominierte.
Weiterer Lesetipp: Das Grimme-Institut kritisiert das zu geringe Angebot von geeigneten Online-Angeboten für Kinder: Wenig Auswahl für junge Mediennutzer (deutschlandfunk.de, Annika Schneider).

2. Wer spielt denn schon mit Mädchen?
(faz.net, Axel Weidemann)
Vor ein paar Jahren bestand die Hoffnung, dass in Computerspielen Frauen nicht nur als schmückendes Beiwerk auftauchen, sondern tragende Rollen übernehmen. Von dem leisen Wandel ist jedoch nicht viel übrig geblieben, wie aus einem Bericht für das “Wired”-Magazin hervorgeht.

3. Das große Zittern
(taz.de, Ambros Waibel)
“Warum zum Teufel wollen fast 280.000 Leute etwa auf dem YouTube-Kanal von RT Deutsch sehen, wie Merkel zittert?” Ambros Waibel schreibt über den fragwürdigen Nachrichtenwert des kleinen Schwächeanfalls von Angela Merkel.

4. Verschärftes Vorgehen gegen Exil-Blogger
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anscheinend will Bahrain auf der Rangliste der Pressefreiheit noch weiter nach hinten rutschen (derzeit Platz 167 von 180): Nach Angaben von “Reporter ohne Grenzen” geht das Land auch gegen im Exil lebende Bloggerinnen und Blogger vor. Das betreffe beispielsweise den in Deutschland lebenden Exil-Blogger Sajed Jusif al-Muhafdha. “Offensichtlich will Bahrain die letzten Nischen für Kritik an der Regierung schließen und sogar Bloggerinnen und Blogger im Exil mundtot machen. Bahrains Behörden gehen schon lange mit großer Brutalität gegen regierungskritische Medienschaffende vor. Jetzt nehmen sie die einfachen Internetnutzerinnen und -nutzer ins Visier. Künftig muss dort jeder und jede mit Verfolgung rechnen, die sich über soziale Medien aus unabhängigen Quellen informieren will.”

5. “Viele lesen Haaretz, weil sie keine Alternative haben”
(sueddeutsche.de, Alexandra Föderl-Schmid)
Die israelische Tageszeitung “Haaretz” ist dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. “SZ”-Korrespondentin Alexandra Föderl-Schmid hat dem Blatt einen Besuch abgestattet und mit dem Chefredakteur über Rolle, Funktion und Leserschaft der Zeitung gesprochen. Und es geht um die Ausrichtung des oftmals als politisch links wahrgenommenen Mediums. Wobei es nicht von der nach eigener Definition rechtesten Regierung Israels profitiere: “Wir haben keine Trump-Blase.”

6. Anwohner durfte Drohne mit Luft­ge­wehr abschießen
(lto.de)
Eine Meldung mit indirektem Medienbezug, denn Drohnen spielen in unserer Medienwelt eine immer größer werdende Rolle. Und werden auch dafür genutzt, gegen das geltende Recht Aufnahmen zu produzieren. Nun hat das Amtsgericht Riesa einen Mann freigesprochen, der die 1.500 Euro teure Drohne seines Nachbarn mit seinem Luftgewehr abgeschossen hat.

Das rechte Auge, Mit “Bento” auf Kaffeefahrt, Heiles Kunstwerk

1. “Eine gewisse Sprachlosigkeit”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Es ist schwierig: Journalismus soll nicht vorverurteilen, entsprechend umsichtig und verantwortungsvoll muss in Fällen von Verdachtsberichterstattung vorgegangen werden. Medien täten sich mit Berichten über Rechtsextremismus jedoch besonders schwer, so der ehemalige “Spiegel”-Kolumnist Georg Diez: “Das ist eine deutsche Pathologie, denke ich: Es darf nicht sein, was ist.”
Weiterer Lesetipp: Kritik am Verfassungsschutz: Warum bleibt die NSU-Akte 120 Jahre unter Verschluss? (t-online.de, Lars Wienand).

2. Sagt mal, @bento_de, meint ihr das eigentlich ernst?
(twitter.com/PaulBartmuss)
Der Journalist Paul Bartmuss ist über einen “Bento”-Beitrag gestolpert, der einer Art digitaler Kaffeefahrt gleicht: “Sagt mal, @bento_de, meint ihr das eigentlich ernst? Einen “Artikel” mit 29 (!) Affiliate-Links zu @amazonDE zuzuklatschen und das am Ende als Journalismus zu verkaufen? Geht es @SPIEGELONLINE wirklich finanziell so schlecht?”

3. Nach Berichterstattung: Donald Trump wirft New York Times Landesverrat vor
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Donald Trump hat die “New York Times” auf gewohnt trumpeske Weise beschimpft und ihr Landesverrat vorgeworfen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass in den USA auf Landesverrat die Todesstrafe steht. Markus Beckedahl kommentiert den Fall und erinnert an ein ähnliches Geschehen in Deutschland. Vor gar nicht so langer Zeit hatte nämlich der damalige Verfassungsschutzpräsident, Hans-Georg Maaßen, versucht, mit ähnlicher Argumentation die netzpolitik.org-Macher mundtot zu machen.
Weiterer Lesetipp: Auf der CNN-Website reagiert Chefredakteur Chris Cillizza auf Donald Trumps jüngstes Interview beim Fernsehsender ABC. Er hat sich dazu 78 besonders bemerkenswerte Aussagen herausgesucht, die er mit viel Süffisanz und Galgenhumor kommentiert: The 78 wildest lines in Donald Trump’s epic ABC interview .

4. Mit Podcasts die eigene Bibliothek bereichern
(inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Es gibt mittlerweile einige Podcasts zum Thema Lesen und Literatur. Nicola Wessinghage hat sich durch das Angebot gehört und stellt ihre fünf Favoriten vor.

5. WhatsApp will Newsletter kicken
(taz.de, Lilly Schlagnitweit)
WhatsApp wird nicht nur zum Austausch von privaten Nachrichten, sondern auch zum Versand von Newslettern benutzt. Doch mit Letzterem könnte bald Schluss sein: Das Unternehmen will den massenhaften Versand von Nachrichten unterbinden und begründet dies unter anderem mit der Verbreitung von Fehlinformationen zu politischen Zwecken. Die Entscheidung hat aber auch einen wirtschaftlichen Aspekt: WhatsApp will Unternehmen zur “WhatsApp Business App” rüberlotsen.

6. Kunstmesse dementiert Zerstörung von Kunstwerk durch Dreijährige
(spiegel.de)
Es war eine Meldung ganz nach dem Geschmack von “Bild”: “So schnell kann es passieren: Auf der “Art Basel”, wo bis zu 20 Millionen Dollar teure Gemälde verkauft werden, wo angesichts Tausender Kunstwerke höchste Sicherheitsstufe gilt, hat am Wochenende ein Kleinkind ein 50 000 Euro teures Kunstwerk zerstört!” Auch “Spiegel Online” berichtet darüber (und bezog sich dabei auf “Bild”). Das Problem: An der Geschichte scheint wenig bis gar nichts dran zu sein.

RTLs langjähriger Fälscher, Versagen von Hitzacker, Bildundtonfabrik

1. Mut zur Aufklärung
(taz.de, Anne Fromm & Peter Weißenburger)
Bei RTL hat ein Reporter über Jahre Fernsehbeiträge manipuliert, gefälscht oder in einen falschen Kontext gesetzt. Der Sender hat sich von dem Mitarbeiter getrennt und sich mit einer Erklärung an die Zuschauer gewandt. Die “taz” kommentiert: “In der Sendung “Punkt 12” am Freitag entschuldigte sich Moderatorin Katja Burkard im Namen des Senders “für die mangelnde Sorgfaltspflicht” des Mitarbeiters. Gemeint war gewiss “mangelnde Sorgfalt”. Obwohl.” Weiterer Lesetipp: RTLs offizielle Pressemitteilung mit der Schilderung eines typischen Ablaufs: “In einem weiteren Fall wurde Rohmaterial aus einem RTL Nord-Dreh mit der Musikerin Melanie C. für einen Beitrag über Desinfektionsmittel genutzt. Darin behauptete der Reporter, bei einem Interview bemerkt zu haben, dass auch Melanie C. sich die Hände desinfiziert. Tatsächlich aber cremt sich die Musikerin die Hände und Unterarme nur mit Feuchtigkeitscreme ein und sagt dies auch selbst so.”

2. Fernsehrevolten und Verleih von Flugsauriern
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Die Produktionsfirma Bildundtonfabrik ist vor allem bekannt durch Jan Böhmermanns Late-Night-Show “Neo Magazin Royale”, aber auch als Lieferant der Netflix-Serie “How To Sell Drugs Online (Fast)”. Kathrin Hollmer stellt die Firma und ihre umtriebigen Gründer in einem Porträt vor.
Weiterer Lesetipp: Die TV-Kritik der vergangenen Böhmermann-Sendung: Erst mit Rezo wird es fad (sueddeutsche.de, Theresa Hein).

3. Ein Jahr nach Hitzacker – Das Schweigen über ein journalistisches Versagen
(spiegelkritik.de, Timo Rieg)
Pfingsten 2018 kam es zu einer Spontandemo vor dem Hause eines Polizisten im Wendland. Viele Medien plusterten sich auf und skandalisierten den Vorgang als linken Terrorakt (wir berichteten). Juristisch schrumpfte der Elefant bereits zur Mücke: Die Ermittlungsverfahren gegen alle 50 Demonstranten wurden eingestellt. Das Problem: So laut das Geschrei der Medien damals war, so laut ist nun ihr Schweigen.

4. Wie junge Abgeordnete Social Media (nicht) nutzen
(wdr.de)
Anfang 2018 sorgten die im NRW-Landtag vertretenen CDU, FDP, SPD und Grüne für eine satte Erhöhung der Mitarbeiterpauschalen für Abgeordnete, indem sie die bisherigen 4.417 Euro nahezu verdoppelten. Der üppige Aufschlag sollte der Social-Media-Arbeit zugutekommen. Die “Westpol”-Redaktion (WDR) hat sich umgeschaut, inwieweit das auch tatsächlich umgesetzt wurde. Mit teilweise ernüchternden Ergebnissen: “Die junge Grüne Verena Schäffer beispielsweise, die die Budgeterhöhung mit gefordert hatte, sucht man bei Instagram und Youtube vergeblich, auf Facebook hat Schäffer zuletzt 2018 gepostet — genau ein Mal.”

5. Die Nerds, denen Apple zuhört
(zeit.de, Hannes Schrader)
Hannes Schrader stellt einen Blogger und Podcaster vor, der in der Apple-Szene ein großes Publikum hat: John Grubers Tech-Blog “Daring Fireball” werde 2,5 Millionen Mal im Monat aufgerufen, sein Podcast von 75.000 Leuten gehört. Mittlerweile hören sich auch die Apple-Manager an, was der Influencer zu sagen hat.

6. Vom Winde umweht
(faz.net, Johannes Nichelmann)
Wusstet ihr, dass die teilweise poppigen Mikrofonwindschützer, die Interviewten vor den Mund gehalten werden, in Handarbeit hergestellt werden, von einer deutschen Firma, die sich in dem Bereich Weltmarktführer nennt? Die “FAZ” hat mit Firmenchef Archibald Schulze-Cleven gesprochen, der die Mikrofonüberzieher im ostwestfälischen Ort Brakel für Radio- und Fernsehsender aus aller Welt produziert.

RWE und die Meinungsfreiheit, Phantom-Telefonat, Düstere Honorare

1. RWE fordert 50.000 Euro für Aufruf per Tweet
(deutschlandfunk.de, Henning Hübert)
Der Energieversorgungskonzern RWE verlangt vom 24-jährigen Pressesprecher des Aktionsbündnisses “Ende Gelände” die stolze Summe von 50.000 Euro. Der Sprecher habe auf Twitter und bei einer Veranstaltung zu “massenhaft zivilem Ungehorsam” aufgerufen. Der WDR-Journalist Jürgen Döschner sieht in der Forderung einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit: “Man muss das ja nicht nur auf Pressesprecher beschränken. Ich bin öfter in der Gegend und berichte über Aktionen — wenn ich dann dort aufgegriffen werde, vielleicht von RWE auch eine solche Unterlassungserklärung zugeschickt bekomme, und dann äußere ich mich in einem Kommentar, wie ich das 2015 gemacht habe, mit Verständnis für Aktionen wie zum Beispiel eine Tagebaus — schon hätte ich potenziell auch eine Erklärung auf dem Tisch, eine solche Androhung von 50.000 Euro Strafe.”

2. Hanseat von Stil
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Der ehemalige “Tagesschau”-Sprecher Wilhelm Wieben ist gestern im Alter von 84 Jahren gestorben. Hans Hoff erinnert in seinem Nachruf an die Fernsehlegende.

3. Das Telefonat, das nie geführt wurde
(wienerzeitung.at, Heinz Fischer)
Als der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer im Rahmen der Regierungskrise gefragt wurde, ob er bereit wäre, vorübergehend das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen, verneinte er unter Hinweis auf sein Alter. Trotzdem machten einige Medien (unter anderem der “Spiegel”) mit der Behauptung auf, er würde sich um das Amt bemühen und verwiesen auf Telefonate und SMS-Nachrichten, die es laut Fischer jedoch nie gab. Seinen Gastbeitrag mit der Schilderung der Vorgänge will Fischer auch an den Presserat schicken. Ohne sich all zu viel davon zu versprechen: “Er wird voraussichtlich nichts tun, aber sich vielleicht wenigstens wundern, was in Qualitätsmedien alles möglich ist.”

4. Freischreiber-Report 2019: Wer verdient was?
(wasjournalistenverdienen.de, Katharina Jakob & Michel Penke)
Der Berufsverband Freischreiber hat bei freien Journalistinnen und Journalisten rumgefragt, wie hoch ihr Honorar bei verschiedenen Medien ist. Herausgekommen sind der Honorarreport 2019 und die Erkenntnis, dass “das gemittelte Zeichenhonorar aller Medien” derzeit “bei 40 Euro pro 1000 Zeichen” liege. Ein Fazit der Freischreiber: “Guter Journalismus sollte überall ähnlich viel wert sein. Ist er aber nicht. Und es ist vielerorts ziemlich düster.”

5. Jetzt ist Schluss!
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
“Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer verabschiedet sich mit seiner letzten Kolumne bei den “Spiegel”-Lesern. Auf stolze 438 Kolumnen hat er es insgesamt gebracht. “Haben mich alle im SPIEGEL geliebt? Ganz sicher nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Meine Chefs haben alles gedruckt, was ich am Kolumnentag an sie geliefert habe, selbst wenn ich damit quer zur Mehrheit der Redaktion lag. Mehr kann man als Journalist nicht erwarten.” Ab August wird man Fleischhauer beim “Focus” lesen können: “Solange sich Zweidrittel der in Deutschland tätigen Journalisten politisch links der Mitte verorten, bleibt für jemanden wie mich genug zu tun.”

6. 10 Tipps, wie du deine Podcast-Reichweite noch heute verbessern kannst
(podigee.com, Mati Sojka)
Als Podcast-Hoster kennt sich Mati Sojka von Podigee naturgemäß gut mit den technischen Aspekten von Podcasts aus. In seinem Beitrag verrät er Podcast-Anbietern zehn bewährte Methoden zur Reichweitensteigerung.

Kampf der “NZZ” gegen PC, Staatshumor, Klarnamenpflicht

1. Verteidigung der Missionarsstellung
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Andreas Tobler hat bei der “NZZ” so etwas wie ein eigenes Genre entdeckt: den Artikel gegen die “politische Korrektheit”. Allein im vergangenen Jahr seien in der “NZZ” über hundert dieser Anti-PC-Beiträge erschienen. Tobler kommentiert: “Gehegt und gepflegt wird das Phantasma der politischen Korrektheit nicht zuletzt, um sich ja nicht mit der schlichten Tatsache zu beschäftigen, dass Normalität schon immer einer gesellschaftlichen Aushandlung unterlag.”

2. Zuhause ist, wo die Männer sind
(tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Das kommende Herbst- und Winterprogramm des Rowohlt-Verlags bestehe zu 90 Prozent aus Titeln von Männern, kritisiert Gerrit Bartels. Sein Unmut darüber mündet in einem langen Satz: “Man muss kein Feminist sein, um das seltsam und unbedacht zu finden, gerade in Zeiten, in denen der Verlag Klett-Cotta in seiner Vorschau bei der Ankündigung eines Buches von Lady Bitch Ray das “Trendthema Feminismus” entdeckt hat; in denen in den sozialen Medien alle halbe Jahre sorgfältig gezählt wird, wieviel Titel die Verlage von Frauen und Männern veröffentlichen; in denen, genau, das interessiert Verlage, junge Feministinnen nicht nur wie Stokowski, sondern auch wie Sophie Passmann oder Jagoda Marinic mit “Alte weiße Männer” und “Sheroes” gerade Bestseller veröffentlicht haben; in denen, auch das ist bekannt, Frauen mehr zu Büchern greifen als Männer, zu Belletristik überdies.”

3. Rezo-Video: Trend vom Lesen weg zum Vorlesen wie im Mittelalter
(infosperber.ch)
“Infosperber” greift ein “Deutschlandfunk”-Interview des Medienwissenschaftlers Christoph Engemann auf, das dieser anlässlich des Rezo-Videos (“Die Zerstörung der CDU”) gegeben hat. Wie ist diese Art der “Vorlesung” einzuordnen, was bedeutet dies für die Kommunikationskultur, und wie soll man darauf reagieren? Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer erklärt, warum sich die CDU so schwer mit einer Reaktion tut: “Das ganze politische System ist stark formalisiert und strukturiert. Man kennt sich. Das war bisher eine gut geölte Maschine. Wenn da plötzlich irgendein Akteur aus dem Nichts kommt, den man auch nicht richtig einordnen kann, nicht ein Parteiakteur, keiner der für irgendwelche Interessengruppen steht, eher so ein Halbprominenter in einer bestimmten Generation, der sehr massiv, sehr fundiert und eben sehr gut sichtbar seine Meinung äussert — das irritiert die Politiker natürlich.”

4. Was soll der Müll
(freitag.de, Hannah Schlüter)
Hannah Schlüter beschäftigt sich mit dem erfolgreichen Genre der Aussteiger- und Reisefilme. Die Protagonisten seien oft Influencer oder würden es durch ihre Filme werden wollen: “Der blinde Fleck der Filme bleibt die eigene Herkunft, die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Protagonisten auf ihre Reisen gehen können (und anschließend auf Kinotour durch Deutschland). Und der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die sie auf ihren Reisen treffen: Sie können am Ende wieder nach Hause. Sich doch wieder den Ballast eines Hauses gönnen und sesshaft werden.”

5. Das Problem heißt Hass
(taz.de, Johanna Roth)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Eine derartige Pflicht wäre jedoch wenig hilfreich, findet “taz”-Redakteurin Johanna Roth: “Eine Klarnamenpflicht verhindert keine Hasskommentare. Facebook fordert seine User schon lange dazu auf, sich mit echten Namen zu registrieren, auch wenn eine entsprechende Verpflichtung im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt wurde. Das hält Nutzer aber nicht davon ab, Beleidigungen und Morddrohungen zu posten. Das Problem heißt nicht Anonymität, das Problem heißt schlicht: Hass.”

6. Hoch lebe der Staatshumor
(heise.de, Wolf Reiser)
Wolf Reiser hat einen Artikel über die Humor- und Kabarettsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender geschrieben und dabei reichlich Ohrfeigen verteilt. Den ARD-Satiriker Dieter Nuhr beschreibt er wie folgt: “Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.” Das ZDF mit seiner “heute show” kommt nur wenig besser weg: “Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern.”
Nachtrag: Der Beitrag ist ein wildes Rumgebashe in viele möglichen Richtungen, manchmal auch in die falschen. Eine Leseempfehlung in den “6 vor 9” bedeutet nicht automatisch, dass der Kurator sich die Aussagen in den verlinkten Texten zu eigen macht. Dies gilt für diesen Text ganz besonders.

Lästige Prozesswelle, Klöckner-Video wohl Schleichwerbung, Todes-Drama!

1. Euros für Ärzte: CORRECTIV wehrt sich gegen Prozesswelle
(correctiv.org, Frederik Richter)
Es ist wahrlich eine verrückte Geschichte, die der stellvertretende “Correctiv”-Chef Frederik Richter erzählt. Ein Berliner Anwalt überziehe “Correctiv” und “Spiegel Online” wegen der Datenbank “Euros für Ärzte” mit einer beispiellosen Prozesswelle. Mit jedem der nahezu identischen Schriftsätze trete er irgendwo in Deutschland vor Gericht an und kassiere eine Niederlage. Es gäbe bereits 53 Urteile für “Correctiv” und 83 Urteile für “Spiegel Online”. Was sich unsinnig anhört, kann aus der Sicht des Anwalts jedoch sinnvoll sein: Er kassiert jedesmal nicht nur eine Niederlage, sondern auch das Geld seiner Mandanten beziehungsweise das ihrer Versicherungen. Für die betroffenen Redaktionen gestaltet sich die Sache jedoch weitaus weniger attraktiv, denn neben der vielen Arbeit besteht ein erhebliches finanzielles Risiko.

2. Niemand sieht Dein YouTube-Video
(heise.de, Daniel AJ Sokolov)
Nach den Erhebungen der Video- und Musiksuchmaschine Pex würden nur 0,64 Prozent aller Youtube-Videos mehr als 100.000 Zugriffe erreichen. Diese seien jedoch für mehr als vier Fünftel des Traffics verantwortlich. Daniel AJ Sokolov konstatiert: “Mehr als 99 Prozent aller gehosteten Videos könnte YouTube theoretisch löschen, ohne nennenswerte Umsatzeinbußen zu erleiden — denn diese Videos schaut sowieso fast niemand an.”

3. Bundesweit Razzien wegen Hasskommentaren im Internet
(zeit.de)
Anlässlich des dritten Aktionstags zur Bekämpfung von Hasspostings (das Bundeskriminalamt (BKA) spricht vom vierten Aktionstag) ist die Polizei in 13 Bundesländern gegen Hasskommentierer vorgegangen, hat Wohnungen durchsucht und Verdächtige vernommen. Laut BKA ließen sich 77 Prozent der Hasspostings dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, 14 Prozent entsprängen unterschiedlichen Ideologien und neun Prozent würden aus dem linksextremen Milieu stammen.

4. Wendepunkt am Buchmarkt 2018: Verlage und Buchhandlungen entwickeln erfolgreich Wege zum Leser
(boersenverein.de)
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels blickt auf ein positives Jahr 2018 zurück. Die Zahl der Buchkäufer sei erstmals seit 2012 wieder gestiegen. Die Branche habe vergangenes Jahr ihren Umsatz gehalten und sei mit Zuwächsen ins Jahr 2019 gestartet. Der stationäre Buchhandel sei immer noch für rund 47 Prozent Buchverkäufe verantwortlich. Den stärksten Umsatzzuwachs habe es bei Sachbüchern gegeben (+5,5 Prozent).

5. “Sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf)
Kurz nachdem die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihr umstrittenes Nestlé-Video veröffentlichte, tauchte die Frage auf, ob es sich dabei um Werbung beziehungsweise Schleichwerbung handele. Der “Deutschlandfunk” hat dazu den Medienanwalt Christian Solmecke nach dessen Einschätzung befragt: “Es gibt zwar unterschiedliche Urteile der verschiedenen Gerichte zum Thema Schleichwerbung, aber hier hat sich Frau Klöckner ausnahmslos positiv zugunsten eines Unternehmens ausgesprochen, und da muss man auch, gerade wenn man die Influencer-Urteile der letzten Monate ins Kalkül zielt, sagen, ja, sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen.”

6. “Neue Post”: Schwerer Abschied von Roland Hag
(uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz, Video: 4:14 Minuten)
Todes-Drama bei der “Neuen Post”! Chefredakteur Roland Hag verlässt das Blatt. Sterben damit nun auch all die Lügen- und Quatschgeschichten, mit denen die Leserinnen und Leser 25 Millionen Mal im Jahr hinters Licht geführt werden? Keiner kann darauf eine schönere Antwort geben als Mats Schönauer und Boris Rosenkranz in diesem Video. Überaus gut angelegte vier Minuten vor dem Start ins Wochenende.

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