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Das mediale Sterben des Michael Jackson

Dass Michael Jackson am gestrigen Donnerstag im Alter von 50 Jahren verstorben ist, dürfte inzwischen jeder mitbekommen haben, der sich heute nur in der Nähe eines Computers, Radios oder eines anderen Menschen aufgehalten hat.

In der Nacht war die Nachrichtenlage noch deutlich unübersichtlicher: Der Onlinedienst TMZ.com war sich ganz sicher (wie der diensthabende Redakteur der “LA Times” erzählte), als er um 23:44 Uhr deutscher Zeit verkündete, Jackson sei tot. Aber war der Nachricht auch zu trauen?

Was folgte, ist ein Lehrbuch-Beispiel dafür, wie Journalismus im Jahr 2009 funktioniert — immer getrieben von den teils unvereinbaren Wünschen, möglichst der Erste zu sein und möglichst nichts falsches zu berichten:

Bild.de um 23:59 Uhr:*

Herzstillstand: Michael Jackson gestorben

Bild.de um 00:01 Uhr:

Internetdienst TMZ: Michael Jackson gestorben

Bild.de um 00:14 Uhr:

Internetdienst TMZ: Michael Jackson gestorben?

Bild.de um 00:30 Uhr:

Das Drama um Michael Jackson: Herzstillstand, Koma, verzweifelte Rettungsversuche

Bild.de um 00:50 Uhr:

Nachrichtenagentur AP meldet: Popstar Michael Jackson (50) ist tot!

Bild.de um 01:09 Uhr:

Verzweifelt kämpften die Ärzte um das Leben des Popstars (✝50): Michael Jackson ist tot!

Aber auch bei anderen Medien gab es ein gewisses Chaos, bis schließlich Gewissheit herrschte. So konnte man um 00:34 Uhr bei “RP Online” diese Überschrift lesen:

Zustand kritisch: Michael Jackson im Krankenhaus. zuletzt aktualisiert: 26.06.2009 - 00:20. Los Angeles (RPO). Der Popstar Michael Jackson ist am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Nach unbestätigten Quellen hat er einen kurzzeitigen Herzstillstand erlitten. Über seinen Zustand wird derzeit nur spekuliert.

Unter dem Artikel aber stand ein Kommentar von 00:01 Uhr, der nahelegt, dass Überschrift und Aussage des Artikels zu diesem Zeitpunkt etwas anders ausgesehen hatten:

Michael Jackson ist tot. Ich bin erschüttert....Ich werde für Ihn beten, was soll man sonst in so einem Moment machen. Mein Beileid gilt der gnzen Familie.

Um 00:44 Uhr stand dann auch für “RP Online” fest:

EILMELDUNG Berichte: Michael Jackson ist tot

Zum gleichen Zeitpunkt gab sich die britische “Sun” noch außergewöhnlich distanziert:

Breaking news: Jacko 'dead' Heart attack kills star, say reports

Doch nicht alle Online-Redaktionen konnten zu dieser Nachtschlafenden Zeit schnell reagieren. Um 00:56 Uhr lauteten die Top-Stories bei stern.de und sueddeutsche.de noch

Obama-Merkel-Treffen: Prima Klima verzweifelt gesucht

beziehungsweise

Ruf nach höherer Mehrwertsteuer

Um etwa 01:20 Uhr wäre man dann aber auch bei diesen beiden Seiten zumindest grob informiert gewesen.

Während MTV in den USA sein Programm umstellte und Michael-Jackson-Videos zeigte, liefen bei den deutschen Musiksendern in der Nacht noch die vorbereiteten Clips. Die Startseite von mtv.de aber sieht seit seit mindestens ein Uhr schlicht und ergreifend so aus:

R.I.P. KING OF POP, Michael Jackson 29.08.1958 - ✝25.06.2009

Sämtliche Die meisten gedruckten Zeitungen von heute waren damit natürlich vergleichsweise uninteressant …

Mit Dank auch an Jochen K.

*) Diesen Screenshot haben wir um 16:15 Uhr nachgetragen. Wir verdanken ihn unserem Leser Thorsten K.

Bild  etc.

Springer hatte mit 1968 nichts zu tun (2)

Am Tag danach “mußten Berliner Zeitungsleser glauben, daß Benno Ohnesorg von seinen Kommilitonen umgebracht worden sei”, schrieb der “Spiegel” im Juni 1967.

Unter der Schlagzeile “Blutige Krawalle: 1 Toter!” berichtete die “Bild”-Zeitung an jenem 3. Juni 1967:

Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten. (…) Ihnen genügte der Krawall nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die Rote Fahne, und sie meinen die Rote Fahne. Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.

Die Schwesterzeitung “Berliner Morgenpost” meldete immerhin:

Ein Kriminalbeamter feuerte im wirren Tumult und in dem unübersehbaren Handgemenge einen Warnschuß ab.

Und Schwesterzeitung “Welt am Sonntag” erklärte am folgenden Tag ihren Lesern, warum ein Kriminalbeamter “von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht” hatte:

Er war von den Demonstranten in einen Hof abgedrängt, dort festgehalten, getreten und mit Messern bedroht worden.

Noch einen Tag später titelte “Bild”:

Studenten drohen: Wir schießen zurück — Sanfte Polizei-Welle

Der “Bild”-Reporter sagte laut “Spiegel” hinterher:

“Ich schäme mich für meine Zeitung. Das mit dem Zurückschießen hat mit keinem Wort in meinem Artikel gestanden. Das haben die erst in der Redaktion dazugedichtet, um eine knallige Überschrift zu kriegen.”

* * *

Thomas Schmid, früher selbst in der Studentenbewegung tätig, inzwischen aber Chefredakteur der “Welt”, schreibt in seinem heutigen Leitartikel, in dem er den “alten Kämpen” vorwirft, sich “an ihren Mythos” zu “klammern”:

Kein Zweifel (…), dass in den überhitzten Jahren 1967 und 1968 einige Blätter dieses Hauses sich im Ton vergriffen und die Demonstrierenden auch verunglimpften. [Aber:] Die Blätter des Axel Springer Verlages haben — was wir belegen werden — über die 68er-Bewegung sehr viel differenzierter berichtet, als es im Schreckbild von der “hetzerischen Springerpresse” vorgesehen ist.

Das eingeschobene “was wir belegen werden” wird als Ankündigung einer internen Untersuchung interpretiert. Vielleicht holt Schmid aber auch nur ein altes Papier aus dem Schrank. Denn der Verlag ließ schon vor über 40 Jahren eine solche Untersuchung mit demselben Ziel anfertigen (rechts): Sie sollte vor allem den Vorwurf entkräften, alle Springer-Zeitungen hätten einheitlich undifferenziert über die Studenten und den Tod Ohnesorgs berichtet. Zu genau diesem Ergebnis kam hingegen eine wissenschaftliche Untersuchung des renommierten Publizistik-Wissenschaftlers Walter J. Schütz.

* * *

In der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Marek Dutschke, der jüngste Sohn von Rudi Dutschke, warum er ausgerechnet in der “Bild”-Zeitung forderte, man solle prüfen, ob die Stasi mit dem Attentat auf seinen Vater 1968 zu tun habe.

SZ: Bislang hätte man kaum für möglich gehalten, dass ein Dutschke mit der Bild-Zeitung spricht, nach den Kampagnen des Blattes gegen Ihren Vater.

Dutschke: Das stimmt. Aber die Bild-Zeitung hat Einfluss in Deutschland, und wenn man den für eigene Forderungen nutzen kann, finde ich es okay. Interessant aber ist doch zu sehen, wie Bild heute mit dem Fall Ohnesorg umgeht, das Motiv ist ja durchschaubar: Indem sie die Geschichte jetzt auf die Stasi konzentriert, kann sie von der eigenen historischen Schuld ablenken, denn Bild hat ja die Stimmung gegen die Studenten angefacht und das Klima des Hasses erzeugt.

Bild  

Springer hatte mit 1968 nichts zu tun

“Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen.”

Schlagzeile der Springer-Zeitung “B.Z.” am 3. Juni 1967, dem Tag, nachdem der unbewaffnet gegen den Schah demonstrierende Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen worden war.

“Bild” hatte angesichts der Studenten-Demonstrationen schon im Dezember 1966 “Polizeihiebe auf Krawallköpfe” empfohlen, “um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen.” Im Februar 1966 schrieb das Blatt über eine Vietnam-Demonstration Berliner Studenten:

Es ist an der Zeit, diesen Leuten mit aller Deutlichkeit zu sagen: … Zwei Millionen Berliner lassen sich nicht von 1500 Wirrköpfen auf der Nase herumtanzen.

“Bild” wolle “dafür sorgen, daß in Zukunft ähnlichen Demonstrationen die gebührende Antwort erteilt wird”. Springer-Zeitungen titelten: “Kein Geld für langbehaarte Affen”, “Da hilft nur noch eins: Härte”, “Unruhe stifter unter Studenten ausmerzen” und nannten die Protestierenden “Eiterbeulen”.

Als mehrere Studenten im April 1967 vorübergehend festgenommen wurden, weil sie Mehl und Joghurt in Beutel abgefüllt und ein Attentat mit Pudding auf den amerikanischen Vizepräsidenten geplant hatten, sprach “Bild” von “Bomben und hochexplosiven Chemikalien” und “sprengstoffgefüllten Plastikbeuteln” und titelte: “Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten.”

Das Buch “Das ‘Welt’-‘Bild’ des Axel Springer Verlages” fasst die damalige Berichterstattung der Springer-Zeitungen so zusammen:

Richtete sich eine Demonstration gegen bundesdeutsche oder allgemein westliche Mißstände und legte noch dazu belebte Straßen wie den Berliner Kurfürstendamm lahm — tat also genau das, wofür sie gedacht war, nämlich den reibungslosen Ablauf zu stören –, wurde sie als illegaler Druck der Straße abgeleht. (…)

Die anfänglich demokratisch-legal artikulierte Kritik bewirkte keine Veränderung, sondern wurde statt dessen bereits kriminalisiert. Wie das Beispiel der Demonstranten zeigt, galt gerade in den Zeitungen des Springer-Verlages schon der friedliche, aber eben störende Protest als illegaler Übergriff auf das Recht der Bundesbürger auf Ruhe und Ordnung. (…) Obgleich anfänglich die Gewalt nicht von studentischer Seite ausging, sondern im Gegenteil von den staatlichen Instanzen Polizei oder Universität, wurden dennoch die Studenten als Initatoren der Gewalt geschildert.

Am 7. Februar 1968 schrieb “Bild”:

Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.

Ein Amtsgericht sah in diesen “Bild”-Sätzen damals “nicht eine demokratische Auseinandersetzung mit einem Andersdenkenden, sondern üble Stimmungsmache und Aufhetzung zu Gewalttaten”.

“Dutschke, der sich später den Grünen anschließt, ertrinkt Heiligabend 1974 in der Badewanne.”

(Gescheiterter Mini-Biographie-Versuch der “Bild am Sonntag” gestern über ihren ewigen Gegner Rudi Dutschke)

Zwei Monate später wurde das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke verübt.

Man kann die Eskalation der Gewalt, die dem Tod Ohnesorgs folgte, nicht erklären ohne das politische Klima, in dem er geschah, und die Lügen und die Hetze der Springer-Zeitungen, die es anfeuerten.

Kann man nicht? “Bild” kann es.

Seit herausgekommen ist, dass Karl-Heinz Kurras, der Polizist, der Ohnesorg erschoss, Stasi-Agent war, lässt sich nach Ansicht der “Bild”-Zeitung offenbar alles, was damals, davor und danach passiert ist, allein durch die brutalen Machenschaften des DDR-Systems erklären. Ob Kurras mit dem Todesschuss im Auftrag der Stasi handelte, ist keineswegs ausgemacht — aber der frühere “Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje weiß schon, dass sie auch für den Tod Dutschkes verantwortlich war:

In der “taz” kommentiert Christian Semler:

[Kurras] hatte in seinen Prozessen wegen fahrlässiger Tötung Ende der Sechzigerjahre Verbündete, allen voran Springers Bild-Zeitung. Sein vorbildlicher Einsatz, hieß es, sei leider in einem von ihm nicht verschuldeten Unglücksfall geendet.

Wie schnell aus aufrechten Verteidigern der Freiheit gedungene Mörder werden — denn jetzt, nachdem Kurras’ Tätigkeit als IM der Staatssicherheit aufgeflogen ist, wird er zum Auftragsmörder, der gehorsam den Befehlen aus der Stasi-Zentrale folgte. (…) Man kann den delirierenden Autor Hans-Hermann Tiedje nicht unter der Rubrik “Berliner Absonderlichkeiten” verbuchen. Vielmehr geht es hier um ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation. Indem die Stasi — ohne jedes Indiz — zum Täter gemacht wird, kann die Verantwortung der Westberliner Eliten für den 2. Juni 1967 beiseitegedrückt werden.

Und der Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch ätzt, was es angesichts der vorhergehenden Hetze von “Bild” gegen die Studenten bedeutet, wenn sich der Tod von Ohnesorg dem DDR-Regime in die Schuhe schieben lässt:

Das klingt schon nach Aussöhnung zwischen Bild und Stasi.

 

Journalisten, Blogs, Eigenwerbung

1. Faule, fette Journalisten
(blogbar.de, Don Alphonso)
Don Alphonso knöpft sich Journalisten vor, die sich “freuen, wenn es das ein oder andere Blog derbröselt”.  Die “Strukturprobleme der Blogs” würden nicht die “Strukturprobleme der Journalisten lösen”. Generell seien Journalisten “zu wenig meinungsfreudig (und) innovativ”, dafür aber risikoscheu, faul und fett.

2. Blogs und Stiftungen retten Journalismus nicht
(faz.net, Miriam Meckel)
Miriam Meckel, Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, wirft Bloggern und Social Networks vor, nicht selber Inhalte zu erstellen. Neues sei lediglich eine “innovative Verlinkung von Altbekanntem”. Es reiche nicht aus, sich auf Bürgerjournalismus und wohlmeinde Stiftungen zu verlassen (wie Arianna Huffington vorschlägt), um Qualitätsjournalismus aufrechtzuerhalten.

3. Eigenwerbung der Privatsender nimmt zu
(taz.de, Wilfried Urbe)
Wem geht sie nicht auf die Nerven? Die Eigen-PR der TV-Sender mit ihrer “We love to entertain you” und “Mein RTL”-Rhetorik. RTL bestreitet mittlerweile eine Stunde pro Tag mit diesen Clips. Doch diese Clips seien “Schlüsselerfolgsfaktoren der Kommunikation und der Werbung”.

Read On…

Neven DuMont, Darwin, Winnenden

Fordert Charaktere in den Medien: Alfred Neven DuMont (Keystone, Archiv)
1. Interview mit Cigdem Atakuman
(spiegel.de, Daniel Steinvorth)
Cigdem Atakuman, Chefredakteurin von Bilim ve Teknik, wird nach einer Titelgeschichte über Charles Darwin entlassen: “Die Titelgeschichte über Darwin sei ein großer Fehler gewesen, ein unentschuldbarer Fehler. Im jetzigen politischen Klima in der Türkei könne so was als Provokation verstanden werden.”

2. Interview mit Alfred Neven DuMont
(sueddeutsche.de, Hans Werner Kilz)
Verleger Alfred Neven DuMont glaubt, den Zeitungen heute brauchen vor allem Charakter, um sich unentbehrlich zu machen: “Wenn Sie unsere Öffentlichkeit anschauen – von den Bischöfen bis zur Politik, Unternehmer, Gewerkschaften -, es ist eigentlich mehr ein ineinander übergehender Einheitsbrei. Ich will nicht gerade sagen charakterlos, das klingt vielleicht ein bisschen wild, aber charakterarm, profilarm.”

3. “Die hohle Hand beim Staat ist kein Rezept gegen die Medienkrise”
(onlinereports.ch, Peter Knechtli)
“Wenn sich die Medieninhalte immer stärker am Showbizz-, Beauty- und Promi-Barometer und seinem beliebigen Wahrheitsgehalt orientieren, während gleichzeitig die Mittel für tiefgründige Analysen und Recherchen fehlen, dann verlieren die Medien ihre fundamentale Funktion als Informations-Vermittlerin.”

Read On…

(…)

Die “Bild”-Zeitung ist immer noch außer sich vor Wut, dass der ehemalige RAF-Terrorist Christian Klar im Januar auf Bewährung freikommt und auch noch einen Praktikumsplatz als Bühnentechniker am Berliner Ensemble (BE) bekommen soll. Heutiger Anlass für die Empörung ist ein Interview, das Dirk Meinelt, der Betriebsratsvorsitzende des BE, der Berliner Stadtzeitschrift “Zitty” gegeben hat. Oder wie “Bild” titelt:

Nicht ganz unwiderlich auch, wie “Bild” Meinelts Zitate manipuliert, um beim Leser maximale Empörung zu erreichen.

“Bild” schreibt:

Und was meint Meinelt zu dem Vorwurf vieler Politiker, dass Klar bis heute keine Reue gezeigt hätte? “Was stellen sich eigentlich die Leute unter Reue vor? (…) Soll er in der Presse einen Kniefall machen?”

Die Auslassungszeichen sind interessant. Das ganze Zitat lautet nämlich so:

“Was stellen sich eigentlich die Leute unter Reue vor? Ich kenne die Briefe von Christian Klar, ich kenne das Gnadengesuch an den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, ich kenne seine Briefe an Horst Köhler und den ganzen Schriftverkehr. Er hat in allen Briefen geschrieben, dass er bedauert. Soll er in der Presse einen Kniefall machen?

Das ist nicht die einzige Manipulation. “Bild” schreibt:

Und dann klingt sogar ein bisschen Mitleid für den neuen Mitarbeiter durch: “Wir haben lange mit ihm darüber gesprochen, dass natürlich Fragen zu seiner Vergangenheit von den Kollegen kommen werden. Das können Sie sich ja vorstellen, was so jemand von einem einfachen Bühnentechniker gefragt wird. Die Arbeit in der Technik, das ist richtiges Milieu. Das ist schon ein bisschen derb und ein sehr raues Klima.”

Einem einfachen Bühnentechniker – ist das nicht genau die Abteilung, in der Klar dann arbeiten wird? Und was ist Klar dann bitte? Ihr da unten, ich – der gerade freigelassene RAF-Terrorist – hier oben? So ein Schmierenstück hat es noch nie im BE gegeben. Hoffentlich wird’s bald abgesetzt…

“Bild” hat sich Meinelts Sätze aus verschiedenen Stellen des Interviews zusammengeklaubt, um diesen Eindruck zu konstruieren. In der “Zitty” heißt es:

Christian Klar wurde Anfang 2007 stark kritisiert, weil er ein kapitalismuskritisches Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz der Zeitung “Junge Welt” geschrieben hatte. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Er hat gesagt, dass er bereut, was durch die Presse gegangen ist. Er weiß auch, dass wir im BE politische Aktivität nicht dulden werden. Das ist von vorneherein klar. Wir haben lange mit ihm darüber gesprochen, dass natürlich Fragen zu seiner Vergangenheit von den Kollegen kommen werden. Das können Sie sich ja vorstellen, was so jemand von einem einfachen Bühnentechniker gefragt wird. Wenn man Klar als Menschen kennenlernt, merkt man: Die Angst vieler ist unbegründet. Von diesem Menschen geht keine Gefahr aus.

(…) Wie bereiten Sie Klar auf das Ensemble vor?

Die Arbeit in der Technik, das ist richtiges Milieu. Die werden ihn fragen: Hast du denn überhaupt was gelernt? Kannst du nach 26 Jahren überhaupt etwas? Das ist schon ein bisschen derb und ein sehr raues Klima. Er muss mit allen Sachen umgehen lernen, er kommt ja in Kontakt mit den Kollegen von der Bühnentechnik, den Beleuchtern, der Requisite und den Schauspielern.

Es ist schwer, aus diesen Antworten zu schließen, dass das BE meint, Christian Klar stünde in irgendeiner Form über den einfachen Bühnenarbeitern. Dazu muss man die Sätze schon kunstvoll neu montieren und Teile ganz weglassen. Sogar ohne Auslassungzeichen.

Das “Zitty”-Interview, auf dem der “Bild”-Artikel beruht, trägt übrigens die Überschrift “Christian Klar im Berliner Ensemble: “Der hat sich hier anzupassen. Fertig.” Das ist auch ein Zitat von Dirk Meinelt.

Der E.on-Chef im “Bild”-Nichtverhör

Oliver Santen, Leiter des Wirtschaftsressorts der “Bild”-Zeitung, hat mal wieder eines seiner bei führenden Vertretern der Industrie so beliebten Interviews geführt. Heute mit E.on-Vorstandschef Wulf Bernotat:

"Erster Stromboss warnt vor Energie-Krise in Deutschland: Ohne neue Kraftwerke wird Strom knapp!"

Da ist der “Stromboss” offenbar ganz einer Meinung mit Wirtschaftsminister Michael Glos, der vor gut drei Wochen in “Bild” vor einer “Strom-Knappheit” warnte – und, beinahe möchte man sagen: natürlich, mit “Bild”-Mann Oliver Santen. Denn schon seine Eingangsfrage lautet:

Deutschland steigt als einzige Industrienation aus der Atomkraft aus. Wie kann die Versorgungslücke geschlossen werden?

Und so geht es munter weiter:

BILD: Drohen Deutschland Engpässe bei der Stromversorgung?

Bernotat: Eindeutig ja! (…)

BILD: Ohne Kraftwerksneubauten gibt es keine sichere Stromversorgung?

Bernotat: Richtig. (…)

BILD: Hat Deutschland ein bezahlbares und sicheres Energiekonzept für die Zukunft?

Bernotat: Ganz klar: Nein. (…)

BILD: Laut einem Gutachten dreier Forschungsinstitute sind zukünftig jedoch keine Erzeugungsengpässe zu erwarten. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch zu ihren eben gemachten Ausführungen?

Das Gutachten (pdf):

“Insgesamt sind zukünftig jedoch keine Erzeugungsengpässe (…) zu erwarten. (…) Auch bei einer expansiveren Entwicklung des Stromverbrauchs als hier unterstellt, wird es aus Sicht der Gutachter marktgetrieben nicht zu physischen Kapazitätsengpässen der Stromversorgung kommen. (…) Wegen des niedrigen Beitrags der Windenergie zur gesicherten Leistung ist hier eine zeitlich differenzierte Betrachtung wichtig: (…) Auch hier sehen wir heute und absehbar keine Angpässe.”

Nein, stopp! Die letzte Frage hat Santen dem “Stromboss” überhaupt nicht gestellt. Stattdessen wollte er lieber wissen: “Was ist zu tun?”, “Was schlagen Sie vor?” oder “Was tun Sie, um beim Stromsparen zu helfen?”

Dabei sollte Santen das Gutachten, das zu einem anderen Ergebnis kommt als Bernotat (siehe Kasten), eigentlich kennen. Darauf hatte sich nämlich Glos bereits in der “Bild”-Meldung von vor gut drei Wochen bezogen. Der Klima-Lügendetektor und zeit.de waren damals beispielsweise der Auffassung, dass Glos’ These von der “Strom-Knappheit” durch das Gutachten nicht gedeckt sei. Entsprechend erwartet auch die Bundesregierung keine Stromlücke.

Aber wenn Santen auch nur irgendeine kritische Nachfrage gestellt hätte, könnte man seine Stichwortgeberei ja womöglich mit Journalismus verwechseln.

Das Santenmännchen ist wieder da

Was bedeutet es eigentlich, wenn “RWI-Experte Manuel Frondel” in “Bild” sagt:

"Durch eine Verschiebung des Atomausstiegs um 20 Jahre könnten uns Kosten von 50 Milliarden Euro und mehr erspart bleiben."

Bedeutet das wirklich, dass mit einer “Milliarden-Ersparnis für Wirtschaft und Verbraucher” zu rechnen sei, wie “Bild” behauptet (und “Focus Online” weiterverbreitet)?

Nicht unbedingt. Wie der “Klima-Lügendetektor” berichtet, räume sogar “RWI-Experte” Frondel auf Nachfrage ein, dass “die Erzeugungskosten erstmal nichts mit dem Endpreis des Stroms zu tun” hätten. Die errechnete Ersparnis falle vielmehr bei den Stromkonzernen an und müsse von denen natürlich nicht an die Verbraucher weitergegeben werden – was Frondel “so auch nie gesagt” haben will, offenbar nicht mal zu “Bild”.

Die 7 “Bild”-Wahrheiten über unsere Kernkraft:

1. “Kernkraft ist sicher”

2. “Kernenergie gehört zum Energiemix der Zukunft”

3. “Kernkraft dämpft den Preisanstieg beim Strom”

4. “Der Ausstieg schadet dem Standort Deutschland”

5. “Kernkraft ist gut für den Klimaschutz”

6. “Das Problem mit dem Atomabfall ist ungelöst”

7. “Die Zustimmung zur Kernenergie wächst”

Der “Klima-Lügendetektor” schließt aber nicht mal aus, dass Frondel in seinem “Bild”-O-Ton mit “uns” ohnehin nicht “Wirtschaft und Verbraucher” (also uns) gemeint hat, sondern bloß seine unsere Energiewirtschaft.

Und die dürfte sich dann nicht nur über die via “Bild” in Aussicht gestellte “Milliarden-Ersparnis” freuen, sondern auch über den “Bild”-Artikel drumherum mit der Überschrift: “7 Wahrheiten über Kernkraft”. Immerhin sechs der sieben “Wahrheiten” fallen da für die Kernkraft überraschend positiv aus (siehe Kasten) – und achtens steht oben drüber als Autor: “Oliver Santen”.
 

Allgemein  

Ja, wo landen sie denn!

Seit Jahren ist die “Bild”-Zeitung (56) davon überzeugt, dass es außerirdisches Leben gibt! Vergangenen Freitag wurde sie mal wieder konkret und behauptete in der Dresdner Ausgabe, ein Professor behaupte, dass es bald zum ERSTEN KONTAKT kommt:

Seit Jahren ist Prof. Dr. B. Herrmann (63) davon überzeugt, dass es außerirdisches Leben gibt! Jetzt wird er erstmals konkret und behauptet, dass es bald zum ERSTEN KONTAKT kommt!

Wenn Sie sagen, wieder so ein Nazi-Esoteriker Spinner, dann lesen Sie erst mal weiter! Denn “Bild” schrieb:

Wenn Sie sagen, wieder so ein Spinner, dann lesen Sie erst mal weiter!

"In zehn Jahren landen die Ufos ...und zwar in Berlin"Aber lassen wir die albernen Spielchen. “Bild” zitiert unter der Überschrift “In zehn Jahren landen die Ufos … und zwar in Berlin” (siehe Ausriss) den Astronomen Prof. Dr. Dieter B. Herrmann mehrfach und lässt keinen Zweifel daran, dass er an einen baldigen Besuch Außerirdischer glaubt:

“Schon in zehn Jahren könnten sie auftauchen” (…). “Dafür gibt’s einen wichtigen Grund!” (…) “Die Außerirdischen haben gemerkt, dass wir uns selbst vernichten. Klimakatastrophe, Artensterben – und sie kommen uns zu helfen!” (…) Falls die Ufos wirklich kommen, dann ist für Professor Herrmann klar, wo sie landen werden: “In Berlin – auf dem neuen Großflughafen. Da ist schön viel Platz und man wäre sofort in der Hauptstadt.”

“Bild” schrieb am Freitag, Herrmann würde “seine These” von den außerirdischen Besuchern am Abend im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen erklären. Tatsächlich erklärt hat er dort allerdings, dass an dem “Bild”-Artikel “nichts wahr” sei, außer dass er “im DDR-Fernsehen eine Sendung hatte”.

Und uns erzählt Herrmann, dass er keineswegs “überzeugt” sei, dass es Außerirdische gibt. Er habe jedoch den Eindruck gehabt, dass der “Bild”-Reporter, der ihn mehrfach angerufen habe und ihn “gar nicht mehr in Ruhe lassen wollte”, dringend eine konkrete Aussage zum Landeplatz haben wollte. Damit habe er sich schwer getan:

“Wir wissen ja nicht mal, ob es sie gibt. Wie soll man denn sagen, wo sie landen würden?”

Allerdings habe er sich zu der Vermutung hinreißen lassen, dass Außerirdische, wenn sie denn kämen, sich für die Landung wohl ein Wüstengebiet aussuchen würden. Und im Scherz habe er gesagt:

“Die würden in Dresden landen, weil sie sich für die Solarforschung interessieren.”

Den Berliner Flughafen habe er nicht erwähnt.

Da muss wohl die Fantasie mit dem “Bild”-Reporter durchgegangen sein. Aber das ist ja auch kein Wunder. Schließlich lief der Abend im Deutsch-Sorbischen Volkstheater unter dem Titel “Planeten am Wegesrand – Wissenschaft und Kunst” und wurde so angekündigt:

Stellen Sie sich vor, auf einem der Planeten des 41 Lichtjahre entfernten Sterns 55 Cancris A im Sternbild Krebs gibt es wirklich hochintelligentes Leben. Von dort nähert sich mit Übergeschwindigkeit ein Raumschiff unserem Sonnensystem. Was erhoffen sich die Besucher, was erwartet sie in Wirklichkeit? Lassen Sie sich einladen zu einer kurzweiligen Reise durch unser Planetensystem mit Musik, Animationen, erstklassigen Vorträgen und Gesprächsrunden.

Mit Dank an Stefan K., Andreas K. und Werner W. von cenap.

Journalismus mit PR-Antrieb

Wir haben in folgender Grafik einmal all das zusammengefasst, was heute in der “Bild”-Zeitung über die angeblich drohende Gefahr von tagelangen Stromausfällen im Sommer steht:

Dabei hätte es soviel zu erzählen gegeben, nicht zuletzt wegen “Bild”. Das Blatt hatte gestern nämlich dem RWE-Chef Jürgen Großmann eine halbe Seite Platz geschenkt, auf der er — ungestört von fachkundigen Nachfragen — für den verstärkten Bau insbesondere von Braunkohle- und Atomkraftwerken werben konnte. Andernfalls drohten im Sommer “mehrtägige Stromausfälle”. Die “Bild”-Zeitung malte sich und ihren Lesern gleich mal aus, was das bedeuten würde: kaum Züge, keine Tankstellen, keine Waschanlagen, kein Licht, kein Warmwasser, kaum Operationen, keine Ampeln, keine Bohrmaschinen. Das to-ta-le Chaos.

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im “Klima-Lügendetektor” von “Greenpeace Magazin” und wir-klimaretter.de: “Wie BILD und RWE Ängste schüren”.

Das “Bild”-Interview fand große Aufmerksamkeit. Großmanns Warnungen wurden von den Nachrichtenagenturen dpa und Reuters, AFP und AP verbreitet. Aber je weiter der Tag fortschritt, um so mehr Widerspruch und Zweifel an Großmanns Thesen wurde laut. Das Bundesumweltministerium erklärte, es sehe keine Gefahr von Stromengpässen und verwies darauf, dass es bei uns keine Stromlücke gebe, sondern im Gegenteil Deutschland Stromexporteur sei. Der Bundesverband der Energieverbraucher kritisierte Großmanns Äußerungen als “politisch motivierten Theaterdonner”, das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung als “Panikmache”. Greenpeace und wir-klimaretter.de verwiesen darauf, dass in den vergangenen Jahren “erheblich mehr Erzeugungskapazitäten ans Netz gingen als zeitgleich stillgelegt wurden” und warnten, dass Großkraftwerke, wie Großmann sie fordere, “wegen ihres immensen Bedarfs an Kühlwasser die ersten sind, die in trockenen Sommern abgeschaltet werden müssen”.

Nachdem “Bild” gestern so unkritisch die Lobby-Arbeit für RWE erledigte, hätte die Zeitung heute immerhin die andere Seite der Geschichte nachreichen können, um nicht den Eindruck zu erwecken, sich als Sprachrohr für die großen Konzerne missbrauchen zu lassen. Andererseits: Wenn man sich als Sprachrohr für die großen Konzerne missbrauchen lassen will, ist es natürlich konsequent, auf Informationen zu verzichten, die die Leser nur unnötig verwirren.

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