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“Compact”: Lesen, was andere sich nicht zu schreiben erdreisten

Es wäre zu kurz gegriffen, zu behaupten, “Compact” betreibe ausschließlich Hofberichterstattung für die AfD. Diese ist zwar ein wichtiges Standbein des Magazins. Das zeigte sich auch am Wahlabend in Sachsen-Anhalt, als der AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg, bevor er sich anderen Journalisten stellte, zuerst mit “Compact”-Chefredakteur Jürgen Elsässer sprach, der ihn im eigenen Studio freundlich duzte und unterwürfigst Vorlagen lieferte. Aber “Compact” berichtet auch über andere Themen.

“Lesen, was andere nicht schreiben dürfen”, lautet eine der vielen Parolen, mit denen das Magazin für sich wirbt. Wie rebellisch. Und tatsächlich finden sich in “Compact” Geschichten, die man in der seriösen “Mainstreampresse” eher nicht finden wird. Allerdings nicht, weil das verboten wäre, wie “Compact” verschwörerisch mitklingen lässt. Vielmehr serviert “Compact” seinem Publikum Geschichten, für die andere sich in Grund und Boden schämen müssten.

Zum Beispiel die Story über das Zika-Virus. Laut “Compact”-Autor Michael Morris ist dieses nämlich Teil eines geheimen Plans zur Bevölkerungsreduzierung.

Michael Morris kennt sich mit den ganz großen Intrigen aus. Er veröffentlicht sonst im Amadeus Verlag Verschwörungsliteratur. Sein Herausgeber ist Jan Udo Holey, der es unter dem Pseudonym Jan van Helsing zu einiger Prominenz als rechter Esoteriker gebracht hat. Unter der großen Weltverschwörung machen es die beiden nicht.

Dabei schwadroniert Holey gern von Hitlers UFOs, deren Rückzug ins antarktische Neuschwabenland und arischen Außerdischen. Das klingt noch eher lustig, doch er zitiert auch ausgiebig aus richtig üblen, antisemitischen Pamphleten wie den “Protokollen der Weisen von Zion”. Holeys erste Schriften wurden indiziert.

Sein Schützling Michael Morris hat daher gelernt, sich in weniger angreifbaren Chiffren auszulassen, zum Beispiel über angebliche Machenschaften der Rothschild-Familie oder darüber, wie ein “westliches Bankenkartell den Goldhandel kontrolliert”. Seine Bücher tragen Titel wie “Was Sie nicht wissen sollen” und führen, wie der Verlag schreibt, “anschaulich aus, wie eine kleine Gruppe von Bankiers dabei ist, durch Wirtschafts- und Währungskriege die totale Herrschaft über die Welt zu erlangen”.

In seinem Artikel über das Zika-Virus vermischt Morris nun eine Geschichte, die ursprünglich in einem Sub-Reddit für Verschwörungstheorien auftauchte, mit schon länger kursierender Panikmache mancher Impfgegner. Das Virus soll mit genveränderten Mücken aufgekommen sein — Überschrift:

Der Artikel steht übrigens im Politikteil, nicht in irgendeinem Aluhut-Ressort, wie es etwa Bild.de mit “Bild Mystery” betreibt.

“Compact” muss sich für sein Schauermärchen nicht direkt bei Reddit bedient haben, sondern könnte auch von Krawallmedien wie der Daily Mail, Russia Today oder Fox News inspiriert worden sein. Auch dort wird die These verbreitet, gentechnisch veränderte Stechmücken seien für den Zika-Ausbruch verantwortlich.

Die veränderten Mücken gibt es tatsächlich. Ziel der Technik ist es, dass transgene männliche Mücken Nachkommen zeugen, die in freier Natur nicht überleben können, und so die Population reduziert wird. Michael Morris setzt ganz auf die alarmierende Wirkung, die das Thema Gentechnik bei vielen Lesern auslöst. Einmal gesetzt, scheint er zu glauben, mit allem durchzukommen.

Denn interessanterweise prüft das Magazin, das sich ganz dem Kampf gegen die “Lügenpresse” verschrieben hat, die Behauptungen offenbar nicht besonders kritisch. Sie passen eben zu gut ins paranoide Weltbild.

Gut, dass sich statt ihnen andere diese Arbeit machen. Die Fact-Checking-Plattform der Tampa Bay Times “Politifact” lässt schnell die heiße Luft aus der Geschichte:

We wondered if there is any truth to the notion that Zika is being spread by transgenic mosquitoes.

In a word, no. Epidemiologists told us the rumor is baseless. The mosquitoes in question wouldn’t have been capable of starting the outbreak in 2015, and the geographic correlation offered doesn’t hold up.

Zeit und Ort des Zika-Ausbruchs passen, anders als behauptet, nicht zu den Feldtests, die bisher mit transgenen Gelbfiebermücken stattfanden. Diese wurden viele Moskitoleben vorher in weiter Entfernung durchgeführt. Auch sonst gibt es keine Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Virus und der Gentechnik. Das Zika-Virus ist auch nicht neu, sondern seit etwa 70 Jahren bekannt, die Bausteine der DNS wurden erst 20 Jahre später entschlüsselt.

Michael Morris ist die ursprüngliche Verschwörungstheorie aber noch nicht genug. So fragt er etwa:

Wieso überträgt er [der Moskito] nun statt dem Dengue-Virus vorwiegend das Zika- und das Guillain-Barré-Virus (…)?

Die richtige Antwort lautet: Die Mücke überträgt nach wie vor das Dengue-Virus, über 1,5-Millionen Fälle zählten die brasilianischen Behörden 2015 (pdf der Pan American Health Organization). Das eine Guillain-Barré-Virus gibt es außerdem nicht, bekannt ist nur das Guillain-Barré-Syndrom, für das verschiedene Viren als Auslöser infrage kommen.

Das könnte man noch als schlampige Recherche abtun. Wirklich kreativ wird Morris aber mit folgender Wendung, die für ihn auf der Hand liegt, weil die Bill & Melinda Gates Foundation auch Versuche der Firma Oxitec mit transgenen Gelbfiebermücken unterstützte:

Bill Gates hatte bereits 2009 während eines Vortrags im Rahmen der TED-Konferenz scherzhaft Malaria-Mücken im Publikum freigesetzt, was alle Anwesenden noch für einen Spaß hielten. Doch mit dem Mann ist nicht zu spaßen. Er und seine Freunde, wie Rupert Murdoch, Zbigniew Brzezinski und Ted Turner, sind bekannt dafür, die Weltbevölkerung drastisch reduzieren zu wollen, und Gates betonte immer wieder, dass Impfstoffe dafür am besten geeignet wären.

Dem Monster, das Clippy die Büroklammer auf die Menschheit losgelassen hat, ist eben alles zuzutrauen.

Und seinen Geschäftssinn hat Bill Gates wohl auch verloren. Er soll also im Besitz eines ominösen Verhütungsmittels sein, das er aber nicht vermarktet, um dadurch noch reicher werden, obwohl es scheinbar bequemer als Pille, Spirale und Kondom anzuwenden ist. Außerdem verbreitet er für diesen genial-gemeinen Plan erst das Zika-Virus, für das es noch gar keinen Impfstoff gibt, statt sein Zaubermittel gängigen Schutzimpfungen beizumischen.

Und dann gibt er auch noch selbst zu, dass Impfungen beitragen sollen, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen:

Bei der TED-Konferenz im Jahr 2010 führte er [Bill Gates] aus: “Auf der Erde leben heute 6,8 Milliarden Menschen (…), diese Zahl wird auf ungefähr neun Milliarden anwachsen. Wenn wir nun bezüglich neuer Impfstoffe, im Gesundheitswesen und in der Fortpflanzungsmedizin wirklich gute Arbeit leisten, können wir diese um ungefähr 10 bis 15 Prozent verringern.”

Potzblitz! Jetzt hat die Spürnase Michael Morris den Multimillionär aber überführt, oder?

Damit das Zitat zum Geständnis wird, muss Morris den Kontext weglassen. Bill Gates spricht sich hier nicht dafür aus, Menschen per Impfung ohne deren Wissen unfruchtbar zu machen. Er wirbt vielmehr dafür, die medizinische Versorgung zu verbessern. Denn dann, so seine Hoffnung, könnten Entwicklungsländer sich ähnlich wie die Erste Welt verhalten. Dort hat sich gezeigt, dass die besseren Gesundheitssysteme dazu führen, dass weniger Kinder sterben und alte Menschen nicht ausschließlich auf die Fürsorge ihres Nachwuchs angewiesen sind. Kinder zu zeugen ist dann keine Notwendigkeit mehr und Familien werden planbar, weshalb sich mehr Leute gegen Kinder entscheiden. Auch rechnet sich die Gates Foundation dadurch keinen Reduktion der Weltbevölkerung aus, wie die Verschwörungstheoretiker behaupten, weil in der Formulierung auch ein bisschen Völkermord mitschwingt. Sie erwartet nur ein langsameres Wachstum.

So zerfällt die Geschichte von “Frankensteins Killer-Moskito” bei näherer Betrachtung in das, was auch von den meisten anderen “Compact”-Geschichten bleibt, wenn man sich etwas genauer mit ihnen befasst: ein paar Krümel Wahrheit und ein riesiger Haufen Bullshit.

Fake-Twitterer, (S)Ex-Wrestler, Instagram-Papst

1. 10 Jahre Twitter: Fälschen, Foppen, Faken
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Twitter feiert demnächst sein zehnjähriges Jubiläum. Anlass für “Netzpolitik”, sich mit den seit der Gründung immer wieder auftauchenden Fake-Accounts zu beschäftigen. Vor allem Politiker und Parteien seien Opfer von Fälschungen und Spott. Da rufe plötzlich Gregor Gysi zur Wahl von Joachim Gauck auf, falsche Demoskopie-Institute würden CDU-Politiker narren, das Titanic-Magazin twittere im Namen von SPD-Landtagskandidaten oder ein gefälschter Account der “AfD Bremen-Nord” führe Medien und Mediendienste hinters Licht.

2. DER SPIEGEL und acht weitere Redaktionen gründen journalistisches Netzwerk
(spiegel.de)
Der “Spiegel” hat zusammen mit acht weiteren Redaktionen ein neues journalistisches Recherche-Netzwerk gegründet. Zur EIC (European Investigative Collaboration) gehören des Weiteren: “Der Falter” (Österreich), “El Mundo” (Spanien), “L’Espresso” (Italien), “Le Soir” (Belgien), “Mediapart” (Frankreich), “Newsweek Serbia” (Serbien), “Politiken” (Dänemark) und “RCIJ/The Black Sea” (Rumänien). Der “Spiegel” hätte dieses Netzwerk mit ins Leben gerufen, weil investigative Recherchen heutzutage immer öfter nach einer internationalen Zusammenarbeit, nach einem Austausch von Journalisten aus verschiedenen Ländern verlangen würden.

3. „Echte Veränderung des Presserechts“
(faz.net)
Wegen der Veröffentlichung eines Sexvideos bekommt Wrestler Hogan eine Millionen-Entschädigung zugesprochen. Nach diesem Urteil befürchten Experten eine Veränderung der amerikanischen Pressefreiheit. Eine Jury sprach Hogan nun 115 Millionen Dollar als Ausgleich für seinen finanziellen und seelischen Schaden zu. Eine Entscheidung, die laut einer Rechtsexpertin eine “echte Veränderung des Presserechts in den Vereinigten Staaten” bedeute. Der Ex-Wrestler soll nach der Verkündung des Urteils geweint haben. Ob dies der rechtspolitischen Bedeutung des Urteils geschuldet war oder an der Freude über die materielle Zuwendung lag, wird leider nicht klar.

4. Die will nicht nur spielen
(fluter.de, Sara Geisler)
Was für eine Geschichte: Ausgerechnet im restriktiven und frauenfeindlichen Mittelalterstaat Saudi-Arabien gründen zwei junge Frauen eine Games Convention für Frauen. Sara Giesler interviewt eine der beiden Gründerinnen der mittlerweile etablierten Veranstaltung (die letzte Spielemesse wurde von 3.000 weiblichen Gamern und Developern besucht). Die unerschrockene Mitgründerin Tasneem Salim darin: “Gaming öffnet Türen zu neuen Ideen, anderen Kulturen, Identitäten, die man im wahren Leben nicht haben darf – erst recht nicht als Frau. Viele spielen online mit Menschen auf der ganzen Welt. Oft erzählen saudische Gamer zum Beispiel, dass sie durchs Spielen Englisch gelernt hätten.”

5. Das deutsche Fernsehen braucht eine Kultur des Scheiterns
(dwdl.de, Hans Hoff)
Wieso schaffen es eigentlich in schöner Regelmäßigkeit halbgare Formate auf den Bildschirm – und warum konnte niemand die “Versteckte Kamera” oder “Studio Amani” verhindern? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Hans Hoff in seiner neuen Medienkolumne. Er fordert eine Kultur des Scheiterns, denn: “Mit welchem Recht vertrauen Fernsehverantwortliche eigentlich darauf, dass sie halbgare Produktionen straflos aufführen dürfen, um hernach zu behaupten, dass man die Fehler bei den nächsten Modellen schon abstellen werde. Man stelle sich nur mal vor, Mercedes lieferte eine neue Limousine mit drei Rädern aus und behauptete dann, dass man diesen Mangel bei Folgemodellen aber abstellen werde.”

6. Der Papst ist jetzt bei Instagram
(horizont.net)
Papst Franziskus, 79, hat nun auch einen eigenen Instagram-Account. Am Samstagmittag wurde dort das erste Foto veröffentlicht. Es zeigt das Oberhaupt der katholischen Kirche im Gebet versunken und mit dem Kommentar “Betet für mich” in neun Sprachen von Polnisch bis Arabisch. Spötter spekulieren, wann der Pontifex die ersten Bilder von selbstgebackenen Oblaten und Blut-Christi-Smoothies postet.

“Der allergrößte Teil der Medien hat sich sehr gut verhalten”

Vor knapp einem Jahr, nachdem die Germanwings-Maschine auf Flug 4U9525 in den Alpen abgestürzt war, machten sich Scharen von Journalisten auf den Weg nach Haltern am See, einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Denn an Bord des Flugzeugs waren auch 16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen des Gymnasiums in Haltern. Wir haben mit Georg Bockey, dem Pressesprecher der Stadt, darüber gesprochen, wie er die Situation und das Verhalten der Journalisten damals erlebt hat.

BILDblog: Herr Bockey, was waren die letzten Medienanfragen, die Sie beantwortet haben?
Georg Bockey: Da ging es um Gelbe Säcke für Verpackungsmüll. Was sind die Vor- und Nachteile davon – im Vergleich zur Gelben Tonne? Jeder Haushalt in Haltern kriegt pro Jahr nur begrenzt Rollen, ohne dass wir als Stadt das beeinflussen können. Manchmal gibt es dann Probleme mit der Verteilung. Dazu hat mir die “Halterner Zeitung” ein paar Fragen gestellt. Und dann geht bald der Schulleiter einer unserer Grundschulen in den Ruhestand. Da stellen sich auch Fragen: Wer wird Nachfolger? Bleibt die Schule erhalten? Oder gibt es dann ein Verbundsystem mit einer anderen? Das Spektrum ist breit.

Ein ziemlich drastischer Gegensatz zu dem, was vor etwa einem Jahr über die Pressestelle hereinbrach.
Ja. Da gab es eine Flut von Anfragen, wie wir sie vorher in Haltern noch nicht erlebt haben. Haltern ist mit seinen 38.000 Einwohnern ja eher ein kleines Nest. Und plötzlich standen da 50 Übertragungswagen in der Stadt. Alles entwickelte sich mit rasender Geschwindigkeit.

Was für Anfragen gab es dann?
In erster Linie ging es darum, O-Töne vom Bürgermeister einzufangen. Wir haben in den ersten Tagen streng darauf geachtet, dass dies einerseits ermöglicht werden sollte. Andererseits musste alles in den zeitlich sehr begrenzten Rahmen passen. In diesen Tagen gab es nur dieses Thema bei uns. Alles andere wurde für fast zwei Wochen komplett in den Hintergrund gerückt. Und wenn doch einmal eine Anfrage zu einem ganz anderen Thema kam, habe ich um Verständnis gebeten, dass eine Antwort derzeit nicht möglich ist. Das wurde auch akzeptiert.

Erinnern Sie sich noch, wie alles angefangen hat?
Der Tag des Unglücks war ein Dienstag. Die erste Nachrichten kamen so am späten Vormittag rein. Ich bin dann sofort mit dem Bürgermeister zum Gymnasium. Dort haben wir die ersten Gespräche mit dem Kollegium und dem Schulleiter geführt. Da war auch schon jemand von der Schulbehörde da. Dann kamen bald die ersten Medienvertreter an. Und es wurden immer mehr: aus Deutschland, Europa, der ganzen Welt.

Haben Sie die ganze Pressearbeit alleine gestemmt?
Nein, das wäre nicht möglich gewesen. Es gab so viele Orte, wo wir sein mussten: an der Schule, im Rathaus, im Krisenstab in der Feuerwache. Zum Glück gab es ganz schnell und unbürokratisch Hilfe für uns: Zwei Pressesprecher kamen dazu, einer von einer Nachbarstadt, einer von der Kreisverwaltung. Die wurden spontan abgestellt. Die Kreispolizei hat auch eine Menge Beamten geschickt, dazu zwei Pressesprecherinnen. Die haben sofort vor Ort Kontakt zu den Journalisten aufgenommen und darauf geachtet, dass etwa niemand die Absperrlinien zur Schule überschreitet. Das hat sehr geholfen. Wenn Leute in Uniform das sagen, hat das natürlich einen hohen Stellenwert.


(Foto: meistergedanke.de)

Stichwort Absperrlinien – aus Haltern gab es immer wieder auch Meldungen von Journalisten, die durch Vorgärten schleichen, die direkt auf Betroffene zugingen oder die Schülern Geld angeboten haben für interne Videoaufnahmen. Wie haben Sie das erlebt?
Der allerallergrößte Teil der Medienvertreter hat sich nach meiner Wahrnehmung sehr gut verhalten. Ich muss den meisten Kollegen hoch anrechnen, dass sie mit der nötigen Seriosität und Sensibilität berichtet haben. Das darf man ruhig als deutliches Lob verstehen. Es gibt natürlich negative Ausreißer. Wenn wir gesehen haben, dass Kindern Geld für Fotos oder Videos geboten wurde, sind wir eingeschritten. Mir fällt aber gerade nur ein Fall ein. Der Kollege, der das gemacht hat, ist dann auch nicht wieder aufgetaucht.

Zu der Berichterstattung über den Absturz gingen so viele Beschwerden beim Presserat ein wie noch nie zuvor.
Das mag sein, aber das betrifft uns in Haltern nicht so sehr. Das bezog sich überwiegend auf die Berichterstattung über den Absturz selbst und über den Co-Piloten. Da ist viel Unsinn verbreitet worden: über den Menschen, über Krankheiten, über seine Beziehung. Echte Fehler räumt dann auch selten jemand ein. Aber man muss das relativieren: Der allergrößte Teil der Beschwerden blieb auch ohne Rüge.

Was lief vor Ort konkret gut?
Die Abstände wurden respektiert. Überhaupt gab es sehr wenige Versuche, konkret auf betroffene Familien zuzugehen. Wir fanden das sehr positiv. Ein Novum war für mich, zu sehen, wie betroffen auch die Journalisten waren. Bei den ersten Pressekonferenzen haben viele geweint – sowohl die, die sich geäußert haben, als auch die Journalisten. Das habe ich in der Form noch nicht erlebt.

Wie haben die Menschen in Haltern auf die Journalisten reagiert?
Ich glaube, viele Haltener haben das als bedrohlich empfunden. Selbst wenn sich alle Presseleute vorbildlich verhalten: Allein durch die bloße Präsenz von so vielen Ü-Wagen, Kamerateams, Menschen mit Mikrofonen und so weiter entsteht schon eine bedrohliche Atmosphäre für einen Kleinstädter, der das nicht gewohnt ist. In den Tagen nach dem Unglück war die Innenstadt oft menschenleer. Da hat niemand Lust gehabt, shoppen zu gehen. Die paar Leute, die da waren, wurden von Journalisten angesprochen. Das ist ja auch verständlich. Aber wenn jemand nicht reden wollte, wurde er auch in Ruhe gelassen.

Wann verschwand das letzte Kamerateam aus Haltern?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Nach dem Absturz am Dienstag war es am Donnerstag, mit einem Wort, abartig, was die Zahl der Anfragen anging. An dem Tag ging blitzschnell die Nachricht um, dass der Co-Pilot den Absturz offenbar bewusst herbeigeführt hat. Viele sind dann in den Ort gefahren, aus dem der Pilot stammte. Am Freitag gab es dann einen Gottesdienst mit dem Bundespräsidenten und der Ministerpräsidentin von NRW. Da waren noch einige da.

Wie sah in der hektischen Phase Ihre Strategie für die Pressearbeit aus?
Uns war wichtig, den Druck zumindest etwas abzufedern. Wir haben früh entschieden, alle Pressekonferenzen und -gespräche nicht an der Schule abzuhalten, sondern im Rathaus. Das ist nur 400 Meter entfernt, aber das war trotzdem wichtig, um die Schüler zu schützen. Der Ratssaal war dann am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag komplett voll mit Medienvertretern und Kamerateams.

Wie haben Sie noch versucht, den Druck herauszunehmen?
Indem wir die Journalisten bei ihrer Arbeit unterstützt haben. Wir haben oft Gespräche angeboten. Schlicht, damit die nicht selbst jeden Stein umdrehen wollen. Ich verstehe auch, dass die Medien berichten wollen. Als die Toten nach Haltern überführt wurden, waren die Straßen voller Menschen. Die haben sich an den Händen gehalten, es war mucksmäuschenstill. Das waren natürlich Bilder, die für Journalisten interessant sind. Die Polizei hat die Medien vorher kontaktiert und empfohlen: Hier auf dieser Brücke kann gefilmt werden, in der Stadt auch, aber dann am Bestattungsinstitut nicht mehr, da endet die Öffentlichkeit.

Hat das funktioniert?
Meiner Meinung nach ja. Kein Journalist hat versucht, zum Bestattungsinstitut zu gehen. Das ist gut gelaufen. Generell muss man sagen: Alles ging so schnell, jeden Tag kamen neue Details ans Licht. Das kann man nie alles beeinflussen. Wir haben versucht, uns anzupassen. Einmal hatten wir ein Pressegespräch mit Seelsorgern und Polizisten anberaumt. Und eine Stunde vorher kam raus, dass der Co-Pilot die Maschine wohl absichtlich zum Absturz gebracht hat. Da war klar, dass sich darauf die ganze Aufmerksamkeit konzentrieren würde. Wir mussten umdisponieren. Also kamen Bürgermeister und Schulleiter mit. Im ersten Teil haben wir dann über die neue Situation gesprochen, danach haben wir weitergemacht mit dem ursprünglichen Thema.

Sie haben selbst mehr als 25 Jahre als Journalist gearbeitet und sind erst seit einigen Jahren Pressesprecher. Ist die Situation für Journalisten heute schwieriger?
Ich glaube, dass der Druck heute viel größer ist. Ich kannte das so überhaupt nicht und ich möchte das auch nicht erleben. Jetzt brauchen wir hier noch einen O-Ton, da noch eine Aufnahme – und dabei stellen doch alle die gleichen Fragen. Man kann das Rad nicht ständig neu erfinden. Das müssen die Chefs in den Redaktionen akzeptieren. Wenn Journalisten immer Neues liefern müssen, dann fangen sie an, unüberlegt zu agieren, ohne genügend im Thema zu sein und die Verhältnisse vor Ort gut genug zu kennen.

Wie meinen Sie das?
Wenn Journalisten meinen, sie müssten immer neue Konflikte ausfindig machen. Oder Fragen stellen wie: “Wie ist das Leben an der Schule erlahmt?” Mit Verlaub, das ist idiotisch. Natürlich hinterlässt so ein Unglück Spuren. Wir sind eine kleine Stadt. Über drei Ecken kennt jeder jemanden, der jemanden kennt… Und natürlich war für eine Weile kein Unterricht möglich. Und natürlich gedenken die Schüler und Lehrer der Opfer. 18 Fotografien hängen in der Schule, es gibt zwei Gedenkstätten in Haltern.

Aber?
Nach dem Gottesdienst mit dem Bundespräsidenten sind der Schulleiter und die Lehrer zurück in die Schule gegangen, um das Abitur vorzubereiten. Und im Sommer kamen dann neue Fünftklässler an das Gymnasium. Der Schulleiter sagte zurecht, auch die haben einen Anspruch auf eine normale, auf eine schöne Schulzeit. Wir werden die Opfer nie vergessen, und auch nicht, wie sehr die Angehörigen leiden müssen. Aber das Leid ist so schon groß genug. Man muss der Schule nicht noch zusätzlich Probleme aufschwatzen.

Bald jährt sich das Unglück zum ersten Mal. Dann werden einige Kamerateams voraussichtlich zurückkommen. Was würden Sie sich von den Journalisten wünschen?
Dass sie das entsprechend einschätzen und keine Riesenveranstaltung daraus machen. Am 24. März gibt es eine Gedenkminute und dann einen ökumenischen Gottesdienst. Da kann man auch gar nicht viel berichten. In der Kirche werden keine Kameras und Aufnahmegeräte erlaubt sein. Darüber möchte ich dann auch gar nicht diskutieren, das ist einfach selbstverständlich. Wenn Journalisten die ruhige Atmosphäre einer Kirche respektieren, wenn sie sich einfach an die Regeln halten, dann erleichtert das unsere Arbeit ungemein. Auch deshalb, weil die Trauernden diese Ruhe dringend benötigen.

Verzettelte Drohungen

Seit ein paar Tagen geistert ein gelber Zettel durch so ziemlich alle deutschsprachigen Medien:

Zwei Festnahmen in Köln! Polizei findet diesen Droh-Zettel [Dazu der gelbe Zettel mit handgeschriebenen Wörtern und Phrasen wie 'gelegenheit, Große Brüste, Fucken, Ich Will fuchen, ich will dich küssen, ich Töte sie ficken'
(Bild.de)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“Tagesschau”)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“ARD Brennpunkt”)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“ZDF heute”)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“Spiegel TV”)

[Abbildung des gelben Zettels] dazu die Schlagzeile 'Skandalnacht von Köln: Das ist der erschreckende Drohzettel, den die Polizei fand'
(“Focus Online”)

[Abbildung des gelben Zettels] dazu die Schlagzeile ''Ich töte sie' - Polizei findet Übersetzungszettel bei Verdächtigen'
(ksta.de)

[Abbildung des gelben Zettels] dazu die Schlagzeile 'Köln-Übergriffe - 'Große Brüste': Der schlimme Übersetzungs-Zettel der Festgenommenen'
(express.de)

Köln: Drohbotschaften bei Verdächtigen entdeckt
(krone.at)

Köln: Polizei findet Droh-Zettel
(oe24.at)

'Ich will fucken': Verdächtige hatten irren Drohzettel dabei
(aargauerzeitung.ch)

Der Zettel soll bei einem der Verdächtigen aus der Silvesternacht gefunden worden sein. Viele Medien bezeichnen ihn als “Droh-Zettel”, denn er sei, wie zum Beispiel “Spiegel TV” gestern feststellte, …

voll mit Drohungen und Anleitungen zur Gewalt.

Und zwar?

Auf dem Droh-Zettel steht u.a. “Ich töte sie“

(oe24.at)

„Ich töte sie“

(“Focus Online”)

“Ich töte Sie”

(ksta.de)

“Ich töte sie”

(“Kopp”)

“Ich töte sie”

(krone.at)

“Ich töte Sie”

(abendzeitung-muenchen.de)

“Ich töte dich”

(Bild.de)

“Ich töte Sie”

(fr-online.de)

Auch der Satz „Ich töte Sie“ ist zu lesen.

(weser-kurier.de)

Doch das stimmt nicht. Tatsächlich ist auf dem Zettel “Ich töte sie ficken” zu lesen — und das ist (wie uns zwei Übersetzer bestätigt haben) wörtlich aus dem Arabischen übersetzt und bedeutet sinngemäß: “Ich werd’s dir richtig besorgen”.

Zu lesen war das bisher aber nur bei einem einzigen Medium:

Kinderessende Flüchtlinge, Krimkrise, Journalisten in Filmen

1. Warum das virale “Flüchtlinge essen Kinder”-Video nicht lustig ist
(vice.com, Matern Boeselager)
In den vergangenen Tagen dürfte ein großer Teil der Social-Media-Gemeinde über ein 26-Sekunden-Video gelacht haben, in dem unter anderem ein Mädchen erzählt, dass ein Flüchtling eine Fünfjährige gegessen habe. “Das Problem ist nur, dass das Video eine ziemlich bösartige Manipulation ist”, schreibt Matern Boeselager. Der Schnitt reiße die Aussage so aus dem Zusammenhang, dass “sich Tausende Menschen darüber freuen können, dass Rassisten krass dumm und sie selber krass schlau sind. Dabei gibt es nur ein Problem: Ganz so hat sie das nicht gesagt.”

2. Wir müssen streiten!
(ostpol.de, Jelena Kostjutschenko)
In der Krimkrise seien ganze Familien zerstritten gewesen, nur in der Gemeinschaft der Journalisten habe es keine Konflikte gegeben. Weil es auch keine Gemeinschaft gegeben habe, wie Jelena Kostjutschenko beobachtet hat. Sie fordert die russischen Journalisten auf, mehr zu streiten. Für ein neues Selbstverständnis. Zur Russland-Ukraine-Berichterstattung gibt es außerdem ein neues Crowdfunding.

3. Predictions for Journalism 2016
(niemanlab.org, verschiedene Autoren, englisch)
Das “Niemanlab” hat Experten gefragt, womit der Journalismus im kommenden Jahr rechnen muss. Bis zum 18. Dezember kommen ständig neue Beiträge hinzu.

4. Wie der Tod die Lüge schützt
(tagesspiegel.de, Norbert Thomma)
Als der “Tagesspiegel” im April ein Interview mit einer Krebskranken veröffentlichen will, kommen einigen Redakteuren beim Korrekturlesen der zwei Zeitungsseiten die Tränen. Sie sind sich einig: “So etwas Packendes und Anrührendes können wir selten drucken.” Später stellt sich heraus: Die junge Frau hat alle getäuscht, ihre Familie, ihre Freunde, ihre Sterbebegleiter, die Medien. Norbert Thomma rekonstruiert, wie es dazu kommen konnte.

5. Friedensprophet mit Taschenrechner
(amnesty.ch, Ramin M. Nowzad)
Die Welt war noch nie so friedlich wie im 21. Jahrhundert. Es gibt weniger Gewalt, weniger Kriege und weniger Morde als je zuvor. Das ist jedenfalls die These des Evolutionspsychologen Steven Pinker. Den meisten Menschen fällt es schwer, daran zu glauben — Pinker sagt, dass die Medien einen Teil dazu beitragen: “Wenn Sie die Fernsehnachrichten einschalten, erfahren Sie immer nur von Dingen, die passiert sind. Nie von Dingen, die nicht passiert sind.” Solange die Gewaltrate nicht auf null sinke, werde es immer genügend Grausamkeiten geben, um die Abendnachrichten zu füllen.

6. April O’Neil — Journalistin zwischen Emanzipation und Unschuld
(journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Auf seiner Seite journalistenfilme.de geht Patrick Torma der Frage nach, welche journalistischen Werte in Filmen vermittelt werden. Zum Beispiel wenn es um Bob Woodward und Carl Bernstein in “Die Unbestechlichen” geht oder um Maddy Bowen in “Blood Diamond”. Aktuelle schaut sich Torma die Rolle von April O’Neil bei den “Teenage Mutant Hero Turtles” an und fragt, ob “in der Reporterin mit dem kanariengelben Jumpsuit ein journalistisches Vorbild” steckt.

Die Frau beim Namen nennen

“Bild” und Bild.de sind nun nicht gerade als Sprachrohre der Frauenrechtsbewegung und Anti-Sexismus-Kampagnen bekannt. Bei dem, was sich Fortuna Düsseldorfs Fußballer Kerem Demirbay vor knapp anderthalb Wochen geleistet hat, waren aber selbst die “Bild”-Medien empört:


Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus hatte Demirbay im Zweitligaspiel zwischen dem FSV Frankfurt und Fortuna Düsseldorf mit Gelb-Rot vom Platz geschickt. Daraufhin hatte der Fortuna-Profi gegen sie losgepöbelt: “Ich finde, Frauen haben im Männerfußball nichts zu suchen!” Steinhaus hat das per Sonderbericht dem DFB gemeldet.

Demirbay entschuldigte sich am nächsten Tag per Telefon bei Bibiana Steinhaus und äußerte sich auch bei Instagram zum Vorfall: “Diesen Satz hätte ich niemals sagen dürfen, denn es entspricht auch nicht meinem Frauenbild.“ Sein Verein kündigte “eine empfindliche Geldstrafe” an und verdonnerte Demirbay zum Pfeifen eines Mädchenfußballspiels.

Interessant, dass gerade “Bild” und Bild.de sich über die “fiese” “Macho-Attacke” echauffieren — zwei Medien, die Bibiana Steinhaus nicht Bibiana Steinhaus nennen, sondern konsequent nur …






Das blüht dem Bibi-Pöbler

Er ärgerte sich am meisten darüber, dass Bibi sich überstimmen

Da wirkten Bibi und Freund Stefan

2014 machte Kiefer Bibi einen

Auch da spielte er auf Bibi Steinhaus an

Trainer Thomas Oral geht auf Bibi los

Das sind lediglich die Beispiele aus den Berichten zum erwähnten Spiel zwischen dem FSV Frankfurt und Fortuna Düsseldorf. Die “Bild”-“Bibi”-Tradition reicht aber schon viel länger zurück. Kaum ein Artikel über die Schiedsrichterin kommt ohne die Verniedlichung aus:

FSV-Trainer Tomas Oral diskutiert mit Bibi Steinhaus

FSV-Wut auf Bibi!

Nur Bibi Steinhaus hatte nicht gepfiffen

Fall 1: Bibi Steinhaus muss sich

Guardiolas Umarmung bei Bibi Steinhaus blieb


Klärende Worte: Bibi Steinhaus und Huub Stevens

Bei Bibi wird sogar der Knurrer zum Schnurrer.

Lasst Bibi auch ganz oben ran.

Herr Fandel, warum blockieren Sie Bibis Bundesliga-Aufstieg?

Typisch, Bibi: Sie klärt solche Sachen

Deshalb forder BILD: Lasst Bibi endlich in der Bundesliga pfeifen!

Schiri-Boss Herbert Fandel gilt nicht als Bibi-Freund

Bibi erkannte sofort, dass es ein

In der Nachspielzeit geht der Bayern-Trainer auf Bibi los

Bibi knallhart.

Geht es für Bibi jetzt ganz schnell?

Der frühere FIFA-Schiedsrichter (1994 bis 2004) hat sich für eine rasche Beförderung von Bibi ausgesprochen!

Geht es nach Schiri-Legende Urs Meier tanzen die Bundesliga-Stars bald nach Bibis Pfeife.

“Meine Mutter hat schon immer gesagt, ich hätte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn”, sagte Bibi einmal.

Bibi hat auf dem Platz

Das Rampenlicht. Nicht Bibis Ding.

Bei der Zweitliga-Partie Kaiserslautern gegen Ingolstadt (3:0) pfeift Bibi einen Elfmeter

Ging Bibi damals auch so.

Erster Busen-Wischer von Peter Niedermeyer (30)! Bibi Steinhaus pfeift die Partie Hertha gegen Aachen (0:0).

Bibi guckt erst irritiert

Bibi im ZDF

Der Humor. Für Bibi bei ihrem Job

Auch weil Bibi Cottbus verhext

Wenn Bibi Steinhaus pfeift, gewannen die Löwen bisher nicht

Funkel kämpft heute auch gegen den Bibi-Fluch

Bannt Funkel heute den Bibi-Fluch?

Nicht bei Bibi & Uli.

Was flüsterte Hoeneß der schönen Bibi ins Ohr?

Tolle Stimmung an der Seitenlinie — die Liga-Motzkis Klopp, Lehmann & Co. sollten sich Bibi und Uli zum Vorbild nehmen.

Erstmals zeigte Bibi beim “30. Deutschen Sportpresse-Ball” ihre neue Liebe.

Vergleicht man die Artikel über Steinhaus mit denen über ihre männlichen Kollegen, wird klar, wie penetrant “Bild” und Bild.de sie sprachlich kleinhalten: Bundesligaschiedsrichter Jochen Drees ist nie “Jockel” und sein Kollege Robert Hartmann nie “Robbe”. Aber Bibiana Steinhaus ist andauernd “Bibi”, als wäre sie kein Profi, sondern eine junge Hörspielhexe für Kinder zwischen vier und zehn Jahren.

Immerhin: Mit der “schönen Bibi” haben es die “Bild”-Medien relativ schnell gelassen. Bei anderen Frauen, die beruflich mit dem Profifußball zu tun haben, konzentrieren sich die Redaktionen aber weiterhin fleißig aufs Aussehen. Da wäre zum Beispiel die “Sky”-Moderatorin Esther Sedlaczek:


Oder ihre “Sport1”-Kollegin Laura Wontorra:


Oder alle Fußballmoderatorinnen:

Auch Eva Carneiro ist nie die gute oder schlechte, erfolgreiche oder pfuschende Ärztin beim FC Chelsea, sondern stets:





“Frauen haben im Männerfußball nichts zu suchen”? Doch, schon, finden die “Bild”-Medien offenbar. Bibiana Steinhaus soll weiter pfeifen, Esther Sedlaczek und Laura Wontorra weiter moderieren, Eva Carneiro sich weiter um die Blessuren der Fußballer kümmern. Und “Bild” wird weiter darüber berichten. Aber nur mit niedlichem Spitznamen und einer Reduzierung aufs Äußerliche.

Mit Dank an @deansimon27!

“Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße?”

Der VfL Bochum ist Tabellenführer in der 2. Fußballbundesliga. Nun sind gerade einmal sieben von 34 Spieltagen absolviert, aber laut Ruhrgebiets-“Bild” und Bild.de steht das Saisonziel für VfL-Trainer Gertjan Verbeek schon fest:

Klartext nach 1:1 gegen Fortuna. Verbeek spricht vom Meister-Titel!

Im Interview mit SPORT1 stellte der Holländer bereits klar: “Wir sind angetreten, um Meister zu werden!”

Hoppla! Der ehrgeizige Coach legt die Latte selbst hoch, sagt weiter: “Die Ambition muss immer sein: Raus aus der 2. Liga und aufsteigen in die Bundesliga. Aber das wird schwer.”

Morgen steht bereits das nächste Spiel auf dem Programm, die Bochumer treten in Bielefeld an. Daher gab es heute beim VfL die übliche Vor-dem-Spiel-Pressekonferenz. Großes Thema dort: die “Bild”-Schlagzeile und Verbeeks vermeintlicher Titeltraum.

Ein Reporter der “Ruhr Nachrichten” fragt:

Herr Verbeek, ich habe gelesen und gehört, dass Sie den Meistertitel jetzt als Ziel ausgegeben haben. Ist das so?

Gertjan Verbeek ist offenbar klar, wo der Reporter das gelesen hat. Er antwortet:

Das ist so unglaublich kindisch von “Bild”, immer wieder so zu schreiben. […] Die Ambition hier beim VfL ist, den Aufstieg zu machen. Das kann man erreichen, um Meister zu werden, Zweiter zu werden oder Dritter zu werden. Und wir wollen kein Ziel ausgeben. Und das ärgert die “Bild”. Und darum schreiben sie so. Weil ich habe nicht gesagt, dass wir Meister werden. Jeder sieht, dass wir die Qualität nicht haben, um Meister zu werden in der 2. Liga. […] Also was wollt ihr, “Bild”?

Ein Zwischenruf, vermutlich vom anwesenden “Bild”-Reporter:

Nö, gar nichts.

Dann wieder Verbeek:

Nee. Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus? Selbst mit Flüchtlingen dazwischen. Ihr seid ja Arschlocher. Das seid ihr.

Wieder ein schwer zu verstehender Zwischenruf, irgendwas mit:

Das geht an die Berliner Adresse. Den Schuh zieh’ ich mir nicht an.

Darauf Verbeek:

Du arbeitest für “Bild”, oder nicht? Du sitzt hier für “Bild”. Und du schreibst immer falsch. Ja, ja, ja, ja, ja. Jetzt sind auch die Fans schon. Du bist unglaublich, immer wieder. Immer wieder willst du gerne zwei Parteien haben, die gegenüber einander stehen. Immer. Und ihr lügt auch noch. Das ist die “Bild”.

Zwischenfrage:

Hat “Sport 1” gelogen? Das steht auf der Homepage.

Verbeek:

Ja, dasselbe. Hör mal zu, was ich vor der Kamera gesagt habe. Die Ambition des VfL ist, Aufstieg zu machen. […] Man muss die Ambition haben, und das erkläre ich dir noch mal, schlechten Lehrlingen muss man immer viele Male dasselbe gesagt haben: Wir wollen gerne den Aufstieg machen. Wir haben die Ambition, den Aufstieg zu machen. Aber das Ziel ist nicht, den Aufstieg zu machen. Das ist ganz was anderes.

Die Pressekonferenz widmet sich anschließend einem Definitionsversuch der Worte Ambition und Ziel, bis die Themen Aufsichtsratssitzung und eine dort mögliche Vertragsverlängerung angesprochen werden. Und auch da ist Gertjan Verbeek nicht glücklich — mit der Berichterstattung im Allgemeinen und konkret mit der von “Bild”:

Ich verstehe nicht, dass ihr wisst, was besprochen wird, weil ich das selber noch gar nicht weiß. […] Es ist mir sehr fremd, dass ihr wisst, dass es heute Abend um meine Kontraktverlängerung geht. Ich habe gerade verlängert, im Mai habe ich gesagt, ich bleibe noch ein Jahr. Und jetzt sind wir vier Monate weiter und ich muss wieder reden über eine Verlängerung von meinem Kontrakt? Das hat “Bild” auch schon geschrieben. Das war letzte Saison im Mai. Haben die auch wieder falsch.

So langsam beruhigt sich die Lage. Es werden noch ein paar Personalien für das anstehende Spiel in Bielefeld besprochen. Dann aber doch noch einmal Gertjan Verbeek:

Und dann noch eine falsche Aussage: Letztes Mal war Piotr Cwielong nicht dabei, weil ich ihn nicht in den Kader gestellt habe, er war verletzt. Also kann er nicht im Kader sein. […] Der Trainer konnte ihn nicht fragen und er war verletzt. “Bild”, schreibst du mit?

Antwort vom “Bild”-Reporter:

Hier hat gerade eine Legende angerufen. Das war wichtiger.

Verbeek:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Hier die gesamte Pressekonferenz (um “Bild” geht’s ab Minute 2:20):

Mit Dank an Christian H. und Matthias S.

Nachtrag, 22. September, 13:47 Uhr: Der Vorstand des VfL Bochum hat sich heute in einer Stellungnahme zu den Aussagen von Trainer Gertjan Verbeek geäußert: “Fußball lebt von Emotionen, die manchmal in Aussagen gipfeln, die zwar Anklang und Nachhall finden, zuweilen in der Tonalität aber daneben liegen.” Man habe mit Verbeek gesprochen, der sich für die Kraftausdrücke entschuldige. Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht sagen allerdings auch:

Die Kernaussagen bleiben davon aber unberührt und in dieser Sache hat Gertjan Verbeek unserer Meinung nach vollkommen Recht

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (3)

Dass Fans des Hamburger SV dem FC St. Pauli Respekt zollen und sich wünschen, ihr Verein würde genauso handeln wie der Kiezklub, kommt nicht häufig vor. Auch nicht, dass Anhänger des FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund voller Neid auf die kleineren Nachbarn VfL Bochum und MSV Duisburg schauen. “Bild”-Chef Kai Diekmann hat mit seinen zwei Pöbeltweets zu St. Paulis Entscheidung, sich nicht als Werbetransmitter der “Wir helfen”-Aktion benutzen zu lassen, also das geschafft, was sonst nur Reizthemen wie Stadionverbote oder zu hohe Ticketpreise schaffen: Er hat Fans vereint, die sich sonst nicht besonders leiden können, mitunter sogar regelrecht bekriegen.

Es waren nämlich vor allem die Anhänger der deutschen Fußballvereine, die seit Mittwoch mächtig mobil machten. Fangruppen forderten die Vereinsbosse in offenen Briefen auf, sich der “Bild”-Hermes-DFL-Werbekampagne zu verweigern. Viele Fans haben bei Twitter das Hashtag #BILDnotwelcome tagelang in den sogenannten Trending Topics gehalten. Manche von ihnen kündigten dabei recht drastische Maßnahmen an.

Und ihr Protest hatte Wirkung: Bis zum Ende des vergangenen Spieltags in der 1. und 2. Bundesliga hatten sich zehn Vereine dem FC St. Pauli angeschlossen. Manche verzichteten ebenfalls komplett auf das “Wir helfen”-Logo, andere klebten nur das darin beinhaltete “Bild”-Logo ab; alle elf spielen in der 2. Liga, damit gab es lediglich sieben Zweitligisten, die sich der “Bild”-Aktion komplett angeschlossen haben. In der 1. Liga waren es alle 18 Klubs.

Unabhängig davon, ob ihr Verein mit oder ohne “Wir helfen”-Aufnäher auf dem Spielfeld stand, haben viele Fangruppen ihren Protest aus dem Internet auf die Stadionränge getragen. In Nürnberg zum Beispiel …



(Danke an @Ilja_FCN)

… oder in Paderborn durch die Gästefans aus Karlsruhe …


(Danke an @Doering_Stefan)

… oder beim SC Freiburg, wo die Heimfans Transparente mit “Refugees welcome — Bild nicht” und “Erst die Hetze angefacht — wird’s mit Fußball wieder gut gemacht?” hochhielten …



(Danke an Fotografin Friederike Bauer und @HulaLena)

… oder in Darmstadt …


(Danke an @DaTagblatt-Fotograf Arthur Schönbein)

… oder in Köln …


(Danke an @Lollipop2701 und die #SektionTwitter)

… oder in Mainz …



(Danke an @ne_ratte)

… oder in München, wo die 1860-Fans “Scheinheiligkeit und Doppelmoral als PR-Strategie — das bringt nur Blöd #BILDnotwelcome” aufs Banner schrieben …


(Danke an @Komissarov95)

… oder in Bremen durch die Gäste aus Ingolstadt …


(Danke an fuba tour)

… oder in Stuttgart …




(Danke an die Cannstatter Kurve)

… oder auf beiden Seiten beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Fortuna Düsseldorf …


(Danke an @mistadangee)



(Danke an turus)

… oder in Wolfsburg durch die Fans von Hertha BSC Berlin …


(Danke an La Familia)

… oder bei der Partie Union Berlin gegen Greuther Fürth von beiden Fanlagern …



(Danke an @NN_Online-Redakteur @chribenesch)

… oder mit Stickern beim BVB:


(Danke an @Doering_Stefan)

In Dortmund gab es bereits beim Spiel in der Europa League am Donnerstagabend Proteste gegen “Bild”. Die Fans auf der legendären Südtribüne hatten zahlreiche Banner gespannt:





(Danke an @schwatzgelbde)

Damit stellten sich genau die Fans mit Zitaten aus der neuen “Bild”-Imagekampagne gegen das Blatt, die noch vor wenigen Tagen von “Bild” für die neue Imagekampagne instrumentalisiert wurden:

Nun liest man derzeit immer wieder, dass Kai Diekmann genau das wollte: Aufmerksamkeit, für sich, für “Bild”, für die “Wir helfen”-Aktion.

Klar, mit seiner Twitterei zum FC St. Pauli dürfte er genau darauf ausgewesen sein. Jedenfalls wären so seine unsinnig-steilen Thesen zum Kiezklub zu erklären (weitere Erklärungsversuche: Warnschuss für mögliche Wackelkandidaten, bloß nicht auch noch abzuspringen; spezielles Weltbild: Wer nicht mit “Bild” kooperiert, kann nicht ganz sauber sein). Aber dieses Mal scheint der Aufmerksamkeitsprofi Diekmann die Folgen falsch eingeschätzt zu haben. Die Heftigkeit und die Vielfältigkeit der Reaktionen dürften auch für ihn überraschend gewesen sein. Unzählige Medien berichteten, kleinere Blogs, die großen Onlineportale, selbst die “Tagesthemen”. Und bei so gut wie allen Beiträgen konnte man das Unverständnis über die Äußerungen des “Bild”-Chefs herauslesen und -hören. In Interviews durften Sprecher von Faninitiativen ihren Ärger darüber äußern, dass ihr Verein möglicherweise mit Diekmanns Blatt paktiert, und sich über den scheinheiligen Wandel der “Bild” beim Thema Flüchtlinge auslassen.

Der sonst so tweetselige Diekmann wurde in der Folge auffallend still und twitterte stundenlang überhaupt nichts. Auch dem “Spiegel” wollte er nichts sagen. Gut möglich, dass er mit nur zwei Kurznachrichten eine ganze Menge zerstört hat — nicht nur beim Verhältnis zu den Fußballvereinen, sondern auch am mühsam aufgebauten Image der freundlichen “Bild”.

Damit sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält, schwenkte die Redaktion in ihrer Berichterstattung schnell um: Während sie am Donnerstag noch vorwurfsvoll-beleidigt meldete

… war sie bereits einen Tag später ganz handzahm und einsichtig:


Wir helfen — das haben alle Vereine bereits vorher schon mit zahlreichen Aktionen und Projekten bewiesen. Die Bundesliga ist Meister im Helfen. […] Beispiel St. Pauli: Sach- und Geldspenden des Vereins, seiner Mitarbeiter und Fans. Aktionen beim Test gegen Dortmund. Die Warmmach-T-Shirts und Refugees-Welcome-Banner werden versteigert. Profis besuchen Flüchtlingslager. Es gibt Trainingsangebote für die Kinder.

Nur zur Erinnerung: Das schreibt das Blatt, dessen Chefredakteur zwei Tag zuvor noch polterte, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”, und den Verein in die Nähe der AfD rückte.

Wie heuchlerisch dieser neue “Bild”-Ton vom Freitag ist, zeigt auch ein Blick in die anderen Regionalausgaben:

Einen Tag später, als bei einigen Klubs noch nicht endgültig feststand, ob sie sich an der “Wir helfen”-Kampagne beteiligen oder nicht, ging das Gutwettermachen auf der Titelseite weiter:

Und das Erstligaduell am Freitagabend zwischen dem FSV Mainz 05 und der TSG Hoffenheim nutzte die Redaktion für ihre Samstagsausgabe so:

Also alles wie gehabt: Die Bundesliga steht im Mittelpunkt, genauso die “Bild” selbst mit ihrer “Wir helfen”-Aktion. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, bleiben eine Randerscheinung.

Eine Überraschung gab es dann aber doch noch: Die “Bild am Sonntag” titelte im Sportteil mit Blick auf die Spiele in Liga eins und zwei:

Dabei klopfte sie ganz sicher auch sich selbst und ihrem Schwesterblatt auf die Schultern. Aber immerhin: Die Flüchtlinge haben es in die Überschrift geschafft.

Damit war heute allerdings direkt wieder Schluss, als Kai Diekmann das redaktionelle Sagen zurück hatte — bei “Bild am Sonntag” ist er lediglich Herausgeber –, und seine “Wir helfen”-Aktion wieder die wichtigste Rolle in diesem Schmierentheater bekam:

Mit Dank an alle Fotografen für die Bilder aus den Stadien!

Nachtrag, 22. September, 13:29 Uhr: Auch die Fans des FC Schalke 04 haben sich am Wochenende per Banner zur “Bild”-Aktion geäußert …


(Danke an die Cannstatter Kurve)

… genauso wie die des 1. FC Kaiserslautern.

Mit Dank an Johannes S. für den Link.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (2)

Gestern wurde bekannt, dass die Fußballer des FC St. Pauli am kommenden Wochenende bei der “Bild”-Aktion “Wir helfen” nicht mitmachen werden. Damit war der Verein der erste der 36 Erst- und Zweitligisten, der beim “Bild”-Hermes-DFL-Theater nicht mitspielt. (Inzwischen hat sich der 1. FC Union Berlin den Hamburgern angeschlossen, genauso der SC Freiburg, der VfL Bochum, der MSV Duisburg, die SpVgg Greuther Fürth, der 1. FC Kaiserslautern, Eintracht Braunschweig, der TSV 1860 München und Fortuna Düsseldorf teilweise und womöglich auch der 1. FC Nürnberg.)*

“Bild”-Chef Kai Diekmann polterte daraufhin bei Twitter los, behauptete, am Millerntor seien “#refugeesnotwelcome”, und rückte den Verein in die Nähe der AfD. Seine “Bild”-Kumpels fanden das gut, viele andere eher nicht. Im Blog des DJV schreibt Hendrik Zörner heute, Diekmanns Verhalten sei “eine ausgemachte Sauerei”, und fordert ihn auf, Flüchtlinge nicht zu instrumentalisieren. Und selbst der Kai-Diekmann-Fanklub “Meedia” spricht von “offenkundig ungerechtfertigten Vorwürfe[n]” in Richtung FC St. Pauli.

Wie falsch der “Bild”-Chef mit seinem Angriff liegt, zeigt ein Blick in seine eigene Zeitung. Die Hamburg-Ausgabe berichtete am vorletzten Mittwoch, nach St. Paulis Freundschaftsspiel gegen den BVB, das der Klub unter das Motto “Refugees welcome” gestellt hatte, so:

Und auch Bild.de erkannte, dass beim FC St. Pauli “REFUGEES WELCOME” sind:

Immerhin: In der heutigen Printausgabe gibt es nicht den großen publizistischen Gegenschlag der “Bild”. Zur Weigerung des FC St. Pauli findet man lediglich eine kleine Überschrift …

… und diese vier Sätze:

Schade nur, dass einer der 36 Klubs aus der Solidaritäts-Aktion ausschert.

Der FC St. Pauli macht nicht mit bei „Wir helfen“ und wird stattdessen mit den normalen Firmenzeichen des Logistik-Unternehmens spielen. Das teilte der Hamburger Zweitligist den Beteiligten mit. Man tue schon genug für Flüchtlinge.

Der letzte Satz lässt sich allerdings als eine ziemlich böse Interpretation dessen verstehen, was St. Paulis kaufmännischer Geschäftsleiter Andreas Rettig gestern zu Diekmanns Vorwürfen sagte:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. […] Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen.

“Bild” macht daraus eine beleidigt klingende Absage, als wollte Rettig sagen: “Irgendwann ist auch mal gut hier mit der ganzen Hilfe für diese Flüchtlinge.”

Im Gegensatz zu dieser vermeintlichen Haltung steht für die “Bild”-Leute ihre “Wir helfen”-Aktion. Doch wohlgemerkt: Wofür sich das Blatt (und auch die Deutsche Fußball Liga) seit Tagen feiert, ist nicht etwa die komplette Umbenennung des Bundesligaspieltags oder der Verzicht aller Trikot-Hauptsponsoren zugunsten eines großen “Refugees welcome”-Schriftzugs auf der Brust der Mannschaften (wie zum Beispiel beim Zweitligisten MSV Duisburg), sondern ein ein paar Quadratzentimeter großer Badge, bei dem optisch diejenigen im Mittelpunkt stehen, die helfen, und die Flüchtlinge wortwörtlich zur Randerscheinung werden.

Schon möglich, dass am Wochenende einige Fußballfans vor dem Fernseher sitzen, den Aufnäher sehen und denken werden: “Boah, toll, was mein Verein und die ‘Bild’ und Hermes und die Bundesliga so für Flüchtlinge machen.” Spätestens dann ist Kai Diekmanns Werbeplan aufgegangen.

Mit Dank an Michael P.

*Nachtrag, 19:41 Uhr: Nicht nur der 1. FC Union Berlin schließt sich dem FC St. Pauli an, sondern mindestens zwei weitere Zweitligaklubs: der SC Freiburg und der VfL Bochum.

Die Freiburger schreiben:

Für uns ist klar, dass es vor allem das glaubwürdige Engagement vieler lokaler Initiativen ist, das Flüchtlingen jetzt in enger Absprache mit örtlichen Behörden und überregionalen Hilfswerken ganz konkret hilft. Wir haben uns entschieden, morgen ohne den veränderten Ärmel-Aufnäher „Wir helfen” gegen die Bielefelder Arminia auf den Platz zu gehen.

Und beim VfL Bochum heißt es von Seiten des Vorstands:

Die VfL-Vorstände Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht erklären hierzu: „Gegen Engagement ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Der VfL Bochum 1848 begrüßt sämtliche Hilfsmaßnahmen, die in Not geratene Menschen unterstützen. Wenn es also um die Sache gegangen wäre, wären wir kompromissbereit gewesen und hätten eine Aktion, die von der BILD mitgetragen wird, unterstützt. Allerdings hat uns die scharfe Reaktion seitens der BILD-Chefredaktion ob der Absage eines anderen Clubs an die Aktion dazu gebracht, sich mit diesem Verein solidarisch zu zeigen. Es darf unserer Ansicht nach nicht sein, dass jemand einem Verein die Solidarität mit Flüchtlingen abspricht, nur weil dieser nicht bereit ist, eine u.a. von der BILD initiierte Aktion zu unterstützen.

Ähnlich argumentiert auch ein fünfter Zweitligist, der 1. FC Nürnberg. Aus der Vereinsmitteilung wird unserer Meinung nach allerdings nicht zu 100 Prozent klar, ob die Mannschaft nun mit oder ohne “Wr helfen”-Aufnäher spielen wird:

Der 1. FC Nürnberg begrüßt die ligaweite Aktion für Flüchtlinge. Sie ist sinnvoll und unterstützenswert. Weil der 1. FC Nürnberg aber den Umgang mit den Vereinen, die an der freiwilligen Aktion nicht teilnehmen, für unangebracht hält, wird der Club auf eine besondere Promotion des Medienpartners verzichten.

Damit haben schon mal die drei aktuell besten Vereine der 2. Bundesliga der “Bild”-Werbeaktion abgesagt. Was noch fehlt ist der erste Erstligist. Ein bisschen Zeit ist ja aber noch.

Nachtrag, 18. September, 11:15 Uhr: Der Zweitligist MSV Duisburg sagt mit Blick auf die eigenen geplanten Aktionen der “Bild” ebenfalls ab:

Wir Zebras möchten den Einsatz der Menschen in Duisburg, unserer Fans und des Vereins für Flüchtlinge in den Vordergrund stellen. Angesichts der tief entbrannten und kontrovers geführten Diskussion um die Aktion “Wir helfen” befürchten wir einen Schatten über die von uns vorbereiteten Aktionen am Sonntag und in den kommenden Wochen. Das wollen wir vermeiden, deshalb verzichten wir auf das angebotene Aktions-Badge auf dem Trikotärmel.

Nachtrag, 17:26 Uhr: Im morgigen Zweitligaspiel zwischen dem TSV 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern wird kein “Bild” auf den Trikots zu sehen geben. 1860 wird zwar mit dem “Wir helfen”-Badge auf dem Ärmel auflaufen, aber das “Bild”-Logo mit einem weißen Herz überkleben. Kaiserslautern verzichtet komplett auf den Werbeaufnäher:

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen mussten die Verantwortlichen des FCK feststellen, dass es in dieser Sache inzwischen leider nicht mehr um das Thema Hilfe für Flüchtlinge geht, sondern nur noch um die Haltung der Vereine zu einzelnen Medien. Daher hat sich der 1. FC Kaiserslautern nun entschlossen, nicht wie ursprünglich geplant mit dem entsprechenden Badge, sondern mit dem klassischen Logo des Partners Hermes aufzulaufen. Der FCK reagiert damit auf die Tatsache, dass durch die öffentliche Diskussion die eigentliche Botschaft in den Hintergrund gerückt ist.

Nachtrag, 18:56 Uhr: Fortuna Düsseldorf macht es wie 1860 München und klebt das “Bild”-Logo ab:

Damit ist auch das Spiel zwischen dem VfL Bochum und der Fortuna frei von “Bild”-Werbung auf den Trikots der Mannschaften.

Nachtrag, 19. September, 00:11 Uhr: Die “Braunschweiger Zeitung” meldet, dass Eintracht Braunschweig ebenfalls nicht an der “Wir helfen”-Aktion teilnehmen wird, und zitiert Eintracht-Präsident Sebastian Ebel:

“Im Vordergrund stehen die Motive und was Vereine für Flüchtlinge tun. Das sollte bewertet werden”, sagte Eintracht-Präsident Sebastian Ebel.

Nachtrag, 20. September, 14:59 Uhr: Zweitligist Greuther Fürth ist beim Auswärtsspiel bei Union Berlin — etwas überraschend — ohne die “Wir helfen”-Werbung der “Bild” aufgelaufen. Eine Anküdigung des Vereins gab es im Vorfeld nicht.

BPB, PGP, Andrew Jennings

1. “‘Lügenpresse’: Gesprächsversuch mit Kritikern”
(ardmediathek.de, Video, 13 Minuten)
“Panorama” lässt Kritiker der etablierten, insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien zu Wort kommen, so zum Beispiel Walter van Rossum oder Maren Müller.

2. “Reality-TV als Aufklärung”
(taz.de, Wilfried Urbe)
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zahlt Fördergelder für RTL2-Sendungen. Indirekt fördert die Behörde etwa Sendungen wie 50667 Köln oder Berlin Tag & Nacht: “Rund 400.000 Euro pro Jahr investiert die Bundeszentrale mittlerweile in ‘zielgruppenspezifische’ TV- und Web-Formate”.

3. “Was wir aus der Berichterstattung über den Bellingcat-Report lernen”
(spiegel.de, Florian Harms)
Florian Harms schreibt darüber, wie “Spiegel Online” über die Bellingcat-Reports zur Absturzursache von Malaysia-Airlines-Flug 17 berichtet hat: “Selbstkritisch müssen wir festhalten: Diese professionelle Skepsis im Umgang mit der Quellenlage, das Hinterfragen der Quelle hätten wir bereits in den vorherigen Artikeln stärker zum Ausdruck bringen sollen.”

4. “It’s a Man’s Man’s Man’s World”
(tagesanzeiger.ch, Jean-Martin Büttner)
Jean-Martin Büttner wünscht sich mehr Frauen, die über Rockmusik schreiben.

5. “How a curmudgeonly old reporter exposed the FIFA scandal that toppled Sepp Blatter”
(washingtonpost.com, Michael E. Miller, englisch)
Michael E. Miller porträtiert Andrew Jennings: “Now, after decades of threats, suspicions about tapped phones and intermittent paychecks, Jennings is being vindicated with every twist and turn in the FIFA scandal.”

6. “‘Die NSA kommt überall rein'”
(futurezone.at, Patrick Dax)
Ein Interview mit Phil Zimmermann, dem Erfinder des Verschlüsselungsprogramms Pretty Good Privacy (PGP).

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