Geschehen ist (fast) nichts

In der gestrigen “Bild” erschien ein (vergleichsweise großer) Artikel, dessen Überschrift seinen Inhalt schon ganz gut zusammenfasst:

“Vor der Wahl versprach Angela Merkel Reform der Altersbezüge für Politiker — geschehen ist (fast) nichts.

Wann kürzt die Kanzlerin endlich die Minister-Pensionen?”

Genauer hieß es dann:

“Im zuständigen Innenministerium rührt sich so gut wie gar nichts. ‘Die Planungen werden weiter verfolgt und nach und nach umgesetzt’, erklärt die Bundesregierung auf Anfrage von BILD. Wann und wie die Neuregelung kommt, sei ‘noch offen’.”

Und heute? Heute berichtet “Bild” in einem (vergleichsweise kleinen) Artikel:

"Regierung will nun doch Minister-Pensionen kürzen!"

Genauer heißt es dazu:

“Die Große Koalition hat gestern angekündigt, dass die Pensionen (…) gekürzt werden! (…) Der genaue Termin der Neuregelung ist weiterhin offen.”

Was ist zwischen diesen beiden “Bild”-Meldungen passiert? (Fast) nichts. “Es ist nicht so, dass die ‘Bild’ irgendwas angestoßen hat”, erklärt die Bundesregierung auf Anfrage von BILDblog — und verweist auf ihre gestrige Pressekonferenz, in der Regierungssprecher Thomas Steg (vergleichsweise ausführlich) darlegte, was “Bild” doch schon zuvor, also gestern, mit den Worten “Die Planungen werden weiter verfolgt und nach und nach ungesetzt” zusammengefasst hatte und was “Bild” hernach, also heute, mit zum Teil denselben Worten noch einmal aufschreibt.

Wirklich neu ist an der ganzen Sache nur das “nun doch” in der heutigen “Bild”-Überschrift — als hätte die “Bild”-Zeitung mit ihrer gestrigen Geschichte irgendwas bewirkt.

Schmerzensgeld für “Puff-Politiker”

Die “Bild”-Zeitung muss dem Bundestagsabgeordneten Gert Winkelmeier Schmerzensgeld zahlen. Dazu verurteilte das Berliner Landgericht die Axel Springer AG in der vergangenen Woche. Die genaue Summe möchte Winkelmeier nicht nennen, es handele sich aber um einen “gehobenen Betrag”, sagte uns sein Anwalt Jony Eisenberg.

Im vergangenen Februar hatte die “Bild”-Zeitung den Politiker der Linkspartei drei Tage in Folge in großen Überschriften als “Puff-Politiker” bezeichnet — weil in einem Haus, dessen Miteigentümer er war, auch Prostituierte arbeiteten.

Das Gericht sah in der “Bild”-Berichterstattung nach den Worten Eisenbergs eine “schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung” und eine “Schmähung”. Verschärfend habe es in seinem Urteil gewertet, dass “Bild” “kampagnenartig” berichtet und Winkelmeier keine Chance gehabt habe, sich zu wehren.

Allgemein  

“Bild”-Urteil widerlegt

So stand es bekanntlich vor elf Tagen in “Bild”, so steht es seit elf Tagen in Bild.de. Das war voreilig, unzulässig — und wie man inzwischen weiß: falsch. Die DNA-Spuren des festgenommenen John Mark Karr stimmen, wie selbst Bild.de heute berichtet, nicht mit denen überein, die am Tatort bei der getöteten JonBenet Ramsey gefunden wurden.

Danke an Florian Z., Marko S., Daniel K., Sebastian S., Mike B., Tom, Jürgen H., Manuel N., Timm H., Jean M. und Hendric S.

6 vor 9

Dichtung und Wahrheit (telepolis.de)
Was beim Untergang von New Orleans vor einem Jahr falsch und was gar nicht berichtet wurde – und was noch gemunkelt wird.

Zurück hinter Mauern (zeit.de)
In Österreich droht eine Medienschlacht um Natascha Kampusch. An den Menschen denkt dabei niemand.

Der intellektuelle Doppelagent (taz.de)
Als Freiberufler muss man ständig abwägen, auf wessen Seite man sich schlägt. Dann gilt es im kulturellen Feld die Eventmanager zu ernüchtern oder den Künstler ein wenig in seinem Sendungsbewusstsein zu bremsen. Eine Anleitung.

Push für den Push (onlinejournalismus.de)
Die Push-Technik RSS bietet potenziell extrem weitreichende Personalisierungsmöglichkeiten für den Nutzer – bei gleichzeitigen Bedeutungsverlust für die redaktionelle Gewichtung. Doch während RSS für Blogger nicht mehr wegzudenken ist, haben die meisten Normalnutzer noch nie davon gehört. Wie schätzen große Online-Redaktionen die Entwicklung ein?

Swisscom lanciert einen Blog (tagesanzeiger.ch)
Firmen können mit Internettagebüchern ihre Bekanntheit erhöhen. Das neue Medium birgt aber auch Gefahren.

Chaos, Geschenke, Gastfreundschaft (manager-magazin.de)
Wer mit Arabern Geschäfte macht, muss viel Zeit mitbringen. Gespräche dauern oft stundenlang. Bisweilen wird über drei Verträge gleichzeitig verhandelt. Wenn die gegensätzlichen Kulturen aufeinandertreffen, sind vor allem zwei Dinge Wichtig: Geduld und Respekt.

Bild.de verwechselt Anzeigen mit Anzeigen (2)

Damit niemand auf den Gedanken kommt, das hier sei ein unglücklicher Ausrutscher gewesen:

Diese Anzeige hier links steht gerade im “Leute”-Ressort von Bild.de.

Und diese Anzeige redaktionelle Information hier links steht gerade im “Kino”-Ressort von Bild.de.

Beide Teaser führen direkt zum selben Anbieter. Werbung? Redaktion? Bild.de macht da keinen Unterschied.

Nicht zum Herzeigen bestimmt

Natascha Kampusch, das österreichische Mädchen, das acht Jahre lang von einem Entführer gefangen gehalten wurde, hat einen Brief an “Journalisten, Reporter” und die “Weltöffentlichkeit” geschrieben.

Natascha bricht ihr Schweigen / Ihre Erklärung im WortlautAnders als viele andere OnlineMedien dokumentiert Bild.de heute den Brief nicht im Wortlaut, sondern nur in Auszügen.

Und wir dokumentieren die Stellen, die Bild.de wegließ:

Ich möchte Ihnen im Voraus jedoch versichern, dass ich keinerlei Fragen über intime oder persönliche Details beantworten will und werde. Ich werde persönliche Grenzüberschreitungen, von wem auch immer voyeuristisch Grenzen überschritten werden, ahnden. Wer das versucht, kann sich auf etwas gefasst machen. (…)

[Der Raum, in dem ich gelebt habe, ist] nicht für die Öffentlichkeit zum Herzeigen bestimmt. (…)

Botschaft an die Medien: Das einzige, wovor die Presse mich verschonen soll, sind die ewigen Verleumdungen meiner selbst, die Fehlinterpretationen, die Besserwisserei und der mangelnde Respekt mir gegenüber.

Abgesehen von zwei Passagen, in denen Natascha Kampusch sich namentlich bei ihren Betreuern bedankt, sind dies die einzigen Stellen in dem langen Brief, die Bild.de gekürzt hat. Bestimmt nur, weil sie für “Bild”-Leser ja nicht so relevant sind.

Vielen Dank an Martin Z. für den Hinweis!

Nachtrag, 29.8.2006: Nachdem sich die gedruckte “Bild” entschieden hat, den Brief heute im kompletten Wortlaut zu veröffentlichen, steht nun auch bei Bild.de nicht mehr nur die gekürzte Version.

Man wird ja wohl noch antworten dürfen (2)

"Feuer-Anschlag auf Nena geplant?" Nein.
"Sind wir schon wieder knapp einem Terroranschlag entkommen?" Eher nicht.

Soviel zur “Bild” von heute. In einer Polizei-Meldung vom Samstagabend heißt es dazu abschließend:

Konkrete Hinweise auf geplante Straftat haben sich nicht bestätigt

(…) Weder die Durchsuchungen noch die sich anschließenden Ermittlungen konnten den Sachverhalt weiter aufhellen und die Hinweise erhärten. Ebenso blieb ungeklärt, wo und mit welchen Mitteln die vorgenannte Straftat durchgeführt werden sollte.

Und der Radiosender Eins Live ergänzt:

Die Polizei hat (…) erklärt, dass sich diese ganze Sache nicht gegen Nena gerichtet habe. Die Polizei hatte tatsächlich Hinweise, dass in Gelsenkirchen möglicherweise Anschläge geplant worden seien und habe deshalb das Gelände gesichert. Dass Nena dort aber an dem Abend ein Konzert gespielt habe, sei Zufall, so die Polizei gegenüber Eins Live. Im Nachhinein habe sich die Sache sowieso als Fehlalarm erwiesen.

“Bild” hingegen hat sich gegen die Wörter “Zufall” und “Fehlalarm” entschieden und zitiert lieber einen Ermittler mit den (offensichtlich schon lange vorm “Bild”-Redaktionsschluss überholten) Worten:

"Uns fehlen noch handfeste Beweise."

Mit Dank an Ronald M., Fritz, Stefan S., Claudius L., Martin K., Daniel W., Thomas R. für den Telepolis-Link.

Nachtrag, 15.20 Uhr: Inzwischen hat sich auch die Nachrichtenagentur dpa der “Bild”-Story angenommen und verbreitet in einer Meldung u.a. den Satz:

Einen Bericht der “Bild”- Zeitung, wonach die Gruppe einen Anschlag auf ein Konzert der Sängerin Nena geplant habe, wies die Polizei als Spekulation zurück.

Ganz anders Krone.at: Die Online-Ausgabe der österreichischen “Kronen-Zeitung” hat nirgends nachgefragt, sondern die “Bild”-Spekulationen lieber (dezent zugespitzt) als Tatsache weiterverbreitet.

6 vor 9

Der Zauber der permanenten Online-Revolution (nzz.ch)
Die rasch expandierende Blogger-Szene stellt für Chinas Regierung eine riesige Herausforderung dar.

Pimp my Text! (telepolis.de)
Das Zeitalter der Neuen Medien hat die akademische Textproduktion verändert – jetzt laden “Plagiat-Jäger” scharf durch. Eine Qualitätssicherung ist auf diesem Weg jedoch schwer zu haben.

Generation Web 2.0 (eurams.de)
Internet-Nutzer sind nicht mehr alleine online. Web 2.0 heißt das Mitmach-Internet, in dem Millionen ihre Fotos, Videos und Vorlieben präsentieren. Ein Milliardengeschäft für die Werbebranche.

Vorfahrt für das Internet (fr-online.de)
Neue Strategien in der Zeitungsbranche: “web first” und die “Heimdruckerzeitung”.

Der nette Herr Dschihad von nebenan (faz.net)
Was bleibt von meinem Nachbarn, der so gerne ein Massenmörder geworden wäre? Standen wir gemeinsam an der Ampel? Ich dachte an den Feierabend, er an den besten Weg, mich umzubringen.

Die Rote Liste der Deutschen Sprache (detlef-guertler.de)
In der 24. Auflage des Dudens vom Juli 2006 als “veraltend” gekennzeichnete Wörter.

In eigener Sache

Die gute Nachricht zuerst: BILDblog gibt es ab sofort auch werbefrei.

Und das hat einen Grund. Noch vor ein paar Monaten hatten wir an dieser Stelle geschrieben:

Keine Sorge: Pop-ups, lautstark an den Bildschirm klopfende Frauen, explodierende Banner, Layer zum Wegklicken und ähnliche Werbeformen wird es bei uns nicht geben.

Doch wir müssen uns korrigieren. Denn anders, als wir versprochen hatten, wird es bei uns in den kommenden Tagen wahrscheinlich eine solche Werbeform geben — testweise und weil das die Finanzierung unserer Arbeit erheblich erleichtert. Wir bitten also um Verständnis für unseren Sinneswandel — und bieten alternativ allen, die BILDblog trotzdem lieber komplett ohne Werbung lesen möchten, hier (und oben rechts auf dieser Seite) die Möglichkeit dazu.

Einverstanden?

Man wird ja wohl noch antworten dürfen

Angesichts des Entwurfs eines neuen Schulgesetzes in Schleswig-Holstein fragte “Bild” gestern:

Warum dürfen Lehrerinnen kein Kreuz mehr tragen?

Und das ist schon mal eine lustige Frage, denn die geplante Regelung betrifft männliche Lehrer genauso, aber gut.

Eigentlich bemerkenswert ist aber vor allem, dass “Bild” die Antwort auf die Frage im Artikel schuldig bleibt. Ungefähr zwei Drittel des Textes geben den “Riesenkrach” wieder, den das geplante Gesetz auslöst (der in “Bild” schon zum “Gesetz” wird). Aber warum sich die Landesregierung zur Empörung auch der “Bild”-Zeitung dafür entschied, nicht nur Kopftücher im Unterricht zu verbieten, sondern (außerhalb des Religionsunterrichts) alle religiösen Symbole, das erklärt das Blatt seinen Lesern nicht.

Wen stört ein Kreuz?Auch der “Bild”-Kommentar von Willi Schmitt stellt zwar nicht weniger als zehn Fragen, beantwortet aber keine einzige davon, und schon gar nicht die zentrale:

Warum fordert die Große Koalition aus CDU und SPD (…) auf einmal: kein Kopftuch mehr in Schulen, dafür aber auch kein Kreuz mehr?

Dabei lässt sich die Frage relativ leicht beantworten. Die “Süddeutsche Zeitung” tat es am Freitag so:

Der Beschluss der Kieler Regierung entspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003. Das hatte
den Ländern nahegelegt, entweder prinzipiell den Lehrkräften zu erlauben, ihren Glauben symbolisch zu bekennen — oder dies komplett zu verbieten.

(Auch die nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche zum Beispiel ist der Ansicht, dass ein Privileg für christliche Symbole, wie “Bild” es fordert, “verfassungsrechtlich zweifelhaft” wäre: Wenn die muslimische Lehrerin kein Kopftuch tragen darf, dürfte auch der Pastor nicht mit umgehängtem Kreuz über den Schulhof gehen. Ein Gesetz in Hessen, das den Beamten im öffentlichen Dienst das Tragen von Kopftüchern verbietet, christliche Symbole aber erlaubt, verstößt nach Ansicht der hessischen Landesanwältin gegen die Verfassung. Und das Stuttgarter Verwaltungsgericht hat vor kurzem einer muslimischen Lehrerin Recht gegeben, die gegen das baden-württembergische Kopftuchverbot geklagt hatte.)

Natürlich kann man darüber streiten, wie man am besten mit den symbolträchtigen Kopftüchern in der Schule umgehen soll. “Bild” aber hat sich entschieden, kein Risiko einzugehen, dass die Leser womöglich zu einem anderen Urteil kommen als ihre Zeitung, die diese Debatte über die Grundwerte der deutschen Verfassung für eine “Gespenster-Diskussion” hält, und lässt sicherheitshalber die entscheidenden Fakten einfach weg. “Bild” macht aus der echten Frage, warum Lehrer kein Kreuz mehr tragen sollen, eine rhetorische — und lässt die Beschlüsse der Politiker dadurch, dass sie sie einfach nicht erklärt, schlicht unerklärlich erscheinen.

Danke an Alexander N. für den Hinweis!

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