Archiv für Bild.de

“Von wegen!”

Für eine erfolgreiche Desinformationskampagne braucht es Leute, die das Lügenkonstrukt verbreiten. Da können reichweitenstarke Accounts auf Social-Media-Plattformen hilfreich sein oder, noch besser, Redaktionen mit einem Millionenpublikum.

Und damit zu “Bild”.

Gestern brachte die Redaktion diese Geschichte bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Von wegen Klima-Kriminelle! Russland soll Auspuff-Sabotage in Deutschland gesteuert haben

Der Artikel basiert auf einer Recherche, die der “Spiegel” ebenfalls gestern veröffentlicht hatte (nur mit Abo lesbar). “Bild”-Redakteur Matteo Tomada schreibt bei Bild.de mit Blick auf eine Sabotageserie, bei der im Dezember vergangenen Jahres an verschiedenen Orten in Deutschland Auspuffrohre mit Bauschaum verstopft wurden:

Mehr als 270 Autos wurden in nur wenigen Tagen mit Bauschaum stillgelegt und mutwillig zerstört. Dazu prangten Habeck-Aufkleber auf den Karossen. Was zunächst aussah, wie Vandalismus seitens Klimakrimineller, scheint jetzt weit größere Kreise zu ziehen.

Hinter der Auspuff-Sabotage soll Russland stecken!

Wie der “Spiegel” berichtet, soll die Spur der Saboteure nach Moskau führen.

Leider erwähnt Tomada an keiner Stelle, wer den Spin mit den “Klimakriminellen” in die Welt gesetzt hat. Aber er verlinkt dankenswerterweise einen Bild.de-Artikel vom 12. Dezember zum Thema. Dessen Überschrift, die bis heute unverändert online ist, lautet:

Screenshot Bild.de - Bei 100 Fahrzeugen den Auspuff verstopft - Klima-Radikale attackieren Autos mit Bauschaum

Es handele sich um eine “neue Chaos-Taktik von Klima-Aktivisten”, schreiben “Bild”-Reporter Hagen Stegmüller und “Bild”-Chefreporter Michael Behrendt. Sie zitieren zwar einen Polizeisprecher, laut dessen Aussage es zu dem Zeitpunkt keine heiße Spur “zur Bauschaum-Bande” gebe. Doch das hält Stegmüller und Behrendt nicht davon ab, solche Sätze zu schreiben:

In der zweiten Nacht weiteten die Klima-Radikalen ihre Aktion auf Ulm, Blaustein und Neu-Ulm (Bayern) aus.

Noch sei unklar, wie viel Geld ihn die Straftat der Klima-Kriminellen koste.

Desinformationskampagnen haben es dann besonders leicht, wenn ihr scheinbarer Inhalt in ein festgezurrtes Weltbild passt. Dann wird munter geteilt und weiterverbreitet, ohne Abwägen, ohne Zweifel, ohne Einschränkung. Die “Bild”-Redaktion ist ein dankbarer Abnehmer.

Noch einmal zurück zu “Bild”-Redakteur Matteo Tomada. Der schreibt zum “mutmaßlichen Motiv” hinter der wahrscheinlich russisch gesteuerten Bauschaumaktion:

Die Öffentlichkeit solle gezielt auf eine falsche Fährte gelockt werden, um im Bundeswahlkampf Hass auf die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten Robert Habeck zu schüren.

Sollte es sich bei der Auspuffaktion tatsächlich um eine russische Desinformationskampagne handeln und sollte damit tatsächlich die Öffentlichkeit “gezielt auf eine falsche Fährte gelockt werden”, dann können sich die Urheber in Moskau recht herzlich bei der “Bild”-Redaktion für die tatkräftige Unterstützung bedanken.

Bildblog unterstuetzen

Wie “Bild” über einen “mutmaßlichen IS-Unterstützer” berichtet

Die bislang schlüssigste Erklärung geht in etwa so: Der aus Libyen stammende und in einer Flüchtlingsunterkunft in Bernau lebende Omar A. war auf der Suche nach einer Braut. Dafür chattete er mit einer Person, die sich zumindest als Frau ausgab, aber eigentlich bei der Terrororganisation “Islamischer Staat” für Rekrutierungen zuständig war. Ein sogenannter Nachrichtenhändler verschaffte sich Zugang zu diesem inhaltlich harmlosen Chat, reicherte ihn mit erfundenen belastenden Aussagen von Omar A. an und verkaufte ihn an einen Geheimdienst. Dieser Geheimdienst leitete den Chat an die deutschen Behörden weiter, die Omar A. festnahmen und in Untersuchungshaft steckten. Der Vorwurf: Er soll einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben. Inzwischen ist Omar A., der sich von Anfang an kooperativ verhielt und beispielsweise den Ermittlern zu deren Überraschung direkt den Zugriff auf sein Handy ermöglichte, wieder auf freiem Fuß. Der Generalbundesanwalt sieht keinen dringenden Tatverdacht mehr.

Es deutet also alles darauf hin, dass Omar A. kein Terrorist ist. Den Anschlagsplan auf die israelische Botschaft scheint es nicht gegeben zu haben.

Über diese Wendung in dem Fall berichtet auch Bild.de:

Screenshot Bild.de - Wieder auf freiem Fuß - Vermeintlicher Terrorist suchte nur eine Frau

Die Redaktion schreibt:

Der aus Libyen stammende Asylbewerber wurde im Oktober als mutmaßlicher IS-Unterstützer festgenommen. Auch BILD hatte groß über den Fall berichtet.

Das, was für “Bild”-Verhältnisse wie ein ausgesprochen transparenter Umgang mit dem eigenen Tun wirkt, ist tatsächlich eine sehr wohlwollende Zusammenfassung in eigener Sache, eine geradezu verklärende Darstellung. Denn während die allermeisten Redaktionen es nach der Verhaftung von Omar A. im Oktober 2024 tatsächlich schafften, von einem “mutmaßlichen IS-Unterstützer” zu schreiben, von einem “Terrorverdächtigen” zu sprechen und mit “soll” und “offenbar” zu arbeiten, gab es in den “Bild”-Medien keinen Platz für Grautöne:

Ausriss Bild am Sonntag - SEK-Einsatz - Libyer (28) plante Terror-Anschlag auf israelische Botschaft in Berlin
Ausriss Bild-Titelseite - Er plante Anschlag auf Israel-Botschaft
Screenshot Bild.de - In Bernau bei Berlin gefasst - In diesem Heim plante der IS-Terrorist den Anschlag
Ausriss Bild-Zeitung - Anschlag auf Botschaft geplant - IS-Terrorist wird Haftrichter vorgeführt
Ausriss Bild-Zeitung - Warum war der noch hier? Dieser Grinser ist der IS-Terrorist, der in Berlin einen Anschlag plante
Ausriss Bild-Zeitung - Scheiterte die Abschiebung des IS-Terroristen am Flugplan?
Screenshot Bild.de - Er plante den Anschlag auf Israel-Botschaft - Der lächelnde IS-Terrorist von nebenan
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)

Omar A. sei ein “Terror-Libyer” und ein “IS-Fanatiker”, war sich die “Bild”-Redaktion sicher:

Er grinst und lächelt so freundlich. Doch er ist hochgefährlich!

Selbstverständlich will “Bild” diese vermeintliche Gefahr auch zeigen. Und so besorgte sich die Redaktion bei Instagram mehrere Fotos von Omar A. und veröffentlichte sie unverpixelt, teils riesengroß:

Ausriss Bild-Zeitung - Noch einmal die Schlagzeile Warum war der noch hier? Dieser Grinser ist der IS-Terrorist, der in Berlin einen Anschlag plante und dazu ein großes Foto von Omar A., das die Bild-Redaktion unverpixelt veröffentlich hat und wir nachträglich verpixelt haben

Nicht nur über Omar A. schrieb die “Bild”-Redaktion; auch über dessen Onkel verbreitete sie Mutmaßungen, die sich inzwischen als falsch herausgestellt haben dürften. Den Mann aus Nordrhein-Westfalen brachte “Bild” für eine Radikalisierung ins Spiel, die es offensichtlich nie gegeben hat:

Ob der Onkel seinen Neffen radikalisiert haben könnte, ist bislang nicht geklärt. Fakt ist: Im Raum Bonn besuchte Omar A. auch Moscheen.

Während die Redaktion bei ihrer Suche nach weiteren Schuldigen beim Onkel also noch ein Fragezeichen setzt, legte sie sich an anderer Stelle fest. Da der Asylantrag von Omar A. schon vor längerer Zeit abgelehnt, der Mann aber bis zu seiner Verhaftung nicht abgeschoben wurde, sah “Bild” zumindest eine indirekte Mitschuld bei den zuständigen Behörden:

Eine Abschiebung nach Libyen sei zu “diesem Zeitpunkt als aussichtslos” bewertet worden. Deshalb wurde der Fall A. zunächst auch gar nicht an die für Abschiebungen zuständige Ausländerbehörde weitergeleitet.

So konnte A. in Ruhe seinen Anschlag planen …

Was er, kleines Detail am Rande, offenbar nie tat.

Obwohl die große Wendung in dem Fall nun schon mehrere Tage zurückliegt, sind bei Bild.de die Überschriften, die Omar A. fälschlich zum Terroristen erklären, weiter unverändert abrufbar.

Bildblog unterstuetzen

“Bild am Sonntag” ändert Unfallhergang

Am 20. September kam es auf einer Landstraße in Niedersachsen zu einem Unfall zwischen einer Autofahrerin und einem Motorradfahrer. Der Mann verletzte sich dabei so schwer, dass er später an den Unfallfolgen starb.

Vorgestern berichteten die “Bild”-Medien über den Fall und über die Familie, die der Motorradfahrer hinterlässt. Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Sechs Kinder weinen um ihren Papa - Fahrlehrer Juri (34) stirbt bei Motorrad-Unfall

Und groß in “Bild am Sonntag”:

Ausriss Bild am Sonntag - Helena (39) steht jetzt mit sechs Kindern alleine da
(Die “Bild”-Redaktion hat das Foto der Familie unverpixelt veröffentlicht und scheint auch eine entsprechende Erlaubnis zu haben. Wir haben für die Veröffentlichung hier bei uns eine Unkenntlichmachung hinzugefügt.)

Zum Unfallhergang schrieben die beiden Autorinnen:

So vielen Menschen hatte Juri, der Fahrlehrer, beigebracht, am Steuer alles richtig zu machen. Die 29-jährige Frau auf der Landstraße bei Kirchlinteln (Niedersachsen) macht an diesem 20. September alles falsch, als sie das Steuer nach links reißt, um abzubiegen. Sie achtet nicht auf Juri, der ihr entgegenkommt.

Das ist ein heftiger Vorwurf an die 29-jährige Autofahrerin, erst recht im Zusammenhang mit dem sehr emotionalen Bericht der “Bild”-Medien. Dieser Vorwurf deckt sich allerdings kaum mit den Informationen, die die zuständige Polizeiinspektion zu dem Unfall veröffentlicht hat. Die schrieb am 21. September:

Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr eine 29-jährige Fahrerin aus Kirchlinteln mit ihrem VW auf der Verdener Straße in Richtung Südkampen und stand in Höhe der Einmündung zur Neddener Straße hinter weiteren Fahrzeugen, um anschließend nach links abzubiegen. Von hinten näherte sich der 34-Jährige aus Verden auf seinem Motorrad und setzte zum Überholen an, als die 29-Jährige mit ihrem Fahrzeug nach links abbog.

Laut Polizei kam der Motorradfahrer der Frau also gar nicht entgegen, als sie links abbog, sondern überholte sie von hinten.

Die “Bild”-Redaktion hat ihren Artikel bei Bild.de inzwischen geändert. Dort steht nun:

So vielen Menschen hatte Juri, der Fahrlehrer, beigebracht, am Steuer alles richtigzumachen. Doch an diesem 21. September läuft etwas schrecklich falsch, als er auf einer Landstraße bei Kirchlinteln (Niedersachsen) in den Wagen einer abbiegenden 29-Jährigen kracht.

Einen Hinweis darauf, dass die Beschreibung des Unfallhergangs von der Redaktion verändert wurde, gibt es nicht.

Mit Dank an Eva für den Hinweis!

Schlecht hören, gut schleichen

Thomas Gottschalk hat wirklich Glück. Er bekomme …

nun ein Super-Hörgerät von Geers, das KI-gestützt ist und 4500 Euro kostet.

Das berichtete Chefreporter Stephan Kürthy am vergangenen Mittwoch in der gedruckten “Bild”. Und auch bei Bild.de schreibt Kürthy über die tolle Hilfe, die das Unternehmen Geers Gottschalk biete:

Der Entertainer hat kein Problem damit, diese Hilfe auch anzunehmen. Am Dienstag bekam er in München bei Geers World of Hearing den Prototypen der Zukunft angepasst und erklärt: den KI-gestützten Phonak Audeo Sphere Infinio (Kosten ab 4000 Euro).

Thomas Gottschalk hat wirklich Glück. Er ist rein zufällig auch das offizielle Werbegesicht des Hörgeräteherstellers Geers und dürfte dafür eine ordentliche Stange Geld bekommen.

Und dann hat Thomas Gottschalk noch einmal wirklich Glück: Dass die “Bild”-Redaktion kein Problem damit hat, diese Schleichwerbung als ganz normalen Artikel zu veröffentlichen, ohne “Anzeige” darüber zu schreiben und ohne irgendeinen Hinweis auf Gottschalks Werbetätigkeit für Geers. Stattdessen tarnt sie das Ganze als Beziehungsschmonzette:

Screenshot Bild.de - Thomas Gottschalk über sein Ohr-Problem - Ich höre immer auf Karina

Thomas Gottschalk (74) und seine Frau Karina (62) haben ein kleines Streitthema: die Fernseh-Lautstärke im gemeinsamen Schlafzimmer.

Hach, diese herrlich normalen Gottschalks.

Die Nummer erinnert uns an etwas: Erst im März dieses Jahres bekam die “Bild”-Redaktion vom Deutschen Presserat eine Rüge für einen Artikel mit der Überschrift “So kloppe ich meine Kilos weg!” In dem Beitrag ging es um “die FETT-WEG-TIPPS” von Fußballtrainer Jürgen Klopp:

Der Star-Trainer selbst nutzt ein Peloton-Bike, bei dem digital an voraufgezeichneten sowie Live-Kursen teilgenommen werden kann, die von Trainern angeleitet werden.

Dass Klopp zu dieser Zeit auch Peloton-Werbebotschafter war, hat die “Bild”-Redaktion im Artikel nicht erwähnt. Der Presserat wertete die Veröffentlichung als Schleichwerbung.

Bildblog unterstuetzen

Neue Rolle für Andreas Türck heute, die alte Rolle von “Bild” damals

TV-Moderator Andreas Türck hat einen neuen Job: Er wird künftig Handball-Übertragungen des Sport-Streaminganbieters Dyn moderieren. Die “Bild”-Medien berichten recht ausführlich über die Personalie, eine “richtig große Fernseh-Überraschung”. Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Als Sportmoderator bei Dyn - TV-Comeback für Andreas Türck

Die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Andreas Türck zurück im TV

Und groß im Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - TV-Comeback von Andreas Türck

Im Artikel steht unter anderem:

Seine Karriere wurde 2004 abrupt gestoppt. Grund: ein Gerichtsverfahren wegen Vergewaltigungs-Vorwürfen. Im September 2005 der Freispruch, den die Staatsanwaltschaft selbst beantragt hatte. Es gab große Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers.

Trotzdem zog sich der Moderator aus der Öffentlichkeit zurück, moderierte erst wieder zwischen 2013 und 2017 auf Kabel Eins “Abenteuer Leben”.

Jetzt ist Türck als Sport-Moderator wieder da!

Aus unserer Sicht ist das eine etwas lückenhafte Darstellung – es gäbe da noch etwas zu ergänzen: die Rolle der “Bild”-Medien damals. Es sei eine “tendenziöse und vernichtende Berichterstattung der Boulevardpresse, allen voran ‘Bild’ und ‘Bild am Sonntag'”, gewesen, schrieb Sabine Sasse 2007 rückblickend. Wochenlang hatte die “Bild”-Redaktion sich an intimsten Details ergötzt und Andreas Türck vorverurteilt. Die Schlagzeilen aus dem August 2005, als der Prozess gegen Türck lief, lauteten beispielsweise “Die Sex-Akte Türck” und “Wird er böse, wenn Frauen nicht wollen?” und “Türck-Prozeß – Neue Sex-Enthüllung” und “Katharina (29) weinte gestern vor Gericht – So hat Türck mich vergewaltigt”. “Bild” habe einen “regelrechten Diffamierungsfeldzug gegen Türck” geführt, so Sasse.

Ein absoluter Tiefpunkt der Berichterstattung war ein Artikel, der unter der Überschrift “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht” in “Bild am Sonntag” erschienen ist. Autor Stefan Hauck schrieb darin über Türcks “erbärmliches Leben”: nur wenige Begabungen, Aktivitäten, die niemanden interessierten, und eigentlich schon längst “auf seinem Rückweg in die vorhersehbare Bedeutungslosigkeit”, der nur unterbrochen wurde, weil Türck “dann doch etwas Unvorhersehbares tat”. Dass Andreas Türck unschuldig war, zeichnete sich damals schon im Prozess deutlich ab.

So kommentierte auch Marion Horn, zu der Zeit Stellvertreterin von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und heute selbst “Bild”-Chefredakteurin, kurz vor Prozessende:

Von Anfang an war klar, daß die Staatsanwältin keinerlei Beweise hat. Von Anfang an war durch Gutachten bekannt, daß die Aussagen von Katharina B. nicht belastend sind.

Angesichts der Schlagzeilen und Artikel, die Horns Redaktion dennoch in den Wochen zuvor veröffentlicht hatte, klingt das wie blanker Hohn. Für Horn aber war alles “ein schmutziges Gerichtsspektakel”, inszeniert von der Justiz (die sicher ihren Anteil an dieser riesigen Schweinerei hatte). Es klingt, als wäre “Bild” regelrecht dazu gezwungen worden, einen Menschen fertigzumachen.

Auch nach dem Freispruch trampelten die “Bild”-Medien weiter auf Andreas Türck herum. Wegen des Prozesses landete er in einer “Bild”-Kolumne mit der Überschrift “Peinliche Promis”. In einem anderen Artikel stellte die Redaktion es so dar, als handele es sich nicht um einen “Freispruch erster Klasse”, weil die Tat bloß nicht mit Sicherheit hätte bewiesen werden können. “Bild” fragte süffisant: “Der schöne Andreas ist 1,93 Meter groß, sportlich, schlank, lächelt gern – aber für was soll er jetzt sein Gesicht ins Fernsehen halten?”

Dass die Antwort darauf nun lautet: Für Dyn, einen Streaminganbieter, der mehrheitlich dem Axel-Springer-Verlag gehört, ist eine späte Wendung, die etwas irre und auch ein bisschen traurig ist.

Bildblog unterstuetzen

16 Jahre alt, mit Foto, Vor- und Nachnamen

Achtung, nicht erschrecken: Bei “Bild” hat sich was verbessert. Zumindest ein bisschen und auch nur teilweise.

Die Redaktion scheint ein kleines Stück sensibler geworden zu sein im Umgang mit Fotos, die Opfer von Verbrechen und Unglücksfällen zeigen. Allein in der heutigen Print-Ausgabe findet man zwei Bildunterschriften, die auf diese Entwicklung hindeuten. Zu einer Geschichte mit der Überschrift “Handwerker Yusuf wurde auf der Autobahn erstochen” schreibt “Bild” zu einem Foto, auf dem das Opfer unverpixelt zu sehen ist:

Yusuf C. bei seiner standesamtlichen Trauung. BILD zeigt das Foto mit dem Einverständnis seiner Familie

In einem anderen Artikel, in dem es um einen aktuell laufenden Prozess in Frankreich geht, zeigt die “Bild”-Redaktion ein unverpixeltes Foto des Opfers und schreibt dazu:

Gisèle P. (72) besteht darauf, dass der Prozess gegen ihren Mann öffentlich geführt wird. Vor Gericht ließ sie sich fotografieren

Nun ist es noch mal eine andere Frage, ob man, wie im Fall des “Handwerkers Yusuf”, eine trauernde Familie in dieser Situation unbedingt mit der Frage behelligen muss, ob man denn ein Foto des Verstorbenen bekommen und veröffentlichen kann. Diese im Artikel geschilderte Szene klingt jedenfalls stark nach Witwenschütteln:

BILD trifft die Familie des gelernten Dachdeckers an seinem Wohnort in der Nähe des Tatorts. Frauen liegen sich schluchzend in den Armen, Männer können ihre Tränen nicht zurückhalten.

Gemessen an dem niedrigen Niveau, von dem “Bild” kommt und für das der Deutsche Presserat der Redaktion zahlreiche Rügen erteilt hat, ist das Einräumen eines Mitspracherechts bei der Fotoveröffentlichung, selbst unter Ausnutzung eines emotionalen Ausnahmezustands, aber schon eine Verbesserung.

Doch es gibt auch noch das alte Muster: Vergangenen Donnerstag berichtete die “Bild”-Redaktion über eine “Horror-Attacke vor Jamaika”. Und zeigte auf der Bild.de-Startseite und im Artikel das 16-jährige Opfer unverpixelt:

Screenshot Bild.de - Horror-Attacke vor Jamaika - Hai beißt Schüler (16) Kopf ab
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns.)

Einen Hinweis wie “BILD zeigt das Foto mit dem Einverständnis seiner Familie” findet sich nicht im Artikel. Dafür aber der vollständige Vor- und Nachname des Jugendlichen.

Zum “Opferschutz” schreibt der Presserat in Richtlinie 8.2 seines Pressekodex:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich.

Und konkretisiert in Richtlinie 8.3:

Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Auch RTL.de veröffentlichte gestern einen Artikel zum “blutigen Drama vor der Küste von Jamaika”, zeigt darin ein unverpixeltes Foto des 16-Jährigen und nennt dessen kompletten Namen.

“Bild” lässt Olaf Scholz Erholungsgärten plattmachen

Was kaum jemand weiß …

Was kaum jemand weiß: Auch Erholungsgärten werden hier plattgemacht, damit das Kanzleramt größer wird.

Das berichtete die Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung am vergangenen Dienstag. Plattmach-Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Weil der Kanzler mehr Platz braucht - 200 Garagen und Gärten werden plattgemacht

Das Bundeskanzleramt wird kräftig erweitert. Die Bauarbeiten laufen, Flächen in Berlin-Mitte werden dadurch versiegelt. Dieser ökologische Eingriff muss nach dem Bundesnaturschutzgesetz andernorts ausgeglichen werden, in diesem Fall im rund 14 Kilometer entfernten Berliner Ortsteil Karlshorst. Das erklärt auch die “Bild”-Autorin:

Der gesetzlich vorgeschriebene Grün-Ausgleich für die Mega-Baustelle wird woanders vollzogen.

Klingt wegen der Entfernung merkwürdig, ist aber bei vielen Bauprojekten so.

Doch jetzt wird es laut “Bild”-Artikel “absurd”:

Absurd: Für das neue Grün muss altes Grün weg.

Ein Biotop, das als Ausgleich in Karlshorst angelegt werden soll, soll laut “Bild” auf einer Fläche entstehen, auf der sich aktuell noch “Erholungsgärten” von Nachbarn befinden: “Ende des Jahres müssen sie ihre gepachteten Paradiese räumen”, schreibt “Bild”. Oder eben knackig zusammengefasst:

Was kaum jemand weiß: Auch Erholungsgärten werden hier plattgemacht, damit das Kanzleramt größer wird.

Dass das “kaum jemand weiß”, dürfte vor allem daran liegen, dass es nicht stimmt.

In der Tat müssen die Kleingärtner ihre Anlagen zum Ende des Jahres räumen, wie zum Beispiel der “Berliner Kurier” berichtet. Aber das hat nichts mit der Erweiterung des Bundeskanzleramts zu tun, sondern mit einem davon völlig unabhängigen, größeren Wohnungsbau in Karlshorst.

Und so musste die “Bild”-Redaktion am Mittwoch eine Richtigstellung veröffentlichen:

Ausriss Bild-Zeitung - Richtigstellung - Im Zusammenhang mit Öko-Ausgleichsflächen in Karlshorst für die Erweiterung des Kanzleramts müssen 197 Garagen weichen - aber nicht Erholungsgärten wie BILD berichtete. Eine Regierungssprecherin: Die erwähnten Erholungsgärten befinden sich nicht auf Grundstücken des Bundes und müssen so nicht zu Ausgleichszwecken geräumt werden. Dies ist richtig.

Und damit zu den 197 Garagen. Die sollen tatsächlich abgerissen werden, und das hat auch tatsächlich mit dem Biotop zu tun, das in Karlshorst als Ausgleich für die Erweiterung des Bundeskanzleramts entstehen soll. Doch die Darstellung des Sachverhalts in den “Bild”-Medien ist etwas unvollständig. Schon der reportagige Einstieg wirft mehr Fragen auf als er beantwortet:

So wie das Ehepaar Monika (80) und Wolfgang (83) [S.]. Weil Olaf Scholz mehr Platz braucht, weil das Bundeskanzleramt im Bezirk Mitte erweitert wird, fehlt ihnen in Karlshorst bald die Garage für ihren kleinen roten Renault. Wie geht denn das?

BILD trifft Rentner Wolfgang [S.] (83), als er gerade seinen Renault in eine enge Parklücke zwängt – geschafft!

“Wie geht denn das?”, fragen wir uns auch: Den beiden wird laut “Bild”-Darstellung “bald” die Garage fehlen, aber sie “zwängen” sich und ihren roten Renault schon jetzt “in eine enge Parklücke”? Die Lösung zu diesem Rätsel gibt es nicht bei “Bild”, dafür aber in einer recht aktuellen Antwort (PDF) des Berliner Abgeordnetenhauses auf eine Anfrage der Abgeordneten Lilia Usik von der CDU:

Frage 3:
Gibt es bereits Garagen, die leer stehen? Falls ja, wie viele und seit wann?

Antwort zu 3:
Die Garagen sind seit dem 31.08.2022 geräumt.

“Bild” kommt mit dieser Geschichte also gerade mal zwei Jahre zu spät und spricht einfach von “bald”. Bereits im Juli 2021 hat die “Berliner Zeitung” über die Garagen in Karlshorst berichtet, im Dezember 2021 der “Tagesspiegel”. Die Garagen haben es sogar in ein FAQ der Bundesregierung geschafft, laut “Internet Archive” mindestens seit April 2022.

Das alles macht das Reinzwängen in Parklücken nicht angenehmer, aber die “Bild”-Story noch fragwürdiger.

Zumal sich die Redaktion regelrecht abmüht, den sicherlich ärgerlichen Wegfall der Garagen direkt Olaf Scholz zuzuschreiben. Es ist für ein Boulevardblatt ja auch eine verlockende Erzählung: Der mächtige Kanzler, der in seinem bald noch größeren Riesenbau sitzt und die kleinen Garagen der kleinen Leute, die diese teils schon zu DDR-Zeiten genutzt haben, “plattmacht”.

Nun könnte eine Redaktion ihrer Leserschaft natürlich erklären, dass Olaf Scholz seit Dezember 2021 Bundeskanzler ist, die Überlegung, das Kanzleramt zu erweitern, allerdings schon im Januar 2019 präsentiert wurde, und der Planungsbeginn 2020 war. Oder dass die Fertigstellung für 2028 geplant ist, und dass zumindest nach aktuellen Umfragewerten nicht viel dafür spricht, dass Olaf Scholz dann noch im Bundeskanzleramt sitzt. Oder wenigstens, dass es nicht Olaf Scholz ist, der durch Berlin fährt und nach geeigneten Ausgleichsflächen sucht, sondern die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit dieser Suche betraut ist.

Die “Bild”-Redaktion hat auf all diese Informationen verzichtet und stattdessen diese – nennen wir es mal – Zuspitzung für die Bild.de-Startseite gewählt:

Screenshot Bild.de - Der Kanzler braucht mehr Platz - Wegen Scholz haben wir keine Garage mehr
(Jegliche Unkenntlichmachungen von Namen und Fotos in diesem Beitrag stammen von uns. Das Rentner-Ehepaar soll hier nicht zur Schau gestellt werden.)

Bildblog unterstuetzen

Betr.: “Anwältin des Solingen-Terroristen”

Zum Anschlag in Solingen am vergangenen Freitag, bei dem drei Menschen getötet worden sind, und ein Mann aus Syrien als Tatverdächtiger gilt, fragen die “Bild”-Medien heute:

Wie schaffte es der Solingen-Terrorist, das deutsche Asylsystem auszutricksen?

Laut “Bild” so:

[Issa al H.] umging seine Abschiebung, indem er beim ersten Termin nicht auftauchte und die sechsmonatige Frist verstreichen ließ. Danach meldete er sich wieder, bekam den Schutzstatus und durfte bleiben.

(Das ist eine recht kurze Zusammenfassung des Geschehens. Ausführlicher kann man das beispielsweise hier oder hier nachlesen.)

Die nächste Frage der “Bild”-Medien:

Woher wusste er, dass das funktioniert?

Da hat die Redaktion eine mögliche “Beraterin” ausfindig gemacht, “eine Rechtsanwältin, die auf Abschiebe-Verhinderung spezialisiert” sei:

Nach BILD-Informationen vermuten Behörden, dass sie [al H.] erklärte, wie er die Abschiebung abwenden und wann er wieder risikofrei mit staatlichen Stellen in Kontakt treten konnte.

“Bild” schreibt recht ausführlich über die Rezensionen, die die Anwältin von früheren Mandanten bekommen haben soll, über den von der Kanzlei betriebenen Instagram-Account und lässt einen anonymen “Branchenkollegen” den “Internet-Auftritt der Anwältin” “analysieren”; irgendetwas Illegales, was die Frau gemacht haben soll, speziell im Zusammenhang mit der möglicherweise stattgefundenen Beratung für Issa al H., kann die “Bild”-Redaktion hingegen nicht nennen. Im Gegenteil. Sie schreibt:

Was fragwürdig klingt, ist Alltag in Deutschland. So wie Steuerberater versuchen, mithilfe von Schlupflöchern Steuern zu sparen, suchen Asylanwälte nach Lücken im Asylsystem. Die Anwältin von [al H.] ist eine von Tausenden.

Die Frau scheint einfach ihren Job als Anwältin gemacht zu haben. Und der besteht nun mal unter anderem darin, für die eigenen Mandantinnen und Mandanten das beste Ergebnis herauszuholen, das die Gesetzeslage bietet. Nichts Verbotenes. Dennoch präsentiert “Bild” sie heute wie sonst Schwerverbrecher:

Ausriss Bild-Zeitung - Die Anwältin des Solingen-Terroristen

Die großflächige Unkenntlichmachung stammt von uns. In “Bild” ist ein riesiges Foto der Frau zu sehen, die “Bild”-Redaktion hat ihr Gesicht verpixelt. Genauso auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Half sie dem Solingen-Terroristen, seiner Abschiebung zu entgehen? Migranten feiern Asyl-Anwältin: Empfehle sie jedem

Dass “Bild” die Frau als “Asyl-Anwältin des Solingen-Terroristen” präsentiert, ist bestenfalls fahrlässig formuliert und schlimmstenfalls eine böswillige Verzerrung der Tatsachen: Den Schutzstatus hat Issa al H. Ende 2023 bekommen, also mehrere Monate vor dem Anschlag in Solingen. Er soll zuvor nie als Straftäter aufgefallen sein. Die Frau ist also nicht “die Anwältin des Solingen-Terroristen”, sondern die Anwältin des Mannes, der später wohl als “Solingen-Terrorist” drei Menschen getötet hat. Trotzdem macht die “Bild”-Redaktion sie sprachlich schon fast zu einer Art Komplizin, wenn sie schreibt, “dass diese Anwältin dem Solingen-Terroristen erklärte, wie er die Abschiebung abwenden” konnte.

In derart aufgeladenen Zeiten, in denen schon für Kleinigkeiten Hass und Hetze und Drohungen über Menschen ausgegossen, sie teils tätlich angegriffen werden, ist das unverantwortlich.

Bildblog unterstuetzen

“Bild” lässt Ministerium falsche acht Millionen Euro für eitle PR ausgeben

Am vergangenen Samstag gab es in der “Bild”-Zeitung mal wieder richtig Futter für all jene, die nur mit Verachtung auf Politik und die abgehobenen, eitlen Politiker schauen wollen. Auf Seite 1:

Ausriss Bild-Titelseite - Minister Heil - Acht Millionen Euro für Werbe-Filmchen - Bürgergeld-Ministerium sucht PR-Profis im Wahlkampf - von unserem Steuergeld

Und im Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - Acht Millionen Euro für Eitelkeit des Bürgergeld-Ministers! SPD-Politiker Hubertus Heil will mit teuren PR-Profis sein Image aufpolieren

“Bild”-Autor Dirk Hoeren schreibt in seinem Artikel über eine Ausschreibung des von Hubertus Heil geführten Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS):

Sein Name steht für die Einführung des umstrittenen Bürgergeldes: Sozialminister Hubertus Heil (51, SPD) hatte imagemäßig schon bessere Zeiten.

Doch offenbar will der Genosse jetzt gegensteuern. Bis zu acht Mio. Euro (zwei Mio./Jahr) legt Heil bereit, damit Social-Media-Experten im Internet für ihn PR machen.

Sein Ministerium hat einen “Rahmenvertrag Social Media” ausgeschrieben (liegt BILD vor). Gesucht wird demnach eine Agentur, die Beiträge, Videos und kurze Posts für das Ministerium auf Facebook, X (früher Twitter) und Instagram postet. Und zwar – zufällig – pünktlich vor der Bundestagswahl ab März 2025. Laufzeit: 36 Monate mit zwei Verlängerungsoptionen um jeweils sechs Monate.

Während es in den “Bild”-Überschriften so wirkt, als ginge es um eine fixe Summe von acht Millionen Euro, gibt Dirk Hoeren seinen Leserinnen und Lesern nur in der kurzen Passage “Bis zu acht Mio. Euro” eine minimale Chance, sich nicht gänzlich von ihm in die Irre führen zu lassen. Denn bei den acht Millionen Euro, die im vom BMAS ausgeschriebenen “Rahmenvertrag Social Media” (liegt auch uns vom BILDblog vor, so wie jeder anderen Person, die über einen Internetzugang verfügt) genannt werden, handelt es sich nicht etwa um eine feststehende Vergütung, sondern um ein maximales Auftragsvolumen. Das heißt: Diese Summe wird aller Voraussicht nach gar nicht ausgeschöpft. Die Vergütung für die Agentur, die den Zuschlag bekommt, erfolge auf Grundlage von Stundensätzen, wie uns das Ministerium auf Anfrage schreibt:

Im Rahmen des Vergabeverfahrens gemäß der Vergabeverordnung (VgV) geben die Bieter ein Angebot für Stundensätze ab, unterschieden nach den zu erbringenden Leistungen wie z.B. Gestaltung, Redaktion, Projektleitung, Geschäftsführung. Für den späteren Abruf von Leistungen aus diesem Vertrag sind die jeweils angebotenen Stundensätze während der gesamten Vertragslaufzeit verbindlich.

Schaut man in den aktuell laufenden Social-Media-Rahmenvertrag des BMAS, sieht man, dass so das maximale Auftragsvolumen nicht erreicht wird. Die entstehenden Kosten setzen sich aus verschiedenen Posten zusammen, schreibt uns das BMAS, neben den Agenturhonoraren beispielsweise “in beträchtlichem Umfang auch Fremdkosten wie Media- und Schaltleistungen”, also etwa für Werbeanzeigen:

So fielen während des laufenden Rahmenvertrags etwa 600.000 Euro jährlich für Agenturleistungen (Honorar) an, zuzüglich etwa 150.000 bis 200.000 Euro für Medialeistungen (Schaltkosten). Zusätzlich fielen Abrufe der Fachabteilungen des BMAS aus demselben Rahmenvertrag an.

Das ist zweifelsohne eine Menge Geld. Hochgerechnet auf vier Jahre aber deutlich weniger als acht Millionen Euro. Und damit weit entfernt von der Summe, die “Bild” und Dirk Hoeren ihrer Leserschaft als einzige präsentieren.

Auch bei den Inhalten des Auftrags wird die “Bild”-Leserschaft nicht vollumfänglich informiert. Ein Blick in die Ausschreibungsunterlagen des BMAS zeigt, dass es bei den gewünschten Leistungen, die die Agentur erbringen muss, um deutlich mehr geht als nur um “Beiträge, Videos und kurze Posts”. Unter dem Kapitel “Bedarfsbeschreibung” in der “Leistungsbeschreibung” findet man diese Auflistung:

Die Dienstleistung umfasst im Wesentlichen das folgende Leistungsspektrum:

• Projektmanagement
• Strategische Weiterentwicklung
• Redaktionelle Tätigkeiten
• Social Media Advertising
• Community Management
• Barrierefreiheit
• Monitoring & Reporting

Auch zu den gewünschten Inhalten der Social-Media-Beiträge äußert sich das Ministerium in der “Leistungsbeschreibung”:

Zu den wichtigsten Inhalten zählen:

• Minister-Videos, etwa von Terminbegleitungen und Betriebsbesuchen, Ministerstatements, Bundestagsreden
• Service-Posts und Erklärcontent mit Infografiken oder Animationen zu aktuellen Kabinettsbeschlüssen, Gesetzgebungsverfahren oder zu den Themen des Hauses, z. B. Urlaubsanspruch, Pausenzeiten, Bürgertelefon
• Instagram Stories und Live-Tweets von Veranstaltungen
• Livestreams inkl. Ankündigungen
• Zitatkacheln mit Zitaten zu aktuellen Diskussionen und Themen

Bei “Bild” wird das einfach unter “Werbe-Filmchen” für Hubertus Heil und Förderprogramm für die “Eitelkeit des Bürgergeld-Ministers” subsumiert.

Zusätzlich zu all diesen inhaltlichen Verzerrungen gibt sich die “Bild”-Redaktion noch große Mühe, einen zeitlichen Zusammenhang mit der Bundestagswahl im September 2025 herzustellen: Das Ministerium suche “PR-Profis im Wahlkampf”, steht auf der Titelseite. In einem zusätzlichen Kommentar schreibt “Bild”-Redakteur Florian Kain:

Aber ausgerechnet im Jahr der Bundestagswahl 2025 wäre Zurückhaltung hier wirklich das Gebot der Stunde.

Und Dirk Hoeren schreibt bezüglich des Starts des ausgeschriebenen Auftrags:

Und zwar – zufällig – pünktlich vor der Bundestagswahl ab März 2025.

Vor dem Hintergrund dieser hämetriefenden und tendenziösen “Bild”-Geschichte dürfte man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn man sagt, dieses “zufällig” lässt sich als ironischer Einschub lesen. Aber tatsächlich ist das Wort, unironisch gelesen, in diesem Zusammenhang völlig richtig: Der aktuell laufende Social-Media-Rahmenvertrag endet, das Ministerium braucht ab dem 1. März 2025 einen neuen – und das ist eben zufällig im selben Jahr wie die Bundestagswahl.

Der neue Rahmenvertrag wird mindestens drei und maximal vier Jahre laufen, also definitiv in der kommenden Legislaturperiode. Ob Hubertus Heil dann noch Arbeits- und Sozialminister ist und ob er und seine Arbeit dann in den Social-Media-Posts überhaupt eine Rolle spielen, ist zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als klar. Auch dieser Aspekt findet bei “Bild” keine Beachtung.

Dass und wie Dirk Hoeren hier an allen möglichen Verzerrern dreht, ist übrigens nichts Neues: Nach einem ganz ähnlichen Muster haben er und “Bild” vergangenes Jahr schon über Bundesumweltministerin Steffi Lemke, nun ja, berichtet.

Bildblog unterstuetzen

“Das hat BILD exklusiv erfahren”

Manuel Neuer tritt als Torwart der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zurück. Darüber berichten gerade alle möglichen Medien, auch Bild.de:

Screenshot Bild.de: Hier erklärt Neuer seinen Rücktritt - Schluss mit der Nationalelf

Für die Leserinnen und Leser der “Bild”-Medien dürfte diese Nachricht etwas überraschend kommen. Denn heute steht in der gedruckten “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung - Neuer macht weiter, aber bei den ersten beiden Länderspielen will er pausieren

Kapitän Ilkay Gündogan (33) hat einen klaren Schritt gemacht, er tritt aus der Nationalmannschaft zurück.

Manuel Neuer (38) dagegen macht weiter! Das hat BILD exklusiv erfahren.

Der Torhüter, der bereits 124 Mal für Deutschland auflief, hat die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko im Blick. Daher will er noch nicht aus der Nationalmannschaft zurücktreten.

“exklusiv”, das kann man wohl sagen.

Nachtrag, 16:33 Uhr: Nach einer ersten kurzen Eil-Meldung auf der Seite berichtet Bild.de inzwischen ausführlicher über Manuel Neuers Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Die Redaktion schreibt unter anderem:

BILD hatte am Dienstag aus mehreren Quellen gehört, dass Neuer grundsätzlich bereit sei, seine Nationalmannschafts-Karriere fortzusetzen, allerdings beim nächsten Länderspiel-Doppelpack im September nicht zur Verfügung stehen würde. Im Kommentar hieß es bei BILD, dass Neuer Klarheit schaffen müsse. Nummer 1 von Deutschland gehe nur ganz oder gar nicht. Er hat sich für GAR NICHT entschieden – und das in der Nacht zu Mittwoch. Erst am Mittwochmorgen teilte er dem DFB seinen finalen Entschluss mit.

So kann man die eigene falsche Berichterstattung natürlich auch herunterspielen. Und es dann ein bisschen so wirken lassen, als hätte erst die Forderung des “Bild”-Kommentars nach “Klarheit” für Neuers Entscheidung gesorgt.

Bildblog unterstuetzen

Blättern: 1 2 3 4 ... 174