Hertha BSC Berlin hat sich gestern von Trainer Lucien Favre getrennt. Eine willkommene Gelegenheit für “Bild”, eine Frage zu stellen:
Eine Frage mit Geschichte, denn wann immer in Deutschland oder weiten Teilen der bekannten Welt ein Trainer entlassen wird, sieht “Bild” Lothar Matthäus als Nachfolger. Im Profifußball gibt es kaum einen Verein, mit dem der “Bild”-Intimus nicht schon in Verbindung gebracht wurde. Die folgende Liste ist daher sicher unvollständig:
Als im Sommer zahlreiche Trainerposten neu besetzt werden mussten, druckte “Bild” “als Service” die Namen von 50 Trainern die gerade frei waren — ganz oben natürlich Matthäus. Der wurde im Mai auch als “Außenseiter” für den Posten des neuen Bayern-Trainers gehandelt, nachdem sein Name schon im Jahr 2007 bei der letzten Trainersuche der Bayern in “Bild” stand.
In einem Interview aus dem Juni dieses Jahres ist die Verzweiflung auf beiden Seiten daher fast zum Greifen nahe:
Bei menschlichen Dramen ist die Neigung des Boulevards, das Drama noch ein bisschen dramatischer zu machen, besonders groß. “Bild” berichtete in der vergangenen Woche zweimal über solche Dramen — und gab der Geschichte in einem Fall noch einmal einen ganz besonderen Dreh…
Fall eins spielt in der Nähe des Berliner Flughafens Schönefeld. Dort verbrennt sich eine Frau mit ihren drei Kindern im Auto. Zuvor, so berichtet “Bild”, hinterlässt sie ihrem Mann einen Zettel, eine kurze Notiz, die man als “Abschiedsbrief” werten könnte. Sie schrieb (wie auch die zuständige Staatsanwaltschaft bestätigt):
Der zweite Fall ereignet sich in Passau. Ein offenbar hoffnungslos betrunkener Mann betritt die Polizei, beginnt zu randalieren, nimmt einem Polizisten die Waffe ab, schießt auf ihn und verletzt ihn schwer. Auslöser, so mutmaßt “Bild”, könnte ein Streit mit der Frau des Täters gewesen sein. Denn auch sie hinterließ — laut “Bild” — eine Abschiedsnotiz:
Tatsächlich? Die Passauer Polizei sagt uns jedenfalls auf Nachfrage, dass es dort gar keinen Abschiedsbrief gegeben hat; erst recht nicht einen mit dem identischen Wortlaut wie im Fall Schönefeld.
“Bild” war da gestern “exklusiv” einer ganz heißen Sache, einer “Horror-Szene”, auf der Spur:
Was war (vor dreiviereinhalb Monaten) geschehen?
Wie BILD jetzt exklusiv erfuhr, wurden Berliner Polizisten sogar mit einer Granate attackiert, die das britische Militär im Anti-Terror-Kampf einsetzt. 47 Beamte wurden durch die giftigen Gase verletzt.
Die Geschichte klingt dramatisch, und sie klänge sicher noch dramatischer, wenn “Bild” nicht ein Foto der “Giftgas-Granate” abgebildet hätte:
“Nach vorläufigen Ermittlungen des Staatsschutzes habe es sich bei der Granate um einen vermutlich mit Reizgas befüllten “Nebelwurfkörper” gehandelt, sagte [ein] Sprecher der Berliner Polizei (…). Die Polizisten hätten Reizungen der Augen und Gesichtsschleimhäute erlitten sowie über Übelkeit und Schwindelgefühle geklagt (…). Sie hätten jedoch den Einsatz nicht abgebrochen. Auch habe keiner von ihnen die angebotene ärztliche Nachsorge in Anspruch genommen.”
Im “Spiegel-Online”-Artikel heißt es zudem, “dass eine derartige Chemiekeule zum ersten Mal gegen Polizisten eingesetzt wurde” (siehe auch “Berliner Morgenpost” vom 29. Mai 2009), was den Stolz der “Bild”-Zeitung, wonach es “nach BILD-Informationen (…) bundesweit das erste Mal [ist], dass eine Waffe mit derartiger Wirkung gegen Polizisten eingesetzt wurde” etwas schmälern dürfte.
So aber kann jeder, der sich dafür interessiert, nach “M7A2” googeln und beispielsweise auf diese Seite stoßen, auf der erklärt wird, dass Granaten dieses Typs “CS gas for riot control” verströmen. Sie werden also bei Straßenkämpfen von der Polizei eingesetzt und enthalten Tränengas. Klar: Das ist nichts, was man unbedingt aus nächster Nähe ins Gesicht kriegen möchte. Aber auch nichts, was man ernsthaft als “Giftgas” bezeichnen würde — schon gar nicht, wenn man vor drei Monaten aufmerksam “Spiegel Online” gelesen hätte (siehe Kasten).
Theoretisch wissen auch die “Bild”-Autoren, dass die “britische Militär-Granate!” so schädlich nicht sein kann, wenn sie gegen Menschen eingesetzt wird:
Wegen der starken Wirkung wurde sie für das Militär zur Bekämpfung von Aufständen und sogar für Anti-Terror-Einsätze entwickelt.
Nach dem “Bild”-Artikel sah sich der Berliner Polizeipräsident am gestrigen Nachmittag veranlasst, die Situation in einer Pressemitteilung klar zu stellen:
(…) Es handelt sich hier um einen Sachverhalt, der von der Berliner Polizei bereits unmittelbar nach dem 1. Mai umfassend und abschließend untersucht und ausgewertet wurde. Noch bevor das Ergebnis schon vor mehreren Monaten von der Polizei in verschiedenen Medien kommuniziert wurde, waren die betroffenen Beamten über den Inhalt selbstverständlich informiert.
Die heutige erneute Berichterstattung, die den Eindruck wecken könnte, es handele sich hier um neue Erkenntnisse, hat uns veranlasst, das damalige Untersuchungsergebnis erneut zu kommunizieren:
Es handelte sich bei dem Gegenstand nach Untersuchung der Kriminaltechnik um einen britischen Nebelwurfkörper, der mit Reizgas des Typs “CS” befüllt war. Dieses CS-Gas findet auch in handelsüblichen Selbstverteidigungs-Sprays Verwendung und stellt keine grundsätzliche Gesundheitsgefährdung dar. Die am 1.Mai beworfenen Polizeibeamten klagten unmittelbar nach dem Bewurf kurzfristig über Augen- und Atemwegsreizungen sowie Übelkeit. Jedoch musste keiner der Beamten verletzt vom Dienst abtreten. Aus diesem Grund meldeten sie den Vorfall auch erst nach dem Einsatz. Bei der daraufhin erfolgten intensiven polizeiärztlichen Untersuchung, die auch die Entnahme von Blutproben beinhaltete, wurden keine gesundheitlichen Schäden festgestellt. Selbstverständlich sind die Beamten unverzüglich über das Ergebnis der Untersuchungen umfassend informiert worden.
Eine Gefährdung der Anwohner bestand zu keiner Zeit.
Mit dem Sachverhalt befasst sich auch eine Pressemeldung der Deutschen Polizeigewerkschaft vom 19.09.2009*. Die darin enthaltenen Vorwürfe gegen den Polizeipräsidenten, die Mitarbeiter seien nicht informiert und der Vorgang nicht transparent dargestellt worden, entbehren jeder Grundlage.
*) Die DPolG-Pressemeldung (hier im Wortlaut), die übrigens quasi zeitgleich mit dem “Bild”-Artikel veröffentlich wurde, enthält — neben kruder Polemik — nicht nur ein Zitat des Berliner DPolG-Chefs, das sich wortgleich im “Bild”-Artikel wiederfindet, sondern auch sonst dieselben Infos, die “Bild” (ohne genauere Quellenangabe) “exklusiv erfuhr”.
Man darf den Presserat mit seinem drolligen Arsenal munitionsloser Waffen nicht unterschätzen. Bei einem sensiblen Medium wie der “Bild”-Zeitung kann eine Rüge von diesem Gremium nachhaltige Verletzungen hinterlassen.
Diese Sache mit Khaled al-Masri zum Beispiel, die nagt immer noch an “Bild”. Der Presserat erklärte vor zwei Jahren, “Bild” hätte “in ehrverletzender Art und Weise” über den Mann berichtet — dabei haben die feinen “Bild”-Redakteure Ulrike Brendlin und Hans-Jörg Vehlewald das CIA-Folteropfer doch nur verächtlich gemacht, seine Qualen heruntergespielt, seine juristischen und publizistischen Schritte als “Terror” bezeichnet, ihn “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” genannt und einen Artikel verfasst, den Hans Leyendecker von der “Süddeutschen Zeitung” mit den Worten “niederträchtig und verworfen” beschrieb.
Die Rüge hat “Bild” nachhaltig verstört. Schon dass der Pressekodex überhaupt auch für einen “ehrenwerten Staatsbürger” gilt, wie “Bild” al-Masri ironisch nannte! “Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters”, titelte das Blatt und vergaß vor lauter Fassungslosigkeit zu erwähnen, warum es eigentlich gerügt wurde, so dass es der Presserat in einer eigenen Presseerklärung extra noch einmal erklären musste: Die Zeitung habe “über einen Kranken, der möglicherweise durch die Entführung traumatisiert wurde, unter Missachtung dessen gesundheitlicher Situation in ehrverletzender Art und Weise berichtet”.
Bis heute will “Bild” nicht verstehen, dass ihr niemand grundsätzlich das Recht abgesprochen hat, über Khaled al-Masri und seine Ausfälle zu berichten. Die Zeitung erweckt den falschen Eindruck, man wolle sie daran hindern, die Wahrheit zu schreiben. Als der Mann nun den Neu-Ulmer Oberbürgermeister angriff und verletzte, tat sie deshalb so, als würde das ihre verbalen Ausfälle gegenüber al-Masri in irgendeiner Weise nachträglich rechtfertigen, und schrieb am Samstag:
PS: Wieder einmal nutzt “Bild” die Leserbriefspalte dazu, die eigene Meinung und die Vorurteile der Leser zu verstärken. Im Dienst der schlechten Sache diesmal wieder — Birgit S. aus Aschersleben:
Dazu wäre zweierlei zu sagen: Al-Masri ist seit 15 Jahren deutscher Staatsbürger. Und Frau S. eine alte Bekannte.
Allein im vergangenen Jahr hat “Bild” elf Leserbriefe von ihr veröffentlicht, Schwerpunkte: schlechtes Fernsehen, fiese Politiker und böse Ausländer.
Leser schreiben in “Bild”: Birgit S. (kleine Auswahl):
Zu: Islam-Terroristen verhöhnen deutsches Gericht
Ich weiß gar nicht, warum der Prozess zwei Jahre dauern soll. Leute, die viele Menschen in den Tod reißen wollen, gehören für immer weggesperrt.
(24.4.2009)
Zu: Gülsüm (†20) vom eigenen Bruder totgeknüppelt
Schon wieder wurde ein junges Mädchen so grausam ermordet, nur weil es die Lebensweise, die in Deutschland üblich ist, annehmen wollte. Wann begreifen diese Leute endlich, dass sie in Deutschland leben? Diese Verbrecher müssten in der Türkei ihre Strafe absitzen.
(4.4.2009)
Zu: Morsals Ehrenmörder hinter Panzerglas
Wann begreifen denn die Leute endlich, dass sie in Deutschland leben und sich hier an die Gepflogenheiten zu halten haben! Wieder muss über einen Ehrenmord verhandelt werden. Ein paar Tränen und es gibt Bewährung, obwohl ein Menschenleben geopfert wurde, nur weil die Schwester sich hier anpassen wollte.
(18.12.2008)
Zu: U-Bahn-Schläger mit Stinkefinger in den Knast
Endlich mal ein gerechtes Urteil. Ich hatte schon den Glauben an die Justiz verloren. Nur eines muss noch kommen: dass diese Herren ausgewiesen werden. (10.7.2008)
Zu: Deutsche Geisel wurde ermordet
Nun ist es raus. Aber wusste das nicht schon jeder, wollte daran aber nicht glauben? Hoffentlich werden die Angehörigen entschädigt für so ein grausames Verbrechen. Man geht in ein Land, um Geld zu verdienen oder zu helfen – und was ist der Dank? Man wird von solchen Leuten erschossen. Da gibt’s nur eines: Raus aus Afghanistan!
(4.8.2007)
Zu: Deutscher Junge (17) in Türken-Knast
Ich bete zu Gott, dass der Junge so schnell wie möglich wieder rauskommt.
(26.6.2007)
“Unangemessen sensationell” hat die “Bild”-Zeitung nach Meinung des Deutschen Presserats schon oft berichtet — diesmal über den Tod von Michael Jackson. Am 27. Juni hatte “Bild” auf der Titelseite ein riesiges Foto veröffentlicht, auf dem Jackson auf einer Trage liegend und an Beatmungsgeräte angeschlossen zu sehen war (Ausriss rechts oben, Verpixelung von uns). In Kombination mit der Überschrift “Hier verliert er den Kampf um sein Leben” entstehe bei Lesern der Eindruck, einem Menschen unmittelbar beim Sterben zuzusehen. Der Beschwerdeausschuss sieht darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde und hat “Bild” für diese Titelseite gerügt. Auch bei einem Popstar wie Jackson könne “das legitime Informations- und Unterhaltungsinteresse des Publikums nicht jeden Eingriff ins Persönlichkeitsrecht rechtfertigen”.
Richtlinie 11.1:
Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.
Auch Bild.de wurde gerügt: Dort war im Zuge der Berichterstattung über Jacksons Tod ein “grausam entstelltes, computergeneriertes Bild des Toten ohne Haare” (O-Ton Presserat) veröffentlicht worden, unter dem stand: “so in etwa könnte Jackson bei der Obduktion ausgesehen haben”. Der Presserat erklärte, Details über den Zustand seiner Leiche, die zudem auf Spekulationen beruhten, gehörten in die Privatsphäre des Verstorbenen und seien auch durch das öffentliche Interesse am Tod des Popstars und den Umständen nicht gedeckt. Die Darstellung wurde daher als schwerwiegender Eingriff in die postmortalen Persönlichkeitsrechte beurteilt.
Ebenfalls gerügt wurde Bild.de wegen der Veröffentlichung von Bildern einer amerikanischen Überwachungskamera, auf denen zu sehen war, wie eine Mutter auf einem Schießstand erst ihren Sohn und dann sich selbst erschoss, und die nach Ansicht des Presserats allein dazu dienten “zu schockieren”, sowie für die fiktive Darstellung eines brutalen Überfalles von Neonazis auf einen jungen Mann. (Solche Zeichnungen benutzt “Bild” in letzter Zeit öfter, um auch die schlimmsten Dinge, von denen es zum Glück keine Bilder gibt, zeigen zu können.) In beiden Fällen sah der Presserat die Veröffentlichungen als “unangemessen sensationell” an.
Weitere Rügen sprach der Presserat aus gegen:
die Zeitschrift “Das neue Blatt”, weil sie eine detaillierte Schilderung über die angeblich schwer demenzkranke Schauspielerin Doris Day ohne eigene Recherche und ohne jegliche Quellenangabe aus anderen Veröffentlichungen übernommen hatte.
die “Schwäbische Zeitung”, weil sie in der Berichterstattung über einen Streit innerhalb der Familie des Ortsvorstehers eines kleinen Ortes über den Gesundheitszustand der Schwester des Ortsvorstehers spekuliert hatte, woran nach Ansicht des Presserats kein öffentliches Interesse bestand.
die Fernsehbeilage “Prisma”, die mal wieder Schleichwerbung für medizinische Präparate in einem Artikel versteckt hatte.
Vor fünf Wochen diskutierten deutsche und internationale Medien darüber, ob Lady Gaga einen Penis habe oder nicht (BILDblog berichtete).
Vergangene Woche sprachen australische Radiomoderatoren die Sängerin selbst auf das Thema an (nachzuhören hier) und die Antwort (“Ich selbst bin nicht beleidigt. Meine Vagina ist beleidigt.”) schien selbst Bild.de überzeugt zu haben:
Damit ist das Thema dann wohl geklärt. Lady Gaga ist eindeutig eine Frau.
Nicht ganz so überzeugt war offenbar Viva-Moderatorin Collien Fernandes, die Lady Gaga bei einer Pressekonferenz in Berlin noch einmal auf das Thema ansprach und eine ähnliche Antwort erhielt. Anschließend wurde sie aus dem Saal geleitet.
In der Berliner Ausgabe berichtete “Bild” gestern über den “Skandal”. Dabei wiederholten die Zeitung und die Viva-Moderatorin unisono die äußerst unwahrscheinliche Behauptung, Lady Gaga habe den Wirbel um ihr Geschlecht selbst ausgelöst:
Die Sängerin schürte die Spekulationen auch noch selbst (“Ich bin sexy. Ich bin heiß. Ich habe eben beides”). Fernandes: “Wenn man so einen Skandal selber in die Welt setzt, finde ich dieses Verhalten etwas peinlich!”
“Welt Online” hielt den ganzen Vorfall für so bedeutend, dass man ihm gleich zwei fast wortgleiche Artikel widmete.
Auch dort kennt man keinerlei Zweifel an der Authentizität von Lady Gagas angeblichem Coming-Out:
Anlass für diese Frage war das anhaltende Gerücht, das Lady GaGa selbst in die Welt gesetzt hatte. In einem Interview hatte sie vor einiger Zeit gesagt: “Ich bin sexy. Ich bin heiß. Ich habe eben beides.” […]
Im Internet kursiert ihr eigener Blogeintrag, in dem sie sich als Zwitter outete: “Ich habe sowohl männliche als auch weibliche Genitalien – ich sehe mich aber als Frau.”
Nein. Es spricht alles dagegen, dass Lady Gaga sich selbst zu ihrem “Penis” bekannt hat — schon gar nicht in einem “Interview”.
Das Oberlandesgericht Hamburg hat der “Bild”-Zeitung untersagt, einen der beiden Täter zu zeigen, die Ende 2007 als “U-Bahn-Schläger” von München bekannt wurden. Das Blatt hatte in seiner Berichterstattung über den Fall und den Prozess immer wieder, teilweise groß auf der Titelseite, die Täter gezeigt. Einer der beiden, der zum Zeitpunkt der Tat erst 17 Jahre alt war, hat dagegen erfolgreich auf Unterlassung geklagt.
Er müsse zwar die Berichterstattung hinnehmen, nicht aber die Veröffentlichung seines Bildes, weil eine spätere Resozialisierung dadurch fast unmöglich gemacht werde. Die Freiheit der Berichterstattung müsse hier hinter dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers in den Hintergrund treten — das habe “Bild” durch die Veröffentlichung verletzt.
Der besondere gesetzliche Schutz jugendlicher Straftäter entfalle auch nicht, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Berichterstattung bereits volljährig ist. Daher sei eine Bildberichterstattung über die Straftat eines Jugendlichen unzulässig, urteilten die Richter (7 U 36/09, 7 U 37/09).
Vielleicht sollte Madonna mal was Herzhaftes essen. Schweinshaxe statt Algen etwa. Oder mit ihren 50 Jahren einfach kürzer treten.
Ja, vielleicht.
Unzählige Stunden hat Madonna schon in Fitness-Centern verbracht, um ihre Muskeln zu stählen und das Altern zu stoppen. Eine Fitness-Fanatikerin. Mit Diät-Wahn. Makrobiotisch, ihr Zauberwort. Kein Fleisch, keine Milch, kein Zucker. Kurz: Was schmeckt, ist verboten.
“Bild”, “B.Z”, “Basler Zeitung”, “Express”, “Bunte”, “Blick” und, ach, alle berichten, dass Madonna bei ihrem Konzert in Sofia zusammengebrochen (oder genauer: fast zusammengebrochen) sei. Sie haben das aus der britischen Boulevardzeitung “Sun”, und die hat nicht nur diverse anonyme “Insider”, sondern auch ein Beweis-Video, auf dem man sieht, wie sie nach hinten an einen ihrer Tänzer sinkt und erst, nachdem er sie besorgt geschüttelt hat, weitertanzt:
“Man könnte meinen, es gehört zur Choreographie”, heißt es am Anfang im Bild.de-Videobericht, aber anscheinend wollte niemand ernsthaft dieser abwegigen Möglichkeit nachgehen. Da das also ebenso auszuschließen ist wie die Möglichkeit, dass all diese professionellen Journalisten weltweit einfach irgendeinen Unsinn nachplappern, muss es wohl so sein, dass Madonna auf ihrer Tour jedesmal an derselben Stelle im Programm, wenn ein Michael-Jackson-Doppelgänger auftrat, ohnmächtig zusammengebrochen ist, fast so, dass man meinen könnte, es gehöre zur Choreographie:
Gegen den Wahnsinn der Medien dürfte allerdings auch eine Nahrungsumstellung von Algen auf Haxen nicht viel ausrichten.
Es sah aus wie eine Enthüllung, was die “Bild”-Zeitung gestern zum Thema der wieder verhafteten ehemaligen RAF-Terroristin Verena Becker zu bieten hatte:
“Bild” fragte den Sat.1-Moderator Stefan Aust, was das zu bedeuten habe, und Aust antwortete:
“Wenn sich jetzt herausstellt, dass Verena Becker schon 1972 Kontakt zum Verfassungsschutz hatte, dann muss man diesen Informationen nachgehen.”
Er vermutet “irgendeine Art Deal mit den Ermittlungsbehörden oder dem Geheimdienst”.
Spannende Sache, nur: Da hat sich jetzt nichts herausgestellt. Der Inhalt der Stasi-Akten, aus denen “Bild” zitiert, war erstens längst bekannt und ist zweitens mit größter Wahrscheinlichkeit anders zu interpretieren.
Der Südwestrundfunk berichtete schon im Juni 2007 über die Formulierung, über die “Bild” jetzt gestolpert ist. Die SWR-Reporter Tobias Hufnagl und Holger Schmidt fragten damals, anders als “Bild” heute, sogar bei dem zuständigen Stasi-Mitarbeiter nach, was dahinter steckte.
Nach den Worten Hufnagls bedeutet die Formulierung “von gegnerischen Diensten bearbeitet” nicht, dass Verena Becker schon 1972 in irgendeiner Weise für den Verfassungsschutz gearbeitet habe, sondern nur, dass sie Terroristin sei und von den Diensten als solche behandelt werde. “Unter Kontrolle halten” sei Stasi-Jargon für “beobachten”, als “Terrorist führen”. Auch das Bundeskriminalamt und die Generalbundesanwältin seien zu diesem Schluss gekommen.
Über den Satz aus der Stasi-Akte von Verena Becker ist seit 2007 immer wieder berichtet worden, zum Beispiel im Juli 2007 in der “taz”, im Oktober 2007 in der “Frankfurter Rundschau”, im Dezember 2007 in der “Zeit”, im November 2008 in der “Süddeutschen Zeitung”.
Aber weil die “Bild”-Zeitung im August 2009 so tut, als sei er erstens neu und zweitens spektakulär, glauben es viele Nachrichtenagenturen und Medien. Die Agentur AFP meldete gestern:
Laut “Bild” soll Becker bereits fünf Jahre vor dem Buback-Mord Kontakt zum Verfassungschutz gehabt haben. Die Zeitung zitiert einen Aktenvermerk der Stasi-Hauptabteilung II/2 vom 2. Februar 1978. Dort heißt es dem Blatt zufolge: “Es liegen zuverlässige Informationen vor, wonach die B.(ecker) seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird.”
Die Agentur AP demonstrierte ihre Ahnungslosigkeit mit einer Meldung unter der Überschrift:
Verfassungsschutzkontakt offenbar schon vor Buback-Mord / Laut “Bild” entsprechende Stasi-Akten über Verena Becker.
Und auch die Agentur ddp verbreitete die alte Geschichte unter Berufung auf “Bild” treuherzig als brisante Neuigkeit.
Am Nachmittag brachte AFP immerhin das nüchterne Dementi:
Die Bundesanwaltschaft bezeichnete den in den Stasi-Akten erhoben Vorwurf als bekannt und bereits widerlegt.
Und auch die Stasi-Unterlagenbehörde wies gestern laut “FAZ” darauf hin, “dass nach ihrer Lesart der Akte Frau Becker das Objekt, nicht die Kontaktperson für Aktivitäten des Verfassungsschutzes gewesen sei”.
Schöne Medienwelt: Am Montag bringt “Bild” eine alte und grob irreführende Geschichte. Am Dienstag steht sie in ungezählten vermeintlich seriösen Medien.
Der “Spiegel” hat ein langes Gespräch mit der Fernsehmoderatorin (und BILDblog-Freundin) Charlotte Roche geführt, in dem es am Rande auch um die “Bild”-Zeitung geht:
SPIEGEL: Über die private Charlotte Roche weiß man kaum etwas von Belang.
Roche: Ich bin ein riesenaggressiver Beschützer meiner Privatsphäre. Ich will nicht, dass die “Bild”-Zeitung über meine Familie schreibt. Ich klage gegen alles. Wenn “Bild” schreibt, Charlotte Roche ist 29, dann erstreiten wir eine Gegendarstellung, dass ich 31 bin. Ich gehe gegen wirklich alles vor, was die machen. (…)
SPIEGEL: Wie finden Sie die aktuelle “Bild”-Werbekampagne mit Prominenten?
Roche: Widerlich. Es gibt eine Liste in meinem Kopf, und da werden Personen gestrichen: Supernanny – fand ich nett, ist jetzt gestorben. Werbung für “Bild”, völlig untendurch, egal, was die noch sagt. Es sind ja auch Leute darunter, die selbst viel gegen “Bild” klagen. Das ist doch eine fiese Doppelmoral. Ich bin da viel nachtragender.
SPIEGEL: Alice Schwarzer?
Roche: Gestorben.
SPIEGEL: Richard von Weizsäcker?
Roche: Gestorben.
SPIEGEL: Johannes B. Kerner?
Roche: Auch gestorben. Sind die denn alle echt so eitel und denken: Toll, so viele Plakate in ganz Deutschland mit meinem Gesicht drauf?
SPIEGEL: Es gab einen langen Rechtsstreit mit “Bild” über die Berichterstattung zum Tod Ihrer drei Brüder bei einem Verkehrsunfall. Bekommen Sie nach wie vor Anfragen von “Bild”?
Roche: Ja, da weiß eine Hand nicht, was die andere tut. Es arbeiten sicher ganz nette und unschuldige Menschen dort. Sie kommen trotzdem alle in die Hölle. Ich rede mit denen niemals. Das ganze Blatt basiert nur auf Esoterik, auf Fragen wie: “Wer ist gestorben?”, “Wer hat geil Krebs?” und “Wer hat sich getrennt?”
(Das ganze Gespräch steht im aktuellen “Spiegel”.)