“Bild”, 4. September 2010:
“Bild”, 15. Dezember 2010:
- Mehr dazu: “Bild”, die Guttenberg-Bibel
“Bild”, 4. September 2010:
“Bild”, 15. Dezember 2010:
Wikileaks bestimmt noch immer die Schlagzeilen. Doch heute bekommen die Enthüllungen auf der Plattform selbst kaum Raum, vielmehr konzentriert sich die redaktionelle Aufmerksamkeit ganz auf den “Hacker-Krieg” um die Enthüllungsplattform. Die lose Gruppierung “Anonymous” hat zu Attacken auf vermeintliche Wikileaks-Feinde aufgerufen — und tatsächlich waren einige Webseiten für kurze Zeit nicht erreichbar.
Grund genug für Bild.de, drängende Fragen zu stellen:
Die Antwort jedoch enthält Bild.de seinen Lesern vor. Dass beide Gruppierungen betonen, keine direkte Verbindungen untereinander zu haben und dass “Anonymous” bereits zahlreiche andere Kampagnen durchgeführt hat, kommt weder in diesem, noch in den zwei anderen Artikeln zum Thema vor.
Stattdessen hat Bild.de ganz exklusiv erfahren wie teuer die Aktionen der “Wikileaks-Hacker” sind:
Die Zahl ist besonders beeindruckend, wenn man berücksichtigt, dass keine der bisher angegriffenen Organisationen ihren Sitz in Deutschland hatte. Die Schäden in den Ländern, die tatsächlich Ziel der Angriffe waren, müssen in die Trillionen gehen.
Oder auch nicht. Bei den Kollegen von “Welt Online” klingt es nämlich ganz anders:
Aber auch ohne Wikileaks sind deutsche Unternehmen seit Jahren in höchstem Maße durch Computerspionage gefährdet. Grobe Schätzungen sprechen von Schäden in Höhe von 20 bis 50 Milliarden Euro jedes Jahr. Laut einer Statistik des Wirtschaftsberatungsunternehmens KPMG wurde jedes vierte deutsche Unternehmen in den letzten drei Jahren Opfer von Cybercrime.
Bild.de hat also mal eben alle digitalen Straftaten in Deutschland auf das publizistische Konto von Wikileaks geschrieben. Weitere Exklusiventhüllungen um den Super-Bösewicht “Dr. Leaks” lassen damit bestimmt nicht lange auf sich warten.
Warum Assanges Aktivitäten so überaus verwerflich sind, erklärt Profi-Rechercheur ”Bild”-Kolumnist Ernst Elitz heute in einem Kommentar:
Zum Staatsfeind wird man also, wenn man keinen ordentlichen Journalismus betreibt, die Wahrheit unter der Oberfläche ignoriert und nur bloßstellen will. Wenn es danach geht, müsste Elitz eigentlich in Kürze zum Einsatz der Bundeswehr gegen Bild.de aufrufen.
Mit Dank auch an Alex.
Heute wurden die Ergebnisse einer neuen PISA-Studie vorgestellt, die sich vor allem mit der Lesekompetenz der Schüler beschäftigt. Grund genug für Bild.de, den Chef des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, zu dem Thema zu befragen.
Meidinger sagt, dass der relativ hohe Migranten-Anteil an unseren Schulen “mitverantwortlich” für das schlechte Abschneiden der Deutschen sei. Er bemängelt “die gescheiterte Integrationspolitik in Deutschland, die über mehr als zwanzig Jahre lang versäumt hat, das Problem der Sprachkenntnisse bei Einwanderern zu thematisieren und systematisch anzugehen”, fordert eine flächendeckende Sprachförderung von Kleinkindern und hebt den Einfluss des Elternhauses hervor:
Doch in vielen Einwanderer-Familien sei “die Sprachkompetenz der Eltern noch schlechter als die ihrer Kinder”.
Das führt laut Meidinger im Ergebnis dazu, dass Kinder aus sozial schwachen, bildungsfernen Migranten-Familien deutlich schlechtere Chancen auf einen erfolgreichen Schulabschluss haben als Kinder aus sozial bessergestellten, bildungsnahen Familien. “Dasselbe gilt natürlich auch für Kinder ohne Migrationshintergrund”, sagt der Bildungs-Experte weiter.
Also alles in allem durchaus differenzierte Antworten, die der “Bildungs-Experte” da gegeben hat. Bild.de fasst seine Aussagen so zusammen:
In der gedruckten “Bild” war für Ausdifferenzierungen dann gar kein Platz mehr:
Mit Dank an Vincent und Christian S.
Hiermit eröffnen wir unsere neue Serie “Fragen, wie sie nur ‘Bild’ stellen kann”:
Und so kam “Bild” dem Wunsch von Michelle Hunziker nach:
Mit einem fast halbseitigen Foto von hinter den Tüchern.
Mit Dank an Robert W.
Man fragt sich langsam, was die Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) an sich haben, dass sie so gerne falsch verstanden werden.
Als vergangene Woche in Hannover die “Zentralen Befunde des zweiten Forschungsberichts des Projekts ‘Gewalt gegen Polizeibeamte’ zu den Tätern der Gewalt” (PDF) vorgestellt wurden, in denen es in genau einem von zehn Punkten auch um Täter nichtdeutscher Herkunft ging, titelte die Hannoveraner Regionalausgabe von “Bild” reißerisch:
… und liegt damit klar daneben. Denn während “Bild” behauptet, “42,9 Prozent der Schläger sind Migranten, vor allem Muslime, Russen”, heißt es im KFN-Bericht unter Punkt 2:
Von allen berichteten Tätern hatten laut Angaben der Polizeibeamten 37,8 % eine eindeutig benennbare nichtdeutsche Herkunft.
Wo “Bild” die 42,9 Prozent her hat, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Im KFN-Bericht, der sich übrigens auf eine wenig repräsentative Polizistenbefragung aus dem Jahr 2009 bezieht (BILDblog berichtete), findet sich diese Zahl jedenfalls nirgends, sodass von “fast jeder 2.” nur noch etwas mehr als ein Drittel übrig bleibt.
Auch handelt es sich bei den besagten Tätern nicht um “Migranten”, wie von “Bild” behauptet, sondern um Personen, die von betroffenen Polizisten für “Nichtdeutsche” gehalten werden. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler würde bestimmt dazugehören. Im KFN-Bericht heißt es dazu etwas schwammig:
Dabei wurde “Herkunft” im Fragebogen nicht definiert; aufgrund des deutlich über den in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] ausgewiesenen Anteil nichtdeutscher Täter (2009: 18,6 %) liegenden Wertes in der Stichprobe ist aber davon auszugehen, dass sich die Beamten beim Beantworten der Frage nach der Herkunft eher auf einen vorhandenen Migrationshintergrund und nicht auf das Vorliegen einer nichtdeutschen Staatsangehörigkeit bezogen haben.
Vielleicht hat die Unfähigkeit von “Bild”, was die Auswertung von Studien angeht, aber auch weniger mit dem Institut zu tun, das sie anfertigt, sondern vielmehr mit dem Thema “Islam”.
Eine andere Studie des Exzellenzclusters “Religion und Politik” ergab kürzlich, dass 58 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen dem Islam gegenüber kritisch eingestellt sind. Bemerkenswert an diesen Ergebnissen ist vor allem, dass die Deutschen nichtchristlichen Religionen gegenüber – also etwa auch dem Judentum oder dem Hinduismus – im europäischen Vergleich am intolerantesten abschnitten.
Bild.de interpretierte das dennoch ganz einfach so:
Der dazugehörige Artikel beginnt mit den Worten:
Ehrenmorde, Zwangsehen, religiöse Fanatiker – sie prägen das Bild vieler Deutscher vom Islam. Die Folge: Angst. Über die Hälfte der Deutschen steht dem Islam kritisch gegenüber.
Abgesehen davon, dass es in der Studie nicht um “Angst” ging, sondern darum, ob Menschen ein negatives oder ein positives Bild von verschiedenen Religionen haben, weiß man jetzt wenigstens, wo Intoleranz gegenüber und Angst vor dem Islam herkommen.
Nur für den Fall, dass Sie die letzten 43 Stunden abgeschnitten von der Außenwelt oder in der Redaktion einer österreichischen Boulevardzeitung zugebracht haben: Am Samstag wurde die ZDF-Sendung “Wetten dass … ?” erst unter- und dann abgebrochen, nachdem sich ein Wettkandidat beim Sprung über ein fahrendes Auto schwer verletzt hatte. So etwas hat es in der 29-jährigen Geschichte der Show noch nie gegeben, wie ebenfalls überall nachzulesen ist.
Während die Bildregie des ZDF geistesgegenwärtig reagierte und der am Boden liegende Kandidat nur für Sekundenbruchteile im Bild zu sehen war, sahen die zahlreichen in der Düsseldorfer Messehalle anwesenden Pressefotografen ihre große Stunde gekommen. So war es etwa “Spiegel Online” möglich, einen Artikel über den Quotendruck im Fernsehen mit einer 18-teiligen Bildergalerie zu versehen. Bilder von der Unfallstelle und von Sanitätern im Einsatz wurden völlig ironiefrei mit den Worten untertitelt: “Für den Bruchteil einer Sekunde sah man K. regungslos am Boden liegen, dann zeigte die Kamera nur noch das geschockte Publikum.”
Schon wenige Minuten nach dem Unfall war ein Video des Hergangs auf YouTube zu sehen, bis 21 Uhr war es mehrere Hundert Male angeklickt, was vielleicht mit Sensationslust zu tun hatte, vielleicht auch mit dem Interesse derer, die über Facebook und Videotext nachträglich mitbekommen hatten, dass etwas passiert war.
schreibt das “Hamburger Abendblatt” neben einer Fotoserie, die fast ein Drittel der Seite einnimmt und den Unfall in fünf Schritten zeigt — und auf der sehr viel mehr zu sehen ist, als in dem Videoausschnitt der Livesendung.
Verschiedene Medien, darunter “Spiegel Online” und taz.de hatten sich nach dem Unfall entschieden, den Nachnamen des jungen Mannes, den Thomas Gottschalk zunächst genannt hatte, zu anonymisieren, und haben ihn dann bei der Übernahme von Agenturmaterial doch wieder genannt.
Aber das sind alles sicher nur die üblichen Begleiterscheinungen jenes “Höher, Schneller, Weiter”, das nun in vielen Presseartikeln gegeißelt wird — und das sich interessanterweise fast immer nur auf Fernsehsendungen bezieht.
In einer eigenen Liga spielt – wie so oft – “Bild”:
Die Titelseite, die den verletzten Kandidaten mit einer Halsmanschette auf der Trage zeigt (und damit an einen berüchtigten Michael-Jackson-Titel erinnert) ist nur der Anfang: Auf einer Doppelseite schreibt “Bild” das “Protokoll von Gottschalks Horror-Sendung”, zeigt den Unfall in gleich acht Bildern und druckt Statements von Prominenten, Stuntleuten und Gottschalk selbst. In einem Kurzporträt wird der verunglückte Kandidat vorgestellt (irritierenderweise vollständig im Präteritum, als sei er nicht mehr unter den Lebenden), in einem weiteren Text minutiös dokumentiert, was auf den Gängen des Düsseldorfer Uniklinikums vor sich ging.
“Bild” schreibt, dass Mutter und Schwester barfuß durch die Klinik gelaufen seien, dass die Mutter vor der Notaufnahme gebetet und “Oh Gott, lass ihn nicht sterben!” gerufen habe. Dazu Fotos, auf denen zu sehen ist, wie der Verletzte im Krankenhaus eingeliefert wird und wie seine Eltern die Uniklinik verlassen.
Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber!
Eine Stiftung, die die Verwendung von Spendengeldern bei karitativen Einrichtungen überprüft, rügt eine Kinderschutzorganisation, weil sie sich weigert, ihre Finanzen offenzulegen. Preisfrage: Wen von beiden macht “Bild” daraufhin zum “Verlierer” des Tages?
Richtig: die Stiftung. Denn die Kinderschutzorganisation heißt “Innocence in Danger”, und ihre Präsidentin ist Stephanie zu Guttenberg, für die die “Bild”-Zeitung seit einiger Zeit in großem Stil Propaganda macht.
Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), das unter anderem vom Berliner Senat, dem Familienministerium und dem Industrie- und Handelskammertag getragen wird, vergibt seit fast zwanzig Jahren ein “Spenden-Siegel”. Gegen eine jährliche Gebühr von, je nach Spendenaufkommen, 500 bis 10.000 Euro überprüft das DZI, ob eine Organisation seine Leitlinien (pdf) einhält. Es geht vor allem darum, ob Spenden zweckgerichtet und sparsam verwendet werden. Das Siegel soll als Orientierungshilfe dienen, um seriöse Spendenorganisationen zu erkennen.
Am Samstag berichteten die Schwesterblätter “Frankfurter Rundschau” und “Berliner Zeitung”, über “fragwürdige Methoden” des Vereins “Innocence in Danger”, der durch die Möchtegern-Kinderschänder-Fang-Show “Tatort Internet” von RTL 2 bekannt wurde. Der Verein weigere sich, Auskunft über elementare Fragen zu geben wie darüber, wie viel Spenden er einnimmt und wofür die Mittel verwendet werden. In einem Interview kritisierte dies DZI-Leiter Burkhard Wilke:
Eine gemeinnützige Organisation, die so in der Öffentlichkeit steht wie “Innocence in Danger” und erkennbar um finanzielle öffentliche Unterstützung bittet, sollte der Öffentlichkeit auch aussagekräftige Finanzberichte zur Verfügung stellen. Das kann man von solchen Organisationen verlangen. Es geht dabei um eine Basistransparenz. (…) Ich kann Spendern generell keine Organisation empfehlen, bei denen der Appell an Spender und die Bitte um Mittel nicht einhergehen mit der Bereitschaft, Finanzzahlen zu veröffentlichen.
Offenbar weiß Wilke nicht, dass Transparenz unnötig ist, wenn Stephanie zu Guttenberg etwas mit der Sache zu tun hat. Die “Bild”-Zeitung erklärt es ihm heute auf ihrer Titelseite:
Der Angriff auf das seriöse Spenden-Siegel wird “Bild” ein doppeltes Bedürfnis gewesen sein. Es gibt nämlich neben “Innocence in Danger” noch eine andere Organisation, die immer wieder groß in den Medien ist, sich aber weigert, offenzulegen, wofür sie die Spenden verwendet, und dafür vom DZI kritisiert wird. Sie heißt “Ein Herz für Kinder”.
Mit Dank an Tobias P. und Fritz!
Mindestens genauso spannend wie das, was in der Zeitung steht, ist ja häufig das, was nicht in der Zeitung steht.
Aber erst mal zurück zu dem, was tatsächlich gedruckt wird:
Seit dem Start von “Tatort Internet” berichtete “Bild” immer wieder wohlwollend über die RTL2-Sendung. Stephanie zu Guttenberg, First Lady von “Bilds” Gnaden und Gastmoderatorin der ersten Ausgabe, wurde für ihr Engagement gefeiert und zur “Gewinnerin” ernannt (BILDblog berichtete mehrfach darüber).
Am 12. November vermeldete “Bild” auf Seite 2:
“Tatort Internet” verstößt nicht gegen Jugendschutz
München – Wichtiger Erfolg für die RTL-2-Reihe “Tatort Internet”: Die TV-Sendung verstößt nicht gegen die Jugendschutzbestimmungen! Das bestätigte die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter Ring sagte, dass die Gefahren des sexuellen Missbrauchs im Internet durch diese Sendung “ein Stück weit breiter diskutiert” und neue Zielgruppen erreicht würden.
Vergangene Woche sprach der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann bei einem Symposium der Initiative “White IT” in Hannover mit Fachleuten von Polizei und Wirtschaft über die Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch jenseits medialer Show-Effekte. Im Rahmen der Veranstaltung wurde “Tatort Internet” mehrfach kritisiert — so forderte die EU-Abgeordnete Sabine Verheyen (CDU) von den Medien “gehaltvolle Information” und setzte hinzu: “Damit meine ich nicht, was in der letzten Zeit über den Äther gegangen ist”.
Die Lokalredaktion Hannover jedoch ignorierte die Veranstaltung nahezu komplett und lud Minister Schünemann zum gemeinsamen Fernsehgucken, um seine Meinung zu “Tatort Internet” zu erfahren. Schünemanns durchaus differenzierte Antworten (“Eine ehrenwerte Idee.”, “Fahndung ist Aufgabe der Polizei, nicht von TV-Reportern.”) fasste “Bild” in der Überschrift so zusammen:
Diesen Dienstag teilte die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) mit, dass “Tatort Internet” gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstoßen habe: In den beiden ersten Folgen seien die potentiellen Täter nicht hinreichend unkenntlich gemacht worden, “so dass sie von ihrem sozialen Umfeld durchaus identifizierbar waren”.
Zahlreiche Medien berichteten über die Entscheidung der ZAK — in “Bild” ist dazu nichts zu finden.
Mit Dank an a Friend.
Dass Menschen aus anderen Ländern nicht etwa in die Kulturnation, sondern in den Wohlfahrtsstaat Deutschland einwandern wollen, ist für die Klientel von “Bild” alles andere als neu. Trotzdem – oder gerade deshalb – lieferte die Boulevardzeitung am Dienstag auf der Titelseite noch einmal die “bittere Wahrheit”:
Und nochmal in groß:
In der Tat haben es die drei “Bild”-Autoren geschafft, Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mit denen des Statistischen Bundesamtes zu kombinieren und in eine Tabelle zu gießen. Haarklein listen sie auf, wie viele Menschen verschiedener Nationalitäten ohne deutschen Pass in Deutschland “arbeiten dürften” und trotzdem Sozialleistungen beziehen:
Sogar für einen Quellennachweis hat es gereicht:
Doch warum bestreiten so viele Libanesen in Deutschland ihren Lebensunterhalt nicht selbst, wenn sie doch nach amtlicher Statistik ausdrücklich arbeiten dürfen? Allwetter-Soziologe Christian Pfeiffer hat die passende Erklärung parat:
Woher kommen die großen Unterschiede?
Soziologe Prof. Christian Pfeiffer: Viele Libanesen etwa waren zu Beginn Asylbewerber und durften nicht arbeiten. Dieser Lebensstil hat sich von Generation zu Generation durchgesetzt. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig, Kinder gelten als Einkommensquelle, gearbeitet wird höchstens schwarz. Gerade die Libanesen haben sich oft in dieser Armutslage eingerichtet.
Scheinbar um Ausgleich bemüht, hält “Bild” fest, dass Ausländer natürlich nicht faul seien und sogar sehr selten Arbeit ablehnen, die ihnen von der Arbeitsagentur angeboten wird. Doch wie passt das mit dem speziellen libanesischen Lebensstil zusammen? Dass Libanesen Kinder als Einkommensquelle ansehen, haben sie offenbar mit der Redaktion von “Bild” gemein. Denn wie man den amtlichen Statistiken ohne weiteres entnehmen kann, sind 6.541 (oder 17,7%) der amtlich erfassten Libanesen unter 15 Jahre alt — und dürfen daher alleine schon wegen der Schulpflicht nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. Insgesamt sind 9.200 Libanesen als “nicht erwerbsfähig” registriert: zu jung, zu krank, zu alt für den Arbeitsmarkt.
In den ersten vier Jahren bekommen geduldete Ausländer allenfalls eine Arbeitsstelle, wenn sich kein Deutscher dafür findet. Nach Auskunft von Pro Asyl kommt diese Vorrangigkeitsprüfung in vielen Regionen Deutschlands einem “faktischen Arbeitsverbot” gleich. Sie mögen sich in Armut eingerichtet haben, sie mögen laut Ausländergesetz arbeiten “dürfen”, einem großen Teil von ihnen bleiben aber schlichtweg keine Möglichkeiten.
Das hätte “Bild” auch wissen müssen: Die Bundesagentur für Arbeit hatte für das Blatt eigens eine Sonderauswertung gemacht, in der die Gesamtzahl der Ausländer noch nach Erwerbsfähigen und nicht Erwerbsfähigen aufgeschlüsselt war — doch die Zeitung rechnete einfach mit der (natürlich höheren) Gesamtzahl weiter und liefert so eine sehr einseitige Statistik. An wirklichen Erklärungen scheint die Redaktion jedenfalls bedeutend weniger Interesse als an der riesigen Schlagzeile gehabt zu haben.
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.
Wenn in einer Umfrage 70 Prozent der befragten Ärzte angeben, dass sich Patienten häufig unnötig behandeln lassen, welche Schlussfolgerung kann man daraus nicht ziehen?
Die richtige falsche Antwort finden Sie heute groß unten auf der Seite 1 der “Bild”-Zeitung:
Nachtrag, 11:10 Uhr. In späteren Druck-Ausgaben ist die Überschrift geändert. Nun heißt es bloß: “Zu viele Arzt-Besuche unnötig”.
Mit Dank an Micky!