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Bei Mordverdacht macht “Bild” einen Deutschen wieder zum Flüchtling

Wann ist man eigentlich Deutscher? Also so richtig deutsch, akzeptiert sogar von der “Bild”-Redaktion? Braucht man dafür einen deutschen Namen, deutsche Vorfahren, ein irgendwie geartetes deutsches Aussehen? Muss man in Deutschland geboren sein? Oder reicht die deutsche Staatsbürgerschaft?

In Leipzig soll ein Mann seine Ex-Freundin getötet haben. Der 30-Jährige ist Deutscher mit deutschem Pass und lebt seit knapp 25 Jahren in Deutschland. Als 6-Jähriger flüchteten er und seine Familie aus Afghanistan, was bei dieser Geschichte eigentlich keine Rolle spielen sollte. “Bild” und Bild.de sehen das offenbar anders. Denn wenn man möglicherweise zum Straftäter geworden ist, dann kann man noch so lange schon in Deutschland leben und einen noch so deutschen Pass haben. Dann ist man direkt: einstiger “Vorzeigeflüchtling”, wie die “Bild”-Redaktion in einem Facebook-Teaser schreibt.

Mehrere Tage berichteten die “Bild”-Medien in der vergangenen Woche über den Fall. In ihrer Leipzig-Ausgabe titelte die “Bild”-Zeitung am Mittwoch:

Ausriss Bild-Zeitung - Myriams Killer war mal ein Musterbeispiel gelungener Integration

Man kann nur mutmaßen, was der Leserschaft eine solche Überschrift sagen soll — hängen bleibt aber irgendein Zusammenhang zwischen Migration und Gewaltverbrechen. Und dann noch nicht mal von irgendeinem sowieso schon kriminellen Dahergelaufenen verübt, sondern von einem “Musterbeispiel gelungener Integration”. Wenn jetzt die sogar schon …

Die Onlineversion des Artikels wurde über 4000 Mal bei Facebook geteilt, von AfD-Politikern und -Ortsverbänden, von der NPD, von “Pegida”, von Facebookgruppen mit Namen wie “Büdingen wehrt sich — Asylflut stoppen”, “Klartext für Deutschland — FREI statt bunt” und “Aufbruch deutscher Patrioten”. Sie alle stürzen sich auf die Bezeichnungen “Vorzeigeflüchtling” und “Musterbeispiel gelungener Integration”. Die “Bild”-Redaktion weiß sehr genau, für wen sie schreibt.

Den viel passenderen größeren Zusammenhang lässt sie hingegen außen vor: Gewalt gegen Frauen. Der Tod der Frau in Leipzig reiht sich ein in die zahlreichen Frauenmorde, die hierzulande und überall auf der Welt eine traurige Alltäglichkeit haben. Wegen Fällen wie diesem gab es in letzter Zeit Debatten zu verharmlosenden Bezeichnungen in Medien wie “Beziehungsdrama”: Gewalttaten in Beziehungen sollen nicht mehr als einzelne “Tragödien” beschrieben werden, sondern als strukturelles Problem. Die dpa kündigte beispielsweise an, künftig auf Begriffe wie “Familientragödie” verzichten zu wollen.

Anders Bild.de. Als die genauen Hintergründe der Tat in Leipzig noch nicht bekannt waren, titelte die Redaktion:

War der Mordversuch eine Beziehungstat?

Kolumnistin Katja Thorwarth schrieb vergangenes Jahr in der “Frankfurter Rundschau” darüber, “warum Mord keine ‘Beziehungstat’ ist”. Solche Überlegungen scheinen an “Bild” spurlos vorbeizugehen.

Das gilt auch für Überlegungen zu Persönlichkeitsrechten: Regelmäßig veröffentlichen die “Bild”-Medien unverpixelte Fotos von Tatopfern und von bisher nicht verurteilten Tatverdächtigen. Die Unschuldsvermutung ist der Redaktion eher lästig. Und so lässt “Bild” auch diese Gelegenheit nicht aus und zeigt sowohl ein Foto der Getöteten als auch eines des mutmaßlichen Täters ohne jegliche Unkenntlichmachung.

Das Foto der Getöteten hat “Bild” vom Facebook-Account der Frau:

Screenshot Bild.de - Foto: Facebook

Dabei hatte der Deutsche Presserat schon vergangenen Dezember festgestellt:

Facebookeintrag kein Freibrief für Verwendung von Opferfotos

Konkret ging es damals um einen Fall, bei dem Bild.de ein Foto einer getöteten Frau von Facebook gezogen und veröffentlicht hatte — für den Presserat ein Verstoß gegen den Opferschutz. Der Ehemann des Opfers sei in den Sozialen Netzwerken zwar offen mit dem Tod seiner Frau umgegangen, so das Gremium, trotzdem hätte die “Bild”-Redaktion eine Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder einholen müssen:

Die Veröffentlichung von Fotos und Angaben zu Opfern durch die Angehörigen in sozialen Netzwerken ist nicht gleichzusetzen mit einer Zustimmung zu einer identifizierenden Darstellung in den Medien.

Gab es für die “Bild”-Berichterstattung aus Leipzig so eine Zustimmung? “Bild”-Sprecher Christian Senft wollte sich dazu nicht äußern: Man kommentiere, “wie üblich”, keine redaktionellen Entscheidungen. Nach unserer Anfrage hat die Redaktion die Fotos des Opfers bei Bild.de verpixelt.

Mit Dank an Maria T. und anonym für die Hinweise!

Nachtrag, 23:24 Uhr: Mit dem Herauskramen der Bezeichnung “Vorzeigeflüchtling” ist die “Bild”-Redaktion nicht allein. Auch Sächsische.de bezeichnet den Tatverdächtigen in einem später erschienenen Artikel so.

Mit Dank an @doestrei für den Hinweis!

Nachtrag, 21. April: Auch die “Leipziger Volkszeitung” berichtet von dem Fall und schreibt über den Tatverdächtigen, er sei ein “Musterbeispiel gelungener Integration” gewesen.

“Tag24” bekommt es hin, den Mord an der Frau sprachlich auf ganz besondere Weise zu verharmlosen: Die Redaktion schreibt vom “dramatischen Höhepunkt einer toxischen Liebe im Sozialarbeiter-Milieu”.

Mit Dank an @RASSISMUSTOETET für den Hinweis!

Bei “Bild” sind die Muslime daran schuld, dass die Kirchen zu sind

Die “Bild”-Redaktion versucht heute mal wieder, Religionen und deren Anhänger gegeneinander auszuspielen:

Ausriss Bild-Zeitung - Keine Gottesdienste - Kirchen aus Sorge vor Ramadan-Chaos geschlossen

Die vier “Bild”-Autoren Ralf Schuler, Filipp Piatov, Nikolaus Harbusch und Tomas Kittan schreiben, dass sie aus Quellen rund um die “Schalte von Bundeskanzleramt und Länderchefs” erfahren hätten, dass die Furcht vor einem möglichen Chaos zum muslimischen Fastenmonat Ramadan dafür sorge, dass auch die christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden weiter geschlossen bleiben müssen:

Bislang untersagte die Bundesregierung den Bürgern das gemeinsame Beten aus Angst vor Corona — jetzt ist es die Sorge wegen eines möglichen Chaos an Ramadan. (…)

Wahrer Hintergrund der Entscheidung [weiterhin keine Gottesdienste stattfinden zu lassen] nach BILD-Informationen: Anders als bei den großen christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden sieht die Politik bei den Muslimen in Deutschland keine zentralen Ansprechpartner, die verlässlich Regeln (Abstand, Hygiene et cetera) in den Moscheen flächendeckend durchsetzen könnten. Deshalb sollen nun alle Gotteshäuser möglichst mindestens noch bis zum Ende des in der kommenden Woche beginnenden Fastenmonats Ramadan (23. April bis 23. Mai) geschlossen bleiben.

Warum es mit Blick auf die Corona-Pandemie jetzt weniger gefährlich sein soll als noch vor ein paar Tagen, wenn vorwiegend ältere Menschen in einem geschlossenen Raum dicht beieinander sitzen und christliche Lieder schmettern, wobei sicher auch das eine oder andere Speicheltröpfchen durch die Luft fliegen dürfte, erklärt “Bild” nicht. Stattdessen der Tenor: Die wilden Muslime, die in ihren Schmuddelmoscheen aufeinanderhocken und sich nicht mal richtig die Hände waschen, sind schuld, dass wir Christen nicht zum Gottesdienst in unsere Kirchen dürfen.

So treibt man einen Keil zwischen Menschen, die momentan eigentlich dieselbe für sie schwierige, ärgerliche Situation durchleben.

Bereits gestern Abend erschien der Beitrag auch bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Keine Corona-Lockerungen für Gotteshäuser - Kirchen aus Sorge vor Ramadan-Chaos geschlossen

Natürlich hinter der “Bild plus”-Paywall, wodurch alle die spalterische Überschrift lesen, aber nur wenige die angeblichen Hintergründe erfahren konnten.

Die einschlägig islam- und muslimfeindlichen Kreise hat die “Bild”-Redaktion mit ihrem Artikel jedenfalls zielgenau erreicht:



Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:12 Uhr: Mal abgesehen von der Stimmungsmache durch die “Bild”-Redaktion: Es stimmt auch nicht, dass die Kirchen alle “geschlossen” sind, wie etwa Bild.de teasert. Es gibt eine ganze Reihe von Kirchen, die fürs stille Gebet weiterhin geöffnet sind. Nur Gottesdienste dürfen nicht stattfinden.

“Zum Glück ist die ‘Bild’-Zeitung nicht (ganz) Deutschland”

Die letzte Seite der “Bild”-Ausgabe vom 2. April war eine besondere:

Ausriss Bild-Zeitung - Italien ist das Land, das am stärksten von der Corona-Katastrophe betroffen ist - Wir sind bei Euch! Siamo con voi!

Die Redaktion hatte einen Brief an alle Italienerinnen und Italiener geschrieben, auf Deutsch und auf Italienisch.

Die Idee kam ganz gut an bei den Kommentatoren italienischer Medien, der Inhalt hingegen überhaupt nicht.

Die Tageszeitung “il Giornale” titelt beispielsweise: “‘Pizza, pasta, siamo con voi’ Die vorgetäuschte Unterstützung der Deutschen”.

Screenshot ilgiornale.it - Pizza, pasta, siamo con voi - Il sostegno finto dei tedeschi

Federico Giuliani kommentiert dort:

Auf den ersten Blick mag es wie eine schöne, beruhigende Geste erscheinen. (…) Vergebliche Hoffnung, denn beim Lesen des Artikels, der auf der Website der deutschen Zeitung ins Italienische übersetzt wurde, stehen wir vor einer heuchlerischen Seite voller unterschwelliger Botschaften und voller Klischees.

“il Fatto Quotidiano” sieht es ganz ähnlich:

Der Rest des “Bild”-Artikels, in dem zum Beispiel nie Coronabonds oder die Möglichkeit wirtschaftlicher Hilfe aus Deutschland erwähnt werden, ist eine Sammlung von Klischees, die das Bild Italiens in der kollektiven deutschen Vorstellung begleiten.

Am deutlichsten wird Paolo Valentino, Deutschland-Korrespondent von “Corriere della Sera”, der auflagenstärksten Tageszeitung in Italien. Die Überschrift seines Kommentars lautet: “‘Wir sind bei Euch’. Die (heuchlerische) Seite der ‘Bild’ über Italien und den Kampf gegen das Virus”.

Screenshot corriere.it - Siamo con voi - La pagina (ipocrita) della Bild sull Italia e la lotta al virus

Der “Bild”-Artikel sei laut Vorspann “eine Liste von (falschen) Solidaritätsbekundungen und Klischees, die zeigt, wie weit wir vom Konzept des Europäismus entfernt sind”.

Und ja, die Klischees. Mit aller Gewalt hat die “Bild”-Redaktion sie in ihren Brief gepresst. Er liest sich wie ein Skript eines ZDF-Samstagabendfilms, in dem Veronica Ferres und Jan Josef Liefers das “Dolce Vita” und ein “Gelato” in “Bella Italia” genießen. Hach, und diese “Pasta” und der “Vino” — da finden die beiden doch glatt ihre “Amore” wieder! Paolo Valentino schreibt:

Die übliche Liste von Klischees: Tiramisù, Rimini, Capri, Toskana, Umberto Tozzi und, für die Raffinierteren, Paolo Conte. Der Wunsch nachzueifern, die Jagd nach “Eurer Gelassenheit, Schönheit, Leidenschaft”. Die Kunst des Kochens, Pasta, Campari, Dolce Vita, fehlt nur die Mandoline. “Darum haben wir Euch immer beneidet.” Als ob niemand in Italien arbeiten würde. Niemals. “Jetzt sehen wir Euch kämpfen. Sehen Euch leiden”, fährt “Bild” fort und erinnert daran, dass es in Deutschland “gerade auch nicht leicht” ist.

Und es geht noch weiter mit den Stereotypen:

Das Finale: “Wir sind in Gedanken bei Euch. Ihr schafft das. Weil Ihr stark seid. Italiens Stärke ist es, anderen Liebe zu schenken.” Der Abschied am Ende ist ein Triumph des Stereotyps: “Ciao Italia. Wir werden uns bald wiedersehen. Auf einen Espresso, einen Vino rosso. Ob im Urlaub — oder in der Pizzeria.” Ich habe es noch einmal gelesen. Da ist etwas, das nicht funktioniert: “Ihr schafft das. Weil Ihr stark seid.” Also allein. Kein Hinweis auf die Solidarität, die man den Brüdern schuldet, denen die “Bild” zuerkennt, dass sie Deutschland beim Wiederaufbau der Wirtschaft geholfen haben. Kein Hinweis auf die Bedrohung unserer gemeinsamen Heimat Europa. Kein Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die reicheren Brüder den ärmeren helfen müssen.

Tatsächlich fällt im gesamten “Bild”-Brief nicht einmal das Wort “Europa”. Keine Erwähnung von “Solidarität”. Und man findet erst recht nichts, was irgendwie in Richtung finanzieller Unterstützung von Deutschland für Italien deutet, von “Coronabonds” beziehungsweise “Eurobonds” ganz zu schweigen.

Paolo Valentino kommentiert:

Bei allem Respekt, es ist eine heuchlerische und eigennützige* Seite, ein beschämendes Manifest des Egoismus, ein weiterer Beweis dafür, dass “Bild” und Europäismus an entgegengesetzten Polen stehen.

Er sei nicht erstaunt, schreibt Valentino. Das sei bereits in der Wirtschaftskrise so gewesen, “als die Griechen laut ‘Bild’ ihre Laster mit den Ersparnissen deutscher Rentner bezahlen wollten”.

Wir verzichten gerne auf solche Zuneigungsbekundungen. Zum Glück ist die “Bild”-Zeitung nicht (ganz) Deutschland, von dem wir in diesen Tagen konkrete Solidaritäts- und Hilfsbekundungen erhalten. Aber von dem wir bald Klarheit über die Mutter aller Fragen erwarten: die finanzielle Garantie zum Schutz des Binnenmarktes und der europäischen Wirtschaft. Der Rest ist triviales Gerede.

Mit Dank an Anna, Margherita und Th. K.!

*Nachtrag, 17. April: In einer ersten Version hatten wir das italienische Wort “pelosa” mit “haarig” übersetzt, was laut Wörterbuch grundsätzlich auch richtig ist. In dem Zusammenhang, in dem Paolo Valentino das Wort benutzt, dürfte aber eine weitere mögliche Übersetzung passender sein: “eigennützig”.

Schoßhund-Fragen sind bei “Bild” Chefsache

Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.

Screenshot Bild live - zu sehen sind Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und US-Außenminister Mike Pompeo

Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.

Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”

Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:

Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?

Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.

Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?

Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.

Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.

Dafür die nächste Suggestivfrage:

Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?

Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.

Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:

Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?

Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:

Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.

Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:

Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?

Pompeo antwortet:

There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.

Also:

Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.

Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:

Ausriss Bild-Zeitung - US-Außenminister Pompeo im Bild-Intervier - Corona-Verantwortliche werden zur Rechenschaft gezogen

Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:

Screenshot Bild.de - Bild interview with US Secretaroy of State Pompeo - China will be liable for the damage done by coronavirus

Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.

Mit Dank an Gregor G. und anonym für die Hinweise!

“Sollten wir Fledermäuse ausrotten?” Nein.

Man sagt ja, es gebe keine doofen Fragen, nur doofe Antworten. Aber manchmal.

Screenshot Bild.de - Fledermäuse ausrotten? Fragen, die wir China stellen müssen

Der, nun ja, Gedanke hinter dieser Bild.de-Startseitengeschichte geht so: Gut möglich, dass das Coronavirus von einer Fledermaus, vielleicht über ein anderes Säugetier als Zwischenwirt, auf den Menschen übertragen wurde — also:

Screenshot Bild.de - Sollten wir Fledermäuse ausrotten?

Die “Bild”-Leute haben sogar einen Professor, den sie vorschieben können:

So oder so stellt der US-amerikanische Uni-Professor Scott Galloway (55) den Schutz von Fledermäusen infrage, geht noch weiter und spricht sogar eine Begrenzung der Zahl der Säugetiere an. Er schreibt beim Kurznachrichtendienst Twitter: “Vier von vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit stammen von Fledermäusen: Ebola, SARS, MRSA und Covid.”

Während Scott Galloway von “limiting” spricht, also vom Begrenzen, wird bei Bild.de daraus gleich eine komplette Ausrottung der Fledermäuse. Im Original lautet Galloways Tweet:

Screenshot eines Tweets von Scott Galloway - I have questions: 1. will wet markets be banned 2. will eating bats be banned 3. four out of four of the deadliest viruses of late have come from bats (ebola, SARS, MRSA, covid). Sincere question: every species has a role, but are bats worth limiting as a species considering harms?

Scott Galloway ist tatsächlich, wie Bild.de schriebt, Professor. Allerdings nicht etwa für Virologie oder für Epidemiologie und auch nicht für Biologie oder für irgendetwas anderes zum Thema Passendes, sondern für Marketing. Das erklärt vielleicht, warum er so einen hanebüchenen Unsinn schreibt, den die “Bild”-Redaktion bedenkenlos wiedergibt: MRSA zählt nicht zu den “vier der tödlichsten Viren der letzten Zeit”, schlicht weil MRSA kein Virus ist. Bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus handelt es sich um Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sein können. Sie zählen zu den sogenannten “Krankenhauskeimen”. Vielleicht meinte Galloway eigentlich MERS, das ein weiteres Coronavirus ist. Aber bis auf die Buchstaben M, R und S hat das eine mit dem anderen nicht so irre viel zu tun. Und eine Verwechselung würde aus Galloway nicht gerade einen Experten machen, den man zitieren sollte.

Die “Bild”-Leute scheinen solche Details aber nicht weiter zu jucken. Sie übersetzen einfach ohne irgendeine Einordnung und präsentieren Scott Galloway als vermeintlichen Fachmann für die Frage, ob man Fledermäuse wegen der Virusgefahr ausrotten soll.

Was dabei komplett fehlt im Bild.de-Artikel: die Konsequenzen eines solchen Schrittes. Fledermäuse haben eine wichtige Rolle im Ökosystem: Sie fressen viele Pflanzenschädlinge und haben daher einen enormen Wert für die Landwirtschaft. Außerdem bestäuben sie Blüten und verbreiten Samen. Würde man sie einfach ausrotten, was die “Bild”-Redaktion offenbar für einen möglichen Lösungsansatz hält, hätte das deutliche ökologische und ökonomische Folgen. Und auch für die Menschheit gäbe es im Alltag Nachteile: Wir wären viel mehr Mücken und anderen Insekten ausgesetzt.

In China gab es mal ein ähnliches Vorhaben wie das, das Bild.de heute ins Spiel bringt. Ende der 1950er-Jahre wollte man dort in der “Großen Spatzenkampagne” die Spatzen des Landes ausrotten. Die Folgen waren fatal: Riesige Heuschreckenschwärme, die, ohne ihren natürlichen Feind, den Spatz, ungehindert komplette Ernten auffressen konnten. Es verhungerten damals Millionen Menschen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nicht alles steht im Zusammenhang mit der Corona-Krise

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — die “Bild”-Redaktion ist und bleibt nicht in der Lage, Studienergebnisse ordentlich wiederzugeben.

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.

schreibt “Bild”-Chefreporter Jörg Köhnemann heute. In der Überschrift und der dazugehörigen Dachzeile wird Köhnemanns Aussage noch einmal bekräftigt:

Screenshot Bild.de - Trotz Corona-Krise - Immobilien-Preise gehen weiter durch die Decke

Tatsächlich besteht zwischen den “Staun-Fakten” zum Hamburger Immobilienmarkt, über die Bild.de schreibt, und der Corona-Krise allerdings überhaupt kein Zusammenhang. Es kann kein Zusammenhang bestehen, weil es um völlig unterschiedliche Zeiträume geht.

Grundlage für den Artikel ist eine Studie der Bausparkasse LBS. Die schaut sich seit Jahren die Entwicklung der Immobilienpreise in Hamburg und Umland an. In der Pressemitteilung zum aktuellsten “Immobilienmarktatlas” steht unter anderem:

Das ergab die aktuelle Studie der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg AG in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Forschungsinstitut F+B (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH), in der rund 13.560 öffentlich zugängliche Immobilien-Angebote in Hamburg und Umland im zweiten Halbjahr 2019 ausgewertet wurden.

“Im zweiten Halbjahr 2019” gab es offiziell noch keinen einzigen Corona-Fall in Deutschland. Dass die Hamburger Immobilienpreise “TROTZ CORONA-KRISE” “weiter durch die Decke” gehen, wird durch die LBS-Studie also gar nicht belegt. In der Pressemitteilung sagt der Vorstandsvorsitzende der Bausparkasse Jens Grelle sogar explizit, dass man erstmal schauen muss, “welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie” auf die Immobilienpreise haben wird:

“Welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie auf die Entwicklung der Immobilienpreise nehmen wird, ist derzeit schwer vorhersehbar”, stellt Grelle fest.

Erste Marktanalysen für den Jahresbeginn 2020 im Vergleich zu 2019 ergeben deutliche Angebotsrückgänge von gut 15 bis 25 Prozent auf den Bestandsmärkten in Hamburg und Schleswig-Holstein. Solange der Wohnungsmarkt als Folge der Pandemie stagniert, werde sich an den Preisen kaum etwas verändern.

Für die zukünftige Preisentwicklung werden aus Sicht des LBS-Chefs die Dauer der Corona-Krise und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen wichtige Faktoren sein.

Mit Dank an C für den Hinweis!

Nachtrag, 14:31 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert, zumindest teilweise. Die Dachzeile lautet nun nicht mehr “TROTZ CORONA-KRISE”, sondern “NEUE LBS-STUDIE”. Der erste Satz des Artikels lautet hingegen nach wie vor:

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.

Schwarz-Weiß-Denken bei “Bild”

Sitzen Weiße auf einer Parkbank, sind das laut “Bild” und Bild.de “friedliche Parkbesucher”:

Screenshot Bild.de - Bei friedlichen Parkbesuchern greift die Berliner Polizei durch

Sitzen Schwarze auf einer Parkbank, sind das laut “Bild” und Bild.de “Drogendealer”:

Screenshot Bild.de - Bei Drogendealern im Park nicht

Die Fotos und die dazugehörigen Bildunterschriften stammen aus einem Artikel, der heute in der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de erschienen ist:

Screenshot Bild.de - Es kann doch nicht sein, dass ... sechs Corona-Regeln, die wir nicht verstehen

Eine Sache, die laut “Bild”-Redaktion “DOCH NICHT SEIN” kann: Dass …

… die Polizei jahrelang Drogendealer ungeschoren lässt, JETZT aber jeden aufschreibt, der sich im Park sonnt!

Dazu zeigen die “Bild”-Medien dann eben die zwei Fotos von oben, auf denen niemand beim Dealen zu sehen ist, aber eine Gruppe zu “Drogendealern” erklärt wird.

Und es soll jetzt niemand kommen und sagen: “Ja, aber schaut doch mal in die Parks — wer vertickt da denn Drogen? Und wie sehen die aus?” Das ist genau das rassistische Kennst-Du-einen-kennst-Du-alle-Vorurteil, das die “Bild”-Redaktion mit ihrer Fotoauswahl bedient.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Bild.de ist auf der Suche nach einem Antibiotikum gegen das Coronavirus

Es ist ja allein schon bedenklich, dass zwischen der Kombination aus Dachzeile und Überschrift …

Screenshot Bild.de - Hoffnung für Corona-Patienten - Deutsche Forscher entwickeln Antikörper-Therapie

… und dem vierten Absatz des Bild.de-Artikels

Der Frankfurter Wissenschaftler Professor Erhard Seifried arbeitet mit seinem Team und anderen Zentren unter Hochdruck daran, eine Studie zu starten, die genauere Ergebnisse zur Wirksamkeit liefern soll. Kann die Antikörper-Therapie schwere Verläufe abmildern? Kann sie Todesfälle verhindern? Das alles muss noch herausgefunden werden.

… die “HOFFNUNG FÜR CORONA-PATIENTEN” auf “Das alles muss noch herausgefunden werden” zusammenschnurrt. So schreibt auch der Deutsche Presserat in Ziffer 14 seines Pressekodex:

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte.

Was die medizinische Expertise der “Bild”-Redaktion angeht, wird es etwas weiter hinten im Text aber noch bedenklicher. Zur Frage, ob die Antikörper-Therapie, die die Forscher entwickeln, “Covid-19 heilen” kann, schreibt die Bild.de-Autorin:

Nein. Bei der Antikörper-Therapie geht es nicht um Heilung, sondern um die Verhinderung schlimmer Verläufe. “Die Idee ist, dass möglichst viele Viren abgefangen werden und sich nicht mehr vermehren können”, erklärt Seifried.

Aber: Die Antikörper-Therapie ist nicht vergleichbar mit einem Antibiotikum. Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein solches Mittel gegen die Viren gefunden ist.

Das wäre wirklich eine ganz besondere medizinische Sensation: Die Entdeckung eines Antibiotikums, das nicht, wie sonst üblich, nur gegen Bakterien wirkt, sondern auch “gegen die Viren”.

Mit Dank an Florian B. und @loutum1 für die Hinweise!

Nachtrag, 16:15 Uhr: Bild.de hat die Stelle im Artikel geändert. Dort steht nun:

Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein Heilmittel gegen das Corona-Virus gefunden ist.

Das Wort “Antibiotikum” taucht im Beitrag nun nicht mehr auf.

Am Ende des Artikels gibt es einen transparenten Korrekturhinweis der Redaktion:

Nachtrag: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Eindruck erweckt, Antibiotika würden auch gegen Viren helfen. Dem ist natürlich nicht so, Antibiotika helfen nur bei bakteriellen Infektionen.

“Bild” fordert: Neues Wirtschaftswunder jetzt sofort!

So sieht es aus, wenn in einer Redaktion der Größenwahn herrscht:

Ausriss Bild-Titelseite - Nationaler Kraftakt gegen Corona - Bild sagt, was sofort passieren muss

Noch schlimmer als dieser Hochmut ist an der “Bild”-Titelseite vom vergangenen Dienstag nur der Eindruck, den die Redaktion dort vermittelt: dass die Politik, die Regierung, der Staat nichts mache in der derzeitigen Corona-Krise.

“Wir brauchen einen nationalen Kraftakt”, ist im Vorspann zu lesen, als würden so gut wie alle Politikerinnen und Politiker (und viele andere Menschen) in Deutschland nicht schon seit Wochen kraftakten; als würden sie nicht im Dauereinsatz daran arbeiten, diese Krise irgendwie zu bewältigen. Da muss schon die “Bild”-Redaktion kommen, damit das hier mal alles klappt:

BILD nennt zehn Maßnahmen, die wir JETZT angehen müssen.

Was im Umkehrschluss nur heißen kann: Die zehn Maßnahmen, die “Bild” nennt, sind bisher noch nicht angegangen worden — was gefährlicher Unsinn ist.

Zum Beispiel Maßnahme 3:

Ausriss Bild-Titelseite - Mit Technologie gegen Corona

In vielen Ländern helfen Handy-Apps beim Kampf gegen das Virus. Menschen können ablesen, ob sie in der Nähe einer infizierten Person waren. Freiwillig und anonym muss das auch in Deutschland möglich sein.

Das dürfte es auch bald sein. Das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und das Robert-Koch-Institut arbeiten schon längst an einer solchen App. In der Politik gibt es dafür viele Fürsprecherinnen und Fürsprecher.

Oder Maßnahme 9:

Ausriss Bild-Titelseite - Antikörper-Tests auf den Markt bringen

Wir müssen dringend wissen, wie viele Deutsche bereits infiziert waren — und nun immun sind.

Auch hier: Passiert schon.

“Bild”-Maßnahme 2:

Ausriss Bild-Titelseite - Masken für die Massen produzieren

Deutschland braucht Hunderte Millionen Atemschutzmasken.

Jede Person, die in den vergangenen Tagen mal in eine Corona-Sondersendung geschaltet hat, dürfte dort ein Interview mit einem Politiker oder einer Politikerin gesehen haben, in dem es um die Anstrengungen geht, endlich an mehr Atemschutzmasken zu kommen — ob nun im Ausland bestellt oder in Deutschland selbstproduziert. Diese Leute schildern aus unserer Sicht glaubhaft, dass sie dabei ihr Bestes geben.

Ganz ähnlich “Bild”-Maßnahme 6:

Ausriss Bild-Titelseite - Risikogruppen besonders unterstützen

Alte und Vorerkrankte, aber auch medizinisches Personal brauchen den besten Schutz: die stärksten Masken, die modernsten Schutzanzüge. Virologe Kekulé: “Es muss eine nationale Anstrengung sein, Risikogruppen vor Covid-19 zu schützen.”

Die “Bild”-Redaktion will doch nicht ernsthaft behaupten, dass das nicht schon längst eines der wichtigsten Ziele aller handelnden Personen ist?

Neben diesen Maßnahmen, die “wir” dem Boulevardblatt zufolge “JETZT angehen müssen” und die schon längst angegangen sind, nennt “Bild” auch ziemlich bekloppte Maßnahmen, die zum Glück noch niemand angegangen ist. Etwa Maßnahme Nummer 1:

Ausriss Bild-Titelseite - Kanzlerin Merkel muss jeden Tag zum Volk sprechen

Wie nie zuvor in Angela Merkels Amtszeit kommt es auf politische Führung an. Historische Persönlichkeiten wie Winston Churchill schworen die Menschen auf schlimmste Entbehrungen ein, schrieben mit Reden Geschichte. Merkel muss jeden Tag zur Nation sprechen.

Täglich “zum Volk sprechen” würde allerdings auch bedeuten: weniger Zeit für wirklich wichtige Dinge und Entscheidungen — und damit weniger “Kraftakt”. Wir hätten außerdem zwei Gegenbeispiele, die zeigen, dass tägliche Auftritte nicht automatisch etwas Brauchbares hervorbringen:

1. US-Präsident Donald Trump tritt momentan täglich vor die Kameras.
2. “Bild live” läuft sogar mehrmals täglich.

Eine der aus Sicht der “Bild”-Redaktion aktuell zehn wichtigsten Maßnahmen lautet tatsächlich:

Ausriss Bild-Titelseite - Notfall-Plan für Bundesliga

Der Fußball gibt Menschen Halt. Sie brauchen ihn, um die Krise durchzustehen. “Wenn nötig, dann eben zunächst mit Geisterspielen”, so Rekordnationalspieler Lothar Matthäus zu BILD.

Besonders bescheuert aber ist die Forderung von Maßnahme 7:

Ausriss Bild-Titelseite - Neues Wirtschaftswunder

Ganze Branchen, Volkswirtschaften, Währungen taumeln. Um das zu überstehen, brauchen wir ein neues Wirtschaftswunder.

Ja, es wäre toll, wenn in dieser schweren Zeiten jetzt sofort etwas wirklich Gutes wie ein Wirtschaftswunder geschehen würde. Wie genau? Das weiß auch die “Bild”-Redaktion nicht, auch wenn sie sonst gern vorgibt zu wissen, “was SOFORT passieren muss”. Aber plump fordern kann man es ja mal. Das setzt die handelnden Personen auch so schön zusätzlich unter Druck, wenn die “Bild”-Leserschaft dann kräht: Los, lasst jetzt endlich das Wirtschaftswunder stattfinden!

Wenn Franz Josef Wagner sich falsch an den Adidas-Gründer erinnert

Was hatten die beiden Dassler-Brüder Adolf und Rudolf auch den gleichen Nachnamen? Wie soll “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner es bei so einer komplizierten Lage hinbekommen, den einen und den anderen auseinanderzuhalten?

Wagner schreibt heute ans “Liebe Adidas”, an die Firma also, die derzeit schwer in der Kritik steht, weil sie für ihre in der Corona-Krise geschlossenen Shops im April keine Miete zahlen wolle. Adidas verteidigt sich: Es gehe nur um eine Stundung der Mietkosten.

Sowas hätte es bei Adolf “Adi” Dassler, dem Gründer von Adidas, laut Wagner jedenfalls nie gegeben:

Ein Adi Dassler hätte nie die Mietzahlungen gestrichen. Er war ein Mann, der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs kam. Wegen Fahnenflucht wurde er von der Gestapo verfolgt und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. (…)

Adidas sollte sich an seinen Gründer erinnern.

Und Franz Josef Wagner sollte sich richtig an die Geschichte der Dassler-Brüder erinnern, bevor er sowas schreibt. Denn es war nicht Adolf Dassler, der wegen Fahnenflucht von der Gestapo festgenommen und ins Konzentrationslager Dachau gebracht werden sollte, sondern dessen Bruder Rudolf, der spätere Gründer von Puma.

Selbst wenn Wagners Aussage stimmen würde, wäre es eine bemerkenswert einseitige Darstellung von Adolf Dasslers Rolle während des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Zeit in Deutschland (andere Aspekte nennt Wagner nicht). Beide Dassler-Brüder wurden 1933 Mitglieder der NSDAP. Adolf Dassler war bei der Hitlerjugend aktiv. Während des Krieges stellten die Dasslers in ihrer Fabrik für das Nazi-Regime die Panzerabwehrwaffe “Panzerschreck” her, auch unter Einsatz von französischen Zwangsarbeitern. Zu Adolf Dasslers Verhalten während dieser Zeit gehört aber auch, dass er bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin gegen alle Widerstände dafür sorgte, dass der schwarze Leichtathlet Jesse Owens in Dassler-Schuhen antreten konnte. Und im Entnazifizierungsverfahren der US-Amerikaner gab es viele Fürsprecher für Adolf Dassler, unter anderem einen jüdischen Bürgermeister, der berichten konnte, dass Dassler ihn bei sich zu Hause vor der Gestapo versteckt hatte, und einen bekannten Antifaschisten, den Adolf Dassler auch während der NS-Zeit weiterbeschäftigte.

Mit Dank an Georg und @sundrio für die Hinweise!

Nachtrag, 18:10 Uhr: Die “Bild”-Redaktion hat reagiert und die Wagner-Kolumne überarbeitet: Die Passage zum Zweiten Weltkrieg ist komplett verschwunden. Dafür gibt es nun eine “ANMERKUNG DER REDAKTION” am Ende des Textes:

In einer früheren Version des Artikels hieß es über den Adidas-Gründer: “Er war ein Mann, der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs kam. Wegen Fahnenflucht wurde er von der Gestapo verfolgt und in das Konzentrationslager Dachau gebracht.”

Das ist falsch, die Beschreibung trifft vielmehr auf den Rudolf Dassler zu, den älteren Bruder von Adi Dassler. Rudolf Dassler gründete den Adidas-Konkurrenten Puma.

Diese transparente Korrektur ist gut. Wenn die Redaktion schon dabei ist, könnte sie auch gleich noch Wagners Behauptung korrigieren, dass “Adi” Dassler der Erfinder der Schraubstollen ist (“Adi Dassler war Zeugwart und Schuster in der Nationalelf. Er erfand den Schraubstollen.”). Laut Patent- und Markenamt gab es einige Personen, die lange vor Dassler ein Patent auf Schraubstollen angemeldet hatten.

Mit Dank an @seelengalerie und L. S. für die Hinweise!

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