Archiv für dpa

Bild, dpa  

Und nochmal die ’85, bitte, extra scharf

Es gibt sie noch, die guten Dinge, die auch einer schnelllebigen Welt wie der unsrigen über Jahrzehnte konstant bleiben. Die Ausweitung des Fahrverbots für LKW in der Ferienzeit zum Beispiel feiert in diesem Jahr schon ihren 25. Geburtstag. Seit 1985 dürfen Laster mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 Tonnen im Juli und August nicht nur sonntags, sondern auch samstags tagsüber die wichtigsten Autobahnen nicht befahren. Das wurde damals in der “Verordnung zur Erleichterung des Ferienreiseverkehrs auf der Straße” festgelegt.

Nun neigt der Mensch aber dazu, solche Errungenschaften als Selbstverständlichkeit hin- und gar nicht mehr wahrzunehmen, weshalb sich Verkehrsminister Peter Ramsauer und die “Bild”-Zeitung anscheinend etwas Besonderes ausgedacht haben. “Bild”-Chefkorrespondent Einar Koch schreibt auf der Titelseite “Brummi-Fahrverbot auch an Samstagen” und tut mehr oder weniger unterschwellig so, als handele es sich dabei um eine Erfindung Ramsauers.

In der Online-Version seines Textes reicht es sogar zu mehreren Ausrufezeichen:

Ramsauer weitet Brummi-Fahrverbot aus!

Zumindest an Wochenenden soll es in der einsetzenden Reisezeit keine “Elefanten-Rennen” auf der Autobahn geben: Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verschärft das Fahrverbot für Brummis!

Der Minister verfügte jetzt in einem Ukas an die obersten Landesbehörden und Dienststellen der Verkehrspolizei Sonderregelungen für die Reisezeit vom 1. Juli bis 31. August. (…)

Den Minister freut’s sicher. Nachdem die “Bild”-Zeitung vorab berichten durfte, veröffentlicht die Regierung eine Reihe von Pressemitteilungen und Texten, mit teils wortgleichen Formulierungen und Zitaten wie in “Bild”, die sich natürlich auch keine besondere Mühe geben darauf hinzuweisen, wie gering der tatsächliche Anteil Ramsauers an dieser für viele Autofahrer erfreulichen Maßnahme ist.

Und das Schöne für ihn: Er ist nicht nur in “Bild” der Held. Die Nachrichtenagentur dpa ist, wie so oft, auf die Vorabmeldung der Boulevardzeitung hereingefallen und verbreitete die vermeintliche Neuigkeit noch in der Nacht unter der Überschrift: “‘Bild’: Ramsauer verschärft Lkw-Fahrverbot”.

Mit Dank an Tobias K.!

Bild, dpa  etc.

Wir basteln uns eine “Splitterbombe”

Irgendwas ist am Samstag bei einer Großdemonstration in Berlin passiert. Was genau es war, darüber sind sich die Ermittlungsbehörden noch nicht ganz sicher.

Die Deutsche Presse Agentur und zahlreiche andere Medien sprechen seit Tagen von einer “Splitterbombe”, die explodiert sei — eine Erklärung, die die Staatsanwaltschaft ausschließt.

Die “taz” hat eine Chronologie darüber verfasst, wie aus einem unklaren Fall “Linksterror” wird:

Macht der Islam Jugendliche gewalttätig?

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen KFN macht es Journalisten mit seinem jüngsten Forschungsbericht “Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration und Medienkonsum” nicht leicht. Immerhin umfasst das unter Federführung von Institutsdirektor Prof. Dr. Christian Pfeiffer entstandene Mammutwerk, für das 45.000 Schülerinnen und Schüler befragt wurden, stolze 324 Seiten — und das ohne Such- und Kopierfunktion.

Da trifft es sich gut, dass das KFN — wie schon bei der kürzlich veröffentlichten Studie zur Polizeigewalt (BILDblog berichtete) — so freundlich war, auch eine zweiseitige Kurzzusammenfassung mit dem Titel “Religion, Integration und Delinquenz junger Menschen in Deutschland” zu erstellen. Dieser Kurzbericht konzentriert sich fast ausschließlich auf den Zusammenhang von Religiosität und Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen, der in der zugrunde liegenden Studie nur einen kleinen Teil ausmacht. Laut Pfeiffer liegt das daran, dass gerade zu diesem Aspekt neue Erkenntnisse gewonnen wurden.

Aus der Studie geht hervor:

Für junge Christen gilt, dass sie mit steigender Religiosität weniger Gewalttaten begehen. Bei jungen Migranten sinkt beispielsweise die Quote der Gewalttäter von 21,8 Prozent (nichtreligiöse Jugendliche) auf 12,4 Prozent (sehr religiöse Jugendliche) oder den Angehörigen sonstiger Religionen entsprechend von 26 Prozent auf 8,5 Prozent. Für junge Muslime geht dagegen die zunehmende Bindung an ihre Religion mit einem Anstieg der Gewalt einher. Die höchste Quote erreichen hier die “sehr religiösen” Jugendlichen mit 23,5 Prozent, die niedrigste die “etwas religiösen” mit 19,6 Prozent.

Dieser — wohlgemerkt relativ geringe — Anstieg der Gewaltbereitschaft betrifft ausschließlich “sehr religiöse” muslimische Jugendliche, nicht aber “etwas religiöse” oder “religiöse” (vgl. Tabelle KFN-Studie, S. 116). Er wird sowohl in der Langfassung als auch in der Kurzfassung der Studie nicht etwa mit der Religon, sondern mit anderen Faktoren wie der Akzeptanz gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen (“Machokultur”), der Zahl straffälliger Freunde oder der Nutzung gewalthaltiger Medien begründet.

In einem Artikel der “Süddeutschen Zeitung” mit dem sehr plakativen Titel “Die Faust zum Gebet”, dessen Inhalt über dpa und AFP seinen Weg in weitere Medien fand, wird KFN-Direktor Christian Pfeiffer dennoch so zitiert (alle folgenden Hervorhebungen von uns):

Selbst wenn man diese Faktoren herausrechnet, bleibt ein signifikanter Zusammenhang zwischen Religiosität und Gewaltbereitschaft.

Da könnte man glatt meinen, Herr Pfeiffer kennt seine eigene Studie nicht, denn was die Signifikanz angeht, kann man an mehreren Stellen (der für vielbeschäftigte Journalisten zu zeitaufwendigen Langfassung) das genaue Gegenteil lesen:

Das Modell III belegt ferner, dass diese erhöhte Gewaltbereitschaft weitestgehend auf andere Belastungsfaktoren zurückzuführen ist, wobei die vier bereits bekannten Faktoren einbezogen werden. Dies führt dazu, dass von der Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgruppe kein Effekt mehr auf das Gewaltverhalten zu beobachten ist. (KFN-Studie, Seite 116)

(…) Mit stärkerer religiöser Bindung steigt die Gewaltbereitschaft tendenziell an. Da dieser Zusammenhang aber als nicht signifikant ausgewiesen wird, ist bei islamischen Jugendlichen von keinem unmittelbaren Zusammenhang (und damit auch nicht von einem Gewalt reduzierenden Zusammenhang) zwischen der Religiosität und der Gewaltdelinquenz auszugehen. (KFN-Studie, S. 118)

(…) Mit den hier dargestellten Forschungsergebnissen ist noch nicht ausreichend belegt, dass der Islam für die dargestellte Problematik direkt verantwortlich gemacht werden kann. Zur Klärung bedarf es tiefergehende Analysen (…). (KFN-Studie, S. 129)

Auf Anfrage von BILDblog sagte Pfeiffer dazu: “Die Formulierung im Text der SZ ist offenkundig die Folge davon, dass man meine Aussage aus Platzgründen verkürzt wiedergegeben hat.”

Dumm nur, dass die Kombination aus einer “verkürzten Aussage”, einer unsachlichen Überschrift und enormer Recherchefaulheit längst den Siegeszug durch die Medien angetreten hat und so auch zu einem gefundenen Fressen für islamfeindliche Seiten und Blogs wurde. Denn obwohl in der KFN-Studie kein signifikanter Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit und dem Islam festgestellt werden konnte, rauschte es im Blätterwald so:

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Neonazis gibt es immer noch nicht

Am 30. Juni wird in Berlin ein neuer Bundespräsident gewählt. Aber wer steht eigentlich zur Wahl, wie viele Kandidaten gibt es?

Drei Kandidaten, zwei Blickrichtungen
(“Frankfurter Allgemeine Zeitung”)

Ginge es nach den meisten Meldungen, so “sind” es jetzt “drei”, “Drei für Bellevue” (Audio-Link), seit Luc Jochimsen Christian Wulff und Joachim Gauck “herausfordern” soll.

All diese Berichte übergehen den Kandidaten der NPD, den rechten Liedermacher Frank Rennicke.

Das Phänomen ist nicht neu: Bereits bei seiner Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl im vergangenen Jahr mühten sich viele Medien, Rennicke totzuschweigen — mit dem zweifelhaften Ergebnis, dass der jetzt mit dem “Bericht eines totgeschwiegenen Bewerbers” hausieren gehen kann.

In den Agenturmeldungen der vergangenen Tage hat es Rennickes Kandidatur auf zwei anekdotische Erwähnungen gebracht. Größer gemeldet wurde dagegen, dass die “Freien Wähler” (anders als ursprünglich angekündigt) keinen eigenen Kandidaten aufstellen werden.

“Spiegel Online” immerhin hat Rennickes Kandidatur bereits in einem Bericht über den NPD-Parteitag erwähnt und führt ihn (anders als letztes Jahr) in der Auflistung der Kandidaten:

Kandidaten: Joachim Gauck (parteilos), Christian Wulff (CDU), Luc Jochimsen (Die Linke), Frank Rennicke (tritt für die rechtsextreme NPD an)

Die Deutsche Presseagentur (dpa) hat es hingegen geschafft, einen Hintergrundbericht über “Zählkandidatinen” (und -kandidaten) zu veröffentlichen, in dem alle Bewerber um das Amt des Bundespräsidenten seit 1979 aufgelistet werden — nur die der rechten Parteien (Hans Hirzel 1994, Rennicke 2009 und ’10) fehlen.

So macht man es den Rechtsextremen natürlich besonders leicht, sich in einer Opferrolle zu inszenieren.

Mit Dank an S.W. und Georg S.

100fach vertan

Zement, ein eher trockenes Thema. Und auch der Ausbau eines Zementwerks im schleswig-holsteinischen Lägerdorf ist vermutlich primär für die Lokal- und Fachpresse interessant.

Aber wenn ein Unternehmen in Krisenzeiten mal eben knapp das Doppelte seines letztjährigen Jahresumsatzes investiert, ist das schon eine Meldung wert:

Holcim investiert 700 Millionen Euro in Lägerdorf

Oder auch nicht.

Die 700 Millionen stammen nämlich aus einer dpa-Meldung, die die Agentur am Dienstag relativ schnell bemerkte und korrigierte:

Holcim investiert 700 Millionen Euro in Lägerdorf. KORREKTUR: Holcim investiert 7 Millionen Euro in Lägerdorf

Aber so eine Korrekturmeldung erreicht nicht immer auch den Leser: Bei n24.de oder volksfreund.de sind die Ursprungsmeldungen unverändert, Korrekturen nicht zu finden.

Die Abweichung geht übrigens nicht – wie sonst üblich – auf einen Übersetzungsfehler zurück, sondern war “ein (ärgerlicher) Flüchtigkeitsfehler bei uns”, wie uns dpa auf Anfrage mitteilte.

[via Baulinks]

Nachtrag, 18 Uhr: Volksfreund.de hat die 700 Millionen nun zu 7 Millionen korrigiert.

AFP, dpa  

Früher haben 138 % der Frauen geheiratet

Üben wir mit einem fiktiven Beispiel. Nehmen wir an, von zehn Journalisten versteht einer was von Statistik. Dann besucht einer von den anderen erfolgreich einen Kurs “Statistik für Journalisten”. Damit verdoppelt sich die Zahl der Journalisten, die was von Statistik verstehen. Aber es halbiert sich nicht die Zahl der Journalisten, die nichts von Statistik verstehen.

Klar?

Gut, dann schauen wir uns jetzt die Statistikfähigkeiten von Journalisten in der Praxis an. Die “Welt am Sonntag” ist heute mit einem großen, mehrseitigen “Ehe-Report” erschienen. Unter der Überschrift “Heiraten? Ja, bitte! Oder?” berichtet sie unter anderem über Prognosen des Bevölkerungsforschers Jürgen Dorbritz, wonach ein erheblicher Teil der heute 20-Jährigen nie heiraten wird. Als Werbemaßnahme hat die “Welt am Sonntag” einige Ergebnisse und Zitate bestürzter konservativer Politiker vorab an die Agenturen gegeben, und so meldet dpa unter Berufung auf die “Welt am Sonntag” unter Berufung auf Dorbritz:

Gegenüber 1980 habe sich die Heiratswahrscheinlichkeit damit halbiert.

AFP echot:

Im Vergleich zu 1980 habe sich die Heiratswahrscheinlichkeit damit halbiert.

Das wäre allerdings überraschend, denn die Wahrscheinlichkeit der heute 20-Jährigen, irgendwann mindestens einmal zu heiraten, liegt laut Dorbritz bei 69 Prozent (Frauen) und 62 Prozent (Männer). Demnach müsste die Heiratswahrscheinlichkeit 1980 bei weit über 100 Prozent gelegen haben, was schwer zu erklären, um nicht zu sagen: unmöglich wäre.

In Wahrheit hat sich nicht die Zahl derjenigen halbiert, die heiraten werden. Vielmehr hat sich bloß die Zahl derjenigen verdoppelt, die nicht heiraten werden.

Und dass diesen offenkundigen Fehler weder dpa gemerkt hat noch AFP noch sueddeutsche.de, wo man einen eigenen Remix aus mehreren Agenturen produziert hat, lässt unser Eingangsbeispiel noch optimistisch wirken.

Nachtrag, 5. April. Auf sueddeutsche.de ist plötzlich der ganze Artikel nicht mehr vorhanden. AFP hingegen hat die fehlerhafte Meldung heute Vormittag als “Feiertagswiederholung” einfach noch einmal gesendet.

Mit Dank an Matthias S.!

Eine Meldung für die Saure-Gurkhas-Zeit

Seit gestern macht eine Meldung die Runde:

Filmemacher Matthew Vaughn hat genug von irren Stalkern: Schiffer-Ehemann: Elite-Soldaten schützen meine Familie!

Claudia Schiffer + Matthew Vaughn: Gurkha-Kämpfer zum Schutz vor Stalkern. Nachdem Claudia Schiffer und Matthew Vaughn immer wieder unschöne Begegnungen mit Stalkern hatten, lässt sich das Paar seit einigen Jahren von einer Gruppe nepalesischer Ex-Soldaten schützen

Claudia Schiffer: Ihr Mann hat Angst um sie

Verbrechensprävention: Ex-Soldaten beschützen Claudia Schiffer

Mittwoch, 24. März 2010: Claudia Schiffer wird von Elite-Soldaten bewacht

Claudia Schiffer: Elitesoldaten als Leibgarde. Claudia Schiffer geht nur noch in Begleitung von nepalesischen Elitesoldaten aus dem Haus. Ihr Ehemann hat so große Sorge um seine Frau, dass er die "trainierten Killer" engagiert hat.

Leibwache: Claudia Schiffer wird von Elite-Soldaten geschützt. Topmodel Claudia Schiffer wird sehr gut bewacht. Ihr Mann Matthew Vaughn ist so um das Wohl der Familie besorgt, dass er Gurkhas – eine nepalesische Sondereinheit der britischen Armee – angeheuert hat. „Sie sind großartige Leute. Und sie sind trainierte Killer", sagte der britische Filmemacher.

Schiffers Ehemann heuert trainierte Killer an

Die Information mit den Ex-Soldaten haben die meisten Medien von der Deutschen Presse-Agentur, die dieses Detail aus einem eher umfangreichen und thematisch vielschichtigen Interview destilliert hat, das Claudia Schiffers Ehemann Matthew Vaughn der britischen “Sun” gegeben hat.

Allerdings hat dpa auch noch selbst etwas recherchiert:

Schiffers Sprecherin bestätigte der dpa am Mittwoch in London, dass die Gurkhas “seit langem” zum Personal der Familie gehören.

Um dieses “seit langem” genauer zu quantifizieren, hätten dpa oder Teile der weiter verbreitenden Medien nur einen Blick in ihre eigenen Archive werfen müssen:

28.12.2004 Vorsichtiges Model: Elitesoldaten bewachen Claudia Schiffer

28. Dezember 2004, 15:21 Uhr Personenschutz: Nepalesen wachen über die Schiffers

Claudia Schiffer (34), Supermodel, und Ehemann Matthew Vaughn (33) setzen beim Personenschutz einen neuen Trend. Nach einem Bericht des "Daily Mirror" hat das Paar zur Bewachung britische Gurkhas angeheuert. Die zur britischen Armee gehörenden Eliteeinheiten aus Nepal sind für ihre Unerschrockenheit bekannt. Schiffer-Freundin Madonna soll so beeindruckt gewesen sein, daß sie die Ex-Soldaten auch für ihren Schutz einsetzen will.

Claudia Schiffer holt sich die härtesten Bodyguards der Welt

Claudia Schiffer heuert Elite-Soldaten an: Gurkhas schützen ihr Haus

Andererseits wäre bei so einem Gang ins Archiv vielleicht aufgefallen, dass es eigentlich keinen Grund für die jetzige Meldung gab.

Mit Dank an Judeth.

B.Z., dpa  

Die Rotlicht-Bullen von Dannenberg

Manchmal reichen fünf Zeilen, um ein riesiges Fragezeichen über dem eigenen Kopf erscheinen zu lassen:

Bullen sahen rot DANNENBERG - Zwei Bullen sahen aus ihrem Transport-Anhänger eine rote Ampel, wurden wild und stürmten aus ihrem Gefährt. Vier Polizisten fingen sie ein. (dpa)

Dabei weiß doch jedes Grundschulkind, dass Rinder gar kein Rot sehen können und Stiere auch nicht auf die Farbe des Tuchs in der Hand des Toreros reagieren, sondern auf dessen Bewegungen. Warum sollten Bullen dann an einer roten Ampel (und zwar an einer bestimmten) durchdrehen?

Die Mini-Meldung, die heute in der “B.Z.” steht, ist die Kurzfassung der Remix einer dpa-Meldung (passenderweise aus den Ressorts “Tiere” und “Buntes”), die insgesamt ein bisschen weniger falsch ist:

Bei Rot rissen die Bullen aus

Dannenberg (dpa) – Sonst greifen Bullen bei Rot an – diese beiden Exemplare aus Niedersachsen rissen aus, als ihr Transportanhänger vor einer roten Ampel hielt: Die Zwölfzentner-Tiere brachen am Mittwoch in Dannenberg aus dem Gefährt einer Viehverwertungsfirma aus. Vier Beamte nahmen die Verfolgung auf und konnten zunächst eines der beiden Tiere einfangen. Der zweite Bulle erwies sich dagegen als störrisch. Auf einem Friedhof beendete ein Tierarzt den Ausflug mit einem Betäubungsschuss in den Bullenhintern. Als das Tier wieder erwachte, führten die Polizisten es in den Anhänger ab.

Der Halbsatz am Anfang ist natürlich Quatsch, aber immerhin stimmt hier, dass die Tiere die Chance nutzten, als der Transporter stehen blieb — so steht es nämlich auch in der Polizeimeldung.

Der dpa-Landesdienst Niedersachsen hat übrigens alles richtig gemacht und auf jeden Verweis in Richtung “rotes Tuch” verzichtet.

Mit Dank an Marcel T.

Perlen vor die Geisterhunde

Sie haben die Nachricht sicher gehört, die das britische Königshaus und die Welt erschüttert: Otto, der schwarze Cocker-Spaniel von Kate Middleton, hat ein Paar Ohrringe gefressen, das Prinz William seiner Freundin zum Geburtstag geschenkt hatte.

Die britische Boulevardzeitung “Mail on Sunday” enthüllte das Drama am vorvergangenen Sonntag auf ihrer Titelseite. Der “Daily Telegraph” kopierte die Informationen und Zitate in sein Internet-Angebot und die gedruckte Ausgabe am nächsten Tag. Von dort übernahm sie die deutsche Nachrichtenagentur dpa und sorgte dafür, dass neben zahlreichen OnlineMedien auch “Berliner Zeitung” und “Tagesspiegel” ein paar Tage später ihre Leser über das Ereignis informieren konnten.

Der Ursprungsartikel der “Mail on Sunday” beschreibt unter Berufung auf einen anonymen “Freund” in großer Detailfreude, wie plötzlich die sehr, sehr wertvollen Schmuckstücke vom Nachttisch verschwunden waren und dass Kate Middleton ihren Otto verdächtigte, sie gefressen zu haben. Sie sei daraufhin immer wieder mit ihm Gassi gegangen, bis die Ohrringe auf natürlichem Weg wieder ans Tageslicht kamen — allerdings völlig zerkaut.

Es ist eine tolle Geschichte, wäre da nicht ein lästiges Detail: Kate Middleton hat gar keinen Hund.

Die “Mail” hat inzwischen vage eingeräumt, dass ihr Artikel Fehler enthalte, und ihn von ihrer Internetseite entfernt — “aus Höflichkeit”. Auch der “Daily Telegraph” behauptet zumindest nicht mehr, dass es Otto gewesen sei, sondern, wenn überhaupt, dessen Hundeschwester Ella, die Kate Middletons Familie gehöre.

Die “Mail” will ihren Artikel der für Prinz William zuständigen Pressestelle des Königshauses vorgelegt haben, die ihr aber keinen Wink gegeben habe, dass die Geschichte unwahr sei. Vermutlich haben die Pressesprecher der Zeitung nur dasselbe gesagt wie der dpa: kein Kommentar. Und obwohl das offenbar die Standard-Antwort ist auf Anfragen, die Kate Middleton betreffen, scheint auch dpa die Nicht-Antwort als praktisches Indiz genommen zu haben, dass eine Geschichte ohne vertrauenswürdige Quelle, aber ohne Dementi, schon stimmen wird — obwohl sich auf Nachfrage von BILDblog herausstellt, dass auch bei der Nachrichtenagentur niemand weiß, ob Kate Middleton überhaupt einen Hund hat, geschweige denn, was für Schmuck er so frisst.

Das allerdings ist nichts gegen die Meldung, die das Nachrichtenmagazin “Bunte” in seinem Online-Ableger veröffentlichte. Die Kollegen nutzen freie Recherchekapazitäten von ihrer eigentlichen Arbeit als Staatsaffären-Enthüller ja gelegentlich, um Klatschgeschichten nachzugehen. Und sie erfanden auf der Grundlage des “Mail on Sunday”-Märchens in der “Daily Telegraph”-Version einfach ihre eigene Lügengeschichte, verlegten den Vorfall von Januar in die Gegenwart und verzichteten auch auf die eklige Episode vom Durchsuchen des Hundekots: Bei bunte.de werden die Ohrringe nur durchgekaut, aber nicht heruntergeschluckt. Und damit es zu ihrer Version der Ereignisse passt, machten die “Bunte”-Leute aus dem Original-Zitat Prinz Williams, Kate müsse halt einfach warten, bis der Schmuck hinten wieder rauskommt, kurzerhand einen Konjunktiv: Kate hätte doch einfach warten sollen, bis der Schmuck hinten wieder rauskommt.

Anderseits: Warum soll man bei einer Geschichte, die eh falsch ist, bei der “Wahrheit” bleiben?

Mit Dank an “Tabloid Watch”.

Die Reifeprüfung

Schlechte Nachrichten, die die Deutsche Presse-Agentur da heute Morgen um 5.30 Uhr unter der Überschrift “Jeder zweite Schulabgänger ‘nicht ausbildungsreif'” verkündet hat:

Fast jeder zweite Schulabgänger gilt als “nicht ausbildungsreif” und muss vor Vermittlung in eine Lehrstelle zusätzliche Fördermaßnahmen absolvieren. Dies geht aus dem Entwurf des “Berufsbildungsberichts 2010” der Bundesregierung hervor, der der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegt.

Doch es reich nicht immer aus, wenn einem so ein Entwurf vorliegt — man muss ihn auch verstehen. Und das ist gar nicht so einfach, wie ein Sprecher des Bundesministeriums für Bildung und Forschung uns gegenüber zugab.

Der Journalist von dpa habe einfach die Zahl aller Schulabgänger aus dem Jahr 2008 mit der Zahl der Eintritte in sogenannte berufsgrundbildende Maßnahmen verglichen und war so auf einen Wert von 47,3% gekommen. Übersehen hatte er dabei aber, dass diese Maßnahmen auch von Abgängern anderer Jahrgänge in Anspruch genommen werden können, dass sie mehrfach besucht (und dann auch mehrfach gezählt) werden können und dass sie teilweise von “ausbildungsreifen” Jugendlichen zur Qualifikationsverbesserung genutzt werden.

All das hat das Ministerium in einer ersten Reaktion auf den dpa-Bericht auch mit einer etwas umständlichen Pressemitteilung ausdrücken wollen, doch da waren die Jugendlichen schon in den Brunnen gefallen: Weil sie die mutmaßlichen Ergebnisse des Berichts, der Mitte April dem Kabinett vorgelegt werden soll, direkt verkünden wollten, hatten Onlinemedien wie “Spiegel Online”, “Welt Online” und RTL.de (dort übrigens unter der beeindruckenden Überschrift “Viele Schulabgänger zu dumm zum Arbeiten”) die Fehlinterpretation von dpa bereits in die Welt getragen.

Doch nicht nur das. Auch die Zahlen von 2005, mit denen dpa (und damit auch “Spiegel Online” und “Welt Online”) die von 2008 vergleicht, sind falsch, weil auf die gleiche Weise zustande gekommen:

Zwar sei die Zahl der von der Bundesagentur für Arbeit als “nicht ausbildungsreif” eingeschätzten Jugendlichen zwischen 2005 und 2008 wieder leicht zurückgegangen – und zwar von 55 Prozent auf 47,3 Prozent. Doch gebe es für diese Gruppe der Schulabgänger immer noch erhebliche Probleme bei der Ausbildungsplatzvermittlung.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Begriff “nicht ausbildungsreif” oft sehr unterschiedlich definiert wird. Wenn man ihn mit “gar keinen Schulabschluss schaffen” gleichsetze, liege der Wert seit Jahren bei rund 8%, so der Ministeriumssprecher weiter.

Ohne ihre erste Version über die “Ausbildungsreife” zurückzuziehen, hat dpa um 15.11 Uhr einen ausführlicheren Text über den Entwurf zum Berufsbildungsbericht verschickt, in dem es jetzt heißt:

Der Anteil der Jugendlichen, die zwischen Schule und Eintritt in die Berufsausbildung zunächst einen ergänzenden Grundbildungskurs besuchen, wird in dem Bericht für das Jahr 2008 mit 47,3 Prozent beziffert. 2005 lag dieser Anteil laut Bericht sogar bei 55 Prozent.

Die Möglichkeit, dass manche Absolventen dieser Kurse mehrfach gezählt werden, ist da immer noch nicht berücksichtigt. Oder wie es das Bundesministerium für Bildung und Forschung formulierte: Die neue Version ist “schon richtiger, aber immer noch nicht ganz richtig”.

Mit Dank an Hendrik W.

Nachtrag, 4. März, 0.30 Uhr: Um 20.03 Uhr verschickte dpa eine Berichtigung des ersten Textes:

Berichtigung: In der Überschrift und im ersten Absatz wurden die Zahlenangaben entfernt. Das Bundesbildungsministerium hat darauf hingewiesen, dass bei der im Entwurf des Berufsbildungsberichtes 2010 “genannten Referenzgröße von 47,3 Prozent” bei den Teilnehmerzahlen für zusätzliche Bildungsmaßnahmen auch Schulabgänger früherer Jahrgänge mitgezählt worden seien. In der Zusammenfassung um 15.11 Uhr (dpa 4299) ist dieser Umstand bereits berücksichtigt worden.

Davon ab verzichtet dpa in dieser Version auf jedwede Prozentzahlen.

“Spiegel Online” hat seinen kompletten Artikel entfernt und durch diesen Hinweis ersetzt:

In eigener Sache

An dieser Stelle stand ein Artikel (“‘Mangelhaft’ für deutsche Schulabgänger”), in dem auf Basis der Nachrichtenagentur dpa falsch gewichtete Zahlen über die Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen berichtet wurden. Inzwischen hat die Agentur ihre Darstellung korrigiert und die Bundesregierung die ursprünglichen Zahlen dementiert. SPIEGEL ONLINE berichtet darüber in einem eigenen Artikel…

“Welt Online” hat seinen Artikel komplett überarbeitet, aber auf einen Hinweis darauf verzichtet.

Nur bei RTL.de heißt es weiterhin:

Die Bilanz ist erschreckend: fast jeder zweite Schulabgänger ist laut dem ‘Berufsbildungsbericht 2010’ der Bundesregierung zu unqualifiziert für eine Ausbildungsstelle.

2. Nachtrag, 10.45 Uhr: Wer ist natürlich gestern noch voll drauf reingefallen?

Berufsbildungsbericht: Sind unsere Azubis zu blöd?

Und wer verbreitet den Quatsch heute immer noch?

Ernst Elitz, früherer Intendant des Deutschlandradios, in einem Kommentar für “Bild”:

Handwerker suchen händeringend Lehrlinge. Sie wollen Arbeit schaffen. Aber fast jeder Zweite, der in eine Lehre soll, ist “nicht ausbildungsreif”.

Mit Dank an Andreas H.

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