Und wo kriegt man das geile Zeug?

Es ist dann doch immer wieder beeindruckend, wie gut die automatisch generierten Google-Anzeigen inzwischen erkennen, welcher Werbekunde den Lesern des jeweiligen Artikels den größtmöglichen Nutzwert bietet.

Mit Dank an Nils!

(Nachtrag: Nein, wir haben die Google-Anzeige im Screenshot nicht vergrößert. Sie ist so groß. Es gibt sie aber auch in kleiner, dafür an prominenterer Stelle.)

Geistesaristokratie, Spiegel, Experten

1. “Geistesaristokratie”

(zeit.de, Gero von Randow)

Der bereits bei netzwertig.com ausführlich analysierte Artikel “Das Netz als Feind” von Adam Soboczynski erhält nun auch Zeit-intern eine Gegenstimme. Gero von Randow schreibt: “Es ist schon seit einiger Zeit auffällig, dass dieses Thema unter Journalisten starke Gefühle weckt. Man könnte meinen, dieser Netzwut läge Angst zugrunde.”

2. “Journalistenfrust – Gerichtsurteile behindern Berichterstattung”

(ndr.de, Video, 9:50 Minuten)

Da es sich herumgesprochen hat, dass sich das Landgericht in Hamburg oft eher für das Persönlichkeitsrecht und eher gegen die Meinungsfreiheit ausspricht, klagen sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sehende Bürger gerne dort. Was zur absurden Situation führt, dass sowohl Kläger als auch Angeklagter über 500 Kilometer fahren müssen, um zu klären, wer im Recht ist.

3. “Die besten Recherche-Tools für Journalisten”

(meedia.de, Felix Disselhoff)

“Es gibt jede Menge kostenlose Dienste, die für Sie das News-Geschehen sortieren, die Blogosphäre durchforsten und Ihnen Audio- und Videobeiträge automatisch auf den Rechner schicken.”

4. “‘Spiegel’ löst politisches Beben in Libanon aus”

(nzz.ch, hoh.)

“Ein Bericht des Magazins ‘Der Spiegel’ hat im Zedernstaat ein politisches Erdbeben verursacht. ‘Der Spiegel’ gibt vor, dass hinter dem Attentat an dem Ex-Regierungschef Hariri nicht die Syrer, sondern der Hizbullah stecken könnte. Kritiker werfen dem Magazin vor, beinahe einen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen zu haben.”

5. “Die CDU profiliert sich als Anti-Internetpartei”

(perlentaucher.de/blog, Thierry Chervel)

“In den USA wird das Netz bei allen Problemen – etwa dem Zeitungssterben – als Reich einer neuen Freiheit begrüßt. Im alten Europa ist es das Reich des Bösen. Es untergräbt nicht nur alles Bestehende. Es ist die Sphäre aller dunklen unbeherrschbaren Kräfte in der Gesellschaft.”

6. “Niemand ist eine Insel”

(zeit.de, Harald Martenstein)

Harald Martenstein ist einer von vielen, die immer wieder als Experte zu allem möglichen angefragt werden. Er gibt zu: “Von den meisten dieser Themen verstehe ich nicht mehr als du oder ich.”

JFK, die Praktikantin und das verflixte 6. Jahr

Wir haben lange kein falsches Alter mehr korrigiert …

Also: Marion “Mimi” Fahnestock, die Bild.de heute als “60-jährige Mitarbeiterin einer Kirche” bezeichnet, ist in Wirklichkeit schon 66 Jahre alt.

Das hätte man auch ganz leicht selbst überschlagen können, denn Bild.de berichtet über sie, weil sie als 19-jährige Praktikantin im Weißen Haus eine Affäre mit John F. Kennedy hatte, die “im Juni 1962” begonnen haben soll. Wenn Fahnestock also tatsächlich erst 60 wäre, wäre sie zum Zeitpunkt der Affäre maximal 14 Jahre alt gewesen, was wirklich mal eine Meldung wäre.

So ist die Meldung nicht ganz so sensationell und wie folgt überschrieben:

John F. Kennedy und seine Affären: Er hatte Sex mit einer 19-jährigen Praktikantin

41 Jahre lang hat Marion “Mimi” Fahnestock ihre Liebesbeziehung im Weißen Haus für sich behalten. Weder ihre Ehemänner, noch ihre Töchter wussten bis jetzt, dass Mimi über ein Jahr die Geliebte des US-Präsidenten John F. Kennedy war!

Das mit den 41 Jahren stimmt, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass Ehemänner und Töchter “bis jetzt” nicht wussten, dass Marion Fahnestock als 19-jährige Praktikantin im Weißen Haus eine Affäre mit John F. Kennedy hatte. Denn das Buch “John F. Kennedy, 1917-1963”
von Robert Dallek, in dem die Affäre erstmals erwähnt wurde, ist bereits im Jahr 2003 erschienen. Zufälligerweise zu einer Zeit, als Fahnestock tatsächlich 60 Jahre alt war.

Insofern ist natürlich das ganze Bild.de-Gerede von “jetzt” und “nun” ziemlicher Quatsch:

Nun bekennt sich die 60-jährige Mitarbeiterin einer Kirche öffentlich zu dem Sex-Geheimnis: “Ja, ich hatte eine sexuelle Beziehung mit dem Präsidenten. Ich bin froh, dass ich meinen erwachsenen Kindern endlich die ganze Wahrheit sagen kann.”

Denn bekannt hatte sich die Frau schon vor sechs Jahren, und damals sagte sie auch, was Bild.de als “nun” zitiert.

Dass Bild.de über den Fall jetzt noch einmal berichtet, lässt sich leicht erklären: Die ehemalige Praktikantin und Geliebte hat vergangene Woche angekündigt, ein Buch über ihre Zeit im Weißen Haus zu schreiben.

Die Mimi-Ur-Enthüllung in “Bild”:

“Auch Kennedy liebte Praktikantin
Der Ur-Clinton …”
15. Mai 2003

“Kirchenfrau gesteht Affäre mit Kennedy”
16. Mai 2003

“Sie kam 17 Monate zu Kennedy ins Bett. Amerika staunt! Immer neue Details über den ersten Praktikanten-Sex im Weißen Haus”
17. Mai 2003

“Die Sex-Akte Kennedy …”
19. Mai 2003

“Mimi vergaß den Slip in Kennedys Bett”
24. Mai 2003

Warum Bild.de sich so sehr zwischen Gegenwart und Vergangenheit verheddert, lässt sich nicht ganz so leicht erklären. Vielleicht war der Redaktions-Praktikant einfach überfordert mit der Aufgabe, die Sache als sensationelle Neuigkeit darzustellen, nachdem er die fünf Artikel im Archiv entdeckt hatte, die “Bild” dem Thema im Mai 2003 gewidmet hat (siehe Kasten rechts).

Mit Dank auch an Robert.

Bild  etc.

Springer hatte mit 1968 nichts zu tun (2)

Am Tag danach “mußten Berliner Zeitungsleser glauben, daß Benno Ohnesorg von seinen Kommilitonen umgebracht worden sei”, schrieb der “Spiegel” im Juni 1967.

Unter der Schlagzeile “Blutige Krawalle: 1 Toter!” berichtete die “Bild”-Zeitung an jenem 3. Juni 1967:

Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten. (…) Ihnen genügte der Krawall nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die Rote Fahne, und sie meinen die Rote Fahne. Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.

Die Schwesterzeitung “Berliner Morgenpost” meldete immerhin:

Ein Kriminalbeamter feuerte im wirren Tumult und in dem unübersehbaren Handgemenge einen Warnschuß ab.

Und Schwesterzeitung “Welt am Sonntag” erklärte am folgenden Tag ihren Lesern, warum ein Kriminalbeamter “von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht” hatte:

Er war von den Demonstranten in einen Hof abgedrängt, dort festgehalten, getreten und mit Messern bedroht worden.

Noch einen Tag später titelte “Bild”:

Studenten drohen: Wir schießen zurück — Sanfte Polizei-Welle

Der “Bild”-Reporter sagte laut “Spiegel” hinterher:

“Ich schäme mich für meine Zeitung. Das mit dem Zurückschießen hat mit keinem Wort in meinem Artikel gestanden. Das haben die erst in der Redaktion dazugedichtet, um eine knallige Überschrift zu kriegen.”

* * *

Thomas Schmid, früher selbst in der Studentenbewegung tätig, inzwischen aber Chefredakteur der “Welt”, schreibt in seinem heutigen Leitartikel, in dem er den “alten Kämpen” vorwirft, sich “an ihren Mythos” zu “klammern”:

Kein Zweifel (…), dass in den überhitzten Jahren 1967 und 1968 einige Blätter dieses Hauses sich im Ton vergriffen und die Demonstrierenden auch verunglimpften. [Aber:] Die Blätter des Axel Springer Verlages haben — was wir belegen werden — über die 68er-Bewegung sehr viel differenzierter berichtet, als es im Schreckbild von der “hetzerischen Springerpresse” vorgesehen ist.

Das eingeschobene “was wir belegen werden” wird als Ankündigung einer internen Untersuchung interpretiert. Vielleicht holt Schmid aber auch nur ein altes Papier aus dem Schrank. Denn der Verlag ließ schon vor über 40 Jahren eine solche Untersuchung mit demselben Ziel anfertigen (rechts): Sie sollte vor allem den Vorwurf entkräften, alle Springer-Zeitungen hätten einheitlich undifferenziert über die Studenten und den Tod Ohnesorgs berichtet. Zu genau diesem Ergebnis kam hingegen eine wissenschaftliche Untersuchung des renommierten Publizistik-Wissenschaftlers Walter J. Schütz.

* * *

In der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Marek Dutschke, der jüngste Sohn von Rudi Dutschke, warum er ausgerechnet in der “Bild”-Zeitung forderte, man solle prüfen, ob die Stasi mit dem Attentat auf seinen Vater 1968 zu tun habe.

SZ: Bislang hätte man kaum für möglich gehalten, dass ein Dutschke mit der Bild-Zeitung spricht, nach den Kampagnen des Blattes gegen Ihren Vater.

Dutschke: Das stimmt. Aber die Bild-Zeitung hat Einfluss in Deutschland, und wenn man den für eigene Forderungen nutzen kann, finde ich es okay. Interessant aber ist doch zu sehen, wie Bild heute mit dem Fall Ohnesorg umgeht, das Motiv ist ja durchschaubar: Indem sie die Geschichte jetzt auf die Stasi konzentriert, kann sie von der eigenen historischen Schuld ablenken, denn Bild hat ja die Stimmung gegen die Studenten angefacht und das Klima des Hasses erzeugt.

Ringier, Tages-Anzeiger, Herzinger

1. Interview mit Michael Ringier

(handelszeitung.ch, Alice Chalupny)

Der grösste Schweizer Verleger sieht die Zukunft seines Verlags offenbar nicht zwingend mit Journalismus verknüpft. Auf die Feststellung “Ringier wird mehr und mehr zu einem Versandhändler” entgegnet Michael Ringier: “Der Versandhandel ist ein gutes Geschäft. Hubert Burda verkauft ja auch Schirmständer – was solls? Solange das Geschäftsmodell erfolgreich ist?”

2. “Zukunft ohne Presse?”

(stern.de/blog, Karsten Lemm)

“Jahrzehntelang konnten Tageszeitungen, aber auch Zeitschriften wie der Stern, gut davon leben, dass Informationen eine relativ knappe Ware waren (…) Das funktioniert nicht mehr. Informationen sind praktisch wertlos geworden – eine Folge des Überangebots aus Daten, Fakten, Gerüchten, Nachrichten, Meldungen und Meinungen, die überall im Netz herumschwirren. Simple Marktwirtschaft.”

3. Tagi-Mitarbeiter demonstrieren gegen den Personalabbau

(persoenlich.com)

Journalisten des Tages-Anzeigers traten gestern vor das Gebäude, in dem sie arbeiten und demonstrierten gegen den geplanten Stellenabbau. “Eine derart massive Amputation” sei derzeit nicht nötig und vergrössere nur den Profit der Eigentümer, so die Personalkommission. Weitere Berichte bei tagesanzeiger.ch, klartext.ch und presseverein.ch.

4. “oe24-Netzwerk zwei Monate aus ÖWA ausgeschlossen”

(diepresse.com)

“Das ‘Österreich’-Onlineportal wird zwei Monate lang nicht in der Österreichischen Webanalyse (ÖWA) ausgewiesen – wegen ‘groben Verstößen gegen die Richtlinien’.”

5. “Einnahmen ohne Zuschauer”

(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)

“Fernsehsender wollen Geld von elektronischen Programmzeitschriften”

6. “Wie ich im Internet zum Juden erklärt wurde”

(welt.de, Richard Herzinger)

Richard Herzinger schreibt einen langen Artikel über die doch eigentlich recht banale Tatsache, dass sein Wikipedia-Eintrag kurzzeitig falsche Angaben beinhaltete.

Krasses Video von irgendwas, irgendwann

Gestern veröffentlichte “Spiegel Online” einen Videobericht. Er beginnt mit den Worten:

Ungewöhnlicher Besuch im Rathaus von Wichita, Kansas, im mittleren Westen der USA. Ein Mann brettert mit seiner Limousine durch das Gebäude. Ihm immer auf den Fersen: zwei tapfere Sicherheitsleute. Verschiedene Überwachsungskameras zeichnen das Geschehen auf.

Die Bilder sind dramatisch. Es ist kaum zu glauben, dass bei der wilden Fahrt niemand verletzt wurde, wie der Sprecher sagt. Nur Momente, bevor der Mann mit seinem Auto durch die Gänge rast, sind sie noch voller Menschen.

Wer sich das Video nicht auf “Spiegel Online”, sondern zum Beispiel auf “YouTube” ansieht, sieht mehr: einen Timecode. Auf “Spiegel Online” ist die eingeblendete Uhrzeit am unteren Bildrand abgeschnitten. Dabei enthält sie wertvolle Informationen. Sie enthüllen zum Beispiel, dass die Szenen unmerkliche Schnitte enthalten. Obwohl es aussieht, als würden die Leute immer wieder um Haaresbreite dem Amokfahrer entkommen, liegt in Wirklichkeit bis zu einer Viertelstunde dazwischen.

Die Aufnahmen der Überwachungskameras wurden offenbar auf maximalen Unterhaltungswert als Internetvideo dramatisiert*. Den Leuten von “Spiegel Online” war das entweder egal oder recht. Denn als Nachricht interessiert sie das Ereignis ohnehin nicht. Sie erwähnen nicht einmal, dass die spektakuläre Fahrt, über die sie aktuell berichten, bereits im Januar vergangenen Jahres stattfand.

Seit längerer Zeit schon folgen viele Online-Medien einem Trend zur Boulevardisierung, was neben einer reißerischen Form der Präsentation vor allem andere Kriterien bei der Auswahl von Nachrichten bedeutet. Inzwischen gehen sie gern noch einen Schritt weiter und behandeln Videos und Fotos gar nicht mehr als Dokumente einer Nachricht, sondern nur noch als kontextlose Fundsache, wie bei einer Clipshow im Fernsehen oder einem von Kollege zu Kollege weitergeschickten YouTube-Video.

Die in mehrerer Hinsicht dramatisierte “Spiegel Online”-Präsentation der Aufnahmen von dem Auto, das durch das Rathaus von Wichita, Kansas, fuhr, ist dafür nur ein anschauliches Beispiel.

*) Nachtrag, 14.40 Uhr. Der örtliche Fernsehsender KSCW weist in seinem Bericht ausdrücklich auf die Zeitsprünge im Video hin und erklärt sie: Die Überwachungskameras zeichnen nur dann etwas auf, wenn sie Bewegungen wahrnehmen. Aktueller Anlass für die Berichterstattung und die Veröffentlichung des Videos ist übrigens die Verurteilung des Fahrers am Mittwoch vergangener Woche. Aber das kann man aufgrund des “Spiegel Online”-Videos kaum erahnen.

Mit Dank an Gunar, jaimitoCV und Clarissa!

BND, Neon, n-tv, Wirtschaftswachstum

1. Der BND und die Medien

(jungle-world.com, Thomas Blum und Markus Ströhlein)

Zwei Mitarbeiter der Jungle World besuchen einen Vortrag von Ernst Uhrlau, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, vor Vertretern des deutschen Fachjournalisten-Verbands. Sie notieren sich unter anderem die Frage “Wie nutze ich Journalisten als Instrument?” oder die eigenwillige Definition “Transparenz bedeutet für mich nicht Durchsichtigkeit.”

2. Interview mit Timm Klotzek

(meedia.de, Georg Altrogge)

Lesenswertes Interview mit einem der beiden Chefredakteure der Zeitschrift Neon, welche als eine von wenigen steigende Leserzahlen aufweisen kann. Klotzek glaubt, dass Zeitschriften in “absehbarer Zeit gar nicht mehr zuständig sind” für Serviceaufgaben. “Wenn man wirklich Service will, wird man durch das Internet besser bedient. Zeitschriften sind für Inspiration oder Überraschung da oder für eine Verbindung zu ganz anderen Themen, wie wir sie geschaffen haben.”

3. “Digitale Infantilisierung greift den präfrontalen Cortex an”

(heise.de/tp, Florian Rötzer)

“Medien und Web 2.0-Seiten verformen unsere Gehirne, sagt eine anerkannte britische Neurowissenschaftlerin, Belege dafür hat sie nicht.”

4. Interview mit Hans Demmel

(dwdl.de, Thomas Lückerath)

Der Geschäftsführer des Nachrichtensenders n-tv glaubt, dass man mit “Twitter, Facebook oder Blogs wahnsinnig vorsichtig” sein muss. Es helfe aber, “auf Themen aufmerksam zu werden”. Deshalb gibt es bei n-tv einen “einen Netzreporter, der diese Plattformen beobachtet und die Nachrichten mit der gebotenen Vorsicht einordnet”.

5. “Heeeere’s . . . Conan!!!”

(nytimes.com, Lynn Hirschberg)

“Can Conan O’Brien’s brand of late-late-night, smart-guy, outsider humor work on ‘The Tonight Show’?”

6. “Muss unsere Wirtschaft unbedingt wachsen?”

(zeit.de, Wolfgang Uchatius)

Wolfgang Uchatius geht der Frage nach, wie wichtig das dauernd gepredigte Wirtschaftswachstum ist.

Bild  

Springer hatte mit 1968 nichts zu tun

“Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen.”

Schlagzeile der Springer-Zeitung “B.Z.” am 3. Juni 1967, dem Tag, nachdem der unbewaffnet gegen den Schah demonstrierende Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen worden war.

“Bild” hatte angesichts der Studenten-Demonstrationen schon im Dezember 1966 “Polizeihiebe auf Krawallköpfe” empfohlen, “um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen.” Im Februar 1966 schrieb das Blatt über eine Vietnam-Demonstration Berliner Studenten:

Es ist an der Zeit, diesen Leuten mit aller Deutlichkeit zu sagen: … Zwei Millionen Berliner lassen sich nicht von 1500 Wirrköpfen auf der Nase herumtanzen.

“Bild” wolle “dafür sorgen, daß in Zukunft ähnlichen Demonstrationen die gebührende Antwort erteilt wird”. Springer-Zeitungen titelten: “Kein Geld für langbehaarte Affen”, “Da hilft nur noch eins: Härte”, “Unruhe stifter unter Studenten ausmerzen” und nannten die Protestierenden “Eiterbeulen”.

Als mehrere Studenten im April 1967 vorübergehend festgenommen wurden, weil sie Mehl und Joghurt in Beutel abgefüllt und ein Attentat mit Pudding auf den amerikanischen Vizepräsidenten geplant hatten, sprach “Bild” von “Bomben und hochexplosiven Chemikalien” und “sprengstoffgefüllten Plastikbeuteln” und titelte: “Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten.”

Das Buch “Das ‘Welt’-‘Bild’ des Axel Springer Verlages” fasst die damalige Berichterstattung der Springer-Zeitungen so zusammen:

Richtete sich eine Demonstration gegen bundesdeutsche oder allgemein westliche Mißstände und legte noch dazu belebte Straßen wie den Berliner Kurfürstendamm lahm — tat also genau das, wofür sie gedacht war, nämlich den reibungslosen Ablauf zu stören –, wurde sie als illegaler Druck der Straße abgeleht. (…)

Die anfänglich demokratisch-legal artikulierte Kritik bewirkte keine Veränderung, sondern wurde statt dessen bereits kriminalisiert. Wie das Beispiel der Demonstranten zeigt, galt gerade in den Zeitungen des Springer-Verlages schon der friedliche, aber eben störende Protest als illegaler Übergriff auf das Recht der Bundesbürger auf Ruhe und Ordnung. (…) Obgleich anfänglich die Gewalt nicht von studentischer Seite ausging, sondern im Gegenteil von den staatlichen Instanzen Polizei oder Universität, wurden dennoch die Studenten als Initatoren der Gewalt geschildert.

Am 7. Februar 1968 schrieb “Bild”:

Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.

Ein Amtsgericht sah in diesen “Bild”-Sätzen damals “nicht eine demokratische Auseinandersetzung mit einem Andersdenkenden, sondern üble Stimmungsmache und Aufhetzung zu Gewalttaten”.

“Dutschke, der sich später den Grünen anschließt, ertrinkt Heiligabend 1974 in der Badewanne.”

(Gescheiterter Mini-Biographie-Versuch der “Bild am Sonntag” gestern über ihren ewigen Gegner Rudi Dutschke)

Zwei Monate später wurde das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke verübt.

Man kann die Eskalation der Gewalt, die dem Tod Ohnesorgs folgte, nicht erklären ohne das politische Klima, in dem er geschah, und die Lügen und die Hetze der Springer-Zeitungen, die es anfeuerten.

Kann man nicht? “Bild” kann es.

Seit herausgekommen ist, dass Karl-Heinz Kurras, der Polizist, der Ohnesorg erschoss, Stasi-Agent war, lässt sich nach Ansicht der “Bild”-Zeitung offenbar alles, was damals, davor und danach passiert ist, allein durch die brutalen Machenschaften des DDR-Systems erklären. Ob Kurras mit dem Todesschuss im Auftrag der Stasi handelte, ist keineswegs ausgemacht — aber der frühere “Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje weiß schon, dass sie auch für den Tod Dutschkes verantwortlich war:

In der “taz” kommentiert Christian Semler:

[Kurras] hatte in seinen Prozessen wegen fahrlässiger Tötung Ende der Sechzigerjahre Verbündete, allen voran Springers Bild-Zeitung. Sein vorbildlicher Einsatz, hieß es, sei leider in einem von ihm nicht verschuldeten Unglücksfall geendet.

Wie schnell aus aufrechten Verteidigern der Freiheit gedungene Mörder werden — denn jetzt, nachdem Kurras’ Tätigkeit als IM der Staatssicherheit aufgeflogen ist, wird er zum Auftragsmörder, der gehorsam den Befehlen aus der Stasi-Zentrale folgte. (…) Man kann den delirierenden Autor Hans-Hermann Tiedje nicht unter der Rubrik “Berliner Absonderlichkeiten” verbuchen. Vielmehr geht es hier um ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation. Indem die Stasi — ohne jedes Indiz — zum Täter gemacht wird, kann die Verantwortung der Westberliner Eliten für den 2. Juni 1967 beiseitegedrückt werden.

Und der Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch ätzt, was es angesichts der vorhergehenden Hetze von “Bild” gegen die Studenten bedeutet, wenn sich der Tod von Ohnesorg dem DDR-Regime in die Schuhe schieben lässt:

Das klingt schon nach Aussöhnung zwischen Bild und Stasi.

 

Blättern:  1 ... 746 747 748 ... 1127