Bild, dpa  

Die Phantom-Oma von Heilbronn

Die folgende kleine Geschichte hat eigentlich zwei Aspekte. Fangen wir mit dem etwas längeren an. Es geht um  jenes Phantom von Heilbronn, das jahrelang die deutsche Polizei und natürlich auch die Medien beschäftigte. Tausende Stunden arbeitete man sich an der überaus merkwürdigen Spurenlage ab, das ZDF sendete eine 45-Minuten-Doku (die übrigens angesichts der damaligen Erkenntnisse ziemlich gut war), die “Süddeutsche Zeitung” widmete der Suche nach der mysteriösen Dame eine Seite 3 (die ebenfalls gut war). Alles vergebens, wie man inzwischen weiß: Das Phantom von Heilbronn hat nie existiert, stattdessen waren verunreinigte Wattestäbchen die Ursache für die immer wieder auftauchende DNA-Spur.

Mittlerweile weiß man auch, wer die vermeintliche Superverbrecherin war — denn “Bild” hat “aus Polizeikreisen” erfahren, dass die DNA einer inzwischen 71-jährigen Frau aus Polen zuzuordnen ist, die vor Jahren bei der Hersteller-Firma der Wattestäbchen als Packerin gearbeitet hat.

Gen-Spur stammt von Polen-Oma (71)

Die dpa nahm die Recherchearbeit der “Bild” gerne an — und verbreitete unter Berufung auf die Zeitung, die 71-jährige Packerin aus Polen sei das vermeintliche “Phantom”. Nachgedruckt wurde die Meldung unzählige Male.

Ganz offensichtlich reicht es den Kollegen der dpa völlig aus, wenn “Bild” eine Geschichte bringt, um auf weitere Recherchen zu verzichten. Als stern.de schon Ende März berichtete, die DNA-Spur führe zu einer 71-jährigen Frau, berichtete niemand darüber (“Bild” natürlich auch nicht).

Und schließlich kommen wir noch zum zweiten Aspekt der Geschichte — nämlich dem, dass sie zumindest nach Angaben der zuständigen Sonderkommission gar nicht stimmt:

Die Gen-Spuren an den bei der Fahndung nach der vermeintlichen “Phantomkillerin” verwendeten Wattestäbchen können keiner bestimmten Person zugeordnet werden. Das sagte der Leiter der Sonderkommission, Frank Huber, SWR4 Baden-Württemberg. Die Proben seien aus Personenschutzgründen anonym durchgeführt worden, so Huber. Es war berichtet worden, dass eine aus Polen stammende 71-jährige ehemalige Packerin der Herstellerfirma die Wattestäbchen verunreinigt haben soll.

Das meldete der SWR heute  in seinem Regionalstudio Heilbronn — und sonst: eigentlich niemand.

Mit Dank an Edelbert F.

Das BILDbloggen muss “Bild” noch üben

Die “Bild”-Zeitung hat schon Recht: Man kann es heuchlerisch finden, dass Heribert Prantl, ein Leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”, andere Medien dafür kritisiert, dass sie detailliert und mit Namensnennung über den Fall einer Sängerin berichtet haben, der vorgeworfen wird, im Wissen um die eigene HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Prantl behauptete gestern:

“Die Süddeutsche Zeitung hat über die Verhaftung und den Tatvorwurf deshalb sehr zurückhaltend berichtet; sie wird den Namen der Sängerin auch weiterhin nicht nennen — obwohl dieser nun landauf, landab genannt wird.”

“Auch weiterhin”? Die “Süddeutsche Zeitung” hat den Namen der Sängerin am Mittwoch in einem Teil ihrer Auflage genannt. Bundesweit hat sie den Namen der Gruppe genannt, zu der die Sängerin gehört, und so alle vier Mitglieder unter den Verdacht gestellt, gemeint zu sein. In ihrem Online-Archiv hat sie sämtliche “SZ”-Artikel zum Thema, einschließlich Prantls, auch mit dem Nachnamen der Sängerin indiziert. Online ist Prantls Artikel mit einem Foto der Gruppe illustriert. Und auf sueddeutsche.de sind Meldungen über den Fall erschienen, die unter Namensnennung der Verdächtigen detailliert über die Vorwürfe berichteten.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr berechtigt, wie “Bild” zu fragen, ob es “Dummheit oder Heuchelei” sei, wenn Prantl die eigene Vorbildhaftigkeit gegenüber den anderen herausstelle.

Allerdings ist “Bild” dann die übliche Rechercheschwäche in die Quere gekommen. “Bild” erwähnt einen ausführlichen Artikel, der am Dienstagabend auf sueddeutsche.de erschien und unter Namensnennung über die Vorwürfe gegen die Sängerin berichtete, und schreibt:

Wer auf der SZ-Internetseite nach [dem Namen der Band] sucht, findet nur noch Prantl und einen Artikel vom Dezember 2008. Soll nach Prantls Predigt etwa der Eindruck erweckt werden, der gelöschte Artikel sei nie geschrieben worden?

Die “Süddeutsche” will sich dazu nicht äußern.

Wie zum Beweis zeigt “Bild” sogar einen Ausdruck des Artikels, auf dem jemand handschriftlich notiert hat: “MITTLERWEILE AUS DEM INTERNET GELÖSCHT !!”

Nur: Die “Süddeutsche Zeitung” hat den Artikel nicht “aus dem Internet” gelöscht, nicht einmal aus ihrem eigenen Online-Auftritt. “Bild” ist nur zu doof, ihn wiederzufinden. Er ist genau dort, wo er immer war und auch auf dem Screenshot von “Bild” zu sehen ist: im “Newsticker”, wo die Agenturmeldungen auf sueddeutsche.de einlaufen. Und man findet ihn, indem man dort zum Beispiel den Namen der Band eingibt.

Nachtrag, 20. April. Jetzt ist der von “Bild” gezeigte und angeblich gelöschte Artikel tatsächlich auf sueddeutsche.de nicht mehr zu finden — wie alle Meldungen im Newsticker dort, die älter als fünf Tage sind.

Homo-Hacker auf Zeitreise?

Hoppla!

Genau!

Unter der Überschrift

Amazon-Panne: Amazon-Suche findet Sex-Bücher statt Sachbücher

schreibt Bild.de heute über “merkwürdige Ergebnisse” beim Internetbuchhändler Amazon.

Wer nach “Sachbuch”, “Ratgeber” oder “PC vernetzen” sucht, bekommt Suchergebnisse angezeigt, die überwiegend mit sexuellen Inhalten zu tun haben. (Was im Bezug auf die Bild.de-Überschrift im übrigen die Frage aufwirft, ob “Sex-Bücher” nicht auch Sachbücher sein können.)

Und weil das ja schon eine verrückte Sache ist, orakelt Bild.de gleich mal drauf los:

Was ist da los? Ein peinlicher Programmierfehler? Ein Racheakt von Homo-Hackern?

Amazon hatte in den USA vor Ostern zeitweise Tausende Bücher für Erwachsene gesperrt – darunter auch viele homoerotische Werke. Und genau diese Bücher tauchen jetzt in den deutschen Ergebnislisten auf – wenn auch ungefragt.

Tatsächlich waren bei Amazon über Ostern viele mal mehr, mal weniger erotische Bücher verschwunden (was Amazon mit einem technischen Fehler erklärte), aber das entscheidende Wort heißt – mal wieder – “jetzt”.

Im nächsten Satz schreibt Bild.de nämlich:

Ein Blogger hatte sich als Erster über die einschlägigen Ergebnisse lustig gemacht. Experten halten einen Hackerangriff oder einen Fehler bei der Katalogisierung für möglich.

Ja, und wenn man auf den Link klickt, der hinter “Blogger” liegt, dann kommt man auf einen Blog-Eintrag, den Mario Fischer, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Würzburg, bereits am 20. März geschrieben hat.

Mindestens so lange liefert Amazon also schon diese merkwürdigen Suchergebnisse — und wenn man mal großzügig davon ausgeht, dass die “Homo-Hacker” nicht schon mal drei Wochen im Voraus einen prophylaktischen “Racheakt” gegen die mutmaßliche Oster-Sperraktion gestartet haben, dann kann man diesen Erklärungsversuch eigentlich getrost vergessen.

Nachtrag: Unser Leser Stefan W. weist uns darauf hin, dass der Sachverhalt sogar noch länger bekannt sein muss: Bereits im November 2008 hatte die “Titanic” auf die merkwürdigen Ergebnisse hingewiesen.

Wo eine Villa ist …

Als das ZDF seinen Dreiteiler “Krupp – Eine deutsche Familie” drehte, konnte man dies nicht in der Essener Villa Hügel tun, dem Familiensitz der Krupps — und griff deshalb auf das barocke Schloss Nordkirchen im Münsterland zurück. Das sieht ganz anders aus, was bei der Ausstrahlung des Films auch bemängelt wurde.

Nur beim “Hamburger Abendblatt” hat man davon offenbar nichts mitbekommen und so bebildert man dort einen Artikel über eine abgesagte Ausstellung in der Villa Hügel ausgerechnet mit einem Szenenfoto aus dem ZDF-Film und schreibt auch noch drunter:

Die Villa Hügel in Essen - das Gebäude diente jüngst auch als Kulisse für den ZDF-Film "Krupp - Eine deutsche Familie": Bertha (Valerie Koch, r.) fotografiert ihre Schwester Barbara (Marie Zielcke, l.) im Garten der Villa Hügel.

Mit Dank an Jan G.

Zeitung, Echtzeit, Jubelstrunz

1. “Eine schrecklich adrette Familie”
(Spiegel Online, Thorsten Dörting)
Gruner und Jahr startet heute eine neue Zeitschrift: Nido wendet sich an Eltern, die dem Neon-Alter entwachsen sind. Lesenswert dazu der Artikel von Thorsten Dörting, auch wenn das Fazit – “irgendwie kritisch. Aber auch irgendwie notorisch angepasst und apolitisch” – nüchtern-erwartbar ausfällt.

2. “Print is still king”
(Nieman Journalism Lab, Martin Langeveld)
Laut einer Studie Schätzung werden 96 Prozent aller Zeitungs-Inhalte eben dort gelesen: In der Zeitung, nicht im Internet. “The attention drift is toward online reading, but it’s not as rapid a drift as most of us have been assuming.” Allerdings kommen die Zahlen von der Newsaper Association of America (NAA) – das größte Problem haben Zeitungen aber ohnehin mit etwas anderem: Den wegbrechenden Anzeigengeschäft.

3. Echtzeit-Gesellschaft in Angst
(FAZ-Community, Thomas Strobl)
Nachrichten im Minuten-Stakatto: Thomas Strobl schreibt in seinem FAZ-Blog über das zunehmende Tempo der Gesellschaft und die damit verbundenen wirtschaftlichen Unsicherheiten: “Indem wir die Temporalisierung auf die Spitze getrieben haben, alles nur noch in ‘real-time’ bei globaler Gleichzeitigkeit wahrgenommen wird, erhöhen wir notwendigerweise auch die Volatilität in all den Zusammenhängen, bei denen wir traditioneller Weise auf Beständigkeit setzen.”

Read On…

Berlin Mitte, wie es in der Zeitung steht

Recherche ist ein zeitraubendes und oft gar nicht besonders interessantes Ding. Man wird in den seltensten Fällen für sie bezahlt, und 99,97% aller Leser des fertigen Artikels nehmen Dahinbehauptetes entweder für bare Münze oder sind zu träge, sich zu beschweren […]

schrieb Kathrin Passig in ihrem Grußwort zum Start von “BILDblog für alle”.

Apropos Dahinbehauptetes: Am Montag erschien bei FAZ.net ein Artikel über das Betahaus in Berlin, der schon ein paar Wochen vorher in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” gestanden hatte. Dort heißt es unter anderem:

Montag, siebzehn Uhr im St. Oberholz am Rosenthaler Platz. Berlin Mitte, wie es in der Zeitung steht. [...] Aber dann tut sich doch was. Um neunzehn Uhr kommen die Vordenker Kathrin Passig, die einen Bachmann-Preis gewonnen hat, und Holm Friebe, der mit seinen Büchern vor allem an seiner eigenen Marke baut. In fast perfekter Symbiose entwickeln sie dann ein neues „Projekt“, texten irgendwas für ihre „Riesenmaschine“ oder verschieben das Ganze auf morgen.

Frau Passig schreibt uns dazu:

Ich war 3x im Oberholz und kann Tag und Anlass noch genau benennen, keinmal davon mit Holm.

Und falls Sie geglaubt haben, das mit “Tag und Anlass benennen” sei nur so ein Spruch: Pah!

Ich war zum ersten Mal im St. Oberholz am 21. Januar 2009 so um 17:00 herum, wie man hier nachlesen kann:
http://twitter.com/kathrinpassig/statuses/1136565300
Ich habe mit niemandem geredet und ein Buch gelesen. Holm Friebe war nicht dabei.

Zum zweiten Mal war ich am 20. März 2009 kurz vor drei dort, um Sebastian Sooth zu einem Treffen im Gorki Park abzuholen. Ohne Holm Friebe.

Zum dritten Mal war ich anlässlich der pl0gbar am Abend des 31. März 2009 im St. Oberholz. Es waren viele Menschen anwesend, Holm Friebe aber nicht.

Holm Friebe lässt sich zu den Vorwürfen dem Geschehen wie folgt zitieren:

Ich war in den letzten zwei Monaten unter Garantie nicht da.

Von ihrem erfundenen Auftauchen im Trendlokal mal ab, so Frau Passig weiter, sei der ganze Rest “auch Unfug” und das Betahaus (oder “Betahaus Kreuzberg”, wie es auf betahaus.de heißt) stehe in Kreuzberg — anders als die “FAZ” schreibt:

Montag, siebzehn Uhr im Betahaus. Berlin Mitte, wie es in der Zeitung steht.

… und nur in der Zeitung.

Bild  

Von Opfern schmutziger Gerichtsspektakel

Erinnern Sie sich an Andreas Türck?

Als die Staatsanwaltschaft vor dreieinhalb Jahren am Ende des Vergewaltigungs-Prozesses gegen den ehemaligen Fernsehmoderator Freispruch beantragte, kommentierte “Bild”, dass dieser Fall nie vor Gericht hätte landen dürfen. Der Moderator sei Opfer einer Justiz geworden, “die diesen Prozeß zuließ und vier Wochen lang ein schmutziges Gerichtsspektakel inszenierte”.

Dass Türck auch Opfer der Medien wurde und insbesondere einer großen deutschen Boulevardzeitung, kam “Bild” nicht in den Sinn. Über Wochen hatte die Zeitung genüsslich intimste Details ausgebreitet, ihn verurteilt und u.a. getitelt: “So hat Türck mich vergewaltigt”. In der “Bild am Sonntag” hatte ein Redakteur namens Stefan Hauck das Leben Türcks ein “erbärmliches Leben” genannt und erklärt, man müsse “kein Mitleid” mit ihm haben. Die Überschrift: “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht”.

Noch nachdem Türck freigesprochen wurde, behauptete “Bild”, es handele sich nicht um einen “Freispruch erster Klasse”, weil die Tat bloß nicht mit Sicherheit hätte bewiesen werden können, zählte auf, wie viel “Schmutz” an ihm hängen bleibe und fragte süffisant: “Der schöne Andreas ist 1,93 Meter groß, sportlich, schlank, lächelt gern — aber für was soll er jetzt sein Gesicht ins Fernsehen halten?” Später landete Türck wegen seines Prozesses in einer “Bild”-Kolumne mit der Überschrift “Peinliche Promis”.

Der Ruf eines unschuldigen Mannes war ruiniert. Daran, dass Andreas Türck in diesem Sinne zum Opfer wurde, hatte sicher die Justiz ihren Anteil. Aber am wirkungsvollsten war die “Bild”-Zeitung mit ihren riesigen, vernichtenden Schlagzeilen.

Die Zeitung hat, nicht nur in diesem Fall, jede Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung abgelehnt. Schon deshalb hat sie aus dem Fall Türck nichts gelernt. Es gab da für “Bild” nichts zu lernen.

Wie das Verfahren gegen die Sängerin ausgehen wird, die zur Zeit in Untersuchungshaft sitzt, weil ihr vorgeworfen wird, im Wissen um ihre HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ist offen. Natürlich kann es sein, dass es — anders als der Prozess gegen Andreas Türck — mit einem Schuldspruch endet und die Frau für viele Jahre ins Gefängnis muss. Aber bislang ist gegen sie noch nicht einmal Anklage erhoben worden, und ihr Ruf ist schon vollends ruiniert.

Spätestens im Nachhinein wird man fragen müssen, in welchem Maß die Sängerin selbst oder die Justiz dafür verantwortlich ist. In welchem Maß “Bild” dafür verantwortlich ist, wird man “Bild” nicht fragen müssen. Schlimmstenfalls kann sich das Blatt ja darüber empören, dass die Justiz so ein “schmutziges Gerichtsspektakel” zuließ und eine Frau zum Opfer machte.
 

Aus einer Mücke einen Bayern-Trainer machen

Luca Toni, Mittelstürmer beim FC Bayern, hat in seiner italienischen Heimat ein Interview gegeben. Natürlich ging es dabei auch um die Situation beim FC Bayern und die Diskussion um dessen Trainer Jürgen Klinsmann. Also fragte der Interviewer den Fußballer, wie es denn weitergehe in München, dass es Gerüchte über potentielle Nachfolger gebe und dabei auch der Name eines italienischen Trainers gefallen sei — ob er denn dazu etwas sagen wolle.

So richtig wollte Toni anscheinend nicht, denn sein erster Satz in der Antwort lautet:

“Nein, ich weiß nicht, was passieren wird. Jetzt werden wir sehen, ob sie [die Bayern] mit Klinsmann weiter machen wollen.”

Danach sagt er etwas, was vermutlich sogar jeder Fußball-Laie unterschreiben würde:

“Ich denke, es wird viel vom Ende der Saison abhängen. Dann wird der Verein sehen.”

Und schließlich sagt er noch, so diplomatisch wie es eben geht, über den durchaus renommierten Trainer und Landsmann Mancini folgendes:

“Es ist klar, wenn ein italienischer Trainer kommen würde — so gut wie Mancini — ich denke, es kann dem Ganzen nur gut tun und auch den Bayern!”

Man würde also dem Interview nicht unrecht tun, wenn man es so zusammenfassste: Luca Toni weiß nicht, wie es in der Trainerfrage in München weitergeht. Und er hält Italiener im Allgemeinen und Mancini generell für gute Trainer (was keine sonderlich exotische Meinung ist).

Das liest sich indessen aktuell in vielen deutschen Medien ganz anders. “Bild”, dem Bayern-Trainer in herzlicher gegenseitiger Abneigung verbunden, titelt:

Luca Toni spricht schon über Klinsis Nachfolger

Konsequenterweise lässt Bild.de die User aktuell schon mal über den bevorzugten neuen Bayern-Trainer abstimmen. Die Möglichkeit, für Klinsmann zu votieren, ist dabei erst gar nicht vorgesehen.

Die ‘Bild”-Überinterpretation wird eifrig übernommen:: Bei T-Online behauptet man, Toni habe sich “bereits Gedanken über einen Nachfolger gemacht” und “empfiehlt einen italienischen Landsmann”. Bei sport1.de geht man sogar soweit zu behaupten, Toni habe Mancini als “Ideallösung genannt” (das behauptet nicht mal “Bild”). Und schließlich geriet Toni sogar “ins Schwärmen”, als er auf Mancini angesprochen wurde, zumindest dann, wenn man sport.de (rtl.de) glaubt.

Ziemlich untergegangen ist in der Toni-schwärmt-von-Mancini-Euphorie, dass sich auch noch ein anderer Spieler des FC Bayern zu Wort gemeldet hat. In der “Süddeutschen Zeitung” steht heute:

“Klinsmann macht derzeit eine schwere Phase durch. Die ganzen Attacken treffen ihn persönlich, aber auch uns Spieler und den gesamten Verein (…) In den letzten sieben Partien werden wir uns für ihn zusammenreißen. Um deutscher Meister zu werden, müssen wir alle zusammenhalten.”

Der Spieler heißt übrigens Franck Ribéry.

Bild  etc.

Das “HIV-Drama” und der “Justiz-Skandal”

Es hat etwas von Trotz, wenn die “Bild”-Zeitung heute den Fall der Sängerin, der vorgeworfen wird, vor mehreren Jahren einen Mann mit HIV infiziert zu haben, noch einmal auf die Titelseite nimmt. Denn nichts von dem, was dort steht, ist neu.

Aber die Sängerin hat beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es “Bild” verbietet, weiter über den Fall zu berichten, und “Bild” hat sich entschlossen, diese einstweilige Verfügung demonstrativ zu ignorieren.

Die Zeitung hat kein Recht dazu — trotz des Widerspruchs, den sie gegen die Entscheidung eingelegt hat. Wenn das Verbot der Berichterstattung auf Dauer aufrechterhalten bleibt, muss “Bild” für diesen hartnäckigen Rechtsverstoß erhebliche Summen zahlen. Er kann auch dazu führen, dass der Sängerin ein höheres Schmerzensgeld von “Bild” zusteht.

Sollte eine spätere Instanz allerdings entscheiden, dass “Bild” über den Fall so berichten durfte, obwohl er die Intimsphäre der Sängerin betrifft, bliebe dieser Verstoß gegen die einstweilige Verfügung folgenlos. “Bild” erhöht also das mit seiner Berichterstattung verbundene eigene Risiko.

Die Entscheidung des Landgerichts nennt “Bild” heute einen “Irrsinn” und einen “Justiz-Skandal”. Die erfolgreiche Sängerin sei “Vorbild für Millionen deutsche Jugendliche”: “Wenn ausgerechnet solch ein Star straffällig wird, muss man darüber berichten dürfen — und das wird BILD auch weiter tun!” (Ob die Sängerin tatsächlich straffällig geworden ist, ist allerdings noch offen. “Bild” schafft es aber naturgemäß nicht, auf eine Vorverurteilung zu verzichten.)

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann vergleicht den Fall mit dem Skiunfall des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus und den “Steuerlügen” des ehemaligen Post-Chefs Klaus Zumwinkel und kommentiert:

Wenn schwere Straftaten Privatsphäre sind, kann die Presse über nichts mehr berichten. Dann kann man die Pressefreiheit auch gleich abschaffen.

Auch die meisten anderen Medien berichten weiterhin über den Fall. Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete in mehreren Meldungen, sie teile “nicht die Auffassung des Anwalts der Sängerin, wonach diese keine absolute Person der Zeitgeschichte sei und es sich auch nicht um eine spektakuläre Straftat handele.” Der Anwalt hatte in einer Pressemitteilung die Meinung vertreten, die Berichterstattung sei rechtswidrig, so lange keine Anklage erhoben wurde: “Das gilt umso mehr, als die Sachverhalte, die jetzt zum Gegenstand des Vorwurfes gemacht wurden, mehrere Jahre zurück liegen und die Intimsphäre der Mandantin betreffen.”

Der “Kölner Stadtanzeiger” und der “Express” haben gestern [Nachtrag: fast] alle Berichte über den Fall aus ihren Online-Angeboten entfernt.

Das gleiche tat die “Welt”. Während sie nur noch berichtet, dass sie nicht mehr berichten darf, finden sich auf den Internet-Seiten ihres Schwesterblatts “Berliner Morgenpost” nach wie vor alte und neue Berichte über die Vorwürfe gegen die Sängerin. Das unterschiedliche Vorgehen hat einen ebenso einfachen wie bizarren Hintergrund: Die einstweilige Verfügung der Sängerin richtet sich gegen “Bild” und die Axel Springer AG. “Welt” und “Berliner Morgenpost” werden zwar von einer gemeinsamen Redaktion produziert. Aber die “Welt” wird von der Axel Springer AG verlegt; die “Morgenpost” dagegen erscheint in der Ullstein GmbH, einer Tochter des Unternehmens — die somit nach Ansicht der Verlagsjuristen von der Verfügung nicht unmittelbar betroffen ist.

Netz-Evangelisten, Musical, Krise

1. Das große Unverständnis (Carta, Matthias Schwenk) Warum die alten Medien skeptisch sind: “Die Netz-Evangelisten prahlen mit Reichweite und Netzwerkmacht, während die Skeptiker zurecht die Frage nach den Umsätzen stellen”, schließlich sei derzeit auch für gute Blogs die Luft in Sachen Monetarisierung reichlich dünn. 2. Gute Überschriften gegen die Krise (JakBlog, Christian Jakubetz) Ein Bild-Haudegen trainiert die Redaktion der Passauer Neuen Presse – und Jakubetz ätzt: “Ein über 60-jähriger Ruheständler soll jetzt also als probates Krisenmittel altgedienten Zetungsredakteuren zeigen, wie man Überschriften und Bildtexte macht. Sprechen wir uns doch mal, sagen wir, im Sommer 2010 wieder.” 3. Medien-Blogger unter der Armutsgrenze (Ruhrbarone, David Schraven) Bernd Ziesemer, Chefredakteur des Handelsblatt auf Wirtschaftsjournalismus-Tagung in Köln: “Eine ‘besondere Kategorie von Dummschwätzern’ finde sich unter den Medien-Bloggern (…) die versuchten ‘ein paar lousy Pennys zu verdienen, dabei aber nicht mal auf Hartz-IV-Regelsatz kommen’. Diese würden dennoch den Journalisten täglich empfehlen, ihre Printprodukte einzustampfen und nur noch auf Online zu setzen – obwohl dort offenbar nicht so viel Geld zu verdienen sei.” » weiterlesen: Bilderklau, Volltextfeed und ein tolles Video

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