Im April eröffnete die Axel Springer AG den “Bild Shop”, in dem Kunden “jede Woche neue Themenwelten je nach Saison oder zu bestimmten Anlässen und Events sowie täglich ein besonders attraktives oder günstiges ‘Produkt des Tages'” finden können sollen.
Die Verbraucherzentrale NRW hat die Angebote etwas genauer unter die Lupe genommen und bei ihren Stichproben “viele Merkwürdigkeiten” entdeckt: Die “Preishämmer” gab es in anderen Onlineshops im Schnitt fast zehn Prozent billiger, “Publikumslieblinge” kamen weitgehend ohne Kundenbewertungen daher und das Attribut “Testsieger” bezog sich teilweise auf Tests, die bis zu fünf Jahre zurück lagen.
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem “Bild Shop” inklusive vieler Beispiele hat die Verbraucherzentrale heute als Pressemitteilung veröffentlicht:
Im Frühjahr ist die einstmals renommierte Fernsehzeitschrift “Gong” vom Presserat dafür gerügt worden, dass die Rezepte ihres großen Weihnachtsmenus durchsetzt waren mit Hinweisen auf Produkte der Firma Unilever (BILDblog berichtete). Noch trauriger als die Schleichwerbung an sich ist allerdings der Versuch der Rechtsabteilung der “WAZ”-Gruppe, sie zu rechtfertigen. Der Presserat fasst ihre Stellungnahme so zusammen:
[…] man habe durch die Reaktion von Lesern festgestellt, dass bei der Verwendung spezieller Zutaten eine redaktionelle Produktempfehlung gewünscht sei. Insofern habe man durch die Nennung konkreter Produkte das Informationsinteresse des Lesers bedient. Dies betreffe maßgeblich die Empfehlung von Produkten wie “Suppenliebe Hühnersuppe”, “Cremefine” und “Fix für Nudel-Mozzarella-Gratin”. Der Leser könne aufgrund dieser Hinweise erkennen, welche Art von Zutat Verwendung gefunden habe. Gegebenenfalls könne er, sofern vorhanden, auf Konkurrenzprodukte zurückgreifen, da jedenfalls eine für das Verständnis des Lesers ausreichende Individualisierung durch die Produktnennung erreicht worden sei. Auch sei nicht zu beanstanden, dass das Produkt “Cremissimo-Schokoladeneis” genannt wurde, da dieses aufgrund seiner Konsistenz und Streichfähigkeit besonders gut für die Verwendung im Rahmen des Rezeptes geeignet sei.
Das ist natürlich alles nicht wahr.
In Wahrheit bezieht der “Gong” einen Großteil seiner Rezepte einfach von der Firma Unilever. Die bietet Redaktionen dafür eine eigene Datenbank im Internet, die, wie ihr Name “Rezept & Bild” nahelegt, auch gleich hochauflösende Fotos der Gerichte enthält.
Unilever stellt diese Inhalte kostenlos zur kommerziellen Nutzung zur Verfügung — unter einer Bedingung: Die darin natürlich immer enthaltenen Namen ihrer Marken wie “Knorr”, “Mondamin” und “Rama” müssen genannt werden. In den Nutzungsbedingungen heißt es:
Zulässig ist es, die Produkt-Kategorie zusammen mit einer Marke der Unilever Gruppe in Klammern zu nennen. Bsp.: ‘Bourbon-Vanille (z.B. von Cremissimo))’.
Genau so verfährt der “Gong”. In der vergangenen Woche gab es drei Braten-Rezepte von Unilever mit der entsprechenden Schleichwerbung für Unilever-Produkte (siehe rechts). In dieser Woche dreht sich auf den “Gong”-Rezeptseiten alles um den Kürbis, mit einem Lachsfilet-Rezept von Pfanni, einem Curry-mit-Rind-Rezept von Mondamin, einem Krosse-Plätzchen-Rezept von Rama und einem Putenbraten-Rezept von Knorr.
Mit dem Informationsinteresse der Leser, wie die sich für ihren Qualitätsjournalismus für bekannt haltende “WAZ”-Gruppe behauptet, hat das alles nichts zu tun. Sondern damit, wie Unternehmen die Lücke füllen, die durch sinkende Etats und Qualitätsansprüche in den Redaktionen entsteht, und redaktionelle Inhalte durch werbliche Inhalte ersetzen — sicherlich nicht nur in so harmlosen Bereichen wie Kochrezepten.
Die Rüge des Presserates hat der “Gong” übrigens bereits am 1. April mit einem irreführenden Text veröffentlicht. Sollten sie auch sorgfältige “Gong”-Leser übersehen haben, könnte das daran liegen, dass die Redaktion einen außerordentlich unauffälligen Platz wählte: im Klein- und Kleinstgedruckten zwischen Leserbriefen und Impressum.
Die deutsche Sprache kennt das Phänomen der Auslautverhärtung, die dafür sorgt, dass Begriffe wie “Rad” und “Rat” oder “Blog” und “Block” gleich klingen, wenn man sie ausspricht. Die englische Sprache kennt dieses Phänomen nicht, “bad” klingt anders als “bat”.
Bild.de-Koch Andreas “Studi” Studer möchte den “lieben Bild.de-Usern” etwas Englisch beibringen und bereitet dazu ein “American barbeque” zu (natürlich stilecht im Bratschlauch).
Oder, wie Bild.de es formuliert:
Zur Grillparty gehören “garlic”, “honey” und “corn on the cop”.
Dabei hatte sich Studer sogar Mühe bei der englischen Aussprache gegeben und eben nicht von einem “cop” gesprochen, sondern von “cob”. Also nix mit Polizisten, sondern lediglich mit Maiskolben.
Mit Dank an Chris und Alexander B.
Nachtrag, 13.16 Uhr: Nachdem Bild.de die Leserkommentare zum Thema über Stunden ignoriert hatte, haben sie schnell auf unseren Eintrag reagiert und den Fehler unauffällig korrigiert.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Bekenntnis zu Sarrazin” (sprengsatz.de, Michael Spreng)
Michael Spreng hätte, anders als “Bild” und “Spiegel”, das derzeit in vielen Medien verhandelte Buch “Deutschland schafft sich ab” von Thilo Sarrazin nicht vorabgedruckt. “Ohne die beiden spektakulären Vorabdrucke wäre der Aufmerksamkeitspegel nicht über Normalmaß gestiegen: Sarrazins Buch wäre ohne sie nicht über den Zweispalter im Politikteil oder im Feuilleton hinausgekommen, Sarazin hätte sein Buch nicht vor 250, sondern vor maximal 50 Journalisten vorgestellt, er wäre nicht die Spitzenmeldung aller TV-Nachrichten geworden.”
2. “Keine Sympathien für ein Leistungsschutzrecht” (nzz.ch, ras.)
Die “NZZ” zählt fünf Gründe gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger auf: Die Urheberrechte sind bereits geschützt, niemand ist gezwungen, Inhalte kostenlos anzubieten, niemand muss sich von Suchmaschinen finden lassen, der freie Fluss des digitalen Markts kann nicht verboten werden, das Gesetz wäre als Gebührenerhebungssystem ein “grenzüberschreitendes bürokratisches Monster”.
3. “Abmahnungen gegen Blogs” (spiegel.de, Frank Patalong)
Frank Patalong stellt die Firma Righthaven LLC vor: “Das Unternehmen wurde gegründet, um Blogs gezielt wegen der Verletzung von Coyprights zu verklagen.”
4. “Kleine Formate ganz groß” (journalist.de, Videos)
Christian Bartels und Svenja Siegert stellen gelungene Web-Experimente von Journalisten vor.
Es war eine “tolle Fahrt in einem Doppelstockbus”, bevor die Reporterin das Schiff bestieg. Dort ist dann alles “supertoll, weil alles leuchtet und glänzt und die Treppenstufen mit Glitzersteinen verziert sind”. Der Balkon in der Kabine war “toll”, die Büffets “sehr lecker”, der Kellner “sehr lustig” und die Shows im Bord-Theater “toll”.
Klar, dass ihr Fazit über die Mittelmeer-Kreuzfahrt mit der “MSC Fantasia” da lautet:
Ich fand die Reise mit diesem großen Schiff toll, vor allem, weil ich so gerne auf das Meer schaue.
Was die Reisereportage im “Münchner Merkur” von dem Lobhudel-Journalismus unterscheidet, den man sonst im Bezug auf Kreuzfahrten leider schon fast gewohnt ist, ist die Autorin: Heidi ist erst elf Jahre alt und als “Kinderreporterin” im Einsatz.
Oder wie es der “Merkur” ausdrückt:
Immer, wenn Ferien sind, schicken wir die Kinderreporter los, damit sie uns von den Reisezielen dieser Welt berichten. In diesem Jahr geht es um Kreuzfahrten.
Weil wir wissen wollten, was das bedeutet, haben wir beim “Münchner Merkur” nachgefragt. Die Redaktion erklärt uns, dass im Frühjahr Reisen ausgelobt würden, “für die sich die Kinder ganz offiziell bewerben können.”
Aus allen Bewerbungen wählt ein Team aus Redakteuren die jeweiligen Reporter nach Eignung und Fähigkeit aus. Die Reisen werden natürlich, das ist auch bei professionellen und hauptberuflichen Reisereportern meistens der Fall, von Veranstaltern unterstützt, was der Objektivität der Berichterstattung allerdings nicht im Wege steht. Von den Kindern (sie sind in keinem Fall mit einem Redaktionsmitglied verwandt oder sonstwie verbunden) wird keine positive Berichterstattung erwartet.
Man kann es einem elfjährigen Mädchen nicht übel nehmen, dass sie von einer Kreuzfahrt (mutmaßlich ihrer ersten) begeistert ist und letztlich alles – mit Ausnahme von Neapel (dreckig) und Landausflügen (teuer) – “toll” findet. Aber wenn der “Merkur” ihren euphorischen Text über die “MSC Fantasia” abdruckt und im Internet gleich die Website verlinkt, auf der man die Reise buchen kann, ist das vermutlich effektiver als jede offizielle Anzeige, die die Reederei hätte schalten können.
Ereignisse, die gerade im Moment stattfinden, sind nicht immer leicht zu durchblicken. Gerade Amokläufe haben die Tendenz, wegen ihrer willkürlichen, oft extremen Gewalt zumindest anfangs sehr unübersichtlich zu sein. Idealerweise hat der Schutz der Bevölkerung, die Entwaffnung des Täters und die Versorgung von Verletzten auch Vorrang vor einer korrekten, detaillierten Berichterstattung der Situation.
Als es gestern in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zu einer Schießerei kam, war längere Zeit unklar, was überhaupt los war. Die Deutsche Presseagentur (dpa) vermeldete um 14.22 Uhr:
Die Tageszeitung “SME” berichtete auf ihrer Internetseite, der Täter sei ein 15-jähriger Drogensüchtiger. Er habe sich anschließend selbst getötet.
Um 15.27 Uhr hieß es plötzlich:
Der etwa 50 Jahre alte Mann habe mit einer Maschinenpistole und zwei Gewehren in einer Wohnung zunächst fünf Menschen erschossen und dann auf dem Weg nach draußen einen weiteren Mann.
In diesem Chaos kann man es den Machern von Bild.de kaum übel nehmen, dass auf ihrer Startseite zu diesem Zeitpunkt folgender Teaser zu sehen war:
Der dazugehörige Artikel wurde im Laufe des Tages mehrfach überarbeitet und an den aktuellen Erkenntnisstand angepasst. Allerdings nicht vollständig.
Und so heißt es auch heute noch in der Bildergalerie unter dem Foto des 50-jährigen Täters:
Mit Dank an Paul Z., Klaus H. und den anderen Hinweisgeber.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Sarrazin führt Deutschland vor” (konjovic.de, Georg Konjovic)
“Es steht 5:0 für Thilo Sarrazin im Spiel ‘Provokanter Autor’ versus ‘Hysterie-süchtige Republik’.”
2. “Sarrazin und die Medien: Pure Heuchelei” (carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Für Robin Meyer-Lucht hatte die “Huldigung in Blitzlichtgewittern” anlässlich der Pressekonferenz zur Buchvorstellung von Thilo Sarrazin etwas Bedrückendes. Der Journalismus renne “sklavisch der Gier des Publikums nach”, denn Sarrazin sei “aus dem Stoff gemacht, der Auflage bringt”, ein “Auflagen- und Aufmerksamkeitsgoldstück”. Siehe dazu auch “Ein Abgrund an Journalismus-Verrat”(blog-cj.de, Christian Jakubetz).
3. “Reisebetrug über RTL-Videotext” (ndr.de, Video, 7:20 Minuten)
Eine auf RTL Videotext geschaltete Werbeanzeige für Urlaubsreisen stellt sich als betrügerisches Angebot heraus.
4. “Vom Mordopfer ein falsches Bild machen” (derstandard.at, Harald Fidler)
“Krone”, “Österreich” und “Kurier” veröffentlichen ein Bild einer ermordeten Frau, das unter ihrem Namen bei Facebook zu finden war. “Ob es tatsächlich die Seite des Opfers war, oder, wofür es Hinweise gibt, einer Frau gleichen Namens gehört, war Sonntag nicht zu eruieren.”
5. “Die häufigsten Fehler der taz-Autoren” (blogs.taz.de/hausblog, Matthias Fink)
“Der häufigste Fehler ist aber sicher das Auseinanderschreiben von allem und jedem. Selbst wer weiß, dass die reine Getrenntschreibung nicht das Wahre ist, setzt oft nur einen Bindestrich, wobei ‘Heinrich Heine-Straße’ mit ‘Heinrich-Heine Straße’ konkurriert.”
6. “Sag beim Abschied leise Servus!” (zeit.de, Jens Jessen)
“Zeit”-Feuilletonchef Jens Jessen mahnt zur Zurückhaltung beim Ausstand nach dem Praktikum. “Als ich zum Ende meiner Hospitanz bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mehrere Bleche Pflaumenkuchen servierte, wurde dieser zwar gerne gegessen – aber vielleicht auch zu gerne, denn der Feuilletonchef verabschiedete mich mit den Worten, dies sei der beste Artikel, den ich bisher abgeliefert hätte.”
Seit dem Siegeszug des Internets ist die Welt ja angeblich kleiner geworden — übersichtlicher aber offenbar nicht, wie drei aktuelle Geographie-Fehler verschiedenster Medien beweisen:
Stürmer Dimitar Rangelov (27) steht zwar im 18-er Aufgebot, doch auch seine Tage in Dortmund sind gezählt. BILD erfuhr: Dem Rumänien wurde ebenfalls vom BVB nahe gelegt, sich ausleihen zu lassen. Angeblich soll Freiburg Interesse haben…
Mal davon ab, dass Dimitar Rangelov natürlich nicht ganz “Rumänien” ist, ist er auch nicht Rumäne, sondern Bulgare.
Im westafrikanischen Benin wurden Tausende Menschen finanziell ruiniert, weil sie einem windigen Finanzunternehmen Glauben schenkten. (…) In der Hauptstadt Cotonou spielen sich seit Tagen ergreifende Szenen ab.
Eine Woche, nachdem der “Spiegel” einen Vorabdruck des neuen Buchs von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin veröffentlicht hatte (“Bild” hatte im Laufe der Woche das gleiche getan), wurde das Buch heute endlich offiziell vorgestellt — begleitet von Livetickern auf “Spiegel Online” und Bild.de.
Auch sonst geben sich die Medien viel Mühe, die von ihnen selbst entfachte Kontroverse um den früheren Berliner Finanzsenator umfangreich auszuschlachten abzudecken: “Spiegel Online” hat da zum Beispiel eine Bildergalerie vorbereitet, die die Proteste gegen Sarrazin bei dessen Buchpräsentation zeigt.
Demonstrant in Berlin: Begleitet von einem Polizeiaufgebot machten einige Bürger ihrem Ärger Luft.
stand da erst, dann:
Demonstrant in Berlin: Begleitet von einem Polizeiaufgebot machten die Bürger ihrem Ärger Luft. Unterstützt wurde die Veranstaltung von Politikern der SPD, der Grünen, der Linken sowie Gewerkschaftsvertretern.
Das wäre gar nicht weiter erwähnenswert — wenn, ja wenn das dazugehörige Foto nicht etwas ganz anderes zeigte:
Nicht nur, dass der Demonstrant sich offensichtlich bei Sarrazin bedankt — er hat auch gleich noch die Webadresse der islamophoben Hassseite “Politically Incorrect” auf sein Schild gekritzelt.
Inzwischen hat “Spiegel Online” offenbar bemerkt, was für Inhalte da (wieder mal) unbesehen in eine Bildergalerie gerutscht waren, und hat das Foto durch ein ganz anderes ersetzt.
Die Sängerin Nadja Benaissa ist in der vergangenen Woche vom Amtsgericht Darmstadt zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und 300 Stunden Sozialarbeit verurteilt worden, weil sie einen früheren Partner mit dem HI-Virus infiziert hatte.
Oder wie es die österreichische Boulevardzeitung “Österreich” am Freitag auf ihrer Titelseite ausdrückte: