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Nordkoreanische Burrito-Ente, warm serviert

Nordkorea, einst von vielen gefürchtet, taucht in der Berichterstattung heutzutage vor allem in einer Rolle auf: als Lachnummer.

Womit wir auch gleich beim “Stern” wären.

Der macht nicht nur eine ähnliche Entwicklung durch, sondern trägt auch immer wieder dazu bei, dass das niederträchtige Regime Nordkoreas eben nicht gefürchtet oder verachtet wird, sondern belächelt. Mit Geschichten wie dieser:

Nordkorea - Diktator Kim Jong-il wird posthum für eine Erfindung bejubelt: den Burrito

So steht es seit gut einer Woche bei Stern.de*. Im Artikel feixt die Autorin:

Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. Der Vater von Nordkoreas Oberstem Führer Kim Jong-un soll eine Leckerei erfunden haben, deren Ursprung eigentlich in der mexikanischen Küche liegt und liebend gerne von den feindlichen US-Amerikanern verspeist wird – den Burrito.

Denn die nordkoreanische Propagandazeitung “Rodong Sinmun” habe laut Stern.de behauptet, der Burrito sei ursprünglich im Jahr 2011 von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il erfunden worden. Auch dessen Sohn, der amtierende Diktator Kim Jong-un, habe ein ausgeprägtes Interesse an der Spezialität.

Als Quellen für die Story gibt Stern.de die Boulevardblätter “New York Post” und “The Sun” an.

Tatsächlich waren es zunächst englischsprachige Medien, die behaupteten, nordkoreanische Medien hätten behauptet, der Burrito sei eine Erfindung ihres geliebten Führers:

North Korea is claiming that Kim Jong-il invented the burrito
North Koreans enjoy burritos after paper bizarrely claims Kim Jong-il'invented dish in 2011'
North Korea claims Kim Jong Un's dad invented the burrito
GUAC-POT THEORY - Kim Jong-un's dad 'invented BURRITOS' North Korea bizarrely claims as sales of Western dish 'boom'

Sie alle berufen sich auf das Propagandablatt “Rodong Sinmun”:

The Rodong Sinmun newspaper, seen as a government mouthpiece, reported that the burrito was thought up in 2011 by Kim Jong-il – the father of current supreme leader Kim Jong-un.

Die Geschichte zog sofort große Kreise und landete schnell auch in deutschen Medien, etwa bei Stern.de oder News.de. Die “Südwest Presse” und ihre regionalen Ableger widmeten ihr sogar einen Platz auf der Titelseite:

Inzwischen steht es, unter Berufung auf Stern.de und “Metro”, auch im Burrito-Wikipediaartikel:

Die nordkoreanische Zeitung Rodong Sinmun behauptete 2022, das Gericht sei im Jahre 2011 von Kim Jong-il kurz vor seinem Tod erfunden worden.

Aber was ist dran an der Sache? Nun, auf der Internetseite von “Rodong Sinmun” findet man schnell den Originalartikel, auf den sich alle beziehen. Dort abgebildet: Ein nordkoreanischer Burrito-Stand im Winter, vor dem mehrere Menschen stehen (alle tragen eine Maske und scheinen darunter zu lächeln). Dazu heißt es:

An einem Stand kann man Menschen sehen, die mit Fleisch gefüllte Weizenkuchen essen, und Verkäuferinnen, die die Kunden freundlich über den Nährwert aufklären.

Diese harmonische Szene fügt ihrer Popularität Glanz hinzu.

Wann immer wir Zeuge solcher Szenen werden, erinnern wir uns mit tiefer Ergriffenheit an das Bild des Vorsitzenden Kim Jong Il, der sich bei seiner Führung durch die neu errichtete Werkstatt der Kumsong-Lebensmittelfabrik freute.

Als der Vorsitzende an einem mobilen Servicestand vorbeikam, wies er an, dass die Leute die gefüllten Weizenkuchen aufgewärmt servieren sollten.

Wir erinnern uns noch gut an seine Worte, dass es für unser Volk angenehmer wäre, im Sommer Mineralwasser und im Winter heißen Tee mit Weizenkuchen an den Ständen zu bekommen.

Der verehrte Generalsekretär Kim Jong Un, der die Geschichte der edlen Liebe des Vorsitzenden zum Volk weiterführt, hat ein ausgeprägtes Interesse für die Weizenkuchen, von der Herstellung bis zum Service, und ergriff entsprechende Maßnahmen.

In der Tat: Ein kleiner Stand für gefüllte Weizenkuchen ist mit der mütterlichen Liebe unserer Partei verbunden.

Allem Geschwurbel zum Trotz: Das Blatt behauptet nicht, dass Kim Jong-il 2011 den Burrito erfunden hat. Sondern dass er beim Besuch einer Lebensmittelfabrik (der 2011 stattfand) anwies, den Weizenkuchen lieber aufgewärmt zu servieren, vor allem im Winter.

Dass die amerikanischen und englischen Journalisten daraus etwas völlig anderes machen, und dass deutsche Journalisten den Quatsch einfach abschreiben und sogar auf die Titelseite packen, statt zwei Minuten zu recherchieren, ist aber keine Ausnahme, sondern eine liebgewonnene Tradition. Schauen wir nochmal in den einleitenden Absatz bei Stern.de:

Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. (…)

Nehmen wir die Einhörner, die das Regime laut Stern.de gefunden haben wolle. Eine Geschichte, die seit zehn Jahren immer wieder höhnisch erzählt wird. Dabei steckt dahinter, wie das Wissenschaftsblog “io9” bereits vor zehn Jahren berichtete, wohl schlicht ein Übersetzungsfehler:

Nein, die nordkoreanische Regierung hat nicht behauptet, Beweise für das Einhorn gefunden zu haben. (…) Die Behauptung bezieht sich stattdessen auf einen Ort namens Kiringul [der in Nordkoreas Mythologie eine bedeutende Rolle spielt]. Nordkorea hatte die Entdeckung bereits 2011 verkündet, aber erst vor Kurzem eine Meldung auf Englisch veröffentlicht. In dieser englischen Version wurde der Name des historischen Ortes, Kiringul, irrtümlich als “Einhorn-Höhle” übersetzt – ein sehr anregender Name für Leute aus dem Westen.

Ebenso anregend wie die “Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste”, die es bei News.de aktuell auch wieder in die Überschrift geschafft hat:

Kim Jong-un: Vater von Nordkorea-Diktator erfand Burrito und hatte KEINEN Stuhlgang

Im Artikel heißt es:

Bei seiner ersten Golfrunde soll Kim Jong-il, der verstorbene Vater des amtierenden Herrschers, gleich elf Hole-in-ones geschlagen haben. Eine wirklich besch***ene Idee war es wohl, zu behaupten, die Führer des Landes hätten keinen Stuhlgang. Dagegen ist die angebliche Entdeckung von Einhörnern doch direkt süß.

Ok. Also.

Zunächst der (Nicht-)Stuhlgang. Auch diese Behauptung hält sich seit vielen Jahren (nicht erst seit dem Film “The Interview”) hartnäckig in den Medien. Der älteste Artikel, den wir dazu finden konnten, erschien 2008 auf einer amerikanischen Listicle-Website, die sich auf Kim Jong-ils Wikipedia-Artikel berief. Dort fand sich tatsächlich mal eine (mittlerweile gelöschte) Passage, die lautete:

Überläufer werden mit der Aussage zitiert, dass nordkoreanische Schulen sowohl Vater als auch Sohn vergöttern, und lehren, dass sie nicht wie sterbliche Menschen urinieren oder defäkieren.

Als Quelle dafür wurde wiederum ein Buch angegeben, “The Aquariums of Pyongyang: Ten Years in the North Korean Gulag”, in dem ein nordkoreanischer Journalist sein Leben in einem Internierungslager beschreibt. Wirft man einen Blick in das Buch, stellt sich die Sache aber schnell ganz anders dar. Denn der Autor schreibt:

In meinen kindlichen Augen und denen aller meiner Freunde waren Kim Il-sung und Kim Jong-il perfekte Wesen, unbefleckt von jeder niederen menschlichen Funktion. Ich war wie wir alle davon überzeugt, dass keiner von ihnen urinierte oder defäkierte. Wer könnte sich so etwas bei Göttern vorstellen?

Das mit dem Stuhlgang ist also nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Umschreibung dafür, wie der Autor die scheinbare Göttlichkeit der Machthaber als Kind empfunden hat.

Dann die Geschichte mit dem perfekten Golfspiel, die Journalisten seit nunmehr fast 30 Jahren supergern erzählen, aber superungern überprüfen. Zurückzuführen ist sie auf einen 1994 im “International Herald Tribune” veröffentlichten Artikel. Dort schrieb der australische Reporter Eric Ellis über seine Reise nach Nordkorea und berichtete unter anderem von seiner (eigentlich eher nebensächlichen) Begegnung mit einem nordkoreanischen Golfer:

Mr. Park, der zugab, noch nie etwas von Arnold Palmer gehört zu haben, erklärte, dass der “Geliebte Führer” über 18 Löcher eine 34 spielte, darunter fünf Hole-in-Ones. “Er ist ein hervorragender Golfer”, sagte Mr. Park.

Im Laufe der Jahre wurde dieser Nebensatz von Journalisten immer weiter aufgeblasen – aus den fünf Hole-in-Ones wurden elf, irgendwann kamen noch 17 Bodyguards dazu, die dabeigewesen seien und alles bezeugen könnten, und vor allem wurden diese Aussagen nicht mehr irgendeinem Golfer zugeschrieben, sondern zu einer offiziellen Verlautbarung der nordkoreanischen Regierung erklärt.

“Ich bin verwirrt darüber, wie sich diese Geschichte verselbstständigt hat”, sagte Eric Ellis, der australische Reporter, im vergangenen Jahr in einem Interview. Eigentlich sei es ein “völlig unschuldiger, entwaffnender Moment” gewesen: Der nordkoreanische Golfer habe einfach Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen, darum habe er sich die absurde Geschichte mit den Hole-in-Ones ausgedacht.

Und knapp drei Jahrzehnte später wird sie immer noch erzählt – von kichernden Journalisten, die glauben, sie würden damit die Lachhaftigkeit der Nordkoreaner belegen, ohne zu merken, wen sie damit eigentlich entlarven.

Insbesondere bei Stern.de erscheinen immer wieder solche Geschichten. So behauptete das Portal 2014 zum Beispiel (neben vielen anderen Medien), dass männliche Studenten in Nordkorea laut staatlicher Verordnung nur noch eine einzige Frisur tragen dürften: die von Kim Jong-un (BILDblog berichtete). 2017 reisten zwei australische Studenten nach Nordkorea, um die Geschichte zu überprüfen. Sie kamen zum gleichen Ergebnis wie wir: völliger Quatsch. Doch bei Stern.de steht die Behauptung bis heute unverändert online.

Im Jahr darauf behauptete Stern.de, Nordkorea wolle den USA den Krieg erklären, sobald Windows 10 auf den Markt komme. Als wir die Redaktion fragten, ob es dafür irgendwelche Belege gebe, antwortete sie nicht. Aus gutem Grund: es gab keine. Denn auch diese Geschichte war völliger Quatsch.

Bei einer Sache hat der “Stern” aber Recht: Tatsächlich wird die Propagandamaschine weiterhin fleißig von Medien betrieben. Allerdings nicht nur von nordkoreanischen.

Nachtrag, 19. Januar: Im Burrito-Wikipediaartikel wurde die Passage gelöscht.

*Nachtrag, 20. Januar: Stern.de hat auf unsere Kritik reagiert und den Burrito-Artikel gestern offline genommen. Außerdem schrieb uns jemand aus der Redaktion, dass man “auch die älteren verlinkten Artikel noch einmal ansehen und in den nächsten Tagen offline nehmen” werde.

Bildblog unterstuetzen

Nazi-Skandal Reloaded

Vor knapp acht Jahren erschütterte ein Skandal die “Junge Union” — und die „Bild“-Zeitung.

Mitten im Machtkampf der CDU platzt jetzt eine weitere Bombe! Mindestens drei CDU-Mitglieder sollen in einen Hakenkreuz-Skandal verwickelt sein. Jetzt tauchte ein geheimes Videoband bei der CDU-Zentrale im Abgeordnetenhaus auf. (…)

Der Film zeigt die CDU-Mitglieder während einer Fahrt vor zwei Jahren: Sie haben ihre Oberkörper mit Hakenkreuzen beschmiert, schreien wüste Nazi-Parolen!

Das mit den beschmierten Oberkörpern ist, wie wir schon damals festgestellt haben, völliger Quatsch. „Bild“ hatte das Video vor der Veröffentlichung des Artikels gar nicht gesehen.

Dummen Nazi-Mist gibt es in dem Video, das 2005 auf einer Reise der “Schüler Union” in Riga entstanden ist, aber tatsächlich: Es zeigt mehrere junge, sichtlich alkoholisierte Männer, die sich zum Zeitvertreib wie in einer Talk-Show Fragen stellen. Irgendwann hält einer der Anwesenden kurz einen Sticker mit Hakenkreuz-Motiv vors Objektiv, den er an einem Rigaer Souvenirstand erworben hat; ein anderer findet es sichtlich lustig, mit rechten Parolen wie der Bekämpfung „des jüdischen Bolschewismus“ zu provozieren.

2008 wurde das Video dann der Berliner CDU zugespielt, kurz darauf berichteten „Bild“ und andere Medien (etwa der „Tagesspiegel“), es gab große Aufregung — und Konsequenzen: Die beteiligten Nachwuchspolitiker legten ihre Ämter nieder, traten aus der Partei aus, einer erstattete Selbstanzeige und bekam eine zweijährige Ämtersperre. Ihre politische Karriere war vorerst hinüber, vom öffentlichen Ansehen ganz zu schweigen.

Damit war das Thema erledigt, die Politiker hatten ihre Strafe bekommen.

Und wenn Sie sich fragen, warum wir heute, elf Jahre nach der Entstehung des Videos und acht Jahre nach der Berichterstattung darüber, plötzlich wieder damit ankommen — nun ja:

Das ist die „B.Z.“ von heute. Der Skandal ist der von damals.

Von mit Hakenkreuzen beschmierten Oberkörpern ist immerhin nichts mehr zu lesen, denn diesmal haben die Springer-Leute sich das Video sogar angeschaut, bevor sie darüber geschrieben haben, was im Grunde auch die einzige Neuigkeit ist.

Aber weil die beteiligten JU-Mitglieder inzwischen wieder in der Partei aktiv sind, haut die „B.Z.“ ihnen den Skandal einfach noch mal um die Ohren.

Das Blatt erwähnt zwar, dass die Sache elf Jahre her ist (die Männer kommen auch alle zu Wort und erklären, dass sie diesen „sehr, sehr dummen Fehler“ immer noch “zutiefst bereuen”), doch es klingt alles so, als käme die Sache erst jetzt an die Öffentlichkeit:

Sie sind in jungen Jahren schon weit gekommen: (…). Jetzt holt die drei Freunde mit CDU-Parteibuch die Vergangenheit des Jahres 2005 ein: ein Video von einer Reise der Schüler-Union nach Riga.

Jetzt ist ein Video aufgetaucht, das drei Unions-Fraktionäre bei einer Partei-Reise 2005 nach Riga zeigt: Hakenkreuze, Nazi-Parolen, Hass.

Das Video, das der B.Z. exklusiv vorliegt, kennen bislang nur führende CDU-Funktionäre.

Schwupps — Skandal wieder da.


(“Focus Online”)


(“Huffington Post”)


(berliner-zeitung.de)


(stern.de)


(news.de)


(mz-web.de)


(oe24.at)

Auch die “Bild”-Zeitung berichtet wieder:

Dass sie schon vor acht Jahren darüber geschrieben hat und damals noch von beschmierten Oberkörpern die Rede war, erwähnt die Redaktion — Überraschung: nicht.

Mit Dank an Matthias M.

Medien tappen in gigantische Superrattenfalle

Ob man aus ihnen auch Benzin machen kann, verrät Bild.de zwar nicht, aber ist ja auch so schon eine Knallerstory:

In der britischen Hauptstadt hat Schädlingsbekämpfer Dean Burr sechs große Biester unschädlich gemacht. Es sollen Ratten sein, rund 60 Zentimeter lang, etwa so groß wie Katzen!

Und nicht nur das!

Burr vermutet, dass die Tiere so zugelegt haben, weil sie auch Kannibalen seien: „Sie fressen Mäuse, sie fressen aber auch Artgenossen, sterbende oder tote Tiere.“

INVASION DER KANNIBALISCHEN SUPERRATTEN?

So viel vorweg: Nee.

Aber der Reihe nach. Dean Burr, der Kammerjäger, hatte das Foto vor ein paar Wochen bei Facebook gepostet und behauptet, er habe die Tiere in London gefangen.

Die britische “Sun” bekam Wind davon und schrie am vergangenen Freitag:

Am Wochenende schwappte die Geschichte dann in den deutschsprachigen Raum — Bild.de kopierte sie ungeprüft, ebenso wie N24:

Und „20 Minuten“:

Und heute.at:

Und stern.de:

Allerdings: Alles Quatsch.

In Wirklichkeit stammen die Aufnahmen von “National Geographic”:

Sie sind mindestens drei Jahre alt und zeigen ganz normale Nutrias, die bis zu 65 Zentimeter groß werden, Vegetarier und völlig harmlos sind. Die Tiere wurden auch nicht in London gefangen, sondern in den USA.

Inzwischen hat der Kammerjäger das Foto von seiner Facebookseite gelöscht, und bei einigen der deutschen Abschreiber regen sich allmählich doch ein paar Zweifel.

Stern.de hat die Überschrift heute unauffällig in „Sind das wirklich Ratten? Diese Riesenbiester machen London unsicher“ geändert und schreibt am Ende des Artikels:

Einige Leser wiesen uns darauf hin, dass es sich bei den vermeintlichen Ratten um Nutrias, auch Biberratten genannt, handeln könnte. Die aus Südamerika stammenden Nager sind mittlerweile auch in Europa heimisch und ernähren sich von Pflanzen und Insekten. Ob es sich bei den gezeigten Tieren aber tatsächlich um die harmlosen Nagetiere handelt, ist aktuell noch unklar. Die markanten Orange-farbenen Zähne sprechen aber tatsächlich dafür.

Und News.de schreibt:

Einige Zweifler gibt es dennoch. Es könne sich demnach auch gar nicht um eine herkömmliche Ratte handeln, sondern um eine sogenannte Biberratte. Diese kommt ursprünglich aus Südamerika, sind im Gegensatz zur Kanalratte allerdings fast ausschließlich Vegetarier. Bleibt nur die Frage: Wie kommen die Biberratten nach England? Es darf spekuliert werden.

Überschrift:

Mit Dank an Anonym und Moritz K.

Alle Jahre wieder

… kommt das Christus-Bild:

“Focus Online” hat die Geschichte vom englischen “Mirror” abgeschrieben. In britischen Medien wurde sie gestern schon fleißig herumgereicht, heute ist sie rübergeschwappt und wird inzwischen nicht nur von “Focus Online” nacherzählt, sondern auch von der “Huffington Post”, von news.de, yahoo.de, vol.at und der Online-Seite von “Österreich”. Letztere hat Jesus auf der Startseite sogar extra verpixelt, um den Lesern noch einen Klick mehr abzulocken.

Ob sich das so unbedingt als Clickbait eignet, ist allerdings fraglich, denn die Geschichte hat mittlerweile schon ein nahezu biblisches Alter erreicht.

Bereits im vergangenen Jahr wurde darüber berichtet:

Und vor zwei Jahren:


Und vor drei Jahren:

Und vor vier Jahren:


Und vor fünf Jahren:

Und vor sechs Jahren:

Und vor sieben Jahren:

Und vor acht Jahren:


Und vor neun Jahren:

Und vor elf Jahren:

Und vor dreizehn Jahren:

Und vor vierzehn Jahren:

Das rekonstruierte Gesicht wurde tatsächlich schon 2001 im Rahmen einer BBC-Dokumentation veröffentlicht. Damals schrieb übrigens der “Tagesspiegel”:

Die Wissenschaftler behaupten nicht, dass es sich um ein Abbild Jesu handelt. Aber sie sagen, dass Männer wie Jesus in der damaligen Zeit an diesem Ort etwa so wie auf dem Bild aussahen.

Solche Feinheiten interessieren heute natürlich niemanden mehr. “Focus Online” zum Beispiel schreibt:

Der Forensik-Experte Richard Neave von der Universität Manchester hat mithilfe wissenschaftlicher Methoden vor einiger Zeit das Abbild von Jesus Christus rekonstruiert.

Allerdings hätte sich …

Der Forensik-Experte Richard Neave von der Universität Manchester hat mithilfe wissenschaftlicher Methoden vor vierzehn Jahren rekonstruiert, wie Jesus Christus möglicherweise ausgesehen haben könnte.

… ja auch nicht ganz so doll angehört.

Mit Dank an Fabian!

“Bild” und die gefühlte Wahrheit über Mats Hummels

Der “Kicker” hat heute ein großes Interview mit BVB-Fußballer Mats Hummels veröffentlicht. Darin findet sich auch folgende Passage:

Kicker: Sie sollen aus Ärger über interne Meinungsverschiedenheiten gesagt haben: „Ich bin mit der Borussia nicht verheiratet.“

Hummels: Das ist eine Geschichte, die mir wirklich am Herzen liegt! Diesen Satz habe ich im Leben noch NIE benutzt! Und ich habe ganz ehrlich ein Problem damit, dass so etwas einfach erfunden wird und jeder vom anderen abschreibt. Es ist traurig, dass das heute so funktioniert und zur gefühlten Wahrheit wird.

Und wer hat’s erfunden? Genau:

[Hummels’] Verhältnis zu Trainer Thomas Tuchel (42) ist nicht (immer) das Beste. Nach dem Last-Minute-Ausgleich gegen Darmstadt (2:2/7. Spieltag) hatte Hummels gewütet: „Das ist keine Verteidigung.“

Danach musste er sich wegen seiner Kollegen-Schelte deutliche Worte von Tuchel anhören.

Hummels soll sich angeblich nicht gerade einsichtig gezeigt haben und gekontert haben: „Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet!“

Erschienen vor fünf Tagen auf Bild.de und in der Ruhrgebiets-Ausgabe der „Bild“-Zeitung – und von dort herumgereicht in der Fußballmedienwelt:

Hummels soll sich aber angeblich nicht gerade einsichtig gezeigt und laut Bild gekontert haben: “Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet!”

(fussballnews.de)

(…) soll der Nationalspieler demnach entgegnet haben: „Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet.

(transfermarkt.de)

“Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet”, soll Hummels geäußert haben.

(news.de)

Die BILD berichtet, dass eine Trennung möglich sei. Interpretieren tut sie das aus dem angeblichen Satz: “Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet”, den Hummels seinem Coach Tuchel gegenüber gesagt haben soll.

(spox.com)

Darauf solll [sic] dieser erwidert haben: “Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet.”

(sport1.de)

Die “Bild”-Zeitung berichtet auf ihrer Online-Seite heute auch über das „Kicker“-Interview. Die Stelle mit dem erfundenen Satz erwähnt sie dabei natürlich nicht.

“Focus Online” macht Edward Snowden zum Alien-Spinner

Edward Snowden hat sich vergangenen Freitag mal wieder zu Wort gemeldet. Bei seinem Gastauftritt in der “Star Talk Radio Show” des US-Astrophysikers Neil deGrasse Tyson ging es aber nicht um Enthüllung rund um die NSA, sondern — Gastgeber und Name des Podcasts lassen es erahnen — ums Weltall.

Snowden sprach unter anderem über SETI, Search for Extraterrestrial Intelligence, also die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz, wie sie auch von der Nasa betrieben wird. Er habe Zweifel daran, dass das Forschen nach Signalen fremder Zivilisationen im All erfolgreich sein werde. Das Problem sei laut Snowden eine mögliche Verschlüsselung dieser Signale:

Wenn man eine außerirdische Zivilisation hat, die nach anderen Zivilisationen sucht — oder umgekehrt –, dann gibt es nur einen kleinen Zeitraum in deren Entwicklung, in der die komplette Kommunikation auf primitivste und ungeschützte Art übertragen wird.

Bei einer weiter entwickelten Spezies, so Snowden, würde man die Übertragungen aufgrund von Verschlüsselungen nicht als solche erkennen können und lediglich für kosmische Hintergrundstrahlung halten: “Man kann ordentlich verschlüsselte Kommunikation nicht von zufälligen Signalen unterscheiden.”

Also, zusammengefasst: Edward Snowden sagt, dass es für die Wissenschaft ziemlich schwierig sein dürfte, Signale anderer Zivilisationen zu entdecken.

Und das macht “Focus Online” daraus:

Gefunden und abgeschrieben hat die Redaktion diesen Quatsch beim britischen “Mirror”. Auf einen besonders abstrusen Vorwurf in Richtung Snowden ist sie dann aber noch selber gekommen:

In einem Podcast äußerte sich Snowden nun zu außerirdischem Leben und stellte fest: Aliens versuchen derzeit, mit der Menschheit in Kontakt zu treten. […]

 Einen Beweis für außerirdisches Leben bleibt Snowden dann allerdings schuldig.

Und die Redaktion bleibt weiterhin einen Beweis schuldig, dass es sich bei “Focus Online” um Journalismus handelt.

Mit Dank an Carsten und Lutz!

Nachtrag, 24. September, 11:02 Uhr: Ist so eine Unsinnsmeldung erst einmal in der Welt, bekommt man sie da kaum noch weg. Im Gegenteil: Meist wird sie weiterverbreitet, so auch bei der Snowden-Alien-Geschichte. Denn sowohl Chip.de als auch News.de berichten, dass Edward Snowden von Aliens gesprochen habe, die versuchen sollen, mit der Menschheit Kontakt aufzunehmen. Beide Redaktionen haben die Meldung ungeprüft von “Focus Online” übernommen.

Gestern Abend stellte auch noch “TV Total” (ab Minute 1:15) die Geschichte als korrekt dar. Hätte das Team von Stefan Raab mal besser bei den “Pro Sieben”-Kollegen von “Galileo” nachgelesen. Die sind der Frage nachgegangen, ob Edward Snowden wirklich behauptet, “dass Außerirdische mit uns kommunizieren”. Und kommen zu dem Schluss: Nee, er “stellt dazu lediglich eine Theorie auf.”

Eine andere Passage im “Galileo”-Text ist hingegen ebenfalls problematisch:

Nach dem Motto: Sollte es intelligentes außerirdisches Leben geben, dann könnte es sein, dass wir ihre Kontaktversuche aufgrund von Verschlüsslung nicht einmal wahrnehmen.

Warum sollte eine andere Spezies bei dem Versuch, mit uns Kontakt aufzunehmen, ihre Nachricht so verschlüsseln, dass wir sie nicht verstehen können?

Mit Dank an Gregor M. und Timo L.

Nachtrag, 14:16 Uhr: Das Team von “Galileo” hat die kritisierte Passage inzwischen erweitert und spricht nun von “Verschlüsselung oder Codierung”, die ein Erkennen der Kontaktversuche von Außerirdischen unmöglich machen könnten.

Die Ente mit der pinken Katze

Katzencontent geht natürlich immer, und wenn es sich dann noch um ein armes, pinkes, grausam verendetes Kätzchen handelt, ist das deutschsprachigen “News”-Portalen auch schnell mal einen prominenten Platz auf der Startseite wert.

Bild.de:

Auf einer russischen „Pretty-in-pink-Party“ musste jeder geladene Gast in Pink erscheinen, auch das Kätzchen von Lena Lenia! Jetzt starb die Katze an ihrer Fellfarbe. Durch das Lecken am pinken Fell hat das Kätzchen toxische Gifte aufgenommen. Laut Tierarzt soll dies zu einer Vergiftung geführt haben.

Rtl.de berichtet gleich mehrfach:

News.de:

Oe24.at:

N-tv.de:

N24.de:

Die Geschichte kommt ursprünglich vom britischen Knallportal “Mail Online” und sorgt seither europaweit für Empörung, angeblich haben sogar 30.000 Menschen eine Petition unterzeichnet, die eine Gefängnisstrafe für die Katzenbesitzerin fordert. Für viele deutsche Kommentarschreiber ist das noch zu wenig, sie fordern:

Diese Frau gehört erschossen!

diese Scheißbande sofort in Säure schmeißen…… aber vorher die Haut mit stumpfen Klingen ritzen

Deppate drecksnutte gehört verbrennt die sau!

Und was sagt die Beschuldigte? Laut N24.de ist sie sich …

keiner Schuld bewusst: Auf ihrem Blog rechtfertigt sie die Aktion.

Folgt man dem Link und liest, was dort steht (was leider weder N24 noch sonst irgendeiner der abschreibenden Journalisten getan hat), erfährt man ein nicht ganz unwesentliches Detail dieser Geschichte: Die Katze ist gar nicht tot. Sie lebt putzmunter (und schon deutlich weniger pink) bei einer neuen Besitzerin:

Im Text erzählt die neue Besitzerin, dass kein einziger Journalist sie kontaktiert habe, um zu überprüfen, ob die Geschichte überhaupt stimmt.

„Es ist sehr traurig, dass die Menschen alles glauben, was in den Boulevardmedien steht, die nicht mal die Fakten checken.“

Elena Lenina, die die Katze gefärbt hatte und der nun Hunderte Menschen öffentlich den Tod wünschen, will juristisch gegen die Falschmeldungen vorgehen.

Mit Dank an Katharina K.

Nachtrag, 20.25 Uhr: N24 hat sich für den Fehler entschuldigt und den Artikel gelöscht.