Das Recht am fremden Bild


Miriam Meckel, 40, ist Professorin für Corporate Communication und
Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. Nach ihrer Promotion 1994 wurde sie an der Uni Münster 1999 Deutschlands jüngste Professorin. Sie arbeitete vor und hinter der Kamera u.a. für den WDR, Vox, RTL und n-tv und war in NRW Staatssekretärin für Medien und Regierungssprecherin von Wolfgang Clement sowie Staatssekretärin für Europa, Internationales und Medien. Meckels jüngstes Buch “Das Glück der Unerreichbarkeit” ist im September erschienen. Ihre Lebensgefährtin ist Anne Will, wie beide vor drei Wochen der “Bild am Sonntag” und der “Welt” bestätigten (wir berichteten). Meckel bloggt selbst unter miriam-meckel.de

Von Miriam Meckel

Als wir aus dem Restaurant treten, geht das Blitzlicht los, erhellt die Straße und das Umfeld des Restaurants im Sekundentakt. Das aktuelle zeitgeschichtliche Ereignis lautet: Eine Fernsehmoderatorin und ihre Freundin essen in einem Berliner Restaurant zu Abend. Wahnsinn, unfassbar, einfach unglaublich! Davon muss es Bilder geben!

Wir gehen los, gemäßigten Schrittes, versuchen die dauernde unfreiwillige Erleuchtung zu ignorieren. Nach einigen Minuten stelle ich fest: Es ist nicht nur eine ungewöhnliche Erfahrung, dass ein Mensch über fast einen Kilometer im Rückwärtskriechgang vor uns her hampelt und hunderte von Fotos schießt. Es ist auch einigermaßen entwürdigend. Ich fühle mich peinlich berührt, auch durch die Reaktion der anderen Passanten (“Guck mal, was ist denn da los?”), irgendwann werde ich einfach sauer.

Anlässlich des Todes von Lady Diana habe ich mich ausführlich damit beschäftigt, was es heißt, eine absolute oder relative Person der Zeitgeschichte zu sein. Letzteres ist man dann, wenn man im Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis in den Blick der Öffentlichkeit gerät. Es kommt also auf den zeitlichen Kontext an und die dadurch begründete öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist nachvollziehbar, aber es ist nicht alles. Inzwischen lerne ich: Die relative Person der Zeitgeschichte beinhaltet auch, dass sich alles relativiert, was man bislang für absolut selbstverständlich gehalten hatte: das Recht auf Privatsphäre und das Recht am eigenen Bild. Es wird zum Recht der anderen auf das fremde Bild.

Die Protagonisten jener Beschaffungswelt machen Fotos von Menschen, die essen gehen, einkaufen, über die Strasse laufen oder anderen zeitgeschichtlich bedeutsamen Tätigkeiten öffentlichen Interesses nachgehen. Sie treten häufig zu mehreren auf: Einer verfolgt das Fotoobjekt und informiert die anderen, wann es wo eintrifft, damit die dann blitzlichtartig zuschlagen können. Als Reaktion auf diese Rudelbelagerung entwickeln die Betroffenen irgendwann absonderliche Schutzreaktionen: Kein Schritt aus dem Haus ohne nach rechts und links zu schauen, ob da wieder jemand wartet. Kein Licht im Hausflur, damit sich der eigene Ausgang nicht ankündigt. Fahrten um die Ecke mit dem Taxi, um wenigstens von dort unverfolgt zu Fuß weitergehen zu können.

Auf die Frage “Wer sind Sie und für wen arbeiten Sie?” bekommt man von den Fotoparasiten keine andere Antwort als einen gebetsmühlenartig repetierten Satz: “Sie kennen doch die Branche!”

Nein, diese “Branche” kenne ich nicht. Ich kenne den Journalismus, ziemlich gut sogar. Diese Profession, die dafür sorgt, dass eine Gesellschaft sich über die für sie meinungs- und entscheidungsrelevanten Tatsachen und Entwicklungen informieren kann, sich orientieren und sozial abgleichen kann. Das ist eine wichtige und nicht immer leichte Aufgabe, die zu Recht Verfassungsrang hat. Mit den beschriebenen Fotojägern, dieser Bastardgattung aus Voyeur, Privatdetektiv und Söldner, hat sie rein gar nichts zu tun.

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Ich habe jetzt beschlossen: Wenn andere das Recht auf das fremde Bild haben, dann gilt das auch für mich. Doch der Versuch, die Fotospanner selbst zu fotografieren, zeitigt interessante Reaktionen zwischen Panik, Aggression und Flucht (siehe Video rechts). Der Fotojäger wird zum Gejagten. Das, was die Bildbelagerer von anderen Menschen wollen, möchten sie umgekehrt für sich selbst nämlich keinesfalls zulassen. Warum aber soll beim Kampf ums Bild nicht zumindest Waffengleichheit herrschen? Ab sofort wird zurück fotografiert!
 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Christian Schertz.

Die Cyberduckz-Ente von Bild.de

Seit dem Wochenende führt Bild.de die Leser in die Irre.

Auf der Startseite erscheint für wenige Sekunden eine vermeintliche Störung: Anstelle einer redaktionellen Schlagzeile ist kurzzeitig das unscharfe Foto einer Quietscheente und der Schriftzug “In wenigen Tagen schalten wir diese Website ab!!!” zu sehen — versehen mit dem Hinweis “Hacked by Cyberduckz”.

Es handelt sich dabei jedoch offensichtlich nicht — wie vielerorts spekuliert — um eine Hacker-Attacke, sondern nur um eine harmlose (wegklickbare!) Overlay-Flash-Animation, abgelegt auf dem Server der Falk AG*, einem Dienstleister für die Werbeeinblendungen auf Bild.de.

BILDblog-Leser Kevin W. schreibt uns, dass man ihm bei Bild.de auf die Frage, warum eine Ente die Startseite ziert, mitgeteilt habe, “dass Bild.de in Kürze einen ‘Relaunch’ haben wird und es so gewollt ist”.

*) Weitere “Störungen” hier und hier.

Mit Dank auch an die vielen, vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 11.12.2007: Heise Online zitiert inzwischen aus einer Mail des “Bild”-Leserservices, in der es heißt:

Unsere Webseite erlebt in den nächsten Tagen eine komplette Renovierung (…). Sollten Sie in den nächsten Tagen kleinere “Störungen” auf unserer Website bemerken, seien Sie unbesorgt: Diese sind völlig harmlos, selbstverständlich auch für Ihren Computer. Mit dieser Aktion wollen wir unsere Leser auf das bevorstehende Ereignis aufmerksam machen.

Nachtrag, 13.12.2007: Unter der Titelschlagzeile “Wir sind neu!” präsentiert Bild.de heute den neu gestalteten Online-Auftritt. Neu ist u.a., dass der Hinweis auf den (Noch-)Partner T-Online aus dem Bild.de-Logo verschwunden ist. Und auch die Werbeidee, auf den Relaunch durch angebliche Störaktionen aufmerksam zu machen (s.o.), wird durch Einbindung der albernen bisherigen “Cyberduckz”-Layer öffentlich als solche eingestanden.

6 vor 9

«Medienpopulismus schadet der Aufklärung»
(nzz.ch, ras.)
Kurt Imhof, Zürcher Professor für Soziologie und Kommunikationswissenschaft, kritisiert die Medien scharf. Auch mit Blick auf die Berichterstattung im Fall Seebach spricht er von einer Systemkrise.

Berliner Stadtmagazine Zitty und Tip katapultieren sich ins Mittelalter und bitten zur Kasse
(leitmedium.de)
“Das klingt nach Marketing-Blabla und ist es auch: Wir sparen jetzt durch Digitalisierung und Schaffung einer gemeinsamen Veranstaltungsdatenbank und verlangen gleichzeitig Gebühren, die aber niemanden benachteiligen sollen.”

Pornofirma fordert Suchverbot
(taz.de, Ben Schwan)
Bizarrer Jugenschutz-Streit im Internet: Ein deutscher Pornoanbieter verlangt von einem Provider, für dessen Kunden Google zu sperren. Der Grund: Darüber lasse sich verbotener Sex finden.

Die digitale Kluft
(jetzt.sueddeutsche.de, Dirk von Gehlen und Peter Wagner)
Die Jungen verlagern ihr Leben ins Web, Eltern und Lehrer verlieren an Einfluss: Wie das Internet die Gesellschaft spaltet.

SMS aus dem Mittelalter (+)
(nzz.ch, Geneviève Lüscher)
Im mittelalterlichen Nowgorod schrieb man sich Mitteilungen auf Birkenrinde. Sie bilden heute eine einzigartige Quelle zum Alltag und Geschäftsleben jener Zeit.

Auf der Suche nach den ältesten Blogs Deutschlands
(blog.metaroll.de, Benedikt Köhler)
“Interessant ist aber, das bis auf ein Blog alle schon länger als zwei Jahre dabei sind. Außerdem (damit renne ich hier sowieso offene Türen ein, aber trotzdem) ist damit der Spruch von der Kurzlebigkeit des Internet zumindest für die Blogs klar widerlegt. Viele der erwähnten ersten Beiträge sind nach wie vor im Archiv des Blogs auffindbar.”

medienlese – der Wochenrückblick

Kleber klebt, keine Kommentare, keine Mafia.

Videoblogger und Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek wurde gemäss Tagesspiegelstrafversetzt“. Ein ZDF-Fernsehmoderator (Claus Kleber) soll sich überraschend nächstens im Chefredaktionssessel des Spiegels wieder finden – sein Arbeitgeber kämpft derweil noch um ihn. Die Clap-Redaktion legte Zeitschriften auf die Küchenwaage. Eine eigene Facebook-Gruppe für Schweizer Blogs wurde gegründet. Binningen musste für eine Nacht ohne TV und Internet auskommen. Ein Schweizer Politiker schrieb Leserbriefe mit Inhalten aus der Weltwoche. Die Schweizer Gratiszeitung News erschien erstmals und .ch-Verleger Sacha Wigdorovits wurde von der Sonntagszeitung gesehen, wie er eigenhändig sein Produkt auf die Ständer hievte (weil es nicht korrekt platziert war).

Sueddeutsche.de zog ihre Schlüsse aus dem Niggemeier-Urteil des Hamburger Landgerichts und bietet “ab sofort” nur noch Leserbeteiligung von 8 bis 19 Uhr. Ausserhalb dieser “Arbeitszeiten” können “keine Kommentare publiziert werden“. Gez. “Die Chefredaktion”.

Read On…

Übergeigerzähler im roten Bereich (2)

In München steht ein Hofbräuhaus und in Travemünde ein Hotel. Das ist nicht zu übersehen. Doch “Bild” meldete am vergangenen Freitag über das “inoffizielle Wahrzeichen Travemündes”:
"Hotel Maritim wird abgerissen"
Erstaunlicherweise standen unter dieser ziemlich sensationellen Überschrift jedoch nur ziemlich mickrige 21 Zeilen, die “Bild” zudem wortwörtlich aus einem Online-Bericht der “Lübecker Nachrichten” abgeschrieben hatte. Und dass darin nirgends von einem Hotel-Abriss die Rede ist (sondern nur von einer möglichen Umwandlung der Hotelzimmer in Eigentumswohnungen) hat einen guten Grund. Zusammenfassend lautet der ungefähr so:
"Hotel Maritim wird NICHT abgerissen"
Mit herzlichem Dank an “Travemünde Aktuell”.

Die zweitgrößte Umweltaktion des Jahres*

Von Hoi Polloi

"Große Klima-Aktion! Kai Diekmann bleibt einen ganzen Tag in der Solarzelle!"
*) Die “größte Umweltaktion des Jahres” steht heute auf der “Bild”-Titelseite.


Hoi Polloi (von griech. οἱ πολλοί: abfällig für “die Leute, das Plebeszit”), lebt in Hamburg und veröffentlicht in seinem Blog “Ahoi Polloi” fast jeden Tag eine Zeichnung aus seinem Moleskine zum aktuellen Zeitgeschehen und dem Leben im Allgemeinen. Nach eigenen Angaben ist er “bald bei 500 Bildern und macht sonst schon auch noch was anderes”.

 
BILDbloggerin für einen Tag ist am Montag Miriam Meckel.

neu  

“Bild” f**** Maischberger

"Zum Auftritt der Sängerin Lady Bitch Ray in ihrer Talkshow Menschen bei Maischberger hat sich Sandra Maischberger gegenüber BILD nicht geäußert. Das Zitat in der gestrigen Ausgabe war falsch."

Wenn es also stimmt, dass (wie die “Bild”-Zeitung heute in ihrer Korrekturspalte eingesteht) Maischberger sich “gegenüber BILD nicht geäußert” hat*, wie konnte es dann passieren, dass die “Bild”-Autoren Sven Kuschel und Bettina Lüke gestern in “Bild” Folgendes schrieben?

"Sandra Maischberger zu BILD: Wir hatten Spaß. Nur dass ich gesagt habe Ich bin ne geile Schlampe, fick mich, wird mir bestimmt nachhängen."

*) Bild.de hat Maischbergers “zu BILD”-Zitat inzwischen ersatzlos gestrichen — anders als z.B. Netzeitung.de, de.msn.com und heute-online.ch, die Maischbergers exklusiven vermeintlichen “Bild”-O-Ton nach wie vor weiterverbreiten. Gesagt hat Maischberger in der Sendung übrigens zu Lady Bitch Ray: “Wenn Sie jetzt sagen: ‘Ich bin ne geile Schlampe und, äh, fick mich…’ — sieht man den Unterschied, ob das jetzt Sie sagen oder [der Berliner Rapper] Frauenarzt?”

Mit Dank an Jason M.

Allgemein  

“Durchgeknalltes Gesindel” bei “Bild”

Es gibt offenbar bestimmte Regeln im Pressekodex, die “Bild” kategorisch ablehnt. Zwar bekennt sich Axel Springer — wo “Bild” bekanntlich erscheint — zur Einhaltung der Standards des Pressekodex (und hat im Jahr 2003 sogar Leitlinien verabschiedet, die “das Verständnis der publizistischen Grundsätze des Pressekodex” in bestimmten Bereichen “konkretisieren und erweitern”). Doch für “Bild” scheint das nicht zu gelten.

Anders ist kaum zu erklären, mit welcher Regelmäßigkeit “Bild” sich beispielsweise über Ziffer 8 des Pressekodex hinwegsetzt, wo es einleitend schlicht heißt:

Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen.

Ganz besonders große Ignoranz zeigt “Bild” in der Berichterstattung über psychisch Kranke, von deren erhöhter Schutzbedürftigkeit die Richtlinien 8.1 (4) und 8.4 des Pressekodex handeln.

Drei Beispiele aus jüngster Zeit:

Im September wurde “Bild” vom Presserat gerügt, weil sie den offenbar psychisch kranken Khaled al-Masri abwertend und damit ehrverletzend als “irre” und “durchgeknallt” bezeichnet hatte. Für diese Rüge hatte man bei “Bild” überhaupt kein Verständnis und berichtete vor einigen Tagen entsprechend darüber. Dabei setzte sie al-Masri en passant quasi gleich mit “Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel” (wir berichteten).

Ende November hatte “Bild” über eine Geiselnahme im Berliner Hauptbahnhof berichtet und dabei den Täter völlig unverpixelt und klar identifizierbar auf großen Fotos gezeigt. Obwohl es von Anfang an Hinweise gab, dass er schuldunfähig sein könnte. “Bild” schrieb am ersten Tag ihrer Berichterstattung, er habe “offenbar Kokain geschnupft” und sei “in eine Psychoklinik eingewiesen” worden. Am zweiten Tag der “Bild”-Berichterstattung wusste man über den Täter, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen schuldunfähig gewesen sei. Dennoch zeigte “Bild” ihn erneut ohne jede Unkenntlichmachung (wir berichteten).

Und heute berichtet “Bild”, wie viele Zeitung, über “die unfassbare Tragödie, die ganz Deutschland entsetzt”. Eine Mutter aus einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein hat offenbar ihre fünf Söhne getötet. Wie viele Zeitungen zitiert auch “Bild” den Oberstaatsanwalt:

“Wir beschuldigen die Mutter des fünffachen Mordes, allerdings im Zustand der absoluten Schuldunfähigkeit”

Deutlicher geht es kaum. Und dennoch: “Bild” illustriert den Artikel mit einem großen Foto, das nicht nur die fünf Söhne, sondern auch die Mutter ohne jegliche Verfremdung zeigt*:

"Diese 5 Jungen wurden von ihrer Mutter getötet"

Hier also noch einmal im Wortlaut die entscheidende Passage aus Richtlinie 8.1 (4) des Pressekodex — auch wenn sie für “Bild” offenbar keinerlei Bedeutung hat:

Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.

Mit Dank an Matthias S., Sebastian U., Maja I., Volker K., Torsten R. und Oliver P. für den sachdienlichen Hinweis.

*) In Teilen der “Bild”-Auflage ist die Frau offenbar auch auf der Titelseite abgebildet und nicht unkenntlich gemacht.

Mindesthohn


Sascha Lobo, 32, ist Autor, Kommunikationsstratege, Werber, Blogger, Berufs- und Freizeitprovokateur und gilt als Erfinder des kommentierbaren Kommentarlogs (Klog) sowie des Frisuren-Buchmarketings. Er ist Inoffizieller Mitarbeiter der “Zentralen Intelligenz Agentur” (ZIA) und Autor des Weblogs “Riesenmaschine”, das 2006 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit Holm Friebe schrieb er das Buch “Wir nennen es Arbeit”; zusammen mit Katrin Passig schiebt er gerade ein Buch über die Kunst der Prokrastination auf, das 2008 bei Rowohlt erscheinen soll. In diesem Jahr gründete er mit Tanja Kreitschmann, Max Winde und Johnny Haeusler das Blog-Netzwerk “adical”, das auch BILDblog.de vermarktet.

Von Sascha Lobo

Ich lese BILDblog nicht. Ich kann und will BILDblog nicht lesen. Das hat ganz praktische Gründe, ich bin nämlich mit den Machern befreundet und möchte es auch bleiben. Und die Art, wie BILDblog an die Fehler und die ideologische Verbrämung von Tatsachen durch die “Bild”-Zeitung herangeht, ertrage ich nicht. Sicher ist es dringend notwendig, dass jemand penibel aufschreibt, was dort für mediale Vergewaltigungen der Realität begangen werden und dabei um Gottes Willen nicht emotional wird. Ich kann das nicht, mir kommt es so vor, als stehe jemand direkt neben einem Gewaltverbrechen und schreibt präzise den Tathergang mit.

So geschehen bei der “Bild”-Kampagne gegen den Mindestlohn: Die angebliche “Stimme des Volkes” (Eigenwerbung) feuert seit vielen Wochen aus allen Abflussrohren dagegen. Das Mutterhaus, die Axel Springer AG, ist ja mit über 70 Prozent Anteilseigner an der PIN-AG, dem grössten privaten Postdienstleister, der sein Geschäftsmodell auf Niedrigstlöhnen aufgebaut hat. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine Reihe von Punkten, die bei aufgeklärten Menschen etwa die Übelkeit auslösen sollten, die einen beim Hyperventilieren neben einer Jauchegrube überfällt.

Zum Beispiel wurde erwartungsgemäß in der “Bild”-Berichterstattung die Interessenverquickung des Verlages lange lautestmöglich verschwiegen. Interessanter aber die Kehrtwendung, die “Bild” in diesem Punkt vollzogen hat: Irgendwann im Jahr 2007 dürfte eine SMS geschickt worden sein mit dem Inhalt “Lieber Kai, ab jetzt seid ihr gegen Mindestlohn. Deine Friede.” “Bild” hat sich nämlich noch vor einem Jahr exakt gegenteilig echauffiert — mit dem Artikel “Die Tabelle der Schande — Von diesen Hungerlöhnen soll man leben” aus dem Dezember 2006:

Dort aufgeführt sind in der Tat lachhafte Stundenlöhne von 3,05 Euro bis 5,73 Euro. Die Springer’sche PIN-AG zahlt laut “Report aus Mainz” Stundenlöhne unterhalb von 4,50 Euro — vor einem Jahr hätte “Bild” also den eigenen Konzern mitten auf die Liste der Schande setzen müssen, irgendwo zwischen sächsische Gebäudereiniger und thüringer Floristen.

Das Bild von jemandem, der Wein trinkt und Wasser predigt, reicht nicht aus, um zu beschreiben, was Kai Diekmann — Gehalt über eine Million Euro im Jahr — tut, wenn er seine Redaktion in den letzten Wochen mit mehr als zwanzig Artikeln von “Bild” selbst so genannte Löhne der Schande angreifen lässt. Dagegen, liebe BILDblogger für alle Tage, könnte ich nicht sachliche Aufklärung und entlarvende Dokumentation setzen, sondern Wut und Zorn, zwei wichtige emotionale Instrumente, die leider von Nazis und Islamisten missbraucht werden. Ich würde mit Beschimpfungen und Herabwürdigungen bis an die Grenze der Legalität gehen wollen und eine ordentliche, schleimgrüne Aule auf die andere Seite spucken. Und ich würde mich gleichzeitig freuen und übergeben, wenn endlich einer der vielen Kämpfer gegen den Mindestlohn seine echte, ungefilterte Meinung über dieses Thema sagt: “Ich bin gegen den Mindestlohn, weil ich den ungebildeten Pöbel verachte und weil mir die Rendite wichtiger ist als das Leid derjenigen, die für eine knappe 60-Stunden-Woche 800 Euro brutto verdienen. Früher wäre ich bestimmt adelig gewesen.” Und wer in Bigotterie, Tatsachenverdrehung und künstlichen Realitäten derart geübt ist wie “Bild”, wird sicher auch das mit der Position als “Stimme des Volkes” in Einklang bringen können.

 
BILDblogger für einen Tag ist morgen hoi polloi.

6 vor 9

SCOOP! And the winner is?
(axel-springer-akademie.de/blog)
? Dennis Buchmann und sein Magazin ?Humanglobaler Zufall?!

Der Rollercoaster
(bilanz.ch, Stefan Barmettler)
Roger Schawinski hat sich mit manchen verkracht – und wieder versöhnt. Rechtzeitig zum Start seiner neuen Radioprojekte ist er sogar mit dem Medienminister wieder in Minne.

Generationenkonflikt oder Ehegeplänkel?
(nzz.ch, Hanspeter Kellermüller)
Die Verleger von Pressetiteln streiten mit Google. Stein des Anstosses ist Google News, wo die Inhalte diverser Online-Nachrichtendienste verlinkt werden. Die Verleger befürchten, dass Websites wie Google News die Verfügungsgewalt über ihre Inhalte bedrohen.

Mit einer Zeitung kann ich nicht reden
(berlinonline.de, Felix Kubach)
Seine Seite hat täglich 10 000 Nutzer: Robert Basic über die Lust am Bloggen.

“Selten sinnlose Profilierungsmeetings mit Excel Dateien an der Wand”
(don.antville.org, Don Dahlmann)
Wenn man auf Partys erwähnt, dass man Freiberufler ist, dann wird man entweder mit dem Satz “Könnt ich, hätt ich keine Disziplin für” beworfen, oder jemand sagt “Toll, da kann man ja machen was man will.” Sicher – Freiberufler zu sein hat sehr viele Vorteile. Aber ganz so gülden glänzt hier auch nicht alles.

Journalisten am Scheideweg zwischen Stumm- und Tonfilm
(watchberlin.de, Video, Harald Martenstein, 7:33 Minuten)
“(…) Die Ware, mit der der Journalist sich jetzt auf den Marktplatz begeben muss, ist seine Subjektivität. Er verkauft nicht mehr etwas anderes, er verkauft sich selber. Das ist nicht unbedingt ein Kulturverfallsprodukt, das ist eben einfach ein weiterer Schritt auf diesem 1789 begonnen Weg der Emanzipation des Individuums (…)”

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