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Alle Unbeteiligten blieben unverletzt

Man soll mit sowas ja keine Späße machen, aber stellen wir uns für einen Moment mal vor, der Fahrer von Angela Merkels Dienstwagen setzt das Automobil in den Straßengraben. Er war allein unterwegs, um die Kanzlerin abzuholen, und ihm ist nichts schlimmes passiert.

Würden die Zeitungen am nächsten Tag groß über diese, für Merkel gefährliche Situation berichten? Es ist nicht auszuschließen.

Die Yacht des Formel-1-Fahrers Felipe Massa ist bei einem Unfall vor der Küste von Sao Paulo völlig zerstört worden. Der Kapitän hatte bei der Anfahrt zum Hafen offenbar einen Anfall erlitten und die Kontrolle über das Schiff verloren, weswegen es mit einem Felsen kollidierte. Massa selbst und seine Familie waren nicht an Bord, sie hatten auf die Yacht gewartet und den Unfall am Telefon verfolgt.

Und so berichten deutsche Medien über das Geschehen:

Formel 1: Massa entgeht Katastrophe. Glück im Unglück hatte Felipe Massa. Der Brasilianer entging knapp einer Katastrophe.
(sport1.de)

Massa übersteht Yacht-Unfall. Glück im Unglück für Ferrari-Star Felipe Massa (29).
(Bild.de)

Mit Dank an Tommy K.

Kanak Sprak

Heute wurden die Ergebnisse einer neuen PISA-Studie vorgestellt, die sich vor allem mit der Lesekompetenz der Schüler beschäftigt. Grund genug für Bild.de, den Chef des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, zu dem Thema zu befragen.

Meidinger sagt, dass der relativ hohe Migranten-Anteil an unseren Schulen “mitverantwortlich” für das schlechte Abschneiden der Deutschen sei. Er bemängelt “die gescheiterte Integrationspolitik in Deutschland, die über mehr als zwanzig Jahre lang versäumt hat, das Problem der Sprachkenntnisse bei Einwanderern zu thematisieren und systematisch anzugehen”, fordert eine flächendeckende Sprachförderung von Kleinkindern und hebt den Einfluss des Elternhauses hervor:

Doch in vielen Einwanderer-Familien sei “die Sprachkompetenz der Eltern noch schlechter als die ihrer Kinder”.

Das führt laut Meidinger im Ergebnis dazu, dass Kinder aus sozial schwachen, bildungsfernen Migranten-Familien deutlich schlechtere Chancen auf einen erfolgreichen Schulabschluss haben als Kinder aus sozial bessergestellten, bildungsnahen Familien. “Dasselbe gilt natürlich auch für Kinder ohne Migrationshintergrund”, sagt der Bildungs-Experte weiter.

Also alles in allem durchaus differenzierte Antworten, die der “Bildungs-Experte” da gegeben hat. Bild.de fasst seine Aussagen so zusammen:


Philologen-Chef Heinz-Peter Meidinger: Migranten ziehen Pisa-Ergebnisse nach unten

In der gedruckten “Bild” war für Ausdifferenzierungen dann gar kein Platz mehr:

Philologen-Chef: Migranten ziehen Pisa-Ergebnisse nach unten. Berlin - Die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie belegen, dass deutsche Schüler besonders bei der Lesekompetenz schlecht abschneiden. Der Chef des Deutschen Philologenverbandes (DPhV), Heinz-Peter Meidinger, sagte BILD.de: "Der relativ hohe Migranten-Anteil an unseren Schulen ist mitverantwortlich für das schlechte Ergebnis der Deutschen bei der Pisa-Studie." Für den Bildungs-Experten sind vor allem "ihre Sprachdefizite das Problem".

Mit Dank an Vincent und Christian S.

Angst essen Hirn auf

Man fragt sich langsam, was die Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) an sich haben, dass sie so gerne falsch verstanden werden.

Als vergangene Woche in Hannover die “Zentralen Befunde des zweiten Forschungsberichts des Projekts ‘Gewalt gegen Polizeibeamte’ zu den Tätern der Gewalt” (PDF) vorgestellt wurden, in denen es in genau einem von zehn Punkten auch um Täter nichtdeutscher Herkunft ging, titelte die Hannoveraner Regionalausgabe von “Bild” reißerisch:

Gewalt gegen Polizisten! Fast jeder 2. Täter ist ein Migrant

… und liegt damit klar daneben. Denn während “Bild” behauptet, “42,9 Prozent der Schläger sind Migranten, vor allem Muslime, Russen”, heißt es im KFN-Bericht unter Punkt 2:

Von allen berichteten Tätern hatten laut Angaben der Polizeibeamten 37,8 % eine eindeutig benennbare nichtdeutsche Herkunft.

Wo “Bild” die 42,9 Prozent her hat, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Im KFN-Bericht, der sich übrigens auf eine wenig repräsentative Polizistenbefragung aus dem Jahr 2009 bezieht (BILDblog berichtete), findet sich diese Zahl jedenfalls nirgends, sodass von “fast jeder 2.” nur noch etwas mehr als ein Drittel übrig bleibt.

Auch handelt es sich bei den besagten Tätern nicht um “Migranten”, wie von “Bild” behauptet, sondern um Personen, die von betroffenen Polizisten für “Nichtdeutsche” gehalten werden. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler würde bestimmt dazugehören. Im KFN-Bericht heißt es dazu etwas schwammig:

Dabei wurde “Herkunft” im Fragebogen nicht definiert; aufgrund des deutlich über den in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] ausgewiesenen Anteil nichtdeutscher Täter (2009: 18,6 %) liegenden Wertes in der Stichprobe ist aber davon auszugehen, dass sich die Beamten beim Beantworten der Frage nach der Herkunft eher auf einen vorhandenen Migrationshintergrund und nicht auf das Vorliegen einer nichtdeutschen Staatsangehörigkeit bezogen haben.

Vielleicht hat die Unfähigkeit von “Bild”, was die Auswertung von Studien angeht, aber auch weniger mit dem Institut zu tun, das sie anfertigt, sondern vielmehr mit dem Thema “Islam”.

Eine andere Studie des Exzellenzclusters “Religion und Politik” ergab kürzlich, dass 58 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen dem Islam gegenüber kritisch eingestellt sind. Bemerkenswert an diesen Ergebnissen ist vor allem, dass die Deutschen nichtchristlichen Religionen gegenüber – also etwa auch dem Judentum oder dem Hinduismus – im europäischen Vergleich am intolerantesten abschnitten.

Bild.de interpretierte das dennoch ganz einfach so:

Neue Studie Jeder zweite Deutsche hat Angst vor dem Islam

Der dazugehörige Artikel beginnt mit den Worten:

Ehrenmorde, Zwangsehen, religiöse Fanatiker – sie prägen das Bild vieler Deutscher vom Islam. Die Folge: Angst. Über die Hälfte der Deutschen steht dem Islam kritisch gegenüber.

Abgesehen davon, dass es in der Studie nicht um “Angst” ging, sondern darum, ob Menschen ein negatives oder ein positives Bild von verschiedenen Religionen haben, weiß man jetzt wenigstens, wo Intoleranz gegenüber und Angst vor dem Islam herkommen.

Schlagzeilen aus einer anderen Welt

Der Medienzirkus um Wikileaks geht weiter. Am Freitag antwortete Wikileaks-Gründer auf der Webseite der britischen Zeitung “Guardian” auf Leserfragen. Julian Assange erläuterte, dass er derzeit nicht in sein Heimatland Australien zurückkehren könne, erklärte die Wikileaks-Quellen zu Helden und wies eine Frage nach der Verantwortung für diplomatische Kollateralschäden zurück. Ach ja — ein ganz anderes Thema kam auch zur Sprache:

achanth: Mr Assange, have there ever been documents forwarded to you which deal with the topic of UFOs or extraterrestrials? Julian Assange: Many weirdos email us about UFOs or how they discovered that they were the anti-christ whilst talking with their ex-wife at a garden party over a pot-plant. However, as yet they have not satisfied two of our publishing rules. 1) that the documents not be self-authored; 2) that they be original. However, it is worth noting that in yet-to-be-published parts of the cablegate archive there are indeed references to UFOs.

Zu deutsch:

achanth: Herr Assange, wurden ihnen jemals Dokumente übermittelt, die sich mit UFOs oder Außerirdischen befassten?

Julian Assange: Viele Wirrköpfe schicken uns E-Mails über UFOs oder wie sie erkannten, dass sie der Antichrist sind, als sie sich mit ihrer Ex-Frau über eine Topfpflanze unterhielten. Wie dem auch sei, erfüllen diese Einsendungen zwei unserer Veröffentlichungeregeln nicht. Erstens: Dokumente dürfen nicht selbst geschrieben sein. Zweitens: Die Dokumente müssen Originale sein.
Aber es ist erwähnenswert, dass in einigen noch zu veröffentlichenden “Cablegate”-Dokumente auch auf unidentifizierte Flugobjekte Bezug genommen wird.

Angesichts von andauernden Drohnen-Einsätzen und Spionageflugzeugen sind unbekannte Objekte am Himmel kein besonders überraschendes Thema für die internationale Diplomatie, aber Assange verriet nicht wirklich, was in den Dokumenten zu lesen sein wird. Doch das Wort “Wirrköpfe” macht auch deutlich: Enthüllungen über außerirdisches Leben sind von Wikileaks nicht zu erwarten.

Für Schlagzeilen-Schreiber, die ihre Superlative in den letzten Tagen verschossen hatten, war es jedoch mehr als genug.

Bild.de:

be1

“Welt Online”:

Julian Assange kündigt Enthüllungen über Ufos an  Der Wikileaks-Aktivist bricht sein Schweigen: Julian Assange stellt sich Lesern des "Guardian". Der Ansturm legte zwischenzeitlich die Seite lahm.

abendblatt.de:

WikiLeaks: Assange will UFO-Dokumente veröffentlichen

augsburger-allgemeine.de:

Enthüllungs-Plattform Assange: WikiLeaks hat Dokumente, in denen es um Ufos geht

Und sueddeutsche.de:

Julian Assange chattet beim Guardian Todesangst und Ufo-Akten - 2010-12-03 16:48:52   Wikileaks-Kopf Julian Assange beantwortet Fragen von Lesern des "Guardian" - und macht Verschwörungstheoretiker mit einem Hinweis auf Außerirdische neugierig.

Mit Dank an Ralf D. und Tobi R.

Nachtrag, 6. Dezember: Süddeutsche.de hat die Außerirdischen aus dem Vorspann entfernt und fragt auf Twitter: “War die Schlagzeile tatsächlich zu sehr aufgebrezelt?”

Untertauchen für Anfänger

Wo ist Julian Assange? Und: Ist er auf der Flucht? Der Wirbel rund um die Whistle-Blower-Plattform Wikileaks sorgt für immer neue Höhepunkte im weltweiten Medienzirkus. Kein Wunder, dass Bild.de da mitspielen will:

Jagd auf Wikileaks-Chef Julian Assange: Entkommt er wegen einer Behörden-Schlamperei?

Doch nicht nur Behörden schlampen, wenn es um Julian Assange geht. Zur Frage nach dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers schreibt Bild.de zunächst dies:

Scotland Yard sei sein Aufenthaltsort bekannt, berichtet die britische Tageszeitung “The Independent”. Der Australier wird von Schweden wegen Vergewaltigungsverdachts gesucht, steht inzwischen auf der internationalen Fahndungsliste von Interpol. (…)

Nach dem Bericht des “Independent” habe der Australier der Polizei bereits im Oktober nach seiner Ankunft im Land seine Kontaktdaten zur Verfügung gestellt.

Ein paar Absätze weiter sieht es ganz anders aus:

Doch bereits seit Monaten treibt Assange ein Versteckspiel mit den Behörden, gibt seinen Aufenthaltsort nicht preis und operiert aus dem Untergrund.

Und auch zum Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers hat Bild.de noch ein paar ganz exklusive Informationen:

Assange weist die Vorwürfe zurück; er sieht sich als Opfer eines Komplotts und ist deshalb im August 2010 abgetaucht. Angeblich versteckt er sich jetzt in Australien, doch sein genauer Aufenthaltsort ist weiterhin unbekannt.

Diesen Satz verwendete Bild.de bereits in mehreren Artikeln, richtiger wird er dadurch aber nicht. Assange ist keinesfalls seit August abgetaucht: Damals hielt er sich nämlich noch in Schweden auf. Erst im September durfte er das Land verlassen und gab schon im Oktober wieder eine große Pressekonferenz in London.

Doch England oder Australien, behördlich gemeldet oder auf der Flucht — Hauptsache, es gibt irgendwas zu spekulieren.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Küssen verboten

“Die 25 verrücktesten Sex-Gesetze” versprach Bild.de am Donnerstag – selbstverständlich immer mit Blick auf den Bildungsauftrag gegenüber dem Leser – und lieferte dazu eine 25-teilige Klickstrecke. Viel Zeit für Recherche dürfte dabei nicht draufgegangen sein, denn ausnahmslos alle Beispiele geistern zum Teil schon seit den späten Neunzigern in zahllosen Sammlungen und häufig sogar im gleichen Wortlaut durchs Internet oder erschienen schon einmal auf Bild.de.

Noch leichter macht man es sich da nur noch beim Online-Auftritt der Schweizer Boulevardzeitung “Blick”, wo die 25 verrückten “Sex-Gesetze” von Bild.de einfach zwei Tage später als “Verrückte Erotikgesetze” im selben Wortlaut erschienen. Einzige nennenswerte Eigenleistung: blick.ch sortiert nach Ländern.

Bei vielen dieser Gesetze ist es auch aufgrund des komplizierten angelsächsischen Fallrechts nahezu unmöglich zu überprüfen, ob sie immer noch gültig sind oder ob sie überhaupt jemals existiert haben. Zwar lässt sich ein Teil der Gesetze auf der Seite dumblaws.com wiederfinden, aber auch dort fehlt häufig eine Quellenangabe.

Ganz sicher falsch sind jedoch folgende:

Nr. 17 (Bild.de):

Auf Hawaii darf ein Mann nicht mit einer Unter-18-Jährigen zusammen sein. Verstößt er gegen das Gesetz, müssen die Eltern des Mädchens drei Jahre ins Arbeitslager, weil sie ihre Tochter “freizügig” erzogen haben.

Abgesehen davon, dass es im US-Bundesstaat Hawaii keine “Arbeitslager” gibt, findet sich dieses Gesetz weder auf dumblaws.com, noch erscheint es realistisch, wenn man bedenkt, dass auf Hawaii selbst “Unter-18-Jährige” für eine Abtreibung keine elterliche Zustimmung benötigen.

Nr. 20:

Im US-Bundesstaat Connecticut dürfen Kondome offiziell nicht verkauft werden.

Tatsächlich ist der Kondomverkauf in Connecticut seit einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (Griswold v. Connecticut) im Jahre 1965 zulässig.

Nr. 21:

Und in Indiana ist es nur Frauen verboten, Kondome zu kaufen.

Kondome werden in Indiana sowohl geschlechts- als auch altersunabhängig verkauft — und zwar in Drogerien, Apotheken, Supermärkten und online.

Nr. 22:

Wenn Sie nach Irland fahren, nehmen Sie lieber einen großen Vorrat an Kondomen mit: Auch im streng katholischen Inselstaat sucht man vergeblich nach Lümmeltüten.

Ja, die Mehrheit der Iren ist katholisch. Deshalb sind Kondome auf der grünen Insel auch erst seit 1979 nicht mehr verschreibungspflichtig. Und erst seit 1993 können sie auch von Jugendlichen unter 17 Jahren legal erworben werden. Aber wenn Sie am Flughafen jemanden sehen, der wegen eines Koffers voller “Lümmeltüten” Übergepäck anmelden muss, handelt es sich sicher um Redakteure von Bild.de oder blick.ch.

Andere “verrückte” US-Gesetze wie etwa die gesetzliche Beschränkung auf maximal “zwei Dildos pro Haushalt” in Arizona (Nr. 24) versuchte der amerikanische Jurist Daniel Enevoldsen zu verifizieren — erfolglos. Ihm gebührt das Schlusswort, das wohl auf den Großteil der Gesetze aus der Liste zutreffen dürfte:

Ich glaube, dass es sich dabei irgendwann tatsächlich um Gesetze gehandelt hat, die aber inzwischen nicht mehr angewendet werden. Sie sind vermutlich so alt, dass sie nicht in Online-Datenbanken aufgezeichnet sind. Möglich ist auch, dass die Gesetze nie existiert haben und einfach von irgendwelchen Leuten erfunden wurden. Wie auch immer: Es scheint sie nicht mehr zu geben.
(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an Michael und einen anonymen Helfer!

Wenn der Kindersegen schief hängt

Der griechische Göttervater Zeus hat im Laufe seines Lebens mit Göttinnen, Halbgöttinen und Sterblichen viele, viele Kinder gezeugt. Gut, dass es auf dem Olymp noch keine “Bild” gab, denn die hätte bei den zahlreichen Nachfahren vermutlich noch mehr den Überblick verloren als die Geschichtsschreiber.

Keith Macdonald ist nicht der Typ, dem man einen Kampf gegen die Titanen zutraut. Bild.de bezeichnet ihn als “Englands nutzlosesten Vater” und beruft sich dabei natürlich auf die britische Presse, die ihn “ziemlich fies” so nennt.

Doch wer ist dieser Keith Macdonald?

Er ist arbeitslos! Er kassiert Stütze. Er findet keinen Job, weil er angeblich Rückenprobleme hat. Probleme beim Sex scheint Keith Macdonald (25) nicht zu haben. Er hat acht Kinder von acht Frauen – und sechs Mal Nachwuchs ist noch unterwegs…

Unter Berufung auf britische Medien erklärt Bild.de:

Die Berichte: Keith hat bereits acht Kinder von acht verschiedenen Frauen. Jetzt behaupten vier Exfreundinnen, von ihm schwanger zu sein. Und: Eine der Frauen erwartet sogar Zwillinge.

Vier schwangere Ex-Freundinnen, von denen eine Zwillinge erwartet, macht in der Summe fünf künftige Erdenbürger — da fehlt doch irgendwie noch ein Kind für “sechs Mal Nachwuchs”, der “noch unterwegs” ist.*

Doch Zahlen sind Schall und Rauch: Der “Daily Express”, auf den sich Bild.de beruft, zählt sowieso ganz anders:

Im Alter von 25 hat Keith Macdonald zehn Kinder mit zehn verschiedenen Frauen gezeugt und weitere fünf sind unterwegs. Es könnten noch fünf zusätzliche Nachkommen in der Gegend rumschwirren, zu deren Erzeugung er sich entweder nicht bekannt hat oder sich nicht sicher ist.

(Übersetzung von uns.)

Aber so richtig scheinen auch die britischen Medien nicht mehr durchzublicken: Anfang des Monats hatte Macdonald im “Daily Mirror” noch neun Kinder, eine Woche später sprach die asiatische Nachrichtenagentur ANI von 13 Kindern, die “Daily Mail” folgt der Zehn-Kinder-Theorie, die “Sun” überschlägt 17 Kinder und der “Daily Telegraph” verhedderte sich gestern in bester Bild.de-Manier völlig.

Aber womöglich ist das alles auch völlig egal, solang er arbeitslos ist.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

*) Nachtrag, 13.55 Uhr: Unser Leser Ronny K. hat zumindest eine Erklärung für den angeblich anstehenden sechsfachen Nachwuchs gefunden:

Keith’ aktuelle Freundin Amy (32, nach eigenen Aussagen ebenfalls schwanger von ihm) scheint sein wildes Leben nicht zu beeindrucken.

Mordsberühmt

Ein geistig verwirrter Mann soll in New York die eigene Mutter brutal ermordet haben — Alltag für Boulevard-Journalisten. Wenn der mutmaßliche Mörder dann aber auch noch ein bekannter TV-Star ist, ist es ein Fall für die Titelseite. So titelte Bild.de schon am 24. November auf der Startseite:

Und auch am Montag wieder:

Alleine: Michael L. Brea war alles andere als ein TV-Star. In seiner sehr kurzen Karriere brachte er es gerade Mal auf einen kurzen Auftritt auf dem Bildschirm. Die “New York Daily News”, aus der Bild.de ausführlich abschreibt zitiert, nennt ihn einen “bit-part actor”; also einen Schauspieler der bestenfalls ein paar Zeilen Dialog bekommen hat. Laut Associated Content war der Auftritt sogar eine “walk on appearance” ohne jeden Dialog. Damit hatte es Brea noch nicht Mal zu einem Eintrag in der Filmdatenbank IMDB.com geschafft. Mit dem Samurai-Schwert hat er sich zumindest für Bild.de unsterblich gemacht — aber hier gilt ja schon lange die Devise: Ein Star ist man, wenn es “Bild” passt.

In dem Bemühen, dem Mord für das deutsche Publikum irgendeine Relevanz zu verleihen, macht Bild.de die Serie “Ugly Betty” kurzerhand zum Vorbild der deutschen Erfolgs-Soap “Verliebt in Berlin”. Wie Bild.de bereits 2006 selbst schrieb, stimmt das nicht: “Ugly Betty” startete anderthalb Jahre nach “Verliebt in Berlin” und stützte sich wie die deutsche Serie auf eine kolumbianische Vorlage.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nur 48 Stunden

Mal so ganz hypothetisch: Was würden Sie von einem Video erwarten, das derart angepriesen wird?

Chinesische Baukunst: Hochhaus in nur zwei Tagen gebaut. Chinesischen Arbeitern gelang es in nur zwei Tagen das "Ark Hotel" in Changsha zu bauen. Das Gebäude hält Erdbeben bis zur Stärke 9 stand. Zudem ist es schalldicht und thermoisoliert.

“Ein Video über ein Hochhaus, das in nur zwei Tagen gebaut wurde”, sagen Sie?

Alles klar. Bild.de liefert brav ab:

Ein Hochhaus in nur zwei Tagen — chinesischen Arbeitern gelang dieses Baukunststück. Binnen 48 Stunden haben sie das 15-geschossige “Ark Hotel” in Changsha gebaut.

Beeindruckend, was? Und dann zeigt Bild.de auch noch ein Zeitraffervideo vom Aufbau des Hotels:

Es wird dunkel …

… und wieder hell …

… und dunkel …

… und wieder hell …

… und dunkel …

… und …

Äh, was ist da eigentlich mit der Zeitanzeige los?

“Nach knapp einer Woche war das Hotel einzugsfertig”, sagt jetzt der Off-Sprecher und fügt hinzu:

Doch die chinesische Baufirma behauptet, dass sie das Kunststück auch in zwei Tagen geschafft hätte.

Aha. Der Bau des Hauses hat also nach übereinstimmenden Berichten internationaler Medien etwa sechs Tage gedauert, die Baufirma sagt, dass sie das auch in zwei Tagen geschafft hätte, und Bild.de berichtet dann: “Hochhaus in nur zwei Tagen gebaut”.

Was, wenn Bild.de plötzlich behaupten würde, auch fehlerfrei und in sich logisch berichten zu können?

Mit Dank an Wilhelm W.

Bittere Halbwahrheiten

Dass Menschen aus anderen Ländern nicht etwa in die Kulturnation, sondern in den Wohlfahrtsstaat Deutschland einwandern wollen, ist für die Klientel von “Bild” alles andere als neu. Trotzdem – oder gerade deshalb – lieferte die Boulevardzeitung am Dienstag auf der Titelseite noch einmal die “bittere Wahrheit”:

Die bittere Wahrheit über Ausländer und Hartz IV

Und nochmal in groß:

Ausländer-Statistik: 90 Prozent der Libanesen kriegen Hartz IV

In der Tat haben es die drei “Bild”-Autoren geschafft, Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mit denen des Statistischen Bundesamtes zu kombinieren und in eine Tabelle zu gießen. Haarklein listen sie auf, wie viele Menschen verschiedener Nationalitäten ohne deutschen Pass in Deutschland “arbeiten dürften” und trotzdem Sozialleistungen beziehen:

Sogar für einen Quellennachweis hat es gereicht:

Doch warum bestreiten so viele Libanesen in Deutschland ihren Lebensunterhalt nicht selbst, wenn sie doch nach amtlicher Statistik ausdrücklich arbeiten dürfen? Allwetter-Soziologe Christian Pfeiffer hat die passende Erklärung parat:

Woher kommen die großen Unterschiede?

Soziologe Prof. Christian Pfeiffer: Viele Libanesen etwa waren zu Beginn Asylbewerber und durften nicht arbeiten. Dieser Lebensstil hat sich von Generation zu Generation durchgesetzt. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig, Kinder gelten als Einkommensquelle, gearbeitet wird höchstens schwarz. Gerade die Libanesen haben sich oft in dieser Armutslage eingerichtet.

Scheinbar um Ausgleich bemüht, hält “Bild” fest, dass Ausländer natürlich nicht faul seien und sogar sehr selten Arbeit ablehnen, die ihnen von der Arbeitsagentur angeboten wird. Doch wie passt das mit dem speziellen libanesischen Lebensstil zusammen? Dass Libanesen Kinder als Einkommensquelle ansehen, haben sie offenbar mit der Redaktion von “Bild” gemein. Denn wie man den amtlichen Statistiken ohne weiteres entnehmen kann, sind 6.541 (oder 17,7%) der amtlich erfassten Libanesen unter 15 Jahre alt — und dürfen daher alleine schon wegen der Schulpflicht nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. Insgesamt sind 9.200 Libanesen als “nicht erwerbsfähig” registriert: zu jung, zu krank, zu alt für den Arbeitsmarkt.

In den ersten vier Jahren bekommen geduldete Ausländer allenfalls eine Arbeitsstelle, wenn sich kein Deutscher dafür findet. Nach Auskunft von Pro Asyl kommt diese Vorrangigkeitsprüfung in vielen Regionen Deutschlands einem “faktischen Arbeitsverbot” gleich. Sie mögen sich in Armut eingerichtet haben, sie mögen laut Ausländergesetz arbeiten “dürfen”, einem großen Teil von ihnen bleiben aber schlichtweg keine Möglichkeiten.

Das hätte “Bild” auch wissen müssen: Die Bundesagentur für Arbeit hatte für das Blatt eigens eine Sonderauswertung gemacht, in der die Gesamtzahl der Ausländer noch nach Erwerbsfähigen und nicht Erwerbsfähigen aufgeschlüsselt war — doch die Zeitung rechnete einfach mit der (natürlich höheren) Gesamtzahl weiter und liefert so eine sehr einseitige Statistik. An wirklichen Erklärungen scheint die Redaktion jedenfalls bedeutend weniger Interesse als an der riesigen Schlagzeile gehabt zu haben.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

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