Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Bericht über “Bild” gestoppt, “Fair-lesen”, Dreh-Ende der Drehenden

1. Ippen stoppt Investigativ-Berichte über “Bild”-Chef Reichelt
(dwdl.de, Alexander Krei)
Nun beschäftigt sich sogar die “New York Times” mit den Gepflogenheiten bei “Bild” und der Rolle von Springer-CEO Mathias Döpfner. Eines der Details aus dem Compliance-Verfahren gegen “Bild”-Chef Julian Reichelt: Dieser soll laut “New York Times” einer seiner Liebschaften gefälschte Scheidungspapiere vorgelegt haben. Aber auch sonst birgt der Artikel jede Menge Sprengstoff und eine Art Nebenhandlung: Bei der deutschen Ippen-Verlagsgruppe habe zeitgleich zur “NYT”-Veröffentlichung eine aufwändige Investigativrecherche über Reichelts mutmaßlichen Machtmissbrauch erscheinen sollen. Die Veröffentlichung sei jedoch in allerletzter Sekunde vom 81-jährigen Verleger gestoppt worden. Das Investigativ-Team hat daraufhin einen Protestbrief an den Verleger und die Geschäftsführung verschickt.
Tipp: Wer den Artikel der “New York Times” in deutscher Übersetzung lesen möchte, könnte dafür das Übersetzungstool DeepL ausprobieren, das nach subjektiver Empfindung des “6-vor-9”-Kurators die besten Ergebnisse liefert.

2. Schreiben ist nicht umsonst
(initiative-fair-lesen.de)
In einem offenen Brief sprechen sich zahlreiche Autorinnen und Autoren, Verlage und Buchhandlungen gegen die angebliche “Zwangslizenzierung” ihrer Inhalte aus und meinen damit die Möglichkeit öffentlicher Bibliotheken, E-Books für ihre Nutzerinnen und Nutzer zu lizenzieren. Das Anliegen der Initiative und die erhobenen Behauptungen werden derzeit kontrovers diskutiert – nur zwei Beispiele: Zu den Kritikern gehört Enno Park (“pure Propaganda von Teilen der Verlagsbranche”), zu den Befürwortern Hanser-Verleger Jo Lendle (“im Kern aber trifft es die Sache”).

3. Ein klares “Nein” zur Einflussnahme
(freischreiber.de)
Im Interview mit dem “journalist” verteidigte ein Rechtsanwalt vor einigen Tagen die sogenannten Verschwiegenheitsvereinbarungen und gab zu, dass er diese auch dazu nutzt, um Medienschaffende zu lenken oder zu benutzen beziehungsweise um Berichterstattung zu verhindern. Die Freischreiber finden, das darf nicht sein, und wenden sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit: “Die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Berichterstattung müssen in einer Demokratie für alle heilig sein”.

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4. “Bild” findet nach Jahren erstmals Platz im Blatt für Presserats-Rügen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Eigentlich sollen Rügen des Presserats vom betroffenen Medium zeitnah veröffentlicht werden, doch der “Bild”-Redaktion scheint diese Vorgabe relativ egal zu sein. Über Jahre druckt man dort keine der Rügen ab, die man sich wegen der eigenen Verstöße gegen den Pressekodex eingefangen hat. Und wenn man es dann doch tut, dann so, dass es möglichst keiner mitbekommt. Medienkritiker Stefan Niggemeier ist der Sache auf den Grund gegangen.

5. Einer der Wichtigsten
(taz.de, Klaus Hillenbrand)
Am Freitag vergangener Woche ist der Journalist Gerd Ruge im Alter von 93 Jahren gestorben. In seinem Nachruf würdigt Klaus Hillenbrand das Leben des Reporters und schließt mit den Worten: “Gerd Ruge hat den Deutschen beigebracht, sich nicht so wichtig zu nehmen in der Welt. So, wie er selbst sich nicht so wichtig genommen hat. Dabei war er einer der Wichtigsten.” Weitere Nachrufe auf Gerd Ruge finden sich unter anderem beim “Spiegel” und bei der “Tagesschau”.

6. “Drehende”: Verein wettert gegen vermeintliche Gendersprache beim ZDF – und blamiert sich
(rnd.de)
Der Verein Deutsche Sprache kämpft seit Jahren gegen genderneutrale Sprache in den Medien. Begriffe wie etwa “die Radfahrenden”, die alle Geschlechter inkludieren sollen, bezeichne der Verein auf seiner Website als “lächerliche Sprachgebilde” und rufe dort zum Widerstand dagegen auf. Nun wettert der Verein gegen die vom ZDF verwendete Formulierung “Drehende”, übersieht dabei aber peinlicherweise, dass es sich um das Wort “Dreh-Ende” handelt.

KW 41: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Shitstorms für Jugendsünden
(wdr.de, Sebastian Sonntag, Audio: 9:31 Minuten)
Die heute 20-jährige Sarah-Lee Heinrich ist seit Kurzem Bundessprecherin der Grünen Jugend und steht wegen Posts, die sie als 14-Jährige bei Twitter verfasst hat, im Zentrum eines Shitstorms. Wie Medien und Betroffene mit derartigen Situationen umgehen sollten, erklärt Martin Fehrensen vom “Social Media Watchblog” im WDR5-Medienmagazin. Die komplette Sendung mit weiteren Medienthemen gibt es hier (40:03 Minuten).
Weitere Lesehinweise: Kampagnen wie die gegen Heinrich zielen auf Unsichtbarmachung und Verdrängung, schreibt Carolina Schwarz in der “taz”: “Wir brauchen die Debatte, welches Verhalten wir als Gesellschaft entschuldbar finden. Und es wird Zeit, dass wir Strategien entwickeln, um das Spiel der Rechten nicht mehr mitzuspielen.” Und bei “Zeit Online” ist ein Interview mit Sarah-Lee Heinrich erschienen, in dem “Zeit”-Redakteur Robert Pausch mit ihr über den Shitstorm spricht.

2. ZDF Magazin Royale vom 15. Oktober 2021
(zdf.de, Video: 31:28 Minuten)
Das Genre True Crime, in dem reale Kriminalfälle nacherzählt werden, scheint seit einigen Jahren zu boomen. Das machen sich selbsternannte “Profiler” und “Profilerinnen” zunutze, die mit viel Selbstbewusstsein und wenig Sachkenntnis durch Medien tingeln und ganze Veranstaltungshallen füllen. Jan Böhmermann und sein Team haben sich drei der erfolgreichsten True-Crime-Expertinnen und -Experten herausgegriffen und zeigen, wie erschütternd wenig übrigbleibt, wenn man genauer auf Lebenslauf und Referenzen schaut.
Weitere Lesehinweise: Bei einer der drei angesprochenen Personen handelt es sich um eine besonders schillernde Figur, die bereits vielfach Gegenstand der Berichterstattung war:

3. Journalismus in Belarus: Tricks gegen Zensur
(ndr.de, Video: 16:02 Minuten)
Bei “Zapp” geht es um die besorgniserregenden Zustände im von Alexander Lukaschenko autoritär geführten Belarus: “Mit brutaler Gewalt werden in Belarus alle unabhängigen Medien zerschlagen, sogar der belarussische Journalistenverband. Viele Journalistinnen und Journalisten müssen Hals über Kopf das Land verlassen. Doch die kritische Berichterstattung geht weiter: Mutige Belarussen überlegen sich Tricks, wie sie die Zensur umgehen können.”

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4. Meteorologe Özden Terli – Jung & Naiv: Folge 536
(youtube.com, Tilo Jung, Video: 2:23:55 Stunden)
Özden Terli arbeitet als Meteorologe und Wettermoderator beim ZDF. Im Gespräch mit Tilo Jung erzählt er von seinem Werdegang, den Zusammenhängen und Unterschieden von Wetter und Klima, Wettervorhersagen und Klimawandel-Fakten im Wetterbericht.

5. Kampf gegen das Urheberrecht
(deutschlandfunknova.de, Sibylle Salewski, Audio: 42:35 Minuten)
Im Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert geht es um das “Manifest zum Urheberrecht” des russischen Dichters und Musikers Kirill Medwedew. Für Gilbert ist Medwedews Manifest “eine Fortführung des Widerstands russischer Autoren gegen ein staatlich reguliertes Verlagswesen”.

6. So gefährlich ist BILD TV wirklich
(youtube.com, Philipp Walulis, Video: 15:02 Minuten)
Philipp Walulis widmet sich in seiner neuesten “Story”-Folge dem Sender “Bild TV”. Ist Springers neuer Fernrsehkanal das deutsche Fox News, das mit rechter Propaganda so überaus erfolgreich ist? “Wie gefährlich es wirklich ist, dass Julian Reichelt und Claus Strunz jetzt bei genau denen abschreiben – das ist unsere Story!”
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter gibt ProSieben die aktuellen Einschaltquoten von Mitbewerber “Bild TV” bekannt: “Der TV-Sender BILD hatte am Donnerstag einen Marktanteil von 0,0 Prozent Marktanteil (14-49). In der PrimeTime (20-23 Uhr) kam BILDTV ebenfalls auf einen Marktanteil von 0,0 Prozent (14-49).”

KW 39: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Reichelt in Rage – ZAPP gucken hilft
(ndr.de, Zapp Medienmagazin, Video: 13:48 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” hatte eine Anfrage an “Bild” geschickt, über die sich “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt bei “Bild TV” schrecklich aufregte, noch bevor der “Zapp”-Film überhaupt veröffentlicht wurde. “Zapp”-Redaktionsleiterin Annette Leiterer erklärt, worum es ging. Und natürlich ist der in Rede stehende Film “Nach Hochwasser: Wie helfen Medien im Ahrtal wirklich?” im Beitrag eingebettet. Lohnenswert auch das ebenfalls eingebettete Gespräch mit der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling (Video, 42:45 Minuten).

2. Das Phänomen Influencer
(mdr.de)
Das MDR-Portal für Medienthemen hat ein Dossier zum Influencer-Marketing zusammengestellt: Wie wichtig sind Follower wirklich? Warum interessieren sich Influencer plötzlich so für Politik? Und was bringt die meisten Kooperationspartner? Zu diesen und anderen Themen sprechen die Influencerin Jenna Miller, der Autor Wolfgang M. Schmitt und der Agenturgründer Jörg Stark.

3. Der Märchenonkel – In 80 Jahren um sich selbst
(der-maerchenonkel.com, Tahir Chaudhry)
Jürgen Todenhöfer ist eine, zurückhaltend ausgedrückt, schillernde Persönlichkeit. Er hat gute Verbindungen in die Medienwelt: Todehöfer war 22 Jahre lang für den Burda-Verlag tätig und von 2017 bis 2018 Herausgeber des “Freitag”. Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete gründete vor Kurzem die Partei Team Todenhöfer und trat mit ihr – mit überschaubarem Erfolg – bei der Bundestagswahl an. Im Juli dieses Jahres war Todenhöfer bereits bei “Jung & Naiv” zu Gast und betrieb dort eine Art Selbstzerstörung. Nun haben ehemalige Gefolgsleute nachgelegt und sorgen für die weitere Dekonstruktion. Das Projekt “Märchenonkel” ist als Videoserie in vier Teilen angelegt, von denen bereits die Folgen 1 (Tübinger Hexenküche, 1:32 Stunden) und 2 (Geheime Dienste, 1:37 Stunden) online sind. Vielleicht etwas länglich, aber durchaus informativ und unterhaltsam.

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4. Mit offenen Karten – Geopolitik der Sozialen Netzwerke
(arte.tv, Emilie Aubry, Video: 12:14 Minuten)
Im geopolitischen Magazin “Mit offenen Karten” (Arte) geht es in der aktuellen Folge um die Geopolitik der Sozialen Netzwerke: “Google & Co. sind längst zu politischen Playern geworden. ‘Mit offenen Karten’ fragt, worin sich der Umgang mit den digitalen Medien in Demokratien und in autoritären Staaten unterscheidet, und beleuchtet dazu zunächst das chinesische Modell, das den Bürgern den Zugang zum weltweiten Internet verwehrt.”

5. Warum ist digitale Resilienz mehr als ein Buzzword?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:00:30 Stunden)
Die neueste Ausgabe von “Was mit Medien” dreht sich um “digitale Resilienz”, ein “ganzheitliches Konzept, das insbesondere solchen Unternehmen und Organisationen unterschiedlicher Branchen helfen soll, deren Strukturen und Praktiken von der fortschreitenden Digitalisierung herausgefordert werden.” Auf welche großen Herausforderungen müssen Medienhäuser und Medienschaffende tatsächlich reagieren? Wie sehen Lösungen aus? Das verraten die “Vocer”-Herausgeber Leif Kramp und Stephan Weichert, die sich auf verschiedenen Ebenen mit der digitalen Resilienz beschäftigen.

6. Die Tanja May und ihre Methoden
(youtube.com, Übermedien, Boris Rosenkranz & Ajmone Kuqi, Video: 9:10 Minuten)
Tanja May war 20 Jahre bei “Bunte” – erst als Unterhaltungs-Redakteurin, dann als Chefreporterin, die letzten zehn Jahre als stellvertretende Chefredakteurin. Doch jetzt ist Schluss damit: May wird Unterhaltungschefin und stellvertretende Chefredakteurin von “Bild”. Boris Rosenkranz erinnert daran, mit welch zweifelhaften Methoden die Klatsch-Redakteurin bislang aufgefallen ist, und sorgt dafür, dass Tanja May endlich den ihr zustehenden Wikipedia-Eintrag erhält.

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Claus Strunz hat nur Augen für Annalena Baerbock

Gong, “Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der ‘Tagesschau'”, Sprecher Jens Riewa sagt: “Eine Woche vor der Bundestagswahl haben FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Parteitagen noch einmal für ihre Ziele geworben”, und im Hintergrund ist ein Foto von Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zu sehen. Schon ist Claus Strunz auf Zinne. Denn die “Tagesschau” zeige ja “minutenlang nur” Baerbock, obwohl es um die Grünen und die FDP geht, so der “Bild-TV”-Programmchef:

Screenshot eines Tweets von Claus Strunz - Start in die Tagesschau: FDP und die Grünen haben Parteitag, aber gezeigt wird minutenlang nur Annalena Baerbock

Auch “Bild”-Oberchef Julian Reichelt verbreitet Strunz’ Tweet, und bei der Klientel kommt das gut an: “Was haben Sie denn erwartet? Unsere System Medien sind LINKS Grün”, steht in den Kommentaren bei Twitter: “Wen wundert’s – Öko-Taliban im Funk haben das Sagen!”, “Mit kalter Schnauze werden die Zwangsgebühr zahlende Menschen veräppelt”. Oder einfach nur: “Es ist abartig!”

Was Strunz schreibt und Reichelt retweetet, ist schlicht Desinformation. Das kann jeder in der ARD-Mediathek nachschauen. Die 20-Uhr-“Tagesschau” vom vergangenen Sonntag war wie folgt aufgebaut: Begrüßung durch Jens Riewa, etwa 24 Sekunden Einleitung zum Grünen-Parteitag …

Screenshot Tagesschau - Parteitage von FDP und Grünen - Baerbock-Rede zum Wahlkampfendspurt

… dann der Beitrag über den Parteitag der Grünen, rund 92 Sekunden lang, direkt anschließend die knapp 28 Sekunden lange Einleitung zum FDP-Parteitag …

Screenshot Tagesschau - Parteitag der FDP - Lindner-Rede zum Wahlkampfendspurt

… und dann der Bericht zum Parteitag der FDP, Dauer: gut 91 Sekunden.

Oder anders gesagt: Die Zeiten sind fast identisch – viel fairer konnte die “Tagesschau”-Redaktion nicht vorgehen.

Annalena Baerbock ist auch nicht, wie Claus Strunz behauptet, “minutenlang” zu sehen, sondern etwas mehr als eine Minute (und das ist wohlwollend nachgezählt, zum Beispiel inklusive Aufnahmen, auf denen Baerbock nur von hinten zu sehen ist oder mit anderen Leuten im Raum steht). Christian Lindner ist im Anschluss auch ziemlich genau eine Minute im Bild.

Der Slogan, mit dem der Axel-Springer-Verlag “Bild TV” bewirbt, also das Projekt, das Claus Strunz leitet und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Konkurrenten hat, lautet übrigens: “Wir zeigen, was wirklich ist.”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Eckstein, Eckstein, niemand wird versteckt sein

Eine momentan ganz beliebte Erzählung von Politikern der CDU und CSU geht so: Die SPD und ihr Spitzenkandidat Olaf Scholz sollen die prominenten Vertreter des linken Parteiflügels verstecken, damit diese mit ihren Ideen und Aussagen nicht Scholz’ erfolgreichen Wahlkampf torpedieren können. Das SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen genauso wie der ehemalige Juso-Chef und heutige stellvertretende Bundesvorsitzende Kevin Kühnert also nicht in die Öffentlichkeit gelassen werden.

Gestern Abend in der “Bild-TV”-Sendung “Viertel nach Acht” hat sich “Bild”-Moderatorin Nena Schink dieser Erzählung angeschlossen:

Der eigentliche Erfolg von Olaf Scholz war doch gar nicht gestern im Triell die Leistung, nein, der eigentliche Erfolg von Olaf Scholz ist, wie er seine Leute im Griff hat. Ich meine, dass Saskia Esken die Einladung zu Anne Will ausschlug, das ist der große Erfolg von Olaf Scholz. Und das ist das, wofür man ihn loben sollte: Dass er es schafft, Enteignungs-Kevin, Versteck-mich-Saskia und den Corona-Hampelmann Lauterbach einfach zu verstecken und damit auch die linken Phantasien.

“Bild”-Chef Julian Reichelt, der ebenfalls in der “Bild-TV”-Sendung sitzt, erzählt zwar, dass Kevin Kühnert aus dem Vorwurf “ein teilweise sehr unterhaltsames Spiel” mache, indem er bei Twitter regelmäßig darauf hinweist, in welcher Talkshow er sich diesmal versteckt; aber auch Reichelt sagt:

Ich habe ja auch das Gefühl, dass das durchaus bewusst ist, dieses Verstecken von manchen Figuren, die vielleicht nicht wirklich zum sehr geschmeidigen, sehr bürgerlichen Auftritt von Olaf Scholz passen wird.

Da haben Recherche-Julian und Fakten-Hampelfrau Schink entweder so gar nicht aufgepasst und einfach nur ahnungslos irgendwas nachgeplappert. Oder sie wissen es eigentlich besser und erzählen bewusst etwas Falsches. Denn dass Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Kevin Kühnert und Karl Lauterbach “einfach versteckt” werden, ist schlicht Blödsinn. Hier mal eine kleine Übersicht, nur aus dem bisher 14 Tage alten September:

Man kann die SPD und die Vertreter des linken Parteiflügels gern völlig daneben finden. Man sollte dann aber nicht irgendwelche Unwahrheiten über sie verbreiten.

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Offenlegung: Für unser Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” hat Kevin Kühnert das Nachwort geschrieben.

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Weniger Verschwörungsgeraune wagen!

In Dänemark sind vor ein paar Tagen die letzten Corona-Beschränkungen aufgehoben worden. Oder wie die “Bild”-Redaktion online titelt:

Screenshot Bild.de - Alle Beschränkungen aufgehoben - Wow! Die Dänen impfen sich frei - Corona keine gesellschaftskritische Krankheit mehr - 73 Prozent haben vollständigen Schutz

“Bild”-Redakteur Jan W. Schäfer, Leiter des Politikressorts, fordert auch sogleich in einem Kommentar:

Screenshot Bild.de - Kommentar zu Corona-Massnahmen - Mehr Dänemark wagen

Denn, so behauptet es die “Bild”-Redaktion in einem weiteren Beitrag, in Deutschland sieht es beim Impfen doch ganz ähnlich aus wie in Dänemark:

Screenshot Bild.de - Epidemiologe Klaus Stöhr erklärt - Darum macht Dänemark auf und wir nicht - trotz ähnliche Impfquote

Das ist eine etwas überraschende Behauptung. Dänemark gehört nach Portugal, Island, Malta und Spanien zu den Ländern Europas mit der höchsten Impfquote. Zwischen Dänemark und Deutschland liegen noch Irland, Finnland, Frankreich, Belgien, Italien, Norwegen, Großbritannien, San Marino, die Niederlande, Schweden, Monaco und Andorra. Oder anders gesagt: Es besteht durchaus ein gewisser Unterscheid zwischen den Impfquoten in Dänemark und in Deutschland.

Der Bild.de-Artikel befindet sich zwar hinter der “Bild-plus”-Paywall, doch auch davor kann man ohne Abo schon lesen, wie “ähnlich” die Impfquote ist:

Dänemark jubelt. Ab heute fallen bei unserem nördlichen Nachbarn alle Corona-Beschränkungen.

Corona wird nicht länger als “gesellschaftskritische Krankheit” kategorisiert. Diese Kategorisierung machte die Einführung bestimmter Regeln – wie beispielsweise die Maskenpflicht oder ein Versammlungsverbot – überhaupt erst möglich.

Spannend: Die Quote der vollständig Geimpften liegt in Dänemark bei 73,5 Prozent – also gar nicht so viel höher als in Deutschland (61,8 Prozent).

Das ist eine Differenz von 11,7 Prozentpunkten. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands also etwa 9,7 Millionen Menschen, die sich noch vollständig impfen lassen müssten, damit hier eine Impfquote wie in Dänemark erreicht wird. Dem offiziellen “Impfdashboard” zufolge werden derzeit in Deutschland im Schnitt etwa 180.000 Impfungen pro Tag durchgeführt. Um bei diesem Tempo 9,7 Millionen Menschen vollständig zu impfen, würde es also noch Monate dauern.

Auch bei den Über-60-Jährigen, also der von Corona besonders gefährdeten Gruppe, gibt es beim Impfen einen deutlichen Unterschied zwischen Dänemark und Deutschland. Das steht so auch im Bild.de-Artikel:

Mehr als 96 Prozent aller Menschen über 60 Jahren sind in Dänemark vollständig geimpft. Heißt: In Dänemark sind fast alle Menschen, die häufiger schwer erkranken und sogar sterben, geschützt!

Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Impfquote bei den Älteren über 60 Jahre bei gerade einmal 83 Prozent.

Dass die “Bild”-Redaktion es dennoch so darstellt, als wäre die Impfsituation in Deutschland angeblich eine “ähnliche” wie in Dänemark, in Deutschland aber die “epidemische Lage von nationaler Tragweite” verlängert wird, während in Dänemark alle Corona-Maßnahmen aufgehoben werden, passt zur generellen Corona-Berichterstattung der Redaktion. Da behauptet dann beispielsweise Kai Weise, eine der zentralen Figuren beim neuen “Bild”-TV-Sender, dass die Bundesregierung “offenbar Spaß dabei” habe, Ungeimpfte auszugrenzen und sie “zu Aussätzigen, zu Menschen zweiter Klasse” zu machen. Die Regierung habe “einen ungehörigen Spaß, die Leute zu knechten”. Chefredakteur Julian Reichelt sieht eine “berauschende Angst-Politik, die Politikern so viel Zugriff gegeben hat, dass sie davon gar nicht mehr lassen können”. Er behauptet, “die Politik möchte gar keinen Ausweg aus der Pandemie aufzeigen. Sie möchte diesen Zustand erhalten”. Und auch “Bild”-Meinungschef Filipp Piatov behauptet, dass man bei der Bundesregierung den Eindruck habe, dass sie gar nicht aus dem Lockdown heraus wolle.

Dieses Geraune in den “Bild”-Medien ist kaum noch zu unterscheiden von den Verschwörungserzählungen in den einschlägigen Telegram-Kanälen.

Mit Dank an @RalphGoldmann für den Hinweis!

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Festgehalten bei der IAA, Pferderennen?, Deutsche Gedichte

1. Warum muss Marion Brasch pausieren, aber Jörg Thadeusz nicht?
(daniel-bouhs.de)
Wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des rbb in Wahlkämpfen aktiv beteiligen, sollen sie eigentlich nicht auftreten dürfen. Bei den rbb-Moderatoren Marion Brasch und Jörg Thadeusz kam es zu derlei Kollisionen: Brasch hatte sich in einer Anzeige mit anderen Kulturschaffenden für den Linken-Politiker Klaus Lederer eingesetzt. Von Thadeusz ist in einem Magazin des Berliner Landesverbands der FDP ein Text über das “Frei sein” erschienen. Im Medienmagazin von radioeins erklärt rbb-Chefredakteur David Biesinger die Beweggründe der Geschäftsleitung, Brasch pausieren und Thadeusz weitermachen zu lassen.

2. “taz”-Journalist bei Protesten gegen IAA von Polizei festgehalten – Journalistenverbände empört
(rnd.de)
Ein Journalist der Tageszeitung “taz” ist bei Protesten gegen die Automesse IAA in München im Umfeld einer Hausbesetzung zeitweise von der Polizei festgehalten worden. Nach mehr als drei Stunden in Gewahrsam sei er wieder freigelassen, jedoch von der weiteren Berichterstattung ausgeschlossen worden. Die Polizei habe ihm ein Betretungsverbot für alle Veranstaltungsflächen der IAA erteilt. Der Deutsche Journalisten-Verband bezeichnet auf Twitter das Vorgehen der Polizei als “unerhört”.

3. Der Westen wird in Schwelm verteidigt
(uebermedien.de, Sebastian Weiermann)
Das Städtchen Schwelm ist nicht der Ort, in dem man “Bild”-Chef Julian Reichelt am Vorabend des 11. September erwartet, um über Weltpolitik zu reden. Aber wenn ein befreundeter Axel-Springer-Manager dort für die CDU kandidiert, macht sich Reichelt schon mal auf die Reise. Sebastian Weiermann hat sich die Veranstaltung für “Übermedien” angeschaut, bei der jedoch nur 40 Menschen anwesend waren.

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4. Schlägt in diesem Wahljahr die Stunde des politischen Journalismus?
(fachjournalist.de, Silke Liebig-Braunholz)
Der “Fachjournalist” hat sich mit Justus von Daniels vom Recherchenzentrum “Correctiv” über den Bundestagswahlkampf und den politischen Journalismus unterhalten. Von Daniels spricht sich für mehr inhaltliche Schwerpunkte in der Berichterstattung aus, gibt jedoch zu bedenken: “Das Problem ist, dass solche Formate oft punktuell sind und viele das nicht mitbekommen. Was da helfen könnte, sind verständliche Übersichten oder Dossiers. Die müssen allerdings gut kuratiert sein und nicht einfach nur verwandte Themen bündeln. Da sollten wir alle in der Branche mehr Kreativität üben, auch was die grafische Aufbereitung von Themen angeht.”

5. Wahlkampf als politisches Pferderennen
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Stefan Fries, Audio: 18:48 Minuten)
Müssen wir bei der Wahlkampfberichterstattung US-amerikanische Verhältnisse samt Horse-Race-Journalismus befürchten, der sich an die Sportberichterstattung anlehnt? Trotz aller Entwicklungen in diese Richtung sei dies nicht zu befürchten, finden zwei Kommunikationswissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Deutschlandfunk: “Die Situation in Deutschland sei damit nicht zu vergleichen. Und die Forscher weisen auch darauf hin, dass das politische System in Deutschland einer zu starken Personalisierung ohnehin entgegenstehe, schließlich wählten die Menschen mit der entscheidenden Stimme Parteien und keine Kanzler.”

6. AfD-Chef Chrupalla will, dass Schüler mehr deutsche Gedichte lernen – kennt aber selbst keins
(spiegel.de)
AfD-Chef Tino Chrupalla hat in einem Interview mit der Kindernachrichten-Sendung “logo!” gefordert, Schülerinnen und Schüler sollten mehr “deutsche Gedichte” lernen. Als der Kinderreporter Chrupalla nach dessen Lieblingsgedicht fragte, geriet dieser ins Schwimmen: “Mein Lieblingsgedicht ist … öhm … Da müsste ich jetzt mal überlegen, fällt mir jetzt gar keins ein.”

KW 36: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. 9/11 und Verschwörungstheorien: 20 Jahre danach
(ndr.de, Video: 23:12 Minuten)
Der Terroranschlag vom 11. September 2001 jährt sich zum zwanzigsten Mal, und in den Sozialen Medien und einschlägigen Foren werden immer noch die krudesten Theorien über den Hintergrund verbreitet. Mal soll die US-Regierung dahinterstecken, mal eine “jüdische Weltverschwörung”. Was macht das mit den Betroffenen? Und welche Verantwortung tragen die Plattformbetreiber, auf deren Seiten solche Inhalte zur Verfügung gestellt werden?

2. Wahlkampf undercover: Wie PR-Profis uns manipulieren
(ndr.de, Gesine Enwaldt & Peter Kreysler, Video: 43:40 Minuten)
Der Investigativjournalist Peter Kreysler hat sich unter falscher Flagge und mit gefakter Identität in das Innere international agierender PR-Agenturen eingeschmuggelt. Der Film zeigt, was in der Welt der Wahlkampfstrategen alles möglich ist, und entlarvt die Methoden der Meinungsmacher.

3. Welche Rolle spielen Fake News kurz vor der Bundestagswahl?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 59:52 Minuten)
Valerie Scholz und ihre Mit-Gründerin Katherina Klimkeit haben mit “Facts for Friends” eine Plattform ins Leben gerufen, mit der Faktenchecks attraktiver werden sollen. Scholz war bereits Ende 2020 bei “Was mit Medien” zu Gast. Bei ihrem neuerlichen Besuch erzählt sie davon, was sich bei dem Medien-Startup in der Zwischenzeit alles getan hat.
Weiterer Hörtipp: Das aktuelle “MedienMagazin” des BR zur Bundestagswahl: Was sagen die Parteiprogramme zu Medienpolitik und Journalismus? (br.de, Sissi Pitzer & Linus Lüring)

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4. Weshalb ärgern sich Datenjournalisten so über das Robert Koch Institut?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 23:10 Minuten)
In Zeiten der Pandemie interessieren uns vor allem Zahlen: Wie viele Menschen sind erkrankt, genesen, geimpft? Wie verteilen sie sich auf Deutschland? Aufbereitet wird das Zahlenmaterial meist von Datenjournalistinnen und -journalisten, die jedoch auf die Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut angewiesen sind. Und hier gibt es dringenden Verbesserungsbedarf, wie Elena Erdmann von “Zeit Online” erklärt.

5. Thilo Mischke bei der Bild: Boulevard-Journalismus in der Kritik
(youtube.com, Pro Sieben, Thilo Mischke, Video: 7:20 Minuten)
“Skandalflut, Statistik-Tricks und steile Thesen, gebündelt in unzähligen Schlagzeilen und Onlinemeldungen”: ProSieben-Reporter Thilo Mischke hat “Bild”-Chef Julian Reichelt in dessen Redaktion besucht, um mit ihm über Boulevard-Journalismus zu sprechen.

6. Wie Influencen der Gesundheit schadet
(youtube.com, SWR3, Philipp Walulis, Video: 14:07 Minuten)
Die Welt der Influencerinnen und Influencer ist nicht nur rosarot. Auf vielen lastet ein großer Druck. Stress, Angst und Depressionen können die Folge sein. “Und wenn man nicht gerade zur deutschen Influencer-Elite gehört, wird es sogar doppelt gefährlich. Zu den psychischen Sorgen kommen ganz schnell auch finanzielle Nöte. Die Welt der Influencer hat zwei Seiten und wir erkunden heute die Dunkle”, so Philipp Walulis.
Weiterer Videotipp: BGH-Urteil zu Influencer-Postings – “ZDFheute live” spricht mit Influencerin Cathy Hummels und Anwalt Michael Terhaag über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (zdf.de, Daniel Bröckerhoff, 25 Minuten).

7. Studio Schmitt
(zdf.de, Tommi Schmitt, Video: 30:44 Minuten)
Bonus-Tipp: In der aktuellen Folge von “Studio Schmitt” (ZDFneo) ist BILDblog-Leiter Moritz Tschermak zu Besuch. Die beiden unterhalten sich über die Ausprägung der “Bild” unter Julian Reichelt sowie die politische Stoßrichtung des Boulevardmediums und spielen zum Schluss eine Partie “Gaga-Kompositum”.

Kannste den entscheidenden Teil der Antwort einfach weglassen?

Chris W. findet:

Eine Schande ist das!!!

Silvia S. schreibt:

An Frechheit nicht zu überbieten.

Stefan M. meint:

Die Politiker haben keine Skrupel,für nichts.

Und auch Klaus K. ist stinksauer:

Weil für Politiker nicht die gleichen Gesetze gelten wie für den gemeinen Bürger!!

Die “Bild”-Redaktion hat es mal wieder geschafft: In den Facebook-Kommentaren zum Bild.de-Artikel über die TV-Show “Kannste Kanzleramt?” herrscht große Wut auf die da oben.

“Bild” und Bild.de berichten heute groß über die Sendung, die gestern Abend bei Sat.1 lief. In den Artikeln geht es aber nicht etwa um die Antworten von Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet auf die Fragen der 16 Mädchen und Jungen zwischen acht und 13 Jahren, die für die Show aus ganz Deutschland in einem Klassenzimmer in Berlin zusammengekommen sind. Stattdessen geht es um Masken, oder genauer: um fehlende Masken:

Screenshot Bild.de - Kinder dürfen ganz entspannt im Klassenzimmer sitzen - Vom Maskenzwang befreit, weil Politiker Wahlkampf machen!

Die “Bild”-Medien schreiben dazu:

Seit vielen Monaten ertragen Deutschlands Schüler die Maskenpflicht im Unterricht. Tragen selbst im Klassenraum stundenlang Maske, in hessischen Schulen zum Teil sogar auf dem Schulhof!

Doch siehe da: Für den Wahlkampf bekommen die Kleinen maskenfrei. Dürfen in der Sat.1-Show (“Kannste Kanzleramt?”) als niedliche Kulisse herhalten. Im Beisein der Kandidaten Olaf Scholz (63, SPD), Armin Laschet (60, CDU) und Annalena Baerbock (40, Grüne).

FRAGT SICH: Warum dürfen die Kinder in der Wahlkampf-Show, was ihnen in den meisten deutschen Klassenzimmern verwehrt wird?

Die Redaktion lässt es so wirken, als sei das alles ein Privileg der Politikerkaste:

Nur für den hohen Besuch der Kanzlerkandidaten durfte die Maske im Klassenzimmer ab.

Das ist schlicht Unsinn. Der entscheidende Unterschied ist, dass es sich bei der Sat.1-Show um eine TV-Produktion handelt, für die andere Vorgaben gelten als für den Unterricht in der Schule (was man natürlich völlig bescheuert finden kann, aber dann sollte man nicht irgendwelche Unwahrheiten behaupten). Und zwar unabhängig davon, wo gedreht wird und wem Fragen gestellt werden. Wäre der Drehort nicht ein Klassenzimmer gewesen, sondern ein TV-Studio, die Turnhalle derselben Schule oder Julian Reichelts Büro, hätten die Kinder vor der Kamera genauso wenig eine Maske tragen müssen. Und wären statt Baerbock, Laschet und Scholz drei willkürlich ausgewählte Passanten befragt worden, hätte sich an der Befreiung von der Maskenpflicht auch nichts geändert.

Oder kurz gesagt: Nicht wegen des “hohen Besuchs der Kanzlerkandidaten durfte die Maske im Klassenzimmer ab”, oder “weil Politiker WAHLKAMPF machen”, sondern weil es sich um eine Fernsehaufzeichnung handelte. Ich war zufällig vorgestern selbst bei einer. Und auch dort: Keine Maskenpflicht vor der Kamera, hinter den Kulissen aber schon. Und vorheriges Testen alles Anwesenden.

In den “Bild”-Medien ist von der Erklärung mit der TV-Produktion nichts zu lesen. Es wird lediglich ein Sat.1-Sprecher zitiert:

Der Sender erklärt den Widerspruch so: “Vor Ort wurden alle gesetzlichen Hygieneauflagen umgesetzt.” Alle Anwesenden seien negativ auf Covid-19 getestet worden und “mussten deshalb keine Maske tragen”.

Uns liegt die komplette Antwort-Mail des Senders an “Bild”-Redakteur Filipp Piatov vor. Darin wird durchaus auf die Besonderheit einer Fernsehproduktion hingewiesen. Im “Bild”-Artikel wurde dieser entscheidende Teil aber einfach weggelassen. Die ganze Antwort lautet:

“Kannste Kanzleramt?” ist eine Fernsehproduktion wie “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” oder der BILD-Talk “Viertel Nach Acht”. Vor Ort wurden alle gesetzlichen Hygieneauflagen umgesetzt. Alle Anwesenden waren den Empfehlungen der Berufsgenossenschaft folgend negativ auf COVID 19 getestet und mussten deshalb keine Maske tragen.

Aber was hätte das schon an Wut auf Politikerinnen und Politiker in den Facebook-Kommentaren gebracht?

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Die Opfer von “Bild” (9)

Bei “Bild” konnte man in den vergangenen Tagen eine interessante Doppelwendung beobachten. Denn eigentlich war die Redaktion vor zwei Wochen gerade lauthals damit beschäftigt, Angst vor Migranten aus Afghanistan zu schüren: “Viele Täter stammen aus Afghanistan”, warnte sie etwa unter der Überschrift “Neue Zahlen der Schande – FAST JEDE WOCHE EIN ‘EHRENMORD'”.

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "FAST JEDE WOCHE EIN 'EHRENMORD'" - Neue Zahlen der Schande - Viele Täter stammen aus Afghanistan", dazu drei Porträtfotos von Opfern sogenannter Ehrenmorde sowie das Bild-Plus-Logo
(Unkenntlichmachungen von uns.)

In düsteren Kommentaren forderten “Bild”-Autoren einen “Aufschrei” der Gesellschaft – und von der Politik, dass sie konsequenter Maßnahmen ergreifen müsse, genauer: “Maßnahmen wie Abschiebung”.

Anlass für diese Kampagne war ein Mordfall aus Berlin (BILDblog berichtete), bei dem zwei Brüder aus Afghanistan unter dem Verdacht stehen, ihre Schwester getötet zu haben, weil sie sich laut Haftbefehl “gekränkt gefühlt haben, weil das Leben ihrer geschiedenen Schwester nicht ihren Moralvorstellungen entsprochen hatte”.

Fazit von “Bild”: Die deutsche Migrationspolitik sei “gescheitert”. Und:

Und viele Bundesbürger fragen sich: Werden wir afghanische Schwerverbrecher, die ausreisepflichtig sind, nun gar nicht mehr los?

Auch Polizeigewerkschafter und Ausländerangstverbreiter Rainer Wendt ließ “Bild” zu Wort kommen und finstere Szenarien zeichnen. Und einige Politiker – die selbstverständlich vor allem eines verlangten: härtere Abschiebungen.

Die Chefin des Bundestags-Innenausschusses, Andrea Lindholz (50, CSU) dringt auf sofortige Abschiebung der Täter.

Innenexperte Michael Kuffer (49, CSU) verlangt: “Wer als Afghane in Deutschland seine Schwester aus islamischer Verblendung ermordet, der gehört lebenslang hinter Gitter und ins Heimatland abgeschoben – und zwar unabhängig davon, welche Lage dort herrscht.”

Wenige Tage später überrannten die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul. Bilder der Verzweiflung gingen um die Welt: Afghanen, die versuchen, sich an Flugzeugen festzuhalten; die ihre Babys über Stacheldraht in die Hände der US-Soldaten heben, um sie vor den Taliban zu retten. Auch “Bild” berichtete fortan immer wieder groß aus der “Hölle von Kabul” und darüber, dass die Lage im Land “immer dramatischer” werde.

Und offenbar erschien es dann selbst den Leuten von “Bild” irgendwie unpassend, inmitten solcher Nachrichten weiterhin Stimmung gegen afghanische Migranten zu machen, und so fand die Kampagne zum herbeigesehnten Abschiebe-Aufschrei mit einem Mal ein Ende: Während in der Vorwoche nahezu täglich über kriminelle Afghanen, über “Ehrenmorde” und das angebliche Versagen der Politik berichtet worden war, verschwand das Thema plötzlich komplett aus der “Bild”-Berichterstattung.

Inzwischen geht es aber langsam wieder los, insbesondere bei “Bild TV”. Allein gestern hieß es dort unter anderem:

“Man tischt uns wieder ein Märchen auf darüber, wer jetzt zu uns kommt”, meint BILD-Chef @jreichelt bei #BILDLive. Es müsse geklärt werden, welche Menschen aus #Afghanistan zu uns kommen.

“Liebe Regierung, klärt so schnell wie möglich auf, wer diese Menschen im Flugzeug sind!”, fordert @ClausStrunz bei #BILDLive. Womöglich waren Menschen dabei, die wir in Deutschland nicht haben wollen wie Verbrecher. #Afghanistan

“Die Menschen haben Angst, dass Menschen kommen, die kriminell sind” – Julian Reichelt bei BILDLive.

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Aber das nur als Beobachtung am Rande, denn eigentlich geht es in dieser Rubrik ja um etwas anderes: die Bebilderung. Und die bestand – vor dem plötzlichen Aufschrei-Ende und -Wiederanfang – konsequent aus privaten Fotos der ermordeten Frau:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Afghanin (34) brutal ermordet - KOPFTUCH-KONTROLLE - So streng überwachten Brüder [...]", dazu ein Foto der Frau, das Bild-Plus-Logo und die Aufschrift "MIT VIDEO"
Screenshot von BILD.de: Ein Foto der ermordeten Frau, dazu die Bildunterschrift:"Selbstbewusst und ohne Kopftuch steht [...] vor der Kamera: Ihre Brüder sollen sie aus 'verletztem Ehrgefühl' heraus getötet haben. Foto: Privat"
Screenshot von BILD.de: Ein Foto der ermordeten Frau, dazu die Bildunterschrift: "[...] (34) wurde getötet, ihre Brüder sind dringend tatverdächtig - Foto: privat"
Screenshot von BILD.de: Ein Foto der ermordeten Frau, dazu die Bildunterschrift: "Auf dem Passfoto musste sie noch ein Kopftuch tragen - Foto: privat"
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Mord an [...] (34) ++ Polizei veröffentlicht Foto - GESUCHT! Taxi-Fahrer, der Killer-Brüder zum Bahnhof fuhr", dazu ein Foto des gesuchten Taxis sowie ein Porträtfoto der Frau
Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Ermittler stellen den 'Ehrenmord' an [...] (34) nach - So karrten die Brüder ihre tote Schwester durch Deutschland", dazu ein großes Foto der Frau sowie zwei Fotos der Brüder
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Afghanen töten Schwester und verscharrten sie. Die unglaublichen Aussagen der Killer-Brüder im Polizeiverhör - 'Eine Frau ist wie eine Mitarbeiterin ...'", dazu ein großes Foto der Frau sowie zwei Fotos der Brüder
(Alle Unkenntlichmachungen von uns. Die Verdächtigen haben von “Bild” einen schwarzen Augenbalken bekommen, die ermordete Frau bekommt keinerlei Verpixelung.)

Woher die Fotos der Frau stammen, verrät “Bild” weiterhin nicht. Als Quelle steht dort bloß: “privat”.

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Insgesamt veröffentlichten die “Bild”-Medien in jener Woche (9. bis 15. August) mindestens 31 Mal Fotos von Menschen, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind, davon viermal Kinder.

In zwei Fällen waren die Gesichter verpixelt, in einem Fall die Augen. In 28 Fällen verzichtete “Bild” auf jede Unkenntlichmachung.

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Veröffentlicht wurde zum Beispiel das Gesicht eines Priesters, der in Frankreich ermordet wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Brandstifter von nantes tötet Geistlichen - Priester-Mord in Frankreich!", dazu ein Porträtfoto des Mannes

Fotoquelle: “Twitter.com”.

Und das Gesicht eines jungen Mannes, der nach einem Autounfall gestorben ist:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Mercedes-SUV rast Pizza-Boten (23) tot - Er wollte gerade die nächste Bestellung ausliefern", dazu ein Foto des zerstörten Wagens, ein Porträtfoto des Mannes sowie das Bild-lus-Logo

Fotoquelle: “Privat”.

Und das Gesicht einer Frau, die in den Pyrenäen verunglückte (und das Gesicht ihres Lebensgefährten):

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Im November verunglückt - Freund findet Überreste von vermisster Britin", dazu ein großes Foto des Paares

Fotoquelle: “Privat”.

Und das Gesicht einer Frau, die versehentlich von ihrem Kind erschossen wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Ein lauter Knall, dann fiel sie vom Stuhl - Kleinkind erschießt Mutter bei Zoom-Meeting", dazu ein großes Foto der Frau

Fotoquelle: “privat”.

Und das Gesicht eines Mannes, der bei der Explosion im Chempark Leverkusen ums Leben kam (und das Gesicht seiner Frau; immerhin das Gesicht des Kindes ist verpixelt):

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "[...] starb bei Leverkusen-Explosion - Minuten vorher telefonierte er noch mit seiner Familie", dazu ein Foto der Explosion, ein Foto des Mannes, seiner Frau und ihres Kindes sowie das Bild-Plus-Logo

Fotoquelle: “Privat”.

Und – sowohl online als gedruckt – das Gesicht eines ehemaligen Richters, der in seiner Villa ermordet wurde:

Titelseite der BILD am SONNTAG: "Er saß abends vor dem Fernseher, als der Killer durchs Fenster kam - RICHTER IN SEINER VILLA ERMORDET - Ehefrau flüchtete ins Bad. Rätsel um Motiv", dazu ein Foto des Mannes sowie ein Foto seiner Villa

Fotoquelle: “privat”.

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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

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