Archiv für 6 vor 9

Christchurch, “Künstlerische Freiheit”, Tragödienjournalismus

1. Der Troll-Terrorist
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Der Terroranschlag auf Moscheebesucher im neuseeländischen Christchurch wurde vom Täter in Echtzeit bei Facebook gestreamt. Dazu veröffentlichte der Mann eine Art Manifest. Er verknüpfe “seine faschistische Ideologie mit der Netzkultur”, schreibt Sascha Lobo: “Die mediale Verbreitung der Tat ist Teil des Terrors — wir müssen uns hüten, unabsichtlich mitzumachen.”
Weitere Lesehinweise: Auch Simon Hurtz warnt in seinem Beitrag davor, Attentätern eine Bühne zu geben: “Wer nicht will, dass Terroristen Aufmerksamkeit für ihre Verbrechen bekommen, sollte ihre Selbstinszenierung nicht verbreiten: keine Links auf ihre Manifeste, keine Ausschnitte aus ihren Videos, keine Bilder, am besten nicht einmal ihre Namen nennen.”
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen kritisiert Medien wie “Bild”, deren Verhalten er “grotesk” nennt (deutschlandfunkkultur.de, Gesa Ufer).
Außerdem lesenswert der Bericht über das Bemühen von Polizei und sozialen Medien, das Video aus dem Netz zu entfernen: Polizei will Anschlag-Videos aus dem Netz tilgen (spiegel.de, Sonja Peteranderl).
Und Stefan Fries erklärt noch einmal gründlich, “warum es falsch ist, die Namen der Täter und ihr Manifest zu veröffentlichen”.
In einem Twitter-Thread hinterlässt Journalist Georg Diez “ein paar Worte zu dem Tweet von AKK, die ja doch die nächste Bundeskanzlerin werden will”.

2. Wenn dem Sprecher schlecht wird
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Vergangenen Donnerstag erlitt “Tagesschau”-Sprecher Jan Hofer vor laufenden Kameras einen Schwächeanfall. Vor allem die Boulevardmedien weideten das Geschehen verkaufsorientiert und klickheischend aus. ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke berichtet, wie es Jan Hofer mittlerweile geht (deutlich besser), und erklärt, wie hoch die Belastung als “Tagesschau”-Sprecher ist, ob es ein Krisenszenario für solche Fälle gibt und warum die Kamera so lang auf Hofer stehen blieb.

3. “Tragödienjournalismus außer Rand und Band”: Medienethikerin über den Fall Rebecca und Reporter im Jagdfieber
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
“Meedia” hat sich mit der Medienethikerin Marlis Prinzing unter anderem über die Frage unterhalten, warum sich die Familie der verschwundenen 15-jährigen Rebecca eine Reporterin der “Bunte” ins Haus holte: “Es ist nachvollziehbar, dass eine Familie auch emotional völlig durcheinander ist, wenn eine 15-jährige über Wochen hinweg verschwunden bleibt und mit allem zu rechnen ist. Nachvollziehbar ist ferner, dass Menschen in solchen Extremsituationen überfordert und wenig rational reagieren. Nicht nachvollziehbar ist hingegen, wenn manche Medien diesen emotionalen Ausnahmezustand als Freibrief und als Einfallstor nutzen, um eine reichweitenträchtige Schicksalsstory rund um ein mutmaßliches Verbrechen aus dem Esszimmer der Betroffenen zu erzählen und jedem, dem das gefällt, ermöglichen, sich aus der Nähe am Leid der anderen zu vergnügen.”

4. Nach Relotius: Die Kunst der wahren Erfindung
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Wie weit darf die künstlerische Freiheit in der Reportage gehen? Darüber scheinen die Meinungen immer noch auseinanderzugehen. Hochkarätige Journalisten und Verfasser von Journalismus-Lehrbüchern vertreten beziehungsweise vertraten den Standpunkt, man könne Aussagen von verschiedenen Personen auf eine Figur “zusammenziehen”. Doch mit dieser Methode begebe man sich auf eine Gratwanderung, wie Rainer Stadler in seiner Kolumne ausführt. Entscheidend sei Transparenz: “Entsprechend sollte man am Ende einer verdichteten Erzählung darlegen, mit welchen und wie vielen Personen gesprochen wurde. Erklärungsbedürftig sind ferner die in Reportagen beliebten filmreifen Szenen, welche die Illusion einer Augenzeugenschaft des Autors schaffen. Wer sein Tun offenlegt, stärkt seine Glaubwürdigkeit. Das ist nötiger denn je.”

5. Post aus Washington
(getrevue.co, Fabian Reinbold)
Fabian Reinbold berichtet für t-online.de aus Washington. Einmal die Woche schickt er seinen Newsletter-Abonnenten “Post aus Washington”. Diesmal hat sich Reinbold für seine Leserschaft aufgeopfert und eine Woche Donald Trumps Lieblingssendung “Fox & Friends” angeschaut. Das liest sich nicht nur unterhaltsam, sondern trägt auch zum tieferen Verständnis des Systems Trump bei.

6. Frank A. Meyer über Moral und Manipulation in den Medien
(blick.ch, Frank A. Meyer, Video: 6:13 Minuten)
Der Schweizer Journalist und Ringier-Berater Frank A. Meyer klagt in einer Wutrede die Medienbranche samt ihrer Mitglieder an: “Das sind heute Cliquen, Cliquen und Claquere! (…) Die applaudieren sich längst selbst, diese Journalistinnen und Journalisten. Es ist peinlich. Es gibt keinen einzigen Preis für Journalismus, der sich kritisch mit Journalismus auseinandersetzt.”

Impf-Lügen und Homöopathie-Unsinn, Wikimedias Replik, Geburtstagsfeier

1. Toxische Atmosphäre
(sueddeutsche.de, Bastian Obermayer)
Eine neue Medienallianz namens “One-Free-Press-Coalition” setzt sich für Journalistinnen und Journalisten ein, deren Freiheit oder gar Leben akut in Gefahr sind oder deren Fälle aktuell Gerechtigkeit verlangen. Zu dem Bündnis zählen internationale Medien wie “Time Magazine”, “Forbes”, “Financial Times”, Nachrichtenagenturen und weitere Medienhäuser, darunter auch die “Süddeutsche Zeitung”.

2. In der Krone waren Ausländer 2017 viel krimineller als in der Realität
(kobuk.at, Veronika Hribernik)
Die österreichische “Kronen Zeitung” berichtet deutlich häufiger über ausländische als über österreichische Täter. Das geht aus einer Analyse des Medienwatchblogs “Kobuk” hervor, in der die Berichterstattung mit Beispielen verdeutlicht und mit der offiziellen Kriminalstatistik verglichen wird. Man hätte gern die Begründung der “Kronen Zeitung” erfahren, doch eine entsprechende Anfrage sei unbeantwortet geblieben.

3. Facebook, Google, Pinterest: Plattformen wollen auch bei deutschsprachigen Impf-Lügen einschreiten
(medwatch.de, Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
Facebook, Google, YouTube und Pinterest haben bislang relativ wenig gegen Falschinformationen zu Impfungen unternommen. Nicht freiwillig und nur unter teils erheblichem Druck soll sich dies nun, zumindest teilweise, ändern.
Weiterer Lesehinweis: Homöopathie-Unsinn auf morgenpost.de: Das stimmt wirklich (uebermedien.de, Feldwisch-Drentrup).

4. Filterblase an Filterblase: Eine Replik auf Michael Hanfelds Beitrag bei FAZ.net
(blog.wikimedia.de, John Weitzmann)
“FAZ”-Redakteur Michael Hanfeld hat vergangene Woche den Widerstand der Wikipedia gegen die Urheberrechtsreform der EU kritisiert. Die dabei vorgebrachten Argumente seien anmaßend, falsch und würden der Demokratie schaden. Mit den Worten “Das kann nicht unwidersprochen bleiben”, antwortet John Weitzmann für die Wikipedia-Community mit einer ausführlichen Replik. Der aktuelle Reformtext sei in zentralen Punkten weiterhin problematisch fürs freie Netz und fürs freie Wissen.

5. Wenn das Internet ver­gisst
(lto.de, Roland Schimmel)
Einige juristische Aufsätze und Urteile verschwinden irgendwann nach ihrer Veröffentlichung aus Datenbanken und Archiven. Im Fachjargon: Sie werden “depubliziert”. Warum das so ist und wie man mit solchen verschwundenen Quellen zum Beispiel in der Jura-Hausarbeit umgeht, zeigt Roland Schimmel.

6. Kontaktschuld
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
“Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer war auf der Geburtstagsfeier des mit ihm befreundeten rechtsdrehenden und verwirrten Bierkastenredners Matthias Matussek, bei dem auch viele Mitglieder der rechten Szene und ein Neonazi zugegen waren. An diesem Besuch gab es Kritik. Bei “Spiegel Online” rechtfertigt sich Fleischhauer und holt zum Gegenschlag aus. Das liest sich teilweise etwas komisch. Zum Beispiel, wenn es in der Einleitung heißt: “Darf man als SPIEGEL-Redakteur an einer Geburtstagsfeier teilnehmen, zu der auch Menschen mit rechter oder sogar rechtsradikaler Gesinnung eingeladen sind?”, als gehöre Fleischhauer nicht zu ersterer Gesinnungsgruppe. Lustig sind auch Fleischhauers Vorwürfe an Reinhold Beckmann, der sich nachträglich distanziert habe. Etwas, das Fleischhauer in gewisser Weise auch tut, wenn er Matussek in seiner Kolumne als nicht ernst zu nehmenden “Wirrkopf” bezeichnet und sagt, dieser sei “bestenfalls ein Bajazzo, im schlimmsten Fall ist er reif für die Klapsmühle.”

Herr Grindel Herr Grindel, Rape Day auf “Steam”, Dialog für Störer?

1. DFB-Präsident Grindel sorgt mit Interview-Abbruch für Wirbel
(dw.com, Joscha Weber)
DFB-Präsident Reinhard Grindel spricht im “Deutsche Welle”-Interview über die Zukunft des Weltfußballs und mögliche neue Wettbewerbe. Doch plötzlich findet das Gespräch ein jähes Ende: Anscheinend verärgert wegen der Nachfragen zu einer 25-Milliarden-Dollar-Offerte für die FIFA, knöpft sich Grindel das Mikro ab und stürmt davon … Im Netz hagelt es Kritik und Spott.
Weiterer Lesehinweis: Das Interview in voller Länge gibt es hier: DFB-Präsident Reinhard Grindel: “Wenn wir die Klub-WM nicht veranstalten, machen es kommerzielle Anbieter” (dw.com, Florian Bauer).

2. “Dieses Urteil ist für mich ein Signal”
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 9:15 Minuten)
Im “Deutschlandfunk” geht es um die Aufhebung des Urteils gegen die österreichische grüne Ex-Abgeordnete Sigi Maurer, die mit obszönen Privatbotschaften via Facebook belästigt worden und trotz vorliegender Beweise vom Inhaber des Accounts unter anderem wegen übler Nachrede verklagt worden war. Der für den “Spiegel” arbeitende Korrespondent Hasnain Kazim begrüßt die Entscheidung. Kazim hat im Laufe seiner Karriere schon unzählige Hassmails bekommen. Einige davon hat er in seinem Buch “Post von Karlheinz” verarbeitet. Kazim kündigte auf Twitter an, verstärkt gegen die Verfasser von Hassbriefen vorgehen zu wollen. Auch wenn er vor Gericht nicht unbedingt mit einem Erfolg rechnen könne. Außerdem kommt Christian-Oliver Moser, Anwalt für Presserecht, zu Wort, der Noah Becker, den Sohn von Boris Becker, bei seiner Klage gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier vertreten hatte.

3. Lasst sie ihre Arbeit machen!
(taz.de, Finn Holitzka)
Im ZDF-“Morgenmagazin” ist gestern eine zeternde Zuschauerin vor laufenden Kameras aus dem Publikum aufgestanden und hat sich rabiat zwischen die Moderatoren gedrängt. Das “Morgenmagazin”-Moderatorenduo ist ruhig geblieben. Die Moderatorin Dunja Hayali hat der pöbelnden Störerin sogar ein Gespräch angeboten. “taz”-Autor Finn Holitzka lobt in seinem Kommentar die “souveräne und deeskalierende Coolness der Moderatoren”, gibt jedoch zu bedenken: “Dialogbereitschaft gegenüber Personen, die drängeln, pöbeln, blaffen, dürfte als Einladung gesehen werden: Wer laut genug krächzt, kriegt ein Mikro hingehalten.”

4. «Alle meine heiklen Artikel werden im Ausland publiziert»
(medienwoche.ch, Benjamin von Wyl)
Der afghanische Investigativjournalist und Menschenrechtsaktivist Hassan Hakimy schreibt zu Themen wie Korruption, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung von Kindern. Während einer Europareise hat er sich mit der “Medienwoche” unterhalten. Es geht um Medienfreiheit in Afghanistan, die afghanischen Flüchtlinge in Europa und Drohungen gegen ihn: “Wenn ich in Afghanistan bin, habe ich konstant Angst: Vielleicht sterbe ich jetzt; vielleicht bringt mich in einer Stunde jemand um.”
Weiterer Lesetipp: Soziale Medien im Nahen Osten: Tipps für Journalisten (de.ejo-online.eu, Damian Radcliffe & Payton Bruni).

5. Die Diskussion um diese Autorinnen-Liste zeigt, wie unsichtbar Frauen auf Wikipedia sind
(vice.com, Lisa Ludwig)
Die Autorin Theresa Hannig wollte auf Wikipedia eine Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autorinnen anlegen. Das Normalste auf der Welt, möchte man meinen, aber weit gefehlt: Ein wahrscheinlich männlicher Wikipedia-Editor reichte umgehend einen Löschantrag ein. Lisa Ludwig erklärt den Vorgang, der nicht nur konkrete, sondern grundsätzliche Fragen aufwirft.

Update: In ihrem Blog schreibt Theresa Hannig in einem Nachtrag: “Nach der überwältigenden Unterstützung vieler, vieler Leute auf Twitter und in der Löschdiskussion, wurde der Löschantrag heute Nachmittag zurückgezogen.”

6. Aus Spaß belästigen, vergewaltigen und töten
(zeit.de, Thomas Lindemann)
Kulturjournalist Thomas Lindemann schreibt über die Vorankündigung eines “Vergewaltigungsspiels” auf der Spieleplattform Steam und deren ungenügende Abgrenzung gegenüber gewaltverherrlichendem Digitalschund: “Am Ende scheitert also auch die weltgrößte Spieleplattform daran, klare Grenzen zwischen Sex, Sexualität, Sexismus und Gewalt zu definieren. Dabei ist Rape Day nur ein Teil eines größeren Problems. Seit vergangenem Sommer können Entwickler und Entwicklerinnen ihre Spiele auf Steam veröffentlichen, ohne dass diese vorher geprüft werden. Seitdem finden sich dort Nazi-Spiele, Pornos aller Art, auch Fakes, die gar nicht spielbar sind. Überall wird derzeit gegen Uploadfilter gewettert — hier würde man sich welche wünschen.”

Die Unfug-Sprachwächter, Rechtes Netzwerk visualisiert, Lobbyarbeit

1. Der Schwachpunkt der selbsternannten Sprachwächter
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Till Raether)
Medienkritiker Stefan Niggemeier hat den “Verein Deutsche Sprache” (“VDS”) einmal als “eine Art Sprach-Pegida” bezeichnet. Aktuell fordert der VDS in einem Manifest “Schluss mit dem Gender-Unfug”. Ein Manifest, das nicht nur entsetzlich schlecht geschrieben sei, sondern auch zahlreiche Argumentationsmängel aufweise, wie Till Raether ausführt: “Der Versuch, Sprache davor zu schützen, dass sie sich verändert, entspringt nicht der Liebe zur Sprache, wie ihre Vereinsmeier*innen glauben machen wollen, sondern der Liebe zum Hergebrachten, zum Immer-so-Gewesenen.”
Weiterer Lesetipp: Bei “Spiegel Online” setzt sich Margarete Stokowski ebenfalls mit den Argumenten gegen eine gendergerechte Sprache auseinander. Bezugnehmend auf eine Passage in einem aktuellen “Welt”-Text von Sibylle Lewitscharoff schreibt sie: “Ich weiß nicht, ob es je ein größeres Missverständnis über den Feminismus gab als die Idee, irgendwer würde Untenrumuntersuchungen durch Sibylle Lewitscharoff fordern, aber man sollte sich davon nicht abschrecken lassen, denn ihr Text ist so voller Perlen der Widersprüchlichkeit, dass es lohnt, ihn ganz zu lesen.”
Lohnenswert ist auch Mit Genderstern in den Weltuntergang (belltower.news, Stefan Lauer). Dort hat man sich den Unterstützerkreis der Petition angeschaut und wirft einen Blick auf die teilweise problematischen Verbindungen zur Rechtspopulismus-, Antifeminismus- und Männerrechteszene.

2. Das Netzwerk der neuen Rechten
(neuerechte.org, Christian Fuchs & Paul Middelhoff)
Als “patriotische Parallelgesellschaft” bezeichnen die Journalisten Christian Fuchs und Paul Middelhoff das von ihnen identifizierte und analysierte neurechte Netzwerk aus über 150 Stiftungen, Vereinen, Medien und Kampagnen. Eine Deutschlandkarte zeigt alle Standorte und Verbindungen und liefert auf Mausklick weitere Informationen.

3. Was wir aus dem Fall Relotius für den Journalismus lernen können
(journalist-magazin.de, Georg Löwisch)
Der Betrugsfall Relotius sei eine Chance für den Journalismus, so “taz”-Chefredakteur Georg Löwisch. In seinem “Handwerksmerkzettel” geht es um sechs Punkte: 1) Quellen nennen, 2) Recherchewege zeigen, 3) Zitieren, 4) Anonymisieren, 5) Rekonstruieren und 6) Zweifeln.
Weiterer Lesehinweis: So arbeiten wir mit anonymen Quellen aus dem “Welt”-Reportage-und-Investigativ-Ressort (investigativ.welt.de, Manuel Bewarder).

4. Die sieben Anti-EU-Kampagnen der Krone des Jahres 2018
(kobuk.at, Ida Woltran)
Ida Woltran hat sich die sieben Ant-EU-Kampagnen der österreichischen “Krone” angesehen und analysiert: “Vor allem im Zusammenhang mit neuen Regulierungsvorhaben ist es laut Krone meist die EU, die uns etwas wegnehmen, verbieten oder streichen will. Eine Differenzierung, wer eigentlich die EU ist, unterbleibt meist. Die Krone framed die EU negativ und geht kaum auf konkreten Vorgänge in den EU-Organen ein. Die jeweilige Gegenseite kommt nicht zu Wort.”

5. Lobbyarbeit pur: 228 Kreativ-Verbände für EU-Urheberrechtsreform
(tarnkappe.info, Lars Sobiraj)
228 europäische Kreativ-Verbände haben in einem gemeinsamen Schreiben (PDF) dazu aufgerufen, den umstrittenen geplanten Änderungen des EU-Urheberrechts zuzustimmen. Auch der Deutsche Journalisten-Verband befürwortet die Regelung, was Lars Sobiraj zu der Frage führt: “Warum fordert der DJV den Untergang der eigenen Branche?”
Weiterer Lesehinweis: Bei “Infosperber” kommentiert Matthias Zender den Kampf der Schweizer Verleger um ein Leistungsschutzrecht mit den Worten: “Das wäre, wie wenn die Landwirtschaft zur Käseunion zurückkehren würde.”
Und einen Hörtipp gibt es auch noch: Beim “Deutschlandfunk” besprechen Experten das Für und Wider von Uploadfiltern. Die Technik weise deutliche Grenzen auf: Warum Kritiker Angst vor Zensur haben (deutschlandfunk.de, Audio: 9:15 Minuten).

6. Nachdenkliche Töne zum Geburtstag
(tagesschau.de, Marcus Schuler)
Vor 30 Jahren legte der Physiker Tim Berners-Lee den Grundstein für das World Wide Web. Der damals 34-Jährige entwickelte HTML, programmierte einen Webserver und einen Browser — die Grundlagen für unser heutiges Web. 30 Jahre nach seiner Erfindung warnt Berners-Lee vor Datenmissbrauch, Desinformation, Hassreden und Zensur. Seine Forderung: “Unternehmen müssen mehr tun, um sicherzustellen, dass ihr Gewinnstreben nicht auf Kosten von Menschenrechten, Demokratie, wissenschaftlichen Fakten und öffentlicher Sicherheit geht.”

Türkischer Rausschmiss, Krone gegen Windräder, Rechte Geburtstagsparty

1. Rausschmiss deutscher Korrespondenten
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” (“ROG”) fordert die Türkei dazu auf, die willkürliche Ausweisung von Auslandskorrespondenten zu stoppen. Hintergrund: Die türkischen Behörden haben den beiden deutschen Journalisten Jörg Brase und Thomas Seibert die Arbeitserlaubnis entzogen. “So lange Brase und Seibert nicht ihre Akkreditierung zurückbekommen, darf die Bundesregierung sich keinen Illusionen hingeben und zu normalen Beziehungen mit der Türkei übergehen, so wie sie es in den vergangenen Monaten durch zahlreiche Besuche in Istanbul und Ankara versucht hat”, so “ROG”-Geschäftsführer Christian Mihr.
Weiterer Lesehinweis: Im “Tagesspiegel” berichtet der nunmehr ehemalige Türkei-Korrespondent Thomas Seibert, wie es sich anfühlt, nach 22 Jahren aus dem Land rausgeschmissen zu werden, mit dem er sich äußerst verbunden fühlt. Und er schreibt über Ankaras unmoralisches Angebot an seinen Arbeitgeber, ihn durch einen anderen Korrespondenten zu ersetzen.

2. Entspannt Euch, Leute! Zehn Fragen, mit denen Sie sich vor überhitzten medialen Erregungsblasen schützen
(meedia.de, Daniel Bröckerhoff)
Daniel Bröckerhoff, Journalist und ZDF-Moderator bei “heute+”, hat selbst erlebt, wie leicht einen die Twitter-Empörung mitreißen kann. Nun hat sich Bröckerhoff Gedanken gemacht, wie man den “überhitzten medialen Erregungsblasen die Luft rauslassen” kann, und dazu einen Zehn-Punkte-Fragenkatalog entworfen.

3. Politik im Direktversand
(sueddeutsche.de, Jens Schneider)
Jens Schneider berichtet von den Social-Media-Aktivitäten der Bundestagsfraktionen. Die größte Zahl an Facebook-Abonnenten mit mehr als 125.000 hat die Linksfraktion. Zum Vergleich: Die AfD-Fraktion hat 82.000. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei den Partei-Facebookseiten deutlich anders aussieht: Dort haben die Linken 264.000 Abonnenten, die AfD hat 464.000. Der Bundestag ist weder auf Facebook noch auf Instagram zugegen, obwohl durchaus Interesse an der Arbeit des Parlaments besteht: Die Internet-Seite des Bundestags sei im vergangenen Jahr 70,7 Millionen Mal aufgerufen worden, doppelt so oft wie im Jahr zuvor.

4. Die Privatkampagne des Chefs der Salzburg-Krone gegen Windräder
(kobuk.at, Gabriele Scherndl)
In unzähligen Artikeln schrieb die “Salzburger Krone” gegen einen geplanten Windpark an. Mit einseitigen Informationen, verzerrten Fakten und Verunglimpfungen der Gegenseite, wie Gabriele Scherndl im medienkritischen Watchblog “Kobuk” anmerkt. Handelte es sich um eine Privatkampagne des “Krone”-Chefs? Auf diese Idee könnte man kommen, denn die massive Kampagne endete mit dem Rückzug des “Krone”-Chefs ins Pensionärs-Leben: “Seitdem erschien keine Titel- oder Doppelseite, kein Kommentar, kein Artikel oder Leserbrief mehr zu dem Thema. Der letzte Text dazu war, wie sollte es anders sein: Ein Leserbrief, in dem Hans Peter Hasenöhrls Einsatz gegen die Windräder gelobt wird.”

5. Eine Party als neurechtes Netzwerk
(belltower.news, Simone Rafael)
Matthias Matussek, ehemals angesehener Journalist bei u.a. “Spiegel”, “Stern” und “Welt”, hat seinen 65. Geburtstag öffentlichkeitswirksam inszeniert, indem er Teile der Gästeliste und viele Fotos veröffentlichte. Es war eine Art Rechtsaußen-Klassentreffen von Politik und schreibender Zunft. Und mit einem Reinhold Beckmann, der sich (durch sein Gitarrenständchen im wahrsten Sinne des Wortes) instrumentalisieren ließ und dafür auf Facebook mühsam um eine Art Rechtfertigung ringt.

6. Disney+ hat größeres Potenzial als Netflix
(wuv.de, Franz Scheele)
Vieles deutet daraufhin, dass der Unterhaltungskonzern Disney bald einen eigenen Videostreamingdienst an den Start bringt. Disney sitzt auf einem unglaublich wertvollen cineastischen Schatz: Neben der Filmbibliothek der Walt Disney Studios gehören zu Disney auch die Pixar Animation Studios, die Marvel Studios sowie das gesamte “Star Wars”-Imperium. Dementsprechend gut sind die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten: Die amerikanische Investmentbank J.P. Morgan habe in ihrer Prognose von 160 Millionen möglichen Abonnenten gesprochen. Zum Vergleich: Netflix hat derzeit rund 140 Millionen zahlende Kunden.

Durchgestochen, Wikipedias Protest-Abschaltung, Gewalt-Verharmloser

1. “Ein faires Strafverfahren steht auf dem Spiel”
(rbb24.de, Martin Krebbers)
Im Fall der vermissten, 15-jährigen Rebecca aus Berlin wurden zahlreiche Details über erste Ermittlungsergebnisse und die Familie sowie Fotos des Tatverdächtigen veröffentlicht. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger hat mit der Form von Echtzeit-Berichterstattung ein Problem. Ihr Vorsitzender Stefan Conen erklärt im Interview: “Das ist ja nicht nur ein Problem, was ich habe, sondern auch der Gesetzgeber. Informationen aus Ermittlungskreisen durchzustechen — und das wird hier vornehmlich die Polizei sein, die Staatsanwälte kenne ich, von denen glaube ich das nicht — das ist eine Straftat.”

2. Gibt es noch gute Nachrichten, Herr Wickert?
(zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 12:18 Minuten)
Im “Zeit”-Podcast “Alles gesagt” wird so lange gesprochen, bis der Gast befindet, dass es nun gut sei. Das kann schon mal fünf Stunden dauern wie beim Gespräch der “Zeit Online”- beziehungsweise “Zeit Magazin”-Chefs Wegner und Amend mit dem Musiker Herbert Grönemeyer. Beim Interview mit dem Journalisten und Bestsellerautor Ulrich Wickert lief alles anders: Kaum hatte das unterhaltsame Gespräch mit dem langjährigen “Tagesthemen”-Moderator begonnen, war es auch schon wieder zu Ende. Wickert hatte (versehentlich?) sein Stopp-Wort gesagt. Die gut zwölf Minuten lohnen sich trotzdem. Außerdem bleibt die Hoffnung, dass es sich nur um einen Cliffhanger für eine längere Folge handelt.
Weiterer Tipp: Bei ARD-Alpha gibt es ein Gespräch mit Wickert zu sehen, das immerhin 45 Minuten dauert.

3. Protest gegen Artikel 13: Wikipedia schaltet sich ab
(heise.de, Torsten Kleinz)
Als Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform soll am 21. März die deutschsprachige Wikipedia komplett abgeschaltet werden. So haben es die Wikipedia-Autoren bei einer Abstimmung beschlossen. Die Wikipedia-Community befürchtet die Errichtung einer Zensur-Infrastruktur und sieht die Gefahr, dass der freie Fluss von Informationen eingeschränkt werde.

4. So wird Gewalt an Frauen verharmlost
(orf.at, Romana Beer)
In Österreich wurden vergangenes Jahr über 40 Frauen von Männern ermordet. Derlei Gewalttaten werden in den Medien immer wieder verharmlost, den Opfern wird eine Mitschuld zugeschrieben. Morde werden unter anderem als “Ehedrama”, “Beziehungsdrama” und “Familiendrama” bezeichnet und auf diese Weise als familiäre Zwiste kleingeschrieben. Brutale Angriffe auf Frauen werden als “missglückter Flirt” bezeichnet und Vergewaltigungen sprachlich in die Nähe von (einvernehmlichem) Sex gerückt. Romana Beer hält eine angemessene und sprachlich sensible Berichterstattung für einen Teil der Prävention: “Indem sie ihre Wortwahl kritisch hinterfragen, können Redaktionen einen Teil dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, in dem Gewalt an Frauen nicht verharmlost wird.” Weiterer Lesetipp: Wie der Boulevard sexuelle Gewalt verharmlost (kobuk.at, Philipp Pramer).

5. “Ich war eine Alibifrau”
(taz.de, Simone Schmollack)
Marlies Hesse wurde 1968 Pressechefin des “Deutschlandfunks” und war dort die erste Frau in einer Führungsposition. Eine “Alibifrau”, wie man ihr gegenüber später zugab. Die “taz” hat sich mit Hesse unterhalten, die für die Gleichberechtigung von Frauen im Journalismus eintritt und den nach ihr benannten Preis für Nachwuchsjournalistinnen gestiftet hat.

6. “Achillesfersen finden, nutzen und schauen was passiert”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Miguel Robitzky war gerade mal 16 Jahre alt, als er sich mit seinen Karikaturen beim Medienportal “DWDL” bewarb. Das ist nun fünf Jahre und über 250 Karikaturen her und Anlass, sich mit dem jungen Zeichner über seine Arbeit zu unterhalten. Robitzky auf die Frage, wie er mit Kritik umgeht: “(…) ich reagiere auf Kritik wie ich auf alles reagiere: mit Masturbation.”

Hollywood-Interviews, RWEs “Sorry”, VDS-Wutbürger und -Witzfiguren

1. Hollywood-Interviews aus der Kopierfabrik?
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mehr als 100 hochkarätige Hollywood-Stars will Edmund Brettschneider interviewt haben, viele davon sogar mehrfach wie Pierce Brosnan, George Clooney, Dustin Hoffmann, Jennifer Lopez, Brad Pitt usw. usf. Die meisten der Interviews erschienen in Regenbogen-Postillen des Bauer Verlags, in “Das neue Blatt”, in “Woche Heute”, “Alles für die Frau”, “Das Neue” und in der “TV Movie” und. Medienkritiker und Boulevardspezialist Mats Schönauer (“Topf voll Gold”) hat sich für eine überaus spannende Recherche die Gespräche näher angeschaut. Es drängt sich die Frage auf, ob die Interviews wie beschrieben stattgefunden beziehungsweise ob sie überhaupt stattgefunden haben.
Im Medienmagazin “journalist” äußert sich Bauer-Verlagsleiter Ingo Klinge zu umstrittenen Schlagzeilen, zum Beispiel über Michael Schumacher, und den teils erdichteten Bauer-Geschichten: “Bei uns wird nicht gelogen, sondern allenfalls emotionalisiert und überzeichnet”.
Anmerkung des “6 vor 9”-Kurators: Klinge hat übrigens in seinem Haus alle Spiegel abgehängt, weil er seinen eigenen Anblick nicht erträgt. (Nach Klinge keine Lüge, sondern “allenfalls emotionalisiert und überzeichnet”.)

2. Wie haben vom Presserat “verurteilte” Medien 2018 reagiert?
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Die “Presserat” genannte freiwillige Selbstkontrolle der österreichischen Printmedien stellt heute ihren Jahresrückblick vor. Für das Medienwatchblog “Kobuk” ein guter Anlass, nach den Auswirkungen der Presserat-Entscheidungen zu schauen. Sind die kritisierten Medien der Aufforderung des Presserats gefolgt? Gab es überhaupt eine Reaktion oder wurde der Presserat mehr oder weniger ignoriert?

3. Die Fotografen haben Grönemeyer in eine Falle gelockt
(faz.net)
Das Kölner Landgericht hat zwei Pressefotografen (passender wäre “Paparazzi”) zu einjährigen Bewährungsstrafen verurteilt. Die beiden Männer hatten den Sänger Herbert Grönemeyer bei einer Begegnung am Flughafen Köln/Bonn in eine Falle gelockt. “Es war von vornherein ihr Ziel, ihn zu provozieren und dann seine wütende Reaktion zu filmen”, so der Richter des LG Köln. Die Behauptung der Fotografen, von Grönemeyer verletzt worden zu sein, ließe sich nicht belegen. Schlimmer noch: “Die Angeklagten haben sich diese Verletzungen selbst zugefügt oder sich zufügen lassen.”

4. Rechercheanfrage veröffentlicht: RWE entschuldigt sich bei der “taz”
(handelsblatt.com)
Der Energiekonzern RWE hat eine Rechercheanfrage der “taz” veröffentlicht und ist dafür vielfach kritisiert worden. Nun hat sich die Pressestelle des Unternehmens bei der “taz” entschuldigt. “Es steht jedem Unternehmen völlig frei, sich jederzeit in eigener Sache zu äußern”, so die stellvertretende “taz”-Chefredakteurin Barbara Junge: “Dass RWE dazu Journalisten vorführt, E-Mail-Korrespondenz veröffentlicht und damit Rechercheprozesse unterminiert, ist ein Novum. Es ist schlechter Stil und offenbart ein fragwürdiges Verständnis der Rolle von Medien. RWE hat sich bei unserem Autoren mittlerweile entschuldigt. Das ist auch angemessen.”

5. Der Kampf der deutschen Verlage gegen die Presse- und Meinungsfreiheit im Wandel der Zeit
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Das Jammern der Verlage über den Medienwandel hat anscheinend eine lange historische Tradition: Bereits 1850 hätten deutsche Presseverleger ein Urheberrecht auf Nachrichten durchsetzen wollen, weil angeblich das Telegramm ihr Geschäftsmodell ruiniere. Die ehemalige isländische Parlamentsabgeordnete Asta Helgadottir hat in einem Twitter-Thread zusammengetragen, welche Argumente über die folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte noch bemüht wurden. Medienexperte Thomas Knüwer empfiehlt: “Wenn also das nächste Mal ein Chefredakteur oder Verlagsgeschäftsführer vom bösen Internet jammert oder über Urheberrechtsverletzungen klagt (die im Fall von Nachrichten übrigens vor allem in der Fantasie dieser Personen vorkommen), dann zeigen Sie ihm diesen Thread.”

6. Oh, fuck off
(taz.de, Daniel Kretschmar)
Der Verein Deutsche Sprache hat einen teilweise hölzern klingenden, auf seltsamen Annahmen basierenden und populistischen Aufruf gegen gendergerechte Sprache veröffentlicht (“Schluss mit dem Gender-Unfug”). Unterzeichnet wurde er von “lauter Witzfiguren und Wutbürger”, wie “taz”-Chef-vom-Dienst Daniel Kretschmar es ausdrückt: “Zu den mutigen Mahner*innen zählen solche bezahlten Witzfiguren wie Nuhr und Hallervorden, deren Wutbürgertum aus offensichtlichen Gründen gerade noch vor Invektiven wie “Staatsfunk” haltmacht. Dazu so nervtötend besserwisserische Gestalten wie Bastian Sick, der sein Geld seit Jahren damit verdient, Sprache zum Regelvollzug zu machen: ewiger Linguaknast ohne Freigang, aber dafür mit Genitiv-S. Kai Diekmann und ein paar Profen obendrauf und fertig ist der ideelle Gesamtkartoffelauflauf.”

RWEs Infokrieg, Margots Badesalz, “Präzisierungen” bei Martenstein

1. Das ist nicht offen & transparent, sondern ein unzulässiger Eingriff in die Freiheit des Journalisten und außerdem schlechter Stil.
(twitter.com, Martin Kaul)
Die “taz” hat zur Vorbereitung eines Artikels über mögliche Hass-Postings von RWE-Mitarbeitern beim Energieversorger angefragt. Darauf hat die Presseabteilung des Konzerns die Rechercheanfrage in einer Art von vorauseilendem Gegenangriff auf Twitter veröffentlicht. “taz”-Reporter Martin Kaul hält dies nicht nur für schlechten Stil, sondern auch für einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit des Journalisten: “Zu einer ganz wesentlichen redaktionellen Freiheit gehört die Freiheit der Auswahl und die Freiheit des Veröffentlichungszeitraumes, auch die Freiheit, sich zu entscheiden, über etwas nicht zu berichten. Dem greift @RWE_Presse hier einfach vor — und veröffentlicht die Mail eines Journalisten und die eigene Antwort, noch ehe überhaupt ein Text erschienen ist. Damit möchte also ein Unternehmen die Oberhand über die Berichterstattung gewinnen und Redaktionsfreiheiten und -abläufe unterminieren. Wenn das gängiger Stil wäre, gäbe es keine Pressefreiheit, sondern Informationskrieg.”
Weiterer Lesetipp: Braunkohle-Protest gegen RWE — diese Bilder hat die Polizei beschlagnahmt (bento.de, Steffen Lüdke).

2. “Das Radio ist nicht der Richter, der über Künstler zu urteilen hat”
(jetzt.de, Christina Waechter)
In den USA sorgt eine Doku für eine erneute Diskussion über die Missbrauchsvorwürfe gegenüber dem vor zehn Jahren verstorbenen Popstar Michael Jackson. In der Folge haben Radiosender in Kanada, Neuseeland, Norwegen und auch die BBC bekanntgegeben, sämtliche Songs von Michael Jackson aus dem Programm zu nehmen. Ina Tenz, Chefin von “Antenne Bayern”, dem größten privaten Radiosender Deutschlands, hält nichts von einem derartigen Boykott: “In der Dokumentation äußern sich die Opfer viele Jahre später, Michael Jackson kann sich dazu nicht mehr äußern. Zudem gab es zwei Prozesse zu dem Thema, die beide nicht zu einer Verurteilung Jacksons geführt haben. Der Film bringt keine neuen Beweise und Michael Jacksons Familie dementiert alle Vorwürfe. Ich glaube generell, dass diese Boykotte nichts zur Aufklärung der Sache beitragen. Sie bringen nur den Radiosendern Aufmerksamkeit.”
Weiterer Lesetipp: Warum ich Michael Jackson nicht mehr höre (sz-magazin.sueddeutsche.de, Julian Dörr).

3. Evangelisches Badesalz
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Promi-Zeitschriften scheinen gerade mächtig en vogue zu sein, ob “Barbara” (Schöneberger), “Daniela” (Katzenberger), Doktor von Hirschhausens “Gesund Leben” oder Joko Winterscheidts “JWD”. Ab April bringt nun auch die evangelische Theologin Margot Käßmann eine eigene Zeitschrift heraus. Aber keine Sorge, das Magazin wird nicht “Margot” heißen, sondern “Mitten im Leben”.

4. Meinen ist nicht behaupten
(taz.de, Finn Holitzka)
Die Geschichte um Harald Martensteins wahrheitsferne Kolumne über späte Abtreibungen geht weiter. Nach allerhand Gegenwind auf Twitter und nachdem der ARD-“Faktenfinder” die verschiedenen von Martenstein grob vereinfacht bis falsch dargestellten und aus dem Kontext gerissenen Debatten auseinandergedröselt hat, sah sich die “Zeit” anscheinend zu einem “Hinweis der Redaktion” (dort unten angehängt) gezwungen. Einige Passagen der Kolumne seien nachträglich “präzisiert” worden … Finn Holitzka stellt in der “taz” noch einmal fest: “Auch für Kolumnen und Meinungsbeiträge gilt die journalistische Sorgfaltspflicht. Meinen kann Martenstein alles, was seinen Kritiker*innen die Nerven raubt. Behaupten sollte auch der Berufsprovokateur nur faktisch Richtiges.”

5. EU-Copyrightreform: Zivilgesellschaft und Verbände fordern Moratorium
(heise.de, Stefan Krempl)
14 Institutionen aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft fordern in einem offenen Brief (PDF), die Abstimmung über die Copyright-Novelle und Upload-Filter auf die Zeit nach der Europa-Wahl zu verschieben: “Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier brauchen gerade jetzt Zeit, um das Für und Wider abzuwägen.”

6. Aufruf zum Meinungsfasten
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Alena Schröder)
Du hast eine Meinung? Dann lass diese doch mal ein paar Wochen ruhen. Es gibt schließlich wichtigere Dinge, auf die wir bis Ostern verzichten sollten als Bier und Schokolade, wie Alena Schröder in ihrem Aufruf zum Meinungsfasten findet.

Schmierenkabarettist Reichelt, Wahrheitsabtreiber, Ausgeliefert

1. “Bild”-Chef im Delirium
(kontextwochenzeitung.de, Mario Damolin)
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte zur Podiumsdiskussion eingeladen. Thema der Veranstaltung: “Ethik und Moral im Boulevard?” Ein Thema, das angeblich einer der Talk-Gäste persönlich entworfen hatte: “Bild”-Chef Julian Reichelt. Mario Damolin hat die Veranstaltung besucht, die er als “einwandfreies Schmierenkabarett” bezeichnet: “Tatsächlich ist zu fragen, wer im Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrum der Deutschen Sinti und Roma auf die grandiose Schnapsidee gekommen ist, mit einem Schmierenjournalisten — oder wie es Peter Zudeick im Deutschlandfunk formulierte: mit einer “Krawallschachtel” — über journalistische Ethik reden zu wollen.”

2. Keine “postnatale Abtreibung” gefordert
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Andrej Reisin)
Der oft scharf an der Fake-News-Grenze operierende “Zeit”-Kolumnist Harald Martenstein hat mal wieder zugeschlagen: In den USA würden Demokraten und Feministinnen angeblich fordern, Kinder nach der Geburt noch abtreiben zu dürfen. Der ARD-“Faktenfinder” ist der Sache nachgegangen und befindet: “Diese Behauptung ist nicht korrekt”. In Martensteins Kolumne würden verschiedene Debatten aus dem Kontext gerissen und grob vereinfacht bis falsch dargestellt.

3. Der kommerzielle Journalismus steckt in der Krise. So könnten Auswege aussehen.
(netzpolitik.org, Christopher Buschow)
Das wahrscheinliche Ende vieler Zeitungen der DuMont-Gruppe ist ein neuerlicher Beweis für die Krise des kommerziellen Journalismus. Neugründungen könnten den Weg in die Zukunft zeigen, doch die Startbedingungen sind schwer. Medienforscher Christopher Buschow denkt darüber nach, wie Medien-Start-ups und journalistische Experimente gefördert werden können.

4. Ausgeliefert
(spiegel.de, Rafael Buschmann)
Für Whistleblower Pinto (“Football Leaks”) war es die größtmögliche Niederlage: Ein ungarisches Gericht entschied, dass er nach Portugal überführt werden soll. Zuvor hatten ihm französische Ermittler die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm angeboten. In Portugal drohe ihm nicht nur juristisches Ungemach, wie er Anfang Februar sagte: “Ich fürchte, dass, wenn ich ein portugiesisches Gefängnis betrete, vor allem eines in Lissabon, ich dort nicht lebend herauskomme.”

5. Wenn die Verachtung von der Leine gelassen wird
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der “Achse des Guten”-Autor Bernhard Lassahn hat dem kürzlich in Ruhestand getretenen “SZ”-Ressortchef Heribert Prantl vorgeworfen, dieser verbreite Lügen über Väter und beschimpft ihn als Menschenverächter. Prantl sei der “wahre Relotius der ‘Süddeutschen'”. Ein dummer Vergleich, wie Boris Rosenkranz findet: “Man kann Prantl ja kritisieren: seine pastorale Art zu kolumnieren, die Formulierung im aktuellen Video, seine Thesen und Schlüsse, die er zieht. Doch an einer ernsthaften Diskussion, die abwägt und nicht ins Gegenteil verkehrt, sind Leute wie Lassahn nicht interessiert.”

6. Wenn extrem rechte Vereine als gemeinnützig gelten
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Es ist schon makaber: Manche rechtsradikale Vereine genießen die Vorteile der Gemeinnützigkeit, während der Staat sie einer Organisation wie Attac entzieht. Matthias Meisner über fragwürdige steuerliche Begünstigungen, trickreiche Vereine und überforderte Finanzämter.

Erfolglose Populismus-Fischer, Facebook-Stasi, Anti-LGBTI-Wahlkampf

1. Nichts als Ärger: Wie Springers Bild Politik mit seinen Magazin-Covern im Populismus fischt
(meedia.de, Georg Altrogge)
“Meedia”-Chefredakteur Georg Altrogge hat sich die vier bisherigen “Bild Politik”-Ausgaben angesehen und erkennt darin ein wiederkehrendes System von Negativismen und Populismus. Ein Konzept, das zumindest im Print-Bereich nicht aufzugehen scheint.

2. Deutsche Datenschützer alarmiert über Facebooks interne Spitzelabteilung
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Es liest sich schon ein wenig gruselig, was über Facebooks firmeninterne Überwachungsabteilung bekannt wurde. Ein “Sicherheitsteam” observiere Mitarbeiter, die es als mögliche Gefährder einstufe, lese die Standortdaten von Ex-Mitarbeitern aus oder schnüffle in den Nachrichten von Praktikanten, die nicht zur Arbeit erscheinen. Facebook bestreitet, mit seinem Vorgehen gegen Datenschutzregeln zu verstoßen. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte sieht das laut netzpolitik.org etwas anders und habe die Datenschutzbehörde in Irland eingeschaltet, die in Europa die Hauptzuständigkeit für Facebook hat.
Weiterer Lesetipp in Sachen Facebook: Facebooks Anti-Datenschutz-Lobbying geleakt (golem.de, Friedhelm Greis).

3. Hilfe, die «Junge Freiheit»! Die Schweizer Kette Press & Books säubert die Regale
(nzz.ch, Marc Felix Serrao)
Die Schweizer Handelskette “Press & Books” (mehr als 200 Verkaufsstellen) hat die rechtskonservative Wochenzeitung “Junge Freiheit” aus dem Programm genommen. “NZZ”-Autor Marc Felix Serrao ist irritiert und fragt sich, ob die deutsche Öffentlichkeit in Sachen Pressefreiheit toleranter als die Schweiz ist.

4. Zoë Beck: “Frauenquoten? Auf jeden Fall!”
(ndr.de, Jürgen Deppe, Audio: 8 Minuten)
Mit Blick auf den bevorstehenden Weltfrauentag hat der NDR sich mit der vielfach ausgezeichnete Thriller-Autorin Zoë Beck unterhalten. Es geht um die Frage, ob es auch im Kultur-, speziell im Literaturbereich eine Frauenquote geben sollte. Aber auch der Film- und Fernsehbereich sei betroffen, so Beck: “Da studieren an den entsprechenden Hochschulen genauso viele oder teilweise sogar ein bisschen mehr Frauen als Männer im Bereich Kamera oder Regie. Im Abspann sieht man aber, dass Männer deutlich in der Überzahl sind. Das ist ein Ungleichgewicht, und warum soll es da keine Quote geben?”

5. Nach AKK-Witz: BILD-Chef beschwört Wahlkampf gegen geschlechtliche Vielfalt
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Johannes Kram schreibt über den Umgang der “Bild”-Redaktion mit dem LGTBI-Thema. Einerseits habe die Zeitung einiges getan, um queeren Menschen das Gefühl zu geben, ihre Andersartigkeit zu akzeptieren. Andererseits hetze und polemisiere die Zeitung unvermindert gegen geschlechtliche Vielfalt. Kram vergleicht den Mechanismus wie folgt: “… wie sich die BILD-Macher heute als Alliierte von LGTBI erklären, machten sie es noch vor wenigen Jahren, als sie sich als Flüchtlingshelfern generierten. Um dann, als es nicht mehr opportun war, genau das Gegenteil zu machen, also Geflüchtete fast ausnahmslos als Deutschlands Gefahr zu stilisieren.”

6. “Ich rechne jeden Tag mit meiner Absetzung”
(fr.de, Danijel Majic)
“Titanic”-Chefredakteur Moritz Hürtgen hat schon einige erfolgreiche Coups gelandet: Ob “Miomio-Gate” bei “Bild”, die “Blasebalg-Leaks” bei “Focus Online” oder die Falschmeldung über die vermeintlichen Bündnisaufkündigung von CDU und CSU. Danijel Majic hat dem respektlosen Satiriker einige nicht minder respektlose Fragen gestellt.

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