“Bild”-Leser Broder trifft “Bild”-Macher Diekmann

Kai Diekmann hat da schon ein Glas Wein getrunken, mit ehemaligen Außenministern geplaudert, mit Guido Westerwelle geschäkert und mit “Spiegel”-Chef Mathias Müller von Blumencron getuschelt. Kann sein, dass es daran liegt, aber anschließend sagt er:

“Ich behaupte, dass ich als ‘Bild’-Chefredakteur einer der beliebtesten Journalisten Deutschlands bin, oder?”

Diekmanns Gesprächspartner, der Kolumnist Henryk M. Broder, überhört das kleine Fragezeichen und antwortet: “Solange die Leute die Zeitung nicht lesen.” Diekmann lacht freundlich mit.

Die knapp einstündige Dokumentation, die Arte heute abend um 23.40 Uhr zeigt, heißt:

Durch die Nacht mit… Kai Diekmann und Henryk M. Broder

Aber eigentlich sehen wir: Henryk M. Broder durch die Nacht mit Kai Diekmann.



Diekmann lässt sich von Broder in der “Bild”-Redaktion abholen, lässt ihn dort aber zunächst in seinem Büro warten, führt ihn anschließend durch die Redaktion (Broder: “Wo werden hier die Sklaven ausgepeitscht?”), zeigt Broder ein ehemaliges Lieblingsrestaurant, das Atelier eines mittellosen Malers und die “Bild”-Druckerei. Im Gegenzug lässt er sich von Broder auf einen Polit-Promi-Empfang, in ein InternetCafé, zum Asia-Imbiss, in die U-Bahn mitnehmen. Die Nacht mit Broder nennt er “ein Experiment”, auf das er sich eingelassen habe.

Arte nennt die jüngste Folge der Doku-Reihe “Durch die Nacht mit…”:

Ein Treffen zwei der streitbarsten und meinungsfreudigsten Männer des Landes.

Doch während man von dem einen, Broder, erfährt, was man eh schon weiß, weil er sich häufig in Szene setzt, erfährt man über den anderen, Diekmann, den Talkshow-Verweigerer, nichts: immer im Dienst, verlegen und verlegen um Antworten (zumindest solange ihm ein Mikro am Hemd klemmt und die Kamera läuft).

Okay, Diekmann sagt “Doppelstandard”, wenn er “Doppelmoral” meint; er ist besorgt, ob er nicht vielleicht doch eine Krawatte tragen soll. Zuhause in Potsdam werde der Müll getrennt – und während Broder sich den Abend freigenommen hat und irgendwann von seiner Tochter (“Ah, die Tochter!”) angerufen wird, greift Diekmann wieder und wieder selbst zum roten “Bild”-Handy, um bei “Bild” anzurufen. Und die zurechtgelegt wirkenden Koketterien Broders über “Bild” lässt er ebenso über sich ergehen wie dessen Erörterungs- und Verbrüderungsversuche. “Was Broder für den ‘Spiegel’ ist, ist Franz Josef Wagner für uns’, sagt er.

Es ist also, wie es kommen musste: Kolumnist trifft Chefredakteur, Selbstdarsteller trifft Macher. Und “Durch die Nacht…”-Autor Hasko Baumann filmt dankenswerterweise mit:

Broder: Ich finde übrigens die ganze RAF-Debatte unerträglich.
Diekmann: Ja.

Broder: Wissen Sie, was toll ist an Berlin? Man kann hier nicht auffallen.
Diekmann: Ja.



Diekmann nickt, wenn Broder in der U-Bahn seine Sicht auf den Antisemitismus in Deutschland ausbreitet. Wenn Broder lang und breit von einer Reise in die Geburtsstadt seiner Mutter erzählt, fragt Beckmann Diekmann in einer Sprechpause: “Wie war das emotional?”

Sagt aber Diekmann dann doch mal einfach so, er finde Claudia Roth “in Ordnung” (“Irgendwie hat die was.”), dann witzelt Broder (“Ja, Übergewicht.”) und redet weiter, irgendwas.

Es gibt zahllose solcher Miniaturen in der Doku, aufwändig und schlau und unaufgeregt mitgedreht, immer nur dabei mit der Kamera. Das muss reichen. Und immer ein wenig zu nah dran an den Gesichtern dieser beiden Journalisten, die sich – das merkt man – nur im Grad ihrer Beliebtheit ähneln. Eine Männerfreundschaft wird das jedenfalls, auch wenn Arte Gegenteiliges behauptet, nicht.

Am Anfang der Doku sehen wir Broder in einer schwarzen Limousine zum Berliner Springer-Hochhaus fahren (“Vor 30, 40 Jahren wollte ich Springer noch enteignen, jetzt finde ich aber so eine Fahrt in der Luxuslimousine doch ganz angenehm.”). Am Ende fährt Diekmann mit der schwarzen Limousine in die Nacht (“So. Ham’ wir’s.”). Broder bleibt zurück. Abspann.

  • heute, 23.40 Uhr, Arte

Siehe auch “taz”, “Süddeutsche Zeitung”, “Westfälische Rundschau”, “Berliner Zeitung”, “Frankfurter Rundschau” und “Spreeblick”.

Nachtrag, 23.1.2009: Eine Woche lang kann man die Doku in voller länge und kostenlos auch auf arte.tv anschauen.

Heute anonym XXII

Soweit wir das überblicken, nennen ausnahmslos alle Medien, die heute über das Urteil gegen den sogenannten Münchner “U-Bahn-Schubser” berichten, ihn entweder Ludwig D., Ludwig Joachim D. oder lassen seinen Namen gleich ganz weg.

Auch Bild.de nennt ihn Ludwig Joachim D., verfuhr allerdings mal wieder nach dem, insbesondere bei Anonymisierungen, äußerst fragwürdigen Prinzip “einmal ist keinmal” und nannte* seinen vollen Nachnamen:

*) Nachdem wir Bild.de auf den offenbar mangelhaften Schutz der Identität des Mannes aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, erhielten wir (wir kennen das) zwar keine Antwort, aber: Inzwischen heißt der Mann an der fraglichen Stelle nur noch “D.”

Mit Dank an Philipp E., Marcus F., Carsten F., Tobi, Tronx und Rüdiger T. für den sachdienlichen Hinweis.

DuMont, Trevisan, Knüwer

1. Dreieinigkeit bei M. DuMont Schauberg
(nrhz.de, Peter Kleinert)
Die Neue Rheinische Zeitung, früher mal mit Karl Marx als Chefredakteur, macht darauf aufmerksam, dass die publizistische “Letztverantwortung“ für alle Zeitungen in der Mediengruppe DuMont künftig von Herausgeber Alfred Neven DuMont, seinem Neffen Christian DuMont Schütte und seinem Sohn Konstantin Neven DuMont getragen werde. Eine klassische Dreifaltigkeit.

2. Interview mit Tobias Trevisan
(bernetblog.ch, Marcel Bernet)
Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: “Bei der FAZ waren wir zum Beispiel davon überzeugt, dass ein Farbfoto auf der Titelseite die Qualität mindert. Und dann haben Tests gezeigt: Unsere Leser sehen das ganz anders.”

3. “Vor meinen 9 Fernsehern”
(blog.tagesschau.de, Dr. Kai Gniffke)
Dr. Kai Gniffke nutzt eine durch den Ausfall einer Tagesschau bedingte Pause und bloggt, dass die bei spiegel.de und stern.de zu sehenden animierten Grafiken über das Weisse Haus schon vor zwei Monaten auf tagesschau.de waren.

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Beihilfe zur Anzeige

Annett S. ist offenbar unzufrieden mit der deutschen Justiz. Da ist sie bekanntlich nicht die einzige. Auch die “Bild”-Zeitung findet im Allgemeinen, dass Richter und Staatsanwälte viel zu gnädig mit Straftätern oder Angeklagten sind.

Insofern ist es nicht überraschend, dass “Bild” Annett S. heute ordentlich Platz im Blatt einräumt. Denn:

Endlich eine Mutter, die sich gegen die lasche Justiz wehrt!

Annett S. hat nämlich einen Staatsanwalt angezeigt, der “keinen neuen Haftbefehl” gegen einen Angeklagten beantragt hatte. Der Mann wurde laut “Bild” im Jahr 2006 wegen sexuellen Missbrauchs der Tochter von Annett S. zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Er ging in Berufung. Und weil der Staatsanwalt davon ausging, dass keine Fluchtgefahr bestehe, wie er Annett S. laut “Bild” schrieb, beantragte er keinen Haftbefehl.

Nun ist der Mann aber möglicherweise doch geflohen. Jedenfalls “konnte er in der Türkei untertauchen”, wie “Bild” schreibt.

Laut “Bild” sagte die “wütende Mutter” über den Staatsanwalt:

“Er ist verantwortlich, dass meine Tochter seit drei Jahren leidet. Ich zeige ihn wegen Beihilfe zur Flucht und Behinderung polizeilicher Ermittlungen an.”

Dass es “Beihilfe zur Flucht” und “Behinderung polizeilicher Ermittlungen” im deutschen Strafgesetzbuch nicht gibt, hat offenbar niemand bei “Bild” der Mutter erzählt.

Aber es ist im Grunde auch egal, was die Mutter glaubt, weshalb sie den Staatsanwalt angezeigt hat. Ein anderer Staatsanwalt wird prüfen müssen, ob der Angezeigte möglicherweise einen Straftatbestand erfüllt haben könnte. Strafvereitelung im Amt etwa.

Indes hätte er dafür, so steht es im Gesetz, “absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt” haben müssen, dass der Angeklagte “wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft” wird. Laienhaft ausgedrückt, hätte der Staatsanwalt also mindestens wissen müssen, dass der Mann plant, sich in die Türkei abzusetzen. Das ist selbst nach Lektüre des “Bild”-Artikels unwahrscheinlich. Denn “Bild” liefert keine Anhaltspunkte für einen solch unerhörten Verdacht. Im Gegenteil. “Bild” schreibt über die Einschätzung des Staatsanwalts zur Fluchtgefahr:

EIN IRRTUM!

Insofern hätte man sich bei “Bild” vielleicht mal die Frage stellen sollen, ob es eigentlich sinnvoll ist, einer nachvollziehbarerweise wütenden Frau eine Plattform zu geben, nur weil sie dieselben dumpfen Vorurteile gegen die Justiz hegt wie “Bild” – und damit womöglich andere Menschen dazu zu animieren, die Justiz mit offenbar unsinnigen Anzeigen zu beschäftigen, weil sich jemand geirrt hat.

Ganz zu schweigen davon, was es für “Bild” bedeuten würde, wenn Irren strafbar wäre.

Mit Dank an Sebastian C. für den sachdienlichen Hinweis.

Neulich am Grab des Prometheus

Der “Goldene Prometheus” ist auch kein schöner Preis. Er zeichnet seit einigen Jahren Journalisten Menschen aus, die von der “Prometheus”-Jury zu “Journalisten des Jahres” erklärt werden. Anders gesagt: Der “Prometheus” bzw. die “Verleihungszeremonie” (“eingebettet in ein Drei-Gänge-Menü, unterbrochen von musikalischen Darbietungen und inhaltlich gewürzt mit interessanten Laudatoren, unterhaltsamen MAZ-Einspielern und eindrucksvollen Gastrednern und Überraschungsgästen” nebst anschließender “Medienparty”, “die in ausgelassener Atmosphäre neue Möglichkeiten des Community-Building erschließt”) hat den Ruf, “ein wenig korrupt zu sein” und wird “diesem Ruf, so darf sagen, wer dabei war, […] voll gerecht” (Quelle: Claudius Seidl auf FAZ.net).

Wer nicht dabei war*, durfte bereits gestern lauter interessante Dinge über Lobbying, “Prometheus”-Chefjuror Hajo Schumacher und BILD über die Verleihung des V.I.S.D.P.- bzw. VISDP-Preises "Prometheus" an zwei BILD-Redakteureseinen “fragwürdigen Schaulauf der Eitelkeiten” (Quelle: Tom Schimmek in der “Süddeutschen Zeitung”) lesen bzw. in der “Bild”-Zeitung auf Seite 1 und heute abermals erfahren, dass unter den Preisträgern auch zwei “Bild”-Redakteure sind – ausgezeichnet als “Zeitungsjournalisten des Jahres”. Denn:

Auf dem Höhepunkt der Bankenkrise [haben] die verantwortlichen Redakteure Thomas Drechsler und Oliver Santen […] sachlich und vor allem verständlich berichtet.

So steht es in der Begründung der “Prometheus”-Jury. Wir hingegen würden ja das, was die beiden “Bild”-Redakteure offenbar zu “Zeitungsjournalisten des Jahres” macht, kurz als journalistische Selbstverständlichkeiten zusammenfassen. Aber geschenkt, zumal “Bild” in Wirtschaftsdingen sowieso gern zu devoten Gesten neigt.

Prometheische Freude:

“BILD wird gern wegen angeblicher Fehler wahrgenommen. Wenn wir heute ausgezeichnet werden, weil wir etwas richtig gemacht haben, erfüllt mich das mit besonderer Genugtuung.”

(“Bild”-Politikchef Thomas Drechsler)

Die Laudatio auf Drechsler und Santen hielt übrigens Ex-Commerzbank-Chef Klaus Peter Müller, der “Bild” tatsächlich dafür loben zu müssen glaubte, “der Versuchung reißerischer Schlagzeilen widerstanden” zu haben. Doch schwergefallen sein dürfte Müller das Lob der “Bild”-Finanzberichterstattung ohnehin nicht – nicht nur, weil Müller von Berufs wegen davon profitiert, sondern auch, weil er sogar selbst sein Teil dazu beitragen durfte.

Lesen Sie daher in unserer allseits beliebten Reihe “Meilensteine des Zeitungsjournalismus” aus aktuellem Anlass: Der ehemalige Pressesprecher Oliver Santen, Ressortleiter Wirtschaft bei der “Bild”-Zeitung und “Zeitungsjournalist des Jahres”, im Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesverbandes deutscher Banken und Aufsichtsratsvorsitzenden der Commerzbank, Klaus Peter Müller.

BILD: Haben Banker komplett versagt?
Müller: Keine Frage, wir haben Fehler gemacht, das gestehe ich freimütig ein. Aber von Pauschalverurteilungen halte ich gar nichts. Die große Mehrheit der Banker macht gute Arbeit und hat sich nichts vorzuwerfen.
BILD: Stichwort US-Immobilienkrise, IKB-Skandal, KfW-Desaster: Sind viele Banker gewissenlose Zocker?
Müller: Auch das ist ein Pauschalurteil, das nicht einfach so stehen bleiben sollte. Es gibt überall schwarze Schafe. Aber wenn Einzelne Fehler machen, darf man nicht einen ganzen Berufsstand in Misskredit bringen.
BILD: Haben Sie keinen Grund zur Selbstkritik?
Müller: Doch natürlich. Wie schon gesagt, es wurden Fehler gemacht. Wir hätten nicht zulassen dürfen, dass Finanzprodukte so kompliziert werden, dass der Kunde sie nicht mehr versteht. Und: In der Immobilienkrise in den USA wurde vieles nicht richtig geprüft und bewertet. Wir haben uns zu sehr auf das Urteil der Rating-Agenturen verlassen.
BILD: Können Sie verstehen, dass viele Kunden den Banken nicht mehr trauen?
Müller: Diese Erfahrung machen wir bei der Commerzbank mit unseren Millionen Kunden nicht. Es ist vielmehr so, dass … usw. usf.

*) Hinweis: BILDblog war 2005 selbst (kurzzeitig) für den “Goldenen Prometheus” nominiert.

B.Z., Don Alphonso, Rassismus

1. “Die ‘B.Z.’ lässt Roland Koch richtig gewinnen”
(stefan-niggemeier.de)
Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. ist sehr kreativ beim Malen des „vorläufigen amtlichen Endergebnis” der Landtagswahlen in Hessen. Stefan Niggemeier zeichnet die fehlende Skala dazu.

2. Portrait von Don Alphonso
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
“Gratuliere! Zwei Drittel der deutschen Alphablogger bloggen somit nicht mehr über die FAZ”, schrieb perlentaucher.de über die Meldung, dass Blogger Don Alphonso nun gegen Bezahlung ein Blog auf faz.net schreibt. Stefan Winterbauer hat die “Kunstfigur” besucht und mit ihr Torte gegessen.

3. “Blogs als Zeitungen, Magazine, Bücher”
(upload-magazin.de, Jan Tißler)
Ein Blick auf einige Projekte, die das Internet ausdrucken: “Eigentlich logisch, dass jemand die schönsten Stücke herausschöpft und irgendwie bewahren will – ob nun in einer digitalen ‘Blogbibliothek’ oder als gedrucktes Werk.”

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18-Uhr-Prognose immer früher

Sonntags an einem Wahltag, pünktlich um 18 Uhr, nach Schließung der Wahllokale, kommt bekanntlich die 18-Uhr-Prognose. Da gibt es endlich Zahlen, die einen ersten Hinweis geben, wie die jeweilige Wahl ausgegangen sein könnte. Vorher nicht. Jedenfalls meistens.

Bei der Bundestagswahl 1998 allerdings hatte der Sender RTL bereits 37 Sekunden vor 18.00 Uhr die erste Wahlprognose (die auf Wähler-Befragungen nach der Stimmabgabe vor den Wahllokalen beruht) veröffentlicht. 37 Sekunden. Das ZDF kritisierte RTL damals scharf und warf dem Sender vor, er versuche bewusst, “seine Einschaltquoten zu erhöhen”, wie die “Berliner Zeitung” berichtete. RTL sprach von einem Versehen.

Vier Jahre später, bei der Bundestagswahl 2002, veröffentlichte das ZDF die erste Wahlprognose bereits zwei Minuten vor 18 Uhr auf seiner Internetseite, wie das “Handelsblatt” damals dokumentierte. Das ZDF sprach von einem Versehen.

Es gibt einen guten Grund, dass die 18-Uhr-Prognose nicht 17.47-Uhr-Prognose heißt: Wähler, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, sollen in ihrer Wahlentscheidung nicht beeinflusst werden, und es soll verhindert werden, dass sie taktisch wählen — der Grundsatz der Gleichheit der Wahl würde verletzt.

Und das ist keine Verpflichtung, die sich die Medien selbst auferlegt haben, sondern das steht im Bundeswahlgesetz und in den Wahlgesetzen der Länder. Im Hessischen Wahlgesetz beispielsweise:

Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.

Bild.de veröffentlichte gestern trotzdem vor Schließung der Wahllokale die erste Prognose der Hessen-Wahl. Nicht 37 Sekunden und auch nicht zwei Minuten, sondern etwa eine Viertelstunde vor 18 Uhr:

Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse von Wählerbefragungen “vor Ablauf der Wahlzeit” handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden kann.

Mit Dank an B., Lukio, Dorin P. und Mario auch für die Screenshots.

Nachtrag, 21.1.2009: Wie Dorin Popa im Tivoli-Blog berichtet, geht der hessische Landeswahlleiter Wolfgang Hannappel der Sache nach. Hannappel bestätigte uns gegenüber, dass er die “Bild”-Chefredaktion zu einer Stellungnahme bezüglich der Veröffentlichung der “1. Prognose” aufgefordert hat. Das Tivoli-Blog fragt sich und andere außerdem, wo genau die Zahlen von Bild.de eigentlich herkommen könnten. Weder bei der Forschungsgruppe Wahlen, noch bei infratest dimap, weiß man Antwort.

Nachtrag, 22.1.2009: Das Tivoli-Blog hat noch ein bisschen herumgefragt und herausgefunden, dass in den Parteien die ersten Prognosen der Wahlnachfrage bereits am frühen Nachmittag kursieren sollen. Desweiteren zitiert das Blog “Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF)” dahingehend, dass es “gegen 17 Uhr an weniger als eine Handvoll Journalisten, mit denen wir eine langjährige Zusammenarbeit pflegen und wo wir sicher sein können, dass eine Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet ist, eine qualitative Einschätzung des zu erwartenden Ergebnisses [gibt]. Diese dienen aber nicht dazu, eine Prognose frühzeitig drucken zu können, sondern lediglich um sicherzustellen, dass der zu schreibende Kommentar etwas mit dem wirklichen Ergebnis zu tun hat.”

Krieg, Maden, Taxifahrten

1. “Krieg – Live im israelischen Wohnzimmer”
(andremarty.com)
Der israelische Privatsender Channel 10 telefoniert während dem Krieg immer mal wieder mit Ezzeldeen Abu al-Aish, einem palästinensischen Gynäkologen. Ein Anruf des Senders erfolgt, nachdem sein Haus von einem israelischen Panzer beschossen wurde: “Drei seiner Töchter sind tot, die 22jährige Bisan, die 15jährige Mayer und die 14jährige Aya. Seine 14jährige Nichte Nour und eine weitere Tochter sind verletzt.” Die sehr emotionale Live-Schaltung ist auf YouTube zu sehen (youtube.com, Video, 4:18 Minuten).

2. “Die Maden und die Medien”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Die von Gatekeepern befreite RTL-Sendung “Ich bin ein Star – holt mich hier raus” zeigt eigene Qualitäten. Stefan Niggemeier fragt sich, “wann je zuvor so viele Fernsehzuschauer in einer Unterhaltungssendung so viel über Transsexualität erfahren haben. Wie absurd, dass ausgerechnet in dieser bizarren, künstlichen Extremsituation im australischen Dschungel Gespräche entstehen, die dem schwierigen Thema angemessener sind als die übliche Boulevardberichterstattung.”

3. Interview mit Leo Fischer
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Leo Fischer, der 27-jährige Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic, will sein Bestes geben, freut sich über Klagen und kämpft mit Bedeutungsverlust: “Die meisten Politiker der Postmoderne verstehen Satire inzwischen aber wohl als PR.”

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“Bild” lässt Lierhaus keine Ruhe

Es ist nicht so, dass die Mitteilung, die die ARD vergangenen Mittwoch über Monica Lierhaus herausgab, irgendwas an Deutlichkeit vermissen ließ:

Monica Lierhaus ist ernsthaft erkrankt. Sie musste sich Anfang des Jahres einer Operation unterziehen und liegt zurzeit im künstlichen Koma.

Volker Herres, Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen: “(…) Was sie im Moment am dringendsten braucht, ist Ruhe. Ich appelliere daher an alle Medien, ihre Privatsphäre zu respektieren und von journalistischen Nachfragen bei Freunden, Verwandten und in ihrem Umfeld abzusehen.”

Wie sueddeutsche.de jedoch heute berichtet, sandte Lierhaus’ Anwalt “eine Stunde nach der ARD-Meldung” auch nochmal ein Fax an die Medien:

Da forderten die Juristen “im Auftrag unserer Mandantin” auf, “Recherche und Berichterstattung über die Erkrankung zu unterlassen” – das gehöre zum “innersten Bereich der Privatsphäre”.

Es ist nicht davon auszugehen, dass ausgerechnet die “Bild”-Redaktion dieses Fax nicht erhielt. Doch es hat, genau wie die ARD-Mitteilung, den Haken, dass darin keinerlei Antwort auf die naheliegende Frage gegeben wird, woran Lierhaus erkrankt ist. “Bild” reichte das am Donnerstag sehr groß auf der Titelseite nach und nannte dort erste Details, die bislang zwar offiziell nicht bestätigt, dafür aber von vielen anderen Medien verbreitet wurden.

Doch heute wird “Bild” noch genauer. Im folgenden ein Ausriss aus dem “Bild”-Text, in dem wir alle Stellen geschwärzt haben, die Informationen enthalten, die über das hinaus gehen, was die ARD in ihrer Mitteilung preis gab:

Überraschend ist es freilich nicht, dass “Bild” sich über die Wünsche von Monika Lierhaus hinwegsetzt.

“Bild” ist jedoch nicht das einzige Medium, das mehr über Lierhaus’ Erkrankung berichtet, als sie möchte. Sowohl die “Hamburger Morgenpost” als auch der “Berliner Kurier” hatten bereits gestern über dieselben ersten Details berichtet wie “Bild”.

Doch selbst die “Bild”-Berichterstattung erscheint zurückhaltend im Vergleich zu dem, was die “WAZ” heute veranstaltet. Die versteigt sich in wildeste Spekulationen (“Über die Gründe konnte […] nur spekuliert werden”, “Spekuliert wird jedoch”), befragt unbeteiligte Experten über verschiedene Krankheitsbilder im Allgemeinen und zieht Schlüsse, die mit pseudo-journalistischen Satzbausteinen wie “die Fakten sprechen eher für” oder “nach bisherigen Erkenntnissen” garniert sind, um zu verschleiern, dass die “WAZ” genau das nicht hat: Fakten und Erkenntnisse. Bereinigt um alles andere sieht der Artikel dann so aus:

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

China, Weltvereinfacher, Heidi

1. “China geht mit neuer Wucht gegen kritische Blogger vor”
(sueddeutsche.de, Henrik Bork)
Das liberale Blog bullog.cn wurde vergangene Woche “im Rahmen einer Kampagne gegen Pornographie im Internet” zusammen mit “insgesamt 91 Webseiten” geschlossen. “Am Freitag vergangener Woche erhielt Luo eine E-Mail der Zensoren. ‘Ni hao’, guten Tag, meldete sich höflich das Pekinger Amt für Telekommunikation (Beijingshi Tongguanju). Bullog.cn habe ‘schädliche Informationen über aktuelle Ereignisse und Politik’ verbreitet, teilten die Genossen ganz sachlich mit. Kurz darauf merkte Luo, dass seine Blog-Plattform im Internet nicht mehr aufrufbar ist.”

2. “China – Fünf Milliarden für Propaganda”
(fr-online.de, Bernhard Bartsch)
“Chinas Exporte sollen einen neuen Markt erobern: den Markt für Informationen und Meinungen. 45 Milliarden Yuan, umgerechnet fünf Milliarden Euro, hat die Pekinger Regierung eingeplant, um ihre Staatsmedien zu einem global agierenden Propagandaapparat auszubauen. Er soll die Berichterstattung im Ausland beeinflussen und Chinas Image in der Welt verbessern.”

3. “Die Heuschrecke geht, das Sparschwein bleibt”
(nzz.ch, ras.)
David Montgomery ist weg, die Medien jubeln – zu Unrecht, findet ras., der Finanzinvestor sei nichts mehr als ein “medienpolitischer Blitzableiter”: “Nach seinem Abgang werden sich die besorgten Branchenbeobachter vermehrt mit der Tatsache konfrontieren müssen, dass die einheimischen ‘klassischen’ Medienmanager nicht wirklich zimperlicher als der Mann von drüben vorgehen. Der Spardruck ist in den meisten Betrieben enorm. Die publizistischen Tabuzonen schrumpfen schnell. Das Undenkbare wird Realität.”

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