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Bittere Halbwahrheiten

Dass Menschen aus anderen Ländern nicht etwa in die Kulturnation, sondern in den Wohlfahrtsstaat Deutschland einwandern wollen, ist für die Klientel von “Bild” alles andere als neu. Trotzdem – oder gerade deshalb – lieferte die Boulevardzeitung am Dienstag auf der Titelseite noch einmal die “bittere Wahrheit”:

Die bittere Wahrheit über Ausländer und Hartz IV

Und nochmal in groß:

Ausländer-Statistik: 90 Prozent der Libanesen kriegen Hartz IV

In der Tat haben es die drei “Bild”-Autoren geschafft, Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mit denen des Statistischen Bundesamtes zu kombinieren und in eine Tabelle zu gießen. Haarklein listen sie auf, wie viele Menschen verschiedener Nationalitäten ohne deutschen Pass in Deutschland “arbeiten dürften” und trotzdem Sozialleistungen beziehen:

Sogar für einen Quellennachweis hat es gereicht:

Doch warum bestreiten so viele Libanesen in Deutschland ihren Lebensunterhalt nicht selbst, wenn sie doch nach amtlicher Statistik ausdrücklich arbeiten dürfen? Allwetter-Soziologe Christian Pfeiffer hat die passende Erklärung parat:

Woher kommen die großen Unterschiede?

Soziologe Prof. Christian Pfeiffer: Viele Libanesen etwa waren zu Beginn Asylbewerber und durften nicht arbeiten. Dieser Lebensstil hat sich von Generation zu Generation durchgesetzt. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig, Kinder gelten als Einkommensquelle, gearbeitet wird höchstens schwarz. Gerade die Libanesen haben sich oft in dieser Armutslage eingerichtet.

Scheinbar um Ausgleich bemüht, hält “Bild” fest, dass Ausländer natürlich nicht faul seien und sogar sehr selten Arbeit ablehnen, die ihnen von der Arbeitsagentur angeboten wird. Doch wie passt das mit dem speziellen libanesischen Lebensstil zusammen? Dass Libanesen Kinder als Einkommensquelle ansehen, haben sie offenbar mit der Redaktion von “Bild” gemein. Denn wie man den amtlichen Statistiken ohne weiteres entnehmen kann, sind 6.541 (oder 17,7%) der amtlich erfassten Libanesen unter 15 Jahre alt — und dürfen daher alleine schon wegen der Schulpflicht nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. Insgesamt sind 9.200 Libanesen als “nicht erwerbsfähig” registriert: zu jung, zu krank, zu alt für den Arbeitsmarkt.

In den ersten vier Jahren bekommen geduldete Ausländer allenfalls eine Arbeitsstelle, wenn sich kein Deutscher dafür findet. Nach Auskunft von Pro Asyl kommt diese Vorrangigkeitsprüfung in vielen Regionen Deutschlands einem “faktischen Arbeitsverbot” gleich. Sie mögen sich in Armut eingerichtet haben, sie mögen laut Ausländergesetz arbeiten “dürfen”, einem großen Teil von ihnen bleiben aber schlichtweg keine Möglichkeiten.

Das hätte “Bild” auch wissen müssen: Die Bundesagentur für Arbeit hatte für das Blatt eigens eine Sonderauswertung gemacht, in der die Gesamtzahl der Ausländer noch nach Erwerbsfähigen und nicht Erwerbsfähigen aufgeschlüsselt war — doch die Zeitung rechnete einfach mit der (natürlich höheren) Gesamtzahl weiter und liefert so eine sehr einseitige Statistik. An wirklichen Erklärungen scheint die Redaktion jedenfalls bedeutend weniger Interesse als an der riesigen Schlagzeile gehabt zu haben.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Das Glashaus im Harz

In der beliebten Rubrik “Fehler finden bei Anderen” ist Bild.de mal wieder bei den Nachrichten der ARD fündig geworden:

Mini-TV-Panne bei den "Tagesthemen": Wo war denn beim Hartz-IV-Bericht das T?

Und weil die “Tagesthemen” in der Vergangenheit womöglich wichtigeres zu tun hatten, als über die entsprechenden “Mini-Pannen” in “Bild zu berichten, holen wir das kurz nach:

Wegen Harz IV – Jetzt zoffen sich Berlins Politiker

(“Bild”, 26. Juli 2004)

Richard Schröder: “Die PDS hat sich gegen Harz IV festgelegt und will sogar eine Bundesratsinitiative starten, wenn sie in Regierungsverantwortung kommt – da ist keinerlei Konsens mit Matthias Platzeck, der ja Hartz IV zu recht verteidigt, drin. (…) “

(“Bild”, 23. September 2004)

Edyta F(…) (25) und Tochter Sara (3) aus Kreuzberg: “Ich bekomme Harz IV und hole gerade mein Abitur nach, will Gerichtsmedizinerin werden. (…)”

(“Bild”, 1. Juni 2005)

Wirtschaftsinformatiker Stefan M(…) (25) wurde vor einer Woche mit seinem Studium fertig. “Wollte nur Harz IV beantragen. Als Student habe ich 500 Euro Bafög bekommen. Jetzt wird es wohl auch nicht mehr”

(“Bild”, 2. Juni 2005)

Im sonnigen Florida lebt Gregor P. (59) aus Hannover von unserem Geld. Er kassiert Harz IV plus Wohngeld.

(“Bild”, 28. März 2006)

Die Kosten für Unterkunft und Heizung bei Harz-IV-Empfängern belasten die Kommunen in Brandenburg.

(“Bild”, 11. Dezember 2006)

Doch der Harz-IV-Empfänger verschaffte sich noch am selben Tag um 20.30 Uhr Zutritt zu ihrer Wohnung.

(“Bild”, 22. März 2007)

Er verlor den Job als Fleischer, den Führerschein. Alkohol am Steuer. Er wollte seinen Schmerz betäuben. Heute lebt er von Harz IV.

(“Bild”, 20. September 2007)

Franz Josef Jung: Er wird Minister für Arbeit und Soziales, Harz IV und Hoffnung

(Bild.de, 25. Oktober 2009)

Mit Dank an Diamandis V., Tobias T. und besonders an Thomas H.

Die größten Kritiker der Milchmädchen …

Bei stern.de nennen sie Hans Peter Schütz einen “Homo politicus”, der “den manchmal keineswegs politisch korrekten Tratsch hinter den Kulissen des politischen Berlins” in seiner Kolumne “Berlin vertraulich” notiere.

Diese Woche hat sich Schütz Guido Westerwelles Verhältnis zu Zahlen vorgeknöpft, das bekanntlich nicht das Beste ist.

Wenn Guido Westerwelle Kanzlerin spielen darf, wie vergangene Woche, hat er mathematische Probleme. Auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung, die er leiten durfte, beantwortete er die Frage von stern.de, wie er denn das Wahlergebnis der Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion und baden-württembergischen FDP-Landesvorsitzenden Birgit Homburger bei ihrer Wiederwahl auf dem jüngsten FDP-Landesparteitag bewerte, mit einem kühnen Satz: “Gut! Sie hat doch eine klare Zweidrittelmehrheit bekommen.” Klare Mehrheit? Knapper geht’s kaum. Zwei Drittel von 100 Prozent sind bekanntlich 66,6 Prozent. Geschafft hat Homburger 66,8.

Westerwelles Rhetorik ist natürlich durchschaubar: Bei der letzten Wahl war die Zustimmung für Frau Homburger noch sehr viel höher ausgefallen. Aber dennoch sind 66,8 Prozent natürlich eine ziemlich klare Mehrheit, sogar eine eindeutige (“klare”) Zweidrittelmehrheit. Aber vielleicht braucht es 81 Prozent, um auch Hans Peter Schütz zufrieden zu stellen — natürlich nur als klare Zweidrittelmehrheit, als Vierfüntelmehrheit wäre das ja wieder denkbar knapp.

Aber offenbar legt es Schütz gar nicht groß darauf an, Westerwelle zu verstehen:

Wenn er rechnet betreibt er politische Mathematik. Und die ist – schwer zu verstehen. Sie geht so: In Nordrhein-Westfalen kam die FDP bei der letzten Landtagswahl auf 6,7 Prozent. (…) Und wie rechnet sich Westerwelle das Ergebnis an? “Das war in Nordrhein-Westfalen noch das zweitbeste Ergebnis in den letzten 30 Jahren.” Im Jahr 2000 kam die FDP dort mit Jürgen Möllemann an der Spitze auf 9,8 Prozent. Vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2010 sind es nach Adam Riese zehn Jahre, nach Guido Westerwelle 30.

Zu dem Schluss braucht es schon einiges an bösem Willen, denn Westerwelle hat mit seiner Schönrederei nicht Unrecht: Nach der Landtagswahl 1975 (also genau genommen in den letzten 35 Jahren) hat die FDP nur ein einziges Mal mehr als die jetzt gewonnenen 6,7 Prozent erreicht — eben bei der Wahl vor zehn Jahren.

Mit Dank an Achim Sch.

Medizinmythen, Raffelhüschen, Lkw-Fahrer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Medizinmythen”
(zeit.de, Harro Albrecht)
“Früher verbreiteten sich Wissenschaftsmythen in Salons, Vereinen und per mündlicher Überlieferung – und verschwanden bald wieder.” Doch heute sind sie fast nicht totzukriegen – in den Medien und im Internet werden sie immer wieder von Neuem aufgegriffen.

2. “Der Unbelehrbare”
(oeffingerfreidenker.blogspot.com, Stefan Sasse)
Stefan Sasse stellt sich den “Sieben bitteren Wahrheiten über Hartz IV” von Professor Bernd Raffelhüschen in “Bild” entgegen und nennt ihn einen Brandstifter und Pharisäer: “Er ist selbst Bezieher staatlicher Leistungen, eines der höchsten Beamtengehälter der BRD nämlich, und genießt dazu Unkündbarkeit. Dass solche Menschen aus ihrem Elfenbeinturm heraus glauben, anderen niedrige Löhne und eine Abschaffung des Kündigungsschutzes verordnen zu müssen ist wahrhaftig widerlich.”

3. “Geschriebener Unsinn”
(truckonline.de)
Ostsee-zeitung.de ändert nach der Intervention eines Lesers eine Schlagzeile und macht aus dem Wort “Lkw-Maut-Preller” das Wort “Lkw-Fahrer”. Das Statement dazu aus der Redaktion: “Diese Meldung kam von dpa und wurde von uns so übernommen. Wir können nicht jede einzelne Meldung überprüfen, zumahl der Online – Bereich kaum Gewinn abwirft!”.

4. “Kempowski statt Hegemann”
(tagesspiegel.de, Harald Martenstein)
“Was ich wirklich peinlich finde: Die wachsende Hysterie der Kulturbeobachter, die inflationär vorhandene Bereitschaft, an jeder Straßenecke ein Meisterwerk wahrzunehmen, dieser von sich selbst berauschte, sich selbst schon im Moment des Aussprechens dementierende Jubelton, der, weil er so unrealistisch ist, jederzeit in sein Gegenteil kippen kann.”

5. “NYT Reveals Repeated Acts Of Plagiarism By Business Reporter Zachery Kouwe”
(nytpick.com, englisch)
Die “New York Times” schreibt in einer “Editors’ Note” über ihren Reporter Zachery Kouwe: “In a number of business articles in The Times over the past year, and in posts on the DealBook blog on NYTimes.com, a Times reporter appears to have improperly appropriated wording and passages published by other news organizations.”

6. “Potenziell vorsichtig, potenziell zuversichtlich”
(falk-lueke.de)
Falk Lüke fragt sich, warum in Deutschland so viele, er inklusive, die Risiken jeder potenziellen Chance “bis zum Ende der Vorstellungskraft abwägen wollen”.

Blome, Islamkritiker, Nachrichtendschungel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “BILD sucht die Exitstrategie”
(spiegelfechter.com, Jens Berger)
Jens Berger liest, was “Bild”-Hauptstadtbüroleiter Nikolaus Blome zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV schreibt. “Da stellt das Verfassungsgericht fest, dass in der gängigen Hartz IV-Praxis eine Lücke bei den Ausgaben für die Bildung von Kindern aus prekären Verhältnissen besteht, und Leistungsträger Blome verkauft dies in einem ‘Entweder-Oder-Spiel’ als Belastung der Mitte der Gesellschaft.”

2. “Plagiatsfall Hegemann: Das Feuilleton findet Abschreiben ohne Quellenangabe voll OK”
(literaturcafe.de, Wolfgang Tischer)
Wolfgang Tischer kennt “den Automatismus von Verlagsmarketing und Journalisten”: “Der Verlag bedient mit einem autobiografisch anmutenden Roman die Erwartungen der Presse – und beißt eines der großen Magazine oder Zeitungen an, dann wollen sie sie alle.” Dem italienischen “Corriere della Sera” gemäss hat Autorin Hegemann übrigens nicht nur Teile des Romans aus dem Web entnommen, sondern gleich alles: “Il mio libro? Ho copiato tutto dal web”.

3. Interview mit Thierry Chervel
(heise.de/tp, Reinhard Jellen)
Perlentaucher-Mitgründer Thierry Chervel glaubt, dass es “gar nicht so viele Medien gibt, in denen sich die Islamkritiker wirklich äußern können”. Er spricht konkret die “Süddeutsche Zeitung” an. “Sie fährt zwar die härtesten Attacken gegen Islamkritiker, gleichzeitig existiert nicht der Hauch einer Chance der Erwiderung. Im Grunde ein zutiefst undemokratisches Verfahren für ein demokratisches Medium.”

4. “Mexikanische Boulevardzeitungen: Grausame Berichterstattung”
(medienblick-bonn.de, Linda Krummenauer)
Ein Blick auf mexikanische Boulevardzeitungen, die halb verweste Leichen auf der Titelseite abdrucken und Namen und Adressen von Straftätern nennen.

5. “Wem gehört der Sport?”
(jensweinreich.de, René Martens)
Ein langer Beitrag über den Versuch, die Aufnahme und Publikation von Bildern bei Sportveranstaltungen zu kontrollieren. “Jedermann im Stadion kann entfernt zeitungs-, radio- oder fernsehverwandte Kurzbeiträge produzieren, unabhängig davon, in welchem journalistischen Genre er eigentlich tätig ist beziehungsweise ob er überhaupt als Journalist arbeitet.”

6. “Verloren im Nachrichtendschungel”
(plus7.arte.tv, Video, 40 Minuten)
Für 7 Tage online: Ted Anspach besucht und begleitet verschiedene Macher von Online-Medien. Der Film hinterlässt ein Bild vom Internet als ein Ort, an dem kaum seriöse Informationen zu finden sind.

Bild  

Es ist etwas faul …

Ganz Deutschland diskutiert über Hartz IV.

erklärte “Bild” am vergangenen Freitag mit dem üblichen Understatement und ließ es sich nicht nehmen, einen eigenen Beitrag zur Diskussion zu liefern, der knapp ein Viertel der Titelseite einnahm:

Macht Hartz IV faul?

Diese Frage war für “Bild” ungefähr so rhetorisch wie die, mit denen der große Seite-2-Artikel begann:

Muss es eine verschärfte Arbeitspflicht für Arbeitslose geben, wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch fordert? Haben Hartz-IV-Empfänger keine Lust zu arbeiten? Oder lohnt es sich schlicht für viele nicht mehr, überhaupt eine Arbeit anzunehmen?

Gleich drei O-Töne hat die Zeitung eingesammelt (von Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt, CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs und FDP-Sozialexperte Pascal Kober), die alle der Meinung zu sein scheinen, dass die Menschen die Lust am Arbeiten verlieren, wenn die Hartz-IV-Bezüge zu hoch sind bzw. jemand, der arbeitet, nicht “wirklich mehr” verdient.

Um dieses “wirklich mehr” zu qualifizieren, hat “Bild” drei Beispielfamilien erfunden und für sie verglichen, was sie als Berufstätige und als Bezieher von Arbeitslosengeld II bekommen. Wenig überraschendes Ergebnis: Laut “Bild” bekommt, wer arbeitet, nur wenig mehr — oder gar gleich weniger — als der vergleichbare Hartz-IV-Empfänger.

Allein: “Bild” rechnet falsch. Der Paritätische Wohlfahrtsverband wirft “Bild” vor, bei den Arbeitnehmern Wohngeld und Kinderzuschlag “systematisch unterschlagen” zu haben. Familien, die so wenig verdienen, hätten darauf allesamt Anspruch und damit durch die Bank rund 500 Euro mehr zur Verfügung als mit ALG II.

“Bild” widersprach, nannte den Vorwurf “grob irreführend” und wies darauf hin, dass jemand, der die “Aufstockung” seines Gehaltes mit Arbeitslosengeld II beantrage, Wohngeld und Kinderzuschlag nicht mehr beantragen dürfe. Was “Bild” aber dabei unterschlägt: Mit diesen zusätzlichen Einnahmequellen erreichen die Beispielfamilien auch ohne diese “Aufstockung” (die ihnen dann ohnehin nicht zustünde) höhere Summen als von “Bild” angegeben. Der Wohlfahrtsverband nennt die Verteidigung von “Bild” daher “wiederum völlig falsch und damit bewusst irreführend”.

“Bild” gibt das Einkommen der Beispielfälle nach den Berechnungen des Wohlfahrtsverbandes um jeweils mindestens 200 bis 250 Euro zu niedrig an. Bei richtiger Berechnung wüchse der Abstand der Einnahmen der arbeitenden Familien gegenüber denen, die nur von Hartz IV leben, auf jeweils rund 500 Euro im Monat.

Doch die “Bild”-Zeitung blieb auch am Samstag ihrer Linie treu: Sie ließ “Betroffene” zu Wort kommen, die erklären, dass sie arbeiten gehen, obwohl sie “läppische 52 Euro mehr” bekommen als ihnen bei Hartz IV zustünden. Passend dazu veröffentlichte das Blatt einen angeblichen Leserbrief mit folgendem Inhalt:

Ich bin 40, Krankenpfleger, Langzeitarbeitsloser aus gesundheitlichen Gründen (Psyche). Ich warte jetzt erst mal die Neuregelungen ab. Nach 10 Jahren lohnt es sich für mich nicht, wieder einzusteigen. Im Juni war ich eine Woche auf Helgoland. Im September und Dezember auf Mallorca. April-Urlaub ist schon gebucht. Also, geht doch!
H. R., Hamburg (E-Mail)

Am Montag dürfen sich Hartz-IV-Empfänger in “Bild” “wehren”:

Dass Hartz-IV-Empfänger “NICHT allesamt faul” seien, hatte Nikolaus Blome aus dem Hauptstadtbüro von “Bild” schon am Freitag in seinem Kommentar geschrieben.

Blome und “Bild” wünschen sich aber offenbar eine Reduzierung der Hartz-IV-Sätze:

Die Ansprüche zu erhöhen, unter dem Strich also mehr Geld für Hartz-IV-Haushalte zu geben, das ist keine Lösung. Sondern das Gegenteil.

Dafür rechnen sie auch schon mal falsch.

Mit Dank an Ceggis, Joachim R., Kristin H. und Andreas.

Nach Berechnungen, die niemand berechnet hat

Wenn es um das Thema staatliche Versorgungsleistungen geht, begibt man sich als Journalist schnell auf dünnes Eis. Ein schönes Beispiel dafür stammt aus der “Augsburger Allgemeinen”, die über den Fall des Deutsch-Libanesen Khaled al-Masri (der zuletzt Schlagzeilen machte, weil er den Oberbürgermeister von Neu-Ulm angriff und deswegen derzeit in Haft sitzt) folgendes berichtet:

Der  Überschrift schiebt das Blatt dann noch eine Einleitung hinterher, die Raum für Interpretationen lässt:

Wenn der Vater schon im Gefängnis sitzt, dann soll wenigstens die Familie nicht allzu sehr darunter leiden.

Um kurz darauf nochmal ausdrücklich klarzustellen:

Am Hungertuch werden die Frau und ihre Kinder nicht nagen müssen. Ihre wirtschaftliche Situation ist geregelt.

Und dann geht’s los:

Die Frau bekommt nach den Berechnungen des Jugendamtschefs monatlich rund 3000 Euro für sich und ihre Kinder. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus etwa 250 Euro Hartz IV für jedes Kind plus annähernd 170 Euro Kindergeld je Kind sowie 359 Euro Hartz IV für die Eltern.

Das Problem ist nur: Die Rechnung stimmt nicht.

Und was noch viel schlimmer ist: Hätte die Zeitung mal zum ungewöhnlichen Instrument der Recherche gegriffen, sie hätte es selber merken können. Das Gesetz ist nämlich völlig klar: Hartz IV, also das “Arbeitslosengeld II”, ist eine einkommensabhängige Leistung. Das bedeutet, dass nicht jeder einfach einen Einheitssatz zugewiesen bekommt, sondern sich die Leistungen nach den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen richten. Hat jemand Vermögen, muss er es zunächst einbringen. Hat jemand Einkommen, wird es angerechnet. Zudem muss das Einkommen nicht zwingend eines aus eigener Arbeit sein; auch Kindergeld z.B. gilt als Einkommen. Weswegen wohl auch bei al-Masris Familie die ausgezahlten Sozialleistungen entsprechend geringer ausfallen. (Ob und wie viel hängt, wie gesagt, vom Einzelfall ab.) Außerdem ist per Gesetz ausgeschlossen, das beispielsweise sowohl al-Masri als auch seine Frau 359 Euro Regelsatz erhalten. Sie erhalten lediglich je 323 Euro.*. Und schließlich schreibt die “Augsburger” kurioserweise sogar selbst: Während seines Aufenthalts im Gefängnis werden Khaled al-Masri seine Hartz-IV-Bezüge “natürlich gestrichen”.

Kurzum: Womöglich bekommt die Familie pro Monat nicht “rund 3000 Euro”, sondern im ungünstigsten Fall nur etwa 1800 Euro.

Hinzu kommt, dass das Jugendamt Neu-Ulm, auf das sich die “Augsburger” beruft, die “3000 Euro” offenbar überhaupt nicht in den Raum gestellt hat: Uns gegenüber erklärte die Behörde, man habe die Zeitung auf Anfrage lediglich darüber informiert, was den Bedürftigen grundsätzlich zustehe. Das (nicht legitime) Zusammenzählen der Hilfsleistungen wurde offenbar in der Redaktion vorgenommen.

Nun könnte man dies mehr oder minder achselzuckend hinnehmen — als ein Resultat schlechter Recherche, als ein Ergebnis von Fahrlässigkeit, schlimmstenfalls sogar als Vorsatz. Sicher ist jedenfalls, dass es Leute gibt, die auf solche Berichte geradezu warten, weil sie sich prima als islamfeindliche Propaganda missbrauchen lassen.

Mit Dank an Christoph!

*) Nachtrag/Korrektur, 24.9.2009: Leider hatten sich auch bei uns zwei kleine Hartz-IV-Ungenauigkeiten eingeschlichen. Wir bitten um Entschuldigung.

Ossis, Pressemitteilungen, ExpertInnen

1. “Unsprache in Zeitschriften”

(keentech.de, Michael Hensel)

Michael Hensel hat die Ausgabe 9/2009 der Zeitschrift PC Action gelesen und wurde überrascht über die “Pauschalisierung und Beleidigung”, die er darin fand. Das Heft schreibt über in den Westen einfallende Ossis, die “Begrüßungsgeld in Milliardenhöhe abstaubten, die Mauer abrissen und heute faul auf dem Hartz-IV-Bescheid liegen.”

2. “Venezuela schließt 32 Radiosender”

(fr-online.de, Klaus Ehringfeld)

“Um 7.48 Uhr stellten am Samstagmorgen 32 Radio- und zwei regionale Fernsehsender ihren Betrieb ein, nachdem ihnen ein entsprechender Bescheid der staatlichen Telekommunikationsbehörde Conatel zugegangen war. (…) Weitere 206 vor allem Radiostationen stehen auf dem Prüfstand der Regierung.”

3. “Scheinbare Vielfalt”

(taz.de, Steffen Grimberg)

“38 Tageszeitungen gab es in der DDR. Der Inhalt wurde vom Zentralkomitee der SED bestimmt. Nach der Wende bedienten sich dann die großen Zeitungshäuser aus der BRD.”

4. Zeitschriften machen, die Leser lieben

(print-würgt.de, Michalis Pantelouris)

Michalis Pantelouris analysiert den Leser unrentabler Zeitschriften: “Er fühlt sich nach jeder Lektüre leerer als vorher und von uns abgezockt. Und das zu Recht: Wir haben Jahre lang Anzeigenumfelder geschaffen und redaktionelle Qualität heruntergefahren.”

5. “Expertise im Journalismus: verdecktes Lobbying?”

(weblog.medienwissenschaft.de, Jennifer B.)

“Kein Individuum ist frei von Interessen. Auch ‘ExpertInnen’ nicht.”

6. “10 Words I Would Love To See Banned From Press Releases”

(techcrunch.com, Robin Wauters)

Robin Wauters listet 10 Wörter auf, die er in Pressemitteilungen nicht mehr lesen will. Wir kennen sie alle, sie lauten “Leader”, “innovativ”, “revolutionär”, “strategische Partnerschaft”, “Synergien” und so weiter…

Biss, Zeitungsverträger, Killerspiele

1. “Zeitungsverträger: Verleger drücken ihre Löhne”

(youtube.com, Video, 5:30 Minuten, teilweise Dialekt)

Die Löhne in der Printbranche werden gesenkt. Unter den Betroffenen sind die, die so oder so schon wenig verdienen, dabei aber mitten in der Nacht und bei jedem Wetter zuverlässig sein müssen: Die Zeitungsverträger.

2. “Keine Informationsfreiheit zur Schulqualität”

(recherche-info.de, Sebastian Heiser)

Sebastian Heiser beantragte in Berlin unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz “Einblick in alle bisher erstellten Schulinspektionsberichte”. Das wurde abgelehnt, unter anderem, weil “personenbezogene Daten von Lehrern zu schützen” seien.

3. “Prima leben dank Hartz IV?”

(notatio.blogspot.com, Kurt)

Ein langer Blogeintrag über die Fernsehpräsenz der Familie Fesselmann aus Essen: “Der angebliche Langzeitarbeitslose Wilfried Fesselmann ist in Wirklichkeit offenbar ein versierter Langzeitarbeitslosendarsteller, der sich über Auftragsmangel in der Vergangenheit nicht beklagen konnte, war er doch – nebst Familie – bereits vor Jahren mehrfach in der Rolle als armer aber im Grunde glücklicher ALG2 Empfänger im Fernsehen zu bewundern.”

4. “Killerspiele – Gegendarstellung”

(youtube.com, Video, 9:58 Minuten)

Eine aufwändig produziertes Video räumt mit einigen von Medien und Politik verbreiteten Fehlinformationen über “Killerspiele” auf.

5. Biss verkaufen in München

(sueddeutsche.de, Video, 3:37 Minuten)

BISS, Bürger in sozialen Schwierigkeiten, ist eine Zeitschrift aus München. Ein Portrait eines Verkäufers des Magazins.

6. “Human landscapes from above”

(boston.com/bigpicture, Bilder)

Menschliche Landschaften von oben, die neuste der vielen gelungenen Bildergalerien von The Big Picture.

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