Archiv für Bild.de

Wie der Vater so der Sohn

Ganz schön rüstig! Mit 57 Jahren tritt Wendelin Wiedeking, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Porsche, als Rennfahrer ausgerechnet beim Porsche Sports Cup an — zumindest meldete dies die Deutsche Presseagentur (dpa) am Donnerstag unter der Überschrift “Wiedeking gibt Gas”:

In der Öffentlichkeit hat sich Ex-Porsche- Chef Wendelin Wiedeking nach seinem dramatischen Abgang vor einem Jahr rargemacht. Der Spaß an schnellen Autos scheint dem Manager aber nicht vergangen zu sein: Der ehemalige Lenker der Sportwagenschmiede steht auf der Teilnehmerliste des Porsche Sports Cup in Oschersleben bei Magdeburg.

Bei dpa hat man mittlerweile gemerkt, dass nicht der Ex-Porsche-Chef auf der Teilnehmerliste steht, sondern sein 25-jähriger Sohn gleichen Namens, und heute morgen um 11:50 Uhr eine Korrektur mit der Überschrift “Sohn von Wiedeking gibt Gas” verschickt. Darin heißt es jetzt:

(…) Der Spaß an schnellen Autos scheint zumindest seinem gleichnamigen Sohn aber nicht vergangen zu sein (…)

Bis zu Volksstimme.de, Ortsdienst.de oder Bild.de hat sich die Korrektur aber noch nicht herumgesprochen. Andererseits ist sie auch bei weitem nicht so spannend wie die Ursprungsversion.

Mit Dank an Thomas L.

Nachtrag, 31. Juli: Bei Volksstimme.de darf mittlerweile der Sohn Gas geben.

Löschdebatte

Seit am 20. April die Bohrinsel “Deepwater Horizon” explodierte und zwei Tage später unterging, sprudelt nicht nur das Öl — auch die Mutmaßungen über Ursachen und Verantwortlichkeit wollen nicht versiegen. Es ist ein Schwarzer-Peter-Spiel für Fortgeschrittene — keiner will’s gewesen sein und alle Parteien versuchen den jeweiligen Widersacher verantwortlich zu machen, immerhin handelt es sich um die größte Umweltkatastrophe der Vereinigten Staaten.

Seit zwei Tagen ist dieses Spielchen nun in einer neuen Runde (mehr dazu bei Mediamatters) — und glaubt man der Berichterstattung auf Bild.de, dann hat eine “neue Enthüllung zur Öl-Pest im Golf von Mexiko” ergeben, dass die “explodierte Plattform (…) möglicherweise durch Löschwasser versenkt” wurde.

Weiter schreibt Bild.de über das Löschen mit Salzwasser:

Offenbar ein folgenschwerer Fehler! Denn durch die enorme Last des Löschwassers geriet die brennende Plattform zunehmend aus dem Gleichgewicht, kippte zur Seite – und versank zwei Tage später im Meer.

Nun hat das US-amerikanische “Center for Public Integrity“, eine Nichtregierungsorganisation für kritischen Journalismus, tatsächlich vor zwei Tagen einen recht ausführlichen Bericht über den Einfluss der Löschschiffe veröffentlicht, der in der Tat den Verdacht erweckt, ohne das Löschwasser wäre die Plattform nicht gesunken — zumindest dann, wenn man den Beitrag nicht ganz bis zum Ende liest.

Dort stellen die Autoren des “Center for Public Integrity” nämlich einen Dozenten der Universität Texas vor, der im Grunde alle Vermutungen, Mutmaßungen und all das Geraune zuvor ganz grundsätzlich in Frage stellt:

“Ich glaube nicht, dass irgendjemand geglaubt hat, das Feuer sei mit Schaum oder Wasser zu löschen,” sagt jener Paul Bommer da, “das Feuer war zu groß und zu heiß.”

(Übersetzung von uns.)

Was genau an diesem 20. April geschah — das wissen also selbst die Experten nicht so recht und stochern mehr oder minder im Dunkeln, erwägen, mutmaßen und raten. Für die Redaktion von Bild.de aber, für die der Beitrag des “Center for Public Integrity” zu lang und zu kompliziert war, sieht die Sache recht eindeutig aus — und so können die Leser von Bild.de jetzt annehmen, dass all das Öl im Golf von Mexiko letztlich der Unfähigkeit der Löschschiffe anzulasten sei. Und der Schwarze Peter? Macht weiter munter die Runde.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Reisen bild.det

Christoph Driessen hat für die Deutsche Presseagentur (dpa) einen Artikel darüber geschrieben, worauf sich Engländer im Deutschlandurlaub vorbereiten sollten und dazu Beispiele aus englischsprachigen “Reiseführern und anderen landeskundlichen Beschreibungen” zitiert.

Mal mit, mal ohne entsprechende Namensnennung und dpa-Kennzeichnung erschien sein Beitrag in zahlreichen Online-Medien. Bei Bild.de dürfte sich der Autor aber ganz besonders freuen, dass sein Name nicht darunter steht:

Briten warnen in Reiseführern vor deutschen Unsitten

Die lockere Einleitung Driessens wurde weggelassen, dafür schreibt Bild.de das:

Es geht schon wieder los: Zur schönsten Ferienzeit schießen britische Reiseführer gegen die Deutschen! Sie warnen, worauf sich ausländische Touristen in Deutschland gefasst machen sollten. Man kann entsetzt sein – oder über diesen Unsinn lachen.

Zum tatsächlichen Inhalt des Artikels passt das nicht. Die zitierten Reiseführer sind nämlich größtenteils weder britisch noch gerade erst “zur schönsten Ferienzeit” aufgetaucht.

Ein Beispiel:

Die erste Enttäuschung der Briten: Leider sehen die Deutschen nicht wie Deutsche aus. Keine Dirndl, keine Lederhosen. “Am ehesten bekommt man diesen Anblick noch in Bayern zu Gesicht”, informiert der Klassiker “Culture Shock Germany” (Kulturschock Deutschland).

Die erste Auflage von “Culture Shock Germany” erschien bereits 1996 und der betreffende Lederhosentext ist wohl seitdem – spätestens aber seit der Auflage von 2005 – darin enthalten. Der Autor ist Amerikaner und kein Engländer.

“Planet Germany” von Cathy Dobson wurde 2007 und damit lange vor der “schönsten Ferienzeit” veröffentlicht. Zwar ist die Autorin Britin, dafür ist ihr Buch kein Reiseführer, sondern ein Erlebnisbericht in Romanform – oder wie sie es selbst auf ihrer Homepage nennt: “a crazy tale of an ex pat’s adventures settling into the Rhineland in Germany”

Es wird noch besser:

Selbst der renommierte “Lonely Planet” schreibt in seiner Deutschland-Ausgabe: Deutsche erscheinen beim ersten Kontakt nicht übermäßig freundlich, aber das müsse man nicht persönlich nehmen, untereinander sind sie genauso kurz angebunden.

Auch hier schießt kein “britischer Reiseführer gegen die Deutschen”: Die in Los Angeles wohnhafte Autorin Andrea Schulte-Peevers ist sogar selbst Deutsche, der “Lonely Planet”-Verlag wiederum sitzt in Australien.

Auch das letzte Buch, aus dem Bild.de zitiert, stammt – wen wundert’s noch? – von einem Amerikaner. Greg Nees’ “Germany Unravelling an Enigma” erschien 2000.

Na, hoffentlich titelt jetzt keine englische Zeitung: “Zur schönsten Ferienzeit schießt eine deutsche Boulevardzeitung ungerechtfertigt gegen die Briten!”

Mit Dank an Pekka R. und Clemens W.

Fähnlein Videoschweif

Regelmäßig ist Bild.de in den vergangenen Wochen und Monaten dadurch aufgefallen, Videoclips von Internetplattformen wie YouTube herunterzuladen und auf der eigenen Website zu veröffentlichen. Das hat den Vorteil, dass man kurze Clips mit Wiederholungen, Zeitlupen und teilnahmslosen Off-Kommentaren verlängern und mit der davor geschalteten Werbung (sog. Pre-Roll-Werbung) auch noch Geld verdienen kann.

Weil aber selbst die eifrigsten Redakteure nicht das ganze Internet im Blick haben können, sind “Bild” und Bild.de vor kurzem auf eine neue Idee gekommen: Den “BILD-Leser-Scout”.

Schicken Sie alles, was Ihnen spannend, neu oder originell erscheint, an uns. Wird aus Ihrer Anregung eine Geschichte in BILD, gibt’s dafür 20 Euro Honorar!

Schon am ersten Tag bekam Bild.de “zwei Hinweise auf tolle Videos im Netz”:

BILD-Leser-Scout Markus T. fand das 1. Interview dem “DJ der guten Laune”.

(Anonymisierung von uns.)

Erstaunlich, dass Bild.de das Video nicht selbst entdeckt hat — stammt es doch vom gleichen YouTube-Nutzer wie der inzwischen legendäre Auftritt des DJs, den Bild.de kurz zuvor “gefunden” hatte (BILDblog berichtete).

Auch Leser-Scout Horst W. wurde belohnt: Er hatte “sehr witzige” Fußball-Videos “aufgespürt”.

Eigentor beim Elfmeter.

“So einen Elfmeter haben Sie noch nie gesehen”, verkündet der Offsprecher stolz und hat damit natürlich Recht — es sei denn, man war seit April 2008 zufällig mal auf Bild.de und kennt das Video vom Eigentor nach einem Elfmeter deshalb schon.

Eigentor beim Elfmeter.

Auch viele andere Einsendungen sind nicht unbedingt “neu”.

Da die Axel Springer AG, zu der “Bild” und Bild.de gehören, sich ja bekanntlich seit längerem dafür einsetzt, die Urheberrechte im Internet besser zu schützen, haben wir ihrem Sprecher einige Fragen geschickt:

  • Werden die Urheber der Videos vorher von Bild.de um Erlaubnis gebeten und anschließend am Gewinn durch die Pre-Roll-Werbung beteiligt?
  • Falls nicht: Wie passt dieses Vorgehen zur Forderung der Axel Springer AG nach mehr Respekt vor dem Urheberrecht?
  • Wie würde Bild.de reagieren, wenn Videoclips von Bild.de heruntergeladen und auf anderen kommerziellen Seiten wiederveröffentlicht würden?
  • Im Zusammenhang mit Urheberrechten ist häufig vom “Diebstahl geistigen Eigentums” die Rede. Wäre die “BILD-Leser-Scout”-Aktion dann nicht analog dazu Hehlerei?

Unsere Anfrage stammt vom 21. Juli. Irgendwie haben wir nicht das Gefühl, noch eine Antwort zu bekommen.

Mit Dank auch an United und Ellen L.

Nachtrag/Korrektur: Auf unserem Screenshot war zunächst der Name des “Leser-Scouts” zu lesen, den wir im Text abgekürzt hatten. Das war natürlich dämlich. Entschuldigung!

Werben mit 21 Toten

Wenn man derzeit bei Google nach dem Stichwort “Loveparade” sucht, findet man neben den Suchergebnissen auch eine kleine, auf den Suchbegriff optimierte Werbeanzeige:

Anzeigen: Todesopfer Loveparade — Loveparadebesucherin erlag ihren Verletzungen. Mehr auf Bild.de: www.Bild.de/Opfer_Loveparade

Nachtrag, 17.20 Uhr: Ebenfalls mit dabei (offenbar regional begrenzt): Der “Kölner Stadt-Anzeiger”:

Die Parade des Grauens. Alles zu den Hintergründen und Ursachen der Loveparade in Duisburg: www.ksta.de/LoveParade

Mit Dank an Sascha P.

409 Personen gefällt das nicht mehr

Irgendwann am gestrigen Mittag müssen sie bei Bild.de bemerkt haben, dass das so nicht weitergeht: Die vielen “Gefällt mir”-Buttons neben Überschriften wie “Erstickt, verblutet, Herztod — So qualvoll starben die Opfer der Loveparade-Panik” (aber nicht nur da) wirkten mindestens unglücklich, wenn nicht schlichtweg zynisch.

Manche Artikel haben jetzt gar keine Facebook-Buttons mehr, bei allen anderen wurde die Beschriftung vom euphorischen “Gefällt mir” zum neutraleren “Empfehlen” geändert:

Zahl der Todesopfer auf 21 gestiegen — Empfehlen

Milchmädchen unter Polizeibeobachtung

Gleich drei Autorennamen stehen über dem Artikel über einen freigelassenen Sexualstraftäter (“Die genaue Adresse darf BILD aus rechtlichen Gründen nicht nennen.”) in der Hamburger “Bild”-Ausgabe, aber das hat offenbar auch nicht ausgereicht.

Erst wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wieder mal als “EU-Urteil” bezeichnet und dann ereignet sich auch noch diese mathematische Meisterleistung:

Drei Polizisten sind ständig in W.s Nähe, drei Schichten à 8 Stunden. Insgesamt 24 Mann für rund 20 000 Euro pro Tag.

Die Autoren haben also einfach zwei beliebige Zahlen des ersten Satzes multipliziert und kamen auf “24 Mann”. Rechnerisch kämen bei drei Polizisten je Schicht am Ende neun Beamte raus, die Gewerkschaft der Polizei in Hamburg sprach auf unsere Anfrage hin von zwölf Polizisten, die in vier Schichten im Einsatz seien.

Die von “Bild” angegebenen Kosten von 20.000 Euro pro Tag seien bei 24 Beamten zwar durchaus denkbar, aber es seien ja nur halb so viele im Einsatz, die Kosten also auch entsprechend niedriger.

Mit Dank an Niko M. und Sabine L.

Nachtrag, 29. Juli: Auch das “Hamburger Abendblatt” vertut sich heute beim Durchzählen:

24 Beamte folgen jedem Schritt des Sexual-Täters

Mit Dank an Wieland S.

2. Nachtrag, 2. August: Unser Leser Patrick K. hat entdeckt, dass die Zahlen in der “Bild”-Bundesausgabe vom 29. Juli zwar noch falscher waren, aber wenigstens mathematisch Sinn ergaben:

Acht Beamte sind ständig in seiner Nähe, drei Schichten à 8 Stunden. Insgesamt 24 Mann für rund 20000 Euro pro Tag.

Und das Quadrat da sieht aus wie ein Viereck

Mimik-Forschung: Frauen lachen wie Primaten

Frauenlächeln ähnelt dem Grinsen von Primaten

Was Bild.de und Krone.at titeln, ist so banal, dass es keine Meldung wert wäre.

Denn Frauen lächeln nicht nur wie Primaten, Frauen sind Primaten. Und Männer auch, schließlich gehören alle Menschen als Menschenaffen zu den Primaten.

In der vielfach verbreiteten dpa-Meldung heißt es:

Das meist offene Lächeln einer Frau sei vergleichbar mit dem Verhalten von Primaten im Tierreich.

(Hervorhebung von uns)

Mit Dank an Eugen W.

Nachtrag, 21.25 Uhr: krone.at hat in der Überschrift die “Primaten” durch “Affen” ersetzt.

Was von der Loveparade übrig blieb

Irgendwann sind die Journalisten auf die Idee gekommen, dass die Stimmung, die man als “Sprachlosigkeit” bezeichnen könnte, am Besten abgebildet werden kann, indem man sie beschreibt, kommentiert und abfotografiert. Dass man dem stillen Entsetzen und der Trauer eine laute Mischung aus Information, Mutmaßung und Klickstrecken entgegensetzen sollte, weil man den nahezu unmöglichen Prozess des Verstehens so vielleicht erzwingen kann.

“Bild” kann deshalb heute, rund einen Tag, nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen begonnen haben, bereits das “Todes-Protokoll” der Ereignisse von Duisburg vorlegen. Die Zeitung kann sichtlich verstörte Jugendliche befragen, die einen Freund verloren haben, und eine traumatisierte Überlebende berichten lassen:

"Auf meinen Beinen lagen zwei Leichen!"

Daneben die Fotos von fünf Verstorbenen (auf Bild.de sind es inzwischen mehr), die die Redaktion zumindest teilweise offensichtlich aus dem Internet übernommen hat. Auf einem anderen Foto ist exakt das zu sehen, was die Bildunterschrift verspricht:

Ein Mädchen und ein junger Mann beim gemeinsamen Versuch, eine leblose Person zu reanimieren.

Schon seit dem frühen Samstagabend hatte Bild.de in Bildergalerien notdürftig abgedeckte Tote gezeigt (“Die Hand im Tode verkrampft. Auch dieser Mann wurde bei der Panik vermutlich zerquetscht.”, “Ein Foto, das Gänsehaut vermittelt – zwei Tode am Haupteingang.”, “Die Leiche eines jungen Ravers liegt abgedeckt im Müll.”, usw. usf.).

Doch Bild.de zeigte auch diese auf den ersten Blick harmlose Luftaufnahme:

Fotomontage vom Festival-Gelände.

Das Foto, das inzwischen entfernt wurde, zeigt fahrende Autos auf der gesperrten Autobahn 59, kahle Bäume im Hochsommer, Menschengruppen, die mehrfach im Bild sind und vieles mehr — mit anderen Worten: Es ist eine ziemlich schlecht gemachte Fotomontage. Und das, wo die Menschenmassen auf den Originalfotos vom Festivalgelände beeindruckend genug gewesen wären.

Auch wenn die mehr als einhundert Beschwerden, die allein bis zum heutigen Mittag beim Deutschen Presserat eingegangen sind, sich “bisher alle” gegen die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de richteten, waren dies längst nicht die einzigen Medien, die Fotos von Opfern veröffentlichten. Bilder von Schwerverletzten, unter Schock stehenden Personen, Rettungsmaßnahmen und Leichentüchern, unter denen Gliedmaßen hervorschauen, gab (und gibt) es auch auf express.de, stern.de, derwesten.de zu sehen. “RP Online” anonymisierte immerhin die meisten erkennbaren Gesichter, ebenso wie Bild.de bei den Fotos seiner “Leserreporter”.

Bemerkenswert auch das Titelbild der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” heute, auf dem die Arme eines toten Menschen zu sehen sind — und die Idee, die Ereignisse vom Wochenende ausgerechnet mit einer Karikatur zusammenfassen zu wollen.

Mit Dank an die vielen, vielen verschiedenen Hinweisgeber!

Blättern:  1 ... 153 154 155 ... 174