Fakten im Rückwärtsgang

Böse Zungen haben es schon lange kommen sehen: Die Online-Enzyklopädie Wikipedia schrumpft. Das Projekt, das vor nicht einmal zehn Jahren als Hort des Weltwissens gestartet war, hat nun endgültig den Rückwärtsgang eingelegt und vernichtet das sauer erarbeitete Wissen wieder. So zumindest berichtete es die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” am Donnerstag:

In der englischsprachigen Wikipedia, der weltweit größten Gemeinschaft mit über drei Millionen verfassten Beiträgen, ist von einem ernsthaften Autorenschwund die Rede. Zum ersten Mal in der Geschichte der freien Enzyklopädie werden mehr Beiträge gelöscht als erstellt, berichtet das amerikanische Nachrichtenmagazin “Newsweek” und beruft sich auf Aussagen eines Sprechers der “Wikimedia Foundation”.

Mehr Beiträge gelöscht als neu erstellt? Die schlimmsten Befürchtungen der Wikipedia-Fans werden wahr. Allerdings: Laut Wikipedia-Statistik wächst der Artikelbestand alleine in der englischsprachigen Ausgabe jeden Tag um mehr als 1000 Artikel, die deutschsprachige Wikipedia um immerhin knapp 400 neue Beiträge. Artikellöschungen sind in der Statistik schon berücksichtigt. Wieso behauptet der Sprecher der Wikimedia Foundation also etwas anderes?

Eine Auflösung bietet ein Blick in den Artikel der Newsweek, auf den sich die “FAZ” beruft:

Tausende der Freiwilligen Autoren, die Wikipedia-Artikel schreiben, überprüfen und auf den neusten Stand bringen, haben sich abgemeldet – viele davon für immer. Zum ersten Mal scheinen sich mehr Mitarbeiter von Wikipedia zu verabschieden als neu anzumelden. Die Aktivität auf der Seite stagniere, wie ein Sprecher der Wikimedia Foundation bestätigt. Dies sei ein “wirklich ernsthaftes Problem”.

(Übersetzung von uns)

Das ist zwar auch nicht ganz korrekt; die Meldungen von einem scheinbaren Autorenschwund gibt es seit mindestens zehn Monaten. Von Artikel-Löschungen ist bei “Newsweek” hingegen gar keine Rede.

Vielleicht sollte sich die “Frankfurter Allgemeine” um die verlorenen Wikipedia-Autoren bemühen. Ein paar Fact-Checker haben noch niemandem geschadet.

Nachtrag, 25. August: Inzwischen hat die FAZ den Rückwärtsgang eingelegt und den Beitrag korrigiert:

Richtigstellung vom 23.08.2010: „Newsweek“ berichtete nicht, wie am 19.08.2010 an dieser Stelle veröffentlicht, dass mehr Beiträge gelöscht als neue erstellt werden.

Hetzenjagd auf den “Spiegel”

Auf der Liste der angesehensten Berufe landen Journalisten und Politiker regelmäßig im unteren Drittel. Und auch untereinander scheint man nicht viel voneinander zu halten.

Vor zwei Wochen erhob Mariela Castro, Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung CENESEX auf Kuba in der linken Tageszeitung “Junge Welt” schwere Vorwürfe (die auch wir in “6 vor 9” verlinkt haben): Der “Spiegel” habe ein Interview mit ihr sinnentstellend verändert.

“In der gedruckten Fassung hat die Redak­tion Fragen eingefügt, die sie mir nie gestellt hat. Eine solche Frechheit und ein solches Fehlen von Professionalität habe ich noch nicht erlebt, nicht einmal bei Medien in den USA”, so Castro. (…) Der Spiegel habe sie außerdem falsch zitiert. So habe sie die Gefangenen, die derzeit von der kubanischen Regierung freigelassen werden, ausdrücklich nicht als Terroristen bezeichnet: “Die Terroristen sind andere.” Trotzdem wird ihr dies vom Spiegel in den Mund gelegt.

Für Mariela Castro ist die Hetze gegen ihr Land und sie selbst kein Zufall, sondern Teil der Kampagne gegen den kubanischen Sozialismus.

Nun ist bei so einem Interview in der Regel eine recht überschaubare Anzahl von Personen anwesend, es steht somit schnell Aussage gegen Aussage.

Der “Spiegel”-Redakteur Manfred Ertel, der das Interview mit Frau Castro geführt hatte, erklärte uns aber auf Anfrage:

Die von Ihnen zitierten Interview-Aussagen von Mariela Castro in der “Jungen Welt” sind falsch. Das vom SPIEGEL veröffentlichte Interview mit ihr ist in seiner gedruckten Fassung Zeile für Zeile von Mariela Castro persönlich autorisiert worden – so, wie es im SPIEGEL übrigens gängige Praxis ist.

In der Tat hat der “Spiegel” die Praxis der Autorisierung in den 1960er Jahren eingeführt — und kann sich somit in strittigen Situationen wie dieser darauf berufen, dass der Gesprächspartner das Gespräch vor Abdruck abgesegnet hat.

Warum aber ließ die “Junge Welt” ausgerechnet in einem Artikel, in dem sie vermeintlich unseriösen Journalismus anprangert, die beschuldigten Kollegen nicht zu Wort kommen?

Die Redaktion hat uns (auf unsere zweite Anfrage nach zehn Tagen) dazu folgendes geantwortet:

Aufgrund der damaligen Kürze der Zeit – die Entscheidung, das Thema zum Aufmacher zu machen, wurde sehr kurzfristig getroffen – haben wir eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem “Spiegel” versäumt. Sie haben recht, dass dies eine Schwäche unserer Veröffentlichung darstellt. Es hat in der Folge allerdings auch von Seiten dieser Zeitschrift offenbar keinen Bedarf gegeben, die Aussagen von Frau Castro uns gegenüber zu dementieren.

Der letzte Satz ist ein erschütterndes Dokument über das Selbstverständnis des Journalismus in Deutschland: Wenn niemand widerspricht, werden die Vorwürfe schon stimmen. So einfach ist das also.

Kika, Burtscher, Prantl

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Bild-Zeitung’: Von Bibeln bis Dessous”
(sueddeutsche.de, Caspar Busse)
“Wir helfen den Menschen, das Leben zu meistern”, sagt Verlagsgeschäftsführer Ralf Hermanns über die Marke “Bild”.

2. “Ernie & Bert fahren am liebsten Volkswagen”
(medienpiraten.tv, Peer Schader)
Peer Schader war am Berliner Ostbahnhof bei der “Kika-Sommertour”: “Es ist ein merkwürdiges Selbstverständnis, das der Kika pflegt: einerseits herauszustellen, dass sein Programm dank Gebühren ohne Werbung auskommt und andererseits mehrere hundert Quadratmeter seiner ‘Sommer-Tour’ an Werbepartner zu vermieten.”

3. “Vom Machtkampf”
(begleitschreiben.twoday.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig thematisiert die Berichterstattung zur anstehenden Wahl für den Vorsitz der CDU in Nordrhein-Westfalen. “Aus dem vollkommen normalen, demokratischen Vorgang, dass sich für ein Amt mehrere Kandidaten zur Wahl stellen, wird nun ein Skandalon produziert.”

4. “Reden wie Joachim Löw”
(zeit.de, Oliver Fritsch)
Die Fußballberichterstattung soll in der kommenden Bundesliga-Saison eine “neue Hinwendung zum Fachlichen” erfahren. “Voraus sind den deutschen nach wie vor die englischen Medien – und zwar im Fernsehen, in der Zeitung und im Internet.”

5. “Dementieren, vernebeln, ignorieren”
(weltwoche.ch, Alex Baur)
Alex Baur fragt sich, warum das Schweizer Fernsehen keinen Anlass sieht, sich im Fall Barbara Burtscher zu korrigieren. Doch auch Burtscher habe “nie irgendeine Anstrengungen” unternommen, “die Falschmeldungen zu korrigieren (als mal ein Datum eines ihrer Vorträge nicht stimmte, veranlasste sie indes sofort eine Richtigstellung)”.

6. “An den Taten sollt ihr sie messen”
(blog.abgeordnetenwatch.de, Martin Reyher)
“In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung wirft uns Heribert Prantl heute ‘übertrieben kleinliche Beckmesserei’ im Umgang mit den Nebentätigkeiten von Peer Steinbrück vor. Eine Replik.”

Dumm wie rot

Auf der Suche nach dem sinnlosesten Stück Onlinejournalismus aller Zeiten sind wir möglicherweise fündig geworden. Unscheinbar versteckt mitten in einem Artikel über einen Stier, der bei einer Stierkampf-Veranstaltung ins Publikum gesprungen ist:

Mehrere Menschen in roten Hemden und T-Shirts waren unter den Verletzten, was jedoch kein Beleg für eine bewusste Handlung des Tieres ist.

So steht es bei “Spiegel Online”. Und wenn mehrere Menschen unter den Verletzten gewesen wären, deren Nachnamen mit “M” beginnt, so wäre das sicher genauso wenig ein “Beleg für eine bewusste Handlung des Tieres” gewesen — zumal der Satz nicht gerade sinnvoller wird durch das, was unmittelbar auf ihn folgt:

Wie die meisten Säugetiere haben auch Stiere keine Farbwahrnehmung.

Auf eine verquere Art und Weise ist aber selbst dieser Unfug eine Steigerung gegenüber dem, was “Spiegel Online” ursprünglich über die “dramatischen Szenen”, die auf den Fernsehbildern aus einer spanischen Stierkampfarena zu sehen sind, geschrieben hatte:

Dabei ist deutlich zu sehen, dass das Tier immer wieder Kurs auf Menschen in roten Hemden nahm und Personen in weißer Kleidung verschonte.

“Spiegel Online”, sonst angeblich auf eine Kennzeichnung nachträglicher Textänderungen bedacht, hat sich diesmal für die klammheimliche Überarbeitung entschieden.

Mit Dank an Marvin S., Sandro K. und besonders an Rocky G.

Die Fastronautin

Barbara Burtscher ist Physiklehrerin an der Kantonsschule in Wattwil.

Im Juli 2009 flog sie nach Huntsville, Alabama, um dort “4 Wochen lang im Nasa Education Center und U.S. Space & Rocket Center Lehrer auszubilden und meine Live Sternenhimmel Show zu präsentieren” – sie berichtete in ihrem Blog. Mit “Nasa Education Center” ist das “NASA Marshall Space Flight Center Educator Resource Center” gemeint. Es befindet sich im U.S. Space & Rocket Center, einem Museum.

Im November und Dezember 2009 war sie einige Tage als “Crew Astrophysicist” in der “Mars Desert Research Station” im US-Bundesstaat Utah, worüber sie ausführlich bloggte. Im Wikipedia-Artikel zur Mars Desert Research Station wird darauf hingewiesen, dass Crewmitglieder keine Bezahlung erhalten, aber dafür wertvolle Erfahrungen. Im Anmeldeformular heißt es:

Every participant is expected to pay $1,000 to cover the costs of the 2-week simulation.

(Jeder Teilnehmer muss 1000 Dollar bezahlen, um die Kosten der zweiwöchigen Simulation zu decken.)

Am 25. April 2010 sprang Burtscher über Whiteville, Tennesse, aus dem Flugzeug. Aus rund 10.000 Metern Höhe. Diese zum Beispiel hier angebotenen Sprünge kosten zwischen 375 und 3495 US-Dollar. Auch davon zeugen mehrere Blogeinträge (und Berichte auf 20min.ch und tagblatt.ch).

Und nun ein Blick in die Schweizer Medien.

“Schweizer Illustrierte” vom 10. August 2009:

Auf dem Weg zum Mond

“Die Schweizerin Barbara Burtscher darf jetzt für die Nasa arbeiten”

“Schweizer Illustrierte” vom 14. Dezember 2009:

Unsere Frau auf dem Mars

“Diese Toggenburgerin hat grosse Chancen, Nasa-Astronautin zu werden und auf den Mars zu fliegen.”

20min.ch vom 1. November 2009 (berichtigt am 18. August 2010):

Erste Schweizerin lebt bald in der Mars-Station

“Die junge Schweizer Astrophysikerin Barbara Burtscher wird in der Mars-Station der Nasa leben – als erste Schweizerin überhaupt.”

Blick.ch vom 2. November 2009:

Schweizerin trainiert Marslandung für Nasa

“Barbara Burtscher (24) ist Toggenburgerin, Astrophysikerin – und steht schon mit einem Bein auf dem Mars.” (…)

“Kantonschullehrerin Barbara Burtscher (24) ist auf dem besten Weg, Astronautin zu werden” (…)

“Offenbar ist den Amis aufgefallen, dass da im St. Gallischen ein Raumfahrer-Talent herangewachsen ist.”

Ihre durch die Artikel gewonnene Bekanntheit führte auch zu Einladungen des Schweizer Fernsehens. So war sie am 17. Juni 2010 Talk-Gast bei “Aeschbacher” und zuvor, am 20. Februar 2010, durfte sie in der Kartenspielsendung “Samschtig-Jass” mitspielen. Auf der Website wurde sie als “Astronautin” angekündigt:

Bevor die Astronautin Barbara Burtscher auf die Reise zum Mond oder gar Mars startet, versucht sie sich heute im irdischen Differenzler.

Aktuell steht Barbara Burtscher im Mittelpunkt einer Debatte, die der Artikel “Die eingebildete Astronautin” im “Tages-Anzeiger” ausgelöst hat (der zuvor selbst dreimal über Burtscher berichtet hatte, ohne die Hintergründe zu recherchieren).

Gegen den im Artikel verwendeten Begriff “Hochstaplerin” wehrt sich die Angegriffene in einer Stellungnahme. Auf der Empfangsseite von barbaraburtscher.com heißt es derzeit:

Ich habe mich nie als “Nasa-Astronautin” ausgegeben, wie gewisse Medien jetzt suggerieren wollen. Klar, ich bin begeistert von meiner Sache, die ich stets offen hier dokumentiert habe. Gut möglich, dass sich auch Medien von dieser Begeisterung haben anstecken lassen, was mich natürlich gefreut hat. Dabei habe ich mich stets bemüht, korrekt zu informieren. Wenn trotzdem falsche Eindrücke entstanden sind, so tut mir das leid.

Die erste Publikation mit einem kritischen Blick auf die mediale Astronautinnenkarriere war der “Tages-Anzeiger” nicht. Ende Januar 2010 veröffentlichte das Weblog “Infamy” zwei Beiträge und löschte sie auch gleich wieder, da sich ein Rechtsstreit mit Burtscher anzubahnen drohte.

Bis vor kurzem bezeichnete sich Barbara Burtscher auf ihrer Website als “Astrophysikerin” – was in einigen von den bisher über 60 von ihr gesammelten Medienbeiträgen ungeprüft verbreitet wurde. Derzeit ist sie krankgeschrieben. Doch die vom Rektor der Kantonsschule Wattwil als “gute und beliebte” Lehrerin eingeschätze Frau ist sicher bald zurück.

Kaymer, Sachsensumpf, Price

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Spekulationen über Kaymers Freundin”
(american-arena.blogspot.com, Jürgen Kalwa)
“Bild” macht eine “Marketing-Expertin” aus New York zur Freundin von Golfprofi Martin Kaymer. “Wenn man die im Telefonverzeichnis von Wagner aufgelistete Alison Micheletti (Vorname mit einem ‘l’) anruft, bestätigt sie einem gerne, dass sie nicht die Freundin von Kaymer ist.”

2. “Definieren Sie den Begriff ‘mysteriöses Detail'”
(noemix.twoday.net)
Nömix liest den Artikel “Charlie-Qualle in der Feuerhölle” auf “Spiegel Online” und fragt sich, “inwiefern (angebliche) Maschinengewehre im Frachtraum für einen Flugzeugbrand potentiell gefährlich sein sollen”.

3. “Urteil im Sachsensumpf-Prozess”
(ndr.de, Video, 7:02 Minuten)
“Zapp” fasst das Urteil im Journalistenprozess zum “Sachsensumpf” zusammen und nennt es “offenkundig absurd”. Der angeklagte Journalist Arndt Ginzel im Schlußwort: “Es muss erlaubt sein, kritische Fragen zu stellen.”

4. “Daily Star: Lies and Five”
(tabloid-watch.blogspot.com, englisch)
Wie schon im August 2009 unterstellt “Daily Star” Katie Price eine Schwangerschaft. Sie dementiert per Twitter.

5. “Is the web really dead?”
(boingboing.net, Rob Beschizza, englisch)
Rob Beschizza glaubt, dass der gestern verlinkte “Wired”-Artikel mit einer anderen Grafik illustriert werden müsste.

6. “BREAKING NEWS!”
(blog.tagesschau.de, Christian Thiels)
Die “Tagesschau”-Redaktion ignoriert eine Presseeinladung.

Andreas Studer kocht auch nur mit Toppits

Andreas C. Studer ist “Sternekoch”, “TV-Koch” und “Fernsehkoch”. Außerdem ist er Testimonial eines Küchenartikel-Herstellers und zeigt “exklusiv für die BILD.de-Leser” in kurzen Videoclips “seine besten Tipps und Rezepte”.

Das sieht dann so aus:

Wenn “Studi” kocht, achtet er darauf, nur die besten Zutaten zu verwenden. Und die Produkte seines Werbepartners. Und so werden Muffins in “wunderschönen” und “tollen” Förmchen gebacken:

Auch bei der Zubereitung eines Salats gelingt es Studer, Produkte seines Sponsors ins Bild zu rücken: Er tränkt (Studer: “umcoatet”) die Salatblätter einfach direkt in einer Frischhaltebox mit dem Dressing. Selbst Knollensellerie, den er für seinen Waldorf-Salat gar nicht braucht, kann Studer immer noch in Frischhaltefolie einwickeln, den Salat selbst packt er dann direkt in eine Frischhaltedose — “fürs Büro”. Und wie man sein Essen für ein Picknick ordentlich verpackt, dürfte außer Frage stehen.

Grüner Spargel wird in einem “Dampfgar-Beutel” zubereitet. Und wer dessen aufgedrucktes Logo nicht erkennen kann, als Studer den Beutel aus der Mikrowelle holt, für den fasst Bild.de das noch mal zusammen:

1 "Toppits Dampf Garer Beutel (R)"

Es geht allerdings auch noch weniger subtil: Wenn Studer einen Kartoffelsalat zubereitet (“Das Geheimnis des schnellen Kartoffelsalates ist die Zubereitung der Kartoffeln in der Mikrowelle.”), dann tut er das in einem “Dampfgar-Beutel”:

Bild.de unterlegt das Wort “Dampfgar-Beutel” im geschriebenen Rezept auch gleich mit einem Link zur Hersteller-Website. Das freilich geht auch mit dem Wort “Bratschlauch”. Nur für das Wort “Anzeige” war nirgendwo mehr Platz.

Manchmal schafft es Studer aber überraschenderweise doch, völlig auf Produkte des ostwestfälischen Herstellers zu verzichten. Dann präsentiert er den “StudiMagic”, einen handbetriebenen Häcksler, der nach ihm benannt ist. Und wer ein solches Gerät sofort käuflich erwerben will, für den hat Bild.de den Bestell-Link schon mal in den Text eingearbeitet. So interaktiv sind auch die modernsten Dauerwerbesendungen im Fernsehen nicht.

Mit Dank auch an Hans-Christian H., Ulli M. und C.

Kamelkot, Sunde, Urlaubs-Mängel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die eingebildete Astronautin”
(tagesanzeiger.ch, Maurice Thiriet)
Sehr viele Medien porträtierten die Physiklehrerin Barbara Burtscher als Nachwuchsastronautin. Die Schlagzeilen lauten “Schweizerin trainiert Marslandung für Nasa” (blick.ch) oder “Erste Schweizerin lebt bald in der Mars-Station” (20min.ch). Doch Burtscher war nie als Instruktorin angestellt: “Weder von der Nasa noch vom Spacecenter. Sie habe sich für den Sommerkurs 2010 gemeldet als Volunteer Instructor, als freiwillige Instruktorin. Sie habe keinen Lohn erhalten. Und es habe sie seines Wissens auch nie jemand aufgefordert, sich für das Astronautenprogramm der Nasa zu bewerben.”

2. “Offener Brief an BILD: Betrifft Urlaubs-Mängel”
(karl-born.de)
Karl Born bemängelt die halbe Seite “Urlaubs-Mängel” in “Bild” vom 11. August 2010.

3. “Knietief in Kamelkot”
(sueddeutsche.de, Alexander Kissler)
Alexander Kissler analysiert drei neue Doku-Soap-Formate auf RTL 2. “RTL 2 findet nichts dabei, eine 22-jährige ehemalige Sonderschülerin als ‘die Fressmaschine’ zu bewerben. Die Legasthenikerin und ehemalige Sonderschülerin Jasmine wird buchstäblich dem Medium zum Fraß vorgeworfen. Fast drei Zentner wiegt die laut der unvermeidlichen Expertin ‘sehr einfach gestrickte und wenig intelligente’ Frau, die offenbar nicht immer weiß, was sie tut und sagt.”

4. “Wer’s glaubt, wird zahlen – BILD wirbt für Atomkraft”
(blog.greenpeace.de, Benjamin Borgerding)
Das Blog der Umweltorganisation Greenpeace prüft Aussagen der von “Bild” befragten “Chefs von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW”.

5. Interview mit Peter Sunde
(falter.at, Ingrid Brodnig)
Peter Sunde spricht über The Pirate Bay, Flattr und Zeitungen: “Dieses Zeitungssterben kommt sowieso, das gehört zum technologischen Wandel dazu. Viele Zeitungen sollten tatsächlich sterben, weil sie nicht mehr in die heutige Ordnung passen. Man kann nicht wie Murdoch sagen: ‘So stelle ich mir die Welt vor.’ Diese Macht hat er nicht mehr, sie wurde ihm weggenommen und den Leuten zurückgegeben.”

6. “The Web Is Dead. Long Live the Internet”
(wired.com, Chris Anderson und Michael Wolff)
Chris Anderson und Michael Wolff debattieren Seite an Seite zum Rückgang des World Wide Web.

Das Rauschen im Hanfblätterwald

Dass die wilden 70er schon lange zurückliegen, erkennt man an einer Meldung der Deutschen Presseagentur dpa über die Pläne der Bundesregierung, verschreibungspflichtige Cannabis-Medikamente zuzulassen. Dort heißt es unter anderem:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschgift, das aus Hanfblättern gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Profikiffern dürfte angesichts dieser naiven Aussage der Kragen platzen — wenn sie nicht so lethargisch wären. Erstens ist Cannabis nämlich kein Rauschgift, sondern lediglich der wissenschaftliche Name der vielseitig einsetzbaren Pflanze Hanf. Zweitens werden Marihuana und Haschisch nicht aus Hanfblättern, sondern aus den Blüten bzw. ihrem THC-haltigen Harz gewonnen. Für Marihuana werden zwar auch die kleinen Blättchen über den Blüten der weiblichen Pflanze mitverarbeitet, doch das, was in der dpa-Meldung gemeint ist und was im Zusammenhang mit Cannabis überall abgebildet wird, hat abgesehen von einer abführenden überhaupt keine Wirkung.

Das hat sueddeutsche.de, “Zeit Online”, “Spiegel Online”, fr-online.de und viele mehr aber nicht daran gehindert, diesen Unfug weiterzuverbreiten. Wenigstens ftd.de und Bild.de haben den Joint gerochen und die betreffende Stelle einfach ausgelassen.

Mit Dank an Sara.

Nachtrag, 20.31 Uhr: Bei “Zeit Online” hat sich inzwischen das Bewusstsein erweitert und der Fehler ist korrigiert. Bei “Spiegel Online” wurden zwar wenigstens die wirkungslosen Hanfblätter geerntet, aber man hat immer noch nicht verstanden, dass Cannabis Hanf ist und nicht aus Hanf gewonnen wird:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschmittel, das aus Hanf gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Nachtrag, 19. August. dpa hat sich an einer Korrektur versucht, was allerdings nur halb gelungen ist. In einer neuen Fassung der Meldung heißt es nun:

Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol ist eigentlich ein Rauschgift, das vor allem aus den Blättern der Hanfpflanze gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Auf die “Berichtigung” macht dpa in einem “redaktionellen Hinweis” aufmerksam:

Im letzten Satz wurde klargestellt, dass der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol das Rauschmittel darstellt und vor allem aus der Blüte gewonnen wird, nicht aus den großen Blättern.

“Wurde klargestellt” hier offenbar in der Bedeutung von “hätte klargestellt werden sollen”.

Man trifft sich immer zwei Mal im Leben

Genau genommen ist da nichts falsch an diesem Foto oder seiner Beschriftung:

Göktan (l.) und Di Salvo (r.) jubeln über das Weiterkommen im DFB-Pokal gegen den SC Verl

Es sind Berkant Göktan und Antonio di Salvo, die sich über den Sieg von 1860 München gegen den SC Verl im DFB-Pokal freuen.

Zur Bebilderung der aktuellen Pokalrunde taugt das Foto aber nur bedingt, denn es entstand bereits am 4. August 2007, als der TSV 1860 München erstmalig gegen den SC Verl spielte und gewann.

So steht es auch in der Datenbank der Sportfoto-Agentur Witters:

04.08.2007, Verl, Jubel 0:1 v.l. Berkant Goektan, Antonio Di Salvo 1860 DFB-Pokal 1.Runde SC Verl - TSV 1860 Muenchen

Es gibt auf dem Bild etwa drei Anhaltspunkte, dass es sich nicht um ein aktuelles Foto handeln kann: Berkant Göktan verließ 1860 am 21. Oktober 2008, Antonio di Salvo am 12. Januar 2010 und der Verein hat in dieser Saison ganz andere Trikots.

Mit Dank an Markus W., Andreas Sch. und den anderen Hinweisgeber.

Nachtrag, 23.51 Uhr: Bild.de hat das Foto entfernt.

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